Mit einem Vorwort von Hardy Kettlitz, zwei Beiträgen von Christian Hoffmann sowie einer Bibliographie von Joachim Körber

SF PERSONALITY 17

Stefan T. Pinternagel

Kurt Vonnegut Jr. und die Science Fiction

Überarbeitete, neu bebilderte und ergänzte Neuausgabe

(Die Erstausgabe ist 2005 beim Shayol Verlag, Berlin erschienen.)

© 2005 by Stefan T. Pinternagel (Text)

© 2020 by Hardy Kettlitz (Vorwort)

© 2020 by Christian Hoffmann für die Kapitel 12 und 13

© 2020 by Joachim Körber für die Bibliographie

© dieser Ausgabe 2020 by Memoranda Verlag, Berlin

Alle Rechte vorbehalten

Redaktion: Hardy Kettlitz

Korrektur: Christian Winkelmann

Gestaltung: s.BENeš [www.benswerk.com]

Memoranda Verlag

Hardy Kettlitz

Ilsenhof 12

12053 Berlin

www.memoranda.eu

www.sf-personality.de

ISBN: 978-3-948616-38-0 (Buchausgabe)

ISBN: 978-3-948616-39-7 (E-Book)

Inhalt

Vorwort

1. – Das Chrono-Synklastische Infundibulum oder: Warum Vonnegut?

2. – Die Definition des Undefinierbaren

2.1 – Versuchte Definition

2.2 – Die Stilfrage

2.3 – Die Inhalte

3. – Die frühen Jahre (1922–1950)

3.1 – Familie Vonnegut

3.2 – Erste Schreibversuche

3.3 – Suizid und Weltkrieg

3.4 – Dresden

3.5 – Zurück in den USA

3.6 – Erste Veröffentlichungen

»Report to the Barnhouse Effect«

»Thanasphere«

»EPICAC«

4. – Vom Wagnis, Autor zu sein (1951–1962)

4.1 – Kurzgeschichten 1951

»All the King’s Horses«

»Mnemonics«

»The Euphio Question«

»The Foster Portfolio«

»More Stately Mansions«

4.2 – Das höllische System

Player Piano

4.3 – Kurzgeschichten 1952

»Any Reasonable Offer«

»The Package«

»The No-Talent Kid«

»Poor Little Rich Town«

»Souvenir«

4.4 – Kurzgeschichten 1953

»Tom Edison’s Shaggy Dog«

»Unready to Wear«

»D. P.«

4.5 – Kurzgeschichten 1954

»The Big Trip Up Yonder«

»Custom-Made Bride«

»Adam«

»Ambitious Sophomore«

»A Present for Big Saint Nick«

»Bagombo Snuff Box«

»The Powder Blue Dragon«

4.6 – Kurzgeschichten 1955

»Unpaid Consultant«

»Deer in the Works«

»Next Door«

»Der Arme Dolmetscher«

»The Kid Nobody Could Handle«

4.7 – Kurzgeschichten 1956

»The Boy Who Hated Girls«

»Miss Temptation«

»This Son of Mine«

4.8 – Kurzgeschichten 1957

»Hal Irwin’s Magic Lamp«

»A Night for Love«

4.9 – Schicksalsschläge

4.10 – Kurzgeschichte 1958

»The Manned Missiles«

4.11 – Die Sirenen des Titan

The Sirens of Titan

4.12 – Kurzgeschichte 1960

»Long Walk to Forever«

4.13 – Kurzgeschichten 1961

»Find Me a Dream«

»Runaways«

»Harrison Bergeron«

»My Name is Everyone«

4.14 – Mutter Nacht

Mother Night

4.15 – Kurzgeschichten 1962

»2 B R 0 2 B«

»The Lie«

»Go Back to Your Precious Wife and Son«

5. – Kilgore Trout (1963–1968)

5.1 – Katzenwiege

Cat’s Cradle

5.2 – Kurzgeschichte 1963

»Lovers Anonymous«

5.3 – Mr. Rosewater

God Bless You, Mr. Rosewater

5.4 – Übersetzungen und Finanzprobleme

5.5 – Kurzgeschichte 1964

»Where I Live«

5.6 – Kurztext 1966

»New Dictionary«

5.7 – Geh zurück!

Welcome to the Monkey House

5.8 – Kurzgeschichten 1968

»Welcome to the Monkey House«

»Fortitude«

6. – Alles war schön, und nichts tat weh (1969–1971)

6.1 – Schlachthof 5

Slaughterhouse Five or The Children’s Crusade

6.2 – Wanda June

Happy Birthday, Wanda June

7. – Between Time and Breakfast (1972–1973)

7.1 – Between Time & Timbuktu

Between Time & Timbuktu

7.2 – Kurzgeschichte 1972

»The Big Space Fuck«

7.3 – Und so weiter

7.4 – Breakfast of Champions

Breakfast of Champions or Goodbye Blue Monday

8. – Inzest, Enkel und ein Buch für Kinder (1974–1982)

8.1 – Bokononistische Begriffe

Wampeters, Foma and Granfalloons – Opinions

8.2 – Next Door – Der Film

8.3 – Geburt der Venus

Venus on the Half-Shell

8.4 – Slapstick

Slapstick or Lonesome No More

8.5 – Die Geschwätzigkeit des Menschen

8.6 – Galgenvogel

Jailbird

8.7 – Sun, Moon, Star

Sun, Moon, Star

8.8 – Die erste Vernissage

8.9 – Das Nudelwerk

Palm Sunday: An Autobiographical Collage

9. – Waffenwahn und Dystopie (1982–1985)

9.1 – Zielwasser

Deadeye Dick

9.2 – Who Am I This Time? – Der Film

9.3 – Galapagos

Galápagos

9.4 – Weitere Verfilmungen

9.5 – Selbstmordversuch

10. – Bewegte Jahre (1986–1991)

10.1 – Blaubart

Bluebeard

10.2 – Jane Vonnegut Yarmolinsky

10.3 – Ein humanistisches Requiem

10.4 – Hokus Pokus

Hocus Pocus

10.5 – Autobiographische Collage

Fates Worse Than Death: An Autobiographical Collage of the 1980’s

10.6 – Verfilmungen en masse

11. – Ein Zeitbeben nach Jahren der Stille (1992–2005)

11.1 – Zeitbeben

Timequake

11.2 – Gesammelte Kurzgeschichten

Bagombo Snuff Box

11.3 – Dr. Kevorkian

God Bless You, Dr. Kevorkian

11.4 – Die Malerei

11.5 – Und Science Fiction?

11.6 – Ausblick und -klang

11.7 – Nachtrag

12. – Kurt Vonnegut im Münchner Schlachthof

13. – Geschichten aus dem Nachlass

13.1 – SF-Storys in While Mortals Sleep

»Jenny«

»The Epizootic«

»Money Talks«

13.2 – Phantastik in Der taubenblaue Drache

»Great Day«

»The Unicorn Trap«

»Unknown Soldier«

»The Commandant’s Desk«

»Armageddon in Retrospect«

»Thanasphere«

13.3 – Phantastik in Look at the Birdie

»Confido«

»Hall of Mirrors«

»The Nice Little People«

»The Petrified Ants«

13.4 – SF-Fragment in Sucker’s Portfolio

»Robotville and Mr. Caslow«

14. – Bibliographie deutschsprachiger Ausgaben

Bücher bei MEMORANDA

Vorwort

von Hardy Kettlitz

Die Reihe SF PERSONALITY existiert bereits seit 1994, zunächst in Form von im Copyshop produzierten Fanzines, später als Paperbacks im Shayol Verlag, dann ab 2015 in neuer Gestaltung und Ausstattung im Golkonda Verlag und seit Anfang 2020 im Memoranda Verlag.

Dass eine ergänzte und erweiterte Neuausgabe eines bereits 2005 erstveröffentlichten Bandes jetzt erscheint, hat mehrere Gründe. Zum einen gehört Kurt Vonnegut zu den wichtigen US-amerikanischen Schriftstellern, deren Werken auch nach vielen Jahrzehnten noch eine hohe Bedeutung beizumessen ist. Zum anderen ist beim Memoranda Verlag geplant, ausgewählte und inzwischen lange vergriffene Bände der Reihe SF PERSONALITY wieder interessierten Lesern verfügbar zu machen.

2018 kündigte der Golkonda Verlag unter der Programmleitung von Michael Görden in seiner Vorschau eine nahezu komplette Vonnegut-Werkausgabe in fünf Bänden an, wobei jeder Band drei bis vier Romane enthalten sollte. Außerdem sollte der Roman Die Sirenen des Titan vorab als Paperback erscheinen. Leider ist aus diesen Plänen nie etwas geworden, der Verlag hat die Bücher aus dem Programm genommen und sich nicht offiziell über diese Entscheidung geäußert.

Dass Vonneguts Bücher, seine Gedankenwelt und seine Sprachakrobatik in die US-amerikanische Popkultur eingeflossen und auch heute noch präsent sind, lässt sich nicht zuletzt daran ablesen, dass der sehr bekannte Elektro-Musiker Moby (der Ururgroßneffe von Herman Melville) sein 2018 erschienenes Album nach einem der berühmtesten Vonnegut-Zitate benannte: »Everything Was Beautiful, and Nothing Hurts«. In Deutschland dagegen sieht die Sache anders aus. Vonnegut ist fast vollständig vergriffen, lediglich Schlachthof 5 ist über die Jahrzehnte hinweg immer wieder neu aufgelegt worden. Der Kulturbetrieb hat Vonnegut nahezu vergessen, mit Ausnahme von Denis Scheck, der 2014 im Deutschen Kunstverlag gemeinsam mit Dieter Stolz einen Bildband über Vonneguts Leben zusammenstellte. Die deutschen Fans des Autors dagegen halten seine Bücher in Ehren, was man an den zum Teil horrenden Preisen ablesen kann, die auf dem Gebrauchtbuchmarkt für alte Ausgaben verlangt werden.

Der Autor dieses Buches, Stefan T. Pinternagel, war ein begeisterter Leser und Kenner von Vonneguts Werken. Leider ist Pinternagel bereits 2009 viel zu jung verstorben, nur zwei Jahre nach Vonnegut. Da seither einige Texte aus dem Nachlass Vonneguts veröffentlicht wurden, hat es sich Christian Hoffmann zur Aufgabe gemacht, diese Nachlasstexte nach ihren Science-Fiction-Inhalten durchzusehen und in einem zusätzlichen Kapitel dieses Buches vorzustellen.

Beim Golkonda Verlag geplant, aber nie erschienen: Paperback und Vonnegut-Werkausgabe.

1. – Das Chrono-Synklastische Infundibulum oder: Warum Vonnegut?

Oftmals befindet sich der Leser, ohne es selbst wahrzunehmen, in einem »Chrono-Synklastischen Infundibulum«, einem Zustand also, in dem er sich außerhalb des Raums und der Zeit bewegt. Mir wurde das erst bei den Büchern Kurt Vonneguts bewusst:

Vor Jahren las ich als Erstes seinen letzten Roman, Timequake. Später sah ich zufällig die Verfilmung von Breakfast of Champions im Fernsehen und hörte im Film den Namen Kilgore Trout, der mir seltsam vertraut vorkam. Ich konnte nicht anders – ich musste zum Bücherregal eilen, um nachzuforschen, wo ich diesen ungewöhnlichen Namen schon gelesen hatte: Es war natürlich in Timequake!

Angeregt von der filmischen Umsetzung wollte ich auch dieses – für mich – zweite Buch von Vonnegut lesen, und war sofort wieder vom Wortwitz und dem unkonventionellen Schreibstil des US-amerikanischen Autors gefangen. Jetzt war für mich klar, dass ich mehr von ihm kennenlernen musste!

Ich sprang von einem Galápagos der Zukunft in das Slaughterhouse Five des Zweiten Weltkriegs und von dort zu The Sirens of Titan und weiter und weiter, immer kreuz und quer durch die Zeit, ungebunden an feste Örtlichkeiten und nicht in der Reihenfolge, in der die Bücher verfasst worden bzw. erschienen waren.

Nach vierzehn Romanen, drei Kurzgeschichtensammlungen und unzähligen Artikeln und Essays von und über Kurt Vonnegut kam ich wieder bei seinem letzten und – nicht nur in der Science-Fiction-Szene – umstrittensten Buch Timequake an; nun beseelt von dem Wunsch, den Autor einer interessierten Lesergemeinde vorzustellen.

Dass sich ein so langes Schriftstellerleben nicht lückenlos aufzeichnen lässt, ist klar; vor allem, wenn dieses Leben ausgesprochen ereignisreich verlaufen ist. Und da es dem genreübergreifenden Schaffen Vonneguts unangemessen wäre, möge man mir verzeihen, wenn ich nachfolgend auch auf die Texte eingehe, die nicht ausschließlich Science-Fiction-Themen behandeln, und sein Gesamtwerk in kurzen Abschnitten erläutere.

Ein herzliches Dankeschön möchte ich an dieser Stelle Gisela Karrer und Heike Kopp für ihre Korrekturen und Anregungen aussprechen; mein Dank geht auch an Andreas Nohl, Hannes Riffel, Hardy Kettlitz, Uwe Schlegel und in ganz besonderem Maße an Christian Hoffmann, der mir mit Rat, Tat und allerlei Leihgaben zur Seite stand.

2. – Die Definition des Undefinierbaren

2.1 – Versuchte Definition

Kurt Vonnegut Jr. in nur einer Kategorie unterzubringen, ist so gut wie unmöglich. Der Autor bewegt sich mit seinen Texten zwischen Realsatire und Science Fiction, zwischen Moral, Pessimismus und, wie er in Slaughterhouse Five schreibt, »alles war schön, und nichts tat weh«.

Die Geister scheiden sich, wenn es darum geht, ihn in eine Schublade zu stecken. Schreibt er Humoresken? Und wenn ja, was für welche? Schreibt er Slapstick, wie Christian Kessler in seiner Magisterarbeit behauptet (ehemals zu finden unter www.christiankessler.de/vonnegut.htm), oder »schwarzen Humor«, wie es Armin Paul Frank in Amerikanische Literatur der Gegenwart zu definieren versucht (Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 1973)?

Nein! Das Ausschlaggebende an Vonneguts Werk ist, dass er sich an keine Norm anpasst – und das ist auch schon wieder das angenehm Anarchistische an seinen Texten.

Bernard V. O’Hare, Vonneguts Kriegskamerad während des Zweiten Weltkrieges und Mithäftling im deutschen Kriegsgefangenenlager in Dresden, beschrieb es in Fates Worse Than Death folgendermaßen:

In der Kritik wird Kurt manchmal als Vertreter des schwarzen Humors apostrophiert. Diese Kritiker müssen irgendwie schwarzen Humor und Karfreitag durcheinanderbringen. Sie merken nicht, dass Kurt in seinen Büchern auf eine Welt reagiert, die überschnappt und sich bedenkenlos in ein Dresden zur hundertsten Potenz stürzt.

Und sie merken nicht, wie sehnlich er sich wünscht, die Regierenden der Erde würden ihre Entscheidungen nach etwas bestimmen, das an die Bergpredigt gemahnt, und nicht nach Tiraden von Leuten, die uns in die Apokalypse führen.

Ein Mann, der so denkt, ist ohne Fehl und Tadel. Und wenn das schwarzer Humor ist, wünsche ich uns eine Epidemie davon.

Angesichts der internationalen Fraktion der Schubladendenker konnte es trotzdem nicht ausbleiben, dass er von Literaturwissenschaftlern, Rezensenten und Lesern mit allen denkbaren Titeln bedacht wird: »Romancier« nennen ihn manche, »einen politischen Autor« wieder andere. Er gilt als Humanist, Schwarzseher, Apokalyptiker, Idylliker, »Zivilisationspessimist« als »Verfasser von heiterer Ironie und beklemmender Brutalität« – oder einfach »nur« als Autor satirischer Science-Fiction-Romane.

Vermutlich ist Vonnegut alles, was man von ihm behauptet – und noch viel mehr.

Gewiss ist, dass sein Œuvre durch die »respektlose Haltung gegenüber Systemzwängen, Antimilitarismus und durch die unermüdliche Forderung nach humanitärem Verhalten gekennzeichnet« ist (Gero von Wilpert, Lexikon der Weltliteratur, Alfred Kröner Verlag).

2.2 – Die Stilfrage

Gleichgültig, wie man ihn nun zuordnen will: Vonnegut zu lesen ist, wie einer Explosion von Einfällen und beißendem Sarkasmus beizuwohnen. Aus den Ideen, die er in wenigen Worten umreißt, würden andere Schriftsteller ganze Romane machen. Und das ist schon der erste von vielen Punkten, warum man sich auf Vonnegut einlassen sollte: Seine Gedankenanstöße regen die Phantasie des Lesers an!

Außerdem – und das ist kein zu unterschätzender Faktor – ist das Lesen seiner Bücher ein kurzweiliges Erlebnis, was auch an den knapp gehaltenen Kapiteln liegt, in denen er seine Geschichten präsentiert. ›Eines lese ich noch‹, denkt sich der Leser, der schon längst schlafen wollte, und ertappt sich mehrere Seiten später bei einem Déjà-vu, den Gedanken wiederholend und zum nächsten Kapitel springend.

»Viele Abschnitte meiner Bücher sind wie Witze aufgebaut, und sie sind nicht besonders lang«, analysiert der Autor seine eigenen Texte.

Doch es ist nicht nur die formelle Aufbereitung des Stoffes: Vonneguts Protagonisten sind nicht aufgefaltete (oder anders ausgedrückt: physisch und psychisch sezierte) Personen; vielmehr sind es Schemen, in ihrem Schattenrissdasein kaum mehr als Karikaturen, selbst wenn es sich dabei um so außergewöhnliche Gestalten wie Millionäre oder Zeitreisende handelt. Sie sind nicht plastisch, aber auch nicht platt – es sind Figuren, die in ihrem eigenen Kontinuum gefangen sind. In Breakfast of Champions etwa reduziert der Autor an einigen Stellen die äußerlichen Attribute seiner Protagonisten auf die Größe und den Durchmesser ihrer Penisse.

Bei Vonnegut gibt es keine Superhelden, und genau das macht die Akteure seiner Geschichten so menschlich, so schwach, so sympathisch.

Aber nicht nur in der Beschreibung seiner Protagonisten geht Vonnegut eigene Wege. Den meisten seiner Texte fehlt sogar eine durchgängige Chronologie, die Zeiten sind wild durcheinandergewürfelt, heute ist gestern ist morgen. Kritiker bezeichnen das Zusammenspiel solcher Unregelmäßigkeiten (wohl in Ermangelung einer passenden Kategorie) gelegentlich als »Popkultur«.

2.3 – Die Inhalte

Erwähnung finden sollte auch, dass Vonnegut ein Meister in der Kunst des Neologismus ist und er es wie kaum ein anderer versteht, mit seinen treffsicheren Wortschöpfungen den Sarkasmus auf die Spitze zu treiben.

Der rote Faden, der sich durch all seine Texte zieht, ist verblendeter Techno-Faschismus, Antiintellektualismus, Rassismus, Krieg und der Größenwahn der menschlichen Spezies.

Aber wie kann ein Autor solche Facetten beleuchten, wie über sie schreiben, ohne den erhobenen Zeigefinger vor den Augen des Lesers zu schwenken? Denn das mag der Leser schließlich überhaupt nicht! Vonnegut hat einen Weg gefunden: Er macht sich den Sarkasmus zum Werkzeug. Beim Lesen seiner Bücher verschluckt man sich nicht selten am eigenen Gelächter, oft erkennt man erst mehrere Sätze später die grausame Ironie, die vermittelt wurde. Der Mensch, ein unfähiges Wesen mit einem zu großen Gehirn, das ihm mehr schadet als guttut!

Durch dieses unpopuläre, manchmal gar »misanthropisch« genannte Weltbild blieb Vonneguts Arbeit lange Jahre der wohlverdiente Respekt in der Literaturszene vorenthalten. Was war er denn schon? Ein Schreiber von Trivialliteratur! Ein Science-Fiction-Autor! Und noch nicht einmal das zu einhundert Prozent! Wer sollte einen solchen Schreiberling schon ernst nehmen?

Erst Slaughterhouse Five sollte die Vorurteile den Tatsachen weichen lassen, Vonnegut an die Spitze der Bestsellerlisten katapultieren und zugleich ein neues Kapitel innerhalb der Science-Fiction-Literatur einleiten. Im Literaturlexikon von Walther Killy (Digitale Bibliothek Band 9, Directmedia Berlin 1998) heißt es zum Thema Science Fiction:

In den 50er-Jahren wurde neben Magazinen das Taschenbuch zur wichtigsten Publikationsform. Gleichzeitig erweiterten Alfred Bester, Ray Bradbury, Arthur C. Clarke, Robert Sheckley, Cordwainer Smith (d. i. Paul Linebarger), Theodore Sturgeon, Kurt Vonnegut und andere das bis dahin überwiegend eskapistische Themenspektrum durch zeitkritische Tendenzen.

3. – Die frühen Jahre (1922–1950)

3.1 – Familie Vonnegut

Kurt Vonnegut Jr. wurde am 11. November 1922 geboren. Zufälligerweise fällt sein Geburtstag auf den »Armistice Day« (»Tag des Waffenstillstands«), der zum Gedenken der Kriegsteilnehmer aller Kriege zum ersten Mal am 11. November 1919, also exakt ein Jahr nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, ausgerufen wurde.

In einigen englischsprachigen Autorenporträts wird das Zusammentreffen des Geburtstages mit dem Gedenktag bereits als Vorzeichen für sein späteres Wirken als Autor gewertet. Tatsache ist, dass Kurt Vonnegut Jr. an diesem Tag als drittes und letztes Kind seiner deutschstämmigen Eltern Kurt Vonnegut Sr. und Edith Lieber in Indianapolis das Licht der Welt erblickt.

Die Stadt ist zur Zeit seiner Geburt so etwas wie eine Anlaufstelle für deutsche Immigranten; 1880 kam die Hälfte der Auswanderer aus Deutschland, und noch zu Kurt Vonnegut Jr.s Zeiten gab es den Stadtteil Germantown (das heutige Lockerbie). Seine Eltern sind bei Kurt Vonnegut Jr.s Geburt noch vermögend und gesellschaftlich angesehen; Edith Lieber Vonnegut als Tochter eines reichen Brauereibesitzers und Kurt Vonnegut Sr., in seinem Beruf als Architekt angemessen erfolgreich, gelten als Vorzeigefamilie unter den deutschstämmigen Auswanderern.

Gerne erwähnt Kurt Vonnegut Jr., dass sein Großvater mütterlicherseits auf der Pariser Weltausstellung eine Goldmedaille für sein Lieber-Lager-Bier bekam und dass die geheime Zutat, die dem Bier seinen unvergleichlichen Charakter verlieh, lediglich aus Kaffee bestand.

Kurt Vonnegut Jr. hatte zeit seines Lebens eine innige Beziehung zu seiner älteren Schwester Alice, die nach seinen Aussagen immer der Antrieb seines Schaffens war. Bei jedem niedergeschriebenen Satz fragte er sich, ob er den Ansprüchen seiner Schwester gerecht würde.

3.2 – Erste Schreibversuche

Erste Erfahrungen als »angehender Autor« sammelt Vonnegut während seiner Schulzeit, als er als 14-Jähriger für die Dienstagsausgabe der Schülerzeitung THE SHORTRIDGE HIGH SCHOOL ECHO verantwortlich ist. Während seiner Zeit an der Shortridge Highschool ist er auch Mitglied der schuleigenen Blaskapelle – eine Erfahrung, die sich später in einigen seiner Kurzgeschichten niederschlagen wird (nachzulesen in der Bibliographie am Ende).

1940 folgt Kurt Vonnegut Jr. den Anweisungen seines Vaters, er solle irgendetwas Brauchbares, praktisch alles außer Architektur studieren. Vater Vonnegut sollte von seinem 45. Lebensjahr an arbeitslos sein. Aufgrund der Weltwirtschaftskrise und des nachfolgenden Zweiten Weltkriegs wird kaum noch gebaut, und die Vonneguts leben von den Ersparnissen aus den »fetten Jahren«.

Kurt Vonnegut Jr. folgt also seinem Bruder Bernard auf die Cornell University in Ithaca, New York, wo er mit dem Studium der Biochemie beginnt, dazu aber, milde ausgedrückt, keinen rechten Zugang findet. Viel lieber betätigt er sich als Kolumnist für die Tageszeitung CORNELL SUN. Der Zweite Weltkrieg scheint dem unbedarften jungen Mann eine Alternative zu den schlechten Leistungen an der Universität zu sein.

»Ich ging mit Begeisterung zur Armee und in den Krieg«, erklärt Vonnegut später und schiebt 1942 eine Lungenentzündung vor, um sein Studium vorzeitig abzubrechen und sich stattdessen als Freiwilliger zu melden. Sein militärischer »Werdegang« liest sich eher deprimierend:

Nach unserer Grundausbildung hatte niemand gewusst, wohin mit unseresgleichen. Also schob man uns mit dem sogenannten Heeres-Sonderfortbildungsprogramm zwar in Uniform, aber ohne Aussicht auf Beförderung noch ein paar Monate ins College ab. (siehe Fates Worse Than Death [fortan: FWTD], S. 101–103)

Kurt Vonnegut Jr. wird nach Pittsburgh auf das Carnegie Institute of Technology und an die University of Tennessee geschickt, um Maschinenbau zu studieren.

3.3 – Suizid und Weltkrieg

Im Mai 1944 besucht er, kurz bevor er nach Europa versetzt wird, seine Familie in Indianapolis, und am 14. des Monats, pünktlich zum Muttertag, begeht Edith Lieber Vonnegut mit einer Überdosis Schlaftabletten Selbstmord. Mehrere Faktoren haben bei der Verzweiflungstat von Kurt Vonnegut Jr.s Mutter eine Rolle gespielt. Die finanzielle Situation der Vonneguts verschlechterte sich seit dem Börsenkrach 1929 stetig. Noch während Kurt Vonnegut Jr.s Kindheit war die Familie von der Upper Class in den Mittelstand abgesackt.

Wir hatten immer zu essen in der Wirtschaftskrise. Aber Vater musste sein Büro schließen, das sein Vater, der erste professionelle Architekt in Indiana, gegründet hatte, und die sechs Angestellten entlassen. (FWTD S. 17)

Wie bereits erwähnt, ist Kurt Vonnegut Sr. von seinem 45. bis zum 61. Lebensjahr arbeitslos. Hinzu kommt die antideutsche Propaganda seit Beginn des Ersten Weltkrieges. Deutsche Literatur und deutsche Musik sind im Haus der Vonneguts verpönt.

Ich habe schon ein paarmal erwähnt, wie tief die antideutschen Ressentiments in Amerika meine Eltern im Ersten Weltkrieg beschämt und verstört hatten; so tief, dass sie mich großzogen, ohne mir Sprache oder Literatur oder Musik oder mündliche Familiengeschichte, die sie liebten, zu vermitteln. Um ihren Patriotismus zu zeigen, ließen sie mich mit vollem Bewusstsein unwissend und wurzellos. Das taten in Indianapolis offenbar auch viele andere deutschamerikanische Familien mit verblüffendem Kleinmut. Und Onkel John scheint richtig stolz zu sein auf diese Zerschlagung und stumme Beisetzung einer Kultur, die mir heute gewiss guttäte. (aus dem Essay »Roots«, in Palm Sunday)

Vonnegut berichtet auch, er fühlte sich in jener Zeit »kulturell als reiner Amerikaner, nach den Kriterien des Hundezuchtverbandes aber als Deutschamerikaner«.

Den Sohn an den Krieg in Europa zu verlieren, dazu die Schmach, deutscher Abstammung zu sein, der gesellschaftliche und finanzielle Abstieg (Kurt Vonnegut Sr. verdingte sich in jener Zeit als Lagerverwalter bei der Atkins Saw Company) – all dies waren Faktoren, die für Edith Lieber Vonnegut die Flucht in den Suizid rechtfertigten.

Schließlich wird Vonnegut nach England geschickt. Kurz vor Heiligabend, am 22. Dezember 1944, gerät Vonnegut zusammen mit seinen unerfahrenen Kameraden von der 106. Infanteriedivision in den Ardennen in deutsche Gefangenschaft.

»Jedenfalls kam unsre murksige Division endlich nach Europa, und da verteidigten wir bei Schneesturm hundertzwanzig Kilometer Front gegen einen letzten deutschen Großangriff. Die Deutschen trugen weiße Tarnanzüge, während wir mit unsrer Kluft in der Farbe von Hundescheiße bestens zu sehen waren. Auch sonst hatten wir kaum Kampfausrüstung. Stiefel sollten wir kriegen, aber sie kamen nicht«, schreibt der Autor in Kapitel X von Fates Worse Than Death.

Die Gefangenen werden nach Dresden deportiert. Die Stadt an der Elbe ist kein militärisches Ziel, und Vonnegut nimmt an, seine Rolle in diesem Krieg sei beendet.