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Knut Wiesner

360-Grad-Marketing

Potenziale der integrierten Stakeholderinteraktion voll ausschöpfen

Verlag W. Kohlhammer

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1. Auflage 2020

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-032599-9

E-Book-Formate:

pdf:       ISBN 978-3-17-032600-2

epub:    ISBN 978-3-17-032601-9

mobi:    ISBN 978-3-17-032602-6

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Vorwort

 

Marketing wird inzwischen leider häufig auf Werbung bzw. Kommunikation reduziert: Es begann mit Direkt- und Dialog-Marketing, gefolgt von Online-Marketing oder Face-to-Face-Marketing bis hin zu Social Media Marketing, Content-Marketing oder Influencer-Marketing, die alle lediglich Kommunikationsformen sind und den Namen Marketing nicht ausfüllen.

Diese Einschränkung wird der Bedeutung des Marketings in keiner Weise gerecht. Digitale Medien haben zwar für die Marketingkommunikation an Bedeutung gewonnen und neue Chancen eröffnet, können aber die umfassende Aufgabe des Marketings als marktorientierte Unternehmensführung nicht ersetzen. Marketing als Führungsfunktion hat strategische und koordinierende Aufgaben zu erfüllen, es muss nicht nur Kunden nachhaltig überzeugen. Markt- und Kundenorientierung sind weiterhin die zentralen Herausforderungen im Wettbewerb, doch wirken zunehmend weitere Akteure mit ihren Vorstellungen auf Kunden und Märkte ein.

Angesichts der vielen Unternehmensbeziehungen (Netzwerke, Lieferketten…), der komplexen gesellschaftlichen Herausforderungen (Nachhaltigkeit, Fairness, Moral/Ethik, Compliance, Klima, Artensterben …) sowie der steigenden Digitalisierung (Web 2.0, Business 4.0, KI, Big Data …) ist eine eher eindimensionale Marketing-Fokussierung durch einen Rundum-Ansatz zu ersetzen: 360-Grad-Marketing (nicht zu verwechseln mit der eingeengten Sichtweise in der Online-Werbung oder dem Ansatz der integrierten 360-Grad-Kommunikation). 360-Grad-Marketing muss ebenso derzeitige und potenzielle Mitarbeitende, Lieferanten und Servicepartner, Gesellschafter u. a. Geldgeber, Versicherungen, Analysten, Verbände, NPOn, NROn (NGOs) u. a. Interessengruppen, (Lokal-)Politiker und Regierungen sowie die Gesellschaft als Ganzes einbeziehen. Nur so lässt sich eine breite Akzeptanz erreichen und die Basis für ein langfristig erfolgreiches und gut reputiertes Unternehmen legen.

Der Interaktion mit allen relevanten Stakeholdern kommt dabei eine besondere Aufgabe zu, zumal diese oftmals unterschiedliche oder sogar gegenläufige Interessen haben. Daher müssen sich Unternehmen strategisch mit ihren Angeboten auf diese Herausforderung einstellen. Strategisches Marketing, einschließlich Marktforschung und Marketingmanagement sind Voraussetzung für eine erfolgreiche 360-Grad-Ansprache aller relevanten Anspruchsgruppen, die heutzutage unumgänglich ist. Einer integrierten Kommunikation kommt dabei eine zentrale Rolle zu.

360-Grad-Marketing ist ein zukunftsorientiertes Modell zur Erfassung und zum Management aller relevanten Marketingbeziehungen in einem komplexen, dynamischen und volatilen Unternehmensumfeld. Eine sinnorientierte Vision, starke Werte und identitätsstiftende Leitbilder sowie nachhaltige Markenstrategien sind Basis für erfolgreiches 360-Grad-Marketing.

 

Bonn, Würzburg-Schweinfurt, im November 2019

Knut Wiesner

Inhalt

 

 

  1. Vorwort
  2. 1   Aktuelle Ausgangslage
  3. 2   Herausforderungen für Unternehmen und Marketing
  4. 2.1   Management internationaler Geschäftsbeziehungen und Netzwerke
  5. 2.2   Digitalisierung
  6. 2.3   Gesellschaftliche Anliegen und Anforderungen
  7. 3   360-Grad-Marketing zur Ansprache aller Stakeholder
  8. 4   Stakeholderorientierung: Festlegung relevanter Zielgruppen
  9. 4.1   Festlegung der Kundengruppen
  10. 4.2   Identifikation relevanter Stakeholder
  11. 4.3   Bewertung relevanter Stakeholder
  12. 5   Normatives 360-Grad-Marketing
  13. 5.1   Vision als richtungsweisender Ausgangspunkt
  14. 5.2   Sinnstiftende Kultur und Werte
  15. 5.3   Leitbild und Mission als Orientierung
  16. 5.4   Ziele als überprüfbare Vorgaben
  17. 5.5   Positionierung als erfolgversprechende Alleinstellung
  18. 6   Strategisches 360-Grad-Marketing
  19. 6.1   Strategische Analysen
  20. 6.2   Strategieauswahl
  21. 6.3   Corporate Identity und Corporate Image
  22. 7   Operatives 360-Grad-Marketing (7 P)
  23. 7.1   Leistungspolitik – Product
  24. 7.2   Prozesspolitik – Processes
  25. 7.3   Personalpolitik – Personnel/People
  26. 7.4   Kontrahierungspolitik – Price
  27. 7.5   Vertriebspolitik – Place
  28. 7.6   Ausstattungspolitik – Physical Facilities/Environment/Evidence
  29. 7.7   Kommunikationspolitik – Promotion
  30. 8   Evaluation und Rechenschaftslegung
  31. Literaturverzeichnis
  32. Stichwortverzeichnis

1          Aktuelle Ausgangslage

 

 

 

Das Unternehmensumfeld zeigt derzeit einerseits stabile und andererseits volatile Elemente. Das Wachstum der Weltbevölkerung, einhergehend mit dem Wirtschaftswachstum in vielen Weltregionen begünstigt die Chancen international bzw. global aufgestellter Unternehmen. Andererseits entstehen weltweit immer mehr und neue Konkurrenten, gegen die sich jedes bestehende Unternehmen behaupten muss. Aus diesem Grund sind kundenorientierte Innovationen gefragt, insbesondere unter dem Blickwinkel der Ressourcenschonung. Denn der Wunsch nach Fairness und Nachhaltigkeit der Unternehmen wächst nicht nur in Deutschland.

Die wachsende und globalere Welt wird immer komplexer und erschwert es, diese zu verstehen und Zusammenhänge bzw. Regeln zu erkennen. Mehrdeutigkeiten erschweren strategisches Handeln, Planungen werden risikobehafteter. Je internationaler Unternehmen agieren, desto unterschiedlichere staatliche und gesellschaftliche Regeln bestehen – eine große Herausforderung insbesondere für viele der mittelständischen Weltmarktführer.

Die Welt, in der wir heute leben, verändert sich ständig und schneller und wird somit instabiler. Manche Veränderungen sind kaum noch vorhersehbar oder gar berechenbar, disruptive Veränderungen und Überraschungen werden gerade durch die Digitalisierung häufiger. Alle Unternehmen müssen jederzeit mit den von Taleb beschriebenen unwahrscheinlichen Ereignissen (Schwarze Schwäne) rechnen. Auf Erfahrungen lässt sich weniger bauen, »Best Practises« verlieren ihre Bedeutung und verlässliche Prognosen sind kaum noch möglich. Dadurch entstehen Ungewissheit und Verunsicherung bei allen Marktteilnehmern. Sorgfältige Planung wird zunehmend durch Schnelligkeit, Flexibilität und »Agilität« ersetzt.

Die Anforderungen an Unternehmen und ihr Marketing werden also widersprüchlicher und unkalkulierbarer. Um allen Herausforderungen gewachsen zu sein, müssen alte Strukturen oft aufgebrochen und durch flexiblere ersetzt werden. Optionen müssen stets neu erarbeitet und offengehalten werden.

Doch im »Windschatten« der internationalen Märkte steigt gleichzeitig auch das Bedürfnis nach Überschaubarkeit, regionalem Bezug und Heimat – dies eröffnet für regional und lokal verankerte Unternehmen Marktchancen abseits der Globalisierung. Regionalität steht auch für Übersichtlichkeit und Sicherheit, bei Unternehmen und Kunden! Dies muss nur transparent und glaubhaft vermittelt werden.

Viele Skandale der Wirtschaft (Diesel-Gate, Cum-Ex-Geschäfte der Banken, diverse Datenskandale…) haben das Vertrauen der Menschen und Regierungen enttäuscht – nicht zuletzt durch im Wettbewerb um Aufmerksamkeit stehende Medien und gut organisierte Initiativen/NROn, die zunehmend auf Polarisierungen setzen.

Eine durch viele Medien hochsensibilisierte und kritischere Öffentlichkeit setzt auf mehr Nachhaltigkeit, Fairness sowie moralisches Handeln der Unternehmen und erwartet die Einhaltung ethischer Standards sowie ein gesellschaftsorientiertes Agieren. Die Möglichkeiten des Web 2.0 erhöhen die Artikulationsmöglichkeiten vieler Stakeholdergruppen, die dadurch erhöhte Aufmerksamkeit und mehr Einfluss erhalten. So werden Unternehmen zunehmend an ihre ökologischen und gesellschaftlichen Aufgaben und Versprechen erinnert – und die Ansprüche werden eher noch steigen (»Fridays for Future« etc.). Ein Nicht-Beachten der gesellschaftlichen Erwartungen kann eine Glaubwürdigkeitskrise auslösen und zu verlustträchtigen Reputationsschäden führen.

2          Herausforderungen für Unternehmen und Marketing

 

 

 

Im vorangegangenen Kapitel wurden bereits diverse Herausforderungen der Unternehmen kurz angerissen – auf einige von diesen wird in diesem Kapitel näher eingegangen. Dabei ist der Fokus auf das Marketing und seine Möglichkeiten entscheidend.

So gibt es zwar internationale Trends, aber auch regionale Besonderheiten. Nicht überall auf der Welt wächst z. B. die Bevölkerung: In Japan, China oder Deutschland sind Wachstumsgrenzen der Bevölkerung erkennbar, verbunden mit einem altersbedingten demografischen Wandel und kleineren Haushaltsgrößen. Die weltweite Migration verändert auch inländische Märkte, die kulturell heterogener werden.

Die Internationalisierung wirkt bei vielen Angeboten im Internet als regionale Entgrenzung, denn gerade die Digitalisierung ermöglicht deutlich einfacher das Sprengen nationaler Grenzen. Das Internet vervielfacht die Angebote und erhöht den internationalen Wettbewerb bei gestiegener Transparenz und unbegrenzten Einkaufszeiten für die Kunden. Der E-Commerce öffnet auch für Newcomer und kleinere Unternehmen neue Wege der Kundenansprache und Distribution.

Die Möglichkeiten von Big Data und des Web 2.0 erhöhen die Chancen einer individuellen Kundenansprache mit der Befriedigung individueller Kundenerwartungen – so lässt sich dem Trend nach stärkerer Individualisierung der Kunden Rechnung tragen. Selbstbewusstere und digital affinere Konsumenten suchen nach (schnell auffindbaren) Angeboten, die zu den individuellen Bedürfnissen passen bzw. sich anpassen lassen. Allerdings bedeutet das Internet auch gleichzeitig einen Anstieg der Konkurrenten aus aller Welt.

Neue Dienstleistungsangebote entstehen auch durch den steigenden Wunsch vieler Kunden (Ältere, Singles, erwerbstätige Frauen …) nach Convenience (Bequemlichkeit) und Zeiteffizienz. Sogenannte »Value-Added Services« bieten vielfältige Möglichkeiten zur Individualisierung und Differenzierung des Angebots.

Gerade die Netzwerke und Medien des Web 2.0 erhöhen die Einflussmöglichkeiten diverser Unternehmensstakeholder. Bewertungsportale erhöhen zwar einerseits die Sicherheit der Interessenten, bieten aber auch Möglichkeiten der Manipulation und des Missbrauchs. Negative Meldungen können Shitstorms mit unabsehbaren und existenzbedrohenden Schaden erzeugen, die Reputation eines Unternehmens ist u.U. schnell ruiniert, auch durch sogenannte Fake-News.

Der Anstieg des Wunsches nach Individualisierung erhöht auch den nach einer individuellen Work-Life-Balance – dies führt zu weiterhin steigender Bedeutung des Freizeit- (Reisen, Erlebnisse …) und Gesundheitssektors (Medizintechnik, Fitness, Wellness …) bzw. entsprechender Add-ons. Innovationen sind also weiter sehr wichtig.

Der gesellschaftliche Wertewandel erfordert mehr Fairness und Ehrlichkeit, Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung und nachhaltiges Handeln der Unternehmen, damit die Reputation und der langfriste Unternehmenserfolg gesichert werden können. Offenheit und Transparenz sind wichtige Basis für die Akzeptanz aller Stakeholder.

Um sich in solch komplexen Märkten zu behaupten, sind traditionelle Organisationen und Arbeitsweisen vielfach nicht mehr geeignet. Agiles Handeln soll Abhilfe bringen. Doch agile Methoden wirken nur dann, wenn die Unternehmenskultur Flexibilität und Kulturwandel unterstützt. Viele Unternehmen müssen einen solchen Kulturwandel, der mehr Transformationsfähigkeit, schnellere Anpassung und erfolgreiche Innovationen ermöglicht, erst noch bewältigen. Allerdings beutet die Konzentration auf Agilität keinen Verzicht auf Strategien, die auch weiterhin langfristige Handlungsmuster/Verhaltensweisen vorgeben müssen, allerdings in flexiblerer Art und Weise.

Gerade das Internet bietet die Basis für neue und erweiterte Austauschbeziehungen zu vielen Stakeholdern, egal ob Lieferanten, Institutionen oder Interessengruppen. Den Mitarbeitenden kommt als Produzenten der Angebote sowie als Kontaktpartner der Kunden und anderer Stakeholder eine zentrale Rolle zu. Sie sind für die Qualität der Leistung, die Pünktlichkeit der Lieferung und eine positive Kommunikation verantwortlich. Als Unternehmens- oder Markenbotschafter bzw. interne Influencer wirken sie vielfältig in das Unternehmensumfeld.

Die Unternehmen befinden sich also in einem Beziehungsgeflecht mit sehr unterschiedlichen Stakeholdern, die differierende oder sogar divergente Ansprüche stellen. Da diese so indirekt den Unternehmenserfolg stark beeinflussen können, müssen gute Beziehungen aufgebaut und Interessen ausgeglichen werden: Man spricht dabei vom Aufbau von Beziehungskapital.

Vor (disruptiven) Überraschungen ist niemand mehr sicher. In digitalen Zeiten lauern »Schwarze Schwäne« (Taleb, Nassim Nicholas 1997), also höchst unwahrscheinliche Ereignisse, an jeder Ecke. Wir wissen nicht, ob oder wann sie kommen, aber wir wissen: Wenn sie kommen, dann kommen sie schnell.

Als größte Bedrohungen nennen die Unternehmensspitzen aktuell Umwelt- und Klimarisiken gefolgt von Territorialismus/Protektionismus. Erst danach werden disruptive Technologien und die Cybersicherheit als Risiken genannt. Gefahren für die Reputation und Marken sowie Lieferketten werden ebenfalls gesehen.

2.1       Management internationaler Geschäftsbeziehungen und Netzwerke

Der internationale Handelsaustausch deutscher Unternehmen steigt stetig weiter und erreichte 2018 einen neuen Höhepunkt. Steigende protektionistische Tendenzen scheinen dem Waren- und Dienstleistungsaustausch mit seinen weltumspannenden Wertschöpfungsprozessen bisher noch kaum Schaden zuzufügen. Die Deutsche Post-DHL rühmt sich, als internationalstes Unternehmen in mehr als 200 Ländern und Regionen tätig zu sein. Aber die Weltwirtschaft ist anfälliger geworden, was sich sowohl auf Exporte und Auslandsproduktionen als auch auf die umfangreichen Beschaffungsketten (Supply Chain, Sourcing), strategischen Allianzen und Unternehmensnetzwerke auswirken kann. Just-in-time-Lieferungen können zum Marktrisiko werden. Eine strategische Früherkennung im relevanten Unternehmensumfeld wird daher immer wichtiger, das Rundum-Monitoring muss systematisch erweitert und ein Krisenmanagement etabliert werden.

Die internationale Wirtschaft besteht immer mehr aus netzwerkartigen Kooperationen von unterschiedlichen Anbietern, Lieferanten und Mittlern. Waren solche Netzwerke zunächst eher durch freiwillige Kooperationen und vertragliche Vereinbarungen gekennzeichnet, bildeten sich in den letzten Jahren auch sogenannte integrierte Konzerne, die die Netzwerkstrukturen im eigenen Unternehmen abbilden. Andererseits konzentrieren sich viele Unternehmen auf ihre Kernkompetenzen und lagern bestimmte Bereiche aus und besorgen sich die benötigten Leitungen mittels Outsourcing oder sogar Croudscourcing. Dies führt allerdings zu steigender Komplexität, so dass Lieferkettenmanagement und kooperatives Wissensmanagement an Bedeutung gewinnen.

In Netzwerken bestehen aber immer Risiken, wenn die Partner nicht gut zueinander passen. Wichtig ist daher, dass sich die Partner in ihren Stärken und Schwächen ergänzen und so eine Win-Win-Situation bei der Marktbearbeitung entsteht. Je stärker ein Partner die eigenen Schwächen ausgleicht, desto größere Vorteile ergeben sich für beide Partner. In internationalen Netzwerken ist es entscheidend, auch die unterschiedlichen Kulturaspekte der Partner zu berücksichtigen. Neben der jeweiligen Landeskultur spielen vor allem Unternehmenskultur und Corporate Governance eine entscheidende Rolle, die zu einem möglichst hohen Grad übereinstimmen sollten. Je kongruenter die Kulturdimensionen, desto besser kann die Kooperation zwischen den Partnern funktionieren, je stärker diese differieren, desto größer sind die daraus resultierenden Risiken.

Am ehesten erfolgversprechend ist eine Kooperation, wenn es auch Kulturübereinstimmungen mit Kunden und ggf. den Lieferanten gibt. Denn alle Geschäftsverbindungen funktionieren umso besser je höher der Grad der Übereinstimmung in allen Kulturdimensionen und das Verständnis für alle Partner ist. Es sollten möglichst viele Übereinstimmungen in diesem »Viereck« von Unternehmen, Geschäftspartnern, Kunden und Lieferanten geben.

Internationale Beziehungen und Netzwerke sind nicht neu und prägen die Weltwirtschaft immer stärker. Internationalisierung oder sogar Globalisierung bedeuten aber auch eine immer größere Abhängigkeit aller Akteure untereinander! So entstehen Spiegeleffekte überall auf der Welt, ggf. modifiziert durch regionale kulturelle Einflüsse. Also ist es insbesondere für international agierende Unternehmen zwingend notwendig, die vielfältigen internationalen Entwicklungen bei ihrer Situationsanalyse zu berücksichtigen (image Abb. 2.1).

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Abb. 2.1: Modell zur Kooperationspartnerprüfung (Quelle: Wiesner 2016-2, S. 44)

Auslandsorientierten Unternehmen helfen beispielsweise Standortvergleiche, wie der jährlich aktualisierte Doing-Business-Report der Weltbank: Dort werden 190 Auslandsmärkte u. a. nach Wirtschaftsfreundlichkeit, wirtschaftlichen Rahmenbedingungen oder Minderheitenschutz bewertet (Weltbank 2019). Deutschland findet sich dort 2019 auf Rang 24. Solche internationalen Vergleiche, Studien und Rankings zeigen die Chancen internationaler Geschäftstätigkeit auf, weisen aber auch auf Standortrisiken hin.

Das Weltwirtschaftsforum (WEF) erstellt jährlich eine Rangliste der 144 Volkswirtschaften mit den höchsten Wachstumschancen, den Global Competitiveness Report (GCR). Der Bericht basiert auf dem Global Competitiveness Index (GCI), in den u. a. Daten zur Infrastruktur, Gesundheit, Bildung, Effizienz der Gütermärkte, Arbeitsmarkteffizienz, technologischer Entwicklungsgrad einfließen. Im Report 2018 rangiert Deutschland auf Platz 3 (Schwab 2018).

Weltweit gibt es viele sehr verschiedene Gesellschafts- und Wirtschaftssysteme mit ganz unterschiedlichen Erwartungen der Bürger und Unternehmen. Da weltweite Governance Standards fehlen, werden teilweise ökonomische Fehlanreize gesetzt (Steueroasen). Im Sinne einer stabilen weltwirtschaftlichen Entwicklung, die allen Unternehmen und Gesellschaften zugutekommt, sollten wirtschaftliche und technische Standards weltweit harmonisiert und Handelshemmnisse reduziert werden. Die CEN- oder ISO-Standardisierungen dürfen jedoch nicht den technischen Fortschritt und Innovationen behindern.

Das wirtschaftlich relevante und damit ökonomisch wichtige Umfeld eines Unternehmens umfasst neben inter-/nationalen Rahmenbedingungen v.a. alle diejenigen (internen und externen) Partner, zu denen relevante Austauschbeziehungen bestehen. Dieser Personen-, Gruppen- und Organisationen- oder Institutionenkreis wird auch als Stakeholder (= relevante Anspruchsgruppen) bezeichnet. Jeden Stakeholder verbindet eine spezielle Interessenslage mit dem Unternehmen und er versucht seine Ansprüche/Bedürfnisse über das Unternehmen zu befriedigen. Die Interessen und Bedürfnisse entstammen dabei nicht ausschließlich dem ökonomischen Bereich und können oder müssen daher auch nicht nur monetär befriedigt werden. Ebenfalls werden u.U. Zuverlässigkeit, Gesetzestreue oder gesellschaftliches Wohlverhalten erwartet.

Zu den internen Stakeholdern zählen Management, Shareholder (Anteilseigner/Aktionäre, Inhaber), Aufsichts-/Beiräte sowie Mitarbeitende und deren unternehmensinterne Vertretungen. Wichtig und wirtschaftlich relevant sind auch externe Stakeholder. Diese Anspruchsgruppen/-personen kommen aus den Bereichen der Kundschaft, Wirtschaft und Gesellschaft, sie können von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich wichtig sein. Typische Stakeholdergruppen sind Kunden und Vorlieferanten, Absatzmittler, Banken und andere Finanzdienstleister, Kooperations- oder Netzwerkpartner, nationale und supranationale staatliche Institutionen (z. B. die EU, UNO und ihre Unterorganisationen), Parteien und Bürgerinitiativen, Verbraucher- und Umweltschutzgruppierungen, Gewerkschaften, Branchen- und Unternehmensverbände, kirchliche und andere gesellschaftlich relevante Gruppen und Personen: Meinungsführer, Vorbilder, Idole/Influencer etc. (image Abb. 2.2).

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Abb. 2.2: Stakeholder-Auswahl eines Unternehmens (Quelle: Wiesner 2005, S. 116)

Direkte Netzwerkeffekte zwischen den einzelnen Anspruchsgruppen und deren wechselseitigen Beziehungen verlangen nach neuen Kommunikations- und Kooperationsformen der Unternehmen sowie eine Berücksichtigung aller relevanten (einflussreichen) Stakeholder in ihren Marketingstrategien. Alle Unternehmen müssen sich auf Augenhöhe dem offenen Dialog oder Multilog mit den Stakeholdern stellen, denn wer nicht in den Netzwerken vertreten ist kann andernfalls selber zum Gegenstand der Kommunikation oder Diskussion werden.

Zur Strategischen Situationsanalyse (SWOT/TOWS) gehört auch die Beachtung der sozio-kulturellen und natürlichen Umwelteinflüsse der verschiedenen Staaten oder Weltregionen, insbesondere bei internationalen unternehmerischen bzw. akquisitorischen Aktivitäten. Es handelt sich dabei um Einflüsse wie Klima, Geografie, Geschichte, Kultur, Werte, Religion, Tradition, Mentalität oder Sprache etc.: solche Einflüsse spielen in jedem Land eine große Rolle, also sowohl im Heimatland eines Unternehmens als auch in allen anderen Ländern, in denen agiert wird. Die jeweiligen Nationalstaaten setzen den rechtlichen Rahmen für die Unternehmen – quasi stehen auch ihre Wirtschaftssysteme, wie die soziale Marktwirtschaft mit Demokratie, Rechtssicherheit und Rechtstaatlichkeit, im Wettbewerb.

Das von Dülfer entwickelte »Umwelt-Schichten-Modell« berücksichtigt neben den kulturellen (»mensch-gemachten«) Umwelteinflüssen auch die natürlichen. Er unterscheidet dabei ohne die unternehmensinternen Einflüsse fünf übereinander liegende Schichten (Wiesner, S. 116 f.):

•  die natürlichen Gegebenheiten,

•  den Stand der Realitätserkenntnis und der Technologie,

•  die kulturell bedingten Wertvorstellungen,

•  die sozialen Beziehungen und Bindungen,

•  die rechtlich-politischen Normen (image Abb. 2.3).

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Abb. 2.3: Wirkung fremder Umwelt auf das Management (Quelle: Wiesner 2005, S. 117)

Alle genannten Schichten bauen auf einander auf und beeinflussen sich gegenseitig. Die jeweils tiefer liegende Schicht der Umwelteinflüsse wirkt dabei auf die höher liegenden ein, wobei auch gewisse Rückkopplungseffekte entstehen können. Jede dieser Schichten wirkt dabei auch auf die Interaktionspartner eines Unternehmens ein und tangiert somit indirekt das normative und strategische Marketing. Es entsteht quasi eine simultane Einwirkung sowohl aus der (ggf. sehr globalen) Umwelt als auch aus dem jeweiligen Stakeholderkreis auf das Unternehmen, seine Identität (CI) und seine Leistungen (image Abb. 2.4).

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Abb. 2.4: Unternehmen mit internationalen Umwelteinwirkungen (Quelle: Wiesner 2005, S. 118)

Internationale Akquisitionen zur Vergrößerung der globalen Marktabdeckung bergen also erhebliche Risiken für die Unternehmenskultur und damit für das gesamte Unternehmen. Negative Beispiele sind die Fusionen von Daimler-Chrysler oder Bayer-Monsanto. Letztere birgt sogar das Risiko, die Reputation des Unternehmens völlig zu zerstören.

Die Digitalisierung fördert die Globalisierung seit Jahren, indem die Kommunikation erheblich vereinfacht und beschleunigt wird. Doch Kunden reagieren je nach Land unterschiedlich auf das Verhalten der Unternehmen. International agierende Unternehmen müssen ihre Strategien an die Möglichkeiten und Risiken anpassen und gleichzeitig auf einen erweiterten Wettbewerberkreis reagieren.

Insbesondere aufgrund der Digitalisierung entwickeln sich völlig neue Kooperationsformen, die weltweit unterschiedliche Marktpartner umfassen können, wie beispielsweise Ebay. Die mehr als 100 deutschen Weltmarktführer behalten trotzdem ihre Marktpositionen, da sie auf persönliche Kunden- und Stakeholderbeziehungen sowie kundenorientierte Innovationen setzen. Auch existieren im B-to-B-Bereich meist keine mächtigen Markt-Plattformen.

Deutsche Unternehmen setzen meist nicht auf globale/standardisierte Strategien, sondern passen diese der jeweiligen Kultur an, um die Verbundenheit und Identifikation der Kunden mit dem Unternehmen zu stärken. Einheitliche länderübergreifende Marketingstrategien sind nur dann sinnvoll, wenn sich die Kultur der Länder ähnelt und sich die angebotenen Leistungen überall in der gleichen Phase des Leistungslebenszyklus befinden.

2.2       Digitalisierung

Nach der ersten Industriellen Revolution – der mechanischen Produktion – folgte die zweite mit Massenfertigung und Fließbandarbeit. Die dritte Industrielle Revolution ist mit der Entwicklung der Mikroprozessoren verbunden, die ab 1969 Industrie-Maschinen durch Computer, Sensoren, Roboter und Schaltkreise steuerbar machen. Damit begann das »Zeitalter der Digitalisierung«, das sich mit der Entwicklung des Computers und des Internets bis heute rasant entwickelte. Derzeit stehen wir am Anfang der sogenannten Industrie 4.0 als vierter Industrieller Revolution. Das Internet der Dinge (Internet of Things – IoT) ermöglicht Massenproduktion nach individuellen Kundenwünschen, neue Geschäftsmodelle und Kommunikationsformen.

Fungierte das Internet (World Wide Web) Anfang der 1990er Jahre zunächst überwiegend noch als reine Informationsplattform (Web 1.0), so entstanden mit der New Economy ab dem Jahr 2000 erste digitale Geschäftsmodelle, die klassischen Händlern Konkurrenz machten. Darauf aufbauend entwickelten sich kurz nach der Jahrtausendwende erste Internet-Plattformen, auf denen Endnutzer selbst kreierte Inhalte veröffentlichen konnten (Myspace, StudiVZ oder Facebook) – das Web 2.0 entstand. Dadurch erfolgte der Schritt von der eher betrachtenden Einweg- zur Mehrweg-Kommunikation, die viele Gestaltungsmöglichkeiten eröffnete (image Abb. 2.5). Mit Web 2.0 wird die Erweiterung des Web 1.0 zu einer Kommunikations- und Interaktionsplattform mit vergrößerten Mehrwerten (z. B. User Generated Content, Communities) bezeichnet.

Seit Anfang der 1990er Jahre erreichte das Internet innerhalb weniger Jahre seinen Durchbruch als Informationsplattform und ist heute aus dem täglichen Leben und dem Marketing nicht mehr wegzudenken. Informationen wurden ohne Verzögerung (in Echtzeit) verfügbar und ermöglichten nicht nur eine schnellere und breitere Kommunikation, sondern auch den Aufbau des E-Commerce. Dies zunächst klassisch im B-to-C-Geschäft, inzwischen auch im B-to-B- und C-to-C-Bereich sowie in anderen Konstellationen (B-to-A, P-to-P …). Unterstützt wird die Entwicklung durch Online-Zahlungsmöglichkeiten und digitale Währungen (Kryptowährungen wie Bitcoin, Ethereum oder XRP). Im Juni 2019 gab es bereits 2.100 solcher Währungen mit einer Gesamtmarktkapitalisierung von € 255 Mrd. (CoinMarketCap 2019). Diese verbrauchen nach Berechnungen der Uni München pro Jahr 46 Mrd. KWh Strom und erzeugen 23 Mio. t. CO2.

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Abb. 2.5: Dimensionen der Entwicklung vom Web 1.0 zum Web 2.0

Seit 2014 spricht man vom Web 3.0. Mittels zusätzlicher Informationen wie Orts- oder Kontaktdaten auf Internetseiten entstehen sogenannte semantische Netze. Computer verarbeiten diese inzwischen umfangeichen Mengen an Informationen (Big Data) und stellen komplexe Bedeutungszusammenhänge her. Auf diesem semantischen Web baut auch das Internet der Dinge (IoT) auf. Computer und Maschinen (Peer to Peer) können jetzt untereinander Informationen austauschen und so die virtuelle mit der realen Welt verbinden. So prüfen z. B. Waschmaschinen das Stromangebot und waschen nur dann, wenn der Strom am günstigsten ist.

Im Rahmen der sogenannten New Economy entstanden ab dem Jahr 2000 erste digitale Geschäftsmodelle, die klassischen Händlern immer stärkere Konkurrenz machten. Digitale Technologien stürzten bislang bewährte Geschäftsmodelle: So setzt die wachsende Übermacht der Digitalkonzerne inzwischen alle Unternehmen unter großen Druck, ihre Geschäftsmodelle zu überdenken, sich und ihre Angebote zu innovieren. Der Druck scheint sogar erfolgreiche Unternehmen zu lähmen, die angesichts der großen Verunsicherung eher zaudern und notwendige Entscheidungen verschieben. Obwohl beispielsweise 1975 ein Ingenieur von Kodak die Digitalkamera erfand, ist es Kodak nicht gelungen, die digitale Transformation rechtzeitig zu vollziehen, was zum endgültigen Aus des Unternehmens führte.

Mächtige Online-Plattformen bedienen sich inzwischen mittels »parasitärer« Geschäftsmodelle schamlos am Output anderer Marktteilnehmer und profitieren von ihrer Verteilungsintelligenz und Marktmacht. So ist Facebook das mächtige Medienunternehmen ohne eigene Inhalte und Angebote, gefolgt von Instagram. Jetzt will Facebook sogar eine eigene Digitalwährung (Libra) auf Blockchain-Basis starten, um noch mehr Macht zu generieren. Airbnb ist der führende Vermittler von Unterkünften ohne eigene Immobilien. Uber ist der größte Fahrdienst der Welt ohne eigene Fahrzeuge zu besitzen und ohne sich an Gesetze zu halten. Alibaba und Amazon sind die weltweit größten Händler ohne eigenes Inventar.

Wo die Märkte sich immer schneller verändern, werden die Entscheidungen traditioneller Unternehmen oft langsamer. Diese suchen mehr Sicherheit in mehr Daten über Märkte und Entwicklungen. Doch noch mehr Kontrolle/Absicherung führt oft ins nächste Dilemma: Die Unternehmen werden weniger beweglich und handlungsfähig. Wenn die Notwendigkeit zu schnellem Handeln wächst, verursachen zunehmende Datenmengen meist längere Handlungs- und Reaktionszeiten und somit steigt die Zahl der Fehlentscheidungen.

Unternehmen müssen sich wandeln, wollen sie in der sich schnell verändernden Welt überleben: Weg von einer prozessgesteuerten Kultur, hin zu flexiblen und schnell reagierenden Organisationen (Agilität, Flexibilität), die Raum für neue Ideen und kundenorientierte Innovationen lässt. Denn Herausforderungen, die überraschend auftauchen, lassen sich mit Prozessen und Wissen der Vergangenheit kaum mehr lösen.

Beispielsweise im Medizinsektor können »intelligente« Apps oder IoT-Geräte inzwischen den Zustand der Patienten überwachen und diese sowie ihre Medizin-Dienstleister zeitnah informieren. Dies verbessert die Qualität der Versorgung und senkt gleichzeitig die Kosten durch weniger Arzt- und Krankenhausbesuche. Obwohl die meisten Banken Webservices für den Kundenzugang und Online-Banking nutzen, gibt es häufig noch keine durchgehenden digitalen Prozesse. Sogenannte »FinTechs« (Finanztechnologien) krempeln inzwischen die Branche um und bringen viele Start-ups (»neue Banken«) hervor. Bei diesen handelt es sich um Anbieter von innovativen digitalen Technologien im Sektor der Finanzdienstleistungen. So entstehen auch neue Formen der Unternehmensfinanzierung, wie das sogenannte Crowdfunding.

Im Zeitalter des Web 2.0 (Mitmach-Netz) können sich alle Kunden interaktiv einbringen. Unternehmen müssen daher fast den ganzen Tag kommunikationsfähig sein. Gleichzeitig müssen sie diese Chance zur Beziehungspflege mit ihren Kunden u. a. Stakeholdern auch nutzen. Denn jeder Einzelne hat heute die Macht die Öffentlichkeit zu informieren, zu unterhalten, zu alarmieren, zu verwirren oder zu belügen (Fake News). Das ist eine Herausforderung für viele Unternehmen. Eine »Empörungskultur« im Web 2.0 führt zu Kontrollverlust der Unternehmen und wird zu einer Gefahr für die Reputation. Einmal veröffentlichte Beiträge lassen sich nur schwer wieder entfernen. So ist die entfaltete Wirkung kaum korrigierbar, da die (falschen) Inhalte bereits auf den Computern anderer Teilnehmer gespeichert sind und auf diese Weise jederzeit weiterverbreitet werden können (image Abb. 2.6).

Social-Media ermöglichen jedermann das leichte und schnelle Veröffentlichen von Inhalten mittels Apps (Applikationen/Anwendungen) aller Art (Informationen, Wissen, Erfahrungen, Erlebnisse, Meinungen, Emotionen, Fotos, Videos, Musik …) und erleichtert ortsunabhängig (z. B. mittels Smartphones) jede Kommunikation und Kooperation mit anderen Nutzern weltweit. Social Media Plattformen (Portale des Web 2.0) können sogenannte Soziale Netzwerke, Blogs (Weblogs), Wikis, Podcasts, Social News Sites oder Foren sein. Dazu gehören beispielsweise Facebook, Twitter, LinkedIn, Instagram oder YouTube.

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Abb. 2.6: Erweiterte Kommunikation und Dialoge im Mitmach-Netz/Web 2.0

Inzwischen werden durch das digitale Netz und die vielen Plattformen fast alle Lebensbereiche der Gesellschaft (Privates, Gesellschaftliches und Berufliches) beeinflusst und so hat sich auch die Kommunikation zu großen Teilen ins Internet verlagert. Die aktive und fast ständige Mediennutzung ist ein wesentlicher Teil der heutigen Kommunikationskultur geworden. Gleichzeitig nimmt die Mobilität der Kommunikation zu, da sich die Nutzung von klassischen PCs zunehmend auf mobile Endgeräte (Smartphones und Notebooks) verlagert.

Die Medienlandschaft fragmentiert und verändert sich zunehmend einhergehend mit einer Fragmentierung der Mediennutzer. Dies erschwert es, (potentielle) Kunden zu finden und verlangt nach Präsenz der Unternehmen in vielen Kanälen. Das Social Media Prisma 2017/2018 von ethority zeigt die in Deutschland 250 meistgenutzten Social Media, die über aktive Communities verfügen und zu den reichweitenstärksten Medien zählen. Seit der vorangegangenen Veröffentlichung aus dem Jahr 2014 sind über die Hälfte der Plattformen des Rankings ausgewechselt. Mehr oder minder disruptive Innovationen in der Branche sorgen für einen kontinuierlichen Wandel der Social Media Landschaft: Die Kategorien Health/Fitness, Lifecasting/Lifestreams und Chatbot Services stehen dabei im Mittelpunkt (ethority 2017).

Durch die Interaktions-Möglichkeiten des Web 2.0 ist eine Interaktion der Kunden mit den Unternehmen möglich. Konnten die Unternehmen in der Offline-Welt und zu Zeiten des Web 1.0 noch die Inhalte der Kommunikation und deren Verbreitung kontrollieren, müssen diese inzwischen ihren Kontrollverlust akzeptieren. Inhalte werden von vielen Akteuren in großer Geschwindigkeit verbreitet, so dass Reaktionen schwierig werden oder zu spät kommen können. Daher ist vorausschauendes Handeln im Web 2.0 mit einem Vertrauensaufbau notwendig.

Kunden haben heutzutage eine ganz andere Machtposition gegenüber den Unternehmen, aber auch andere Anspruchsgruppen haben neue Einflussmöglichkeiten erhalten (Dialoge, Multiloge, Mund-zu-Mund Propaganda/Word-of-Mouth mit viraler Ausbreitung von Informationen). Fakten aber auch Fake News (man sprach früher von einer Verbreitung negativer Informationen an 10-12 andere Personen) können heute – je nach Vernetzung der Teilnehmer - (hundert-)tausende anderer Personen durch eine Nachricht via Twitter, Facebook oder Blogs erreichen. Auch wer nicht in den Netzwerken vertreten ist kann zum Gegenstand der Kommunikation oder Diskussion werden, ohne selbst eingreifen zu können. Für Unternehmen heißt dies heute, das Monitoring, den Reputationsaufbau und das Krisenmanagement zu erweitern!

Durch Web 2.0 mit seinen Kommunikations- und Dialogmöglichkeiten entstehen völlig neue Kommunikationsformen mit Kunden und anderen Stakeholdern. So lassen sich Meinungen und Vorstellungen aufnehmen und Leitungsangebote an den Präferenzen der Kunden ausrichten, die zunehmend Prosumer werden. Kunden könnten häufiger als Co-Creator in die Kauf- und Innovationsentscheidungen eingebunden werden, um die entsprechenden Prozesse im Unternehmen kundenorientierter zu gestalten. Im Rahmen einer Kundenzentrierung (Customer Centricity) versuchen viele Unternehmen die sogenannte Customer Journey durch die verschiedenen Kanäle zu verfolgen, um die Kunden an sogenannten Touchpoints zu betreuen.

Man spricht inzwischen vom Zeitalter des »Connected Consumers«, das schon bald vom Zeitalter des »Augmented Consumers« abgelöst werden könnte. Denn mit Hilfe des Internets der Dinge, sogenannter künstlicher Intelligenz (KI oder AI – Artificial Intelligence), Augmented Reality (AR), Virtual Reality (VR) oder Mixed Reality (MR) lassen sich Gedankenwelten der Kunden erweitern/verändern. AR, VR und MR bieten neue Möglichkeiten zur Produktpräsentation und Informationsvermittlung. Diese Techniken lassen sich auch in Geschäften (Instore-Technik) nutzen, um die Beratungsmöglichkeiten zu erweitern – auch Roboter mit KI können dabei helfen.

Sogenannte Wearables sind elektronische Geräte die Mehrwertdienste anbieten und die am Körper der Menschen getragen werden: Smart Watches oder Brillen wie Google Glass mit AR-Funktionen sind dazu zu rechnen. Der Spieltrieb der Menschen wir nicht nur offline, sondern auch online und mobil angesprochen durch eine Vielzahl von Games (neue Angebote des Gamification-Marktes), die sich auch zu Marketingzwecken nutzen lassen. Und überall lassen sich Daten über die Menschen sammeln.

Wenn es den Unternehmen gelingt, geschäftsrelevante Informationen über (potenzielle) Kunden aus dem Internet zu filtern, lassen sich für die Marktforschung und insbesondere die Kommunikation neue und umfangreichere Erkenntnisse (Insights) gewinnen. Die digital verfügbaren Daten (Big Data) wachsen immer noch jedes Jahr zweistellig. Ein riesiger Datenpool entsteht, der nützliche Erkenntnisse liefern kann und Möglichkeiten für Analysen und Vorhersagen bietet. Also müssen über die klassischen Formen der Marktforschung hinaus die immer umfangreicher verfügbaren digitalen Daten durch Data-Mining genutzt werden (derzeit max. 1-2 Prozent, denn diese liegen in vielen unterschiedlichen Dateiformaten vor). Diese Daten müssen so aufbereitet werden, dass sie verknüpft und ausgewertet werden können: Data-Sensing und Data-Mining (z. T. in »Echtzeit«) erhalten große Bedeutung verbunden mit einem verantwortungsvollen Umgang (Datenschutz) mit den Kundeninformationen.

Im Web 2.0 soll Social Screening helfen, um relevante Daten zu gewinnen (Crawler in Fan- oder Follower-Strukturen), und Social Enrichment, um relevante Inhalte in Dialogen herauszufiltern. Permission-based (vorherige Zustimmung) Social Comment soll eine Synchronisierung in Echtzeit ermöglichen. Kunden und Interessenten werden also immer transparenter. Viele Menschen haben mit der Nutzung ihrer Daten offensichtlich kein Problem, solange es zu ihrem Vorteil ist (z. B. Incentives, maßgeschneiderte Angebote) und der Bequemlichkeit (Convenience) dient. Viele andere Kunden sind aber hinsichtlich des Schutzes ihrer Privatsphäre hochsensibilisiert und lehnen es ab, in irgendeiner Form analysiert und eingruppiert zu werden.

Geringe Suchkosten der Kunden/Interessenten erhöhen grundsätzlich die Preistransparenz und damit den Wettbewerb – dies führt i. d. R. zu günstigeren Preisen für Kunden. Durch sogenannte Echtzeitpreise und Differenzierungen nach verschiedenen Online-Zugängen und Zeiten werden diese Vorteile von einigen Unternehmen jedoch wieder ausgehebelt. So wird aus der vorgeblichen Kundenorientierung eine Gewinnmaximierung zulasten der Kunden. Damit wollen sich inzwischen immer weniger Menschen abfinden, da sie sich ausgetrickst fühlen. Sie suchen nach Umgehungsstrategien und rechtlicher/staatlicher Unterstützung – hier droht ein Reputationsschaden, der nicht so schnell korrigierbar sein wird.

Kundenorientierung ist trotzdem relevant, wenngleich aktuell häufiger der Begriff der Customer Centricity Anwendung findet, da die Digitalisierung neue Möglichkeiten bietet, sich an den Bedürfnissen individueller Kunden auszurichten und diese zu Stammkunden zu machen. Operatives Customer Relationship Management und Customer-Experience Management sind wesentliche Elemente einer solchen Customer Centricity.

Hilfreich wäre, wenn der Datenschutz und Datenverarbeitungsmöglichkeiten nicht in jedem Land anders geregelt sind. Die EU hat mit der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) einen Standard gesetzt, der inzwischen auch von anderen Ländern aufgegriffen wird. Mit einer europäischen Cloud ließe sich auch die digitale Datensouveränität und eine breite Datenverfügbarkeit gewährleisten, ohne sich auf US-Datenrisiken mit Amazon, Google oder Microsoft einzulassen.

Der Datenschutz in Europa ist zwar weitreichend, trotzdem fühlen sich Kunden oft ausgetrickst, vor allem durch das unbegrenzte Sammeln von Informationen im Internet. Vertrauensbildend dagegen wirken z. B. Datenschutzsiegel, Zertifizierungen, deutsche Serverstandorte oder Compliance Regeln.

Der Verein Digitalcourage will aufrütteln: Er verleiht seit 2000 jährlich »BigBrotherAwards« an Firmen, Organisationen und Personen, die in besonderer Weise und nachhaltig die Privatsphäre von Menschen beeinträchtigen oder persönliche Daten Dritten zugänglich machen. 2019 gingen die Preise an die Firmen Precire und Ancestry sowie an Zeit-online, zuvor haben u. a. Microsoft (Windows 10), Amazon Alexa, IBM, Generali Versicherung, Amazon und Barbie diese »Auszeichnungen« bekommen (Digitalcourage 2019). Auch bei den modernen PKW stellt sich die Frage, was mit den gesammelten Daten geschieht.

Alle Internetanbieter sollten nicht nur die Rechtslage achten, sondern ihre Kunden stets um Einwilligung fragen, wenn sie Daten erheben wollen, auch wenn sehr viele