Impressum

Wolfgang Neuhaus

Die Überschreitung der Gegenwart –

Science Fiction als evolutionäre Spekulation

© 2018 by Wolfgang Neuhaus (Text)

Mit freundlicher Genehmigung des Autors

© dieser Ausgabe 2020 by Memoranda Verlag

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Erik Simon

Korrektur: Christian Winkelmann

Gestaltung: s.BENeš [www.benswerk.wordpress.com]

Memoranda Verlag

Hardy Kettlitz

Ilsenhof 12

12053 Berlin

www.memoranda.eu

ISBN: 978-3-948616-20-5 (Buchausgabe)

ISBN: 978-3-948616-21-2 (E-Book)

Inhalt

 

Impressum

Inhalt

Meine Affäre mit dem SCIENCE FICTION JAHR

THEORIE

»Das Raumschiff zerstört die klassische Lebensform«

Ein Genre vor der (Selbst)Auflösung?

Im Banne des Hyperraums

Fremdheit ist schwer zu ertragen

Am Vorabend der Singularität

Fantasieren auf der großen Skala

BÜCHER

Am Nullpunkt der Posthumanität

Ein Realismus der höheren Art

Die Geschichte des Shrike

Zukunft als Farce

Ein Instrument der Sehnsucht

Wider den Empirismus der fantastischen Vernunft

MEDIEN

Cyberface Max Headroom

Auf der Suche nach einer »Meta-Dramaturgie«

Simulation mit System

2001 und die Frage der Transzendenz

Der Sturz in den Cyberspace

Das Posthumane in der Popkultur

Wolfgang Neuhaus

Sachbücher und deutsche Phantastik bei MEMORANDA

Meinen Eltern gewidmet

Meine Affäre mit dem SCIENCE FICTION JAHR

Ein Vorwort

Dieses Buch versammelt eine Reihe von Texten, die ich zwischen 1995 und 2014 für DAS SCIENCE FICTION JAHR geschrieben habe, das in dieser Zeit im Heyne Verlag erschienen ist. Die Texte sind drei verschiedenen Rubriken zugeordnet: Theorie, Bücher und Medien. Der Theorie-Teil beschäftigt sich vornehmlich mit allgemeinen Aspekten der SF, während die beiden Abschnitte zu Büchern und Medien überwiegend konkrete Werke aus Literatur und den visuellen Medien vorstellen. Die erneute Veröffentlichung bei Memoranda bietet mir eine willkommene Gelegenheit, die Entstehung der Beiträge Revue passieren zu lassen.

Der Einstieg lief über einen Umweg. 1990 traf ich Günther Luxbacher bei der Ars Electronica in Linz, bei der wir uns einige Jahre zuvor kennengelernt hatten. Das neue spektakuläre Thema war Cyberspace/virtuelle Realität (siehe auch den Text »Der Sturz in den Cyberspace« in diesem Band). Günther musste aus irgendwelchen Gründen früher nach Wien zurück und er bat mich, die Berichterstattung über die weiteren Tage zu übernehmen. Das Resultat war unser gemeinsamer Beitrag im SF-Jahr 1991, der aber wie andere Jahrbuch-Texte auch, in denen ich mich mit den Perspektiven von Technik und Utopie auseinandergesetzt habe, in diesem Band unberücksichtigt geblieben ist.

Im gleichen Jahr legte ich bei einem Workshop an der Westberliner Akademie der Künste Wolfgang Jeschke ein Konzept für den MAX HEADROOM-Text vor. Er akzeptierte es. Allerdings ließ ich mir mit dem Schreiben Zeit, sodass der Essay durch weitere Verzögerungen erst 1995 publiziert werden konnte. Unfassbare dreißig Jahre ist es her, dass MAX HEADROOM auf Video und danach im Fernsehen zu sehen war. Es war damals ungewöhnlich, dass TV-Serien überhaupt in der Ausleihe zu bekommen waren (im Unterschied zur heutigen Serienflut auf DVD in den verbliebenen Videotheken). Max ist sicherlich eine der besten Serienfiguren, die das Fernsehen hervorgebracht hat, und ich bin gespannt, ob in naher Zukunft sich nicht jemand an einem Remake versuchen wird – diesmal als »richtige« Computeranimation.

MAX HEADROOM interpretierte ich als satirische Variante des Cyberpunk. Da die Rezeption dieses Subgenres in Deutschland erst mit Verzögerung einsetzte, hatte ich den Ehrgeiz entwickelt, einen Überblickstext anzufertigen. Mit diesem Plan bin ich aber gescheitert. Meine Lösung war die Montage verschiedener Textsorten unter dem Titel »Am Nullpunkt der Posthumanität«, die im gleichen Jahrbuch wie der Essay zu MAX HEADROOM erschien. Für diesen Band ist der Text gekürzt worden. Aussagen von Schriftstellern und Romanauszüge sind zur Absetzung mit Absicht kursiv gesetzt.

Ich hatte mit Wolfgang Jeschke einen Aufsatz zum Thema Internet und SF verabredet, den ich aber nicht abgeliefert habe (Jürgen Thomann vollbrachte diese Aufgabe mit Bravour für das SF-Jahr 1997). Ich schickte zwei Jahre später ein Manuskript zu Heyne, in dem ich mir die Ansätze einer »Meta-Dramaturgie« vornahm – von Online-Spielen bis hin zu Studien zum »Holodeck«.

Matrix ist ein Film, der mich schlichtweg umgehauen hat (1999 war überhaupt ein sensationelles Kinojahr mit Filmen wie Fight Club oder Being John Malkovich). Ich bin immer noch beinharter Fan des ersten Teils; die beiden Fortsetzungen waren ziemlich überflüssig. Der Film ist kontrovers diskutiert worden, ich hob fürs SF-Jahr 2000 mehr auf eine politische Lesart ab als auf eine philosophische oder gar eine religiöse.

Gotthard Günther habe ich als Technikphilosoph Mitte der Neunziger entdeckt. Erst später wurde mir klar, welche Rolle er für die SF in der jungen Bundesrepublik innehatte. 1998 verbrachte ich zwei spannende Tage mit Lektüre in seinem Nachlass in der Berliner Staatsbibliothek, in dem auch unveröffentlichte Manuskripte aufbewahrt werden. Mein Essay zu Günther kam 2001 heraus.

2002 verfasste ich den ersten von drei allgemeinen Kommentaren zur SF. Seitdem sind fünfzehn Jahre vergangen. Die Krise der deutschen SF ist keineswegs vorüber (Derweil hat allerdings ein Boom deutscher Fantasy stattgefunden). Ich vermute nur, dass genau aus diesen Gründen, die ich damals angesprochen habe, weiterhin SF-Topoi in die allgemeine Literatur wandern, wie in den letzten Jahren vielfach geschehen. Ich erinnere nur an den phänomenalen Erfolg von David Mitchells Der Wolkenatlas. Der Text selbst ist weitgehend gleich geblieben. Einen Satz in dem Abschnitt »Die Geschichte der SF« habe ich gestrichen – einen Satz, in dem ich zu spekulationsfreudig war, wie Michael K. Iwoleit monierte.

Also sprach GOLEM zählt für mich zu den großen Alterswerken von Stanisław Lem. In der Einleitung meiner Darstellung des Buches im gleichen Jahrbuch zitiere ich kurz einige Aussagen seiner Kritiker. Lem ist kein perfekter Schriftsteller – wer ist das schon? –, aber mir fällt auf, dass sich wenige auf sein Terrain begeben haben.

»Im Banne des Hyperraums« war 2003 ein Auftragswerk fürs Jahrbuch. Es war angenehm, mal eine ganze Reihe von Büchern als Paket zu empfangen. Als Problem stellte sich aber heraus, dass ich weder ein Space-Opera-Kenner noch -Liebhaber gewesen bin. Nach langer Zeit, in der ich den Text lieber ausblendete, bin ich aber nach einem erneuten Lesen doch etwas versöhnt – sicher, der Aufsatz hat Lücken, aber ich ziehe mich achtbar aus der Affäre. Hartmut Kasper hat mich auf eine ungenaue Quellenangabe aufmerksam gemacht, was ich korrigiert habe.

Untergegangen war eine Beschäftigung mit der modernen Space Opera. Iain M. Banks und Dan Simmons handelte ich eher kursorisch ab, andere erwähnte ich gar nicht. Das war ein Grund für mich, die Hyperion-Gesänge von Simmons noch einmal für das Schwerpunktthema »Space Opera« im darauf folgenden SF-Jahr zu behandeln. Mit dieser Ausgabe 2004 begann meines Erachtens die Hochphase des Jahrbuches. Natürlich ist es eine Geschmacks- und Interessensfrage, aber ich halte die teilweise bemerkenswert umfangreichen Ausgaben zwischen 2004 und 2011 unter der Ägide von Wolfgang Jeschke und Sascha Mamczak (später noch Sebastian Pirling) für die besten.

Ein Beitrag zu 2001 – Odyssee im Weltraum fand auch den Weg in das gleiche Jahrbuch, obwohl der Anlass eher betrüblich war. Die religionsgesättigte Interpretation des Films durch Alexander Seibold im SF-Jahr 2003 ging mir gegen den Strich. Ich habe den Ursprungstext ergänzt, aber dieser hat den Charakter einer Auseinandersetzung mit Seibold beibehalten.

Neal Stephenson ist mittlerweile zu einem Autor geworden, der ähnlich wie J. G. Ballard oder P. K. Dick sein eigenes Publikum außerhalb des SF-»Ghettos« geschaffen hat. Ich habe 2005 seine SF-Romane vorgestellt, mit denen er innerhalb des Genres bekannt wurde. Technisch sind sie bei Weitem nicht so akkurat wie sein aktueller Erfolg Amalthea, aber sie weisen einen ganz eigenen Ton auf, der meiner Meinung nach in Stephensons Schaffen übersehen wurde. Ja, ich halte es für erstaunlich, womit er so durchgekommen ist.

Die Faszination des Cyberspace habe ich schon erwähnt. Für den Schwerpunkt »Wie die SF die Welt verändert« 2005 fasste ich noch mal meine Lektürefunde und Eindrücke in einem Essay zusammen. Der Cyberspace wurde Anfang der Neunziger in vielen Medien geradezu propagiert, ohne dass es eine entsprechende technische Ausstattung gegeben hätte. Die vorhandenen VR-Technologien waren teuer und schwerfällig zu benutzen. Erst heute, fünfundzwanzig Jahre später, besteht die realistische Aussicht, dass sich VR als Massenmedium etablieren kann.

Die erste Fassung des Textes zu RoboCop begann ich 1996, es sollten aber zehn Jahre ins Land gehen, bis ich den Essay beendet habe. Neben Starship Troopers ist RoboCop für mich der beste SF-Film, den Paul Verhoeven in den USA gedreht hat. Das Remake, das vor drei Jahren herauskam und über das damals schon ein Gerücht verbreitet wurde – ich gehe kurz darauf ein –, hält dem Vergleich mit dem Original nicht stand.

Mein zweiter Kommentar zur Lage der SF erschien im SF-Jahr 2007. Ich habe noch mal versucht, das Besondere des Genres SF herauszuarbeiten. Meiner Meinung nach ist es nicht so einfach mit der konventionellen Literatur vermittelbar. Beide haben ihre Berechtigung. Um ein Beispiel zu geben: Die Lektüre des Buches Der ewige Krieg von Joe Haldeman im jugendlichen Alter hat mich regelrecht geflasht – in einem Alter, in dem die SF (noch) so bewegend ist, »dass es einem geradezu die Schädeldecke abhebt«, wie Brian W. Aldiss gemeint hat. Mit diesem Buch war ich für die normale Welt mitsamt ihrer Literatur verloren.

In diesem Text ging ich auch auf den hochspekulativen Gegenstand der technologischen Singularität ein, den Vernor Vinge eingeführt hat. Gerade wegen seiner Brisanz widmete ich diesem Topos einen weiteren Text fürs SF-Jahr 2009. Ähnlich wie bei meiner Montage zum Cyberpunk-Sujet verzichtete ich aber auf einen durchgehenden Verlauf, sondern schrieb eine Reihe von Bemerkungen auf, um besser das ganze assoziative Feld zu erfassen, das die Posthumanität erzeugt.

Walter Jon Williams ist ein Autor, dessen SF mir von seinen Themen und von seinem Stil her gefällt. Insofern war es eine Herzensangelegenheit, sein Werk 2010 vorzustellen, wenn auch nur kurz. Florian Breitsameter hat sich in einem Forumsbeitrag auf seiner Website SF-FAN gewundert, dass ich Plasma City in meinem Artikel nicht erwähnt habe. Ich habe dieses Versäumnis nachgeholt und noch einen Absatz zu diesem Text hinzugefügt.

Ich hatte mir schon länger vorgenommen, das Sachbuch Phantastik & Futurologie von Lem essaymäßig abzuhandeln. Es entstand die naheliegende Idee, die Rezension eines fiktiven Buches zu schreiben, um dem Ganzen einen lemspezifischen Dreh zu geben. In diesem Fall ist die längere Fassung hier abgedruckt, die ich für das Online-Magazin TELEPOLIS 2013 geschrieben habe.

»Fantasieren auf der großen Skala« war mein abschließender SF-Kommentar im Jahr darauf für die letzte Ausgabe des Heyne SF-Jahres. Er stellt den Versuch dar, noch einmal die große Perspektive der SF zu formulieren.

Berlin, August 2017

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