Thomas Käsbohrer

 

 

 

 

 

 

 

 

 

In Seenot.

Dramatische Stunden auf dem Meer.

 

 

 

 

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„Dass alles eine Gelegenheit ist,

größer zu werden.“

 

Brad Pitt

 

in einem Interview in:

SÜDDEUTSCHE ZEITUNG

vom 18.9.2019

 

 

 

 

 

 

Inhalt

 

Vormann Henry Schönrock: Der Katamaran (I).

Klaus Nadler: Mit der Notpinne in der Hand.

Loïck Peyron: „Ich bin ein Optimist-Fatalist“.

Vormann Jean Frenzel: Im Nebel.

Beate Warnecke: Die Kenterung der SAGA.

Andreas Ratz: Der Katamaran (II).

Bernhard Streicher: Was die Krise mit uns macht.

Michael Johanssen: Motorausfall. Mastbruch. Ruderschaden.

Krinka Bauer / Vormann Peter Henning: Auf Grund gelaufen im Seegatt.

Olaf Rebulla: Eine namenlose Insel.

Karl-Heinz Beständig: Eine Insel. Drei Boote. Und ein Gewitter.

Michael Ziese: „Þetta Reddast.“ Hurrikane enden nicht in der Karibik.

Saskia Kaden: Hand gegen Koje.

Antke Reemts: Die Arbeit der Seenotretter.

Mathias Müller von Blumencron: Der Wal.

Tahsin Oezen: Ein Schrei auf dem Meer.

Olaf Rebulla: Flammen in der Nacht.

Bernard Stamm: Rapport de Mer.

Boris Herrmann: Die Angst des Profiseglers auf dem Meer.

Vormann Karl-Heinz Priebe: Ein Mann im Meer.

Ulrike Ufer: Kollision mit einem Frachter.

Manfred Schöchl: Durch die Windhose.

Christian Kargl: Über Bord.

Thomas Käsbohrer: Am Schluss.

Nautisches Lexikon.

Impressum.

 

 

 

 


Schiffbruch, ist die Zerbrechung, Zerstoßung oder der Verlust eines Schiffes, welches wider einen Felsen läuffet, zu Grunde gehet oder auf andere Weise verderbet wird.

Man nennet es auch scheitern oder verunglücken…

 

Wer dem nicht unterworfen seyn wolte, möchte nur mit seinen Waren zu Hause bleiben, und sich nicht in Gefahr begeben, so käme er auch nicht darinne um.

 

aus: Johann Heinrich Zedler, Universal-Lexikon, Leipzig 1742

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Vormann Henri Schönrock

Ostsee. Freest in der Peenemündung.

Der Katamaran (I).

 

 

 

Donnerstag, 24. Oktober 2019. Kormorane stehen im Nebel auf den Steinen der Mole. Reglos, wie eine Gruppe schwarzberockter Priester, die alle Zeit der Welt haben. Und auf irgendetwas warten.

Im Hafen von Freest startet Vormann Henry Schönrock die Maschine des Seenotrettungsbootes. Erst ein Pfeifen, dann ein ohrenbetäubendes Dröhnen, als der Motor anspringt und 320 PS zum Leben erweckt werden. Die HEINZ ORTH ist ein modernes Boot, zwei Jahre haben die Seenotretter in Freest sie im Dienst, doch trotzdem erzeugt die ungebändigte Kraft des Motors ein hundertfaches Vibrieren von allem und jedem an Bord, in dem jedes gesprochene Wort grundlos versinkt.

Vormann Henry Schönrock ist ein jugendlicher Typ. 42 Jahre alt, Vater von drei Söhnen. Und geboren hier in Freest, dem Fischereihafen an der Peenemündung südlich der Insel Rügen. Als wir uns eben in der Seenotretterstation am Hafen begrüßten, schien er mir großgewachsen. Jetzt, wo er sich hinter das Steuerrad der HEINZ ORTH zwängt, füllt er im schweren roten Seenotretteroverall und der roten Rettungsweste den Steuerstand des Seenotrettungsbootes bis unter die Decke aus.

„Dann mal los“, ruft Vormann Schönrock durch das Dröhnen, während seine linke Hand massig auf dem polierten Holz des Ruderrads vor ihm ruht und die Rechte den unscheinbaren Gasgriff nach vorne schiebt. Vor den regennassen Scheiben quetscht sich sein Kollege Detlev Kammradt übers Laufdeck nach vorn, um den triefenden Festmacher von Deck auf die Mole zu werfen.

Kaum ist die HEINZ ORTH frei, lässt Henry Schönrock sie im Bogen durch den Hafen gleiten, wo auf der Kaimauer eine Filmcrew mit 50 Statisten auf den Drehbeginn wartet. Nein, ich bin nicht hier wegen Kintopp oder Serie. Ich bin hier, um das Meer mit den Augen eines Seenotretters zu sehen. Auch wenn ich gerade nicht weiß, ob mir inmitten des Gedröhns dieses modernen Rettungsgeräts und dem Dieselgestank nicht gleich speiübel werden soll. Eigentlich bin ich seefest, ich verbringe sechs Monate im Jahr auf einem Segelboot. Doch für alles gibt’s ein erstes Mal, auch für die Seekrankheit.

Also versuche ich, mich auf den Vormann zu konzentrieren, wie er die HEINZ ORTH aus dem fußballfeldgroßen Hafengeviert von Freest hinaus ins große Grau steuert. Wie ein Helikopterpilot hat er Kopfhörer und Mikrofon übergestreift. Konzentriert schaut er geradeaus, sein Blick wechselt vom Monitor mit dem Radar und der elektronischen Seekarte hinaus aufs Meer als könne er unter der grenzenlosen grauen Wasserfläche jene schmale Gasse erahnen, die nur in der Seekarte erkennbar ist. Sie ist der einzige Weg raus auf die Ostsee.

„Schon zu DDR-Zeiten war Freest ein wichtiger Fischereihafen. Und wer nach Freest rein oder raus will, dem bleibt nur der 5 Seemeilen lange schmale Korridor. Das war immer so.“ Schönrock deutet über die endlose Wasserfläche. „Wenn du die ausgebaggerte Gasse nur um wenige Meter verlässt, läufst du sofort auf Grund. Hier in der Peenemündung ist alles verlandet.“

Soweit ich an diesem nebligen Oktobertag blicken kann, sieht das Meer aus, als könne man sein Schiff steuern, wie es einem gefällt. Doch die elektronische Seekarte vor mir weiß es besser. „0,4“ lese ich darin neben dem wandernden blauen Lichtpunkt, der die Position der HEINZ ORTH auf dem Monitor darstellt. 40 Zentimeter, gerade etwas länger als ein Schullineal ist es hier tief. Selbst die flachgehende HEINZ ORTH mit ihren 96 Zentimetern Tiefgang würde unmittelbar neben dem Kanal sofort auflaufen.

Henry Schönröck steuert einen scharfen Haken nach rechts, um dem unsichtbaren Weg durchs Meer zu folgen. Als könne er meine Gedanken lesen, erzählt er: „Mancher, der die Peene von der Ostsee kommend zum ersten Mal anläuft und nach Wolgast oder zum Stettiner Haff will, der meint, er könne hier abkürzen. Denk nicht mal dran! Für uns in der Station Freest ist das statistisch die Hauptursache, warum wir gerufen werden: Wir ziehen hängengebliebene Fischer, Segler und Motorboote von der Sandbank.“ Dann schiebt er den Gashebel nach vorn. Der Lärm steigert sich, wenige Augenblicke später sind wir aus der Landabdeckung von Peenemünde heraus.

Peenemünde ... Irgendwo dort in diesem Wald muss die Raketenversuchsstation liegen, in der sie vor 70 Jahren an der V2 herumprobierten. Solange, bis diese mörderische Waffe 1400 mal inmitten der Zivilbevölkerung Londons detonierte. Grauen und Tod, der Urahn der modernen Weltraumforschung.

Der Wind kommt aus östlicher Richtung, nicht viel, bloß 3 bis 4 Windstärken, doch jetzt, wo die Landabdeckung durch Peenemünde entfällt, läuft die HEINZ ORTH fast gegen den Wind. Und gegen die Welle. Ich sitze auf dem zweiten Steuermannssitz oben auf der Brücke, während Detlev Kammradt unten im Passagierraum die Beine ausstreckt. Doch mir ist, als würde das Seenotrettungsboot bei jeder Welle in die harte Gummiwand eines Schlauchboots knallen. Alle drei Sekunden eine Gummiwand, unsere Fahrt ist ein holpriges Ballern über hunderte Schlauchboot-Gummiwände, bei der sich das Boot schwer in die See neigt.

Schwimmwesten, Feuerlöscher, Sauerstoffflaschen, schwere Taschenlampen tanzen von der Kraft des Motors in ihren festen Halterungen. Nirgends ein Hauch von Wohnlichkeit, die HEINZ ORTH gleicht einer schwimmenden Werkstatt. Ein Arbeitsgerät, um andere aus dem Wasser zu ziehen, am Haken Boote abzuschleppen. Als „Seenotrettungsboot“ bezeichnen Retter diesen Bootstyp: 9,50 Meter lang. Das Brückendeck mit Steuerstand über dem kleinen mehrsitzigen Raum für Schiffbrüchige und einer Liege. Hinten im Bauch viel Motor.

Wie mag sich das auf der HEINZ ORTH wohl bei 8 oder 10 Windstärken anfühlen? „Da hilft nur alle Türen und Fenster verriegeln“, brüllt Vormann Schönrock. „Alles anschnallen. Und zusehen, dass du irgendwie in dem Drüber und Drunter Fahrt im Schiff behältst“, kommt durch den Lärm. „Das Boot könnte durchkentern. Bestenfalls würdest du noch blitzschnell den Schieber neben deinem Sitz links von dir zuziehen – die Motorbelüftung ist die letzte Öffnung – dann wäre das Boot vollkommen dicht. Aber auch so kann es sich einmal um sich selbst drehen – praktisch eine Eskimorolle machen –, falls es im Sturm durchkentern sollte. Aber erleben will sowas keiner von uns.“

Im Dunst taucht voraus ein flacher Strand auf, dahinter ein Wäldchen, ein Gebäude, alles scheint im Nebel auf dem Wasser zu schweben. „Das ist die Insel Ruden“, brüllt Henry Schönrock. Dann deutet seine Hand nach links, zu einem Turm, der aus dem Meer ragt. „Dort ist das ehemalige Leuchtfeuer für den Flugplatz von Peenemünde. Und dahinter liegt das große Flach, der Freesendorfer Haken. Vor dem Turm fanden wir an einem Morgen die drei Leute auf dem gekenterten Katamaran. Das war mein allererster Einsatz bei den Seenotrettern.“

Und dann erzählt Vormann Henry Schönrock inmitten des Radaus von seinem Leben. Wie er Seenotretter wurde. Und wie er zum ersten Mal als Seenotretter hinausfuhr. Aufs Meer. „Ich bin in Freest geboren. Und wenn du in Freest geboren bist, dann wächst du mit der Fischerei auf und mit Booten. Unser Spielplatz waren die um den Hafen aufgestapelten Fischkisten. 30 bis 40 Meter lange Holzkistenberge, aus denen wir Burgen bauten. Und wehe, der Chef der Fischereigenossenschaft sah uns: Dann gab’s richtig Ärger. Als Kinder sind wir öfter mit den Heringsfängern rausgefahren. Das war für die Fischer kein Spaß, sie mussten uns auf den Schiffen verstecken, wenn sie sich drüben vor jeder Fahrt bei den Grenztruppen auf der Insel Ruden abmelden mussten. Später als Jugendliche halfen wir dann mit bei der Arbeit auf den Trawlern. Ich war 13 oder 14, als ich zum ersten Mal seekrank wurde. Aber auf Arbeit haben wir gelernt, irgendwie damit umzugehen. Kurz schlecht sein, kurz kotzen. Dann wieder weiterarbeiten. Das ist ‘ne ganz komische Art von Seekrankheit.

Auch in Seenot bin ich mal geraten. Mit 12 hab ich mir heimlich im Hafen das Boot von meinem Onkel stibizt, eine Heuer, ein kleines Holzboot mit kleinem Außenborder am Heck, dem Tümmler. Ich bin ohne zu fragen aus dem Hafen raus. Als ich Gas gab, war da eine Leine im Wasser. Der Propeller des Außenborders fing sie sofort, riss den Außenborder vom Heck und das halbe Heck gleich mit ins Wasser. Die Heuer war kaputt. Der Außenborder lag im Wasser. Und ich bekam obendrauf noch eine Tracht Prügel.

Später hab ich dann in der Freester Werft Bootsbauer gelernt und Zeesboote gebaut, 9 bis 13 Meter lange, breitbauchige Arbeitssegler aus Holz. Kleine Strandboote und Heuer. Ich wollte nie weg aus Freest, der Drang, in meinem Dorf zu bleiben, ist bei mir stark ausgeprägt. Dann fragte mich eines Tages der Vater eines Kollegen, ob ich nicht beim Bau eines Messestands aushelfen könnte. Da war ich 19. Als ich vom ersten Standbau heimkam, hatte ich plötzlich soviel Geld in der Tasche, dass ich mich als Messebauer selbstständig machte. Und obwohl ich nie wegwollte aus Freest, sah ich plötzlich als junger Kerl viele Teile der Welt: Tokio. Lissabon. Portugal. Die Kanaren. Aber mit den Jahren fiel mir das Weggehen aus Freest jedes Mal schwerer. Ich wollte nicht mehr weg. Wenn ich nur dran dachte, morgen wegzumüssen aus Freest, ging’s mir nicht gut. Ich hatte mittlerweile eine Firma aufgebaut mit fähigen Mitarbeitern, die auch heute noch Messebau betreibt. Aber ich wollte nicht mehr weg. Als dann ein Kollege fragte: ‚Wir sind gerade am Umstrukturieren bei den Seenotrettern in Freest, der alte Vormann steigt aus. Willst du nicht mitmachen?’, stieg ich 2017 bei den Seenotrettern in Freest ein. Klar hatte ich hier im Dorf immer mal ausgeholfen, wenn irgendwo Not am Mann war. Aber ich hatte ja nie zuvor ein Ehrenamt ausgeübt.

Ich fing als einfacher Decksmann auf der HEINZ ORTH an. Anfang des Jahres war ich eingetreten und wartete auf meinen ersten Einsatz. Von Anfang an war ich vom Zusammenhalt unter den Rettern beeindruckt. Ich kannte zwar alle im Dorf. Aber das war noch mal was Neues. Es war Samstag, der 10. Juni 2017. In der Nacht war ein Gewitter durchgegangen, mit einer heftigen Sturmböe hatte alles begonnen. Abends, als die Sturmböe durchging, hatte ich noch gedacht ‚Da wird sicher gleich ein Alarm reinkommen‘, so heftig war die Böe. Aber die Nacht über blieb alles ruhig.

Erst am Morgen kommt der Alarm rein. Ich bin im Bad, als ein ‚Ping’ auf meinem Smartphone erklingt. ‚Einsatz‘ steht da lapidar um 07:47 Uhr vom Vormann Thomas Brauns im Chat. Nur das eine Wort. Noch in derselben Minute kommt die erste Antwort von Holger: ‚Bin da‘. Ich tippe hektisch ‚In vier Minuten bin ich unten‘. Dann melden sich sofort auch die anderen. ‚Na toll, bin arbeiten‘ meldet sich Thomas mit einem Icon mit weinendem Auge ab. ‚Gekenterter Katamaran seit gestern auf See‘ kommt als nächstes vom Vormann, ich lese es auf dem Weg runter zur Station, wo er, Detlef Kammradt und Andreas Lüdke schon warten.

Wir hatten die HEINZ ORTH in dem Jahr gerade neu bekommen, wir hatten aber Zeit genug, das Boot kennenzulernen. Bevor wir losfahren, müssen wir uns in der Zentrale in Bremen über Funk abmelden. ‚Position da und da. Katamaran gekentert. Personen im Wasser’, heißt es. ‚Personen im Wasser‘! Das bedeutet für uns: Schnell sein! Es ist Frühsommer, das Wasser ist nicht wärmer als 13, 14 Grad. Selbst im Hochsommer ist einer, der bei 17 Grad im Wasser treibt, schnell unterkühlt und in Lebensgefahr. Jetzt also schnell.

Die Position des gekenterten Katamarans ist klar definiert, das bedeutet, es wird jetzt nicht noch eine aufwändige Vermisstensuche: Er liegt nördlich vom Freesendorfer Haken am 2. Turm, dem früheren Leuchtfeuer des Peenemünder Flughafens, auf dem heute nur noch Möwen und Kormorane hausen – wo die Personen im Wasser wohl auch treiben werden.

Uns ist klar: Durch den Korridor brauchen wir 45 Minuten bis da raus. Es ist flach dort draußen. Sehr flach. Schon aus der Ferne sehen wir die roten Rümpfe eines auf dem Kopf treibenden Katamarans. Drei Menschen sitzen drauf.

Die See ist halbwegs ruhig an dem Tag, doch es ist dunstig. Bleigraue Regenwolken hängen über der See, die Reste des gestrigen Gewitters, es hat merklich abgekühlt über Nacht. Ich bin nervös, schließlich ist das mein erster Einsatz. Beim Näherkommen sehen wir zwischen den beiden roten Rümpfen einen etwa 55-jährigen Mann kauern. Und seine beiden 23- und 20-jährigen Söhne zusammen mit einem Border Collie. Der ältere Mann ist apathisch, aber ansprechbar, als wir uns auf der Heinz Orth längsseits nähern.

Erst später zurück an Land kann der Vater berichten, wie es zum Schiffbruch gekommen ist: ‚Wir sahen ein aufziehendes Gewitter und wollten in einem Moment der Windstille das Segel reffen. Es dauerte keine Minute, da brachen mehrere Sturmböen über uns herein und warfen unseren Katamaran um.’“

Für einen Moment unterbricht Henry Schönrock seine Erzählung. Er nimmt das Gas weg, als er das Boot aus der Fahrrinne heraus in das große Flachgebiet nach Norden steuert. Veritasgrund lese ich in der Seekarte, der „Grund der Wahrheit“. Was diesem Flachgebiet wohl seinen Namen gab?

„2,3 m“ steht vor mir in der Seekarte, 2,30 Meter Tiefe, und um uns herum jede Menge Steine unter Wasser. Eine Segelyacht hätte in diesem Gebiet nichts verloren, gerade an einem Tag wie heute, an dem Wellen hier stehen.

Während Henry Schönrock sich fast behutsam durch das Flach und die Nebelsuppe tastet, denke ich über seine Geschichte nach. In einer Sturmböe zu kentern, ist keine ungewöhnliche Erfahrung. Jeder Jollensegler hat so etwas schon erlebt. Plötzlich steht mir die Erinnerung an meine Kenterung an meinem ersten Segeltag auf dem See wieder lebhaft vor Augen. Allein auf dem Meer und im Gewitter ist diese Erfahrung aber noch einmal etwas ganz anderes.

„Die drei sind nur mit T-Shirts und kurzen Hosen bekleidet. Bevor die Böe kam, war es ja ein warmer Tag. Einer trägt einen orangen Regenmantel“, setzt Henry Schönrock seine Erzählung fort. „Nachdem das Boot umgestürzt ist, schaffen es der 55-jährige Vater zusammen mit seinem 23-jährigen Sohn als erste, unter dem gekenterten Katamaran wieder an die Wasseroberfläche hochzutauchen. Dann folgen neben ihnen der 20-jährige Sohn und der Border Collie. Oben herrscht Sturm. Es hat sicher anderthalb Meter Welle, aber irgendwie schaffen es die vier, sich bei diesem Seegang über die glatten Rümpfe hinauf auf das umgeschlagene Boot zu retten, irgendwie hochzuklettern.

Der Katamaran schaukelt, der Wind pfeift. Es ist schlagartig kalt, als das Gewitter über die vier hinwegzieht. Im Nu schlottern die drei Männer in ihren nassen T-Shirts. Kein Handtuch da, um sich abzutrocknen. Keine frische Wäsche. Nur eine Reisetasche, die plötzlich neben dem Rumpf auftreibt, in der zwei nasse Jacken und ein triefender Schlafsack stecken. Das ist alles. Sie greifen sich die Tasche und decken sich damit notdürftig zu, um wenigstens den Wind abzuhalten.

Dann begreifen sie ihre Lage. Ihre Handys sind unter Deck und längst nicht mehr brauchbar. Die Signalraketen ebenso. Außer ihnen ist niemand mehr unterwegs aus dem Meer. Und so halten sie die lange Nacht durch und überleben, fast gegen jede Wahrscheinlichkeit. Bis sie am nächsten Morgen eine Yacht entdeckt und uns alarmiert. Wie sie die Nacht überlebt haben, ist uns ein Rätsel.“

Die Seekarte vor mir auf dem Bildschirm ist ein Muster aus zahllosen kleinen Kreuzen, mit denen die zahllosen Steine unter uns im Wasser markiert sind. Doch das flachgehende Rettungsboot hat nun dreieinhalb Meter unter dem Kiel und der Vormann beschleunigt das Boot, bevor er weiter berichtet: „Wir sind als erste Rettungseinheit vor Ort. Beim Näherkommen sehen wir, wie apathisch die drei sind vor Erschöpfung, Unterkühlung, Übermüdung. Wir steuern unser Schiff längsseits an den Katamaran heran, dann steigt einer der Söhne, dann der Vater zu uns rüber auf die HEINZ ORTH, gefolgt vom Border Collie und dem jungen Mann im orangen Regenmantel. Reden ist in dieser Situation nicht viel. Wir haben zugesehen, dass die Leute aus der Kälte unter Deck und aus den nassen Klamotten kommen und haben sie gleich in warme Decken gehüllt.

In der Zwischenzeit ist auch die EUGEN, der große Seenotrettungskreuzer von der Greifswalder Oie am Unglücksort. Sie haben warme Getränke und trockene Kleidung für die Schiffbrüchigen dabei und laufen mit den drei erschöpften Personen und dem Hund sofort den Hafen von Freest an, wo schon der Notarzt wartet, während wir den Katamaran hinter uns her auf dem Weg, den wir eben gefahren sind, abschleppen. Als wir zurück nach Freest kommen, haben die Notärzte gerade festgestellt, dass den dreien nichts weiter fehlt. Auch das ist erstaunlich. 14 Stunden bei 10 bis 14 Grad in nassen, dünnen Klamotten: ein Rätsel.“

Auch ich denke über die Geschichte des Vormanns von Freest nach. Vielleicht habe ich ja Glück und kann den Mann ausfindig machen, der wie ein schiffbrüchiger Robinson auf seiner Insel mit seinen beiden Söhnen eine Nacht lang ausharrte. Wie hat er es geschafft zu überlebent? Und tatsächlich werde ich einige Wochen später vor ihm stehen.

Ob ihm etwas Besonderes nach diesem ersten Einsatz in Erinnerung geblieben sei, frage ich den Vormann durch das Dröhnen des Schiffes. Da grinst Henry Schönrock. „An zwei Dinge erinnere ich mich ganz besonders: die Freude der Frau, die ihre Familie eine Nacht lang vermisst hatte und nicht mehr damit rechnete, sie lebend wiederzusehen. Und die Frage des Vormanns an mich. Der Einsatz hatte fünf bis sechs Stunden gedauert, er war länger gewesen als üblich. ‚Und? War’s das jetzt für dich bei den Seenotrettern? Magst du nicht mehr?’“ Bei dieser Erzählung blitzt in Henry Schönrocks Augen der Schalk des Freester Fischers. „Vielleicht hat er ja damit gerechnet, dass ich abspringe. Aber da hat er mich schlecht gekannt. Ich wusste für mich: ‚Das ist es‘, und bin dabeigeblieben.“

Plötzlich verlangsamt der Vormann die Fahrt des Schiffes. „Wir sind da“, sagt er, und deutet voraus in die milchige Suppe, aus der die Konturen einer Insel auftauchen: die Greifswalder Oie, eine unbewohnte Insel vor Rügen. Die Seenotretter unterhalten dort eine Station, auf der ganzjährig drei von ihnen Dienst tun. Er geht weiter vom Gas, als wir die schmale Hafeneinfahrt passieren. Ich erkenne die dunkle Steinschüttung der Mole. Kormorane stehen reglos auf den Steinen. Neugierig sehen sie zu uns herüber, während die HEINZ ORTH einen schlanken Viertelkreis in dem winzigen Hafen dreht, hinüber zu dem großen Seenotkreuzer, der an der Pier liegt. BERTHOLD BEITZ steht an der Bordwand, im Vergleich zu ihm nimmt sich die 10 Meter lange HEINZ ORTH wie das winzige Schiffchen eines Kinderkarussells aus. Ein bulliger Mann steht am Heck des Schiffes und nimmt unsere Leinen an, als die HEINZ ORTH längsseits geht.

Als Vormann Schönrock den Motor abstellt, herrscht tiefe Stille auf dem Boot. Und Stille über der Bucht. Nur noch das leise Plätschern an der Bordwand ist zu hören.

„Willkommen auf der Oie. Ich bin Jean Frenzel“, sagt der bullige Mann und reicht mir die Hand vom Achterdeck des Seenotrettungskreuzers herunter, damit ich übersteigen kann. „Man hat mir gesagt, dass Sie die HEINZ ORTH auf der Kontrollfahrt hierher zur Oie begleiten würden. Sie interessieren sich für Geschichten, die sich hier auf der Insel zugetragen haben? Dann wollen wir mal nach oben zur Station auf der Insel gehen. Ich glaube, ich habe da eine Geschichte für Sie ...“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Seenot, die einem Schiff entstandene Gefahr,

die fremde Hilfe notwendig macht (z.B. Leck, Feuer,

Krankheit, Proviantmangel, Antriebsschaden).

In diesem Fall muss der Kapitän Notsignale geben.

 

aus: Brockhaus Enzyklopädie, Mannheim 1993

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Klaus Nadler

Atlantik. Kapverdische Inseln.

Mit der Notpinne in der Hand.

 

 

 

Wenn Klaus Nadler von diesem Tag erzählt, dann erzählt er zuerst von dem phantastischen Morgen auf dem Atlantik. Vom Sonnenaufgang im frühen Januar, weit draußen vor der Küste Afrikas auf halbem Weg zwischen der Kanareninsel Teneriffa und den Kapverden. Er erzählt von der Hundewache, die er übernommen hat, während seine Frau Katrin Trautwein unten in der Achterkajüte schläft. Er berichtet über den eisigen Nordostpassat, der in den frühen Stunden auffrischt und ihre Hallberg Rassy 43 in schneller Fahrt nach Südwesten treibt, auf die 250 Seemeilen entfernte Kapverdeninsel São Vicente und deren Hauptstadt Mindelo zu. Wie sich der großgewachsene Mann in den Morgenstunden vor dem eisigen Wind auf dem Cockpitboden zwischen Niedergang und Steuersäule in seinen Klappsitz kauert. Wie es wärmer wird, kaum dass die Sonne im Osten aufgeht, dort, wo irgendwo hinter der Kimm Afrika liegen muss. Wie die Wellen schräg von hinten anrauschen, erst das Heck der SAPHIR sanft anheben und das schwere Schiff beschleunigen, bevor sie darunter durch schäumen und das Schiff für einen kurzen Moment im Wellental achtlos liegen lassen, bis die nächste Welle kommt und das Spiel von neuem beginnt.

Es brauchte weite Wege, Abschiede und Umwege im Leben, bis Klaus Nadler genau hierher gelangte. In der Nähe von Tübingen aufgewachsen, will er raus aus dem Dorf und weg vom großväterlichen Handwerksbetrieb. Er studiert Wirtschaftsingenieur, wird Consultant in einer namhaften Beraterfirma. Klaus Nadler ist nicht nur im Job zu ungewöhnlichen Leistungen bereit. Weil die Auseinandersetzung mit der Natur ihn reizt, geht er weg von der jugendlichen Segelei auf dem Bodensee und erst mal auf den Berg. 2001 auf den Kilimandscharo, drei Jahre später auf den Aconcagua, 2007 bei minus 45 Grad Kälte auf den Mount Vinson, den höchsten Berg der Antarktis. 2009 nach eineinhalb Jahren Vorbereitung auf den Cho Oyu, einen Achttausender. Dann will er auf den Mount Everest.

Doch eineinhalb Jahre Vorbereitung auf dieses Abenteuer werden zunichte, als innerhalb von Minuten der Aufstieg zum Dach der Welt wegen schweren Wetters, mehrerer Bergtoter und gesundheitlicher Probleme zu riskant wird. Unter Tränen entscheidet Nadler sich, seinen langjährigen Himalaya-Traum aufzugeben, weil die Natur wieder einmal stärker ist. Seine Erlebnisse am Mount Everest prägen ihn, danach ist für ihn Schluss mit höchsten Gipfeln. Ein einfacher Chartertörn in Griechenland bringt ihn zusammen mit Katrin aufs Meer zurück und beschert ihm einen neuen Traum. Den, zu zweit für ein Jahr auszusteigen. Und nur zu segeln, vielleicht sogar einmal um die Welt.

Bevor sie sich für den Kauf eines eigenen Schiffes entscheiden, prüfen sie sich mit einer echten seglerischen Herausforderung. Ende März 2013 segeln sie auf einer Bavaria 51 von den Azoren nach Cherbourg/Frankreich. 13 Tage Sturm auf dem Nordatlantik – ein Härtetest, ob der Traum vom Törn nicht schnell zum Albtraum wird. Doch der Traum bleibt. Acht Jahre nach dem Mount Everest sitzt Klaus Nadler nach etlichen Atlantik-, Mittelmeer- und Ostseetörns an diesem Tag in der frühen Morgensonne, um mit Katrin von Gibraltar über die Kapverden nach Trinidad und von dort aus weiter über den Atlantik und wieder zurück zu segeln. Ein langer Weg für einen Sommer.

In drei Tagen haben sie mehr als 400 Seemeilen von Teneriffa zurückgelegt. Alles läuft an diesem Morgen. Der Wind, der sie unter dem weit auskragenden Vorsegel konstant nach Südwesten bläst. Die hohen Wellen von hinten, die den Takt angeben, den Rhytmus des gleichmäßigen Hebens und Schiebens, den Takt des Beschleunigens und Abbremsens, in dem sich die vier Jahre alte Hallberg Rassy auf ihr Ziel zubewegt. Mit der aufgehenden Sonne kommt die Wärme und vertreibt die Kälte der durchwachten Nacht aus den Gliedern. Der Autopilot, fängt die SAPHIR kraftvoll wieder ein und bringt sie auf Kurs, wenn eine Welle es mal zu bunt treibt und am Heck detoniert. Als die Sonne an Kraft gewinnt, wird es Zeit fürs Frühstück – nicht einfach bei den Rollbewegungen des Schiffes. Nadlers Frau Katrin hat bereits alles vorbereitet. Weil der klappbare Comfort Seat auf dem Cockpitboden stört, legt Klaus ihn zusammen und deponiert ihn hinter dem Ruderrad auf dem Steuermannssitz.

Und dann passiert das im ersten Moment unscheinbare Malheur. Es ist nur eine Kleinigkeit, doch sie setzt eine Kettenreaktion in Gang. Eine Welle bringt den Sitz ins Rutschen und er verklemmt sich zwischen Steuerrad und Steuersäule. Das Steuerrad ist blockiert, der Autopilot arbeitet gegenan. Aus der Eignerkabine, unter der die Ruderanlage untergebracht ist, kommen Töne, die niemand hören möchte. Klaus Nadler reagiert blitzschnell, zieht mit aller Kraft den Klappsitz wieder heraus und geht sofort auf Handsteuerung.

Schnell wird klar, dass die Ruderanlage Schaden genommen hat. Die SAPHIR macht riesige Kursausschläge, sie scheint jetzt in weiten Kurven und Bögen zu laufen. Die beiden Segler versuchen, auf dem rollenden Schiff den Schaden zu lokalisieren, doch augenscheinlich lässt sich weder an der Steuersäule noch an der Übertragung etwas feststellen. Unter Motor testen sie die Steuerung. Das Steuerrad dreht fast eine Umdrehung leer nach jeder Seite, bevor das Ruder anspricht. Außerdem hören sie knirschende Geräusche, die von dem frei mitlaufenden Autopiloten unter dem Bett zu kommen scheinen. Sie vermuten einen Fehler im Gerät, aktivieren den zweiten Autopiloten, und halten unter Motor weiter Kurs nach Süden auf Mindelo zu, in weiten Schlangenlinien, die einen ahnungslosen Beobachter an einen volltrunkenen Steuermann denken ließen.

Bis Mindelo sind es noch 35 Stunden, geplante Ankunft in der zweiten Nacht. Die beiden beschließen, so nahe wie möglich an Mindelo heranzukommen und dann zu entscheiden, ob sie den Landfall noch in der Nacht wagen oder bis zum nächsten Morgen warten wollen. Treibstoff ist ausreichend im Tank – vorausgesetzt, dass sich die Probleme nicht verschlimmern. Das Paar ist halbwegs guter Dinge.

Zugleich versuchen sie, Kontakt zu den Seenotrettern auf Mindelo aufzunehmen. Vielleicht könnte man sie dort noch in der Nacht in den Hafen schleppen? Sie wählen die Nummer der Coast Guard in Mindelo auf ihrem Satelitentelefon. Doch da meldet sich niemand. Selbst nach mehreren Stunden hebt in Mindelo niemand ab.

Genervt rufen sie die deutsche Seenotrettungsleitstelle in Bremen an. Dort ist sofort jemand am Telefon. Sie geben ihre Position und ihr Problem durch. MRCC Bremen verspricht, die Coast Guard in Mindelo zu kontaktieren. Am nächsten Morgen melden sich die Seenotretter mit der Mitteilung, die Coast Guard nicht erreicht zu haben. Dafür haben sie Kontakt zu einem deutschen Hochseesportfischer in Mindelo, der versuchen könnte, die SAPHIR in die Marina zu schleppen. Ein Notnagel.

Danach meldet sich Bremen Rescue erneut. Sie hätten in Mindelo ein Restaurant in der Nachbarschaft zur Coast Guard identifiziert. Die Segler sollten dort anrufen, ob nicht das Restaurant eine Person über die Straße zur Coast Guard schicken und diese informieren könne. Das klappt. 20 teure Minuten später haben die beiden Segler die Coast Guard am Satellitentelefon, erneut schildern sie Problem, Position und AIS-Kennung. Die kapverdischen Seenotretter versprechen, sie am Eingang des Kanals zwischen den Inseln Santo Antão und São Vicente zu erwarten, um sie dann entweder in die Marina zu eskortieren oder notfalls dorthin zu schleppen. Immerhin, keine 28 Stunden nach dem Zwischenfall sind alle relevanten Rettungsstellen informiert und eine etwaige Rettung sichergestellt. Das beruhigt die Segler zunächst.

Als nächstes macht sich Klaus Nadler mit der Steuerung der SAPHIR über die Notpinne vertraut – für den Fall der Fälle, falls die Steuerung über das Ruderrad ganz ausfallen sollte. Er ist nicht unerfahren, schließlich hat er den Einsatz der Notpinne mal im Rahmen eines Schwerwettertrainings im Frühjahr in der Nordsee geübt. Doch das war auf einer Swan, nicht auf einer Hallberg Rassy 43. Anders als auf anderen Schiffen kann Klaus Nadler auf seinem Schiff die Notpinne nicht oben an Deck bedienen, sondern nur unter Deck, in der geschlossenen Achterkoje sitzend. Also räumt er in der Eignerkabine zunächst die Matratzen und Betten aus der Koje und steckt dann das kurzarmige T der Notpinne aus starkem Edelstahl direkt auf den Ruderquadranten.

Als er testweise die Yacht aus seinem neuen Steuerstand steuert, stellt er fest, dass die Steuerung extrem hart und direkt ist. Und ihn ungewöhnlich viel Kraft kostet. Außerdem muss der Skipper zur Bedienung halb liegend, halb kauernd eingeklemmt auf dem Lattenrost des Bettes liegen.

Aber das Schlimmste ist: Er ist unter Deck jeder Sicht nach draußen beraubt. Zudem fehlt in seinem provisorischen Steuerstand in der Achterkabine jede Möglichkeit, den Kurs seines Schiffes zu prüfen und zu korrigieren. Eine Stunde verbringen die beiden Segler am Nachmittag damit, das Steuern des Schiffes unter Motor und Notpinne zu trainieren. Ohne Kompass, ohne Sicht, ohne Karte scheint ihnen das zuerst unmöglich. Abhilfe schaffen der kleine Handkompass und ein iPad mini, das sich Klaus auf dem Lattenrost vor sich zurechtlegt, und das die Position der SAPHIR in der elektronischen Seekarte anzeigt.

Als die Nacht kommt, sind sie den Lichtern der Katzenbucht der Ilha de São Vicente nahe. Doch gut 3 Seemeilen vor der Einfahrt in den über 3 Meilen breiten Kanal zwischen den Inseln nimmt durch die Düse auch der Wind zu. Auf 35 Knoten, rund 65 Kilometer pro Stunde oder 7 Beaufort, klettert die Anzeige. Weil der Grund vor den Inseln ansteigt, beginnen die Wellen steiler zu werden und zu brechen. In diesen Momenten fällt der Autopilot aus. Auch am Ruderrad geht nichts mehr: Es dreht leer durch, mit dem Rad lässt sich die SAPHIR nicht mehr auf Kurs halten. Auf dem Meer ist viel los. Fischer, Fähren, Trawler sind in dieser Nacht unterwegs. Das Schiff treibt auf die schroffen Felsen der Baia das Gatas zu. Es bleibt nur noch die Notpinne.

Aber was draußen auf dem offenen Meer bei langen Wellen und deutlich weniger Wind gut klappte, entpuppt sich hier im Kanal als echte Herausforderung. Klaus Nadler sitzt auf dem blanken Lattenrost seines Bettes und stemmt sich ein, er braucht alle Kraft, um mit einem Arm die unter der Koje verbaute Ruderwelle mit der Notpinne zu bewegen. In der anderen Hand hält er das iPad mini, das ihm im funzeligen Licht der Heckkoje seinen Kurs anzeigt.

Über ihm, in Rufweite über dem offenen Achterluk, steht seine Frau, die ihm im Starkwind Kurs und Position der umliegenden Schiffe zuruft, damit der Segler nicht mit einem der zahllosen Schiffe kollidiert. Über Satellitentelefon informieren sie die Coast Guard über ihre Situation. Die Retter versprechen, in zwei Stunden bei dem havarierten Schiff zu sein.

Nadler versucht weiter, die SAPHIR aus seiner Koje heraus quasi im Blindflug zu steuern. Kartenplotter und GPS auf dem iPad Mini sind seine Sehhilfen in dieser Nacht, doch das GPS auf dem iPad erweist sich als zu träge, es braucht 10, 20 Sekunden, bis es Kursänderungen auf dem kleinen Bildschirm sichtbar macht. Selbst mit Handkompass braucht Nadler wieder und wieder Zeit, um seinen Kurs zu korrigieren, weil der lose Kompass mit den Schiffsbewegungen in der Achterkoje hin und her schleudert. Wegen des Schiffsverkehrs und ohne Sicht hat er Sorge, mit einem anderen Schiff zu kollidieren.

Ein ums andere Mal droht die SAPHIR bei dem Versuch, auf Kurs zu bleiben, im Starkwind querzuschlagen. Nadlers Hand krampft sich um das schwere Edelstahlrohr der Notpinne, er drückt mit aller Kraft. Langsam lernt er, mit seinen Kräften hauszuhalten und weite Ausschläge zu vermeiden. Seine Hände schmerzen, er macht nur kleine Bewegungen, mit denen er das Schiff unter Motor langsam in Richtung des Kanals zwischen den Inseln lenkt. Doch je näher er den Inseln kommt, umso heftiger brechen sich die Wellen.

Dann schlägt das Schiff quer und legt sich schwer auf die Seite. Eine Welle bricht genau an der Bordwand. Sie überspült Achterschiff und Cockpit, durch das offene Luk stürzen Hunderte Liter Salzwasser auf den steuernden Skipper in seiner Achterkoje. Er sitzt in einem Salzwasserbad und kann nur zusehen, wie das Wasser sich seinen Weg von der Schlafstelle nach unten sucht, als das Schiff wieder aus den Wellen hochkommt, sich aufrichtet und auf seine instinktive Ruderkorrektur reagiert. Nadlers Frau kann sich oben festhalten, nur das triefende iPad mini vor ihm leuchtet unbeeindruckt aus Dunkelheit und Nässe und zeigt weiter den Kurs an.

Wo bleibt die Coast Guard? Sie sollte längst da sein! Doch die kapverdischen Retter können die SAPHIR in dem Wust an Lichtern und Fahrzeugen, die in dieser Nacht auf dem Wasser unterwegs sind, nicht ausmachen. Nadler versteht nicht, warum sie die SAPHIR nicht anhand des AIS orten können. Zwei Stunden steuert Klaus Nadler weiter sein Schiff, während Katrin von oben an Deck aus versucht, über Funk ihre genaue Position an das Rettungsboot durchzugeben. Immer wieder bittet die Küstenwache um Lichtsignale von der SAPHIR, um das Schiff zwischen anderen schneller zu identifizieren. Doch mittlerweile sind alle Taschenlampen an Bord ausgefallen, die Batterien erschöpft. Die Toplichter funktionieren noch. Katrin Trautwein geht hinunter ans Panel und schaltet dort das Toplicht ein und aus, um mit diesem Blinksignal ihren Standort den Seenotrettern zu signalisieren.

Dann haben sie endlich das Rettungsboot in Sicht. Soviel sie in der Nacht erkennen können, ist es nicht mehr als ein überdimensioniertes Schlauchboot mit dicken seitlichen Gummikammern, mit dem sie sich, als es nur wenige Meter parallel zur SAPHIR fährt, in Rufweite verständigen können. Wegen der Wellen und des starken Windes können die kapverdischen Retter in der Nacht nur vom Parallelkurs aus versuchen, eine Trossenverbindung herzustellen. Ein Ball mit einer Pilotleine fliegt mit dem Wind vom Rettungsboot herüber, Nadler stürzt aus seinem Unterdeck-Steuerstand an Deck und versucht mit aller Kraft, die Pilotleine samt der schweren Schlepptrosse durchs Wasser zu sich aufs Vordeck der SAPHIR zu zerren und an deren Bugklampe zu befestigen. Brutal zerrt die Schlepptrosse an der Bugklampe der SAPHIR, als das Boot der Seenotretter anzieht. Nach einer halben Stunde angespannter Fahrt, gegen 2 Uhr am Morgen, erreichen die kapverdischen Retter mit der havarierten SAPHIR im Schlepp die Bucht von Mindelo. Die Wellen werden kleiner, in der Hafenbucht ist die See plötzlich ruhig. Der Windmesser zeigt nur noch wenige Knoten Wind an. Die Coast Guard nimmt die SAPHIR nun an die Seite und bugsiert sie sanft an den Anlegesteg in der Marina, wo trotz der nächtlichen Stunde jede Menge Leute warten, Segler, Marinamitarbeiter, Offizielle in Uniform, die sie fröhlich begrüßen und zu ihrer Rettung beglückwünschen.

Um vom Adrenalin wieder runter zu kommen, kochen die beiden Segler um 03:00 Uhr nachts Spaghetti Bolognese und öffnen eine gute Flasche spanischen Rotwein, bevor sie in unruhigen Schlaf sinken.

Zwei Tage benötigen sie, um dem eigentlichen Defekt der Ruderanlage auf die Schliche zu kommen. Anders als die meisten Yachten erfolgt auf ihrem Schiff die Kraftübertragung vom Steuerrad aufs Ruder nicht über Drahtzüge und Umlenkrollen, sondern über Stangen und Kardangetriebe. Der Komfortsitz hatte das Steuerrad so blockiert, dass an den Zahnrädern des Kardangetriebes zwei Zähne zerstört wurden und für die weiten Ausschläge der SAPHIR in den Seen sorgten.

Nadlers Versuche, in Mindelo ein neues Getriebe aufzutreiben, scheitern erst mal. Nicht am Preis von 3000 Euro, sondern weil es Wochen dauern würde, bis das Ersatzteil auf den Kapverden einträfe. Stattdessen findet er einen Mechaniker, der Zahnräder reparieren und fräsen kann. Dieser ersetzt die fehlenden Zähne, indem er Material aufschweißt und in der Zahnfräsmaschine dann die Zähne fast sauber ausfräst. Die einfache Reparatur in der kapverdischen Werkstatt kostet 60 Euro.

Fragt man Klaus Nadler, ob ihn sein Erlebnis verändert hat, antwortet er präzise. „Ich kannte Stresssituationen aus den Bergen und wusste, dass ich ruhig und überlegt bin. Dass mein Gehirn funktioniert und ich sehr klar den nächsten und vor allem gleich den übernächsten Schritt planen kann.

Geblieben ist das Gefühl, dass Katrin und ich uns zu 100 Prozent aufeinander verlassen können. Weder Katrin noch ich fielen wegen Panik aus. Wir wussten auch voneinander, dass jeder von uns in einer Notsituation funktioniert. Ich wusste, dass ich mich völlig auf sie verlassen kann, dass sie stark ist und nicht hilflos ausfällt, sondern ihren Job weiter macht.

Positiv war auch, dass wir die Notpinne intensiv ausprobiert hatten und die Lösung mit dem iPad fanden. Durchs Ausprobieren wussten wir um die Schwierigkeiten. Wir haben die Situation, nachdem wir unter Motor einigermaßen sicher liefen, x-mal durchgesprochen, haben durchgespielt, wie das Notpinnen-Manöver abläuft, wenn wir ankommen, falls uns die Küstenwache nicht rechtzeitig aufgreift.

Man kann eine Situation nicht oft genug durchspielen. Das mentale Training, ‚Was mache ich, wenn?’, ist entscheidend. Gerade wenn man zu zweit ist, braucht man eine gemeinsame Sprache. Die Verständigung muss vorher geübt werden. Wenn der Adrenalinpegel ganz oben ist, muss das funktionieren. So gut ich in der tatsächlichen Gefahrensituation auch agiert habe, so sehr habe ich doch einen Riesenfehler begangen. Es hätten sich deutlich weniger Schwierigkeiten ergeben, wenn ich gründlicher nach der Ursache für den Steuerungsausfall gesucht hätte. Wir waren zunächst einfach froh, unter Motor einigermaßen in Sicherheit zu sein. Ich hätte allerdings viel mehr Ursachenforschung betreiben und durchprobieren müssen, wo der Defekt denn wirklich steckt. Dann hätte ich festgestellt, dass das Getriebe kaputt ist. Es wäre dann ein Einfaches gewesen, das Getriebe abzuklemmen und das Boot nur mit dem zweiten Autopiloten bis Mindelo zu segeln. Vielleicht wäre das Anlegen unter Autopilot ungewohnt gewesen. Aber dabei hätte uns sicher die Coast Guard unterstützt.“

Ob seine Angst beim Segeln größer geworden ist, frage ich Klaus Nadler. „Ich hatte bereits beim Bergsteigen gelernt, dass ich mich stets dort vorsichtiger bewege, wo es offensichtlich gefährlicher ist. Ich versuche mir heute eher klarzumachen, dass in scheinbar ungefährlichen Situationen, wie beim Gang durchs hell erleuchtete Treppenhaus, mehr Unfälle passieren als bei schummrigem Licht, wo jeder erhöhte Vorsicht walten lässt. Übersetzt heisst das: Wenn ich über Gefahren in meinem Leben nachdenke, finde ich es heute weitaus riskanter, mit 150 Sachen über die Autobahn zu brettern.“

Klaus Nadler und seine Frau Katrin blieben mehrere Tage auf den Kapverden. Mitte Februar segelten sie von dort in 13 Tagen über den Atlantik nach Barbados und verbrachten die Saison auf den kleinen Antillen. Die karibische Hurrikanzeit von Mai bis November blieben sie an der amerikanischen Ostküste und segelten bis hinauf nach Maine und dann wieder zurück nach Annapolis in der Chesapeake Bay.

„Das Getriebe, das der Mechaniker in Mindelo repariert hatte, hielt die ganze Reise über den Atlantik und zurück. So, als hätte es den Ruderschaden und Fast-Schiffbruch nie gegeben. Erst bei einem späteren Rückflug von Deutschland nach Trinidad brachten wir das neue schwere Mambagetriebe mit auf die SAPHIR. Es braucht nur fünf Schrauben, um es einzubauen. Wir haben das alte ersetzt, nicht weil es schadhaft geworden wäre, im Gegenteil. Sondern weil wir das Gefühl hatten, dass es irgendwie doch ein defektes Getriebe ist. Aber vielleicht ist das bloß reiner Aberglaube. Wir planen jedenfalls gerade die Fortsetzung unserer Reise auf unserem Schiff: die großen Antillen, Mittelamerika, den Panamakanal, Alaska, die Galapagos-Inseln und dann weiter zu den Osterinseln.“

Als ich mich von Klaus Nadler verabschiede, beschäftigt mich an seiner Geschichte neben dem Gedanken an die Notpinne auf meinem Schiff vor allem die Kettenreaktion, die ein banaler Alltagsgegenstand, wie ein achtlos abgestellter Klappsitz, auf einem Boot in Gang setzen und eine kleine Crew vor einige Herausforderungen stellen kann.

Auf einem Schiff entsteht Unheil, wenn drei Dinge zusammenkommen: Etwas, das nicht mehr funktioniert, kann eine erfahrene Besatzung selten in die Bredoullie bringen. Doch in Verbindung mit einer ungewöhnlich konstruierten Notpinne und einem nächtlichen Landfall bei 35 Knoten Wind auf einer unbekannten Insel kann eine Situation entstehen, die außer Kontrolle gerät.

Ob es meine „Regel der drei Dinge“ wirklich gibt? Für dieses Buch werde ich Skipper, Profisegler und Seenotretter besuchen und interviewen. Vielleicht wird mir diese Regel bei meinen Gesprächen häufiger begegnen? Am offensichtlichsten ist diese Gesetzmäßigkeit wenige Wochen später in der Begegnung mit einer Skipperin auf einem Folkeboot, das an einem friedlichen Septembersonntag auf der Flensburger Förde seinen Kiel verliert. Aber das ist eine andere Geschichte.


Seenot, französisch:

„Situation de détresse“

„Etre en perdition“

deutsch.: „Am Rande des Abgrunds sein“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Loïck Peyron

Atlantik. Biskaya.

„Ich bin ein Optimist-Fatalist.“

 

 

 

Auf dem Weg zu Loïck Peyron. Nach der Ankunft um Mitternacht im verregneten Nantes liege ich lange wach. Ich habe ein winziges Hotelzimmer gleich am Gare de Nantes, unten im Souterrain. Vor meinem Fenster liegt das Fallrohr der Dachrinne und gurgelt weit in meinen dämmrigen Schlaf hinein. Irgendwann halte ich die Uhr vor meine Augen: 05:30 Uhr.

In drei Stunden treffe ich Loïck Peyron. Wir sind fast gleich alt, Ende 50. Was hat dieser Mann alles erlebt, der den Atlantik mehr als 50 Mal überquert und die Welt vier Mal umrundet hat, während ich am Schreibtisch saß?

Zudem ist er schneller unterwegs als die meisten. Er segelt häufig Trimarane, auf Schnelligkeit gebaute dreirümpfige Boote – große, kleine, wie es gerade kommt. Und er segelt häufig einhand, also allein auf sich gestellt. Tut er es nicht, führt er Teams in die großen Regatten: Transat Jacques Vabre, Vendée Globe, America‘s Cup, die großen Namen.

Unsere erste Begegnung war eher zufällig. Ein halbes Jahr zuvor hatte er als Markenbotschafter eines großen Autokonzerns einen Vortrag gehalten. Ein drahtiger, quirliger Mann, dessen Gesicht mit den buschigen Augenbrauen die Zuhörer anzieht wie ein Magnet, während er in französisch gefärbtem Englisch ein Feuerwerk aus Mimik, Erlebnissen und klugen Erfahrungen abbrennt. Ich weiß nicht, ob Loïck je in Seenot war, ich habe es vor unserer Begegnung nicht abgeklärt. Ich bin neugierig auf ihn, ich weiß nur, er hat etwas zu sagen. Auf meine Frage, ob ich mit ihm über das Thema Seenot sprechen könne, schreibt er einfach: „Komm!“

Als ich nach einer Stunde Zugfahrt aus dem Bahnhof des kleinen Ortes an der Loiremündung in die wehenden Regenfahnen hinaustrete, steht Loïck Peyron wie verabredet da, als könnte das nicht anders sein. Es regnet, ein heftiger Südwest beugt die Bäume. Am späten Oktober und seiner Unbill ändert auch das Zauberwort „Ich bin in der Bretagne“ nichts, da kann ich es flüstern, so oft ich will. Loïcks Haus liegt zehn Minuten vom Bahnhof entfernt am Meer. „Oh là là“, sagt er, als er am großen Fenster seines Wohnzimmers steht und hinausschaut in die vom Südwesten herandonnernden Grundseen. „Das hat ganz schön Wind heute.“ Er sagt diesen Satz nicht leichthin. Er spricht ihn für sich, als wäre er nicht hier, sondern bei denen, die jetzt draußen sind in diesen Seen auf der Biskaya, als spüre er in diesem Moment ihre Empfindungen, dieses Gemisch aus Erschöpfung und Nässe, Glücksgefühl und Bangen.

Ob er und seine Frau nach all den Jahren denn noch Wasser sehen könnten? Da schaut mich das zerfurchte Gesicht mit den buschigen Augenbrauen nur kurz an: „Aber ja. Ich lebe seit 40 Jahren hier an diesem Ort. Ich bin zwar viel unterwegs, aber dies ist der Platz, an dem ich lebe.“

Das Haus am Meer scheint in den brechenden Wellen zu erzittern. Ein dumpfes Grollen ist um das Gebäude, verstärkt durch den Wind. Als ich Peyron frage, ob er schon einmal in Seenot geraten war, kommt seine Antwort schnell und mit dem mutwilligen Jungen-Lächeln, mit dem einer in der Kurve vom Motorrad fliegt und gleich danach lachend wieder aufsteht. „Oh ja. Ich war öfter in Seenot.“

Und dann erzählt Loïck Peyron sein Leben. Es ist ein Lebenslauf in Seenotfällen. Solche, die ihn veränderten, als er davon hörte. Solche, die er erlebte, und die ihn prägten.

Zum ersten Mal kommt er mit dem Thema in den frühen 70ern in Berührung. Er ist 14 und streicht um alles herum, was mit Booten und dem Segeln zu tun hat. Im Wintertraining in La Trinité-sur-Mer in der Südbretagne erzählen seine Teamkollegen eines Abends von einem Unglück im Ärmelkanal. Docteur D., so nennt Loïck Peyron ihn, ist mit Frau und Kindern auf seiner Super Harlequin auf dem Weg von Frankreich nach England unterwegs, als seine Yacht bei Starkwind und schlechtem Wetter mit einem im Wasser treibenden Gegenstand kollidiert. Der Wind weht hart. Die Yacht schlägt leck und ist im Nu dabei, mitten im Kanal zu sinken. Handy, Smartphones, Distress Buttons gibt es damals noch nicht, wer in den 70ern segelt, ist „unplugged“, wie Loïck Peyron es nennt – ohne Verbindung und auf sich gestellt. Der Mann lässt seine Rettungsinsel ins Wasser fallen, sie bläst sich ordnungsgemäß auf. Während die Yacht hilflos in brechenden Seen und Regenschauern treibt und langsam vollläuft, befestigt er die Rettungsinsel am Heck des Schiffes. Packt Trinkwasser, Lebensmittel, Dokumente hinein. Bittet dann seine Frau, mit den Kindern in die Rettungsinsel zu gehen. Erst springt sie hinüber, dann die Kinder. Als alle sicher in der Rettungsinsel sind, klettert der Skipper ein letztes Mal zurück an Bord, um noch einmal unter Deck zu gehen.

Als er sich unter Deck durchs Wasser zurück zum Niedergang und hinauf ins Cockpit kämpft, ist die Rettungsinsel weg. Vielleicht hat er sie in der Nervosität mit dem falschen Knoten am Heck befestigt, vielleicht hat sie sich im Sturm losgerissen: Jedenfalls ist die Rettungsinsel samt seiner Frau und den Kindern fort. Er brüllt in die Regenfahnen, er schreit gegen das Schicksal an. Aber er kann sie da draußen nicht mehr ausmachen.