Impressum

Alle Rechte am Werk liegen beim Autor

J., Jaliah

El Destino 5 – Das Schicksal und die Spuren des Lebens

Berlin, April 2015

Erstauflage

Lektorat: Günter Bast, Sirin, Paula

Cover/Bildgestaltung: Klaud Design – Marie Wölk

Herstellung und Verlag:

Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 978-3-7386-7049-3

www.jaliahj.de

Dieses Buch ist für alle, die angefangen haben, mit Celina und Fernando mitzuleiden. Die erlebt haben, wie José für Janine gelernt hat, Gefühle zuzulassen. Für diejenigen, die mit Elisa ihren schweren Weg zusammen gegangen sind und die gespürt haben, wie sich das Schicksal allen Plänen von Gabriel in den Weg gestellt hat.

Nun könnt ihr die Geschichte von Nathan erleben und ein weiteres Mal stellt sich die Frage …

… Glaubst du an das Schicksal?

10 Jahre zuvor

»Na los, rein mit dir!« Nathan gibt sich alle Mühe, die schwere Sporttasche ins Haus zu schleifen. Er hat darauf bestanden, auch etwas aus dem Auto ins Haus tragen zu dürfen. Sein Onkel hat ihm dann die graue Tasche gegeben. Sie muss die Leichteste sein, doch Nathan hat schwer mit dem Gewicht zu kämpfen. Er weiß nicht, was sich in der Tasche befindet, doch es fühlt sich an, als wäre sie mit Zement gefüllt.

Sein Vater trägt sogar zwei Taschen und sein Onkel eine, die doppelt so groß ist wie seine. Nathan macht kurz Pause und sieht, mit welcher Leichtigkeit die Männer die Taschen ins Haus bringen. Er kann es nicht abwarten, auch endlich älter und stärker zu sein.

Die Männer gehen ins Haus. Motheka blickt sich zu ihm um und zwinkert ihm zu. Nathan weiß natürlich, dass Motheka nicht sein richtiger Onkel ist, doch er ist immer mit seinem Vater zusammen und all seine Brüder nennen ihn ebenfalls Onkel. Also tut es Nathan ihnen gleich. Er hat bereits gelernt, dass er nicht zu allen Dingen Fragen stellen sollte und manchmal würde er die Antwort auch gar nicht wissen wollen.

»Wieso ist Nathan nicht in der Schule? Du hast versprochen, wenigstens ihn nicht ständig aus der Schule zu nehmen.« Nathan lässt die schwere Sporttasche im Flur, als er diesen endlich erreicht hat und geht direkt in die Küche, in der seine Mutter am Herd steht. Am Esstisch sitzt seine Schwester Elisa über Schulaufgaben. Sie sieht nur kurz auf, als ihr Vater ihr einen Kuss auf den Scheitel gibt.

»Hör auf, ihn aus allem herauszuhalten. Ich weiß, dass er der Jüngste ist, er ist aber kein Baby mehr!« Nathan würde seinen Vater nicht als streng bezeichnen, aber wenn er wie gerade eben antwortet, weiß jeder, dass damit alles gesagt ist. Man sollte dazu dann nichts mehr sagen, und somit sieht seine Mutter nur traurig zu Nathan, dann lächelt sie jedoch.

»Sieh ihn an, Motheka. Jedes Mal, wenn ich ihn anblicke, sehe ich Fernando. Wäre Fernando nicht älter, würde man denken, sie sind Zwillinge.« Motheka lächelt mild. »Das stimmt, sie beide haben die meiste Ähnlichkeit, aber man sieht ihnen allen an, dass sie Geschwister sind.«

Seine Mutter blickt Nathan in die Augen. Sie wirkt oft traurig und erschöpft. Wenn man sie aber fragt, ob alles in Ordnung ist, lächelt sie immer. Auch jetzt atmet sie tief aus, dann lächelt sie. »Setz dich, mein Engel, es gibt Essen.« Genau in dem Moment, wo sie alle Platz nehmen, kommen Arturo und Nando in die Küche.

Sie sind seine ältesten Brüder. Nathan ist gerade dreizehn geworden, Arturo ist schon einundzwanzig, Nando ist achtzehn. Dann kommt Elisa, die gerade siebzehn geworden ist und gleich danach der sechzehnjährige Gabriel. José ist fünfzehn und dann kommt er. Nathan hasst es, der Jüngste zu sein.

Arturo gibt ihrer Mutter einen Kuss, während sich Nando verwundert umsieht. »Wo ist Alonzo? Ich dachte, er wäre mit dir unterwegs?« Elisa blickt von ihrem Schulzeug auf und räuspert sich. »Nein, wieso sollte er? Ich weiß nicht, wo er ist. Er ist dein bester Freund!« Elisa ist das einzige Mädchen und zickt täglich herum. Nathan ist froh, nur eine Schwester zu haben. Elisa ist mehr, als fünf Brüder bewältigen können.

Nando reißt sich etwas von Nathans Brot ab und zieht ihrer Schwester am Zopf. »Es war nur eine Frage, sei nicht immer so empfindlich!« Ihr Vater sieht zwischen seinen Söhnen hin und her. »Habt ihr euch um die Lieferung gekümmert?« Arturo nimmt sich etwas zu trinken, sie haben sicherlich schon gegessen. »Ja, wir fahren jetzt aber noch einmal los, um uns dieses neue Lager anzusehen, was Samo aufgetrieben hat.« Sein Vater nickt.

»Nehmt Gabriel und José mit!« Nando rückt sein Shirt zurecht. Nathan weiß, dass sein Bruder darunter eine Waffe trägt. Alle seine Brüder tragen bereits Waffen bei sich. Er durfte nur einmal eine benutzen, und dafür musste er Arturo stundenlang überreden. Nathan schiebt seinen Teller weg. Er hat keinen Hunger mehr. »Die beiden sind, glaube ich, verabredet.«

Ihr Vater sieht von seinem Teller auf und blickt streng zu Arturo. »Das ist egal, holt sie ab. Die Familia geht vor, merkt euch das!« Nando und Arturo nicken. Als Nathan seiner Mutter den Teller gibt, streicht sie ihm zärtlich über den Kopf. »Bevor ich es vergesse, Alyssias Tante war hier. Sie ist wohl nach der Schule nicht nach Hause gekommen und sie dachte, du wüsstest, wo sie ist. Ich hatte ja keine Ahnung, dass du gar nicht in der Schule warst.« Ihr vorwurfsvoller Blick geht zu ihrem Vater, der sich allerdings wieder seinem Essen und Motheka widmet.

»Ich gucke später nach ihr.« Bevor sie etwas dazu sagen kann, eilt er seinen Brüdern nach, die bereits hinausgegangen sind. Sie wollen gerade in das neue Auto steigen, das Nando erst vor ein paar Tagen von ihrem Vater bekommen hat, als Nathan sie einholt. »Ich möchte auch mitkommen.« Nando stockt einen Moment und Arturo lacht leise. »Mini-Nando kann es nicht erwarten, oder?«

Nathan weiß selbst, dass Nando und er sich sehr ähnlich sehen, doch er hasst es, so genannt zu werden. Nando steht vor ihm und sieht ihm in die Augen. »Wir hatten das Thema erst gestern.« Nathan versucht sich unauffällig etwas größer zu machen und blickt Nando unerschrocken in die Augen. »Das ist mir egal, ich bin so weit!«

Arturo lächelt mild und steigt ein, während Nando ihn streng ansieht. »Nathan, geh spielen. Such Alyssia und hab deinen Spaß. Keiner von uns konnte lange ein Kind sein, spielen und all das. Du sollst noch, so lange es geht, ohne die Last der Familia auf deinen Schultern leben. Deine Zeit wird noch früh genug kommen.« Mit diesen Worten steigt er ein und seine Brüder fahren davon.

Wütend blickt er ihnen nach und kickt eine Cola-Dose hinter ihnen her. Er hasst es, der Jüngste zu sein. Seine Brüder werden ihn niemals mitmachen lassen, sie werden ihn immer als kleines Kind sehen. Er läuft enttäuscht die Straße hinunter, in der sie leben. Nach und nach sind alle aus seiner Familie hergezogen und die Männer mit ihren Familien, die mit seinem Vater zusammenarbeiten. Es gibt mittlerweile immer weniger Häuser hier in ihrem Gebiet, die von anderen Familien bewohnt werden. Zu einem dieser wenigen Häuser, die nicht zu den Los Natos gehören, geht er jetzt.

Alyssias Tante kommt aus dem Haus, auf ihrem Arm Amanda, die vor zwei Tagen ein Jahr geworden ist. »Nathan, weißt du, wo Alyssia steckt? Sie hat nach der Schule den Rucksack auf die Terrasse geschmissen und ist seitdem weg.« Nathan lacht, als Amanda freudig ihre Hände nach ihm ausstreckt. Sie hat die gleichen hellbraunen Locken wie ihre ältere Schwester und die selben hellbraunen Augen.

Alyssias Mutter ist hier aufgewachsen, ihr Vater kommt aus Kanada. Er hat in San Sebastian eine Firma gegründet und ist sehr erfolgreich, deswegen leben sie hier in ihrer Gegend. Außerdem ist er sehr gut mit Nathans Vater befreundet. Aber er ist ein sehr heller Mann, und deswegen sind seine Töchter auch heller als die meisten Leute hier. Nathan weiß, dass Alyssia es hasst, aus der Menge herauszustechen.

Trotzdem sieht man Alyssia und Amanda an, dass sie aus Puerto Rico stammen. Im Gesicht kommen sie ganz nach ihrer Mutter, die Nathan auch sehr gut kannte, nur dass sie eben heller sind. Sie haben auch das Lachen ihrer Mutter. Allerdings hat Nathan das bei Alyssia nicht mehr gehört, seitdem ihre Mutter, zwei Monate nach Amandas Geburt, an einer Lungenentzündung gestorben ist.

»Ich kann mir schon denken, wo sie ist. Ich schicke sie nach Hause.« Die Schwester der verstorbenen Mutter lächelt. »Du wirst ihr sicherlich fehlen in Kanada, aber ihr könnt euch schreiben.« Nathan sieht auf die Umzugskartons und in seinem Magen rumort es.

Ohne darauf zu antworten, läuft er zurück, den Berg wieder hoch, sowie an seinem Haus vorbei. Zwei Häuser weiter kommen gerade zwei Cousins von ihm aus dem Haus seiner Tante und fragen, ob er mit Fußball spielen kommt. Nathan ruft ihnen zu, dass er gleich nachkommen werde und beeilt sich, an das Versteck zu kommen, was nur Alyssia und er benutzen.

Er muss einen kleinen Weg durch den Wald gehen, der ihr Gebiet beendet. Danach geht der Berg, auf dem sie hier leben, wieder steil nach unten. Von ihren geheimen Platz können sie den Berg hinunter auf Tausende lila Blüten sehen, die hier wachsen. Alyssia liebt diesen Anblick. Nathan hat sie nach dem Tod ihrer Mutter auch nachts oft von dort holen müssen, wenn ihr Vater besorgt bei ihnen geklingelt hat.

Jeder weiß, dass Nathan Alyssia immer finden wird, doch sie alle respektieren, dass er niemals jemandem von ihrem Versteck erzählen wird. Kein anderer darf hierher. Nathan bleibt kurz stehen, als er auf Alyssias Rücken sieht. Sie trägt ihre Haare offen, was wiederum bedeutet, dass sie Ärger hatte. Sie trägt sonst immer einen Zopf. Immer. So haben sie sich angefreundet. Nathan war in ihrer Nachbarklasse. Sie waren gerade neu eingeschult worden, und zwei Jungs aus seiner Klasse haben Alyssia an den Haaren gezogen und ihr Haarband herausgezogen.

Vielleicht liegt es daran, dass sie hellere Haare als die meisten Mädchen hier hat, dass die Jungs sie schon immer genau damit aufgezogen und sie so geärgert haben. Vielleicht liegt es auch daran, dass mittlerweile fast jeder weiß, wie sehr sie es hasst, wenn man ihren Zopf anfasst.

Weil sie nah bei Nathan wohnt und ihre Väter befreundet sind, hat er sich dazu verpflichtet gefühlt, einzugreifen, und irgendwie hat sich das nie geändert. Seitdem sind sie fast täglich zusammen, aber sie spielen nicht zusammen.

Alyssia spielt mit ihren Freundinnen und Nathan mit seinen Freunden, den Cousins oder seinen Brüdern, doch Alyssia und er sind trotzdem jeden Tag zusammen. Entweder kommt er zu ihr oder umgekehrt, aber früher oder später landen sie immer an diesem Platz hier.

Seine Brüder haben sie schon vollkommen in ihrer Familie akzeptiert. Einmal hat José sie beschützt, als Nathan krank war und nicht auf Alyssia aufpassen konnte.

»Deine Tante sucht dich!« Alyssia dreht sich nicht um. »Mir egal!« Nathan lässt sich neben ihr nieder und sieht auf den Kranz aus lila Blumen, den sie sich flechtet. Sie macht das ständig. Alyssia trägt heute einen weißen Rock, der überall schwarze Flecken hat. Ihr Knie blutet. »Wer war es?« Alyssia blickt von ihrer Arbeit auf und sieht ihn wütend an.

Wenn die Sonne sie so anstrahlt wie jetzt, wirken ihre hellbraunen Augen grün. Nathan hat ihr das oft gesagt, doch sie ist dann jedes Mal sauer mit ihm. Sie hasst alles, was sie von den anderen unterscheidet. Sie wird ständig damit geärgert, keine richtige Puertoricanerin zu sein.

»Du warst nicht da. Du weißt, dass wenn du nicht da bist, die Jungs sich plötzlich alles trauen. Sie haben gesagt, dass ich nur so frech bin, wenn du in der Schule bist und du mich nur beschützt, weil ich dich dafür küssen würde.« Alyssia sieht ihn empört an. »Wer genau war das?« Sie kümmert sich wieder um ihren Kranz. »Ist doch egal, ich bin die eh bald alle los.« Nathan wird sauer. »Bist du jetzt plötzlich doch froh, von hier wegzukommen?«

Seit einem Monat wissen sie, dass Alyssia in ein paar Tagen mit ihrem Vater und Amanda nach Kanada ziehen wird. Der Vater hat seine Firma hier verkauft und möchte dort noch einmal ganz von vorn beginnen. Als Alyssia das erfahren hat, hat sie eine Woche mit niemandem geredet, auch nicht mit Nathan. Sie wollte nicht nach ihrer Mutter auch noch ihre Heimat und Nathan verlieren. So hat sie es bisher zumindest immer gesagt, deswegen versteht er nicht, warum sie jetzt doch froh ist hier wegzukommen.

»Hier werde ich immer geärgert werden, und du kannst mich nicht immer beschützen.« Nathan sieht auf die Blumen. »Doch, werde ich aber!« Alyssia lächelt, doch richtig gelacht hat sie seit dem Tod ihrer Mutter nicht mehr. Nathan weiß das so genau, weil er ihr Lachen immer sehr gemocht hat. »Nein, das geht nicht. Außerdem hat deine Mutter auch nicht erlaubt, dass ich bei euch wohnen darf. Sie hat gesagt, dass mein Vater mich braucht, also muss ich doch mitgehen. Oder hast du noch eine andere Idee?«

Hoffnungsvoll blickt sie Nathan an. Sie haben sich schon so oft über das Thema den Kopf zerbrochen. Nathan will auch, dass Alyssia hier bleibt, sie gehört hierher. Doch egal was für Ideen sie hatten, es hat nie geklappt. Nathan fragt seine Brüder selten um Hilfe, doch es war ihm sogar wert, zu Arturo zu gehen und ihn darum zu bitten, mit ihrer Mutter zu reden, doch auch das hat nicht geklappt.

Alyssia wartet erst gar nicht auf eine Antwort. »Siehst du, ich kann eh nichts dagegen tun.« Sie setzt sich den lila Blumenkranz auf die Haare. Nathan findet es schöner, wenn sie die Haare offen hat, doch Alyssia mag es überhaupt nicht. Als sie ihren Arm hebt, sieht er einen dicken blauen Fleck. »Jetzt sag schon, wer das war.«

Alyssia steht ebenfalls auf. »Wer schon? Marti der Idiot, wer sollte es sonst gewesen sein?« Nathan wendet sich ab und geht zurück in ihr Gebiet. Marti ist eine Klasse über ihm. Er ist so alt wie José, jedoch ist er gleich zweimal sitzengeblieben. Nathan ist schon sehr oft mit ihm aneinandergeraten, da er, im Gegensatz zu allen anderen, nicht akzeptieren will, dass man sich mit einem Nato nicht anlegt.

Marti wohnt nicht in ihrem Gebiet, doch er ist fast jeden Nachmittag zwischen zwei Häusern auf der großen Wiese, die nicht bebaut ist und die ihnen als Fußballplatz dient.

Als Nathan jetzt dorthin geht, findet er ihn dort auch mit einigen seiner Cousins. Es sind aber auch einige von Martis Freunden da, doch all das interessiert Nathan nicht. Er geht direkt auf ihn zu. Ohne ein Wort zu sagen schlägt Nathan zu. Er redet nie viel, seine Mutter denkt, das ist nicht normal. Alyssia hat ihm erklärt, es sei ihr egal, er könne auch schweigen, sie rede für sie beide.

Marti hat es erwartet. Er weiß, was passiert, wenn er Alyssia zu nahe kommt. Jeder weiß das, doch Marti liebt es, Nathan zu provozieren. Genauso stark wie er ihn getroffen hat, schlägt Marti im nächsten Augenblick zurück. Nathans Kopf vibriert, Marti hat genau sein Auge getroffen, doch das stachelt seine Wut nur noch mehr an. Keine Sekunde später liegen beide am Boden. Nathan hat die Oberhand und schlägt auf Marti ein. Er hört die Stimme von Alyssia und spürt, wie jemand an ihm zieht, doch er kann noch einige gute Schläge austeilen, bevor er ganz von Marti gezogen wird.

»Mini-Nando in Aktion!« Es ist Alonzo, Nandos bester Freund, der ihn und Marti jetzt auseinanderhält. Er ist noch nicht fertig mit Marti, doch da Alonzo ihn fest im Griff hat, hebt er drohend den Finger. »Verschwinde von hier und nimm deine Freunde gleich mit!« Nathan ringt nach Luft, er hat etwas einstecken müssen, doch Marti sieht schlimmer aus. »Das ist nicht euer Gebiet, jeder …« Nathan will wieder auf Marti los, doch Alonzo hält ihn immer noch zurück. »Das ist das Gebiet meiner Familia. Und wenn du nicht sofort von hier verschwindest, wirst du spüren, was das bedeutet.«

Alonzo hält ihn zurück, sieht aber ernst zu Marti und seinen Freunden und nickt. »Verschwindet!« Wenigstens ist Marti so schlau, auf Alonzo zu hören und verzieht sich. Zurück bleiben nur die Cousins und alle anderen, die zu den Natos gehören. Alonzo sieht sich Nathans Auge an und blickt ihm dann in die Augen. »Du machst deinem Namen als Mini-Nando alle Ehre, aber ich habe so ein beschissenes Gefühl in mir, was mir sagt, dass du in spätestens zwei Jahren kaum mehr zu kontrollieren sein wirst und Nando eingeholt hast.«

Er lacht und schlägt mit Nathan ein. Als Nathan lacht, spürt er den Schmerz im Gesicht. Erst als er erkennt, wie Alyssia ihn besorgt von der Seite mustert, fällt ihm ein, dass er sie zu ihrer Tante bringen soll und deutet ihr an, mit ihn zu kommen.

Nathan ist klar, dass seine Brüder davon erfahren werden, besonders Arturo hat ihn schon verwarnt, die Schlägereien sein zu lassen. Doch Nathan kann nichts dagegen tun, er hat seine Wut oft kaum im Griff, besonders wenn es um etwas geht, was ihm wichtig ist.

Da er selbst so in Gedanken war, hat er gar nicht bemerkt, dass Alyssia die ganze Zeit schweigend neben ihm hergelaufen ist, während er sie nach Hause bringt. Erst jetzt, kurz vor ihrem Haus, bleibt sie stehen und sieht ihn an. »Eigentlich, wenn ich darüber nachdenke, weiß ich, dass du mich immer beschützen wirst.« Nathan reibt sich sein schmerzendes Auge, sagt aber nichts. »Was sagst du eigentlich dazu, wegen dem, was Marti und die anderen behaupten, mit dem Kuss?«

Nathan stockt und sieht Alyssia an. »Was meinst du? Was soll ich dazu sagen? Du hast mich noch nie geküsst, das weißt du doch.« Alyssia beißt sich auf die Unterlippe und spielt an ihren Haaren herum. Nathan kennt sie in- und auswendig, das tut sie immer, wenn ihr etwas unangenehm ist oder sie etwas plant. Mittlerweile sind sie in einer Klasse und jedes Mal, wenn die Lehrerin sie aufruft, tut sie das. »Würdest du mich denn einmal küssen wollen? Also nur so, um auszuprobieren, wie es ist?«

Plötzlich brennt Nathans Auge nicht mehr, er sieht wieder ganz klar, dafür rumort sein Magen und er traut seinen Ohren nicht. »Ich weiß nicht, willst du denn?« Nathan hat noch nie ein Mädchen geküsst. Aus ihrer Klasse ist fast jedes Mädchen in ihn verliebt, doch da er so oft mit Alyssia herumhängt, ist er keiner anderen nah gekommen. Allerdings hat er bei seinen Brüdern schon öfter gesehen, wie es geht, wie man ein Mädchen küsst.

Einmal hat Gabriel ein Mädchen mit nach Hause gebracht, heimlich. Nathan hat sich versteckt und beobachtet, was er alles mit ihr angestellt hat, bis José ihn erwischt und ihm die Ohren lang gezogen hat. Aber Nathan hat genug gesehen. Er weiß, wie man das macht … hofft er zumindest.

»Also ich denke, wir sollten es probieren, nur so … um zu gucken, wie es ist. Aber es bleibt unter uns, keiner erfährt davon!« Sie braucht das nicht zu erwähnen. Sie teilen einige Geheimnisse, die sonst kein anderer weiß. »Okay, von mir aus.« Nathans Herz schlägt schneller, doch er will sich das nicht anmerken lassen. Er tritt näher zu Alyssia und sieht in ihr Gesicht.

Er kennt es in- und auswendig. Er kennt die kleine Lachfalte, die sich auf ihrer rechten Wange bildet, ihren kleinen Leberfleck rechts unter ihrer Unterlippe, doch als er ihr dieses Mal in ihre hellbraunen Augen sieht und die grünen Funken darin entdeckt, fühlt es sich trotzdem anders an.

Nathan denkt daran, was er bei seinen Brüdern gesehen hat. Er legt seine linke Hand an ihre Hüfte und fasst mit der rechten Hand vorsichtig an ihre Wange. Er hört Alyssia schneller atmen, je näher er mit seinen Lippen an ihre kommt, auch sein Herz schlägt immer schneller.

Eigentlich will er die Augen offen halten, sehen, wie sie reagiert, doch in dem Moment, wo sich ihre Lippen treffen, schließt er automatisch seine Augen. Das Kribbeln, das sich in seinem Bauch bildet, fühlt sich gut an.

Nathans Hand an ihrer Wange greift automatisch fester zu, als er das erste Mal ihren Geschmack auf seinen Lippen spürt. Er entfernt sich wieder ein kleines Stück, öffnet die Augen und sieht, wie ihre Unterlippe zittert. Das Gefühl war so unbeschreiblich, dass er sie gleich noch einmal küsst, kurz, doch noch nie hat er etwas so Aufregendes gefühlt. »Das war schön.« Nun öffnet auch sie wieder die Augen und lächelt.

»Ja, es war ganz in Ordnung.« Nathan räuspert sich, um nicht zu zeigen, wie ihn das gerade umgehauen hat. Alyssia lächelt und rennt in Richtung ihres Hauses. Nathan blickt ihr nach. Kurz bevor sie an der Haustür angekommen ist, dreht sie sich noch einmal um und lächelt erneut. »Nathan, ich weiß jetzt ganz genau, dass du immer auf mich aufpassen wirst!« Alyssia wendet sich zu ihrem Haus und rennt hinein. Er muss nun ebenfalls lächeln. Natürlich wird er das, sie wird immer seine Alyssia bleiben.

Er kommt erst drei Stunden später nach Hause. Er war noch viel zu aufgedreht und hat erst mit seinen Cousins und seinem besten Freund Tajo alle Gefühle beim Fußball aus sich herausgelassen. Dann sind sie bei Tajo in den Pool gegangen. Als er dann bei Beginn der Dämmerung zu ihrem Haus kommt, sieht er schon Nando auf der Veranda stehen und ihm entgegenblicken.

Da sich sein Gesichtsausdruck nicht verändert, als er ihn und sein Auge sieht, weiß Nathan, dass er bereits informiert ist. Nathan will am liebsten schnell ins Haus und unter die Dusche, doch Nando hält ihm eine kalte Dose Cola entgegen und deutet ihm an, sich die aufs Auge zu halten. »Ich habe gehört, dass du dich heute wieder geprügelt hast. Das ist bereits das zweite Mal in dieser Woche, und es ist erst Donnerstag!«

Nathan antwortet nicht und Nando blickt ihn ernst an. »Ich habe das Gefühl, du machst das, um uns zu zeigen, dass du jetzt schon bereit bist, bei den Geschäften mitzumachen. Warum verstehst du nicht, dass wir alle möchten, dass du noch so lange wie nur möglich deinen Spaß hast? Du wirst schon früh genug lernen, was es heißt, die Familia zu leiten. Bis dahin genieße noch alles, hab deinen Spaß mit deinen Freunden, mit Alyssia und lass dich nicht ständig provozieren.«

Nando stockt und fasst Nathan an sein Auge. »Arturo hat mir gesagt, ich soll dich dafür bestrafen. Da du nach mir kommst und das nicht nur äußerlich, soll ich mich um dich kümmern. Doch ich werde dich nicht bestrafen! Ich weiß, dass du noch eine Menge zu lernen hast und vertraue darauf, dass du langsam damit anfängst!«

Nathan sieht Nando verwundert an. Er hat schon eine Menge Ärger bekommen, von allen, auch von Nando. Umso verwunderter ist er, als Nando ihn plötzlich in den Arm nimmt und seine Haare verwuschelt.

»Versuch nicht so schnell erwachsen zu werden. Vertrau mir, du wirst noch schnell genug lernen, wie grausam das Leben sein kann!«

Als Nathan dort vor zehn Jahren mit Nando auf der Veranda ihres Hauses stand, ahnte er nicht, wie wahr die Worte seines älteren Bruders waren. Ein paar Tage später ist Alyssia weggegangen, und er hat nie wieder etwas von ihr gehört. In dem selben Jahr an Weihnachten haben sie alle ihre Eltern verloren.

Das Schicksal hat Nathan schnell und deutlich gezeigt, wie grausam es sein kann.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

»All deine Brüder sind heiß, aber du bist wirklich der Hübscheste von allen!« Nathan lacht, als die Frau auf seinem Schoß sich lasziv zu bewegen beginnt. Es ist nicht das erste Mal, dass er das hört. Jeder seiner Brüder war beliebt bei den Frauen, sie sind es immer noch, doch sind sie alle mittlerweile in festen Händen. Je älter er jedoch wurde, desto öfter hat er mitbekommen, dass er von all seinen Brüdern die besten Karten bei Frauen hat. Mag sein, dass er Nando sehr ähnlich ist, doch hierbei ist er ihm eine Nasenlänge voraus.

»Bist du eigent lich auf der Suche nach etwas Festem?« Na than nimmt die Hand, die er gerade unter ihr enges Shirt fahren lassen wollte, reflexartig weg. »Nein! Kein Bedarf, da sollte sich niemand falsche Hoffnungen machen.« Die Frau nickt, trotzdem sieht Nathan die Enttäuschung in ihren Augen.

Er hatte sich auf eine kleine Abwechslung gefreut, nachdem er fast drei Tage durchgearbeitet hat. Tajo, Milo und er haben einen großen Deal sicher gemacht, sie haben viel gearbeitet und wollten das jetzt feiern. Nathan will sich amüsieren, ist dabei aber offenbar an die falsche Frau geraten.

Die Frau auf seinem Schoß, die ihm vor zwei Stun den als Marina vorgestellt wurde, merkt, dass er das Interesse verliert und lächelt. »Umso besser, ich möchte im Moment auch nur meinen Spaß haben. Keine Zeit für eine feste Beziehung.« Nathan glaubt ihr nicht. Tajo neben ihm hat mehr Glück, die Frau, die er auf seinem Schoß hat, ist kaum mehr zurückzuhalten. »Willst du noch etwas trinken?« Marina nickt und setzt sich jetzt neben ihn. Nathan bestellt etwas.

Das B.B. ist heute ungewöhnlich leer. Auch wenn es mitten in der Woche ist, ist es normalerweise voller. Milo kommt von der Toilette zurück und setzt sich zu ihnen. »Das war doch heute mal ein echtes Schätzchen, oder? Mit so einer Frau hat man bestimmt mal eine lustige Abwechslung.« Nathan schüttelt sich und lacht. »Vergiss es, das ist keine Frau für mich.« Das Geschäft, das sie heute abgeschlossen haben, haben sie mit einer Frau vereinbart. Eine Frau, die eine Familia führt, eine Frau, die härter ist, als so mancher Mann, den er kennt. Milo lehnt sich zurück. »Hat bestimmt etwas, so für eine Nacht.«

Die Frau neben Nathan legt ihre Hand nun unmi ssverständlich auf seine Mitte. »Er braucht so etwas nicht, heute gehört er ganz mir!« Milo will etwas sagen, doch Marina ist schneller. »Wollen wir tanzen gehen?« Nathan zieht die Augenbrauen hoch, vielleicht wird das doch noch eine gute Nacht. Er nimmt ihre Hand und sie stehen auf. »Von mir aus.«

Da das B.B. nicht voll ist, sind auch nur weni ge auf der Tanzfläche. Nathan kann sich gut bewegen und Marina ebenfalls. Sie kommen sich immer näher. Als sie beginnt, ihr Hinterteil an seiner Mitte aufreizend zur Musik zu bewegen, beugt sich Nathan zu ihrem Ohr. »Lass uns von hier verschwinden.« Marina lacht leise. Ihre Hand fährt an die Stelle, wo gerade noch ihr Hintern war und sie dreht sich zu ihm um, lässt dabei aber nicht los.

Nathan küsst sie, kurz, dafür aber sehr for dernd. Er mag es nicht, Frauen zu küssen, die er nur ein paar Stunden um sich herum hat, doch Marina scheint es wert zu sein, also verselbstständigt sich jetzt seine Hand. Es ist praktisch, dass sie nur einen kurzen Rock anhat, und es dauert keine zwei Sekunden, da atmet sie schneller. »Okay, lass uns verschwinden!«

Sie kommen nicht weit. Nathan hätte sie mit nach Ha use nehmen können, doch beide haben kein Interesse daran, noch länger zu warten. Deswegen schiebt Nathan die vorderen Sitze seines Autos weg und verschafft ihnen hinten mehr Platz. So schwer sie am Anfang zusammengefunden haben, so schnell wissen sie beide jetzt ganz genau, was sie wollen. Nur als Nathan ein Kondom herauszieht, sieht Marina beleidigt darauf, doch für Nathan gibt es da keine Diskussionen.

Er will sich nichts einfangen, weder eine Krankheit, noch das plötzlich eine der vielen Eroberungen der letzten Zeit irgendwann mit einem Kind bei ihm auftaucht. Er liebt seine Nichten und Neffen, doch er selbst will von all dem noch lange nichts wissen.

Es dauert auch nicht lange und Marina hat das wieder vergessen. Nathan lehnt sich zurück, als sie ihn tief in sich aufnimmt und sich auf ihm bewegt. Er liebt es, seine Hände fahren ihre perfekten Brüste entlang. Natürlich sind die zu hart, um echt zu sein, doch ihn stört das nicht.

Sie bewegt sich schneller und entlockt Nathan ein ungeduldiges Stöhnen. Sobald sie das erhalten hat, lacht sie leise und wird wieder langsamer. Dieses Spiel macht sie genau dreimal, bis Nathan keine Geduld mehr hat. Blitzschnell liegt sie unten und er übernimmt die Führung. Dieses Mal lacht er, als sie stöhnt und nach mehr bittet, aber auch sie muss warten, bis er sie endlich beide erlöst.

»Wollen wir noch einmal zurück? Ich habe jetzt großen Hunger.« Nathan zieht sich wieder richtig an, auch Marina bedeckt sich. Eigentlich will Nathan langsam nach Hause und endlich etwas Schlaf bekommen, doch er muss eh noch auf Tajo und Milo warten. Bevor er allerdings antworten kann, sieht er, wie zwei sehr auffällige Geländewagen vorfahren. Normalerweise gehören solche auffälligen Autos hier in der Gegend immer zu ihnen, doch er kennt die Wagen nicht, und an den Autoschildern erkennt er sofort, dass sie nicht von hier sind. Sie halten vor dem Spielcasino, das erst vor ein paar Wochen neben dem B.B. eröffnet wurde.

Er selbst war noch nicht darin, weiß aber, dass es ein Paradies für Süchtige aller Art ist. Ein Bauchgefühl sagt ihm, dass er warten soll, wer da aus dem Auto steigt. Als die Frau die Autotür öffnen will, deutet Nathan ihr zu warten. Keine zwei Sekunden später steigen sechs Männer aus den beiden Autos. Keiner von ihnen ist von hier, doch als er zwei der Männer erkennt, traut er seinen Augen nicht.

Es sind die Drogendealer Javier und Diego, die sie vor nicht einmal einem Jahr aus San Sebastian ausgewiesen haben. Nathan weiß noch, was das für einen Ärger gab, vor allem, weil Javier mit der besten Freundin von Janine zusammen war. Sie haben ihre gesamte Scheinfirma abgefackelt, nachdem sie herausbekommen haben, dass die beiden ihre Drogen in den Kopfkissen der schlafenden Kinder im Kinderheim aufbewahrt haben.

Javier blickt sich oft um. Er weiß, wie gefährlich es für ihn ist, hier zu sein und Nathan weiß, dass er dieses Risiko nicht aus Spaß eingehen wird. »Diese kleinen Wichser!« Nathan flucht und zieht seine Waffe, was die Frau neben ihm aufkeuchen lässt. Er hatte sie total vergessen. Jetzt steigt er schnell aus und hilft ihr aus dem Wagen. »Geh rein und warte dort!« Er deutet ihr an, ins B.B. zu gehen, doch sie blickt auf die sechs Männer, die jetzt die Spielhalle betreten und sie noch nicht entdeckt haben.

»Willst du dich mit denen anlegen? Das …« Nathan ist schon auf dem Weg zur Spielhalle. Kaum hat er die Tür geöffnet, erklingen die Geräusche von Unmengen an Automaten in seinen Ohren, alles glänzt und leuchtet um ihn herum. Viele Männer sitzen an den Geräten, fast immer stehen halbnackte Frauen daneben. Das wird hier also auch angeboten.

Er muss sich umsehen, und es dauert einen Augenblick, bis er die sechs Männer entdeckt hat, die zum hinteren Bereich der Spielhalle unterwegs sind. Nathan beeilt sich. Als er sie gerade eingeholt hat, bemerkt ihn einer der hinteren Männer. »Was ….?« Er kommt nicht dazu, mehr zu sagen. Nathan hat sich direkt Diego geschnappt und ihn mit seiner Waffe so hart auf den Kopf geschlagen, dass Diego auf die Knie geht und sich den Kopf hält, während Nathan mit der Waffe auf Javier zielt.

»Was genau an den Worten 'verschwindet und kommt nicht wieder' hattet ihr nicht verstanden? Seit ihr immer noch so dumm zu glauben, ihr könntet uns verarschen?« Javier hebt sofort seine Hände, die anderen Männer sehen nur verwirrt hin und her. Erst jetzt sieht Nathan, dass es keine Puertoricaner sind, die mit Javier und Diego hier sind, sie sehen aus wie Russen. Als einer der Männer Javier fragt, was hier los ist, hört man das auch.

»Wir haben nichts vor, wir sind nur hier, um unsere Freunde einem alten Kumpel von uns vorzustellen. Aber ihr habt unser Wort, dass wir nicht vorhaben ...« Nathan bekommt einen so heftigen Schlag in die Seite, dass er seine Waffe verliert und zu Boden geht, doch nur für eine Sekunde. In der nächsten Sekunde wird er hochgenommen und mit voller Wucht auf einen Glastisch geschleudert. Dieser zerbricht sofort und die Leute, die daran gesessen haben, laufen schreiend davon. Nathan stöhnt schmerzvoll auf. Er spürt etwas Warmes an seinem Arm und an seinen Rippen. Als er sich bewegen will, merkt er, dass noch Glas in ihm steckt. Doch er blendet all das aus und sieht wütend zu dem Russen, der sich wie ein Gorilla vor ihm aufbaut.

Normalerweise mischen sich die Leute nicht ein, wenn sie etwas klären. Er hat vergessen, dass diese Leute wahrscheinlich nicht einmal wissen, zu wem er gehört oder wer die Los Natos sind. Der Mann denkt sich wohl, Nathan wäre jetzt erst einmal ausgeschaltet, denn er rechnet nicht damit, dass dieser sich schnell aufrappelt und ihm einen heftigen Schlag verpasst, sodass dieses Mal er wankt. Da Nathan sein Rücken und alles andere wehtut, muss er aufpassen, dass der Mann nicht auf ihn fällt und registriert den anderen Mann nicht, der ihm nun ebenso einen Schlag ins Gesicht gibt.

Viele andere wären jetzt wirklich k. o., doch bei Nathan bewirkt das nur das Gegenteil. Er wird immer wütender. Ohne auf seine Schmerzen zu achten und an die Folgen zu denken, wenn er sich mit sechs Männern gleichzeitig anlegt, stürzt er sich auf den Mann, der sich seine Nase hält. Sein Schlag hatte wohl Nachwirkungen.

Er prallt so heftig an den Mann, dass sie zusammen hinfallen. Nathan behält jedoch die Oberhand und kann einige gute Treffer landen, bevor er kühles Metall an seinem Kopf spürt. »Runter von ihm!« Eine kalte Stimme mit russischem Akzent denkt, er könnte ihm Anweisungen geben. Nathan grinst und tätschelt noch einmal die Wange des Mannes, der jetzt erschöpft und blutend am Boden liegen bleibt.

»Nimm die Waffe runter, oder es kehren sechs Särge nach Russland zurück!« Nathan sieht, wie Tajo und Milo mit gezogenen Waffen auf sie zukommen, hinter ihnen Marina, die erschrocken zu ihm guckt. Sie sind genau rechtzeitig gekommen, wahrscheinlich hat Marina ihnen Bescheid gesagt. Nathan hebt sein Shirt und zieht eine große Glasscherbe aus einer Wunde an seinen Rippen. Da er noch so unter Adrenalin ist, spürt er die Schmerzen kaum. »Fahr ins Krankenhaus, wir kümmern uns hier um alles!« Milo tritt zu ihm, während Tajo die Männer in Schach hält, doch Nathan denkt nicht daran.

Er hebt seine Waffe auf, geht zu Javier und schießt bewusst knapp an seinem Kopf vorbei. Javier wird blass. »Sag mir jetzt sofort, was ihr hier wollt und was ihr vorhabt.« Javier schweigt noch immer, auch Diego sieht zu Boden. Nathan schüttelt den Kopf. Er sieht keine Taschen bei den Männern, also nimmt er Javier wieder mit nach draußen, alle anderen folgen ihnen.

Er befiehlt, die Autos zu öffnen und ist nicht verwundert, dort mehrere Taschen mit Heroin zu finden. »Ihr hattet nichts vor?« Nathan wirft alle Drogenpäckchen auf einen Haufen. »Ich würde mir überlegen, was ihr da tut, unser Chef wird …« Nathan stellt sich vor den Mann. »Dein Chef interessiert mich nicht. Du bist hier auf dem Gebiet der Los Natos. ALLE Geschäfte, die hier laufen, werden von uns abgesegnet. Wenn ihr das nicht vorhabt, nehmt den nächsten Flieger zurück und verschwindet für immer.«

Der Mann atmet tief ein, langsam wirkt er nicht mehr ganz so selbstsicher. »Mein Chef Gregori kennt Arturo …« Nathan lässt den Mann nicht ausreden, nimmt sein Telefon und wählt die Nummer seines ältesten Bruders, der verschlafen rangeht. Da erst sieht Nathan, dass es bereits vier Uhr nachts ist. »Weißt du von einer Heroinlieferung von einem Gregori, der zusammen mit Javier und Diego Geschäfte macht?«

Nathan hört Olivia im Hintergrund fragen, ob etwas passiert sei, bevor Arturo antwortet. »Nein, ich weiß nichts davon. Was ist los, Nathan, wo …?« Nathan legt auf. Er hat den Russen nicht eine Sekunde aus den Augen gelassen, nimmt sein Feuerzeug und zündet den Haufen mit Drogen an. Alle sehen schockiert zu den mehreren tausend Dollar, die hier verbrennen. Nathan steckt zufrieden seine Waffe ein, auch Milo und Tajo interessiert der Verlust der anderen nicht.

Sie verfrachten die Russen zusammen mit Javier und Diego ins Auto und fahren ihnen hinterher, bis sie San Sebastian verlassen haben. Nathan sieht, dass die Russen aufgeregt telefonieren, doch ihm ist es egal. Es sind ihre Regeln, und jeder hat sich daran zu halten. Erst als sie sicher sind, dass die beiden Geländewagen weg sind, wenden sie und fahren in die Privatklinik zu Señor Lopez, dem Arzt, der sich schon immer um ihre Familie gekümmert hat.

Langsam beruhigt sich Nathan wieder. Als die Schwester sich seine Wunden ansieht und die Glassplitter aus seinen Wunden zu ziehen beginnt, ist er froh, dass sie ihm ein Schmerzmittel gegeben hat. Da erst spürt er, wie kaputt und müde er ist. Milo und Tajo bleiben bei ihm im Raum. Nathans Handy klingelt ununterbrochen. Es verwundert niemanden, als im selben Moment, in dem die Schwester die letzte Glasscherbe aus einer der vielen Wunden gezogen hat, die Tür aufgerissen wird und seine Brüder Arturo und Nando wütend ins Zimmer kommen.

Nathan stöhnt leise auf, als Nando zu ihm tritt und sich seine Wunden ansieht. »Wieso ist nur er verletzt?« Milo muss sich ein Grinsen verkneifen. »Weil er der Meinung war, sich mit sechs Männern allein anzulegen. Wir haben eher zufällig davon erfahren. Ich denke allerdings, dass er nicht wirklich unsere Hilfe gebraucht hat.« Arturo sieht streng zu Milo und dann zu Nathan. Auch wenn er gerade dreiundzwanzig geworden ist, zieht dieser Blick noch immer bei ihm.

»Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du aufhören musst, so unvorsichtig zu sein. Du gehst unnötige Risiken ein. Sollen wir dich jetzt jede Woche von hier abholen? Letzte Woche war es dein Bein, heute hast du gleich mehrere tiefe Wunden. Was ist nächste Woche dran?«

»Hoffen wir mal nichts! Nathan, dein Körper braucht auch mal eine Auszeit.« Der Arzt, der das Zimmer betritt, beendet die Strafpredigt seiner Brüder. Er sieht sich die Wunden an und verbindet sie. Nathan hat solange Ruhe, doch er weiß, dass das nicht anhalten wird.

Nachdem der Arzt fertig ist, gibt er ihm noch ein paar Schmerztabletten. Sie verlassen gerade das Behandlungszimmer, da ertönt plötzlich lautes Frauengeschrei vom Flur. Nathan stöhnt genervt auf, als er sieht, dass Marina vor dem Zimmer gewartet hat und jetzt gerade die Frau dazu gekommen ist, mit der er vor einigen Tagen ein paar schöne Stunden verbracht hat.

Beide Frauen schreien sich an, dass sie auf Nathan warten und die andere verschwinden soll. Nando bleibt neben Nathan stehen und schüttelt den Kopf. Erst als die beiden Frauen aufeinander losgehen, greift Nathan ein. »Was sucht ihr hier?« Die Frau, die er seit ein paar Tagen nicht mehr gesehen hat, erklärt, dass sie ihn gesucht und im B.B. erfahren hätte, was passiert sei. Daraufhin sei sie gleich hergekommen.

Nathan ist genervt und erklärt ihr energisch, dass er, nur weil er einmal mit ihr im Bett gelandet ist, keinen Ehevertrag eingegangen sei. Sauer schickt er beide Frauen nach Hause. Sein Kopf dröhnt, und er hat keinen Nerv für so etwas.

Arturo räuspert sich, sagt aber nichts, noch nicht. Nathan weiß, dass gewisse Sachen nur unter Ihnen, unter den Brüdern, geklärt werden, deswegen setzt er sich hinter Arturo auf die Rückbank. Nando steigt nach vorne, während Milo und Tajo mit Nathans Wagen hinter ihnen fahren.

»Wieso sagst du nicht Bescheid, wenn so etwas passiert? Wieso handelst du einfach, ohne abzuwarten? Gregori hat mich angerufen und war stinksauer!« Nathan, der gerade seinen Kopf nach hinten gelegt hat, sieht nun nach vorn. »Das ist mir egal, soll er platzen! Denkt er im Ernst, er kann hier seine Geschäfte hinter unseren Rücken aufbauen? Im Gegensatz zu euch sorge ich dafür, dass sich die Leute an unsere Regeln halten!«

Nathan trifft seine Brüder bewusst damit, dass sie alle momentan viel mit ihren Familien zu tun haben und nicht mehr ganz so viel Zeit für die Familia haben, während sich Nathan um die allermeisten Sachen kümmert. »Das habe ich ihm auch gesagt, aber du hättest trotzdem abwarten sollen, was ich dir dazu sage. Gregori ist nicht irgendjemand und wenn du so unüberlegt handelst, bringst du damit alle in Gefahr.«