Jens Kohl

Das Glück kam lautlos

Meine Reise auf dem Camino Francés 2018 Mit 196 Fotos und einer Karte

In 198 Tagen und 918 arbeitsreichen Stunden entstand dieses Buch

03. Oktober

- 22. Dezember 2018

81 Tage / 445 Std

01. März

- 28. Mai 2019

89 Tage / 356 Std

26.09.20191

 

Tag / 09 Std

Alle schriftlichen Informationen meiner einzelnen Pilgerstationen wurden nach bestem Wissen zusammengetragen. Eine Garantie kann naturgemäß vom Autor auch im Sinne

Für die persönlichen Fotos von Anka, Angelika, Karin, Dieter, Elena, Martina, meiner Familie und des Rucksacks liegt die Einverständniserklärung zur Veröffentlichung und des abdruckes in diesem Buch beim Autor vor.

Verwendung des Namens » Hape Kerkeling» – Freiagabe durch Elke Krüger - Hape Kerkeling Management vom 30.07.2019

Für die Verwendung des Namens »Torsten Sträter» benötige ich kein Einverständnis – Agentur Susanne Buhr – vom 05.08.2019

Verwendung des Namens »Peter Maffay» – Freigabe durch Albert Luppart – Büro Peter Maffay vom 06.11.2019

Besonderen Dank an Anja Grad von »Satz für Satz» für die wertvollen Tipps

Umschlagfotos: Jens Kohl

Karte: von meinem Credencial del Peregrino

Alle Fotos vom Autor privat

 

Der Camino ist ein Wartesaal der Träume

Ich danke Nele, Sara, Mina und Anka für die gemeinsame Zeit und all die Erfahrungen.

Ich widme dieses Buch
Meiner Familie

und …

INHALT

Der Grund meiner Pilgerreise

Reise nach Saint Jean Pied de Port    1953,0 km

SJPdP, Roncesvalles, Espinal    40,7 km

Espinal, Zubiri, Pamplona    39,2 km

Pamplona nach Uterga    17,6 km

Uterga – Logroño per Anhalter    68,0 km

Im Garten

Logroño, Navarrete, Nájera    31,8 km

Nájera‚ Santo Domingo, Grañón    31,4 km

Besonderen Dank

Grañón, Villafranca Montes de Oca    32,2 km

Villafranca, Atapuerca    22,5 km

Atapuerca nach Burgos per Anhalter    16,0 km

Burgos nach Sahagún per Bus    118,0km

Sahagún, Mansilla de las Mulas    38,5 km

Mansilla nach León per Bus    17,2 km

León, Hospital de Órbigo    39,4

Hospital de Órbigo, Astorga    20,7 k

Astorga nach Ponferrada per Bus    53,0 km

Ponferrada, Trabadelo    33,4 km

Trabadelo nach San Mamede mit Melina    62,0 km

San Mamede, Sarria    5,9 km

Sarria, Barbadelo, Portomarín    26,7 km

Portomarín, Hospital da Cruz, Palas de Rei    29,7 km

Palas de Rei, Melide, Arzúa    32,4 km

Arzúa, A Brea, Santa Irene, Pedrouzo    21,7 km

Pedrouzo, San Marcos    19,2 km

San Marcos – Santiago de Compostela    7,2 km

Abschied von Mina

Wiedersehen mit Nele

Tag Null

Das Glück kam lautlos –

Mein Camino 2018 Bilder von mir

Bilder meiner Mitpilgerinnen

Meine Unterstützer

Mein treuester Begleiter

Meine Verletzungen

Meine Stationen des Weges

Wegstrecken meines Camino

Wer mich zu diesem Buch inspirierte

Kosten meines Weges

Karte aus meinem Credencial

B.

Mein Camino 2018 – Danke an Alle

Der Grund meiner Pilgerreise

Am 03. Mai 2018 verließ ich die kardiologische Abteilung eines Wiener Krankenhauses, in welche ich tags zuvor mit der Rettung eingewiesen wurde. Mein Ruhepuls war aus dem Takt geraten.

Ab nun würde nichts mehr so sein, wie in der letzten Zeit. Der Oberarzt sagte: »Überdenken Sie Ihr Leben. Nur Sie können dies ändern und tun Sie es klugerweise sofort. Sie sind kerngesund. Unternehmen Sie etwas, was Sie ohnehin schon immer machen wollten. Verlassen Sie ihr Hamsterrad des Stresses und tauchen Sie für eine Zeit aus Ihrem gewohnten Umfeld ab.« Seine mahnenden, auffordernden und sehr deutlichen Worte. Was kann ich tun? Wo soll ich hin? Was habe ich bisher nicht getan, was ich schon immer wollte? Drei Fragen und keine Antwort.

Auf der Heimfahrt ging mir sein warnendes Gespräch nicht aus dem Kopf. Ich muss mein Leben schnellstmöglich ändern. Tu ich dies nicht, werde ich bald wieder hier sein und dann für länger.

Daheim fiel mir das Buch von Hape Kerkeling »Ich bin dann mal weg« welches ich 2014 zu Weihnachten bekam in die Hände. Ich las es in drei Tagen. Bis zum Zeitpunkt des Lesens verband ich dies mit der katholischen Kirche. Über drei Jahre stand es zwischen den übrigen Büchern und weckte in mir kein ernsthaftes Interesse. Warum fiel mein Blick jetzt auf jenes? Ab diesem Zeitpunkt befasste ich mich eingehend und ausführlich mit dem Jakobsweg dem Camino Francés und fand still Gefallen daran. Er war in der Vorbereitungszeit mein täglicher Begleiter über siebzehn Wochen. Dieser führt von Saint Jean Pied de Port quer durch das Baskenland, Navarra, die Rioja, Kastilien - León, Galicien nach Santiago de Compostela.

Dass es viele dieser Jakobus Wege gibt, lernte ich schnell. Ich besorgte mir meine katholische Pilgerfibel. Im Stephansdom zu Wien bekam ich den Pilgerpass und meine Packliste las sich, als würde ich eine Weltreise unternehmen. Der Weg ließ mich nicht los und so durchstöberte ich Hunderte von Erlebnisberichten. Es gab sehr positive weniger ansprechende und einige rieten sogar ganz ab. Reizüberflutung der besonderen Art.

Nachdem ich mir meinen passenden Rucksack besorgt hatte, inspizierte ich die Reiseroute. 791 Kilometer bis zum Ziel. Meine Vorbereitungen waren täglich so ausgiebig, als würde ich morgen starten. Tatsächlich überzeugt war ich nicht, erklärte meinem Chef jedoch mein abenteuerliches Vorhaben. Vier Wochen mit dem Rucksack durch Spanien . Ausgerechnet ich der das nie richtig klasse fand. Die Worte des Arztes hatte ich jederzeit im Hinterkopf. »Tauchen Sie für eine längere Zeit ab, um Ihren Kopf freizubekommen. Es geht um Ihre weitere Gesundheit!« Im Juni buchte ich meinen Flug nach Pamplona, infolge dessen stand fest, ich gehe meinen ersten Camino.

Bisher waren meine Kollegin Martina und mein Chef eingeweiht. Beide dachten sicherlich, das kann nicht sein Ernst sein. Wie kommt er darauf?

Meine Familie wollte ich erst mit einem Bild aus Saint Jean Pied de Port davon in Kenntnis setzen. Im Juni ließ ich dann die »Bombe« platzen nachdem die Frage kam, »Wo verbringst du deinen diesjährigen Sommerurlaub?» »Ich geh den Jakobsweg. Von Saint Jean Pied de Port bis nach Santiago de Compostela. 791 Kilometer. Ich habe es nicht vor, sondern tue es wirklich. Gebucht habe ich. Am 31.08. geht’s los.« Ungläubige Gesichter meiner Familie. Sicher nahmen auch sie an »Was ist das für eine Schnapsidee? Freiwillig und nur mit Rucksack?« Niemand konnte mich in den vergangenen Jahren für das Wandern begeistern.

Überzeugend teilte ich mit, dass ich ausreichend belesen und hervorragend vorbereitet bin. Ein Zurück gab es für mich nicht, ich hatte ja bereits gebucht.

Vier lange Monate des Wartens lagen nun vor mir. Mein Umfeld war angespannter als ich. Vom Wissen auf was ich mich da wirklich einlasse, war ich sehr weit entfernt. Keinen einzigen Millimeter wich ich von meinem Vorhaben zurück. Heute sage ich mit Freude zum Glück!

Der Camino ist mit nichts vergleichbar!

Ohne die Intensität meines Chefs mir diesen für mich entscheidenden Urlaub zu genehmigen, hätte ich eine der beeindruckendsten Zeit meines bisherigen Daseins verpasst. Nicht allein mein Arzt war ausschlaggebend, ebenso der September 2013 sowie der April 2014.

  Fehler begeht man. Jedoch nie denselben zweimal.

Wochen vorher werde ich immer wieder gefragt, ob ich mich freue. Stets nicke ich stumm oder sage »Ja bald ist es so weit.« Innerlich denke ich, was habe ich mir schlicht und ergreifend nur angetan? Warum musste ich diesen Camino Francés auswählen? Wieso habe ich es nur erzählt? Könnte mich für die Wochen daheim einschließen oder irgendwohin fahren wo es ebenfalls abgeschiedene und staubige Wege, Berge und grüne Wälder gibt. Nach einer Woche teile ich ganz unverblümt mit, dass meine Füße schmerzen, ich aufgeben musste. Fliege Richtung Meer und verbringe dort entspannt den Rest meines Urlaubs. Richtig wäre es nicht, merken würde es aber niemand. All diese Gedanken gab es. Da meine Sachen gepackt waren, wollte ich jetzt starten. Lust hatte ich.

Die Angst und der Respekt gaben jedoch den Ton an. Angst? Nicht vor der Einsamkeit, sondern vor der Ungewissheit. Was kommt wirklich auf mich zu? Vorbereitet bin ich gut. Glaubte ich.

Anreise nach Saint Jean Pied de Port 31 August 2018 –2: 30 Uhr

Mein Weg führt mich von Wien über Frankfurt / M. nach Pamplona in Spanien. Fahre über Zubiri, Roncesvalles nach Saint Jean Pied de Port in Frankreich zu meinem Startpunkt. Das Taxi holt mich halb vier in der Früh ab. Die Zentrale überrascht mich gleich mit einem äußerst kommunikationsfreudigen Fahrer, welcher sofort anfängt, mir ein Ohr abzukauen. Morgenmuffel bin ich keiner, aber ich werde gleich zu einem.

Er: »Fährst du in den Urlaub?«

Ich antworte knapp mit »Ja.«

»Allein, das ist doch kein richtiger Urlaub.«

Meine kurze Antwort »Doch.«

»Wieso nur mit einem Rucksack?«

Ich erkläre ihm: »Mehr brauche ich nicht.«

»Warum fährst du allein, hast du denn keine Familie?« Ich lehne mich zurück und erkläre Josef meinem freundlichen Fahrer ausführlicher: »Weil ich etwas unternehme, wozu ich derzeitig niemanden außer mich allein brauch.« Seine selbstgebastelte Visitenkarte überreicht er mir, falls ich in absehbarer Zeit wieder ein Taxi benötige. Es ist ein solider Flughafenzubringer mit zwei Kindersitzen. Jene montiert er noch eilig vor Fahrtantritt ab und lässt sie im Kofferraum verschwinden. Ich sehe über diese Nuance schmunzelnd hinweg welche zu (m)einem seriösen Taxifahrer gehören. Bitte nicht viel fragen um diese Uhrzeit. Es geht schon gut los, kann lediglich nur besser werden.

Zum Flughafen sind es fünfunddreißig Minuten. Nach einer gefühlten Ewigkeit kommen wir an. Josef lässt nicht locker und muss noch eine allerletzte Frage loswerden. »Was ist das für ein »weißes Ding« an deinem Rucksack?« Meine Antwort »Dies ist ein Geschenk.« Er redet vom Erkennungszeichen aller Pilger, der Jakobsmuschel.

Zu meiner Verwunderung stelle ich beim Betreten des Terminals fest, den gewohnten Check-In gibt es so nicht mehr. Keine überfreundlich knallig geschminkten und immer lächelnden Damen hinter einem viel zu kleinem Tresen. Selbsteinchecken ist offensichtlich hier angesagt. Zettel raus und sechsstelligen Code eintippen. Nach fünf Minuten Lesen, Tippen, Löschen, Tippen, Löschen und es gelingt. Das grüne Band lässt sich blicken. Geschafft. Wohin nun mit meinem schweren beklebten Rucksack? Ich begebe mich zu den Einweisern, denn jene hat der Flughafen extra dafür abgestellt. Kevin, so steht es an seinem Namensschild, ignoriert mich gekonnt. Entweder ist es ihm noch zu früh oder ich bin nicht sein Typ, gehe ich eben zu den Einweiserinnen. Die vier netten Damen haben ein offeneres Ohr für mich. Ich erkläre ihnen mein Vorhaben und zeige mein hellgrünes Bändchen. Sie fragt: »Aufgeben?« Ja das wäre vorteilhaft, denn dafür habe ich dieses an meinen Rucksack gefummelt, schwirrt es in meinem Kopf.

»Sie müssen sich dort drüben anstellen« und deutet mit einer schlingernden Handbewegung durch die Halle. »Gehen Sie zum Abwiegen und checken Sie ihr Gepäck eigenhändig ein.«

Es läuft suboptimal für mich um kurz vor fünf. Gut das ich rechtzeitig vor Ort bin, sonst wäre die Gefahr gegeben, meinen Flieger zu verpassen. Nach dreißig Minuten schicke ich meinen knallig olivfarbenen Rucksack auf die Reise nach Pamplona und hoffe ihn dort wohlbehalten in Empfang nehmen zu dürfen.

In der Hoffnung, alles erledigt zu haben, begebe ich mich zur Passkontrolle. Dort weist man mich bestimmt darauf hin »Sie haben Ihre Bordkarte nicht ausgedruckt.« Ich gehe wiederholt zu den freundlichen Einweiserinnen. Die Vertreterinnen des schönen Geschlechts erwarten mich bereits und überreichen mir diese. Nun halte ich sie in Papierform in meinen Händen »meine Bordkarte.«

»Hätten Sie sich dort am Schalter angestellt, abermals mit einer nichtssagenden Handbewegung, alles wäre wie Sie es aus der Vergangenheit her kennen.« Ihr knapper Nachsatz. Ich danke dem Flughafen Wien für diese ausgesprochen hilfreiche Nichtbeschilderung.

Fünf Uhr. Ich suche mein Gate nach Frankfurt / M. Die nächste Freude reiht sich nahtlos an die Vorherige. Das Rollband, welches die endlos blank polierten Gänge kurz erscheinen lässt, funktioniert nicht. Wer steht schon gern so früh auf? Es ist eindeutig zu früh und somit suche ich gehend mein Gate. So gewöhne ich mich daran, Gehen, ohne den genauen Weg zu kennen. Meine Freude um diese Uhrzeit kennt keine Grenzen.

Das Beste kommt zum Schluss, der Body - Check. Gut gelaunt betrete ich die makellos abgegrenzte Laufstrecke. Ich umtanze sportlich und schnittig die eng aneinander gereihten neunzig Grad Winkel. Abgesteckt sind jene mit leuchtend roten Bändern. Lediglich das Ende war nicht ganz durchdacht. Hier geht’s nicht weiter. Bevor ich mich zurück schlängle, schlüpfe ich tanzend darunter hindurch und bekomme den Unmut von Radica zu spüren. Sie ist die Herrin des Body - Checks.

Ihr tiefes, flaches Ausatmen vernehme ich deutlich und ein »So geht das hier aber sicher nicht! Wenn das jeder machen würde!« Frau Radica scheint eine sehr herzliche Zeitgenossin zu sein. Lautstark und in einer mir nicht vertrauten Sprache zeigt sie mir ihre ganze Autorität. Ich bin der Einzige vor Ort und niemand folgt meinem morgendlichen eleganten Limbo Tanz unter dem tiefroten Absperrband hindurch. Schon stehe ich vor ihr und begrüße sie mit einem »Wunderschönen guten Morgen!« Sie: »Haben Sie Flüssigkeiten dabei, wenn ja alles in diese graue Box legen. Nehmen müssen Sie sich diese selbst!« Ich liebe es, Einzelwesen zu begegnen welche sinnvoller einen Beruf gewählt hätten wo sie in der Früh weiterhin schlafen könnten. All jene wären (m)eine Bereicherung und unsere Pfade würden sich niemals kreuzen. Gleichwohl finde ich es lobenswert, wenn einem sein Job Spaß macht.

Radica möchte abschließend den Sinn meiner Jakobsmuschel wissen. Sie wird freundlicher und wünscht einen nicht nur schönen, sondern angenehmen Tag. Na geht doch. Sollte die Muschel täglich an irgendeine Stelle hinhängen, um die Freundlichkeit bei einigen Mitmenschen raus zu kitzeln. Erleichtert packe ich all meine Habseligkeiten zusammen. Geschafft. Mein Gate wartet auf mich.

Im Gehen kommt mir ein Gedanke. Wie reizvoll wäre in diesem Augenblick mein bisheriger Alltag. In die Firma fahren morgens um fünf Uhr einen Kaffee mit Martina trinken und mich ins Getümmel meines Stresses stürzen. Stattdessen sitze ich an einem Gate und schaue aus wie ein Gestrandeter. Ringsherum Leute mit Anzug und Laptop. Ihre Blicke streifen mich. Auf dem Camino wird sich dafür hoffentlich niemand interessieren. Lediglich muss ich dort erst einmal an- und hinkommen.

Die Zeit bis zum Flug vergeht mit meinem Hörbuch von »Torsten Sträter« im Ohr und die Wunderlinge beobachten rasch. Menschen, welche halb sechs morgens lautstark am Handy hängen und irgendwem mitteilen, wie unentbehrlich sie sind und dass sie einen sehr langen und stressigen Tag in Frankfurt haben, das ohne sie nichts richtig läuft und sie sich ständig um alles selbst kümmern. Die Lautstärke meines Hörbuches steht am Limit. Dieses Unwichtige macht meinen Kopf derzeit nur unnütz voll. Mit wem saß ich hier? Wohin gingen all meine Reisen?

Leipzig, Berlin, Düsseldorf, Lanzarote, Stuttgart, Kreta,

Hamburg, Hurghada und nun nach Pamplona und SJPdP. Menschen kommen gedanklich hinzu und es formen sich Bilder und Dialoge. Manche Zeitgenossen sollte ich verdrängen, andere lassen tiefere Gedanken zu.

Da ist meine Familie, meine Eltern, meine Großeltern, mein Bruder, Manu eine liebe Freundin, welche 2013 zu früh von uns ging, Roland mein früherer Chef und B. Worte für diese Frau sind ausnahmslos positiv und gehören nur mir.

Gedanken fliegen durch meinen Kopf und so sitze ich hier allein und daran wird sich in den nächsten Wochen nichts ändern. Wochen klingen geringer als Tage hören sich jedoch nicht reizvoller an. Mir kommt es schon jetzt verdammt lang vor, wenn ich lediglich daran denke, wann ich hier wieder lande.

Mein Tagebuch liegt genauso entspannt vor mir, wie ich mich in diesem Moment fühle. In der Hoffnung nach der Reise Bedeutsames zu lesen und nicht Hunderte von Fotos anschauen zu müssen schenkten mir meine Eltern jenes. Ohne diese Kladde wäre das Buch nie entstanden. Es ist mühsam Fotos anzuschauen, ohne dabei gewesen zu sein.

Wie soll ich beginnen? Ich schreibe nie Tagebuch und habe nie etwas schriftlich festgehalten was mein Leben betrifft. Warum sollte es ausgerechnet jetzt jemanden interessieren? Ich schreibe es nur für mich.

In den vergangenen zwei Stunden passierte schon die eine oder andere humorvolle Begebenheit und ab jetzt soll mein Stift noch regelmäßiger zum Einsatz kommen. Meine Erinnerungen sind noch frisch und so schreibe ich munter drauf los. Unterhaltend werde nur ich es finden, bin ja live dabei.

Ich bin scheinbar nicht der Einzige, welcher den Camino für sich entdeckt hat. Eine Gruppe Frauen mit ähnlich schicker und funktionaler Kleidung möchte ebenso nach Frankfurt . Ein kurzer Small Talk und sie gehen den Weg ab Porto, den Caminho Português. Dieser hat eine Länge von 360 Kilometer und war mir bisher nicht so geläufig. Man lernt nie aus. Auch sie gingen noch nie einen Weg und erhoffen sich spirituelle Eingebungen. Sie gehören einer besonderen Gruppe an. Zwei sind Veganer und fünf sind Frutarier. In einem Hostel oder Hotel möchten sie nicht nächtigen. Ihnen ist alles zu kommerziell und sie ziehen es vor am Strand zu schlafen. Ihr Budget für sechzehn Tage beträgt beinahe null. Auf meine Frage was sie essen werden. »Nüsse, Beeren, Früchte, Gemüse und allerlei Samen. Unsere Ernährung findet nur statt, ohne dass die Pflanze stirbt. Wir haben ja etwas Getrocknetes mit.« Auch ist ihre Ausstattung sehr schmal. Sie sind nur mit etwas größeren Jutesäcken unterwegs. Ich wünsche ihnen viel Glück, tolle Erfahrungen, gutes Gelingen und immer einen vollen Gemüse- und Obstgarten. Das könnte für die Damen verdammt knapp werden.

ABFLUG

Sechs Uhr zehn mein Flieger hebt ab Richtung Frankfurt . Es geht los. Rückzug gibt es nun keinen mehr.

Gut gelandet und gelaunt treffe ich in der Mainmetropole ein. Weitere zwei Stunden Warten auf den Weiterflug nach Pamplona in Spanien . Die Jakobsmuschel hängt mittlerweile seitlich an meinem ultraleichten Backpacker. Eine Frau steuert zielgerichtet auf mich zu. Mit ihrem sonnigen Lächeln spricht sie mich an und ihre goldgelben Zähne springen mir sofort ins Auge. Ohne Hallo stellt sie fragend fest. »Gehst du ebenso den Jakobsweg?!«

Ich schaue sie mit großen Augen an und nicke. »Ja ich gehe den Camino , zumindest habe ich es vor.«

Sie sofort auf »Fliegst »Du« auch nach Pamplona oder nach Biarritz?« Ich sitze vor dem Gate nach Pamplona.

»Na rate mal wo es für mich hingeht?« frage ich sie. Mir schießt es in den Kopf »AUCH?!« Nein bitte nicht schon wieder. Das könnte die Schwester von Josef und Radica sein.

Neunzig Minuten bis zum Weiterflug und bereits eine Klette an der Backe. Von dem wollte ich auf jeden Fall weg. Mein goldiges Lächeln kommt aus Dresden und heißt Saskia. Ich höre mir ausführlich den Grund ihres Weges an. Eine sehr spontane Idee ihrerseits um von allem Bisherigen auf Distanz zugehen. Den Abstand möchte ich gleichermaßen. Saskia geht ihren wegen der bevorstehenden Scheidung. Der Grund meiner Reise bleibt noch im Verborgenen. Saskia erklärt mir sehr ausführlich »Dass ihr Mann sich scheiden lässt, weil er nicht mit ihr reden kann. Sie sei in den letzten Jahren stehen geblieben. Seine eindringlichen Worte an sie.« Ganz toll das lässt sie nun gegenwärtig an mir aus. Warum erzählt sie mir das? Sie kennt mich gar nicht und redet ohne Punkt und Komma. Ihre Vita erfahre ich in dreißig Minuten. Ich gebe ihr das Gefühl, aufmerksam zuzuhören, um nicht ungefällig zu wirken. Er wird sicher eine Party schmeißen, wenn er das Amtsgericht verlässt, denke ich mir. Saskia ist unstrukturiert und bescheiden in ihrer sehr einfachen netten Art. Wie sie mir gerade unmissverständlich klar macht geht sie ebenso den Weg ab Saint Jean Pied de Port. Wie sie von Pamplona dorthin kommt, weiß sie nicht. Ich verkneife ihr mitzuteilen, dass ich ihr einige Schritte bereits voraus bin. Da ich kein Spanisch spreche, holte ich mir im Vorfeld Erkundigungen ein. Mein Gehirn teilt mir mit »Mit der gehst du ganz sicher keinen Meter.«

Die Busfahrt dauert neunzig Minuten und führt von Pamplona über Zubiri, Roncesvalles nach Saint Jean Pied de Port. Laut ihrer Flugbordkarte sitzen wir nicht zusammen. Ich kann mich in den nächsten zwei Stunden in Ruhe auf meinen Camino vorbereiten. Mein Platz befindet sich in der zweiten Reihe und die Sonnenblumenbekanntschaft sitzt weit hinten. Da hatte bei der Platzauswahl sicherlich jemand seine Hand im Spiel. Das ist meine Chance ihr nach der Landung zu entkommen. Rucksack schnappen und mich aus dem Staub machen. Laufen kann ich, habe ja vor zwanzig Jahren mal aktiv Sport gemacht.

Der turbulente drei Stunden Flug mit der spanischen Airline ist etwas ganz Besonderes. Die Sitzreihen sind so eng, dass ich mein Gepäck im Fach über mir beneide. Es kann sich ausstrecken.

Pamplona begrüßt mich mit Sonnenschein. Mein Wegbegleiter hat es ebenso unbeschadet geschafft und bisher ist von der Sonnenblume nichts zu sehen.

Ich atme tief durch und stürze aus dem Flughafen. Ein Taxi hält treffsicher vor mir. Erkläre meinem Fahrer, welcher mich nicht versteht, denn Englisch spricht er nicht, dass ich zum Busbahnhof nach Pamplona möchte wo die Busse nach SJPdP abfahren. Die Jakobsmuschel am Rucksack hilft mir dabei. Ich genieße die Fahrt in einem klimatisierten Auto und muss nicht sieben Kilometer über Land gehen. Leider bin ich wieder nicht allein. Rita ursprünglich aus Klagenfurt nun aus Bayern erklärt mir Oberlehrerinnenhaft, »Deinen Weg ging ich 2017. In sechzehn Tagen habe ich diesen komplett geschafft.«

»Du bist täglich fünfzig Kilometer gepilgert?«, frage ich. Sie: »Klar war nicht schwer.« Rita ist 1,55 m und schaut ein klein wenig verbiestert aus, dafür ist sie sehr drahtig und sportlich. Sie war auf all ihren Wanderungen stets allein. Neunzehn Camino ist sie in zehn Jahren gepilgert. Verwundert gibt sie bekannt: »Ich brauch keine unnötigen Mitpilger, diese interessieren mich allesamt nicht.«

Meine Gedanken sortieren sich augenblicklich schwer. Hoffentlich gibt es nicht zahlreiche von ihrer Sorte. Ich wurde im Nachhinein eines Besseren belehrt. Rita fährt mit und somit spare ich die Hälfte des Taxigeldes, feine Sache. Da sie den Camino del Norte den Küstenweg geht, werde ich ihr hoffentlich nirgends wieder begegnen.

Pamplona fliegt an mir vorbei. Wenn alles weiterhin so problemlos verläuft und meine Füße mich tragen dürfte ich am Montag, heute ist Freitag, diese reizvolle Stadt wiedersehen. Siebzig harte Kilometer sollte ich dann in meinen Beinen spüren.

Zwei sonnige Stunden verbringe ich in Pamplona. Lust zum Gehen verspüre ich nicht wirklich. Ich bin es nicht gewohnt ständig mit Gepäck zu gehen.

Saskia verbrachte die ganze Zeit sitzend an einem Fixpunkt. Allein wollte sie nichts ergründen so ihre Worte. Mit ihr zusammen fahre ich nach Frankreich .

Meinen schweren Rucksack verdamme ich schon jetzt. Bisher setzte ich keinen einzigen Schritt auf meinen Weg und merke, dass ich viel zu viel mithabe. Zwei lange und kurze Shirts, lange Hose, welche ebenso eine kurze ist, Regenjacke, Poncho, eine leichte Jacke, Trekking Sandalen, meine katholische Pilgerfibel, Erste Hilfe Set, drei Boxer, zwei Paar Socken, Digicam, ein Reise Necessaire, Schlafsack, Mikrofaser Handtuch, Traubenzucker, Geld und Handy. Das wiegt alles zusammen über sieben Kilo. Auf der Fahrt zu meinem Start denke ich, ob diese Entscheidung die Richtige gewesen ist.

Ich habe mir einen alleinigen Sitzplatz gesichert. Neben mir nur mein olivfarbener Signalrucksack und ein Kopf voller tief greifender Gedanken welche schwerer wiegen als mein knalliger Begleiter.

Warum tu ich mir das an? Eine Kollegin sagte kurz vor dem Start »Ich würde es mir nicht trauen. Du musst dir nichts beweisen. Ich finde gut, was du machst.« Genau jene welche sehr sporadisch mit mir redet, wenn sie besonders gut gelaunt ist oder etwas benötigt. Im Grunde ist sie ja auch eine ganz Liebenswerte. Lass die Gedanken ruhen, denke ich, sie hat es wirklich nur nett gemeint und das denke ich wahrhaftig. Wieso kommt sie mir gerade in den Sinn? Andere hätten diesen Platz eher verdient. Dem Vernehmen nach kommen mir all jene Menschen nacheinander in den Sinn von denen ich mich nach meiner Rückkehr galant und still verabschieden werde. Ich verschwende keinen weiteren Gedanken daran und füttere meinen Kopf nur mit erinnerungswürdigen Eindrücken. An mir ziehen endlos lange Graslandschaften vorbei. Sie wiegen sich im Wind leicht hin und her. Schaut aus wie ein Kopfschütteln. Ein erster Wink? »Tu es nicht!« oder ist es ein Kopfnicken »Du tust das Richtige!« Schließe endlich mit deiner Vergangenheit letzten Endes Frieden. Die Wahrheit liegt sicher auf dem Trampelpfad entlang der einzelnen Reihen. Sehen tu ich diese noch nicht.

Nach viermonatiger Vorbereitungs- und Wartezeit freue ich mich, hier sein zu dürfen. Ab morgen spüre ich den Weg, meinen Camino , unter den Füßen. Kopf aus, Herz an.

Auf der neunzigminütigen Fahrt kann von Gelingen keine Rede sein. Zu viel unnütze Gedanken schwirren in meinem Hirn umher, welche augenblicklich keine Veränderungen finden. Sie tauchen stetig auf. Warum habe ich nicht einen guten Freund mitgenommen, statt allein mein Vorhaben zu bestreiten? Warum bin ich nicht ans Meer gefahren und hab es mir dort gut gehen lassen? Fragen über Fragen.

Meinen Ausgangspunkt SJPdP auf der französischen Seite der Pyrenäen habe ich fast erreicht. Die Fahrt mein erstes Highlight. Außentemperatur fünfunddreißig Grad im Bus sind es fünfzehn. Der Fahrer kann unsere Fragen nicht beantworten. Er spricht Spanisch oder besser gesagt erhebt seine tiefe Stimme zur Musik im Radio und somit scheint es unverständlich und wirft nur Fragen auf. Unzählige Serpentinen teilweise so eng das der Bus die Route korrigieren muss und einem im wahrsten Sinne das Essen durch den Kopf geht. Die Ausschüttung von Histamin ist in vollem Gange.

Auf der Strecke nach Roncesvalles ich sitze in der dritten Reihe, geht einigen älteren Businsassen ihr Essen durch den Kopf und jawohl es bleibt nicht bei den wenigen. Der Fahrer erklärt gestenreich, dass es nichts Außergewöhnliches sei und fast jeder seiner Fahrgäste damit zu kämpfen hätte. Er hält in SJPdP an und öffnet die Tür. Endstation. Sein fahrbarer Untersatz ist nicht mehr so sauber wie zu Beginn der Fahrt.

Mein Herz fängt schneller an zu klopfen. Sehr zögerlich betrete ich erstmals französischen Boden. Der Ausstieg wird zum Fiasko. Die Außentemperatur beträgt vierzig Grad. Niemand weiß wo es hingeht und der Sauerstoffüberschuss tut sein Übriges. Geht schon gut los.

So schultere ich meinen Rucksack und mache mich auf die Suche nach der Rue de la Zitadelle. Meine Unterkunft finde ich nach fünfzig Minuten. Zigmal bin ich an dieser vorbeigelaufen. Sie liegt unterhalb des Pilgerbüros und oberhalb des Stadttores. Ich habe es geschafft. Nach über vierzehn Stunden bin ich endlich in Saint Jean Pied de Port.Ein Städtchen mit 1.683 Einwohnern auf einer Fläche von knapp drei km2 gelegen im Departement Pyrénées Atlantiques in der grünen Region Nouvelle Aquitaine. Früher hieß die Stadt Sainte Marie du Bout du Pont. Info Pilgerbüro und meine Herbergseltern

Eine Anreise zum Abgewöhnen, aber ein bezauberndes Fleckchen Erde. Rein ins Pilgerbüro und Stempel holen. Ich tausche meine kleinen gegen zwei große Muscheln. Verstehen tu ich nichts, denn mein Französisch ist so gut wie ich stricke, aber Infos gibt es ausreichend.

Ich bin nur platt und würde mich am liebsten ausruhen. Mein Zimmer für siebenundzwanzig Euro mit Frühstück ist vierfach belegt. Zwei Doppelstockbetten mitten in der Küche eines Einfamilienhauses.

Mit mir zusammen im Zimmer ist Herbert aus Kiel ein Finanzbeamter. Er wohnt mit 58 Jahren noch immer bei Mutti und genauso einen Charme versprüht er. Er sucht Mitpilger und dankend lehne ich ab.

Ich ziehe es vor, allein zu starten. Herbert möchte lieber mit Frauen pilgern, mit jenen kommt er besser klar. Eine Freundin oder Frau hatte er bislang nicht, denn keine gefiel bisher seiner Mama. Toll wie ein Casting zu einer TV Show und ich ungewollt mittendrin.

Eine Schwedin aus Hamburg und ein Grieche nächtigen ebenfalls hier. Sie reiste nicht mit dem Flugzeug, sondern per Bus an, einunddreißig Stunden war sie unterwegs. Ich muss raus, das halte ich nach meiner langen Anreise nicht aus. Auf zur ersten Erkundungstour. Behutsam begut-achte ich meinen Startpunkt und stelle fest klug war die Entscheidung nicht. Gleich zu Beginn erwartet mich ein steiler Anstieg. Berge welche bis zum Horizont reichen. Ich kann nur schleierhaft erahnen, welche Schwierig-keiten mich erwarten.

Lang bin ich nicht allein. Jemand begrüßt mich mit einem gemurmelten »Hallo«. Grüße freundlich zurück. Diese beiden sehe ich sicherlich an weiteren Orten und möchte keinen unwirschen Eindruck hinterlassen.

»Was machst du hier?« So als würden wir uns kennen.

»Ähm, Urlaub eher nicht«, erwidere ich.

Warum gibt es Menschen, welche zu jeder Zeit unqualifizierte Fragen stellen nur um etwas zu erfragen oder ein Gespräch zu beginnen? Ich erkläre beiden das ich, wie sie den Weg gehe und morgen sehr früh starte. Darauf sie »Toll da können wir ja alle drei gemeinsam beginnen.« Da beide nicht auf meiner Wellenlänge schwimmen, was sich fix herausstellt, gebe ich zur Antwort. »Eher nicht. Die ersten Etappen möchte ich gern allein gehen. Mein Kopf ist voller Gedanken und Erlebnisse aus den letzten Jahren und diese gehören sortiert und angemessen eingeordnet.« Begeisterung sieht anders aus, das ist mir egal. Schon kommt mit einem lauten »Huhu« Saskia Sonnenblume die Straße entlang. Sie ist eine Frau Mitte vierzig, kurze rötliche Haare, etwas zu viel Make-up, mit Jogginghose und Schuhen, welche dem Weg nicht entsprechen. Da ein Tisch gewöhnlich vier Sitzgelegenheiten hat, ist zu meinem Unglück noch eine frei. Sie lässt sich hineinfallen, als würde sie bereits zwanzig Kilometer hinter sich haben. »Was ein Stress, nein, wenn das täglich so ist, das halte ich nicht durch« lautet ihre knappe Feststellung, in ihrem mir fast unverständlichem Sächsisch. Ich erwidere, »Stimmt, die Anreise war stressig, aber du wurdest zu jeder Zeit geflogen oder gefahren. Du musstest dich den ganzen Tag um nichts kümmern außer um dich selbst. Aufgeben kannst du auch morgen noch.«

Das scheint der Sonnenblume bereits genug zu sein und ich erkenne wiederholt ihre einfache und sehr simple Art. Andreas und Heike meine Potsdamer Blitzbekanntschaft pflichten mir bei. Sie zu Saskia »Na da können wir ja gemeinsam gehen?!« Saskia schaut sich um und erwidert: »Ausgezeichnet sind wir schon zu viert.«

Ich mische mich kurz ein und erläutere abermals.

»Ihr bleibt das Dreigestirn. Ich werde meinen Weg ausschließlich allein beginnen.«

»Warum?«, entgegnet sie »Ist doch lustiger zu viert.«

Das mag schon sein denke ich und erkläre noch mal zum Verständnis Aller. »Wenn ich gewollt hätte, dass es lustig wird, wäre ich in einen Magic Life Club gefahren und für spaßige Unterhaltung ziehe ich immer das Kabarett vor.« Verdutzte Gesichter. Zum Glück haben sich bereits drei gleichgesinnte gefunden und das ist vorerst ausreichend. Zusehens geht’s ans Eingemachte. Heike stellt die für sie wichtigste Frage »Wo schlaft ihr denn heute?«

Ich voller Glück. »In einer netten kleinen Pension mit Doppelstockbetten, einem liebevollen Garten und netten Herbergseltern. Diese liegt gegenüber vom Stadttor und unterhalb des Pilgerbüros. Meinen Start kann ich sehen.« Drei Augenpaare schauen mich missmutig an. Andreas kontert. »Aber es ist ein Pilgerweg und Pilger schlafen immer nur in einer kirchlichen Albergue. Zusammenhalt, Austausch, das ist das Wichtigste auf dem ganzen Weg. Das Finden zu Gott. Er steht über allem und leitet uns.« Diese Unterhaltung möchte ich nicht und werfe ein: »Ich habe keinen Bezug zu Gott. Ich habe ihn nicht verloren und werde ihn daher auch nicht suchen. Wenn es ihn gibt weiß er, dass ich hier bin und ich glaube nicht, dass es ihn sehr stört, wenn ich in einer netten Pension übernachte.« Andreas und seine Frau erinnern mich an den Film »Der Name der Rose.« Sie sind mittelalter Fans und pilgern genauso ihren Weg. Die Verhaltens- und Denkweise des Antiquierten haben sie unübersehbar verinnerlicht. Sie leben diese jeden Tag ausgiebig. Ich kneife meine Augen zusammen, um Andreas zu unterbrechen, und erkläre »Dass ich weder katholisch noch evangelisch nicht mal getauft bin. Mein Camino wird nicht mein heiliger Weg.« »Ach« platzt es aus Heike heraus »Ist es dein Spaßweg? Bist du auch einer der den Camino als liebste Rennstrecke der Deutschen sieht?«

»Komme aus Wien« meine kurze Antwort. Ich möchte meinen Kopf freibekommen und herausfinden, was passend ist oder war und welche Mitmenschen in meinem Leben bleiben und welche nicht, ganz einfach.

Saskia wirft ein »Freunde sind so wichtig. Diese sortiert man nicht einfach aus.« »Richtig, Freunde« erwidere ich. Meine drei ungewollten Mitstreiter sind erzkatholisch.

Mir kommt meine Kollegin mit ihren Gesten in den Sinn und ich muss still lachen. Sie meinte »Von der Sorte wirst du genug kennenlernen!« Ihre gestikulierende Hand läuft wie ein Film vor meinen Augen ab, recht hatte sie. Auf der Plaza herrscht reges Treiben und ein bisschen fühle ich mich wie im Urlaub. Prinzipiell ist er es auch. Ich liebe den Strand und das Meer. Dies ist eine komplett neue Erfahrung. Ist es in Wirklichkeit Urlaub oder nur ein Flüchten? Im Mai hätte ich dieses Angebot dankend und kopfschüttelnd abgelehnt nach Santiago de Compostela zu wandern. Ich bin noch kein Pilger. Bislang bin ich ein Sitzwanderer im Kaffee und was ich hier konkret mache davon wissen lediglich wenige und das ist auch gut so.

Wie in Watte gehüllt höre ich das Dreigestirn reden und möchte nichts Weiteres von ihnen mitbekommen. Kein tiefgründiger Sinn ist zu erkennen. Ihr Gespräch ist mir zu platt und einfallslos.

Ein langer Tag muss zu Ende gehen und demzufolge verabschiede ich mich Richtung Unterkunft durch das halbdunkle SJPdP. Von Ruhe ist hier nichts zu spüren, es ist zehn Uhr am Abend. Ich bin todmüde.

Meine drei Mitbewohner gestikulieren und reden lautstark in zwei verschiedenen Sprachen. Sie kommen ungeachtet dessen auf keinen grünen Zweig. Warum müssen Südländer jederzeit so schreien? Dadurch sind sie nicht besser zu verstehen und eine gemeinsame Sprache finden sie nicht. Gesten gehen genauso leise.

Folglich Ohropax rein. Gute Nacht kleines Städtchen. Der Tag bescherte mir heute bereits genügend Glücksmomente. In der Früh durch meinen Taxifahrer Josef, den vermindert hilfsbereiten Einweiser Kevin, Radica die Body-Checkerin in Wien. Saskia Sonnenblume in Frankfurt/M., Andreas und Heike die erzkatholischen Pilger in Saint Jean Pied de Port. (SJPdP)

Eindruck des Tages:

Nicht jeder Bekannte muss ein Freund werden, oft ist die Einsamkeit schöner

Eingang zum Pilgerbüro in Saint Jean Pied de Port

SAINT JEAN PIED DE PORT

SAINT JEAN PIED DE PORT

Blick von meiner Unterkunft