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Vorschau

Band 61: Tatkammers Sündenfall

Coco Zamis muss nicht nur die Neiddämonin fürchten, auch der geheimnisvolle Monsignore Tatkammer hat Witterung aufgenommen und heftet sich an ihre Fersen. Dabei wird immer deutlicher, dass sich der Dämon über alle Grenzen und Regeln – erst recht über die der Schwarzen Familie – hinwegsetzt.

Michael Zamis muss unterdessen zusehen, wie er seine in Auflösung befindliche Sippe wieder vereint – ansonsten droht ihm neues Ungemach als Oberhaupt der Wiener Dämonen.

 

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Bluternte

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Band 60

 

Bluternte

 

von Simon Borner und Logan Dee

nach einem Exposé von Uwe Voehl

 

 

© Zaubermond Verlag 2019

© "Das Haus Zamis – Dämonenkiller"

by Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

 

Titelbild: Mark Freier

E-Book-Erstellung: Die eBook-Manufaktur

 

www.Zaubermond.de

 

Alle Rechte vorbehalten

 

 

Was bisher geschah:

 

Die junge Hexe Coco Zamis ist das weiße Schaf ihrer Familie. Die grausamen Rituale der Dämonen verabscheuend, versucht sie den Menschen, die in die Fänge der Schwarzen Familie geraten, zu helfen. Auf einem Sabbat soll Coco endlich zur echten Hexe geweiht werden. Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie der Dämonen, hält um Cocos Hand an. Doch sie lehnt ab. Asmodi kocht vor Wut – umso mehr, da Cocos Vater Michael Zamis ohnehin mehr oder minder unverhohlen Ansprüche auf den Thron der Schwarzen Familie erhebt.

Nach jahrelangen Scharmützeln scheint endlich wieder Ruhe einzukehren: Michael Zamis und seine Familie festigen ihre Stellung als stärkste Familie in Wien, und auch Asmodi findet sich mit den Gegebenheiten ab. Coco Zamis indes hat sich von ihrer Familie offiziell emanzipiert. Das geheimnisvolle »Café Zamis«, dessen wahrer Ursprung in der Vergangenheit begründet liegt und innerhalb dessen Mauern allein Cocos Magie wirkt, ist zu einem neutralen Ort innerhalb Wiens geworden. Menschen wie Dämonen treffen sich dort – und manchmal auch Kreaturen, die alles andere als erwünscht sind.

Die intriganten Spiele, auch innerhalb der Zamis-Sippe, gehen unvermindert weiter. Dabei erfährt Coco Zamis einen ganz besonderen Exorzismus: Ihre böse Seite gewinnt die Oberhand. Mit wessen Hilfe Michael Zamis das geschafft hat, bleibt erstmal sein Geheimnis.

Coco wird unterdessen aufgewiegelt, dass ihre Halbschwester Juna ihr das Café streitig machen wolle. Kurzerhand versetzt Coco sie mithilfe des Zwerges Ficzkó in die Vergangenheit – in die Dienste der berüchtigten Blutgräfin.

Doch Juna taucht in der Gegenwart wieder auf – als Puppe. Georg Zamis, der inzwischen seine Gefühle für Juna entdeckt hat, entführt sie kurzerhand und versteckt sich mit ihr im Haus der Callas. Coco findet es heraus und zwingt Ficzkó, Juna erneut auf magische Weise in die Vergangenheit zu entführen. Sie bringt Ficzkó einen Zauber bei, den dieser anwenden soll, sobald er Junas habhaft wird. Von Georg verfolgt, flüchtet Ficzkó in einen Schrank und versetzt sich und Juna in die Vergangenheit. In letzter Sekunde springt Georg hinzu. Alle drei werden von dem Sog erfasst und gelten seitdem als verschollen.

Doch etwas ging schief: Fortan ist ein Durchgang zu anderen – höllischen – Dimensionen entstanden. Ein neuer Dämon taucht so in Wien auf: Monsignore Tatkammer. Niemand weiß, woher er stammt, doch er sät Böses, wo immer er ist. Noch ist die Schwarze Familie nicht auf ihn aufmerksam geworden, sodass er ungehindert wirken kann.

Unterdessen wird der verschwundene Schiedsrichter der Schwarzen Familie, Skarabäus Toth, in Wien gesichtet. Michael Zamis hatte ihn, um ihn loszuwerden, in ein Chamäleon verwandelt. Offensichtlich aber hat Toth eine Möglichkeit gefunden, zumindest als Geistererscheinung auf seine verzweifelte Lage aufmerksam zu machen. Michael Zamis will ihn daher endgültig loswerden und beauftragt dafür Coco.

Sie macht sich widerwillig auf die Reise und lässt den Sarg mit Toth über dem Ätna abwerfen.

Auftrag erledigt, doch sie zieht es nicht sofort nach Wien zurück, denn dort warten weitere Probleme auf sie. Nicht zuletzt ein Dämon namens Youssef, dem sie ihr Café »verkauft« hat.

In Italien lernt sie Alessandro Wolkow kennen. Als Sohn einer weißen Hexe und eines schwarzblütigen Dämons ist er eine zwiegespaltene Persönlichkeit. Die beiden verlieben sich ineinander, auch wenn Coco bewusst ist, dass sie ihre magischen Fähigkeiten dadurch zum großen Teil verliert. Dafür erkennt sie, warum sie sich so sehr verändert hat: Ihr Vater hat die Neiddämonin Invidia auf sie angesetzt. Doch gegen die Liebe ist auch die Neiddämonin machtlos – und verschwindet. Coco hofft, sie für immer los zu sein, und flüchtet mit Alessandro nach Frankreich.

Unterdessen finden sich Georg Zamis, Juna und Ficzkó im Jahr 1888 in Paris wieder. Sie sind getrennt worden, und Georg macht sich auf die verzweifelte Suche nach Juna …

 

 

Erstes Buch

 

1889

 

von Simon Borner

nach einem Exposé von Uwe Voehl

 

 

Kapitel 1

 

Die Nacht war kalt und nebelverhangen. Ein fahler Mond hing über der Seine, und eine fast schon unheimliche Ruhe lag über den Häusern von Paris. Graue Nebelschwaden zogen durch die weltberühmten Straßen und verliehen der französischen Metropole eine fast schon bedrohlich wirkende Atmosphäre. In Nächten wie dieser, so schien sie zu sagen, konnte hinter jeder Tür und jeder Straßenecke ein grauenvolles Monster lauern.

Emmeline Curdin wusste, dass dieses Gefühl zutraf. Die zweiunddreißigjährige SEK-Agentin stand auf dem flachen Dach eines dreigeschossigen Einkaufszentrums und sah über die Brüstung. »Ich sehe ihn«, murmelte sie in ihr mattschwarzes Headset. »Er flieht in westlicher Richtung. Ich glaube, er will zur Brücke.«

Es knackte leise in ihrem Ohrstöpsel, dann kam die Reaktion ihres Kollegen. »Verstanden, Curdin«, sagte Jerome Dibaba. »Wir schneiden ihm den Weg ab.«

Die Agentin nickte, sah ein letztes Mal zu der drei Etagen unter ihr flüchtenden Zielperson und lief dann zurück zum Treppenhaus.

Diesmal kriegen wir ihn, dachte sie, während sie in Windeseile die Stufen hinunterrannte. Wir müssen es einfach schaffen.

Die Alternative wäre undenkbar. Seit Tagen hatte das Dämonische SEK, eine streng geheime Unterabteilung des Innenministeriums, den Kerl im Auge. Pascal Robin war äußerlich ein unauffälliger Gammler, wie es sie in Paris zu Hunderten gab. Curdin wusste aber, dass hinter der alltäglich scheinenden Fassade das Herz eines waschechten Dämons schlug – noch dazu eines Dämons mit Informationen!

Sie erreichte das Erdgeschoss. Im Nu war sie draußen auf der Straße und lief ebenfalls in Richtung Fluss. Im Ohrstöpsel hörte sie die hektischen Befehle und Statusmeldungen ihres fünfköpfigen Teams.

»Nach links! Ich sehe ihn! Leute, wir müssen nach links!«

»Verstanden, Dibaba. Zugriff! Ich wiederhole: Zugriff!«

»Negativ, Lafitte. Er ist zu schnell. Ich … Ich habe ihn vom Radar verloren. Wie ist das möglich?«

Diese Idioten! Curdin stöhnte innerlich und tippte mit der behandschuhten Rechten an ihr Headset. »Wenn ihr ihn entwischen lasst, bringe ich euch um!«, knurrte sie.

»Keine Sorge, Boss«, erwiderte Dibaba. Er klang durch und durch zuversichtlich. Und zufrieden. »Der entkommt uns nicht. Das Dämonische macht keine Fehler.«

Besser wär’s, dachte Curdin.

Ihr SEK war in vielerlei Hinsicht die letzte Bastion. Es gab nicht viele Menschen in Paris, die von der Existenz des Übersinnlichen – und vor allem von den Mächten und Machenschaften der Schwarzen Familie – wussten. Entsprechend schnell hatte das teuflische Gezücht leichtes Spiel mit den Einwohnern dieser wundervollen Stadt. Doch Curdin und ihr Team waren dafür da, es ihnen zu verderben. Koste es, was es wolle.

Wenn wir versagen, dann gute Nacht, wusste die Agentin. Insbesondere in Fällen wie diesem.

Seit Tagen kursierten bereits dunkle Gerüchte. Irgendetwas sei im Busch, so hatte Curdins Abteilung erfahren. Die Schwarze Familie wartete angeblich auf etwas. Auf ein Ereignis, eine Person? Niemand wusste es, und sogar die üblichen Informanten, die das SEK in dämonischen Kreisen hatte, hielten dicht.

Natürlich hinderte das niemanden an wilden Spekulationen. Manche glaubten, die dunklen Familien bereiteten einen Terroranschlag vor – um »mit der Zeit zu gehen«. Andere sprachen von der Wahrscheinlichkeit eines Mordkomplotts gegen Präsident Macron, der durch einen von Asmodi gesteuerten Doppelgänger ersetzt werden sollte. Und ein paar Untersekretäre des Innenministeriums rechneten allen Ernstes damit, dass die Schwarze Familie in der Hauptstadt ein Tor zur Hölle aufstoßen wollte.

Keine dieser Theorien ließ sich bislang bestätigen. Dazu wusste das SEK einfach zu wenig.

Aber sie ließen sich auch nicht widerlegen. Bis jetzt …

Zum Glück war Pascal Robin kein üblicher Informant. Sondern das schwächste Glied in der Kette derer, auf deren käufliche Unterstützung Curdin und die anderen gelegentlich vertrauen durften. Wenn irgendjemand in dieser Sache zu reden beginnen würde, dann Robin. Es kam nur auf die richtigen Mittel an. Und Curdin hatte nicht vor, ihm diesmal Geld zu bieten.

Die Agentin erreichte den Fluss. Dichter Nebel lag über dem Wasser, und die Laternen, die das Ufer säumten, wirkten wie gelbliche Kugeln in einem Meer aus Grau.

Dann sah sie die Brücke. Dibaba und die übrigen Teammitglieder standen darauf und sahen sich ratlos um.

»Verflucht, wo ist er?«, schimpfte Dibaba in ihrem Ohr. »Ich habe ihn hierhin rennen sehen. Also?«

»Und ich habe seine Schritte gehört, Sergeant«, bestätigte sein Nebenmann, der schießfreudige Gaston Duval. »Er kann nur hier stecken.«

Sie haben ihn verloren! Curdin beschleunigte den Schritt. Diese Idioten!

Jospin würde toben, wenn er davon erfuhr! Toben … und sie dann allesamt eigenhändig erwürgen!

Schnaufend und keuchend kam Curdin zur Brücke, bog auf diese und …

Der Aufprall war hart und kam völlig aus dem Nichts. Curdin war, als sei die Luft vor ihr plötzlich zu Stein geworden. Die Agentin taumelte zurück, wedelte mit den Armen und bekam irgendetwas zu fassen, an dem sie sich mit aller Macht festhalten wollte.

Dann fiel sie zu Boden. Und das Etwas fiel mit.

»Au!«, keuchte Pascal Robin. Erst als sein Kopf schmerzhaft Bekanntschaft mit dem Kopfsteinpflaster machte, wurde er wieder sichtbar.

Curdin staunte nicht schlecht, als sie sah, dass sie den Arm des Dämons mit beiden Händen fest umklammert hielt. Doch sie fing sich schnell. »Keine Bewegung, Pascal. Du bist verhaftet.«

»Heilige Scheiße!«, rief Dibaba. Er und die anderen Teammitglieder eilten herbei, die Waffen, geweihten Kreuze und Dämonenbanner im Anschlag. »Curdin, Sie … Sie haben ihn gefunden!«

Einer muss den Job ja machen, knurrte sie innerlich und stand auf.

Ihre Hüfte tat weh, und sie schmeckte Blut, weil sie sich beim Sturz auf die Lippe gebissen hatte. Doch das war egal. Der Auftrag war ausgeführt, nur das zählte.

»Okay«, sagte sie. »Dann mal los.«

Dibaba und Duval packten Robin und hielten ihn fest. Curdin baute sich vor ihm auf und stemmte die Hände an die schmerzende Hüfte. Dorthin, wo auch ihre Waffe hing.

»Bonsoir, Pascal«, grüßte sie spöttisch. »So spät noch unterwegs?«

Der Dämon lächelte unschuldig. Robin war ein schmächtiger Kerl mit zerzaustem braunem Haar, einem ungepflegten Achttagebart und zerknitterter Kleidung. Doch er war gerissen. »Guten Abend, Mademoiselle Curdin. Wie geht es dem weiblichen James Bond der Seine heute?«

»Ich stelle hier die Fragen, Pascal«, wies sie ihn schroff an. »Und du wirst sie beantworten. Also? Was ist da los bei der Schwarzen Familie?«

Er hob die Schultern. »Och, das Übliche, nicht wahr? Asmodi ist ein Schuft, diese Zamis-Sippe drüben in Wien ein echter Fall für den Sittenschutz und …«

Curdin packte ihn am Kragen. »Ich rede von den Gerüchten, Pascal! Tu nicht so, als wüsstest du das nicht. Was plant die Schwarze Familie?«

»Ich habe keinen blassen Schimmer, was Sie meinen, Mademoiselle Curdin«, tat er ganz ahnungslos.

Curdin rammte ihm die Faust in die Magengrube.

»Es tut … mir leid«, keuchte der Dämon, »aber … Ich weiß ehrlich von nichts.«

»Der lügt wie gedruckt, Boss«, meinte Duval.

Richtig, dachte sie grimmig. Aber freiwillig wird er uns nichts erzählen. Das sehe ich ihm an.

Die Sache schien größer zu sein als befürchtet. Wenn sogar schon Robin lieber Prügel kassierte, als den Mund aufzumachen, dann war die Kacke echt am Dampfen.

»Was sollen wir tun?«, fragte Dibaba niedergeschlagen.

In diesem Moment erklangen Schritte in der ansonsten doch neblig stillen Pariser Nacht. Sie hallten über die Brücke wie Vorboten einer nahenden Gefahr.

Und dazu erklang eine dunkle Stimme. »Überlassen Sie ihn mir, Curdin. Ich bringe ihn schon zum Reden.«

Curdin wirbelte herum.

Der Nebel teilte sich und entließ die Umrisse einer schemenhaften Gestalt. Sie hatte breite Schultern und war groß. Ein Helm saß auf ihrem Kopf, und der muskulöse Oberkörper lag unter einer schwarzen, kugelsicher gepolsterten Einsatzjacke verborgen.

Curdin erkannte ihn sofort. »Monsieur Jospin?« Was machte der denn hier?

Der Leiter des Dämonischen SEK war Mitte vierzig und ein harter Hund. Er hatte raue Gesichtszüge und eine breite Narbe auf der rechten Wange, die ihm vor Jahrzehnten angeblich ein Werwolf im Kampf geschlagen hatte. Er trat zu seinen Untergebenen. »Ich übernehme ab hier«, verkündete er knapp.

»Aber Monsieur, wir haben den Informanten …«

Er ließ Curdin nicht ausreden. »Ich sagte, ich übernehme.«

Die Agentin schluckte. »Sehr wohl, Monsieur Jospin.«

»Bringen Sie ihn in die Zentrale, Dibaba«, wies ihr Vorgesetzter ihren Kollegen an. »Verhörraum zwei dürfte frei sein.«

Dibaba nickte schnell. »Verstanden, Monsieur.«

»Was?« Robin keuchte. Die Lässigkeit, die ihn eben noch so unbekümmert gemacht hatte, wich schneller aus ihm wie Luft aus einem platzenden Ballon. »A… Aber das können Sie nicht machen. He! He, Curdin. Ich rede, okay? Mit Ihnen! Lassen Sie uns reden, Curdin. Alles, nur nicht Verhörraum zwei! Bitte!«

Doch Emmeline Curdin schüttelte den Kopf. Sie hatte verloren. Wenn Jospin übernahm, galten definitiv andere Regeln. Und einmal mehr fragte sie sich, wie ernst die Lage sein musste, dass sogar der Leiter des Dämonischen höchstpersönlich auf Informantenjagd ging …

 

Das Dämonische SEK der Landeshauptstadt Paris lag in einer alten Frachthalle nahe der Innenstadt. Zumindest lag es äußerlich betrachtet in einer Frachthalle …

Das Innere des für Unbeteiligte verlassen wirkenden Bauwerks war eine moderne Schalt- und Machtzentrale, wie es in ganz Frankreich kaum eine zweite gab. Auf zwei oberirdischen und fünf unterirdischen Stockwerken erstreckte sich ein wahres Arsenal an Hightech und paranormalem Expertentum, das seinesgleichen suchte. Es gab mannshohe Videowände, die leistungsstärksten Rechner der Stadt, Ultrasicherheitszellen und sogar einen festangestellten Alchemisten. In dunklen Büros brüteten Astrologen über den neuesten Sternkarten, und zwei Mönche aus einem Pariser Kloster schauten tagtäglich vorbei, um mit katholischen Segnungen zu helfen, wo sie nur konnten. Sie hatten sogar schon Exorzismen ausführen müssen, wenngleich der letzte Vorfall dieser Art gnädige Jahrzehnte zurücklag.

All dies – und viel, viel mehr – unterlag der höchsten Geheimhaltungsstufe. Nicht einmal Präsident Macron wusste genau, was das Dämonische tat. Die Behörde, die dem Innenministerium unterstellt war, war bereits vor über hundert Jahren von einem seiner Amtsvorgänger ins Leben gerufen worden und agierte bewusst unter dem Radar – auch unter dem des Präsidenten. Sie tat, was getan werden musste – so einfach war das.

Alain Jospin mochte es so. Der Mittvierziger mit der breiten Narbe leitete die Pariser Geheimorganisation bereits seit acht Jahren und kannte die dunklen Winkel der Stadt wie die eigene Westentasche. Jospin kam von der Küste und hatte schon in jungen Jahren gegen Geister der See antreten müssen. Diese Erfahrung, bei der er den Großteil seiner Familie verlor, hatte sein Leben geprägt wie keine zweite. Sie war einer der Gründe dafür, warum der Leiter des SEK dermaßen in seinem Job aufging. Sie erklärte, warum er war, wie er war.

Nur: Nicht jeder kannte die Geschichte.

»Ich weiß wirklich nicht, wie Sie so etwas sagen können!«, echauffierte sich Moustafa Robespierre. Der französische Innenminister war direkt aus dem Regierungsgebäude gekommen. Nun stand er neben Jospin und sah ihn keuchend an. »Das … Das wäre doch Folter!«

Jospin zuckte mit den Achseln. »Es ist der einzige Weg, Antworten aus dem Dämon zu bekommen.«

Die beiden Männer standen an einem Fenster. Durch die Scheibe konnten sie den benachbarten Verhörraum sehen, in dem Robin mit geweihten Ketten auf einen Stuhl gefesselt war. Neben Robin stand ein metallener Rollwagen mit spitzen und scharfkantigen Werkzeugen sowie einigen Kreuzen und Rosenkränzen. Der Informant wand sich in seiner Fesselung, so gut es eben ging, und schaute immer wieder nervös zu den »Verhörutensilien«.

Die Scheibe war auf seiner Seite der Wand verspiegelt, wodurch Jospin und Robespierre ihn sehen konnten, er aber nicht sie.

»Antworten ja«, gab der Minister zu. »Aber um welchen Preis? Jospin, so nehmen Sie doch Vernunft an! Mein Ministerium kann es nicht gutheißen, wenn Informanten gequält oder gar verstümmelt werden, nur um …«

Der SEK-Leiter hatte genug. »Laut unseren Informationen«, fiel er seinem Vorgesetzten ins Wort, »plant oder erwartet die Schwarze Familie irgendeine üble Tat in Paris. Ein Ereignis, dessen Ausmaße mehr als beachtlich sein müssen, wenn man dem Geflüster in den dämonischen Bars und Spelunken glauben möchte. Monsieur Robespierre, sagen Sie mir: Wie viele unschuldige Menschen – Männer und Frauen dieser Stadt, Wähler! – werden ›gequält oder gar verstümmelt‹, wenn die Dämonen diesbezüglich zum Zug kommen? Verflucht, Mann, wir müssen handeln! Es wäre unverantwortlich von uns, es nicht zu tun. Robin weiß mehr, als er bislang zugibt. Was für Beschützer sind wir, wenn wir jetzt die Hände in den Schoß legen und abwarten? Da draußen brennt eine Lunte, Minister, und ich für meinen Teil will nicht erst handeln, wenn es knallt!«

Die Worte zeigten Wirkung. Robespierre verstummte mit offenem Mund, dann schluckte er hörbar. »A… Also gut«, stammelte er, merklich überrumpelt von der gesamten Situation. »Versuchen Sie es. Zumindest für den Anfang.«

Jospin grunzte nur, drehte sich um und verließ das im Halbdunkel liegende kleine Beobachtungszimmer. Einen Moment später betrat er den Verhörraum.

Robin riss die Augen auf. »Nein«, keuchte der Dämon. »Nicht. Bitte. Hören Sie, Jospin, wir können doch über alles reden. Wir sind doch zwei vernünftige Leute, Sie und ich. Wir wissen, wie es läuft. Sie wollen Informationen? Hey, die gebe ich Ihnen. Kein Problem. Wussten Sie schon, dass im dreizehnten Arrondissement eine neue Hexe wohnt? Die sollten Sie sich mal ansehen. Oder haben Sie von dem Ghoul vom Friedhof Père Lachaise gehört? Ich kann Ihnen zeigen, wo Sie ihn finden. Ich …«

Jospin winkte ab. »Verschwenden Sie nicht meine Zeit, Robin. Sie wissen, was ich hören will. Und wenn Sie wirklich reden wollen, reden Sie davon.« Er trat an den Rollwagen und griff nach einem der geweihten Kreuze. »Andernfalls …«

Der Dämon wand sich in seinen Ketten. »Jospin«, keuchte er flehend. »Seien Sie doch vernünftig. Sie kennen die Schwarze Familie. Sie wissen, wie das ist. Wenn ich Ihnen sage, was Sie wissen wollen, ist mein Leben keinen Pfifferling mehr wert. Ich kann Ihnen nicht helfen.«

»Lustig.« Der SEK-Leiter schnaubte humorlos. »Ich finde, es ist jetzt schon nichts mehr wert. Und ich rate Ihnen, mir zu sagen, wonach ich frage. Andernfalls wird dieser Tag noch sehr, sehr ungemütlich für Sie.«

»Aber die Familie …«

Jospin presste Robin das Kreuz auf die Stirn. Die Haut des Dämons qualmte und zischte, und es stank nach verkohlter Brandleiche. Robin schrie vor Schmerz.

In dem Moment flog die Tür des Verhörraums auf, und Robespierre eilte herein. Der Innenminister war kreidebleich und wirkte, als müsse er sich gleich erbrechen. »Jospin, warten Sie! Ich habe es mir anders überlegt. Wir dürfen nicht …«

Doch Robin war so weit. Jospin wusste es.

Die Schultern des Dämons zuckten. Blut lief zwischen den Gliedern seiner Ketten hindurch, weil er sich die Haut aufgescheuert hatte. »Es … Es soll ein loderndes Feuer werden«, wimmerte er. Hilflos, willenlos, verloren. »Hier in Paris. Ein französisches 9/11 wird erwartet.«

Robespierre verstummte. Fassungslos sah er seinen Mann fürs Grobe an.

Jospin biss die Zähne zusammen. »Wo genau?«, knurrte er.

»I… Innenstadt«, antwortete Robin unter gequältem Stöhnen.

Jospin hielt ihm erneut das Kreuz an die Stirn. »Nicht gut genug! Wo genau?«

»Seine!«, schrie der Dämon. »An der Seine!«

Also doch! Die Schwarze Familie würde zuschlagen. Die Gerüchte waren wahr.

»Um wie viel Uhr?«, keuchte der Minister. »Mon dieu, Mann, so reden Sie doch! Um wie viel Uhr?«

Robin drehte den Kopf und sah ihn unter Tränen an. »Jetzt«, schluchzte der Dämon. »Genau jetzt.«

Alain Jospin wurde eiskalt.

Dann platzte Dibaba ins Zimmer. Der Agent trug noch immer seine nachtschwarze, gepanzerte Einsatzkleidung. Sein Gesicht zeigte blankes Entsetzen. »Monsieur Jospin!«, schrie er. »Monsieur Jospin! Sie … Sie müssen unbedingt kommen!«

»Warum?« Robespierre wirbelte herum. Nackte Angst stand auf seinen Zügen. Sein Atem ging keuchend. »Was ist passiert?«

Dibaba sah von ihm zu Jospin, als könne er es selbst nicht glauben. »Es kam gerade in den Nachrichten«, antwortete er, und es klang, als kämpfe er mit den Tränen. »Unten an der Seine, messieurs. Notre Dame steht in Flammen!«

 

Die Kathedrale brannte.

Der Vierungsturm, höchster Teil des altehrwürdigen Bauwerks, war bereits komplett eingestürzt. Der komplette Dachstuhl glich einem einzigen Inferno. Hell und lodernd schlugen die Flammen aus dem Gebälk und erhellten den Himmel über der Stadtinsel im Herzen von Paris. Dicke dunkle Rauchschwaden stiegen aus dem frisch evakuierten Gotteshaus. Die Luft roch nach Zerstörung.

Überall gellten die Sirenen. Hunderte von Rettungskräften waren bereits im Einsatz, weitere Hunderte wurden erwartet. Aus allen Straßen und Gassen der Stadt schienen die roten Löschzüge herbeizueilen. Und jede einzelne Miene der Feuerwehrleute war von nacktem Entsetzen gezeichnet.

»Hier brennt weit mehr als nur eine Kirche«, sagte Claudette Richard. Die Sechsunddreißigjährige mit dem weißen Hosenanzug war eine der führenden Reporterinnen des französischen Fernsehens. Sie stand, das Mikrofon fest in der Hand, einige Meter vor der Absperrung und sprach, Notre Dame als Blickfang im Rücken, in eine Kamera. »Mit Notre Dame de Paris, dem Weltkulturerbe der UNESCO und vielleicht führendstem Touristenmagnet der Metropole, brennt an diesem Aprilmorgen ein großes Stück unserer französischen Identität. Heute, messieursdames, brennen wir alle.«

Wenige Schritte weiter klang die Situation kaum besser.

»Steve, die Behörden stehen noch vor einem absoluten Rätsel«, sagte der Korrespondent des US-Nachrichtensenders CNN, der in Frankreich ein Büro unterhielt, in sein eigenes Mikro. »Wie konnte es so weit kommen? Notre Dame gehört zur französischen Volksseele wie das Baguette, der Käse und die Arroganz. Nie und nimmer, so hören wir hier immer wieder, würde die Grande Nation einen so wichtigen Teil ihrer Seele durch Vernachlässigung in unnötige Gefahr bringen. Nein, Steve, was wir hier vom sprichwörtlichen kleinen Mann von der Straße gesagt bekommen, ist mehr als eindeutig. Das da«, der Reporter deutete dramatisch hinter sich auf die Kathedrale, »ist ein Terroranschlag. Ein zweites 9/11.«

Laute Töne, wohin man sich auch wandte. Große, bedeutungsschwere Worte. Alain Jospin stand am Rande des Presse-Areals, das sich in sicherem Abstand zur Kirche aufgebaut hatte und das grausige Spektakel mit Liveberichten begleitete, und konnte es den Journalisten kaum verdenken. Denn in einem hatten sie vollkommen recht: Notre Dame war mehr als nur eine Kirche, mehr als eine Sehenswürdigkeit. Das Feuer traf ganz Frankreich bis ins Mark.

»Wir sollten reingehen«, sagte Curdin. Die Agentin stand am Eingang der Seitengasse, wo das SEK seine Einsatzfahrzeuge versammelt hatte. Sie zog sich gerade den schwarzen Helm mit dem gepanzerten Visier über. Über ihrer Uniform trug sie bereits die kugelsichere Weste, die vom Papst gesegnet worden war. »Was immer die Teufel anstellen, passiert ganz bestimmt nicht hier draußen. Sondern im Inneren von Notre Dame.«

»Sehe ich auch so«, fand Dibaba. »Die sind garantiert noch hier, Monsieur Jospin. Das Gelände ist von Polizei, Rettungskräften und der Presse umstellt. Es mag absurd klingen, aber im Moment ist die Île de la Cité der vielleicht sicherste Ort von Frankreich. Nichts und niemand kommt hier unbemerkt weg. Sehen Sie die vielen Kameras? Die ganze Welt schaut uns gerade zu!«

»Und Robin verpisst sich«, knurrte Curdin. »Der elende Wicht …«

Der Dämon war gestorben, drüben im Verhörzimmer. Er hatte ein zufriedenes Lächeln im Gesicht gehabt, als das Leben binnen eines einzigen Augenblicks aus ihm gewichen war. Irgendwie hatte er erleichtert gewirkt.

»Also dann.« Dibaba klatschte in die behandschuhten Hände. »Gehen wir rein?«

Jospin schüttelte den Kopf. »Wir bleiben, wo wir sind, Leute.«

»Was?« Curdin sah ihn fassungslos an. »Aber Monsieur! Die Dämonen …«

Er hob abwehrend die Hand. »Die Dämonen werden bleiben, wo sie sind. Dibaba hat vollkommen recht. Sie können nicht an uns vorbei, ohne dass wir sie bemerken. Aber wir können hier und heute hops gehen, wenn wir nicht aufpassen.« Er sah zu den Flammen. »Die alte Kathedrale brennt nicht nur, Leute. Sie ist hochgradig einsturzgefährdet. Jeden Moment kann der nächste Turm umfallen oder der Rest des Dachstuhls in den Kircheninnenraum stürzen. Wenn wir da jetzt reingehen, setzen wir unser Leben aufs Spiel.«

»Aber das ist doch unser Job«, wehrte sich Dibaba. »Wir gehen dahin, wo es nötig ist.«

»Es ist nicht nötig!« Jospin deutete zu den Feuerwehren, die im Einsatz waren. »Sehen Sie sich die Profis an, Dibaba. Niemand von denen hat die Kirche betreten. Sie wissen genau, dass sie da drin aktuell keine Chance haben. Erst muss gewährleistet sein, dass der Dachstuhl hält. Deshalb löschen sie von außen und nicht von innen. Alles andere wäre Selbstmord.«

»Monsieur Jospin, wir müssen …«, begehrte Curdin auf.

»Wir müssen vernünftig sein«, fiel er ihr ins Wort. »Mir gefällt es so wenig wie Ihnen, Emmeline, aber es stimmt. Wir müssen unseren Verstand einschalten. Wenn die Täter noch hier sind, kommen sie nicht unbemerkt an uns vorbei. Und Notre Dame kann sowieso nur noch der Zufall helfen. Also warten wir ab. In sicherer Distanz. Verstanden?«

In diesem Moment hörte er die Rufe der Reporter.

»Da ist jemand! Mon dieu, da ist noch jemand in der Kathedrale! Er kommt gerade raus!«

»Steve? Etwas Unfassbares spielt sich hier gerade ab: Die große Eingangspforte Notre Dames hat sich geöffnet, und … und eine dunkle Gestalt tritt schwankend aus dem dunklen Rauch. Es … Goodheavens, es ist ein Mann!«

Jospin keuchte. Schnell lief er voraus bis an die Absperrung. Curdin und Dibaba folgten ihm. Gemeinsam sahen sie zur Pforte, die von gewaltigen Rauchschwaden umgeben war.

Tatsächlich: Da kam eine Gestalt aus dem Feuer. Schwankend, humpelnd … aber aufrecht. Es war ein Mann.

Und er trug eine bewusstlose Frau in den Armen.

 

 

Kapitel 2

 

Wien, 1888

Die Welt war wie ein Reptil, fand Skarabäus Toth. Hin und wieder häutete sie sich, und was gestern noch galt, wurde von Neuem und durch und durch Unbekanntem ersetzt.

Der Schiedsrichter der Schwarzen Familie stand am Fenster seiner Wiener Kanzlei und sah nach draußen. Die Stadt veränderte sich zunehmend. Eben noch feudal organisiert, präsentierte sie sich nun als stetig weiter expandierender Moloch, der alle umliegenden Dörfer und Gemeinden in sich einverleiben wollte – und das mit ausdrücklichem Segen der Regierung. Vor gut zwanzig Jahren erst waren die einzelnen Winkel und Viertel in so genannte Bezirke umorganisiert worden und die alte Stadtmauer einer neuen Ringstraße gewichen. Jetzt streckte Wien seine gierigen Fühler schon nach den nächsten Erweiterungen aus – nach den Vororten und Ländereien jenseits des Linienwalls, die sich kaum wehren konnten.

Der Moloch Stadt hatte Hunger bekommen, und wenn er endlich satt war, würde nur noch wenig an das Wien von einst erinnern. Falls er je satt war.

Die Stadt ist gewissermaßen auch nur ein weiterer Dämon, dachte Toth. Ihre Gier ist so grenzenlos wie die der Schwarzen Familie. Und die alte Haut der Normalität fällt ihr immer wieder aufs Neue zum Opfer.

Es waren untypische Gedanken für den Schiedsrichter der dämonischen Sippen. Doch dies war auch ein untypischer Tag. Einer, den Skarabäus Toth durch und durch hasste.

Seit den frühen Morgenstunden saß der »dämonische Notar« bereits in seiner Kanzlei und arbeitete den Stapel an Akten ab, der nicht kleiner werden wollte. Die Zwistigkeiten und Konflikte innerhalb der Wiener Sippen waren stets legendär gewesen, hatten jüngst aber eine neue Blütezeit erreicht. Toth stöhnte, wenn er nur daran dachte, mit welchen Petitessen und welchen verletzten Egos er sich Tag für Tag herumschlagen musste. Manchmal bekam er nicht übel Lust, seine dämonischen Klienten samt und sonders vor die Tür zu setzen und sich nur noch um menschliche Fälle zu kümmern.

Seufzend sah er zu seinem Schreibtisch, auf dem sich die Papiere türmten. Und er fragte sich, ob er den ganzen Wust nicht einfach in Brand stecken sollte. Es würde vieles vereinfachen.

Dann klopfte es an der Tür. »Herr Toth?«

Der Schiedsrichter atmete tief durch. Die Stimme da draußen gehörte Josef Brandtner, seinem neuen Assistenten. Brandtner war diensteifrig, aber erschreckend naiv und im Grunde eine weitere Belastung für Toths Nerven. Doch er klang, als sei es dringend.

»Ja, Josef?«

Brandtner trat ein. Er war ein schmächtiger Bursche mit blondem Haar und lächerlich affektiertem Schnäuzer. Die schmalen Schultern steckten in einem dunklen Anzug, der ihm zu groß war. »Verzeihen Sie die Störung, Herr Toth. Ich weiß, wie viel Sie zu tun haben.«

Toth setzte sich wieder an den Tisch mit den Aktenbergen. »Und doch sind Sie hier. Noch dazu mit einer Miene, deren Blässe jedem Schlossgespenst zur Ehre gereichen würde. Also? Was stört Sie so, dass Sie mich stören?«

»A… Asmodi, Herr Toth«, antwortete Brandtner.

Toth hielt inne. Mit allem hätte er gerechnet, aber nicht mit diesem einen Namen. »Wie bitte?«

»Es … Es ist Asmodi, Herr Toth«, wiederholte der Bursche nervös. »Er schickte einen Boten, der soeben in mein Vorzimmer kam. Mit … mit einer dringenden Nachricht. Ich war so frei, sie bereits zu öffnen.« Hier reichte er seinem Arbeitgeber einen knitterigen Fetzen Papier.

Toth nahm die Nachricht und studierte sie. Viel Text war es nicht.

Toth, Sie werden gebraucht. Kommen Sie unverzüglich.

Dann folgte eine Ortsangabe.

»Warum?«, knurrte der Schiedsrichter. »Warum denkt eigentlich jeder Hinz und Kunz, er könne frei über mich und meine Zeit verfügen?« Wütend zerknüllte er das Papier in der Faust.

Asmodi war ein alter Narziss, einer mehr in dieser Stadt. Doch er war auch ein Riese unter seinesgleichen. Immerhin schimpfte er sich der Fürst der Finsternis, wenngleich seit einigen Jahren nicht alle Sippen ihm mehr folgen wollten. Toth wusste, dass man Asmodi besser nicht warten ließ – ganz egal, was er von einem wollte.

»H… Herr Toth?«, fragte Brandtner unsicher. »Der Bote ist noch da. Was … Was soll ich ihm ausrichten?«

Der Schiedsrichter sah seufzend zu seinen Arbeitsstapeln und ahnte, dass sie noch länger würden auf ihn warten müssen. Irgendwie gefiel ihm der Gedanke. »Richten Sie ihm aus, dass mein grottenschlechter Tag durch ihn noch eine ganze Spur schlechter geworden ist«, murmelte er. Dann sah er auf und straffte die Schultern. »Das war ein Scherz, Brandtner.«

»N… natürlich.«

»Sagen Sie Asmodi, dass ich unterwegs bin.«

Brandtner fiel sichtlich ein Stein vom Herzen. »Sehr gern, Herr Toth.« Damit verschwand er wieder vor der Tür.

Sehr gern. Skarabäus Toth schnaubte humorlos. Wie lange ist es her, dass ich zuletzt etwas ›sehr gern‹ getan habe?

Er wusste es nicht. Es mussten Ewigkeiten sein.

Einen Augenblick später brach er auf.

 

Sie trafen sich in einem Park im Norden der Stadt. Ein kalter Wind strich um die hohen Bäume, und auf dem kleinen See hangabwärts schliefen schon die Enten. Lange Schatten lagen über den Wiesen. Der nahende Winter ließ seine Macht spüren.

Skarabäus Toth schlug den Mantelkragen höher und ging über die Wiese zum Seeufer.

Asmodi stand dort, scheinbar allein. Er hielt ein altes Brot in den Händen, aus dem er gedankenverloren Stücke riss und ins Wasser warf. Die Enten reagierten nicht.

Es war ein bizarres Bild. Toth hätte beinahe gelacht.