Roy Rockwood

Bomba auf düsterer Fährte

Band 6

 

 

 

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Etwas aus Bombas Leben

Wer Bomba bei seinen Abenteuern im Dschungel begleitet, wird sicherlich mehr von diesem interessanten Jungen erfahren wollen. Am besten stellen wir Bomba deshalb vor, ehe seine neuen Erlebnisse beginnen.

Bomba ist vierzehn bis fünfzehn Jahre alt. Soweit er sich zurückerinnern kann, hat er im südamerikanischen Dschungel des Amazonas-Gebietes gelebt. Sein einziger Gefährte und Beschützer war ein alter Naturforscher, Cody Casson, der sich in ein weit abgelegenes Gebiet des Amazonas-Dschungels zurückgezogen hatte, um ganz seinen Forschungen zu leben.

Als Bomba in das Alter kam, in dem er mehr von seiner Vergangenheit und Herkunft zu erfahren wünschte, zog sich Cody Casson bei der Explosion seines Gewehres eine Kopfverletzung zu, durch die seine Gedächtniskraft geschwächt und später fast zerstört wurde. Von diesem Zeitpunkt an lastete die Verantwortung für den Lebensunterhalt auf Bomba.

In einem Alter, in dem andere Jungens ruhig und behütet bei ihren Eltern aufwachsen und die Schulbank drücken, musste sich Bomba mit den Gefahren und Härten des Dschungellebens vertraut machen. Seine strengen Lehrmeister waren die Erfahrung und die Not. Bald lernte Bomba die Weisheiten und die Gesetze des Dschungels kennen, die es immer zu beherzigen galt. Er lernte die vielen Kampftricks, die Technik von Verteidigung und Angriff bei der Begegnung mit Raubtieren und Schlangen.

Seine schulmäßige und geistige Erziehung ließ natürlich zu wünschen übrig, da Cody Casson nicht mehr in der Lage war, den einst begonnenen Unterricht fortzusetzen. Wie ein junger Indianer wuchs Bomba im Urwald heran. Auch äußerlich unterschied er sich wenig von den Eingeborenen. Seine Haut war dunkel gebräunt. Er trug einen Eingeborenenschurz und das Fell eines erlegten Pumas. Seine Waffen waren Pfeil und Bogen, die Machete und — als kostbarster Besitz — ein fünfschüssiger Revolver. Die Schusswaffe hatte er von zwei Weißen geschenkt bekommen, denen er bei einem nächtlichen Angriff von Jaguaren das Leben gerettet hatte.

Äußerlich glich Bomba also in vielen Dingen einem Indianer, und doch unterschied er sich in wesentlichen Anzeichen von den Eingeborenen. Er hatte eine gerade Nase und kastanienbraunes, gewelltes Haar. Die hellbraunen Augen leuchteten freundlich und oft mit einem Schimmer von Melancholie, denn die Einsamkeit machte Bomba zu schaffen. Je älter er wurde, desto mehr drängte sich ihm die Erkenntnis auf, dass er kein eingeborener Dschungelbewohner war. Sein Wunsch, etwas über seine Herkunft zu erfahren, wurde immer stärker.

Das einzige, was als Erinnerung an die Vergangenheit hin und wieder in Cassons Gedächtnis auftauchte, waren die Namen „Bartow“ und „Laura“. Aber der alte Naturforscher vermochte nie mit Bestimmtheit zu sagen, ob das die Namen vom Bombas Eltern waren.

Im ersten Band — Bomba der Dschungelboy — wird erzählt, wie Bomba zwei weißen Gummisuchern das Leben rettete, wie er mit Raubtieren des Dschungels kämpfte, wie die Wohnhütte von Kopfjägern belagert wurde und wie ihm schließlich seine Freunde unter den Urwaldtieren zu Hilfe eilten und ihn befreiten. In einem Augenblick der Klarsicht erfuhr Bomba von seinem alten Gefährten, dass er weitere Kunde über seine Herkunft von Jojasta, dem Medizinmann des „Laufenden Berges“, erhalten könnte.

Im zweiten Band — Bomba im Berg der Feuerhöhlen — machte sich Bomba auf die weite und gefahrvolle Reise zum „Laufenden Berg“. Unterwegs rettete er eine weiße Familie vor den Kopfjägern und schloss Freundschaft mit dem gleichaltrigen Frank Parkhurst. Als Bomba schließlich nach Überwindung schlimmer Gefahren den „Laufenden Berg“ erreicht hatte, erfuhr er vom sterbenden Jojasta nur, dass Sobrinini, die Hexe von der Schlangeninsel, ihm nähere Auskunft über seine Eltern geben könnte.

Nur stückweise vermochte also Bomba das Geheimnis seiner Herkunft zu lüften. Im dritten Band — Bomba am Großen Katarakt — fanden wir dann Bomba auf dem Wege zur Schlangeninsel. Unterwegs geriet er in die Fänge der barbarischen und grausamen Kopfjäger, deren Häuptling Nascanora seit jeher sein persönlicher Feind und Widersacher war. Auch Casson und seine alte Pflegerin Pipina waren entführt worden. Bomba gelang die Befreiung, und er suchte Sorbinini auf der Schlangeninsel auf — doch wieder erhielt er eine ungenügende Auskunft. In einem aufregenden Erlebnis erfuhr Bomba von Sobrinini, dass nur Japazy, der Herrscher auf der Jaguar-Insel, ihm mehr über seine Herkunft berichten könnte.

Im vierten Band — Bomba auf der ]aguar-lnsel — erlebten wir mit Bomba den Wirbel von Gefahren und Abenteuern bei der beschwerlichen Suche nach Japazy. Eine schreckliche Naturkatastrophe bereitete dem Abenteuer ein vorzeitiges Ende.

Noch einmal finden wir Bomba im fünften Band — Bomba in der versunkenen Stadt — auf der Fährte des schrecklichen und geheimnisumwitterten Japazy. Wir begleiten ihn bei der Suche nach der Stadt mit den goldenen Türmen, deren sagenhafte Reichtümer auch Japazy angelockt haben. Bomba erreicht die Stadt, überwältigt seinen Widersacher und wird selbst von ihm später gefangen genommen. Glück und Mut befreien Bomba und seinen Gefährten aus einer ausweglos erscheinenden Lage. Auf der Flucht findet der entscheidende Kampf mit Japazy statt. Juwelen und Diamanten von großem Wert geraten in Bombas Besitz. Aber wichtiger für ihn ist ein kleines ledernes Tagebuch, in das Japazy seine Eintragungen gemacht hat.

Erfährt Bomba durch dieses Büchlein endlich etwas vom Schicksal seiner Eltern?

1 Das Ungeheuer aus dem Himmel

Eine Weile lang hatte sich Bomba, der Dschungelboy, seinen Weg ungestört durch den schweigenden Dschungel gebahnt, aber plötzlich hielt er inne und lauschte. Ein seltsames, unbekanntes Geräusch hatte sein Ohr berührt. Es war nicht zu vergleichen mit dem surrenden Schwirren von Vogelschwingen — nicht mit dem dumpfen Grunzen der Tapire — nicht mit dem vibrierenden Fauchen und Knurren der Raubkatzen oder mit dem heiseren Schreien der Affen. Die singenden, dröhnenden Laute schienen aus einer Welt zu kommen, die nichts mit dem Dschungel zu tun hatte. Sogar das polternde Grollen des Erdbebens oder der rollende Donner des Gewitters klangen anders. Bomba hatte schon an tobenden Vulkanen gestanden und wusste, dass sich auch dieses Brüllen der entfesselten Erdgewalten anders anhörte.

Was mochte es sein?

Es war nicht einfache Neugier, die Bomba so stark beschäftigte. Im Dschungel konnte es den Tod bedeuten, wenn man eine Warnung der Sinne missachtete. Der Junge beschattete das Gesicht mit den Händen und spähte durch die Baumkronen zum Himmel empor. Klar und azurblau schimmerte das Lichtgewölbe des Tropenhimmels durch die Baumwipfel. Keine Wolke verdunkelte die makellose Schönheit.

Das wäre noch die wahrscheinlichste Erklärung gewesen: ein fernes Gewittergrollen. Während Bomba zweifelnd die Stirn krauste, schwoll das Geräusch zu einem stetigen dumpfen Brummen an. Lauter und lauter wurde es, das Brummen ging in ein schmetterndes Brüllen über, und ein mächtiger Vogelkörper fegte mit einem Male über die Wipfel der Bäume dahin. So schnell wie der riesige Schatten aufgetaucht war, verschwand er wieder. Das Brüllen wurde leiser, und es dämpfte sich zu jenem tiefen, am Horizont verklingenden Summen, das zuvor Bombas Aufmerksamkeit erregt hatte.

Unwillkürlich holte der Dschungelboy tief Atem, griff nach der im Gürtel steckenden Machete und starrte dorthin empor, wo das rätselhafte Fabelwesen in der Lücke zwischen den Baumwipfeln für Sekundenbruchteile sichtbar gewesen war.

Es war ein fesselnder Anblick, den Jungen so in der angespannten Haltung eines zum Kampf bereiten Dschungelwesens dastehen zu sehen. Etwa fünfzehn Jahre mochte Bomba alt sein. Für sein Alter war er groß und kräftig. Sonne und Wetter hatten sein Gesicht so dunkel getönt wie die Haut eines Indianers. Trotzdem war an den klaren Linien des Antlitzes zu erkennen, dass er von Weißen abstammte. Er trug ein Lendentuch um die Hüften und ein Pumafell schräg um die Brust geschlungen. Im Übrigen war er unbekleidet bis auf einfache, handgearbeitete Sandalen. Braun waren die Augen, und braun wellten sich auch die Locken in seinem Nacken hinab. Statuenhaft und von vollendeter Schönheit war der Anblick des Jungen, der lauschend und kampfbereit dastand — mitten in der üppig wuchernden, geheimnisvoll zwielichtigen Welt des Dschungels. In seinen Zügen spiegelte sich keine Furcht, nur die erwartungsvolle Unruhe eines Menschen, dem schon Gefahren in vielerlei Gestalt begegnet sind.

Bomba wusste nicht, welche Gefahr ihm drohte. Auf ihn wirkte das seltsame, dumpfe Summen wie das angriffslustige Grollen eines mächtigen Ungeheuers. Vielleicht stieß das Fabelwesen im nächsten Augenblick auf ihn herab und wollte ihn verschlingen? Das war nicht ausgeschlossen. Die Dschungelerfahrung hatte Bomba gelehrt, dass die mächtigsten Tiere auch immer die grausamsten und unersättlichsten waren. Puma und Alligator, Anakonda und Jaguar: alle lebten sie davon, dass sie fremdes Leben vernichteten und sich damit nährten. Dies war eines der unerbittlichsten Gesetze des Dschungels.

Während Bomba mit Gefasstheit den kommenden Kampf erwartete, brachte sein Gefährte bei weitem nicht diese Ruhe und den unerschütterlichen Mut des Jungen auf. Es war ein Indianer, dem Bomba einmal das Leben gerettet hatte, und der ihm seither bei seinen abenteuerlichen Dschungelfahrten mit der Anhänglichkeit und. Treue eines Hundes folgte. Als die unheimliche Gestalt über den Himmel gefegt war, hatte sich Gibo, der Indianer, aufschreiend zu Boden geworfen. Er lag jetzt noch stöhnend da, den Kopf in das Gras pressend und seine Dschungelgötter mit bebender Stimme um Hilfe anflehend.

„Kein Leben ist mehr in uns, oh Herr“, rief er jetzt Bomba an. „Die große Schlange des Himmels hat uns schon in ihren Klauen. Sicherlich sind wir schon auf dem Wege zum Sammelplatz der Toten.“

Bomba lachte gepresst.

„Wie können wir tot sein, wenn wir noch sehr lebendig hier im Dschungel stehen. Das heißt, du stehst ja nicht“, verbesserte er sich ironisch, „du liegst da wie eine Maus, die ihr Schlupfloch nicht mehr gefunden hat und nun auf die scharfen Klauen der Eule wartet.“

„Es ist nicht die Zeit zum Scherzen, Herr“, murmelte Gibo, ohne sich zu erheben.

„Auf alle Fälle kenne ich bis jetzt keine Schlange, die am Himmel fliegt“, fuhr Bomba unbeirrbar fort. „Soviel ich weiß, kriecht sowohl die Boa Constrictor wie auch die Jaracara, und auch der Anakonda sind neuerdings bestimmt keine Flügel gewachsen.“

„Und es ist doch die Schlange der Geister“, beharrte Gibo seufzend. „Sie ringelt sich um den Thron der bösen Götter und verlässt ihn nur, um die Rache dieser Höllengötter zu vollstrecken. Die Alten meines Stammes haben schon davon berichtet. Nichts ist schlimmer, als diesem Untier in die Klauen zu geraten. Wehe uns!“

Bomba machte eine ungeduldige Bewegung.

„Wie kann ein erwachsener Mensch solche Dummheiten glauben. Nie habe ich von fliegenden Ungeheuern gehört.“

„Aber sie sind da“, beharrte Gibo eigensinnig. „Die Weisen meines Stammes waren keine unmündigen Kinder, und sie redeten keine Torheiten. Sie sagten, dass der Atem der Himmelsschlange wie das Schwirren einer ungeheuren Bogensehne klingt, und dass das hungrige Ungeheuer wie der mächtige Wasserfall brüllt. Alles das haben wir gehört. Es war Igmazil, die Schlange der Götter, die uns verfolgt.“

Bomba seufzte geduldig.

„Erhebe dich jetzt, du Zitterer, und nimm deinen Speer auf. Du wirst ihn vielleicht noch brauchen. Was es auch immer für ein Tier gewesen sein mag: bevor wir sterben, werden wir kämpfen.“

Beschämt richtet sich Gibo auf und ergriff seinen Speer.

„Bomba ist tapferer als ich. Er muss ein Herz aus Eisen haben. So oft ich dich kämpfen sah, Herr, war mein Herz mit Bewunderung erfüllt. Aber der Leib Igmazils ist unverletzlich. Wie willst du mit diesem Ungeheuer fertig werden?“

„Ich habe noch keinen Plan“, antwortete der Junge sorglos. „Du weißt, dass mich mein Pfeil und meine Machete selten im Stich lassen. Auf alle Fälle werde ich mich wehren und nicht meine Nase in das Gras stecken. Gib mir deinen Speer und dann gehe meinetwegen zu den alten Squaws deines Stammes und hilf ihnen, hübsche Muster in die Matten zu weben.“

Scham und Kummer kämpften im Gesicht des treuen Indianers einen sichtbaren Kampf. Schließlich trat ein Zug von ehrlicher Aufopferung in sein Antlitz. Er machte eine heftige Bewegung und nahm den Speer fester in die Hand.

„Niemals werde ich dich allein lassen, Herr. Verzeih mir, wenn ich schwach war. Aber dieses furchtbare Brüllen des Untiers über den Bäumen hat mich verwirrt. Ich werde mit dir kämpfen und mit dir sterben, wenn es sein muss. Denn noch nie hat jemand sein Leben behalten, der Igmazil erblickte.“

Gibo trat neben seinen jugendlichen Herrn, und beide suchten sie den Himmel über den Baumwipfeln nach einem verdächtigen Zeichen ab.

Aber es war nichts zu entdecken. Das Surren hatte aufgehört, und außer den nie schweigenden, vertrauten Dschungellauten erreichte kein Geräusch ihr Ohr. Obwohl sie mehrere Minuten lang lauschten, vernahmen sie nichts Verdächtiges mehr, und ihre Spannung ließ allmählich nach.

„Hoffentlich hat Igmazil ein anderes Opfer gefunden“, murmelte Gibo mit wiedererwachender Lebenskraft. „Es gibt viele schlechte Menschen, die die Gebote der Götter nicht befolgen. Soll sich die Schlange dort ihre Opfer suchen.“

„So ist es“, stimmte Bomba gleichgültig bei. Er hatte nicht auf die Worte seines Gefährten geachtet, und er hatte im Augenblick auch keine Lust, sich mit dem Aberglauben des Indianers zu beschäftigen.

„Ich wüsste auch nicht, warum Igmazil gerade uns suchen sollte“, meinte er. „Haben wir etwas Böses getan? Wenn wir töteten, dann nur um unser Leben zu verteidigen oder uns am Leben zu erhalten. Ich denke, wir werden jetzt weitereilen, denn bis zu Honduras Lager ist es noch weit. Drei Tagesreisen liegen schon hinter uns.“

Immer war es Bomba, der die Führung innehatte bei dem schnellen und gefährlichen Marsch durch die Tiefen des Dschungels. Obwohl er sich anscheinend sehr flink und sorglos bewegte, waren alle seine Sinne gespannt, und seine klaren, dunklen Augen sahen jedes verdächtige Zeichen, das auf eine Gefahr hindeuten mochte. Dicht auf den Fersen folgte Gibo dem Jungen. Der Indianer trug den Beutel mit Japazys Schätzen, und während sie schweigend dahingingen, musste Bomba noch oft an den Schrei denken, den Japazy ausgestoßen hatte, als er über die Felswand in den Abgrund gesprungen war. Bomba war dem wütenden Ansturm des Tyrannen ausgewichen, und der eigene Schwung hatte Japazy in den Tod geschleudert.

Wie viele Reichtümer enthielt der unscheinbare Beutel, den der Indianer trug? Bomba vermochte es nicht abzuschätzen. Er kannte nicht die Namen der verschiedenen Edelsteine. Er wusste nicht, dass Diamanten, Smaragde, Saphire, Rubine, Topase und andere Juwelen von hohem Wert in dem Lederbeutel steckten.

Wie kostbar diese Schätze auch immer sein mochten, Bomba bedeuteten sie nicht so viel wie das Lederbüchlein, das er in seiner Tasche am Gürtel trug. Er hatte schon oft hineingeschaut. Doch die Buchstaben waren seltsam verschnörkelt, und die Sprache erschien ihm fremd. Er wusste selbst nicht, weshalb er die Hoffnung nicht aufgab, gerade aus diesen geheimnisvollen Schriftzeichen etwas über seine Eltern und seine Herkunft zu erfahren.

Das Murmeln eines Baches erweckte Bombas Aufmerksamkeit. Wo Wasser war, gab es gewöhnlich auch jagdbares Wild. Vorsichtig pirschte er sich weiter und teilte die Farne auseinander, die die Aussicht auf das üppig bewachsene Ufer verdeckten.

Tatsächlich! Dort, nicht weiter als zehn Schritte von ihm entfernt, stand ein mittelgroßer Tapir am Bach. Die Strömung hatte eine kleine Mulde aus dem Ufer herausgewaschen, und der Tapir ließ dort seinen Rüssel in das Wasser hängen, ohne etwas zu wittern.

Schon lag der Pfeil auf der Sehne, er schnellte davon — und im nächsten Augenblick sank das wohlschmeckende Wild getroffen zur Seite. So schnell hatte sich die Pfeilspitze in das Herz des Tapirs gebohrt, dass das Tier ahnungslos und ohne Schmerzen gestorben war.

„Jagdglück! Großes Jagdglück, Herr!“, jubelte Gibo. „Nun können wir die Schildkröteneier liegen lassen und dafür saftiges, frisches Fleisch essen! Ayah, was für ein Glück für uns!“

Bomba zog vorsichtig den Pfeil aus dem Körper des toten Tieres, säuberte die Spitze an einem großen Blatt und steckte das Geschoß in den Köcher zurück.

„Sorge für Brennholz“, wies er den Gefährten an, „ich werde inzwischen den Tapir abhäuten.“

Der Indianer verschwand zwischen den Büschen, und Bomba machte sich an die Arbeit. Lange Übung und Erfahrung hatten ihm das Geschick eines alten Jägers verliehen. Es vergingen kaum fünfzehn Minuten, bis der Dschungelboy das Tier enthäutet und die besten Fleischstücke herausgeschnitten hatte.

Gibo kehrte mit einer Armladung Brennholz zurück.

Geschickt entfachte er mit seinem primitiven Feuerschüsselchen und dem Quirl einige Funken, und bald prasselte und loderte ein behagliches Lagerfeuer. Genießerisch sogen die beiden den Duft des Fleisches ein, das — auf Holzspieße gesteckt — über den Flammen brutzelte. In der letzten Zeit hatten sie kein frisches Fleisch gegessen. Die Erdbebenkatastrophe, die sie in der Stadt mit den goldenen Türmen überrascht hatte, war für die Tiere ebenso schrecklich gewesen wie für die Menschen. Das Wild war geflüchtet, und die beiden Wanderer hatten tagelang keine Fährte gesichtet.

An diesem Tage lag schon ein weiter Marsch hinter ihnen. Nach dem Essen streckten sie sich daher mit müdem Behagen im Grase aus und ruhten. Verstohlen zog Bomba das Büchlein hervor, blätterte die Seiten um und starrte auf die fremdartigen Schriftzeichen. Immer wieder konnte er das tun. Ein starker Zauber ging von dem geheimnisvollen Lederbuch aus. Japazy hatte es besessen, und Japazy war der Mann gewesen, der seine Eltern gekannt hatte. Wenn auch seine Zunge für immer verstummt war: sprachen nicht dafür diese Schriftzeichen?

Bomba hatte von seinem alten Lehrer und Gefährten Cody Casson das englische Alphabet gelernt, und er konnte sogar Texte in Druckbuchstaben in dieser Sprache lesen. Von Handschriften verstand er allerdings nichts, und er vermochte nicht einmal zu sagen, ob die Schriftzeichen in englischer Sprache abgefasst waren.

Cody Casson hätte ihm vielleicht Auskunft geben können. Der Alte pflegte früher, als sein Verstand sich noch nicht verwirrt hatte, selbst Eintragungen in ein Buch zu machen. Als Bomba einmal fragte, was er dort niederschreibe, hatte Casson geantwortet, er wollte seine Erinnerungen auf diese Weise festhalten. Vielleicht hatte Japazy das gleiche getan, und dann waren sicherlich wichtige Enthüllungen in dem Büchlein enthalten.

Ehrfurchtsvoll und scheu hielt Gibo den Blick auf seinen jungen Herrn gerichtet. Nun hatte er schon oft beobachtet, dass Bomba lange Zeit in das kleine Lederding starrte, und er vermochte seine Neugier nicht mehr zu zähmen.

„Was hältst du da in der Hand, Herr?“, fragte er schüchtern. „Diese krakeligen Striche sehen wie die Spuren eines Vogels im Sande aus. Sind das Zeichen, die die bösen Geister abwehren?“

Bomba schüttelte mit einem schwachen Lächeln den Kopf.

„Diese Striche und Punkte sind Zeichen, die reden können. Ich weiß nicht, wie ich dir das erklären soll. Jeder Strich hat seine Bedeutung, und es ist möglich, dass ich aus diesen Zeichen etwas erfahre ...“

Seine Erklärung wurde plötzlich durch ein Geräusch unterbrochen. Das Summen näherte sich aus der Ferne und schwoll langsam an. Beide sprangen auf die Beine. Bomba starrte durch das dichte Laubdach in die Richtung, aus der dieser seltsame Laut kam, und Gibo suchte Schutz am Stamm eines mächtigen Baumriesen. Lauter und lauter wurde das Summen. Es steigerte sich zu einem donnernden Brüllen und kam immer näher.

„Schütze dich, Herr! „schrie Gibo und warf sich zu Boden. „Bleib nicht dort stehen. Es ist die große Schlange Igmazil! Sie wird uns verschlingen! Schnell, Herr, wirf dich zu Boden!“

2 Geheimnis

Aufrecht stehend hielt Bomba den Blick nach oben gerichtet. Wenn auch eine Regung von Furcht in seinem Innern war, so ließ sein Stolz es doch nicht zu, etwas davon zu offenbaren. Das dumpfe Dröhnen war so fremdartig für ihn, dass sein Herz laut und erregt hämmerte.

Gegen vielerlei Gefahren hatte Bomba schon seinen Mann gestanden, aber noch nie war ihm etwas begegnet, das mit diesem Geschöpf über den Bäumen zu vergleichen gewesen wäre. Gewiß, Bomba hatte auch schon gegen eine Schar von Geiern gekämpft. Aber der eine flüchtige Blick zuvor hatte ihn davon überzeugt, dass dieses Wesen viel größer war als zwanzig Geier und sicherlich auch viel gefährlicher und wilder. Messer und Pfeil würden nutzlos sein gegen diesen übermächtigen Gegner.

Bomba floh dennoch nicht. Er wartete, bis das Dröhnen zu einem donnerartigen Brüllen angeschwollen war, und bis der riesige Vogel über den Bäumen erschien. Das Fabelwesen flog jetzt höher und nicht ganz so schnell wie zuvor. Jede Einzelheit war zu erkennen. Bomba sah, wie die Sonne auf den starren, silbernen Flügeln schimmerte, er erkannte etwas Flirrendes, Schimmerndes dort vorn, wo der Schnabel des Riesenvogels hätte sein müssen und bemerkte die Räder, die dem seltsamen Tier die Füße zu ersetzen schienen. Das alles beobachtete Bomba fasziniert und unfähig, sich zu rühren.

Erst als der Riesenvogel verschwunden war, konnte der Dschungelboy freier atmen. Lange blieb ihm allerdings keine Zeit, sich von seiner Aufregung zu erholen. Das Fabelwesen kehrte zurück und begann jetzt langsam wie ein Beute witternder Geier über den Baumwipfeln zu kreisen.

Ein eigenartiges Gefühl von banger Spannung bemächtigte sich Bombas. Ob der Riesenvogel ihn erspäht hatte? War es wirklich so, wie Gibo prophezeit hatte, und wäre es besser gewesen, sich zu verbergen, statt hier ungeschützt mitten auf der Lichtung zu verharren?

Die Nase des riesigen Vogels neigte sich dem Boden zu. Es sah so aus, als nähme das Untier direkten Kurs auf ihn. Mit schauerlichem Brüllen brauste es heran.

Näher — immer näher — noch näher!

Gibo starrte mit entsetzt aufgerissenen Augen nach oben.

„Die Schlange!“, kreischte er. „Sie kommt, Herr! Sie kommt!“

Er sprang auf die Füße und rannte in das Dornengestrüpp eines Busches hinein — zitternd, schreiend und blind vor Angst und Entsetzen.

Jetzt war der Riesenvogel dicht über den Baumwipfeln. Bomba bereitete sich im Geiste schon auf den aussichtslosen Kampf vor, als er plötzlich sah, wie die Nase des ungeheuren Vogels sich wiederaufrichtete und wie die silberschimmernden Flügel waagrecht über die Baumwipfel hinweg nach Westen verschwanden.

Noch zitterte die Erregung in Bomba nach. Er wagte nicht zu hoffen, dass der Riesenvogel seinen Angriff aufgegeben hatte. Warum sollte er plötzlich Bombas und Gibos Leben schonen? Es gab keine glaubwürdige Erklärung dafür, und trotzdem war Bomba nicht in der Verfassung, nach den Gründen für das merkwürdige Verhalten des Riesenvogels zu suchen.

Im Augenblick waren sie gerettet, das hielt er für das wichtigste. Ein schwaches Lächeln huschte sogar über seine Züge, als er Gibo aus dem Dornenbusch hervorkriechen sah. Der Indianer sah zerzaust aus und seine braune Haut hatte einen gelbgrünen Schimmer vor Furcht und Entsetzen.

„Hast du Eier gesucht?“, erkundigte sich Bomba mit ironischer Freundlichkeit. „Ich dachte, wir hatten ein gutes Mahl?“

Gibo richtete sich auf, zupfte einige Dornensplitter aus seiner Haut und senkte beschämt den Kopf.