Zsófia Bán

Weiter atmen

Erzählungen

Aus dem Ungarischen von Terézia Mora

Suhrkamp Verlag

Hautatmung

Der Frosch (zum Beispiel, aber ich könnte auch das Krokodil nennen) lebt im Wasser und an Land.

Der Frosch ist amphibisch.

Amphibien atmen auch über die Haut.

Wenn die Haut des Frosches mit Fett eingerieben wird, erstickt er.

Wir bitten darum, dass das nicht geschieht.

Der Mensch (zum Beispiel) lebt in der Vergangenheit und in der Gegenwart.

(Von der Zukunft hat er ein Bild, es passt gut zur Couch.)

Der Mensch ist also auch amphibisch.

(Frage: Sind die Amphibischen Menschen, oder: sind Menschen amphib?)

Der amphibische Mensch atmet auch über die Haut.

Wenn die Haut des amphibischen Menschen mit Fett eingerieben wird, erstickt er.

Wir bitten darum, dass das nicht geschieht.

Wir bitten darum, die Hautatmung frei zu lassen.

Danke.

*

Die Haut atmet also frei. Luft strömt, Zeit strömt. Die strömende Luft bildet winzige Fältelungen auf dem Vorhang, der die Zeitebenen voneinander trennt. Die Muster auf dem Vorhang tauchen auf und verschwinden wieder, dümpeln, mal hinauf, mal hinunter, als würden sie über das offene Meer treiben, scheinbar ziellos. Das Ziel ist natürlich nichts anderes als die Wiederholung, auf die sich das Bewusstsein auffädelt. Ohne sie gibt es kein Erkennen, kein Wiedererkennen, kein Kennenlernen, keine Erinnerung. Wiederholung: die Mutter des Wissens (schöner, griechischer Name).

Wieder und wieder holen wir Dinge hervor und gehen sie durch, so wie auch die Dinge uns immer und immer wieder hervorholen und durchgehen. Dabei tauchen gewisse Fragen auf.

(»Achtung: zu schnelles Auftauchen kann zur Dekompressionskrankheit führen.« Handbuch für Taucher)

Ist eine wieder hervorgeholte Schere (zum Beispiel) dieselbe Schere, die sie vor dem wieder war? Aber man (hier: ich) könnte die gleiche Frage auch mit einem Hammer, einer Federmappe, einer Tanzordnung, einem Häschen oder mit geknöpften Gamaschen stellen, die Reihe ist beliebig fortsetzbar. Oder, von der Gegenseite aus betrachtet: ist das von einem Hammer (etc.) wieder hervorgeholte Ich dasselbe Ich, das es vor dem wieder war? Gibt es zwei gleiche Hämmer? Sind die Einzelstücke einer Reihe untereinander austauschbar, können sie sich gegenseitig ersetzen? Wenn ich zum Beispiel die gleiche Brottasche habe wie du und hole die eine statt der anderen hervor, würde dann das Gleiche funktionieren, atmen, oder würde es leblos schweigen? Ich gehe noch weiter: wenn ich nicht einfach nur das Gleiche, sondern dasselbe habe wie du – eine Schere, einen Hammer, eine Schrift, eine Pfeife, eine Mutter, ein Häschen, einen Sommernachmittag, eine samtene Revolution oder einen zerknitterten Landesführer mit gezacktem Rand –, wie sehr ist dann dieses dasselbe dasselbe?

Verzeihung. Ich wollte niemanden verärgern. All das ist scheinbar passé composé, so wie das Land, das scheinbar dasselbe ist. Nichtsdestotrotz werden wir uns, sehen wir es ein, irgendwann, irgendwo doch diesen Fragen widmen, uns mit ihnen konfrontieren müssen. Man kann nicht immer nur abwinken, ist doch alles eins. Denn manchmal ist dieses eins sehr wohl zwei. Oder mehr, je nachdem. Solche sozusagen geologisch geschichteten Probleme kann man aber nicht einfach mit bloßen Händen angehen; man braucht Werkzeuge dafür. Und Werkzeuge gibt es vielerlei: es gibt die Sorte, die wir im Geschäft kaufen, es gibt die Sorte, die wir selbst herstellen, und es gibt die, die wir erben. (Es ist also nicht jeder seines eigenen Werkzeugs Schmied.) Aber was wir mit unseren Werkzeugen anfangen (Bitte nicht mit der Laubsäge wedeln!), das hängt natürlich von uns ab. (Setzen Sie sich, und hören Sie auf, dort herumzusäuseln.) Das Werkzeug kann also physisch, als Gegenstand »das gleiche« sein, aber seine Haut, seine Atmung, seine Sanftheit oder seine Sturheit wird immer anders sein, je nachdem, wer es benutzt. Und damit wären wir wieder an dem Punkt, wo die Zeit, die Erinnerung, die Haut, die Wunde aufreißt und das Herz bricht.

Was mich zu der eingeworfenen, doch offensichtlich hierher gehörenden Frage bringt:

Kann man über das aus dem Frosch herausoperierte und auch allein weiterschlagende Froschherz sagen, dass das noch ein Frosch ist? Wo ist die feine, poröse Grenze zwischen noch und schon?

Die Haut fältelt sich.

Die Zeit fältelt sich.

Der Mensch ist amphibisch.

Der amphibische Mensch verfügt über Hautatmung.

Wenn man die Haut des amphibischen Menschen mit Fett einreibt, erstickt er.

Wir bitten darum, die Hautatmung frei zu halten.

Danke.

Wir bitten darum, die Hautatmung frei …

Wir bitten darum, die freie Haut ‌…

Wir bitten darum, frei ‌…

Wir bitt ‌…

Fett.

Fett.

Fett.

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