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Mehdi Martens

Liams Weg
in das Licht

Roman



Impressum


epub: ISBN 978-3-944711-00-3

2010 by Mehdi Martens

Herstellung, Umschlagsgestaltung
 und Konvertierung beim Verlag,
Titelbild by Choubeila Saadouni

© 2013
RB epub-Verlag Rödig und Backenecker GBR,
Frankfurter Str. 86, 63110 Rodgau

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Prolog

Wärme umgab ihn. Das Raunen von unzähligen Stimmen durchdrang den lichtdurchfluteten Raum und ein Gefühl absoluter Harmonie erfüllte ihn. Losgelöst von allem genoss er seine Empfindungen, spürte Verbundenheit, Liebe, Licht und Energie. Er konnte sich kaum satt sehen an den Kaskaden von gebündeltem Licht, die - einem Wurzelwerk gleich - die Ebene umfassten, auf der sie sich befanden. Doch etwas in ihm wusste, das seine Zeit an diesem Ort zu Ende ging. Ein Ziehen machte sich in seiner Mitte bemerkbar. Kaum spürbar, doch es machte ihm klar, dass das Ereignis kurz bevorstand. Das Ziehen würde von nun an immer stärker werden, bis er die Ebene verlassen musste. Eine tiefe Melancholie erfasste ihn. Er würde diesen Ort vermissen!

Fast augenblicklich spürte er ihn an seiner Seite. Natürlich, auch seine Zeit hier war damit vorbei. Die Vertrautheit seiner Anwesenheit linderte die Melancholie beinahe sofort. Es war nun einmal so wie es war. Es war SEIN Gesetz, und damit nichts, was er ändern oder auch nur kritisieren konnte oder wollte. Also ergab er sich dem Ziehen und folgte ihm langsam an den Rand der Ebene. Ein besonders dickes Bündel von Licht erschien vor ihm und die Reise begann. Das Gespinst aus reiner Energie nahm ihn auf und riss sie mit. Flüchtig und schemenhaft erhaschte er immer wieder neue Strukturen und Verästelungen. Etwas sagte ihm, dass er sich seinem Ziel näherte, denn die Strukturen wurden immer dichter. Dann war es vorbei.

Die Reise endete so unvermittelt wie sie begonnen hatte. Dunkelheit umgab ihn. Die erste Dunkelheit seit einer Ewigkeit. Dieser ungewohnte Zustand verunsicherte ihn. Doch nach einer Weile konnte er erkennen, dass die Finsternis nicht absolut war. Diffuses, rötliches Licht umgab ihn. Er fühlte sich wieder geborgen, wenn auch völlig erschöpft von der Reise. Er spürte, es war gut, so wie es war. Und mit diesem Gefühl der Erleichterung schlief er ein.

I Der Magier

Die schwere Limousine knurrte wie ein hungriges Tier, während sie sich die Serpentinen der Landstraße hinauf quälte. Liam sah aus dem Fenster und bewunderte die eintönige Landschaft. An diesem grauen Morgen sahen die endlosen Felder mit ihren kurzen, frühlingsgrünen Halmen faszinierend monoton aus. Eine endlose Armee aus frischem Leben im Staub.
Leider war die Stimmung im Auto nicht so frühlingshaft. Nicht nur der Anlass für ihre Reise war unerfreulich, auch stritten seine Eltern seit mindestens 100 Kilometern. Er seufzte auf.
Genau das hatte er von Anfang an befürchtet! Immer wenn in der Familie das Gespräch auf Onkel Winfried kam, war es mit dem Haussegen vorbei. Auch sein Tod hatte daran nichts geändert. Liam wünschte sich, dass er nicht auf seinen Walkman verzichtet hätte. Aber es war ihm pietätlos vorgekommen, mit seiner Lieblingsmusik zur Beerdigung seines Onkels zu fahren.
Außerdem hatte er befürchtet, dass seine Mutter das genauso gesehen hätte und damit noch einen Grund für Streitereien gehabt hätte. Und es war auch so schon schlimm genug. Sein Vater sagte gerade:
„Immer wenn dieser Tunichtgut aufgetaucht war, gab es nichts als Probleme! Ich bin mir sicher, dass sein Testament keine Werte, sondern nur Boshaftigkeiten verteilt.“
Liam konnte sehen, wie bei seiner Mutter die Gesichtsfarbe wechselte. „Nur weil dein winziger Verstand nie in der Lage war, ihn zu verstehen, musst du meinen Bruder nicht permanent schlecht machen!“

Liam kannte seinen Vater. Normalerweise wäre er jetzt jeder weiteren Diskussion aus dem Weg gegangen und hätte einfach das Haus verlassen. Doch hier im Auto ging das nicht. Also schaltete sein Vater das Radio ein.
Augenblicklich brandete eine Welle von Funk-Musik über die Reisenden hinweg, die so gar nicht zu der vorherrschenden Stimmung passen wollte. Doch sein Vater schien grade das an dem gewählten Sender zu schätzen und er drehte noch etwas lauter. Liam war nicht grade ein Fan dieser Musikrichtung. Er war aber gleichzeitig der Ansicht, dass alles besser sei, als ein noch längeres Streitgespräch zwischen seinen Eltern. Auch seine Mutter hatte die Geste ihres Manns verstanden. Und obwohl sie Funk noch mehr hasste als Liam, schwieg auch sie.
Seine Gedanken schweiften ab während sie wortlos weiterfuhren. Wann war er das letzte Mal hier gewesen? Es war im Urlaub gewesen: Sonne, Landleben und ein Badesee im Wald erschienen vor seinem inneren Auge. Dazu ein freundlicher Onkel, eine etwas wunderliche Tante und seine Eltern im Dauerstreit.
Er war ungefähr zehn Jahre alt gewesen und das Haus seines Onkels war ihm wie ein einziger großer Abenteuerspielplatz erschienen. Einsam am Waldrand gelegen, inmitten der malerischen Kulisse des Odenwalds. Das Haus des Onkels war ein ehemaliger Bauernhof, dessen Stallungen zu Gästehäusern ausgebaut worden waren.
Trotzdem gab es Hühner, Pferde, eine Kuh, Ziegen und vieles mehr, was einen zehnjährigen Stadtjungen begeistern konnte. Es herrschte ein ständiges Kommen und Gehen auf dem Hof und irgendwie schien sein Onkel jeden zu kennen, der den Hof betrat. Liam hatte viele Spielkameraden an die er sich heute aber nur noch undeutlich erinnern konnte.
Bis auf Michaela aus Kassel. Ihre dunklen Locken und ihr glockenhelles Lachen hatten einen bleibenden Eindruck bei ihm hinterlassen. Liam musste lächeln.
Sie war so etwas wie seine erste unschuldige Liebe gewesen. Sie hatten zusammen die Ziegen gefüttert, waren im Waldsee schwimmen gegangen und hatten alle Abenteuer erlebt, die sich ein Zehnjähriger wünschen konnte. Zum Abschied hatte sie ihn dann geküsst und war damit erst recht unvergesslich geworden. Wie es ihr jetzt wohl ging? Ob er sie erkennen würde, wenn er sie sah?

Er wischte seine Überlegung beiseite, denn vor ihm tauchte endlich der Hof seines Onkels aus dem Wald auf. Er lag auf der Kuppe eines Hügels, an dessen Hang sich Felder und Obstbäume schmiegten. In der Ferne lag ein Dorf, zu dessen Gemarkung der Hof gehörte. Der Kirchturm war weithin sichtbar und Liam wusste, dass an seinem Fuß das letztendliche Ziel ihrer Reise lag: Der kleine Friedhof der Gemeinde.
Erneut erfasste ihn Trauer, als er an seinen Onkel dachte. Auch wenn er ihn seit sieben Jahren nicht mehr gesehen hatte, so war er doch eine sehr schöne Erinnerung. Er hatte ihn gemocht, egal, was sein Vater auch gegen ihn hatte. Winfried war anders gewesen als die meisten Menschen die Liam kannte.
Er hatte etwas Unnahbares an sich und in seinen Augen war ein Glanz, der einen förmlich zu durchdringen schien. Irgendwie ein wenig unheimlich, aber bei seinen Besuchen als Kind war er immer nett zu ihm gewesen. Er hatte ihm dauernd kleine Geheimnisse auf seinem Hof gezeigt.
Das Nest der Eulen in der Tanne vor dem Haupthaus, das Kreuz im Wald und seine Geschichte von dem Edelmann der dieses als Strafe für den begangenen Mord an einem Bauern stiften musste. Oder die uralte Inschrift über der Scheune, die böse Geister fernhalten sollte.
Er fand es schade, dass er jetzt keine Gelegenheit mehr haben würde, um ihn richtig kennen zu lernen. So als Erwachsener, für den er sich jetzt hielt.
Tante Amanda war da kein Ersatz, denn zu ihr hatte er kaum Kontakt gehabt. Sie war deutlich jünger als Winfried und kam irgendwo aus Südamerika, soweit er sich erinnern konnte. Zumindest sprach sie Deutsch mit einem lustigen, singenden Akzent, der es manchmal schwer gemacht hatte, sie richtig zu verstehen.
Sein Vater pflegte „Latino-Gebrabbel“ zu sagen und er hatte noch einige andere Unfreundlichkeiten über die Ausländerin in seinem Repertoire. Das Freundlichste dabei war noch:„Er musste eine Ausländerin heiraten. Eine Deutsche hätte er nicht bekommen!“
Liam war allerdings der Ansicht, dass sein Onkel es schlechter hätte treffen können, als eine glutäugige, hübsche und erheblich jüngere Frau zu heiraten.
Bei diesem Gedanken fuhren sie auf den Hof. Vier Autos standen dort bereits. Sonst war außer zwei Hühnern, die pickend die Neuankömmlinge ignorierten, niemand zu sehen. Seine Mutter sagte noch mit autoritärer Stimme:
„Heinz, blamiere mich nicht!“,
dann stiegen sie aus. Sein Vater antwortete nichts. Sie wussten beide, dass sie es mehr als ernst meinte, wenn sie ihn bei seinem Vornamen nannte. Schließlich sparte sie sich das ausschließlich für solche Situationen auf.
Schweigend gingen sie auf das Haupthaus zu. Schon einige Meter vorher wurde die Tür geöffnet und Tante Amanda winkte ihnen zu. Liams Erinnerung deckte sich bis auf ein paar kleinere Falten im Gesicht seiner Tante mit ihrem tatsächlichen Aussehen. Sonst schien sie Winfrieds Tod gut verkraftet zu haben. Er entdeckte keine rotgeweinten Augen und kein tief verhärmtes Gesicht. Sie begrüßte Liam und seine Mutter freundlich, seinen Vater hingegen distanziert-höflich, was eindeutig darauf hinwies, dass sie sehr wohl wusste, wie er über sie dachte.
Sie wurden hinein geführt. Eine Handvoll Menschen saßen im Wohnzimmer, tranken Kaffee und unterhielten sich gedämpft. Sie wurden vorgestellt, Nachbarn und Freunde, die Liam alle nicht kannte.
Eine gedämpfte Stimmung schien alle erfasst zu haben und keiner schien auch nur laut reden zu wollen. Liam fühlte sich unwohl und die Zeit bis sie zum Friedhof aufbrechen mussten verging quälend langsam. Doch dann war es soweit, mehr oder weniger schweigend stiegen die Anwesenden in die Autos und sie fuhren die kurze Strecke bis ins Dorf.

Sie stellten ihr Auto auf dem für so ein kleines Dorf doch etwas überdimensionierten Parkplatz ab. Neugierig betrachtete Liam die bereits versammelte Menge der Trauergäste.
Nur wenige waren in schwarz oder überhaupt dunkel gekleidet. Ihr Erscheinungsbild hätte seinen Vater garantiert zu einer Äußerung wie: „ein Haufen langhaariger Bombenleger“ animiert. Allerdings zog er es derzeit vor, den Mund zu halten. Doch bei genauerer Betrachtung wäre so eine Bemerkung nicht einmal unpassend gewesen.
Es war eine wirklich bunte Gesellschaft, die sich hier versammelt hatte. Vom klassischen Hippie in Jeans und Batikhemd, bis zu einem südamerikanisch aussehenden Geschäftsmann in einem hellen Leinenanzug mit Lederkrawatte. Liam kam sich in seinem hastig gekauften schwarzen Anzug und der unbequemen Krawatte fast deplatziert vor.
Er ließ den Blick noch einmal schweifen und fand die ganze Situation irgendwie merkwürdig. Und es sollte sogar noch seltsamer werden.
Liam hatte keine große Erfahrung mit Beerdigungen, denn seine Großeltern waren gestorben als er noch sehr klein war. Lediglich die Beerdigung einer Freundin, deren Mofa vor einem Jahr von einem LKW überrollt worden war, konnte er als Referenz heranziehen.
Aber er war sich trotzdem sicher, dass diese Beerdigung ungewöhnlich war. Es ließ sich kein Pfarrer blicken. Stattdessen traten einige der Trauergäste vor und erzählten Anekdoten über den verstorbenen Winfried.
Wie sie ihn kennen gelernt oder was sie zusammen erlebt hatten. Immer eine kurze Geschichte, von denen jede an sich ungewöhnlich war.
Da war von fremden Ländern die Rede, von Sitzungen, Arbeit oder Entwicklung. Nichts davon hätte sein Vater wohl jemals erwähnt. Und überhaupt hatte Liam das Gefühl, dass er bei allen Geschichten etwas Wichtiges verpasste. Er verstand jedes Wort und doch schien er den eigentlichen Sinn nicht mitzubekommen. Im Gegensatz zu allen Anderen.
Als letzter trat der Mann im Leinenanzug nach vorne. Er strahlte eine Autorität aus, die es in der Halle noch ruhiger werden ließ, als es bis dahin ohnehin schon gewesen war. Er hatte einen leichten Akzent, aber sein Deutsch war dennoch gut verständlich.
Er lobte Winfried als einen der ihren, der kompromisslos seinem Weg gefolgt war und deshalb die Gnade einer frühen Rückkehr erfahren durfte. Etwas Hypnotisches ging von ihm aus und Liam stellte verwundert fest, das sogar sein Vater seine grundsätzliche Abwehrhaltung aufgegeben hatte und lauschte. Der Mann sprach weiter:
„Wie die meisten von euch wissen ist ein solches Ende das höchste Ziel: ohne Siechtum und Krankheit den Schritt zu gehen. Aufrecht und in Würde.
Wie geschrieben steht, ein Fest für das Leben, doch ein größeres Fest für den Tod.l Darum lasst uns nun das größere Fest feiern und Winfrieds Weg zurück ehren.“

Die versammelten Gäste klatschten, Musik erklang, etwas getragenes, fast klassisches, das aber dennoch von einer Rock-Instrumentalisierung mit Bass, Schlagzeug und E-Gitarre gespielt wurde.
Liam stellte verwundert fest, dass etwas Tröstliches von den Worten des hell gekleideten Mannes ausgegangen war. Die Trauerstimmung, die auf dem Hof geherrscht hatte, war verflogen. Sogar die wenigen in schwarz gekleideten Gäste waren von dieser positiven Stimmung erfasst worden. Ein munteres Stimmendurcheinander folgte dem Sarg auf seinem letzten Weg.
Verstohlen beobachtete er, wie seine Mutter sich lächelnd mit Tante Amanda unterhielt. Wie er aus Gesprächsfetzen mitbekam ging es um eine lustige Anekdote die sie gemeinsam mit ihm erlebt hatten.
Am Grab stimmte einer der „Hippies“ ein Lied mit einer mitgebrachten Gitarre an und ein Teil der Leute sang oder summte mit. Keine Träne wurde vergossen, als sich der Sarg hinab senkte und einige Leute klatschten sogar, so als ob etwas Gutes passiert sei.
Ein paar Besucher des Friedhofs, die mit ihren Gießkannen und Hacken umherzogen blickten irritiert zu ihrer Gesellschaft hinüber. Köpfe wurden geschüttelt und missbilligende Blicke geworfen.
Doch von alledem unbeeindruckt zog der Tross gut gelaunt weiter in die Dorfschänke zum Leichenschmaus. Auch dort blieb die gute Stimmung erhalten. Liam unterhielt sich mit verschiedenen Gästen und war mehr als nur einmal beeindruckt, was für eine bunte Schar sich hier zusammen gefunden hatte.
Es waren Musiker, Maler, Journalisten und Kaufleute unter den Gästen. Aber auch Herumtreiber, Straßenmusikanten und Menschen die es tunlichst unterließen, etwas über sich zu erzählen. Liam fand es sehr erstaunlich das der Mann im Leinenanzug ihn ansprach und sich ihm als Julian vorstellte.
Er erkundigte sich, was Liam so tat und was seine Pläne waren. Dieser sah etwas verlegen an die Wand, denn das war etwas, worüber er noch keinerlei Auskunft geben konnte. Es waren noch 10 Monate bis zu seinem Abitur und er hatte nicht die geringste Idee, wie es weiter gehen sollte.

..Seine Mutter lag ihm mit einer Banklehre in den Ohren. Eine Tante hätte da Beziehungen und er könnte jederzeit eine Lehrstelle bekommen. Sein Vater bestand auf einem Wirtschafts- oder Jurastudium.

Doch nichts von alledem war etwas, was ihn auch nur im Mindesten interessierte. Das Problem war nur, dass er diese Vorschläge ablehnte, ohne eine Alternative zu kennen.
Alle diese Perspektiven erschienen ihm falsch und langweilig, aber außer den drei Großen M’s: „Musik, Mädchen und Motorräder“ interessierte ihn nicht wirklich etwas.
Die Schule war ihm immer leicht gefallen; zu leicht vielleicht! Denn er hatte seine Zeit überwiegend mit Partys und Mädchen verbracht, wenn er nicht grade an seinem Mokick herum gebastelt hatte. Dumm war nur, dass diese Zeit jetzt auslief und er etwas anderes unternehmen musste.
Liam wunderte sich über sich selbst, dass er Julian so freimütig von seiner Lage erzählte. Seine nicht vorhandenen Pläne waren etwas, von dem er bisher noch nie gesprochen hatte.
Doch dieser Mann strahlte etwas derart Vertrauenswürdiges aus, das er das Gefühlt hatte, ihn bereits seit einer Ewigkeit zu kennen. Auch schmeichelte es ihm, dass er sich für ihn interessierte und aufmerksam zuhörte. Als er geendet hatte, lächelte der Mann ihn an.
„Vielleicht ist es Zeit für Dich, einen ganz neuen Weg zu finden. Winfried hat mir von Dir erzählt und er war der Meinung, dass du großes Potenzial hast. Vielleicht mehr als alle die wir kennen.“ Diese kryptische Botschaft verwirrte Liam. „Potential? Wofür?“
fragte er deshalb. Der Mann lächelte. “Du bist noch nicht so weit um darauf eine Antwort zu erhalten, aber die Frage ist der richtige Weg. Lass Dir von mir einen Tipp geben: Zweifele. Zweifele an dir selbst. Zweifele selbst daran, dass du an dir zweifelst. Zweifele an allem. Zweifele sogar daran, dass Du an allem zweifelst.II
Je notwendiger irgendetwas dem Gemüt erscheint, desto sicherer ist es, dass ich nur eine Begrenzung bestimme.
Ich schlief ein mit dem Glauben und hielt einen Leichnam in meinen Armen beim Erwachen, ich trank und tanzte die ganze Nacht mit dem Zweifel und fand sie als Jungfrau am Morgen." III
Er lachte als er die Fragezeichen auf Liams Stirn sah. „Du wirst herausfinden, was ich meinte. Und ganz sicher auch, wo das geschrieben steht.“ Er verabschiedete sich mit einem Lächeln von ihm und ließ ihn mit einem Berg von brennenden Fragen einfach stehen.

Abends zurück auf dem Hof seiner Tante konnte er nicht einschlafen. Was hatte Julian gemeint? Wie kam sein Onkel dazu, mit ihm über ihn zu sprechen und warum? Und vor allem, wann? Er hatte seinen Onkel sieben Jahre nicht mehr gesehen. Wie kam er dazu, so über ihn zu reden und dazu noch mit jemanden den er selbst nicht einmal kannte?
Er starrte auf die bereits leicht vergilbte Streifentapete des Gästezimmers, das er bekommen hatte. Bilder aus seiner Kindheit traten aus dem Schatten seiner Erinnerungen. Er hatte einmal eine Phase gehabt, in der er daran zweifelte, dass die Welt so aussah, wie er sie sehen konnte.
Auf einer Urlaubsfahrt war er sich sicher gewesen, das derselbe Bauernhof wie eine Kinokulisse immer wieder an seinem Autofester vorbei kam.
Dieselbe Kuh, dieselbe Bäuerin mit Kopftuch, das gleiche runde Tor, durch das er einen roten Traktor sehen konnte. Er hatte damals oft stundenlang auf eine Stelle gestarrt und versucht zu ergründen, was Wirklichkeit war und was nicht.
Später, als er anfing sich für Mädchen zu interessieren hatte das dann aufgehört. Aber dieses Erlebnis irritierte ihn bis heute. Im Nachhinein hatte er es darauf zurückgeführt, dass er zu dieser Zeit ein Buch von Phillip K. Dick1 gelesen hatte, in dem es um eine Computersimulation ging.
Forscher Entwickelten ein Verkehrsmodell, das erst funktionierte, nach dem die simulierten Menschen ein Bewusstsein programmiert bekommen hatten. Nur um sich dann zu fragen, ob sie nicht selber ein Teil einer Verkehrssimulation waren.
Hatte er sich darüber mit Onkel Winfried unterhalten? Doch egal wie lange er darüber nachdachte, er konnte sich nicht erinnern.
In dieser Nacht lag er noch lange wach und grübelte. Im Morgengrauen schlief er dann endlich ein und träumte von langhaarigen Gestalten, die um ein Grab tanzten.

Der Morgen begann hektisch für Liam, da er dank seiner nächtlichen Grübeleien, kaum aus dem Bett gekommen war. Und der Notartermin zur Testamentseröffnung war bereits um 9 Uhr. Nach halber Katzenwäsche im Bad schlürfte er nun seinen Kaffee.
Insgeheim vermutete er, dass dieser Termin der einzige Grund war, weshalb sein Vater überhaupt Urlaub genommen hatte und sie gemeinsam in den Odenwald gefahren waren.
Aber vielleicht tat er ihm auch unrecht. Seine Mutter hätte es ihm vermutlich nie verziehen, wenn er nicht zur Beerdigung ihres Bruders mitgekommen wäre. Außerdem waren nur sie und Liam zur Testamentseröffnung gebeten worden, was aber angesichts seiner Meinung über Winfried nicht wirklich verwunderlich war.
Liam glaubte jedoch nicht, dass da große Reichtümer auf sie warteten. Der Hof und die Ferienwohnungen liefen zwar gut, aber Tante Amanda war natürlich die Erbin. Womit sein Onkel ihn bedacht hatte war hingegen ein Rätsel, auf dessen Lösung er mehr als nur gespannt war. Es machte ihm daher nichts aus, als sie hastig aufbrachen.

Sie fuhren ins Dorf – zum einzigen Notar der ganzen Gegend. Tante Amanda fuhr bei ihnen mit und saß geistesabwesend neben Liam. Er nahm an, dass sie den Inhalt des Testaments kannte, denn sie wirkte kein bisschen angespannt.
Beim Notar trafen sie noch zwei weitere Erben, zwei junge Männer, die Liam schon auf der Beerdigung gesehen hatte. Es bleib aber keine Zeit, darüber zu rätseln wer sie waren, denn der Notar betrat den Raum und wuselte geschäftsmäßig mit einem Stapel Papieren.
Es folgte eine Belehrung über die Rechtsgültigkeit der Papiere und dann verlas er Onkel Winfrieds letzten Willen.
Wie erwartet erbte Tante Amanda den Hof und nahezu das gesamte Vermögen. Seine Mutter bekam jede Menge Familienerbstücke, darunter etlichen Schmuck, der Ihrer Großmutter gehört hatte.
Die beiden ihm unbekannten Männer erhielten Sachen, die Liam nicht unbedingt erwähnenswert gefunden hätte: einen Trinkbecher aus Silber, ein verziertes Schmuckschwert und Ähnliches. Er wunderte sich, dass diese Dinge es wert waren, im Testament genannt zu werden, doch die Männer schienen überaus erfreut zu sein.
Dann war Liam an der Reihe, und obwohl er sich keine großen Hoffnungen gemacht hatte, wurde er angenehm überrascht. Der Notar sagte: “Mein Neffe Liam erhält alle meine Bücher, die im roten Salon stehen, sowie 2000.- DM für eine ordentliche Reise nach seinem Abitur. Dazu einen Gutschein für vier Wochen in einem Ferienhaus bei Bordeaux, das ich immer sehr geliebt habe.“
Liam strahlte über das ganze Gesicht. Das war etwas, was er sich wirklich gewünscht hatte! Zwar arbeitete er neben der Schule als Aushilfe in einem Supermarkt, doch er benötigte das Geld für seinen Führerschein und ein Auto. Urlaub wäre da nicht drin gewesen und seine Eltern waren keine große Hilfe.
Denn sein Vater hatte wie immer eigene Vorstellungen von Geldangelegenheiten. Er erhielt von ihm für jede Mark, die er verdiente, eine von ihm dazu. Jedoch nichts extra, also ohne Vorleistung seinerseits.
„Damit er lernt, wie schwer es ist, Geld zu verdienen“,
war seine Begründung für diese Vorgehensweise. Liam war eine Zeitlang davon schwer genervt gewesen, denn nahezu alle in seiner Klasse erhielten den Führerschein einfach so von ihren Eltern bezahlt. Aber mit der Zeit hatte er sich an seinen Job gewöhnt und er machte ihm sogar Spaß.
Nur war die Finanzierung seines Führerscheins damit doch recht mühselig. Er erhielt grade einmal 180.- DM im Monat und damit dauerte es trotz der Verdopplung durch seinen Vater Monate, bis die Fahrerlaubnis bezahlt war. 2000.- DM zu erben war da ein unerwartetes Geschenk.
Und es freute ihn auch, Bücher zu erben, denn Liam war schon immer eine Leseratte gewesen.
Zu seinen Urlauben bei Onkel Winfried hatte er immer eine extra Tasche mit Lesestoff mitgenommen. So waren die Abende nie langweilig geworden, die 5 Freunde, Pünktchen und Anton und nicht zuletzt Philip K. Dick hatten die Zeit verkürzt, wenn er nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr raus durfte und sein Vater den einzigen Schwarz-Weiß-Fernseher des Hofs mit langweiligen Sportsendungen blockierte.
Liam nahm an, dass sein Onkel sich wohl daran erinnert und ihm darum seine Bücher vermacht hatte.

Sie blieben nach der Testamentseröffnung noch ein wenig im Dorf. Tante Amanda hatte diverse Erledigungen zu machen und seine Mutter gebeten, ihr dabei zu helfen.
Konten mussten umgeschrieben, Formulare ausgefüllt und noch andere Dinge erledigt werden, die die Bürokratie nun einmal mit sich brachte. Und obwohl sie sehr gut deutsch sprach, war sie in solchen Dingen manchmal unsicher.
Seine Mutter half ihr gerne; sie war immer froh, wenn sie gebraucht wurde. Liam war schon lange der Ansicht, das ihr Hausfrauendasein sie nicht ausfüllte, doch sein Vater war strikt dagegen, das sie arbeitete.
„Das haben wir nicht nötig.“ war seine Standardantwort, wenn dieses Thema auftauchte, und damit betrachtete er die Diskussion als erledigt. Seine Mutter war es gewohnt, sich zu fügen und blieb deshalb bei ihrer Rolle als stets dienstbare Hausfrau. Doch sobald sich die Gelegenheit ergab, darüber hinaus aktiv zu werden, war sie sofort dabei.
Sie organisierte einen Basar zugunsten der SOS Kinderdörfer, bemalte alte Bauernschränke neu und kümmerte sich um den Garten, als ob sie damit Preise gewinnen müsste. Und das alles mit einer Energie, die auch durchaus für eine Vollzeitstelle gereicht hätte.
Gegen Mittag hatten sie die Runde beendet und aßen noch alle zusammen etwas im Gasthaus. Doch kaum hatten sie aufgegessen drängte sein Vater zum Aufbruch.
Sie müssten ja noch zusammenpacken, und es sei ein langer Weg nach Hause, ließ er die Anwesenden wissen und winkte, ohne eine Antwort abzuwarten, nach dem Kellner, damit dieser die Rechnung bringen würde. Liam hatte nichts gegen diese Eile einzuwenden, denn er war neugierig, was für Bücher auf ihn im roten Salon warteten.
Dieser Raum war so etwas wie Winfrieds Arbeitszimmer und für Kinder immer tabu gewesen. Deshalb hatte er keine Vorstellung, was ihn erwartete. Im Aufenthaltsraum der Pension gab es ebenfalls eine Bibliothek, gleich neben dem einzigen Fernseher des ganzen Hofes. Dort waren die üblichen Krimis und Hausfrauenromane in den Regalen. Also nichts, was Liam interessiert hätte. Umso gespannter war er auf sein Erbe und er hoffte in brünstig, das der Privatgeschmack seines Onkels sich nicht mit der Gästebibliothek deckte.
Zurück auf dem Hof machte er sich dann auch sogleich auf den Weg, fand das Zimmer jedoch abgeschlossen und musste erst einmal seine Tante nach dem Schlüssel fragen. Sie reichte ihm diesen geistesabwesend während sie weiter mit seiner Mutter den Schmuck sortierte.
Von allen unbeachtet ging Liam zurück zum Arbeitszimmer seines Onkels und schloss auf. Der rote Salon hieß deshalb so, weil er eine schwere rote Textiltapete hatte. Wie alles im Haus war auch diese schon etwas verblasst, aber die Patina verlieh dem Raum eher etwas Glanzvolles als abgenutzt zu wirken. Die wenige Einrichtung bestand aus schweren Eichenmöbeln. Ein großer Schreibtisch, zwei Sessel und ein Bücherregal. Das war alles.
Aber es wirkte edel. Fast ein wenig wie das Büro des Notars, in dem sie heute Vormittag gewesen waren. Etwa hundert Bücher standen dort in dem Regal - ein bunter Mix aller möglichen Größen und Formen.
Es gab Taschenbücher, Bücher mit festem Einband und er entdeckte sogar einige in Leder gebundene Ausgaben, die richtig alt aussahen. Das scheinbar unsortierte Durcheinander ergab für den Betrachter keinen Sinn. Liam studierte die Titel.
Es waren Werke über Philosophie, Psychologie und Ägyptologie. Es gab aber auch esoterische Themen wie Astrologie, Handlesen, Tarot und Alchemie.
Liam wusste zwar nicht so recht, was er davon halten sollte, aber er war durchaus angenehm überrascht. Besonders zwei Dinge fielen ihm auf.
Eine Reihe Taschenbücher von Carlos Castaneda2, von dem er bereits gehört hatte, dass dieser irgendetwas über Bewusstseinserweiterung mit Drogen geschrieben hatte.
Und er fand ein Paperback, bei dem sich bereits einige Seiten lösten. Er nahm es heraus und schlug es auf. Es war von schlechter Qualität und auf dem Titel war eine eindeutig sexuelle Szene gezeichnet. „Das Buch der Lügen“3 von Aleister Crowley4. Er las die erste Seite. Dort stand:
“Die Wanderungen und Falsifikationen eines Gedankens
von Frater Perdurabo (Aleister Crowley)
welcher Gedanke selbst unwahr ist." IV 
Liam dachte nach. Die Falsifikation eines Gedankens der unwahr ist müsste also wahr sein. Er grinste. Interessantes Buch, nicht nur wegen des Einbands. Eines der alten Bücher hatte im Vorwort folgende Aussage:
„Das alchemistische Prinzip, wie im Kleinen, so im Großen. Das Atom ist grundsätzlich genau so organisiert wie das Sonnensystem. Die Bedürfnisse des Einzelnen erklären die Gesellschaft. “ Liam verstand nicht wirklich wovon die Rede war, aber es klang interessant. Leider unterbrach die Stimme seines Vaters seine Betrachtungen.

„Pack Deinen Kram ein, wir wollen los.“ ertönte es von der Treppe. Es wurden ein paar Kisten organisiert und bald waren die Bücher seines Onkels im geräumigen Kofferraum des Familienautos verstaut. Der Heimweg gestaltete sich angenehmer als die Hinfahrt; sein Vater war guter Dinge und anscheinend positiv überrascht, dass sie den Familienschmuck geerbt hatten.
Lediglich die seltsame Trauerfeier war ein Thema über das er sich verständnislos äußerte. „Wie kann es in einem christlichen Land nur so etwas geben?“ereiferte er sich. „Das war keine Beerdigung, das war ein Witz!“

Liam musste ihm sogar etwas recht geben. Auch ihm gingen diese eigenartige Feier und Julian nicht aus dem Kopf. Dazu sein Erbe, diese merkwürdigen Bücher.
Mit einem seltsamen Gefühl im Magen starrte er grübelnd aus dem Fenster, ohne irgendetwas von dem wahrzunehmen, was dort an ihm vorbeizog. Wer waren diese Menschen und warum erschien ihm das alles so fremd und gleichzeitig auch aufregend?
Unwillkürlich fühlte er sich an Julians Rat erinnert. Im zweifeln war er schon einmal ganz gut, stellte er fest und musste unwillkürlich grinsen.

II Die Hohepriesterin

Die Tage fliegen nur so vorbei, dachte Liam beim Frühstück. Er hatte in den letzten Monaten kaum Zeit gehabt, sich mit seinen neuen Büchern zu befassen.
Der Führerschein, das näher rückende Abitur und nicht zuletzt das Mädchen, das er seit Neuestem seine Freundin nannte, nahmen ihn voll in Anspruch. Dazu jobbte er jeden Abend nach wie vor zwei Stunden im Supermarkt und füllte dort die Regale auf.
Da blieb nicht viel Zeit für Bücher, die nichts mit der Schule zu tun hatten. Insgeheim wusste er aber, dass er auch vor einigen dieser Werke eine innerliche Scheu hatte.
Er hatte beim auspacken wunderliche Titel gesehen. Henochische5 Magie, der ZEN Weg zur Erleuchtung oder Hexenkraft. Sie erschienen ihm teilweise unheimlich. Wie eine Tür in eine unbekannte Welt. Ganz ohne Kontakt zu den Büchern war er aber nicht geblieben.
Zwei der schmaleren Werke – eines über Gläserrücken, Hexenbretter oder „witch boards“ wie es im englischen genannt wurde und ein zweites über Kartenlegen mit Tarot Karten – hatte er gelesen.

Seine neuen Kenntnisse hatte er auf Partys schon erfolgreich benutzt. Es war schon erstaunlich, wie beeindruckend diese Dinge sein konnten. Er hatte das Prinzip der Tarot Karten erheblich schneller verstanden als das der Berechnung von Mol Gewichten in seinem Chemie-Leistungskurs.
Das hatte zur Folge, dass er sich vor der Chemie Abiturklausur fürchtete und auf Partys ein gefragter Lebensberater mit Karten wurde. Es wunderte ihn oft selbst, wie oft er einen Nerv traf.
Selbst wenn er denjenigen, dem er die Karten legte, überhaupt nicht kannte, waren die Reaktionen oft so, als ob er grade ein Familiengeheimnis ausgeplaudert hätte. Es war, als ob derjenige automatisch seine Worte in seine Lebenssituation übersetzte.
Da konnten schon einmal Tränen fließen oder richtige AHA-Momente stattfinden. Und Liam wusste nie, warum das, was er gesagt hatte, diese Reaktionen hervorgerufen hatten. Das Tarot funktionierte einfach, auch wenn ihm nicht klar war, warum.
Dasselbe war es mit dem Gläserrücken. Ein simpler Kreis aus Zetteln mit den Buchstaben und Zahlen, ein gewöhnliches Wasserglas und ein paar Minuten lang eine Anrufung wie „Geist, bist du da?“ und das Glas machte sich selbstständig und formte mal mehr und mal weniger sinnvolle Worte.
Anfangs dachte natürlich jeder, dass irgendeiner das Glas schieben würde, aber bei wechselnden Besetzungen der Akteure und verschiedenen Plätzen blieb die Art und Weise, wie es passierte, eigentlich immer dieselbe. Natürlich wollten hinterher immer alle wissen wie das gehen konnte und Liam war als „Experte“ ein gefragter Mann.
So war es nicht weiter verwunderlich, dass er für die Frauen auf diesen Partys deutlich an Attraktivität gewonnen hatte.
Aus diesem Grund war er jetzt auch nicht mehr solo, sondern mit Nora zusammen. Sie hatte sich nicht nur auf ihn, sondern auch fasziniert auf das Gläserrücken gestürzt und war binnen kurzer Zeit in der Lage in nur ein, zwei Minuten eine Séance zu starten.

Was Liam aber noch besser gefiel war, dass sie auch in sexueller Hinsicht durchaus aufgeschlossen war und er endlich seine Jungfräulichkeit verloren hatte. Alles lief glänzend für ihn und er bestand im Februar seinen Führerschein auf Anhieb.
Dadurch blieb von seinem erarbeiteten und gesparten Geld natürlich eine ganze Menge mehr übrig, so dass er auch noch sein erstes Auto kaufen konnte.
Dass der VW etwas älter war als er selbst, störte ihn dabei nicht besonders. Das Radio funktionierte, hatte sogar ein Kassettenfach und mit seinen 34 PS war der VW allemal schneller als sein Mokick.
Sogar daheim war Friede eingekehrt, seit er seinem Vater zugesagt hatte, dass er nach seinem Abitur BWL studieren werde. Daraufhin hatte er ihm zum ersten Mal seit Jahren auf die Schulter geklopft und ihm ganz kumpelhaft zu seiner Mannwerdung gratuliert. „Erstes Auto, Freundin und ein klares Ziel vor Augen. Sohn, du beginnst zu verstehen, worauf es im Leben ankommt!“
Das waren seine Worte und ganz den modernen Vater mimend erkundigte er sich nebenbei noch, ob Nora denn die Pille nähme. Er solle sich durch keinen Fehler seine Perspektiven verbauen.
Liam war von diesem, für seinen Vater unglaublichen Gefühlsausbruch so überrascht, dass er zu keiner Antwort fähig war. Ein Gespräch über Sex hatte es in den letzten 17 Jahren in diesem Haus nicht gegeben.
Er nickte deshalb nur und murmelte etwas wie Danke, bevor er das Zimmer fluchtartig verließ.
So hatte er seinen Vater noch nie erlebt und das machte ihm fast Angst. Dazu kam, dass die Entscheidung, BWL zu studieren, für ihn absolut typisch war,. Denn es war der Weg des geringsten Widerstandes.
Liam konnte sich nicht vorstellen, 8 Stunden lang irgendeiner monotonen Tätigkeit nachzugehen. Die zwei Stunden täglich im Supermarkt waren das Höchste der Gefühle.
Studieren hingegen klang nach Spaß, Partys und genug Zeit, um darüber nachdenken zu können, was er mit seinem Leben anfangen wollte. Dennoch hatte dieser halbherzige Entschluss viele Probleme gelöst und er war überaus zufrieden mit sich und der Welt.
Doch dieser Zustand war nur von kurzer Dauer und endete abrupt als abends das Telefon klingelte. Nora sprach schnell und panisch in den Hörer. „Bitte, komme schnell, du musst mir helfen!! Ich habe furchtbare Angst.“
Da sie auf wiederholtes Nachfragen nach dem Grund nicht reagierte, sagte Liam, er werde sofort losfahren. Was war denn nur passiert? Hatte sie Streit mit ihren Eltern gehabt? Eigentlich hatte er diese immer als nett und modern erlebt. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie der Grund waren.
Sie waren ein Teil der 68er Generation, die einfach alles ausdiskutierte. Da wurde nicht einfach gestritten!
Ein Schreck durchfuhr ihn, als er an das Gespräch mit seinem Vater dachte. Ob sie schwanger war? Aber sie nahm doch die Pille!
Er versuchte, sich zu beruhigen, verscheuchte derartige Gedanken und stellte stattdessen das Radio an. Es war nicht weit zu Nora und bald schon stand er – auf alles gefasst – vor ihrer Tür. Sie öffnete ihm, zitterig und mit rotgeweinten Augen.
„Was ist los?“ wollte er wissen. Wortlos führte sie ihn in die Küche.
„Das da!“ sagte sie und griff nach einem Glas. Es bewegte sich, noch bevor ihre Finger es berührten. Nicht viel, aber für ihn deutlich sichtbar. Sie schluchzte und meinte:
„Es hat heute Mittag angefangen. Alle Gläser im Haus bewegen sich ohne mein Dazutun, sogar der Zahnputzbecher!“
Liam wusste nicht so recht, was er davon halten sollte. Das war einfach unmöglich. Bei ihren Séancen bewegten sich die Gläser zwar auch, aber eigentlich hatte er immer tief in seinem Inneren vermutet, dass doch jemand schob. Alles andere war gegen jede Vernunft. Jedoch konnte er nicht leugnen, was sich grade vor seinen Augen abgespielt hatte!
Nora wiederholte das Schauspiel und es war gar kein Zweifel möglich, dass das Glas sich bewegt hatte, ohne dass ihre Finger es auch nur berührt hatten.

Liam wurde schlecht! Irgendetwas war hier ganz und gar nicht in Ordnung. In dem Buch über Hexenbords hatte auch etwas gestanden, wie man mit unerwünschten Geistern umgehen konnte. Irgendwas mit einem Schutzkreis und einem Bannspruch.
Er überlegte fieberhaft und ihm fielen ein paar Details ein. Den Rest würde er einfach dazu improvisieren, in der Hoffnung, dass es funktionieren würde. Noras Eltern waren im Theater, das erleichterte die Sache natürlich.
Er gab seiner Stimme etwas Würdevolles indem er etwas tiefer sprach und versuchte zuversichtlich auszusehen. Dann sagte er ihr:
„Das kriegen wir schon wieder hin. Ich brauche nur Salz, fünf Kerzen und ein paar Räucherstäbchen.“
Er nahm an, dass in einem 68er Haushalt an den beiden letzteren Zutaten kein Mangel herrschen würde und er hatte sich nicht geirrt. Er streute mit dem Salz einen Kreis auf den Küchenboden, platzierte die Kerzen darum herum und zündete die Räucherstäbchen an. Er betrat den Kreis gemeinsam mit Nora, zog sie fest an sich und intonierte:
„Cowan Skiddo, Tyle!“
So oder zumindest so ähnlich glaubte er es gelesen zu haben, und setzte dann einen selbst erfundenen Schutzzauber dazu:
„Verlasse dieses Haus, Geist, du bist hier nicht mehr erwünscht. Ich befehle Dir, verlasse dieses Haus!“
So standen sie mindesten 10 Minuten da und wiederholten ein ums andere Mal die drei Sätze. Dann plötzlich merkte Liam, wie Nora sich entspannte, und auch er hatte auf einmal das Gefühl, dass eine Veränderung stattgefunden hatte. Sie verließen den Kreis und Liam forderte sie auf, die Probe auf das Exempel zu machen.
Nichts geschah, das Glas verhielt sich wieder wie ein Glas und hatte keinerlei Eigenleben mehr. Jetzt endlich fielen Angst und Anspannung von Nora ab. Sie umarmte ihn heftig und zog ihn mit sich auf ihr Zimmer.
Nach dem besten Sex, den Liam bisher in seinem Leben erlebt hatte, schafften sie es grade noch, die Spuren Ihrer „Bannzeremonie“ in der Küche zu beseitigen bis ihre Eltern zurückkamen.

In dieser Nacht lag Liam noch lange wach und versuchte zu verstehen, was vorgefallen war. War es wirklich ein Geist gewesen? Oder doch Telekinese? Nichts aus dem Physikunterricht konnte auch nur annähernd eine Antwort bieten.
Er entschloss sich, in den Büchern seines Onkels nach einer Antwort zu suchen. Es musste einfach eine Erklärung geben! Und doch: die Furcht, die sich in seinen Eingeweiden bemerkbar machte, war nicht zu leugnen. So etwas durfte es nicht geben! Hatte er durch seine Beschäftigung mit okkulten Dingen ein Tor geöffnet, das besser verschlossen geblieben wäre? Er wusste es nicht, doch es machte ihm Angst.
Andererseits war es ein wirklich gutes Gefühl gewesen Nora zu „retten“. Er als furchtloser Magier, der die dunklen Mächte gebannt hatte. Das war etwas, das an Spannung kaum zu überbieten gewesen war.
Sein Verstand arbeitete fieberhaft. Letztendlich kam er zu dem Ergebnis, dass es ja gut ausgegangen war. Also kein Grund sich Sorgen zu machen.
Entgegen seiner Vorsätze tat Liam aber erst einmal nichts zur Klärung des Phänomens der wandernden Gläser. Das lag zum Teil daran, dass es nur noch wenige Wochen bis zu den Abschlussklausuren waren, aber auch an Nora, die sich strikt weigerte, auch nur ein Wort über diese Nacht zu verlieren. Sie hatte alle Aktivitäten in Bezug auf Beschwörungen aufgegeben.
Sie kritisierte ihn sogar, wenn er die Karten legte, und das war mittlerweile ein tägliches Ritual für Liam geworden.
Er verstand, dass sie Angst hatte und diese war derartig groß, dass sie zuweilen seltsame Blüten trieb. Bei Horrorfilmen im Fernsehen schaltete sie um. Wurde auf einer Party eine Séance veranstaltet, verließ sie diese sofort. Auch ihr Verhältnis zueinander hatte gelitten; sie sahen sich nicht mehr jeden Tag und der Sex war nie wieder so wie in der Nacht der „Bannzeremonie“. Besonders letzteres bedauerte er.
Aber er hatte auch kaum Zeit, sich allzu viele Gedanken zu machen, denn beinahe täglich traf er sich mit seinem Freund Markus zum lernen.
Zwischen Differenzialgleichungen und Tangenten erzählte er ihm von seinem Gutschein für das Ferienhaus und seiner Erbschaft für den Urlaub nach dem Abitur.
Markus war sofort Feuer und Flamme für diese Idee. Frankreich! Das waren Rotwein, hübsche Frauen und Sonne pur in seiner Vorstellung. Und so kam es, dass sie vereinbarten, gemeinsam zu fahren.
Liam hatte eigentlich vor, Nora ebenfalls mitzunehmen. Aber er war sich inzwischen nicht mehr sicher, dass sie mitkommen wollte. Sie hatte letzten Sonntag so etwas angedeutet.
Markus war da eine brauchbare Alternative: trinkfest, loyal und nicht übermäßig beliebt bei den Mädchen. Was in diesem Fall durchaus ein Vorteil sein konnte.
Die Tage vergingen, die Klausuren wurden geschrieben und Liam hatte bei allen Prüfungen ein gutes Gefühl. Außer in Chemie mit seinen Mol- Gewichtsberechnungen. Die hatte er trotz aller Bemühungen letztendlich doch nicht verstanden.
Die Wochen zwischen der letzten Prüfung und der Bekanntgabe der Ergebnisse wurden zu einem Geduldsspiel. Eine bleischwere Zeit, die nahezu jede Aktivität erstickte.
Doch dann kam der große Tag! Und obwohl er Chemie erwartungsgemäß vergeigt hatte, war doch alles so gut gelaufen, dass er insgesamt mit einer Zwei abschnitt. Es war zwar nur eine 2,4 aber diese rundete sich nun einmal ab. Eine ungeheure Last fiel von ihm ab und er erntete Schulterklopfen daheim.
Die Wochen bis zum offiziellen Schulende vertrieb er sich im Kreise seiner Schulkameraden mit einer schier endlosen Party. Sie schlichen sich nachts in das Schwimmbad und feierten nackt im Pool. Sie verwüsteten den Vorgarten eines besonders unbeliebten Lehrers und ließen auch sonst nichts aus, um sich im Gedächtnis der Lehrer zu verewigen.
In einem nüchternen Moment schrieb er sich dann, wie er es seinen Eltern versprochen hatte, für BWL an der Uni ein.

Es war eine intensive Zeit voller Spaß und Müßiggang. Da fiel es fast nicht auf, dass Nora sich von ihm trennte. Am Tag der Abschlussfeier ließ sie ihn telefonisch wissen, dass sie nicht mitkommen würde und er auch nicht mehr anzurufen brauchte.
Liam hatte so etwas erwartet und war nicht wirklich überrascht. Er nahm es sportlich und nutzte die Gelegenheit, Petra, eine Klassenkameradin, auf die er es schon lange abgesehen hatte, nach dem Ball auf die Liegesitze seines VWs zu bekommen. Das war der Preis, den er sich gewünscht hatte! Auch wenn sie am nächsten Tag nichts mehr davon wissen wollte. Denn sie rief ihn an und sagte:
„Ich war betrunken, das wird nicht wieder vorkommen.“ Doch er lachte nur darüber. Markus und er würden in drei Tagen aufbrechen. Dann beginnt ein neues Leben, dachte er. Ohne zu ahnen, wie sehr er damit recht behalten würde.


V Der Hierophant

Es war drei Uhr morgens und damit die Zeit, in der Liams Vater üblicherweise seine Urlaubsreisen antrat. Liam hatte diese Angewohnheit übernommen, ohne weiter darüber nachzudenken. Es war kühl, das Radio auf laut gestellt und der Käfer ächzte bei jedem kleineren Hügel. Trotzdem war die Stimmung an Bord glänzend. Sie hatten Zeit, Geld und Proviant genug. Die Schule war vorbei und die Welt lag ihnen zu Füßen. Ihren Weg durch Frankreich bahnten sie sich mit einer uralten Karte, die sie mehr in die Irre führte als wirklich hilfreich zu sein. Autobahnen verboten sich wegen der hohen Gebühren von selbst und so fuhren sie durch die Region Burgund, wobei sie sich mehr als nur einmal verfuhren.
Nach zwanzig Stunden waren sie immer noch fast zweihundert km von ihrem Ziel entfernt und schliefen erst einmal erschöpft einige Stunden neben einem Parkplatz auf einer Wiese. Im Auto war an Schlaf nicht zu denken. Dafür hatten sie einfach zu viel Gepäck! Markus hatte seine Gitarre dabei, Liam hatte aus einer Laune heraus die gesammelten Werke von Carlos Castaneda aus der Bibliothek seines Onkels eingepackt.
Schließlich, den zweiten Sonnenaufgang auf dieser Reise erlebend, erreichten sie das kleine Dorf an der Atlantikküste. Pinien säumten kleine buckelige Straßen, die einen Irrgarten aus kleinen Ferienhäusern bildeten. Diese waren meist niedrig aus Bruchsteinen gebaut. doch es gab auch ein paar Modernere mit Pool und Garage. Sie näherten sich dem Zentrum, ein Leuchtturm wies ihnen den Weg und die Häuser wurden älter und kleiner. Hier schienen die eigentlichen Einwohner zu leben, während im Irrgarten der mit Pinien gesäumten Straßen wohl nur Sommergäste residierten.
Sein Gutschein war von einer “Agence der immobilière“ die sich laut Tante Amanda im Zentrum des Dorfs, gleich neben der Kirche befinden sollte. Doch da es noch viel zu früh war, fuhren sie erst einmal zu einem Parkplatz in Strandnähe.
Ein hölzerner Steg und die Schienen einer winzigen Eisenbahn wiesen ihnen den Weg, und so erreichten sie nach einem kurzen Marsch den zentralen Strand des Ortes. Dort sah es aus wie an vielen Stränden dieser Welt. Eine Strandbar, eine Rettungsstation und jede Menge sauberer weißer Sand. Sie bewunderten das Spiel der aufgehenden Sonne auf den Wellenkämmen. Liam fiel auf, das der Strand scheinbar kein Ende hatte, nach beiden Seiten schien er sich bis zum Horizont auszudehnen. Sie setzten sich und genossen den Anblick.
Doch die vierundzwanzig Stunden fast ohne Schlaf forderten ihren Tribut und ehe er sich versah, war Liam eingeschlafen und fiel in einen unruhigen Traum. Eine Gestalt, die ihm bekannt vorkam, die er aber nicht wirklich erkennen konnte, trat auf ihn zu. Mit leiser Stimme sprach der Fremde:
„Nur die, die ohne Angst und voller Mut sind, kommen über den Abyss. Alle anderen scheitern und sind tot. Denke immer daran!“
Liam schreckte hoch. Es dauerte ein paar Augenblicke, bis ihm klar wurde, dass er nur geträumt hatte. Es war nicht ungewöhnlich, dass er von fremden Menschen träumte. Er erkannte nie jemanden, der ihm im Traum begegnete. Aber die Eindringlichkeit dieses Traums war etwas, was er so noch nicht erlebt hatte. Er konnte sich an jedes Wort erinnern. Nur den Sinn des Satzes verstand er nicht. Was zum Teufel war der Abyss?

Er blieb noch eine Weile sitzen um sich zu sammeln, dann sah er sich nach Markus um, konnte ihn aber nirgendwo entdecken. Also machte er sich nach ein paar Minuten auf den Weg zurück zum Auto. Markus erwartete ihn dort, eines der mitgebrachten Biere in der Hand.
„Na, ausgeschlafen?“ fragte er ihn und grinste dabei breit. Liam antwortete etwas Unverständliches und sah auf die Uhr. Er hatte nur etwa zwei Stunden geschlafen und fühlte sich trotz allem frisch. Er roch jedoch ganz und gar nicht so, und so ergriff er die Initiative. „Komm, lass uns die Schlüssel holen! Ich brauche jetzt dringend eine Dusche.“
Zurück im Dorf fanden sie die Agentur gleich. Sie lag, wie von seiner Tante beschrieben, direkt neben der Kirche. Eine junge Frau saß hinter einem modernen Schreibtisch und tunkte grade ein Croissant in einen großen Milchkaffee. Sie war sehr nett und verstand sogar, was die beiden jungen Männer von ihr wollten. Das war nämlich nicht selbstverständlich, da keiner von ihnen mehr als ein paar Worte Französisch sprach. Gestikulierend forderte die junge Frau sie auf, ihr zu folgen. Sie stieg in einen kleinen, verbeulten Renault und fuhr vorweg durch das Dorf. Liam hatte Mühe, mit ihrem halsbrecherischen Fahrstil Schritt zu halten, schaffte es aber.
Etwas außerhalb des Dorfes, an einem Zeltplatz und einem kleinen Restaurants vorbei, ging es dann links ab. Nach einigen Metern standen sie vor einem geräumigen Bruchsteinhaus; ohne Pool, aber mit Garage. Liam war begeistert! Genau so hatte er sich das Ferienhaus vorgestellt.

Die Maklerin pries wortgewaltig, aber für ihn leider unverständlich die Vorzüge des Hauses. Das einzige, was er glaubte verstehen zu können, war, dass es nur wenige Meter bis zum Strand seien. Dann wedelte sie noch mit einem Übergabeprotokoll, das sie unterzeichneten, ohne etwas gelesen zu haben. Da das Papier ebenfalls auf Französisch war, machte sie sich auch gar nicht erst die Mühe, es zu versuchen. Sie gab ihnen die Schlüssel, schwebte förmlich in ihrem bunten Sommerkleid zurück zu ihrem Auto und dann waren die zwei Jungs alleine in ihrem Domizil. Sie erkundeten das Haus und suchten sich ihre Zimmer aus.