Cover

Sophienlust (ab 351)
– 413 –

Einsame Herzen glücklich vereint

Ein kleiner Rebell wird gezähmt

Anne Alexander

Impressum:

Epub-Version © 2019 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74095-552-6

Weitere Titel im Angebot:

Zu dieser frühen Morgenstunde herrschte nur wenig Verkehr auf der nach Sophienlust führenden Straße. In zügigem Tempo kam der Wagen des Filialleiters Jürgen Renz voran. Sicher lagen seine Hände am Steuerrad.

Er hat kraftvolle Arme, dachte Marina Wagner. Ihr Blick glitt weiter zu seinem braungebrannten Gesicht das konzentriert geradeaus auf die Fahrbahn gerichtet war. Eine Strähne seines dunkelblonden Haares fiel ihm in die Stirn. Er schob sie zurück, um sofort die Hand wieder ans Steuerrad zu legen. Er spürte ihren Blick, kurz wandte er ihr seine grauen Augen zu. Wie liebreizend sie ist, dachte er.

Erschrocken war Marina zusammengezuckt, als ihre Augen sich getroffen hatten. Eine leichte Röte war in ihre Wangen gestiegen. Was wird er nur von mir denken, dachte sie. Ich hätte ihn nicht so anstarren dürfen. Er braucht nicht zu wissen, wie sehr ich ihn liebe, bevor er nicht…

»Ich glaube, meine kleine Susanne freut sich riesig, dich kennenzulernen, Marina«, unterbrach er ihre Gedanken. »Ich habe ihr schon viel von dir erzählt. Sie ist so ein anschmiegsames, liebebedürftiges Wesen...« Jürgen zuckte zusammen. »Au!« schrie er unwillkürlich. Ein hartes kleines Geschoß hatte seine Wange getroffen. Er riß automatisch das Lenkrad rum, der Wagen begann zu schleudern. Nur mit Mühe konnte er ihn wieder abfangen und steuerte ihn zum Rand der Straße.

Aufgebracht drehte er sich um. Im Fond des Wagens hinter Marina saß der sechsjährige Daniel. Triumphierend hielt er die Schleuder noch in der Hand.

»Hab’ ich nicht fein getroffen, Onkel?« fragte er grinsend.

»Wenn du mein Sohn wärst, würde ich dich jetzt übers Knie legen«, schimpfte Jürgen. »Du bist alt genug, um zu wissen, daß man unterwegs den Fahrer nicht stören darf, weil es dadurch zu einem Unfall kommen kann. Gib mir sofort die Schleuder!«

»Es ist meine«, sagte Daniel trotzig.

Jürgen Renz stieg aus, ging um den Wagen herum und riß die Fondtür auf. Er streckte die Händ aus, doch der Junge rückte auf die andere Seite.

»Mama, der Mann will mich schlagen!« schrie er.

Marina, die sehr schreckhaft war, hatte den Schock über den Beinah­-Unfall noch nicht ganz überwunden. Ihr Herz raste wie verrückt. Sie riß sich zusammen und sagte streng: »Onkel Jürgen hat recht, das war sehr ungezogen von dir. Außerdem will er dich nicht schlagen. Gib ihm also die Schleuder!«

»Er ist nicht mein Onkel! Oma hat gesagt…«

»Gib die Schleuder her!« Marina kniete sich auf den Sitz, beugte sich über ihren Sohn und entriß ihm die Schleuder. Sie reichte sie Jürgen, der sie in hohem Bogen auf das hinter dem Straßengraben liegende Feld warf.

»Das werd’ ich der Oma sagen!« Der Junge heulte auf. »Sie hat gleich gesagt, ich soll mit dem bösen Mann nicht mitfahren.«

»Das wäre auch besser gewesen«, murmelte der Filialleiter und setzte sich wieder hinter das Steuer. Sanft legte er seine Hand auf Marinas. »Es tut mir leid, Marina, ich hätte mich besser beherrschen sollen, doch dein Junge macht es einem wirklich schwer.«

»Ich weiß«, erwiderte die junge Frau traurig, »aber er kann eigentlich nichts dafür. Es ist der Einfluß seiner Groß­mutter.«

Jürgen startete den Wagen. »Dann mach dich endlich frei von ihr«, sagte er mit harter Stimme.

»Das hab’ ich auch vor«, erwiderte Marina, »aber ich habe leider noch nicht so viel zusammensparen können, daß es für einen eigenen Hausstand reicht.«

Spontan wollte ihr Jürgen antworten, daß sie ja zu ihm ziehen könne, auch wenn sie noch nicht verheiratet waren, doch er verkniff es sich und preßte die Lippen zusammen. Nein, da war der Junge! Wenn Daniel nicht gewesen wäre, hätte er ihr längst einen Heiratsantrag gemacht. Aber er kam mit diesem Kind nicht zurecht, obwohl er sehr kinderlieb war. Daniel war ein Fall für sich, er, Jürgen hatte noch nie ein störrischeres und ungezogeneres Kind gesehen. Schon als er Marina und ihren Sohn am frühen Morgen abgeholt hatte, hatte es eine unerquickliche Szene gegeben. Der Junge hatte sich, unterstützt von seiner Großmutter, mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, mitgenommen zu werden. Aber Marina, die sonst immer zu nachgiebig war, hatte darauf bestanden.

Seit sie vor zwei Jahren in seiner Bankfiliale angefangen hatte, war sie selbstsicherer geworden und benutzte jede dienstfreie Zeit dazu, Daniel dem ungünstigen Einfluß ihrer Schwiegermutter zu entziehen.

Als ob das jetzt noch was nützen würde, dachte Jürgen. Seiner Meinung nach gehörte Daniel in ein Erziehungsheim. Aber das würde Marina natürlich nicht einsehen, zumal er ihr ja zumuten wollte, die Mutter seiner kleinen Tochter zu werden. Zwischen seinen Augenbrauen hatte sich eine tiefe Unmutsfalte gebildet. Der Junge hatte ihm wieder einmal gründlich das Zusammensein mit Marina verdorben, und er hatte sich davon so viel versprochen!

Die Beifahrerin warf ihm verstohlen einen Blick zu, entdeckte seine Unmutsfalte. Ihr wurde es schwer ums Herz. Sie hatte gehofft, daß er ihr endlich an diesem Tag die so ersehnte Frage stellen würde, denn wozu sonst hätte er sie nach Sophienlust mitgenommen, damit sie seine Tochter kennenlernte? Doch anscheinend hatte Daniel wieder einmal alles verpatzt. Es wäre alles so ideal gewesen, er hätte eine Tochter, sie den Sohn mit in die Ehe gebracht, aber wie sollte das gutgehen, wenn sich Daniel so gegen Jürgen wehrte? Wie sollte sie dem von ihr geliebten Mann beweisen, daß ihr Sohn im Grunde einen weichherzigen Charakter besaß, und er sich nur von ihrer Schwiegermutter gegen ihn aufhetzen ließ? Sie hätte jetzt so gern mit Jürgen noch einmal darüber gesprochen ihm die Unmutsfalte von der Stirn gestrichen, aber hinter ihr saß Daniel, und sie wußte aus eigener Erfahrung, daß er auf jedes ihrer und Jürgens Worte achtete, sie in seinem Gedächtnis behielt und sie fast wörtlich seiner Oma hinterbrachte…

Marina drehte sich halb um und warf ihrem Sohn einen prüfenden Blick zu. Dieser schmollte noch immer, doch als er den Blick seiner Mutter auf sich gerichtet fühlte, grinste er herausfordernd und streckte dann in Richtung Jürgen lang die Zunge heraus. Obwohl Marina Wagner es haßte, Kinder zu schlagen, hätte sie jetzt ihrem Sohn am liebsten eine Ohrfeige verpaßt, aber statt dessen drehte sie sich schnell wieder um und unterdrückte jegliche Bemerkung, um Jürgen nicht auf die neue Ungezogenheit ihres Sohnes aufmerksam zu machen

Hoffentlich hat er es nicht durch den Spiegel bemerkt, dachte sie. Wieder einmal überkam sie die Befürchtung, ob sie sich nicht doch in Daniel täuschte und er mehr von dem Charakter seines verstorbenen Vaters mitbekommen hatte, als ihr lieb war. Immerhin glich er auch im Aussehen seinem Vater er war blond und blauäugig, während sie schwarze Haare und dunkle Augen hatte.

»Wir sind bald da«, unterbrach Jürgen endlich das Schweigen. »Dort ist schon ein Wegweiser!« Er deutete auf eine Abzweigung, der er nun folgte. »Bis zum Kinderheim werden wir diesen Wegweisern begegnen«, erzählte er. »Ich finde die geschnitzten Figuren von Kindern und Tieren einfach entzückend.«

»Sie sind doof«, erklang eine Stimme von hinten.

»Das ist von dir auch nicht anders zu erwarten«, erwiderte Jürgen, »aber zum Glück habe ich dich nicht gefragt.«

So wird er Daniels Liebe nie erringen, dachte Marina verzweifelt. Laut sagte sie: »Sie sind wirklich allerliebst.« Leider setzte sie hinzu: »Bitte, komm doch Dani auch einmal entgegen.«

Der Mann lacht bitter auf. »Um mir von ihm immer wieder eine Abfuhr zu holen? Nein danke, ich hab’s wohl schon oft genug versucht, aber…« Er zuckte mit den Achseln. Er sah im Rückspiegel, wie Daniel von einem Ohr zum anderen grinste. Der Junge verfügte, meist zum Leidwesen der Erwachsenen, über ein ausgezeichnetes Gehör.

Sie fuhren jetzt durch einen weitläufigen Park mit altem Baumbestand, nachdem sie ein schmiedeeisernes Tor passiert hatten, das eine hohe, dichte Hecke unterbrach. Vor ihnen tauchte ein weißes einstöckiges Gebäude mit einem neuangebauten Nebentrakt auf. Das Haus wirkte ungemein anziehend mit seinen großen Fenstern, den grünen Fensterläden und dem mit grauen Schindeln bedeckten Dach.

»Das soll ein Kinderheim sein?« fragte Marina erstaunt. »Ich hätte es eher für ein Gutshaus gehalten.«

»Das war’s früher auch«, erklärte Jürgen und stellte den Motor ab. »Wie ich hörte, hat vor Jahren eine Frau von Wellentin diesen ganzen Besitz ihrem Urenkel vererbt, unter der Bedingung, aus dem Haus ein Heim für elternlose, vernachlässigte oder auch nur für kurze Zeit zu betreuende Kinder zu machen. Frau von Schoenecker verwaltet es. Vielleicht lernst du sie heute kennen, sie kommt oft hierher.«

Jürgen stieg aus, lief um den Wagen herum, öffnete die Beifahrertür und bot Marina die Hand zum Aussteigen. Selbstvergessen hielten sich beide an den Händen fest und sahen sich in die Augen.

Daniel war inzwischen auch ausgestiegen. Er drängelte sich zwischen die beiden Erwachsenen, sah Jürgen böse an und sagte: »Das ist meine Mama!«

»Das ist es ja«, meinte der Mann hintergründig und schlug die vordere sowie die hintere Wagentür zu, die der Junge offengelassen hatte.

Marina hielt ihren Sohn am Arm fest, während sie die Freitreppe hinaufstiegen, gefolgt von Jürgen. Sie hatte Mühe, den Jungen die Treppe hochzuziehen, weil er sich mit aller Gewalt dagegen wehrte.

»Ich mag nicht«, schrie er. »Du willst mich nur in dem doofen Heim lassen, das hat die Oma auch gesagt.«

»Dann hat sie dich wieder mal angelogen«, entgegnete die Mutter aufgebracht. »Meinst du, die wollen hier einen so ungezogenen Jungen haben? Wir machen doch hier nur einen Besuch, und…«

Jürgen hatte unterdessen die altertümliche Klingel betätigt, und kurz darauf sprang die Tür auf. Vor ihnen stand ein älteres Hausmädchen, einen Staubwedel und ein Staubtuch in der Hand.

»Tag, Lena«, sagte der Filialleiter freundlich.

»Oh, guten Tag, Herr Renz!« erwiderte Lena. »Sie kommen heute recht früh.«

»Hoffentlich nicht zu früh«, meinte Jürgen. »Es ist hier noch so ruhig, ich hoffe nicht, daß noch alles schläft.«

Die Angestellte kicherte. »Doch nicht mehr um diese Zeit und bei diesem schönen Wetter. Schwester Regine ist schon sehr früh mit den Kindern zu einem Waldspaziergang aufgebrochen. Am Samstag ist immer viel zu tun, da sind wir froh, wenn die Kinder aus dem Hause sind. Sie werden erst um die Mittagszeit wieder zurückkommen. Bitte treten Sie doch ein, ich werde Frau Rennert Bescheid sagen.« Das Hausmädchen wies einladend auf mehrere bequeme Ledersessel, ehe sie die Besucher alleine ließ.

»Was für eine schöne Halle«, sagte Marina bewundernd, als sie und Jürgen sich gesetzt hatten.

Daniel war vor dem großen Bärenfell stehengeblieben, das vor einem offenen Kamin ausgebreitet lag. »Mensch, ist das Fell echt?« wollte er wissen. »Das ist ja ’ne Wucht!« Er lief zu dem Vorleger hin, ließ sich darauf fallen und streichelte den Bärenkopf. Gleich darauf fuhr seine Hand in das aufgerissene Maul des Kopfes, das auf die einstige Wildheit des Tieres aufmerksam machte. »Mensch, hat der Zähne«, sagte er bewundernd.

»Dani, geh nicht so grob mit dem Kopf um«, mahnte die Mutter, »sonst machst du noch etwas kaputt.«

Der Bärenkopf ist mehr oder minder grobe Kinderhände gewohnt«, sagte eine Frau, die unbemerkt von den Besuchern aus einer der Türen aufgetaucht war.

Jürgen sprang auf. »Guten Tag, Frau Rennert! Ich komme mir wie ein Störenfried vor, bitte verzeihen Sie, daß ich heute so früh dran bin.« Er reichte ihr die Hand.

»Das macht doch nichts, Herr Renz, wir sind alle Frühaufsteher. Es tut mir nur leid, daß Sie Ihre Kleine noch nicht sehen können.«

»Wenn man außer der Zeit kommt, muß man mit einem solchen Fiasko rechnen«, erklärte der Mann. »Ich bin deshalb so früh gekommen, weil ich genügend Zeit haben wollte, um meiner Bekannten ausgiebig Ihr schönes Heim und die Umgebung zu zeigen, bevor ich Susi und Beppo übers Wochenende zu mir hole.« Er wies auf Marina, die sich ebenfalls erhoben hatte. »Darf ich vorstellen, Frau Wagner – Frau Rennert.«

Die beiden Frauen reichten sich die Hände. Marina spürte den prüfenden Blick der Heimleiterin.

»Ich freue mich, Sie kennenzulernen«, sagte Else Rennert herzlich. Bedingt durch ihre langjährige Praxis, ahnte sie, warum Jürgen Renz Marina mitgebracht hatte. Die junge Frau gefiel ihr.

»Frau Rennert ist die gute Seele des Kinderheims Sophienlust«, scherzte Jürgen Renz. »Sie wird von allen Kindern liebevoll Tante Ma genannt.«

Die mütterliche Frau lächelte und meinte: »Das beruht ganz auf Gegenseitigkeit. Ich wüßte nicht, was ich ohne meine Schützlinge anfangen sollte. Ist das Ihr Sohn?« Sie deutete mit dem Kopf auf Daniel, der noch immer auf dem Bärenfell lag.

Die junge Frau errötete. Sie ärgerte sich, daß Daniel nicht aufgestanden war, als die Heimleiterin die Halle betreten hatte. Immerhin war er schon sechs und mußte wissen, was sich gehörte. »Willst du nicht aufstehen, Daniel?« fragte sie. »Gib Frau Rennert die Hand!«

»Guten Tag«, sagte der Junge, rührte sich aber nicht vom Fleck, »das Bärenfell ist prima. Können wir das nicht mitnehmen?«

»Steh endlich auf«, verlangte Jürgen.

»Nö! Du hast mir gar nichts zu sagen.«

»Dani, warum bist du heute nur so ungezogen?« Marina schossen vor Scham Tränen in die Augen.

Überrascht hatte Frau Rennert von einem zum anderen gesehen. Der Junge scheint recht problematisch zu sein, dachte sie.

Marina hatte sich zu ihrem Sohn hinuntergebeugt und ihn hochgezogen. »Seit seinem zweiten Lebensjahr wächst er ohne Vater auf«, sagte sie zur Entschuldigung für das Verhalten ihres Sohnes. »Ich hab’s nicht leicht mit ihm, zumal ihn seine Großmutter, meine Schwiegermutter, maßlos verwöhnt.«

»Oma ist ’ne Wucht«, erklärte das Kind trotzig.

Frau Rennert wollte Daniel freundschaftlich die Hand auf die Schulter legen, doch er wich zurück. »Omas verwöhnen ihre Enkel meistens gern, und manchmal leider zu sehr«, meinte sie. Ein Blick in Herrn Renz’ Augen genügten ihr, und sie wußte Bescheid. »Ich darf Ihnen doch eine Tasse Kaffee anbieten?« fragte sie. »Bitte setzen Sie sich wieder!« Dann wandte sie sich Daniel zu: »Leg dich ruhig auf das Bärenfell, wenn es dir so viel Spaß macht.« Um die allgemeine Stimmung ein wenig aufzuheitern, setzte sie hinzu: »Du brauchst auch keine Angst zu haben, der Bär beißt nicht mehr.«

Wie aus der Pistole geschossen kam seine Antwort: »Das weiß ich selbst, ich bin doch nicht blöd!«

Während die Heimleiterin vor Überraschung nach Luft schnappte – noch nie war ihr ein Kind derartig frech gekommen – rief Marina schockiert: »Aber Daniel!« Mit hochrotem Gesicht wandte sie sich an Frau Rennert: »Ich weiß nicht, was mit dem Kind heute los ist, vielleicht fehlt ihm was, vielleicht…«

»Ja, ihm fehlt was«, unterbrach sie Jürgen zornig, »und zwar eine ganz gehörige Tracht Prügel. Wenn ich der Vater wäre, dann…«

»Du bist aber nicht der Vater«, entgegnete Marina erregt.

»Ein Glück«, erwiderte der junge Mann verbittert.

Keiner von beiden hatte bemerkt, daß Frau Rennert während ihres Streits die Halle verlassen hatte, weil ihr der Zank der Besucher peinlich war.

Obwohl sich Marina und Jürgen liebten, sahen sie sich jetzt wie Feinde an, keiner fand ein versöhnendes Wort. Dabei achtete auch niemand auf Daniel, der bäuchlings auf dem Bärenfell lag und vor sich hin grinste; hatte er doch erreicht, was die Oma ihm aufgetragen hatte, nämlich sich so widerspenstig zu geben, daß, Jürgen Renz davon abließ, seiner Mutter nachzustellen, da er sonst einen ganz bösen Stiefvater bekommen würde.

Ulla, das jüngere Hausmädchen, betrat mit einem Servierwagen die Halle und rollte ihn zu dem Besucher hin. »Frau Rennert läßt sich entschuldigen, sie kommt gleich zurück«, sagte sie. »Sie wollte nur noch Frau von Schoenecker melden, daß Sie hier sind.« Geschickt nahm Ulla das feine Porzellangeschirr vom Servierwagen und verteilte es auf dem Tisch. Eine Silberschale mit Gebäckstücken folgte, ein Becher Milch für Daniel und die Kaffeekanne. »Soll ich jetzt schon eingießen?« fragte sie.

»Danke, noch nicht«, erwiderte Marina. »Wir warten auf Frau Rennert.«

Else Rennert saß in ihrem büroähnlichen Empfangszimmer und telefonierte mit Denise von Schoenecker. »Mir ist die junge Frau eigentlich sehr sympathisch«, sagte sie. »Herr Renz hat sie mitgebracht, damit sie seine Tochter Susanne kennenlernt. Also muß er doch ernste Absichten haben. Aber ich habe den Eindruck, daß Frau Wagners Junge und hauptsächlich die Mutter ihres ersten Mannes sich dagegen wehren.«

Die Gutsbesitzerin lachte auf. »Hoffentlich täuscht Sie der erste Eindruck, Frau Rennert.«