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Moonlight Romance
– 45 –

Testament für die Hölle

Peter Haberl

Impressum:

Epub-Version © 2019 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74095-884-8

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Die junge Frau erschrak bis in ihren Kern, denn dieser Mann schien aus einer Zeit zu stammen, die längst der Vergangenheit angehörte. Im ersten Moment erinnerte sein Gesicht an das eines Menschenaffen. Lange, struppige Haare fielen über die breiten, muskulösen Schultern dieser Erscheinung, ihre Stirn war flach und fliehend und die Überaugenwülste waren ganz besonders ausgeprägt. Die Nase war groß und stark gebogen, Mund und Kinn waren von einem wildwuchernden Bart verdeckt. Das war kein Homo Sapiens des 21. Jahrhunderts, wenn auch seine Kleidung dem heutigen Status entsprach. Diese Rasse war vor Zehntausenden von Jahren ausgestorben. Angela hatte unvermittelt das Gefühl, einen bösen Traum zu erleben – einen Albtraum, der ihr das Entsetzen wie Fieberschauer durch die Blutbahnen trieb. Das Wesen starrte sie an, in seinen Augen spiegelte sich das Licht der Straßenlaterne wider, und sie schienen in diesem Licht zu glimmen wie glühende Kohlestücke. Aber da war noch etwas. Diese Physiognomie; sie erinnerte Angela an jemand, sie kam aber nicht drauf, an wen, so sehr sie sich auch den Kopf zerbrach, soweit Angst und Schrecken dies überhaupt zuließen.

Die vierundzwanzigjährige Angela Plohmann hatte das Gefühl, angestarrt zu werden. Um sie herum war das Stimmengewirr, das die Partygäste verursachten, in diese verworrene ­Kulisse mischte sich Musik, für die ein DJ, den Angelas Vater anlässlich seines 53. Geburtstages engagiert hatte, sorgte.

Als Angela den Kopf etwas drehte, begegnete sie dem Blick eines etwa fünfzigjährigen Mannes mit grau melierten Haaren. Er schien sich regelrecht an ihr verkrallt zu haben, war stechend und bereitete der jungen, rassigen Frau sofort Unbehagen.

Angela wusste, dass es sich um den Gatten einer Kollegin ihres Vaters handelte und dass sein Name Einsporn war. Er war schlank, sein Gesicht war schmal und gut geschnitten und er hatte gewiss etwas an sich, das Frauen betören konnte. Das stellte Angela innerhalb eines Augenblicks fest.

Der Mann schien geradezu von ihr gebannt zu sein und schaute nicht weg wie jemand, der bei etwas Unerlaubtem ertappt worden ist. Es war ein durchdringender, fast hypnotischer Blick, mit dem er Angela fixierte, und in ihr wuchs die Unbehaglichkeit. Ihr Blick war es, der abirrte, und zu ihrer Unbehaglichkeit gesellte sich ein hohes Maß an Verlegenheit. Sie fühlte sich plötzlich gar nicht mehr wohl in ihrer Haut.

Eine Weile tat sie so, als würde sie sein forschender, einschätzender Blick nicht berühren, gab sich unbefangen und unterhielt sich mit Dieter, ihrem Verlobten. Dieter Placzeck war achtundzwanzig Jahre alt, hatte blonde Haare und blaue Augen, war von Beruf Betriebswirt und sehr sportlich. Seine Leidenschaft gehörte dem Kampfsport, außerdem besuchte er mindestens fünfmal in der Woche das Fitnessstudio.

So sehr sie sich auch bemühte, es gelang ihr nicht, sich dem Bann des Mannes, der sie nach wie vor anstarrte, zu entziehen, und ihr Blick ging wie magisch aufs Neue in seine Richtung. Ein angedeutetes Lächeln umspielte seine Lippen, ein Lächeln, das seinem Gesicht ein hohes Maß an Sympathie verlieh.

Dieter Placzeck entging es nicht, ein Schatten schien über sein Gesicht zu huschen, seine Brauen schoben sich zusammen, und er stieß hervor: »Warum starrt dich der Kerl so an? Kennst du ihn näher? Wer ist das überhaupt? Dein Vater hat ihn mir zwar vorgestellt, aber ich habe seinen Namen schon wieder vergessen.«

Angela schaute ihren Verlobten an, sie wirkte irritiert und es dauerte eine ganze Weile, in der sie seinen Worten hinterherlauschte und eine Antwort in ihrem Kopf formulierte, bis sie erwiderte: »Er heißt Einsporn und ist mit Eveline, einer guten Kollegin meines Vaters verheiratet. Warum er mich so anstarrt, kann ich dir auch nicht sagen.« Ihre Augen begannen zu strahlen, ein spitzbübisches Lächeln verzauberte ihr schönes, gleichmäßiges Gesicht und sie fügte hinzu: »Wahrscheinlich ist er von mir fasziniert. Daran kannst du sehen, dass ich auch bei reiferen Semestern gute Chancen habe.«

Das Gesicht Dieters verlor seinen düsteren Ausdruck nicht, als er antwortete: »Er zieht dich mit den Augen geradezu aus. Ich finde das anzüglich und unhöflich. Mir gefällt der Kerl nicht. Er hat etwas an sich, das mir ziemlich suspekt erscheint. Aber ich muss ihn ja nicht mögen. Ich bitte dich, ihn nicht mehr anzuschauen, dann hört er sicherlich auf, dich anzustarren.«

»Du bist eifersüchtig«, bemerkte Angela lächelnd. »Das ist ja ein Charakterzug, den ich an dir gar nicht kenne.«

»Habe ich Grund, eifersüchtig zu sein?«

»Ich bitte dich«, versetzte Angela, ihr Lächeln war erloschen, sie wirkte sogar leicht beleidigt. »Ich glaube nicht, dass ich dir jemals einen derartigen Grund geliefert habe.«

»Entschuldige bitte«, murmelte Dieter und jetzt zog ein Grinsen seinen Mund in die Breite. »Kaum anzunehmen, dass du auf Kerle stehst, die mindestens doppelt so alt sind wie du.«

»Entschuldigung angenommen«, versetzte sie. In diesem Moment wurde ein Walzer angespielt. Einige Paare erhoben sich und strebten der Tanzfläche zu. »Tanzen wir?«

Dieter verzog etwas den Mund, denn Tanzen war etwas, das ihm ganz und gar nicht so lag. Dennoch nickte er und erhob sich. »Darf ich bitten?«

Auch sie begaben sich zur Tanzfläche und begannen im Rhythmus der Musik ihre Hüften zu schwingen. Bei Dieter muteten die Schritte etwas schwerfällig an, Angela hingegen bewegte sich grazil und leichtfüßig. Als sie sich wieder einmal drehten, erhaschte sie einen Blick Armin Einsporns. Und wieder war es geradezu körperliches Unbehagen, das er bei ihr verursachte. Es war ein begehrlicher, regelrecht verzehrender Blick voll Habgier – so empfand sie es zumindest.

Uns diese Unbehaglichkeit wuchs mit jeder Sekunde, die verstrich. Obwohl sich Angela zwang, in eine andere Richtung zu blicken, wusste sie, dass sie angestarrt wurde.

Der Tanz endete und Dieter geleitete seine Verlobte zum Tisch zurück. Da saßen auch die Eltern von Angela. Georg Plohmann war ein mittelgroßer, drahtiger Mann mit grauen Haaren, seine Gattin Marina war fünfzig Jahre alt, wirkte aber jünger und hätte vom Aussehen her die ältere Schwester Angelas sein können; sie war eine gepflegte und attraktive Frau, die sich gesund ernährte und viel bewegte.

Als sie wieder Platz genommen hatten, wandte sich Dieter an seinen Schwiegervater in spe und sagte: »Kennst du diesen Einsporn näher?«

»Warum fragst du?«, wollte Georg Plohmann wissen. Er war in Feierlaune, sein Gesicht war etwas gerötet, und sein Zungenschlag verriet, dass er dem Alkohol wohl schon ein wenig zu ausgiebig zugesprochen hatte.

»Er starrt Angela ununterbrochen an, und das gefällt mir nicht. Ich denke, dieser Mensch verfügt nicht über allzu viel Anstand.«

Georg Plohmann drehte sich etwas herum und schaute sich suchend um, schließlich erfasste sein Blick Armin Einsporn, der bemerkte, dass ihn Plohmann musterte und ihm lächelnd zunickte. Georg Plohmann konzentrierte sich wieder auf Dieter und versetzte: »Ich kenne Einsporn nicht näher«, erklärte er, »ich hab ihn als den Gatten meiner Kollegin Eveline eingeladen.« Ein Lächeln umspielte Georg Plohmanns Mund, als er hinzufügte: »Meinst du nicht auch, dass meine Tochter ein Blickfang für die Männer ist? Es müsste dich doch mit Stolz erfüllen, wenn sich irgendwelche Kerle die Hälse wegen ihr verrenken.«

Ohne dass Georg Plohmann es bemerkte verdrehte Dieter etwas die Augen, doch was ihm einen Augenblick lang auf der Zunge lag, behielt er lieber für sich und schwieg. Unauffällig beobachtete er Armin Einsporn. Dieser richtete sein Augenmerk immer wieder auf Angela und starrte sie unverhohlen an. Der Zorn auf diesen Mann kam bei Dieter in schnellen, giftigen Wogen und begann in seinen Eingeweiden zu wühlen, er empfand die Art und Weise, wie dieser Mann seine Verlobte fast unablässig fixierte, beleidigend, geradezu entwürdigend und anmaßend. Und ihm entging nicht, dass Angela immer wieder die Blicke Einsporns erwiderte. Er konnte sich auf nichts mehr anderes konzentrieren, was um ihn herum vorging nahm er nicht mehr wahr. Und sein Zorn wurde immer stürmischer und wuchs immer schneller und drohte ihm bald die Brust zu sprengen, um ihn schließlich zu überwältigen. Mit einem Ruck erhob er sich, dabei stieß er seinen Stuhl derart kraftvoll zurück, dass er umkippte und polternd am Boden aufschlug. »Angela, wir gehen!«, presste er zwischen den Zähnen hervor.

»Was ist denn in dich gefahren?«, fragte Georg Plohmann mit einem Anflug von Ärger in der Stimme.

»Es ist …« Der Verstand holte bei Dieter den Impuls ein, er sagte sich, dass er wahrscheinlich überreagierte, aber die Aufmerksamkeit aller Anwesenden war auf ihn gerichtet und jeder erwartete irgendetwas. Er musste sich blitzschnell etwas einfallen lassen. »Mir ist plötzlich nicht gut«, murmelte er, presste seine rechte Hand flach gegen seinen Leib und eilte in Richtung Tür.

Sie befanden sich im Nebenzimmer eines Gasthauses, das Georg Plohmann anlässlich seines Geburtstages angemietet hatte. Es ging auf 16 Uhr zu und draußen dämmerte es schon, denn es war Anfang Januar und die Tage waren noch sehr kurz. Außerdem war es regnerisch und die tiefhängende Wolkendecke hatte den ganzen Tag über kein Sonnenlicht durchgelassen.

Dieter verließ die Gaststätte durch den Hintereingang und stand auf dem Parkplatz. Er atmete tief durch. Vor seinem inneren Auge sah er den hämischen Ausdruck im Gesicht Armin Einsporns, der ihm nicht entgangen war, als er regelrecht aus dem Nebenzimmer floh. Dieser Mann war ihm ausgesprochen suspekt, dazu kam, dass er ihm bis in die Seele unsympathisch war.

Dieter atmete tief durch und spürte, wie sich seine Lungen mit frischer Luft füllten. Er versuchte eine klare Linie in sein Denken zu zwingen, es gelang ihm jedoch nicht, das seltsame Verhalten Einsporns in den Hintergrund seines Bewusstseins zu verdrängen. Und irgendwie fühlte er ganz deutlich, dass es mehr war als nur die reine Eifersucht.

*

Dieter Placzeck zuckte zusammen, als hätte man ihn mit einem glühenden Stück Eisen berührt, als er angesprochen wurde. »Was war los? Dir ist doch nicht wirklich schlecht gewesen.«

Es war Angela, die ihm nach draußen gefolgt war und jetzt hinter ihm stand. Er war so sehr in seine Gedanken vertieft gewesen, dass ihn ihre Stimme zutiefst erschreckt hatte und ihm nun das Herz bis zum Hals hinauf schlug. Er drehte sich zu ihr um, schluckte würgend, räusperte sich und erwiderte: »Ich konnte es nicht länger ertragen. Dieser Mensch …«

Dieter sah das Unverständnis in Angelas Augen und brach ab.

»Er hat mich doch nur angeschaut«, murmelte die schöne Frau. »Das kann doch kein Grund für dich sein, auszurasten. Was ist denn los mit dir? Hast du vielleicht zu viel Bier getrunken?«

»Ich habe nicht zu viel getrunken!«, stieß er eine Idee aggressiver als beabsichtigt hervor. »Ich bin aber auch nicht blind. Du hast mit dem Kerl regelrecht geflirtet und solltest jetzt auch gar nicht versuchen, es abzustreiten, ich habe nämlich Augen im Kopf und es war eindeutig. Du hast ihn mit deinen Blicken geradezu aufgefordert, dich …«

Angelas Züge hatten sich schlagartig verändert und einen zornigen Ausdruck angenommen, ihre Augen versprühten wütende Blitze und sie herrschte ihren Verlobten an: »Tickst du plötzlich nicht mehr richtig? Evelines Mann ist mehr als doppelt so alt wie ich, außerdem ist er überhaupt nicht mein Typ. Es ist richtig, er hat mich nicht aus den Augen gelassen, aber dafür kann ich nichts. Ich habe es als lästig empfunden, aber was sollte ich denn tun? Dass ich immer wieder in seine Richtung schaute, ist einzig und allein darauf zurückzuführen, dass ich mich davon überzeugen wollte, ob er es nicht endlich aufgegeben hat, mich anzustarren. Wenn du behauptest, ich hätte mit ihm geflirtet, dann empfinde ich das als Unterstellung.«

Dieter war klar, dass er seine Verlobte sehr verärgert hatte. Aber auch in ihm tobte ein Aufruhr der Gefühle und ihre Worte konnten ihn nicht überzeugen. Scharf stieß er die verbrauchte Atemluft durch die Nase aus und blaffte: »Ich weiß, was ich gesehen habe. Du brauchst deshalb erst gar nicht den Versuch zu unternehmen, es abzustreiten. Weißt du was ich jetzt mache? Ich gehe hinein, hole meinen Mantel und fahre nach Hause. Du kannst dich ja wieder hineinsetzen und Blicke mit diesem alten, notgeilen Knochen wechseln.«

»Dieter! Ich bitte dich! Du bildest dir das …«

Er schob sie kurzerhand zur Seite und ging an ihr vorbei in den Flur, strebte der Tür zu dem Nebenzimmer zu und betrat schließlich den Raum, in dem sich die Gäste Georg Plohmanns wieder angeregt unterhielten, lachten und tranken. Dieter fand seinen Mantel unter all den anderen Mänteln und Jacken an der Garderobe gleich neben der Tür, schlüpfte hinein und – drehte den Kopf. Denn er spürte fast körperlich, dass er beobachtet wurde.

Es war Armin Einsporn, der ihn mit starrem Blick fixierte. Sekundenlang war Dieter wie gelähmt, dann aber riss er sich gewaltsam los und lief nach draußen, wo im Flur Angela auf ihn wartete. »Einen Augenblick, Dieter«, sagte sie und trat vor ihn hin, sodass er gezwungen war, stehenzubleiben.

»Hier halten mich keine zehn Pferde mehr!«, gab er zu verstehen. »Wenn ich bleibe, geschieht ein Unglück. Der schmierige Typ hat mich eben in einer Art und Weise fixiert, die nichts anderes als eine einzige Provokation war. Es ist der Geburtstag deines Vaters, und ich kann nicht von dir verlangen, dass du die Feier einfach so verlässt. Aber ich will und kann nicht länger bleiben. Ich hoffe, du verstehst das.«

»Du bist wütend, du kannst Einsporn nicht leiden, und wahrscheinlich reimst du dir etwas zusammen, das es tatsächlich nur in deiner Fantasie gibt. Es ist in Ordnung, fahr nach Hause und beruhige dich. Meinen Eltern werde ich sagen, dass du dich nicht wohlfühlst.«

»Du bleibst also noch?«

»Du hast doch eben selbst gesagt, dass du nicht von mir verlangst, dass ich die Feier einfach so verlasse. Bis spätestens Mitternacht komme ich nach Hause. Du musst dir auch keine Gedanken machen, schon gar nicht wegen Einsporn.«

In diesem Moment wurde die Nebenzimmertür geöffnet, Dieters Kopf ruckte herum und er konnte über die Schulter den Mann sehen, der ihm die weitere Teilnahme an der Geburtstagsfeier verleidet hatte. Armin Einsporn drückte die Tür hinter sich zu, verharrte einen Augenblick und musterte mit unergründlichem Blick das Paar, dann gab er sich einen Ruck, ging weiter und tat, als wären die beiden für ihn Luft, bis sich schließlich die Toilettentür hinter ihm schloss.

Einen Augenblick lang sah es so aus, als wollte Dieter ihm folgen. In seinem Gesicht arbeitete es, es wirkte verkrampft und in seinen Augen war nichts als Unsicherheit. Wahrscheinlich war mit dem Auftauchen Armin Einsporns in ihm ein Zwiespalt aufgerissen, der Zwiespalt eines Mannes, der sich nicht entscheiden konnte. Der Verstand sagte ihm, dass er bleiben sollte, das Gefühl aber hämmerte ihm ein, dass es besser wäre, zu gehen. Sein Blut war in Wallung, er fühlte sich von Einsporn herausgefordert und wusste zugleich, dass ihm die Hände gebunden waren, wollte er nicht einige Dinge aufs Spiel setzen, die ihm sehr wertvoll waren.

Er entschied sich und murmelte: »Ich gehe jetzt und hoffe, dass du weißt, was du zu tun hast.«