Rudolf Kinzinger (Hrsg.)

Vun Hadeln na Amerika und trüch . . .

Erinnerungen eines Achtzigjährigen

von

Friedrich Hermann Meyer

aus Altenbruch

Books on Demand

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Titelfoto (umseitig): Autor im Alter von 38 Jahren

Copyright © 2010 by Rudolf Kinzinger

Umschlaggestaltung, Satz und Layout: Rudolf Kinzinger

ISBN 978-3-84828-929-5

Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt

Inhalt

Abb. 1: Friedrich Hermann MEYER und Ehefrau Sophie, geb. RÜTHER (Aufnahme ca. 1935)

Vorwort

Eines Tages im August 2008 kam meine Frau von einem Besuch ihrer Freundin Helga SCHNEIDER, geb. KLINDWORDT aus Hamburg zurück und erzählte mir, Helga hätte Lebenserinnerungen ihres Urgroßvaters vorliegen und suche seit geraumer Zeit eine Möglichkeit, diese zu erhalten und dem interessierten Leserkreis zugänglich zu machen. Ich könnte doch mal was Sinnvolles tun und mich darum kümmern, ich hätte doch reiche Erfahrungen auf dem Gebiet der Ahnenforschung.

Ich bin zwar gebürtiger Süddeutscher aus Heidelberg, wohne aber seit fast dreißig Jahren in Norddeutschland. Land und Leute sind mir buchstäblich ans Herz gewachsen, und auch die Pflege der plattdeutschen Sprache ist mir inzwischen ein Anliegen. Daher konnte ich mich auch der „Idee“ der beiden Frauen nicht verschließen, denn die Lebenserinnerungen lagen sowohl in Plattdeutsch als auch in Hochdeutsch vor. Je mehr ich mich einlas, desto faszinierter war ich von der facettenreichen Schilderung des Lebens im Land Hadeln des 19. Jahrhunderts, der Ausreise in das „goldene Land“ USA, der Rückkehr in die Heimat nach 16 Jahren und des beruflichen und privaten Neuanfangs in Altenbruch bzw. Otterndorf. Also begann ich den Lebensweg des Friedrich Hermann MEYER nachzuvollziehen und Spuren zu suchen, die er hinterlassen hat.

Friedrich Hermann MEYER (1854 – 1942) war mir bis dahin völlig unbekannt, erst mit Lektüre seiner Lebenserinnerungen und den damit verbundenen Recherchen wurde er mir zunehmend vertrauter. Vor mir steht heute ein weltoffener Mann, der mit wachem Auge seine Umwelt wahrnahm. Er war Neuem nicht abgeneigt und probierte – bisweilen aus der Not heraus – gern Dinge aus, die für seine Mitmenschen zumindest ungewöhnlich waren. Sicherlich war er geschäftstüchtig, wenn er auch nicht immer den „Bedarf des Marktes“ richtig einschätzte. Erster Weltkrieg, revolutionäre Wirren und Inflation trugen dazu bei, dass er befürchten musste, dass sein Lebenswerk ihn nicht überdauern würde. Vielleicht war das die Motivation, seine Lebenserinnerungen im vorgerückten Alter zu Papier zu bringen. Sicherlich war es auch die Ursache dafür, dass er die beginnende Nazi-Diktatur und Adolf HITLER als Person mit großen Erwartungen beobachtete. Daher war es auch keine Frage, ob die entsprechenden nazi-freundlichen Passagen in seinen Erinnerungen unverändert übernommen werden sollten. Im Sinne größtmöglicher Authentizität habe ich sie (im Einvernehmen mit der Familie MEYERKLINDWORDT-SCHNEIDER) unangetastet gelassen. Friedrich Hermann MEYER war für mich ein höchst integerer Mann, der etwas von der Welt gesehen hat.Er engagierte sich für seine Umwelt und die Gesellschaft, und war im heutigen Sinne durchaus sozial eingestellt. Politisch war er sicherlich deutschnational orientiert, obwohl er sein Vaterland nicht unkritisch betrachtete. Wenn nun so ein Mann alle seine Hoffnungen auf die Nationalsozialisten und Adolf HITLER setzte, der schon damals keinen Hehl aus seinem Judenhass machte, dann halte ich das historisch für bedeutsam, denn es verdeutlicht uns anschaulich, warum dieses verbrecherische Regime zum Erfolg gelangen konnte.

Mein Dank gilt vor allem den Nachkommen von Friedrich Hermann MEYER, die nicht nur das Manuskript zur Verfügung stellten, sondern auch Bildmaterial. Besonders erwähnen möchte ich Frau Helga SCHNEIDER, sowie ihre Mutter Ingeborg KLINDWORDT, die als Enkelin des Autors die Grundlage für die hochdeutsche Fassung legte.

Ich wünsche allen Lesern vergleichbare Faszination wie ich sie beim Lesen empfunden habe und ein wenig Dankbarkeit, dass wir in einer Zeit leben dürfen, die –bei allen aktuellen Problemen – nicht von vergleichbarer Not und Armut geprägt ist, wie sie damals große Teile der Hadeler Bevölkerung veranlassten in die Vereinigten Staaten von Amerika auszuwandern.

Hammah, im Frühjahr 2010             Rudolf Kinzinger

Ut mien Kinnertiet

Aus meiner Kinderzeit

Dat weer för uns Bötel vun Jungs een moi feine Tiet, as Anfang vun de achteinhunnertsösstiger Johren de groten sworen Frachtwagens dörch uns Dörp kemen, de mit Gewehren und Munitschon laden weern un vun Bremerhaben na Amerika scheept warrn schullen, wo een blödigen Krieg1 twüschen de Noord- un Süüdstaaten vun Noordamerika utbroken weer, üm de Swatten ut de Sklaveree, de in de Süüdstaaten noch herrschte, te befreen. Disse groten grau-blau anstreken Wagens kemen ut de Richtung Stade op de nee Schossee, de eerst achteinhunnertsösstig vun Aterndörp bet an de Hamborger Grenz ferdig worrn weer. Wi Jungs hungen uns achtern an de Wagens un föhren denn bet GLAMEYERs Möhl2 mit, wo wi jem gode Reis över dat grote Water wünschen deen, wo all so veel Jungs ut unsen Oort mit Seilscheep or ok mit de neen Dampers henföhrt weern un dor – na de hübschen Portrees, de se röber schickt harrn – bannig rieke Lüüd worrn weern. Unse Naversch harr dree Söhns röber schickt, un de Biller vun jem wiesen jem mit grote dicke gollen Käden un dicke golle Ringen. Also müssen se doch bannig riek wesen.

Das war für uns Knirpse eine wunderbare Zeit, als anfangs der achtzehnhundertsechziger Jahre die großen und schweren Frachtwagen durch unser Dorf kamen, die mit Gewehren und Munition beladen waren und von Bremerhaven nach Amerika verschifft werden sollten, wo ein blutiger Krieg zwischen den Nord- und Südstaaten von Nordamerika ausgebrochen war, um die Schwarzen aus der Sklaverei, die in den Südstaaten noch herrschte, zu befreien. Diese großen, graublau angestrichenen Wagen kamen aus Richtung Stade auf der neuen Chaussee, die erst 1860 von Otterndorf bis an die Hamburger Grenze fertig geworden war. Wir Jungen hingen uns hinten an die Wagen und fuhren dann bis GLAMEYERs Mühle mit, wo wir ihnen gute Reise über das große Wasser wünschten, wo schon so viele Jungen aus unserem Ort mit Segelschiffen oder auch mit den neuen Dampfern hingefahren waren. Unsere Nachbarin hatte drei Söhne rübergeschickt, und die Bilder von ihnen zeigten sie mit großen dicken goldenen Ketten und dicken goldenen Ringen. Also mussten sie doch tüchtig reich sein.

So gegen achteinhunnertfiefunsösstig, as de Krieg dor to Enn weer, fung denn ok een grote Utwannerung na Amerika an un man kunn woll behaupten, dat ut jedet Huus in Land Hadeln een Kind na dröben fahr, um sien Glück dor to maken, un as rieken Minsch trüch to kamen. Wi lütten Bötels drömen un snaken ok all veel vun’t golle Land an de annere Siet vun den Ozean.

So gegen 1865, als der Krieg dort zu Ende war, fing dann auch eine große Auswanderung nach Amerika an, und man kann wohl behaupten, dass aus jedem Haus im Land Hadeln ein Kind nach drüben fuhr, um sein Glück dort zu machen und als reicher Mensch zurückzukommen. Wir kleinen Knirpse träumten und sprachen auch viel von dem goldenen Land auf der anderen Seite des Ozeans.

Eenunsösstig keem ik in de School bi KLINDWORT3, de över hunnert Kinner to ünnerrichten harr, um uns Lütten dat lütte un dat grote ABC bitobringen. Twee Johr bi em, denn güng’t een Johr na GRABE4 sien School, de denn de Kinner na de Kanterschool schick. Bi GRABE schullen wi denn besünners Scheunschrieven lehrn; ok flott Lesen weer de Bedingung üm in de Kanterschool to kamen. GRABE harr meist jümmer hunnerttwintig Kinner to ünnerrichten un kreeg daför dreehunnert Mark in’t Johr un he läber daför ok noch den Schoolruum in sien eegen Huus. He muss sik ja goot stahn, anners harr he dat ja doch neech uthalen kunnt.

1861 kam ich dann in die Schule zu KLINDWORT, der über hundert Kinder zu unterrichten hatte, um uns Kleinen das kleine und das große ABC beizubringen. Nach zwei Jahren bei ihm ging es ein Jahr in GRABEs Schule, der dann die Kinder in die Kantorschule schickte. Bei GRABE sollten wir besonders Schönschreiben lernen, und auch flott lesen war die Bedingung um in die Kantorschule zu kommen. GRABE hatte meistens 120 Kinder zu unterrichten und bekam dafür 300 Mark im Jahr, und er lieferte dafür noch den Schulraum in seinem eigenen Haus. Er musste sich ja gut stehen dabei, sonst hätte er das ja auch nicht aushalten können.

Sien Froo weer een Putzmakersch mit een Laden för allerlei Artikel för de Froonslüüd. Se weer wiet un siet bekannt un maak een grotes Geschäff. GRABE weer een groben Minsch, he hau mächtig op de Kinner rüm mit de scharpe Kant vun sien Lineal, dat he jümmer bi sik harr un womit he de Linnen in de Schriefböker vun de Kinner trock. Smöken much he too gern, de lange Piep leet he selten mal utgahn. Abers wenn de Paster af un an keem to inspizeern, denn stell he ehr krall op sien Deel. Snamiddags seet he veel bi HELMBOLD gegenöver vun sien Huus un drunk sien Grog. He heet im Allgemeenen blots Klaas Jakob.

Seine Frau war eine Putzmacherin mit einem Laden für allerlei Artikel für die Frauen. Sie war weit und breit bekannt und machte ein großes Geschäft. GRABE war ein grober Mensch, er haute tüchtig die Kinder mit der scharfen Kante von seinem Lineal, das er immer bei sich hatte und womit er die Linien in den Schreibbüchern der Kinder zog. Rauchen mochte er zu gern, die lange Pfeife ließ er selten mal ausgehen. Aber wenn der Pastor ab und zu zum Inspizieren kam, dann stellte er sie schnell auf seine Diele. Nachmittags saß er viel bei HELMBOLD gegenüber von seinem Haus und trank seinen Grog. Er hieß allgemein bloß Klaas Jakob.

KLINDWORT harr ok man son lüttes Gehalt, weer abers unverheirat’t. He heel vun fief bet söss nahmiddags noch Abendschool af, wo de Kinner etwas för to betahlen harrn. In’n Winter müssen se abers Lichter mitbringen. He geef Ünnerich in Scheunschrieven un Räken. Sien Vörlagen för’t Scheunschrieven harr he sülvs schreven un weern as wenn se lithographeert weern – so scheun. He hett später de Dochter vun Kanter MEYN heirat’t5. Sien Gehalt worr eerst höger as wi preussch worrn weern.

KLINDWORT hatte auch bloß ein kleines Gehalt, war aber unverheiratet. Er hielt von fünf bis sechs Uhr nachmittags noch Abendschule ab, wofür die Kinder etwas zu bezahlen hatten. Im Winter mussten sie aber Kerzen mitbringen. Es gab Unterricht im Schönschreiben und Rechnen. Seine Vorlagen für das Schönschreiben hatte er selbst geschrieben, und sie waren wie lithographiert – so schön. Er hat später die Tochter von Kantor MEYN geheiratet. Sein Gehalt wurde erst höher als wir preußisch geworden waren.

In achteinhunnerttweeunsösstig harrn wi Kinner - nee, wi Kinner neech alleen – eerst recht all de Inwahners vun unser Dörp – watt segg ik Dörp? – nee, vun uns Flecken, denn wi harrn in’n Ort achhunnert un mit dat Landgebiet an achteinhunnert Inwahners, een groten Dag: de König vun Hannober „Georg de Föfte“ mak een Ründreis dörch Land Hadeln un Land Kehden. Nu kunn he doch mal na uns kamen, de Schossee weer doch endlich herstellt. De Landlüüd harrn sik to Peer set’t un reeden em bet Aterndörp entgegen; an de Spitz weer Fernand HARTUNG, een staatschen Keel, wi fass all de Hadler Buhrn, de in’n Hochland wahnen deen. Wat weern dat all för stramme Gestalten, de BULLEs, de CROHNs, de von SEHTs, de DÖSCHERs, de PIEPERs, de GEERDTs, de STENNERs, de GLAMEYERs, de PECKSENs un anners.

1862 hatten wir Kinder – nein, wir Kinder nicht allein – erst recht alle Einwohner von unserem Dorf – was sag ich „Dorf“ – nein, von unserem Flecken, denn wir hatten im Ort 800 und mit dem Landgebiet ungefähr 1800 Einwohner, einen großen Tag: der König von Hannover Georg V. machte eine Rundreise durch das Land Hadeln und das Land Kehdingen. Nun konnte er doch mal zu uns kommen, denn die Chaussee war doch endlich hergestellt. Die Landleute hatten sich aufs Pferd gesetzt und ritten ihm bis Otterndorf entgegen. An der Spitze war Ferdinand HARTUNG, ein stattlicher Kerl, wie fast alle Hadeler Bauern, die im Hochland wohnten. Was waren das alles für stramme Gestalten – die BULLEs, die CROHNs, die von SEHTs, die DÖSCHERs, die PIEPERs, die GEERDTs, die STENDERs, die GLAMEYERs, die PECKSENs und andere.

De König keem teemlich verspät’t an, he harr sik to lang in Kambarch bi den Grafen BREMER6 opholln. Abers as he op den Martplatz in’n apen Kalesch mit sien Begleiter utsteeg, do weern de Börgers, de sünst man so ruhig weern, neech to holn, se reepen jümmer „Hurra“ und begleiten em darmit in dat Huus vun den Supperndenten.

Der König kam ziemlich verspätet an, er hatte sich zu lange in Cadenberge bei dem Grafen BREMER aufgehalten. Aber als er auf dem Marktplatz aus der offenen Kalesche mit seinen Begleitern ausstieg, da waren die Bürger, die sonst man so ruhig waren, nicht zu halten. Sie riefen immerzu „Hurra“ und begleiteten ihn damit ins Haus des Superintendenten.

Dat de Schult mit de Landschäpen7 neech fehl, un in vullen Wix mit’n Spint de deepsten Verbeugungen vör Seiner Majestät makten, ist woll süvstverständlich. Weern de Buhrn doch op jehrn Art de tröösten Unnertanen. Majestät weer abers jo blind un seeg, Gott si Dank, nix vun disse Krichereen.

Dass der Schultheiß mit den Landschöffen nicht fehlte und sie in vollem Wichs die tiefen Verbeugungen vor Seiner Majestät machten, ist wohl selbstverständlich – waren die Bauern doch auf ihre Art die treuesten Untertanen. Majestät war aber ja blind und sah Gott sei Dank nichts von diesen Kriechereien.

Dat de Oort ok fein utschmückt weer, bruk ik nech to vertelln. Op den Martplatz weer een ganz grote Ehrenpoort henplant worden, un jeder, de een Flach harr, harr se utsteeken. Ok Vadder harr de geel un witte Flach ut’t Uhlenlock op den böbersten Böhn rutsteeken.

Dass der Ort auch fein geschmückt war, brauche ich wohl nicht zu sagen. Auf dem Marktplatz war eine große Ehrenpforte aufgebaut worden, und jeder, der eine Flagge hatte, hatte sie herausgehängt. Auch Vater hatte die gelb und weiße Flagge aus dem Eulenloch auf dem obersten Boden gesteckt.

De Supperndent föhr den hogen Herrn ok in unse – wegen ehre Scheunheit an ole Gemälden un dat geschnitzte Altarblatt – so berühmte ole Kark8, un de König stiff dorobben dat vundag noch op den Altar stahende sülberne Kruzifix.

Der Superintendent fuhr den hohen Herrn in unsere – wegen ihrer Schönheit an alten Gemälden und des geschnitzten Altarblattes – so berühmte alte Kirche, und der König stiftete daraufhin das heute noch auf dem Altar stehende silberne Kruzifix.

De Buhrn harrn sik dat nu ok neech nehmen laten un de Knechen un Deerns för den Nahmiddag free geben. Abends weer denn ok bi Aarndt SPRICK un bi KRÖMER groot Lennlüchen, as se dat heeten.

Die Bauern hatten sich das nun auch nicht nehmen lassen und den Knechten und Mägden für den Nachmittag freigegeben. Abends war dann auch bei Arndt SPRICK und bei KRÖMER große Zusammenkunft, wie sie das nannten.

Dor worr danzt un sungen na de olen Melodien: „Aal, gröne Aal, Madamm, kumn se hendahl, de Köksch de sitt in’t Kellerlock un flickt ehr’n Krinolinenrock.“ oder „Fritz, Fritz, kumm mien Jung un danz mit mi de Polka rum! Nee, nee, kumm mien Deern, ik will di wat anners lehrn.“ oder ok „Ach, ich bin so müde, ach, ich bin so matt, möchte lieber schlafen gehen, morgens wieder früh aufstehn!“. De Muskanten kennen jehrn Kunnen all un führten jem dörch all de bekannten Döntjes, dormit de Weert ok sien Geschäff dorbi maken kunn. Kööm um Beer – de twee Groot kössen – weer dat am meisten begehrte Gedränk.

Da wurde getanzt und gesungen nach den alten Melodien „Aale, gröne Aal, Madamm kumn se hendahl, de Köksch de sitt in’t Kellerlock un flickt ehr’n Krinolinenrock“ (Aal, grüner Aal, Madame, kommen Sie runter, die Köchin sitzt im Kellerloch und flickt ihren Krinolinenrock) oder „Fritz, Fritz, kumm mien Jung un danz mit mi de Polka rum! Nee, nee, kumm mien Deern, ik will di wat anners lehrn.“ (Fritz, Fritz, komm mein Junge und tanz mit mir die Polka! Nein, nein, komm mein Mädchen, ich will Dich was anderes lehren.) oder auch „Ach, ich bin so müde, ach, ich bin so matt, möchte lieber schlafen gehen, morgens wieder früh aufstehen!“. Die Musikanten kannten alle ihre Kunden und führten sie durch all die bekannten Sprüche, damit der Wirt auch sein Geschäft dabei machen konnte. Korn und Bier – die zwei Groschen kosteten - waren das am meisten begehrte Getränk.

So worr de ganze Nacht bet an den hellichten Dag fiert. Een olen Knech abers harr neech na Huus finnen kunnt, dat weer Klaas DESTEN, he harr sik een bannigen Brand köfft und torkel noch den annern Middag dörch de Straaten. Wi Jungs leepen achter em her un reepen: „Haarbüdel Kanonendick, keen Penn in de Fick“. Klaas bleef denn stahn so goot as’t güng un säh: „De Hals is dorbi borgen!“.

So wurde die ganze Nacht bis zum hellen Tag gefeiert. Ein alter Knecht aber hatte nicht nach Hause finden können, das war Klaas DESTEN. Er hatte sich „einen tüchtigen Brand gekauft“ und torkelte noch am anderen Mittag durch die Straßen. Wir Jungen liefen hinter ihm her und riefen: „Haarbüdel Kanonendick, keen Penn in de Fick“. Klaas blieb dann stehen, so gut es ging, und sagte: „Der Hals ist dabei heilgeblieben!“.

Mien Vadder weer natürlich ok dorbi un führ mi an ton „Hurraropen“. Ik schull ok een Schillen hemmen, üm mi een Rundstück to köpen. Dat weer för uns Kinner een Delikatess, wi kreegen jo blots Swattbrot to eeten, dat Mudder sülvst backt harr. Af un an ok Fienbrot, half Weeten- un half fien utsiebt Rongmehl. Towielen back Mudder ok een Stuten in’n Grapen un blots to de hogen Festdag geef dat Krintenstuten.

Mein Vater war natürlich auch dabei und leitete mich an beim Hurrarufen. Ich sollte auch einen Schilling bekommen, um mir ein Rundstück zu kaufen. Das war für uns Kinder eine Delikatesse, wir kriegten ja bloß Schwarzbrot zu essen, das unsere Mutter selbst gebacken hatte. Ab und zu auch Feinbrot, halb Weizen- und halb feingesiebtes Roggenmehl. Manchmal buk Mutter auch einen Stuten, und bloß zu den hohen Feiertagen gab es Korinthenstuten.

Abb. 2: Johann Hinrich MEYER, (* 13.03.1818, † 14.02.1864) Schneidermeister, Vater von Friedrich Hermann MEYER

Mien Vadder weer een goden Handwerker, harr grote Kunnschaff ünner de Buhrns, wowoll as bi de Knechen un heelt een Geselln un een Lehrjung. He harr abers Unglück in de Familje, veer Kinner weern mien Öllern in dree Weken an Scharlach storben in achteinhunnertdreeunföfftig. Dat Johr dorob keem ik tor Welt, to kemen noch twee Deerns, een Jung un teletz achteinhunnertdreeunsösstig een Deern. Wi weern also nu mit fief Kinner.

Mein Vater war ein guter Handwerker, hatte viel Kundschaft unter den Bauern und auch bei den Knechten und hatte einen Gesellen und einen Lehrling. Er hatte aber Unglück in der Familie – vier Kinder waren meinen Eltern in drei Wochen an Scharlach gestorben, das war 1853. Das Jahr darauf kam ich zur Welt, dann kamen noch zwei Mädchen, ein Junge und zuletzt 1863 noch ein Mädchen. Wir waren also nun fünf Kinder.

An den achteinsten Oktober in’t annere Johr9 weer vör föftig Johr de Slach bi Leipzig un ditt Jubileum worr in ganz Düütschland fiert. Worüm ok neech in unsen nüdlichen Oort an de Elw? Uns Vadder mit Mudder in’n Arm harr den Abend ok een Vergnögungsreis makt. An’n annern Morgen weer he so krank, dat he neech opstahn kunn. He is ok neech weller beeter worrn un is Midde Februar dat nächste Johr inslopen. Nu seet Mudder mit de fief Kinner alleen dor. Vadder harr ehr allerdings een scheunet Lager vun Laaken un Düffelstoffen, englisch Leller, Fiefkamm10 un Bockskin achterlaaten, abers wokeen schull dat Tüch ferdig maken. Se sett dat Geschäff abers fort, nehm een düchtigen Tosnieder un hett so ehrn Kinner ut de School brocht.

Im nächsten Jahr am 18.Oktober war vor fünfzig Jahren die Schlacht bei Leipzig, und dies Jubiläum wurde in ganz Deutschland gefeiert. Warum also nicht auch in unserem niedlichen Dorf an der Elbe? Unser Vater – mit Mutter im Arm – hatte an dem Abend auch eine Vergnügungsreise gemacht. Am anderen Morgen war er so krank, dass er nicht aufstehen konnte. Er ist auch nicht wieder gesund geworden und ist Mitte Februar im nächsten Jahr eingeschlafen. Nun saß Mutter mit den fünf Kindern allein da. Vater hatte ihr allerdings ein schönes Vorratslager von Laken und Duffelstoffen, englischem Leder, „Fünfkamm“ und Wildleder hinterlassen. Doch wer sollte das Zeug nun fertigmachen? Sie setzte das Geschäft aber fort, nahm einen tüchtigen Zuschneider und hat so ihre Kinder durch die Schule gebracht.

Abb. 3: Gissel Elisabeth MEYER, geb. KÖSTER, (* 29.01.1822, † 17.06.1895) mit ihren fünf Kindern (links: Friedrich Hermann MEYER) um 1865

Veerunsösstig brock de Krieg mit Dänemark ut. Sleswig un Holsteen, dit karndüütsche Land wull free vun de dänschen Herrscher. Preussen nöhm Partei mit de Holsteener, reep abers Österik to Hölp, weil he neech noog Sheep harr, den Dänen entgegen to treden.

1864 brach der Krieg mit Dänemark aus. Schleswig und Holstein, dies kerndeutsche Land wollte frei von den dänischen Herrschern sein. Preußen nahm Partei für die Holsteiner, rief aber Österreich zu Hilfe, weil sie nicht genug Schiffe hatten um den Dänen entgegenzutreten.

Abb. 4: Seeschlacht vor Helgoland 1864 (Fregatten „Schwarzenberg“, „Radetzky“, „Niels Juel“ and „Jylland“, Korvette „Hejmdal“, im Hintergrund preußische Kanonenboote. - nach einem historischen Kupferstich)