Dr. phil. Hans-Peter Huppert

Die Sünden der
Nachhaltigkeit

Und die Macht des Nicht-Tuns

Die Sünden der Nachhaltigkeit

Und die Macht des Nicht-Tuns

Inhalt

A

DIE HEILE WELT DER PHRASENDRESCHER

UND

DIE EVO-REVOLUTION

B

ANNE WILL NICHT

UND

DER FLUCH DER FALSCHEN FRAGEN

C

DER DIGITALE KAPITALISMUS

UND

DER NEUE DEKALOG

1

DIE SCHICKSALHAFTE SYMBIOSE:

DU SOLLST AN DAS WACHSTUM GLAUBEN

2

DIE NEUE REALITÄT IST VIRTUELL:

DU SOLLST DEN NEUEN TECHNOLOGIEN HULDIGEN

3

DEKADENZ ALS LEBENSZIEL:

DU SOLLST ALLES TUN, WAS MACHBAR IST

4

DIE WELT BIN ICH:

DU SOLLST DICH SELBSTVERWIRKLICHEN

5

DAS ERKAUFTE GLÜCK:

DU SOLLST KONSUMIEREN

6

DIE MENSCHHEIT WIRD VER-APP-ELT:

DU SOLLST ONLINE SEIN UND DICH VERNETZEN

7

DIE WAHRHEIT STIRBT ZUERST:

DU SOLLST UNS NICHT HINTERFRAGEN

8

DIE DEMOKRATIE DER TYRANNEI:

DU SOLLST DICH NETZKONFORM VERHALTEN

9

AKTIONSBÜNDNIS PSYCHOPHARMAKA FÜR ALLE:

DU SOLLST FUNKTIONIEREN

10

DER GROßE SELBSTBETRUG:

DU SOLLST NACHHALTIG LEBEN

D

DAS KONFUZIUS-PRINZIP:

UND

DIE MACHT DES NICHT-TUNS

E

ZENTRALE TEXTBAUSTEINE

F

QUER-DENKEN

G

EXPOSEE

H

ÜBER DEN AUTOR

I

LITERATUR

A

Die heile Welt der Phrasendrescher
und
Die Evo-Revolution

Gesellschaftskritische Publikationen ziehen sich wie ein roter Faden durch die gesamte Weltliteratur. Angefangen bei den alten griechischen Philosophen über die Intellektuellen des Mittelalters bis hin zu Kant, Marx, Nietzsche, Horkheimer, Freud und Marcuse haben sich alle mit gesellschaftskritischen Fragen auseinandergesetzt. Warum? Ganz einfach, weil sie darin die Chance sahen, etwas verändern zu können. Wie die Geschichte zeigt, hat das zumindest in der Vergangenheit ganz gut funktioniert. Nichts weniger als die ein oder andere Revolution wurde durch die Macht des geschriebenen Wortes angeschoben.

Aber das waren auch andere Zeiten. Zeiten, in denen Informationen rar und nur wenigen zugänglich waren, die Lebensgeschwindigkeit eine andere und das alltägliche Leben durch klare Strukturen geprägt war. Durch die Technisierung und vor allem durch die Digitalisierung unseres Alltages hat sich das Leben jedoch gerade in den letzten 30 Jahren drastisch verändert.

Information ist heutzutage zur kostenlosen Massenware mutiert, die im Überfluss rund um die Uhr jedem zur Verfügung steht, wobei die Qualität und der Wahrheitsgehalt zunehmend zu wünschen übriglassen. Im Gegensatz zur vordigitalen Zeit haben wir nunmehr das Problem, dass es so gut wie unmöglich ist, all die Informationen, die uns täglich überrollen, zu filtern und richtig zu bewerten. Dies hat paradoxerweise dazu geführt, dass wir im digitalen Zeitalter themenbezogen viel oberflächlicher und somit schlechter informiert sind, als dies früher der Fall war.

Unsere Festplatte im Kopf wird im Online-Zeitalter von den digitalen Medien und vor allem von den (a)sozialen Netzwerken beinahe im Sekundentakt mit völlig unwichtigen Daten geflutet. Damit blockieren wir die notwendigen Speicher- und Denkkapazitäten, welche für die tatsächlich lebens- beziehungsweise überlebenswichtigen Themen so dringend benötigt werden. Und das gerade jetzt, wo wir mit Hilfe der Quantenphysik/-philosophie beginnen zu verstehen, dass im Universum tatsächlich alles informationsbasiert ist, wir in einem unendlichen und zeitlosen Informationsfeld leben und als Menschen jederzeit auf dieses Feld mit all seinen Informationen zugreifen können. Durch den ständig wachsenden Datenmüll versperren wir uns jedoch den notwendigen Zugang in eine bessere Welt. Tiefgreifende Diskussionen werden schon im Keim erstickt, wodurch eine Beschäftigung mit Inhalten kaum noch stattfindet. Wir haben uns in eine Gesellschaft der Phrasendrescher verwandelt. Zufall oder Absicht?

Dies lässt sich besonders gut am aktuellen Zustand der Politik festmachen, die das Phrasentum perfektioniert hat. Egal, ob Links, Mitte oder Rechts jeder benutzt seine eigenen Phrasen, um seine Daseinsberechtigung zu belegen. Und nicht selten sind die Phrasen mit einer gehörigen Portion an Selbstbetrug verbunden. Frei nach Machiavelli: Der Zweck heiligt die Mittel. So ist die Verherrlichung der E-Mobilität durch die Grünen genauso eine Lüge wie die Zusicherung der Rentenstabilität bis 2040 seitens der aktuellen Regierung sowie das Zurück zu nationalstaatlichen Allmachtsphantasien der Rechten. Beschäftigt man sich ernsthaft mit diesen Themen, so stellt sich sehr schnell heraus, dass die aktuelle Ökobilanz eines Elektroautos miserabel ausfällt, dass wir in dieser schnelllebigen Zeit nicht einmal einen halbwegs sicheren Haushaltsplan für die nächsten fünf Jahre hinbekommen, geschweige denn bis 2040 oder, dass aufgrund der nicht mehr aufzuhaltenden Globalisierung einzelne Nationalstaaten kein einziges Problem mehr alleine lösen können. Da stellt sich doch die Frage: Glauben die Politiker, egal welcher Couleur sie angehören, tatsächlich an das, was sie von sich geben? Oder haben sie als intelligente Menschen schon lange begriffen, dass sie de facto nichts mehr Wichtiges zu entscheiden haben? Und somit der ganze Selbstbetrug lediglich dazu dient, eigene Interessen wie Posten und Diäten abzusichern, wobei das Politiktheater nur noch deshalb veranstaltet wird, um die Menschen - auf Deutsch gesagt – ruhigzustellen und zu verarschen. Unfähigkeit oder Betrug, Pest oder Cholera?

Bei zunehmend komplexeren Themen eigenverantwortliche Entscheidungen zu treffen, fällt immer schwerer und das trifft nicht nur auf den privaten Bereich zu. Unser Gesellschaftssystem als Kombination aus freier Demokratie und Sozialer Marktwirtschaft gerät mehr und mehr unter Druck. Mit dem rasanten technologischen Fortschritt der letzten vierzig Jahre konnte die notwendige Weitentwicklung unseres Gesellschaftssystems nicht Schritt halten. Das ist der Grund dafür, dass wir in so gut wie allen Belangen an die Grenzen desselben stoßen. Das gilt insbesondere auch für unsere politischen Strukturen.

Wenn wir ehrlich zu uns selbst sind, müssen wir einsehen, dass das längst überholte Volksparteiengebilde, in dem zwei bis drei große Parteien die absolute Mehrheit der Bevölkerung repräsentieren, nicht mehr funktioniert. Die sogenannten großen Volksparteien mit ihren Berufspolitikern sind durch Aussitzen, Vertagen und Nichtentscheiden, man könnte auch sagen, durch eine Art „Angstpolitik“, in den letzten zwanzig Jahren dermaßen weichgespült und stromlinienförmig geworden, dass kaum noch Unterschiede zu erkennen sind. Selbst die Partei der Grünen, die einstmals angetreten ist, um das Establishment aufzumischen, ist im Mainstream profillos abgetaucht. Jedenfalls scheinen unsere heutigen Politiker vor ihren eigenen Bürgern Angst zu haben, oder weshalb nimmt die Demokratie stetig ab statt zu? In wichtige Entscheidungsprozesse wird man als Bürger nicht mehr eingebunden. Stattdessen werden wie beim Freihandelsabkommen mit den USA von einer kleinen, elitären Politikergruppe vorbei an Parlament und Bevölkerung Geheimverhandlungen geführt. Das hat mit Demokratie nur noch sehr wenig zu tun. Die einzig verbliebene Möglichkeit sich „demokratisch“ zu betätigen, ist alle paar Jahre zur Wahlurne zu gehen.

Das krampfhafte Festhalten an alten Strukturen hat noch nie funktioniert und das enorme Tempo mit dem wir heute globalvernetzt unterwegs sind, wird zu einem bösen Erwachen führen, wenn nichts geschieht. Schon heute werden die „Etablierten“ im wahrsten Sinne des Wortes von Links und Rechts überholt. Die Vergangenheit hat uns schon mehrmals gezeigt, dass dies nicht unbedingt gut für uns ist. Wir sollten auf Aristoteles hören: „In Wirklichkeit liebt niemand den Furchtsamen“. Das sollte uns eine Warnung sein.

Aber was kann man von Berufspolitikern erwarten, die nicht selten zwanzig Jahre und länger im Bundestag sitzen und deren größte Angst es ist, nicht wiedergewählt zu werden. Wir können uns dieses in den Parteien verankerte Berufspolitikertum nicht mehr leisten. Unser Gesellschaftssystem braucht dringend neue, vorwärts gerichtete Impulse.

Für Aristoteles war politische Arbeit eng verbunden mit dem Ziel der Ehre. Dafür haben unsere heutigen Politiker wohl kaum mehr als ein müdes Lächeln übrig. Von der kommunalen Ebene aufwärts bis hinein in die Weltpolitik ist das Hauptziel der aktuellen Politik mit einem Wort umfassend beschrieben: Macht. Entweder geht es darum, die Macht zu erhalten und auszubauen, oder überhaupt erst einmal an die Macht zu gelangen. Alles Weitere spielt eine untergeordnete Rolle. Natürlich findet man dieses Ziel nicht in den Parteiprogrammen, aber in den Köpfen der Politiker ist es omnipräsent. Nimmt man sich die Zeit, die Programme der großen Parteien zu lesen und nach Zielen zu durchforsten, so stellt man schnell fest, dass in den gesellschaftlichen Kernpunkten wie Wirtschaft, Soziales und Umwelt kaum nennenswerte Unterschiede bestehen. Viele hundert schön formulierter Textseiten lassen sich im Wesentlichen auf einen einzigen Satz herunterbrechen: Es geht um die moderne Vierfaltigkeit: Wachstum, Konsum, Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Hierzu bedarf es einer florierenden Wirtschaft, sozialer Gerechtigkeit, einer sauberen Umwelt und einer insgesamt friedlicheren Welt. Lediglich bezüglich des Weges, wie man dies erreichen will, gibt es zumindest ein paar kleine Unterschiede. Als externer Berater habe ich bei solch einem Programm mitgeschrieben und kenne somit die Anforderungen. Es darf kein Thema vergessen werden, die Ziele müssen konsensfähig und keinesfalls zu radikal sein, es muss alles gut verständlich und lesbar sein. Nur welcher normale Mensch liest heutzutage noch ein Parteiprogramm? So gut wie niemand. Deshalb übernehmen die Programme für die Parteien eher die Funktion einer intellektuellen, moralisch-ethischen Alibifunktion. Inhalte und Ziele der Programme finden nur sehr selten den Weg ins Tagesgeschäft und werden überarbeitet, bevor man sie überhaupt wahrgenommen hat. Das politische Tagesgeschäft ist heute gekennzeichnet durch permanentes Krisenmanagement und dem Machtkampf zwischen den Parteien sowie von Positionskämpfen in den eigenen Reihen. Es fehlt die Zeit, um strategische Ziele zu verfolgen, die eine dringend notwendige Weiterentwicklung unserer Gesellschaft ermöglichen. Gefangen im Krisenmodus sowie eingeklemmt zwischen nationalen und internationalen Abhängigkeiten mangelt es an Mut und Entschlossenheit, die Bürger mit der Wahrheit zu konfrontieren. Lieber hält man an einer schönen Scheinwelt fest, die notfalls mit neuen Schulden finanziert wird. Und dann kommt so ein Thema wie die Flüchtlingskrise daher und rüttelt gewaltig an den Toren unserer heilen Welt, deckt rechte Abgründe auf und bringt die EU ins Wanken. Noch hat niemand so richtig begriffen, dass das die Chance für einen längst überfälligen Umbruch ist. Unsere Gesellschaft wird sich verändern, ob wir wollen oder nicht und die aktuellen Ereignisse sind nur der Anfang. Augen zu und abschotten ist keine Option, weil zum Scheitern verurteilt.

Was also tun, als jemand der nicht einfach den Kopf in den Sand steckt und nach dem Motto verfährt: Da kann man ja sowieso nichts machen? Die Antwort ist nicht einfach. Ich habe versucht über die etablierten Parteien etwas zu verändern, als das nicht funktionierte über die Neugründung einer Partei. Aber auch dieser Versuch scheiterte kläglich. Ich musste feststellen: Sobald man sich auf die Spielregeln des Systems einlässt, lässt dieses aus sich heraus keine wesentlichen Veränderungen mehr zu. Unser Gesellschaftssystem hat sich verselbständigt und wurde sukzessive von einer globalisierten Wirtschafts-, Finanz- und Datenelite übernommen. Die vor langer Zeit installierten Stellschrauben und Kontrollmechanismen funktionieren nicht mehr. Die Politiker dürfen nur noch Schaulaufen, wohingegen für die Kür ganz andere Akteure zuständig sind.

Nachdem in den 1980er Jahren der Kommunismus als Gesellschaftsform den Offenbarungseid leisten musste, ist als einzige Systemalternative der Kapitalismus verblieben. Diesen haben wir folglich in den letzten 30 Jahren hemmungslos, weil alternativlos auf die Spitze getrieben und dabei vergessen, entsprechende Kontrollmechanismen einzubauen. Das Gegenteil ist der Fall. Durch die technologische Entwicklung und die weltweite Vernetzung hat sich das kapitalistische System verselbständigt und wir haben dabei tatenlos zugesehen. Nationale Eingriffe bringen deshalb kaum mehr etwas. Die aktuellen Probleme und die entsprechenden Lösungen sind auf einer höheren, sprich globaleren Ebene angesiedelt.

Genau hierin besteht der große Unterschied zur Vergangenheit, weshalb eine gebetsmühlenartig geforderte „Kehrtwende“ sprich ein rückwärts gerichtetes Handeln von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Auch die immer wieder herangezogenen Vergleiche mit der Vergangenheit sind wenig hilfreich, da diese unsere heutige Situation in keiner Weise widerspiegeln. Seit fast 10.000 Jahren sind viele menschliche Zivilisationen entstanden und wieder verschwunden. Es gab auf der Welt genug Ressourcen und so viel Raum, dass sich parallel immer neue Gesellschaftsformen entwickeln konnten. Das war einmal! Wir sind nunmehr in der letzten Zivilisationsstufe angelangt, für eine neue gibt es weder die Ressourcen noch den Raum. Wir spielen mit dem Untergang jeglicher Zivilisation. Deshalb brauchen wir nichts weniger als eine neue, globale Revolution, die dazu führt, dass wir uns endlich mit den wirklich wichtigen Problemen und Fragestellungen unserer Zeit befassen. Ziel muss es sein, einen Evolutionssprung zu schaffen, um die menschliche Entwicklung der technologischen anzupassen. Deshalb brauchen wir die globale „Evo-Revolution“, welche die Grundlage für ein neues „Weltmanagement-System“ schafft, mit dessen Hilfe wir in der Lage sind, die notwendigen Entscheidungen auf einer moralethi-schen Basis zu treffen und auch umzusetzen. Ich spreche hier bewusst nicht von einer „Weltregierung“, weil die Politik gar nicht mehr in der Lage dazu ist, die dringend notwendigen Veränderungen anzuschieben, um unsere Gesellschaft wieder zukunftsfähig zu machen. Die politisch Verantwortlichen sind nicht nur Teil des Systems, sie sind davon abhängig und zählen zu dessen größten Profiteuren. Somit haben sie wenig bis kein Interesse daran, ihr eigenes goldenes Kalb zu schlachten. Wie gehabt einfach weiterhin Forderungen an die Politik zu stellen in der Hoffnung, dass etwas passiert, ist daher keine Option mehr. Die neue „Evo-Revolution“ muss über den digital- und global-vernetzten Bürger direkt Einfluss auf die großen Wirtschafts- und Datenkonzerne nehmen, um gemeinsam mit diesen neue Wege zu gehen. Die verkrusteten politischen Strukturen werden sich in der Folge zwangsweise anpassen müssen.

Und da jede Revolution einen Anfang braucht, versuche ich dies auf dem klassisch-philosophischen Weg über die Macht des Wortes, wie es vor mir bereits viele andere Querdenker getan haben.

B

Anne will nicht
und
Der Fluch der falschen Fragen

Revolution ist ein großes Wort, aber gemessen an der Dimension der anstehenden Aufgaben absolut keine Übertreibung. Deshalb werde ich die gebräuchlichen Politikerphrasen links liegen lassen und versuche in meinem Buch konkret-visionäre Antworten und Lösungsansätze für die Probleme unserer Zeit zu formulieren. Natürlich habe ich kein Patentrezept, um die Welt zu retten, aber ich starte ganz einfach den Versuch, zumindest erste Denkansätze zu liefern, welche helfen können, längst überfällige Veränderungen anzuschieben.

Um Antworten zu finden, muss man aber zuerst die richtigen Fragen stellen. Und damit fangen die Schwierigkeiten an. Im digitalen Zeitalter entwickelt sich unsere Sprache sukzessive zurück. Der Wortschatz nimmt deutlich ab, die Rechtschreibung wird zur unlösbaren Aufgabe und wir nähern uns schrittweise der Computersprache an, die nur 0 oder 1 beziehungsweise nur Ja oder Nein kennt. Das Sprachniveau der Reden Donald Trumps entspricht laut Analysen amerikanischer Sprachwissenschaftler dem eines acht- bis zehnjährigen Kindes. Sein Wahlerfolg zeigt, dass das die Sprache ist, mit der man die Mehrheit der Bevölkerung heute noch erreichen kann. Das ist nicht nur ein gesellschaftliches Armutszeugnis, sondern mit dem Verlust uns exakt ausdrücken zu können, verlieren wir die Fähigkeit, die richtigen Fragen zu stellen. Und ohne die richtigen Fragen, gibt es keine Antworten. Ein Paradebeispiel hierfür sind die fast täglich ausgestrahlten Fernsehtalkrunden, die mit beliebig austauschbaren Köpfen genauso vorhersehbar wie durchschaubar und dementsprechend nichtssagend daherkommen. Der Hauptgrund liegt in der Art und Weise der Fragenstellung, die nur noch auf Symptome abzielt, die tatsächlichen Ursachen einzelner Problemfelder jedoch im Dunkeln belässt.

Das Problem der falschen Fragestellung war den vordigitalen Philosophen völlig unbekannt. Die Beherrschung der Sprache ein Muss und als politisches Instrument eingesetzt eine regelrechte Waffe, die für viele gesellschaftliche Entwicklungen den Anstoß gab. In diesem Sinne schreibe ich ein offenes Buch, das von möglichst vielen und vor allem auch jungen Menschen diskutiert, kritisiert und fortgeschrieben werden sollte. Wenn sie so wollen, ein Gegenstück zur bis dato „dummen“ künstlichen Intelligenz, die uns nicht dabei helfen wird, eine lebenswerte, menschliche Gesellschaft weiterzuentwickeln, sondern nur zwischen Schwarz und Weiß unterscheidet.

Das „akw-Konzept“

Fangen wir also an und hinterfragen zunächst das heutige Politikverständnis. Aufgabe der Politik ist es rechtverbindliche Entscheidungen zu treffen, die das Zusammenleben einer Gesellschaft im Interesse seiner Bürger sowohl privat wie öffentlich als auch im Innen- und Außenverhältnis regelt. Trifft das so noch zu? Wohl kaum. Ich formuliere es provokativ einmal so:

„Das Hauptziel unserer heutigen Politik ist es, einzig und allein die Menschen arbeiten, konsumieren und, um den Schein der Demokratie zu wahren, höchstens alle paar Jahre wählen zu lassen. Darüber hinaus gilt es, die Bürger, egal mit welchen Mitteln, möglichst ruhig zu stellen.“

Dieses kapitalistische akw Konzept hat sich nach dem Scheitern des Kommunismus weltweit durchgesetzt, obwohl es bereits in den 1970er Jahren in den USA an seine Grenzen gestoßen ist und seit dieser Zeit mit Aufhebung des Goldstandards nur noch durch das ständig neue Drucken von Papiergeld künstlich am Leben erhalten wird. So hat das kleingeschriebene akw genauso wie die großen AKW´s im Laufe der Jahrzehnte Altlasten geschaffen, die wir bereits heute kaum mehr im Griff haben und die somit für die nachfolgenden Generationen unkalkulierbare Risiken bergen.

Ach ja, und sterben darf man neben dem akw auch noch, das hätte ich jetzt fast vergessen. Alles andere hingegen ist lästig, wird nicht gern gesehen und stört die scheinbar heile Welt. Das Dumme dabei ist nur, dass immer mehr Menschen spüren, hier läuft etwas fundamental schief, ohne dieses Gefühl allerdings näher definieren, beziehungsweise ausdrücken zu können. Die Strategie des Ruhigstellens verfängt nach wie vor bei all denen, die Nietzsche schon vor mehr als 250 Jahren als „die letzten Menschen“ beschrieben hat, die mit ein wenig Glück, genug zum Essen und ausreichend Ablenkung zufrieden sind und ihr Leben leben, ohne groß darüber nachdenken zu müssen.

Im Gegensatz dazu erleben wir heute, dass in einer wegbrechenden Mittelschicht, die in Deutschland wie auch in anderen Ländern Europas immer noch den Löwenanteil der Bevölkerung ausmacht, sehr viele Menschen systembedingt scheitern und dieses Scheitern mit ihrer Gesundheit bezahlen. Allein in Deutschland begeben sich jährlich mehr als 4 Millionen Menschen wegen Burnout und Depressionen in ärztliche Behandlung. Das sind immerhin 8,5 % der gesamten Bevölkerung. Tendenz steigend. Die große Mehrheit dieser Menschen leidet schlichtweg unter der „Systemkrankheit“, die als Burnout beziehungsweise Depression getarnt wird, um von den tatsächlichen Ursachen abzulenken. Da man es sich nicht leisten kann, diese Menschen als Arbeiter und Konsumenten zu verlieren, werden sie mit Hilfe von Psychopharmaka halbwegs funktionstüchtig gehalten. Statt Ursachen werden Symptome bekämpft, die Menschen werden langfristig bewusst tabletten- oder man kann auch sagen drogenabhängig gemacht. Der einzige Gewinner ist die Pharmaindustrie, für die sich die „Systemkrankheit“ zu einer wahren Goldgrube entwickelt hat. Um vorherzusagen, dass diese Entwicklung aus gesellschaftlicher Sicht heraus betrachtet hochexplosiv ist, braucht man kein Hellseher zu sein. Die Mittelschicht ist das Herz unseres Gesellschaftssystems, ohne funktionierende Mittelschicht fällt alles in kürzester Zeit in sich zusammen.

Diese Entwicklung als dramatisch zu bezeichnen, ist wahrscheinlich sogar noch untertrieben. Aber wie konnte sich unsere Gesellschaft in so kurzer Zeit so dermaßen schnell selbst zerlegen? Die Schuld nur bei der rasanten technologischen Entwicklung zu suchen, ist viel zu kurz gegriffen. Die Digitalisierung unseres Lebens war nur noch der Brandbeschleuniger, den es gebraucht hat, um die bereits vorhandenen negativen Entwicklungstendenzen endgültig unser Leben bestimmen zu lassen. Auf der Suche nach den Ursachen stolpert man schnell über ein weltweit vollkommen verändertes Wertesystem. Als nach dem Zerfall der Sowjetunion deren Nachfolgestaaten und etwa zur gleichen Zeit mit China auch fast der gesamte asiatische Raum kapitalistische Wirtschafsformen übernahmen, startete die letzte große Stufe der Globalisierung. Mit der Folge, dass heute eine Mehrheit aller Menschen auf der Erde den gleichen Werten und Zielen huldigt. Und das erstaunlicherweise, obwohl es nach wie vor unterschiedliche Religionen, Sprachen und Mentalitäten gibt. Eine der ganz wenigen, die sich massiv gegen diese Entwicklung stemmen, sind die konservativen Islamisten. Sie haben erkannt, dass dieses neue, globale Wertesystem ihr Untergang bedeutet. Dass der aus diesem Grund beschrittene Weg zurück ins Mittelalter ihren Untergang noch weiter beschleunigt, haben sie allerdings nicht begriffen. Deshalb wird hier - entgegen aller Behauptungen - kein Glaubenskrieg ausgetragen, sondern ein Krieg des Islam gegen den digitalen Kapitalismus. Ein Krieg, den man aus Sicht der Islamisten auf Dauer nur verlieren kann.

Aber wie hat sich unser Wertesystem verändert? Welche Parameter bestimmen heute unser gesellschaftliches Zusammenleben? Noch vor wenigen Jahrzehnten waren unsere Werte geprägt von Religion, Staatsautorität, Familie, nationalen und regionalen Mentalitäten, Tugenden und Traditionen. Diese über Jahrhunderte gewachsenen Strukturen haben das gesellschaftliche Zusammenleben, den inneren Zusammenhalt und die Verteidigung der Gemeinschaft nach außen geregelt. Genau deshalb diskutieren wir heute in Deutschland wieder über die sogenannte Leitkultur, die uns scheinbar abhandengekommen ist. Dabei geht es unter anderem um die deutschen Tugenden wie Disziplin, Fleiß, Pünktlichkeit, Tapferkeit und Gesetzestreue. Das Problem dabei ist, dass diese Tugenden gar nicht verlorengegangen sind, sondern in unserem neuen, globalen Wertesystem eben nur noch eine untergeordnete Rolle spielen. Daher geht die Diskussion über die Leitkultur auch ins Leere und löst keinerlei Probleme.

Im Zeitalter der „Losigkeit“

Platon hat vor mehr als zweieinhalbtausend Jahren die ebenso einfache wie geniale Formel aufgestellt: Körper + Seele = Geist. Was so viel bedeutet wie: Nur wer Körper und Seele zusammenhält, kann ein zufriedenes und glückliches Leben im Gleichgewicht führen. Ein Leben nach dieser Formel war über die Jahrtausende hinweg in den unterschiedlichsten Gesellschaftsformen schon immer eine Herausforderung, aber durchaus machbar. Heutzutage in einem digitalisierten, globalen Wertesystem ist das offensichtlich kaum mehr möglich. Wir erleben aktuell länderübergreifend eine Abkehr von Gesellschaft, Familie, Religion, Verantwortung und Empathie hin zum Ego. Das eigene Ich steht im Vordergrund jeglichen Denkens und Handelns und wird, wenn nötig über die (a)sozialen Netzwerke als „Überich“ ein wenig aufgehübscht. Diese extrem ichbezogene Lebenseinstellung hat dazu geführt, dass wir mittlerweile in einer Gesellschaft der „Losigkeit“ leben. Die Losigkeit stiehlt uns das von Platon so trefflich beschriebene Gleichgewicht und steht für zahlreiche körperliche- und geistige Zustände, die welch Wunder wieder im Zusammenhang mit den neuen Zivilisationskrankheiten wie Burnout und Depression auftauchen:

Seelenlosigkeit

Mutlosigkeit

Ideenlosigkeit

Humorlosigkeit

Körperlosigkeit

Lieblosigkeit

Gedankenlosigkeit

Antriebslosigkeit

Charakterlosigkeit

Gottlosigkeit

Die historischen Wertesysteme konzentrierten sich auf die Grundlagen des menschlichen Zusammenlebens und hatten so gut wie immer - den Kommunismus einmal ausgenommen - religiöse Hintergründe. Bei allen Unterschieden waren die Grundwerte, egal ob religiös geprägt oder nicht, mehr oder weniger die gleichen. Im Vordergrund stand immer die Art und Weise des Zusammenlebens einer Gemeinschaft, geregelt durch Ge- und Verbote. Während in der christlichen Welt die „Zehn Gebote“ das Fundament zum Aufbau zahlreicher Wertesysteme lieferten, gab es vergleichbare Überlieferungen auch in anderen Religionen. Durch die Kombination von Kapitalismus, technologischer Entwicklung und vor allem der Digitalisierung erleben wir erstmals in der Geschichte der Menschheit, dass die alten Wertesysteme zwar noch gelten, aber sukzessive von neuen Werten überlagert werden, die unabhängig von Nationalität, Sprache und Religion von den meisten Menschen auf dieser Welt akzeptiert und gelebt werden. Diese Entwicklung macht Hoffnung und Angst zugleich. Hoffnung, weil wir endlich nationale Grenzen und ebensolches Gedankengut hinter uns lassen, was dringend notwendig ist, um die Probleme der Zukunft anpacken zu können. Angst, weil es genauso gut zu einer Bündelung von Macht kommen kann, wie wir sie bislang noch niemals erlebt haben. Gelangt diese Macht in die falschen Hände, kann dies das Ende der Menschheit bedeuten.

Wie sieht dieses neue Wertesystem aus, wer steckt dahinter, wie funktioniert dieses und was kann man gegen die negativen Auswirkungen tun? Genau das sind die Fragen, die bislang kaum jemand stellt, die aber für das Überleben der nachfolgenden Generationen von entscheidender Bedeutung sind.

C

Der digitale Kapitalismus
und
Der neue Dekalog

Wertesysteme werden seit Jahrhunderten in nationalen Verfassungen festgeschrieben. Diese können sich im Laufe der Zeit durchaus verändern, so wie zum Beispiel in Deutschland mit der Einführung des Grundgesetzes nach dem zweiten Weltkrieg geschehen. Neben diesen klassischen Systemen ist mit der Einführung des Internets nahezu ein fast erdumspannendes, paralleles Wertesystem hinzugekommen, welches sich grenzüberschreitend zuerst schleichend und dann mit Hilfe der neuen digitalen Kommunikationsmöglichkeiten mit rasender Geschwindigkeit entwickelt und vor allem etabliert hat. Besonders gefährlich dabei ist, dass dies sehr still und leise geschehen ist, ohne dass sich irgendwer groß damit befasst hat. Deshalb wurde Vieles bis heute nicht hinterfragt und die neuen Werte flossen wie selbstverständlich in den Alltag mit ein, weil es ja die anderen überall auf der Welt genauso machen. Wir erleben gerade die feindliche Übernahme unserer alten Werte durch eine neue und erstmals tatsächlich weltweite Religion mit Namen „Digitaler Kapitalismus“. Weder die großen Religionsgemeinschaften auf unserem Planeten noch die Nationalstaaten mit ihren politischen Institutionen haben begriffen, was hier vor sich geht und, dass sie mit aller Wahrscheinlichkeit nach in nicht allzu ferner Zukunft selbst nur noch Geschichte sind. Der „Digitale Kapitalismus“ ist die erste Religion, die es tatsächlich schaffen wird, die gesamte Welt zu beherrschen. Ganz nach dem Motto: Alles ist machbar, nichts ist unmöglich.

Die Bibel des „Digitalen Kapitalismus“ ist im Kern ebenfalls ein Dekalog mit 10 Geboten als Richtschnur für ein globalvernetztes Leben.

1. Du sollst an das Wachstum glauben.

2. Du sollst den neuen Technologien huldigen.

3. Du sollst alles tun, was machbar ist.

4. Du sollst Dich selbstverwirklichen.

5. Du sollst konsumieren.

6. Du sollst online sein und Dich vernetzen.

7. Du sollst uns nicht hinterfragen.

8. Du sollst Dich netzkonform verhalten.

9. Du sollst funktionieren.

10. Du sollst nachhaltig leben.

Mit diesen 10 Geboten müssen wir uns intensiv beschäftigen, um zu verstehen, wo unser Weg in Zukunft hinführt, welchen Einfluss wir darauf überhaupt noch nehmen können und wie vernünftige Problemlösungen aussehen könnten. Deshalb lade ich Sie ein, mit mir gemeinsam eine spannende Reise in die Welt der 10 Gebote des digitalen Kapitalismus zu unternehmen und das gleichermaßen durch Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.