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Deutsche Erstausgabe (ePub) August 2019

 

Für die Originalausgabe:

© 2018 by Anna Martin

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»Lone Wolf«

 

Originalverlag:

Published by Arrangement with Dreamspinner Press LLC, 5032 Capital Circle SW, Ste 2, PMB# 279, Tallahassee, FL 32305-7886 USA

 

Für die deutschsprachige Ausgabe:

© 2019 by Cursed Verlag

Inh. Julia Schwenk

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit

Genehmigung des Verlages.

 

 

Bildrechte Umschlagillustration

vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock

Satz & Layout: Cursed Verlag

Covergestaltung: Hannelore Nistor

 

ISBN-13: 978-3-95823-773-5

 

Besuchen Sie uns im Internet:

www.cursed-verlag.de


 

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Aus dem Englischen von Ella Schaefer


 

Liebe Leserin, lieber Leser,

 

vielen Dank, dass Sie dieses eBook gekauft haben! Damit unterstützen Sie vor allem die Autorin des Buches und zeigen Ihre Wertschätzung gegenüber ihrer Arbeit. Außerdem schaffen Sie dadurch die Grundlage für viele weitere Romane der Autorin und aus unserem Verlag, mit denen wir Sie auch in Zukunft erfreuen möchten.

 

Vielen Dank!

Ihr Cursed-Team

 

 

 

 

Klappentext:

 

Jackson Lewis ist kein typischer Werwolf: Er lebt zurückgezogen und widmet sich ganz seiner eigenen Mikrobrauerei, da bleibt nicht viel Zeit für Romantik. Umso überraschter ist er, als er in der Stadt über seinen Seelengefährten stolpert. Leo Gallagher ist liebenswert, lebensfroh, Jacksons komplettes Gegenteil – und ein Mensch. Dass Jackson bisher davon aus-gegangen ist, hetero zu sein, stellt die beiden durchaus vor Herausforderungen. Und zu allem Überfluss regt sich auch noch eine Anti-Werwolf-Aktivistengruppe, die die Verbindung von einem Menschen und einem Werwolf überhaupt nicht gerne sieht. Doch das Herz lässt sich nicht verbieten, wen es liebt, und das Schicksal irrt sich nie…


 

 

 

 

Danksagung

 

 

Ich stehe tief in der Schuld meiner lieben Freundin Agnes,

die mir dabei geholfen hat, diesen Roman in die Form

zu bringen, die er jetzt hat.

 

Vielen Dank noch mal, dass du das Potenzial der Geschichte

erkannt und mich dabei unterstützt hast,

sie zu verwirklichen.


 

Kapitel Eins

 

 

Jackson war nicht der Typ, an den man sich in einem Notfall wandte.

Er war die Sorte Mensch, die bei einem Notfall Platz machte und andere ihr Ding machen ließ. Zu wissen, wann man zurücktreten und die Experten übernehmen lassen musste, war eine wichtige Eigenschaft.

Heute war nicht sein Tag.

»Ich brauche Hilfe! Hilfe!«

Alles, was er gewollt hatte, war, etwas frisches Gemüse bei Whole Foods zu besorgen, doch im Gang nebenan schrie eine Frau. Um genau zu sein, war sie nicht die Einzige, die schrie. Noch ein paar andere Leute schrien, inklusive eines Babys.

Mit einem Seufzen schaute Jackson um die Ecke. Seine Neugier war stärker als der Instinkt wegzulaufen.

Die Frau, die um Hilfe geschrien hatte, saß mit einem Baby in den Armen auf dem Boden. Allem Anschein nach ein Werwolfbaby, da seine Fangzähne sichtbar waren.

Heilige Scheiße. Das sollte definitiv nicht der Fall sein.

»Sir!«

Scheiße hoch zwei. Die Mutter hatte ihn gemeint. Vermutlich hatte sie in ihm einen anderen Wolf erkannt.

»Bitte.«

Jackson stellte seinen Korb ab und hastete zu ihr. Mittlerweile waren einige Supermarktangestellte hinzugekommen und komplimentierten die Gaffer weg. Offensichtlich waren Jackson und die Mutter die einzigen Werwölfe im Geschäft – natürlich wieder sein verdammtes Glück.

»Geht es ihr gut?«, fragte er und nickte zu dem Baby, blieb jedoch darauf bedacht, seine Finger aus dessen Reichweite zu halten.

»Sie ist noch nicht mal zwei«, jammerte die Mutter.

Werwölfe erlebten ihre erste Verwandlung erst in der Pubertät, meistens irgendwann zwischen zehn und vierzehn. Die Fangzähne schon zu bekommen, war für ein Kleinkind… ungewöhnlich.

»Sie sollten sie zum Children's Hospital bringen«, sagte Jackson sanft. Seine Finger behielt er immer noch bei sich. Er wollte sich definitiv nicht von ihr mit diesen Fangzähnen beißen lassen. Sie war ein süßes kleines Ding, mit roten Pausbacken, großen braunen Augen und zwei spitzen weißen Eckzähnen, die auf ihrer Unterlippe auflagen und verdammt scharf aussahen. Zum Glück schrie das Baby nicht mehr. Eigentlich sah es eher verwirrt aus, weil seine Mutter solchen Lärm machte.

»Ich kann nicht«, schluchzte die Mutter. »Ich bin mit einem Uber hergekommen.«

Jackson unterdrückte das Bedürfnis, abermals zu seufzen. »Kommen Sie«, sagte er. »Ich fahre Sie beide.«

 

***

 

Die Mutter, Katelyn, und Baby Ava waren sicher beim Notdienst des Spokane Children's Hospital abgeliefert. Bis sie beim Krankenhaus angekommen waren, hatte Jackson sich irgendwie verantwortlich für die beiden gefühlt und hatte Katelyn durch den Eingang zur Werwolf-Notaufnahme begleitet. Sie war von ihrem Äquivalent für Menschen aus mehreren Gründen getrennt. Einige davon wurzelten in alten Vorurteilen, andere waren praktischer Natur.

Jackson versuchte, sich nicht zu sehr den Kopf darüber zu zerbrechen. Zum Glück arbeitete seine Mutter hier, sonst hätte er keine Ahnung gehabt, wo er hingehen musste.

Er war neugierig und wollte wissen, was genau dafür gesorgt hatte, dass Ava plötzlich ihre Fangzähne zehn Jahre zu früh bekommen hatte. Er hatte nicht mal gewusst, dass Milchzähne Fänge sein konnten. Jackson sah sich schon einen Wikipedia-Beitrag nach dem anderen an, aber trotz seiner Neugier wollte er nicht warten, bis Katelyn und Ava eine Diagnose bekamen.

Es gab einen schnellen Weg zurück zu seinem Truck und einen längeren, verworrenen. Aber der letztere bedeutete, dass er nicht an der X-Station vorbeimusste.

Als Kind hatte er einmal zufällig in die stark gesicherten Räumlichkeiten gelinst, wo man die Leute unterbrachte, die von Wölfen gebissen worden waren. Die Idee dahinter war, diese Menschen zu schützen, indem man abwartete, ob sie sich verwandeln würden oder ob das hoffentlich rechtzeitig verabreichte Gegengift wirkte.

Jedoch hatte Jackson lebhafte Erinnerungen an eine heulende Frau und einen Teenager, der darum kämpfte, zwei Krankenschwestern zu entkommen, die versuchten, ihn zu bändigen. Es hatte wie die Hölle ausgesehen. Seine Mom hatte ihn hastig fortgezogen, als sie bemerkt hatte, dass er starrte, und hatte ihn den ganzen Heimweg lang darüber belehrt, sich nicht davonzuschleichen.

Obwohl er auf logischer Ebene verstand, warum diese Krankenstation gebraucht wurde, schickte es ihm dennoch einen Schauer über den Rücken. Also nahm er den langen Weg zurück zum Parkplatz und beschwerte sich nicht weiter darüber.

Im Krankenhaus herrschte viel Betrieb. Das weckte bei Jackson nur das Bedürfnis, sich zurückzuziehen. Er hasste es, wenn sich Menschen an ihm vorbeidrängelten – und er war definitiv im Weg, da er weder ein krankes Kind war noch jemand, der sich um eins kümmerte.

Er war gerade dabei, sich aus dem Staub zu machen, als ein junger Mann den Korridor hinunterrauschte, dabei eine Nachricht auf seinem Handy beantwortete und definitiv nicht darauf achtete, wo er hinlief. Der Typ rempelte Jackson direkt an, wobei er ihn fast umwarf.

»Sorry!«, rief der Typ schon ein halbes Dutzend Schritte weiter. Er hielt beide Hände hoch und drehte sich elegant um, um anzuhalten. »Bist du in Ordnung?«

Normalerweise hätte Jackson einfach etwas Unhöfliches vor sich hin gemurmelt und wäre abgehauen. Aber hier stimmte etwas nicht. Ganz und gar nicht.

Vielleicht sah der Typ Jacksons Miene an, dass etwas nicht in Ordnung war, denn er war nicht weiter dorthin gerannt, wo er so dringend hingemusst hatte, dass er keine Zeit gehabt hatte, um zu schauen, wohin er lief. Er machte vorsichtig einen Schritt nach vorn.

»Du bist…«, setzte Jackson an, doch er wusste nicht, wie er den Satz beenden sollte.

»Hey, kann ich helfen?«

Er war ein bisschen kleiner und um einiges schmaler als Jackson, mit rötlich-braunem Haar und blasser Haut. Er trug ein Schlüsselband, an dem ein Ausweis hing, was bedeutete, dass er im Krankenhaus arbeitete. Auf seinem Gesicht lag milde Besorgnis.

Jackson blinzelte mehrmals.

»Du bist mein Seelengefährte«, sagte er und die Worte fühlten sich falsch an.

Sein Herz hüpfte ermutigend. Jackson war übel, doch es hatte keinen Sinn, es abzustreiten. Das Ziehen kam direkt aus seinem Innersten, schärfte seine Sicht und seine Sinne ebenfalls. Er blockte alles um sie herum instinktiv ab und seine Welt reduzierte sich auf sie beide. Das geschäftige Krankenhaus trat in den Hintergrund und ließ ihn aufmerksam auf den jungen Mann vor sich fixiert zurück.

Jackson war schon im Einklang mit dem merkwürdigen Fremden, der ihn jetzt anschaute, als wäre er verrückt geworden. Vielleicht war er das.

»Ich bin ein Mensch.« Der Typ schüttelte den Kopf, als würde Jackson sich irren.

Das war nicht wichtig. Jackson wusste nicht, wie er es sich selbst erklären konnte, und schon gar nicht dem armen Kerl vor ihm, der nun geschockt und ängstlich aussah.

»Es tut mir so leid. Ich muss gehen«, sagte der Typ und grub die Hand in seine hintere Hosentasche. Er zog eine Visitenkarte mit Eselsohr hervor, die er Jackson hinhielt. »Ich habe ein Meeting, aber… du solltest mich anrufen.«

Er war weg und um die Ecke verschwunden, bevor Jackson irgendetwas erwidern konnte. Leute eilten an Jackson vorbei, aber er war wie gelähmt. Irgendwann schaute er auf die Karte hinunter.

Leo Gallagher

Musiktherapeut


 

Kapitel Zwei

 

 

Als die Nacht hereinbrach, stolperte Leo nach Hause, wobei er sich immer noch leicht benommen fühlte. Es war ein wirklich seltsamer Tag gewesen.

Er teilte sich eine Zwei-Zimmer-Wohnung mit Mitch, einem Kerl, den er auf Craigslist gefunden hatte, als Mitch eine Anzeige für einen schwulen Mitbewohner, aber nicht für so was aufgegeben hatte. Leo war kurz davor gewesen, seine Fachausbildung im Krankenhaus zu beginnen, und hatte immer noch keine Wohnung gehabt. Deshalb hatte er angerufen und gebetet, dass er nicht bei einem Psychopathen landete.

Stattdessen war er bei einem Werwolf gelandet.

Leo war bei ihrem ersten Treffen unglaublich überrascht gewesen, als Mitch ihn durch die Wohnung geführt und dann beiläufig hatte fallen lassen, dass er ein Wolf war. Leo hatte geglaubt, es wäre eine große Sache; alles, was er über Wölfe wusste – was zugegeben nicht viel war –, ließ vermuten, dass sie etwas dagegen hatten, Außenstehende nah an sich heranzulassen.

Er war sich immer noch nicht sicher, ob das bei einigen Werwölfen der Fall war. Größtenteils lebten sie auf der ganzen Welt verteilt in kleinen Gemeinschaften, die zum Schutz zusammenhielten. Oft unterrichteten sie ihre Kinder zu Hause oder schickten sie auf Schulen nur für Werwölfe. Darum war Leo nicht wirklich oft mit ihnen in Kontakt gekommen, obwohl Spokane eine relativ große Werwolfgemeinschaft besaß.

Mit Ausnahme von Mitch, und der verhielt sich nicht gerade so, wie Leo das erwartet hatte. Mitch war der am wenigsten eifersüchtige, besitzergreifende Wolf, den Leo jemals getroffen hatte. Und er hatte absolut kein Problem damit, seinen Lebensraum mit einem Menschen zu teilen.

»Hey«, rief Leo, ließ seine Tasche an der Eingangstür fallen und schlüpfte aus seinen Schuhen. Er streifte seine äußeren Schichten ab, während er die Wohnung durchquerte und in der Küche landete, wo Mitch Cocktails mixte und zu irgendeiner Disco-/Techno-Musik tanzte.

»Du bist ein wandelndes Klischee«, sagte Leo. Er lehnte sich gegen den Türrahmen, verschränkte die Arme vor der Brust und unterdrückte ein Lächeln.

»Es ist Freitag«, flötete Mitch.

»Alter, es ist Mittwoch.«

»Nicht für mich. Ich arbeite den Rest der Woche nicht, also mache ich Margaritas.«

Mitch war kein Psychopath. Zumindest hielt Leo ihn nicht für einen. Als sie sich das erste Mal getroffen hatten, war Leo von der Größe der Persönlichkeit eingeschüchtert gewesen, die Mitch in einen so kleinen Körper zwängte: Mitch war kaum einen Meter siebzig groß, was ungewöhnlich für einen Werwolf war. Klassischerweise waren sie größer. Es gab aber nichts Klassisches an Mitch.

Für seine Mittwochabend-Margaritas trug er superknappe Jeanshotpants und einen abgeschnittenen Pulli, der seinen Bauch entblößte. Seine rosafarbenen Baseballsocken reichten ihm bis zu den Knien und versteckten seine schmalen Waden.

»Ich hab darüber nachgedacht, Abendessen zu bestellen. Ich glaube, ich habe nicht die Energie, was zu kochen«, sagte Leo.

»Essen ist Schummeln.«

»Nicht, wenn ich morgen früh um acht arbeiten muss.«

»Buhu. Du Schlampe.«

»Thai oder Sushi?«

»Tacos!«

Leo legte den Kopf in den Nacken, damit Mitch sein Grinsen nicht sah. »Okay, ich lasse es in einer halben Stunde liefern? Ich brauche eine Dusche.«

»Okay. Wenn du fertig bist, ist es dein Margarita auch.«

Als Leo sich abwandte, um ins Bad zu gehen, ließ er das Kichern schließlich raus. Als Mitbewohner war Mitch anstrengend. Als Freund war er ein Gottesgeschenk.

Nur für eine Weile wollte Leo den Stress verdrängen, der in seiner Lunge brannte, und das Grauen, das in seinen Eingeweiden schwelte, und irgendwas völlig Normales tun. Den Nachmittag hatte er damit verbracht, mit Kindern von der Krebsstation Lieder zu komponieren, bis sie sich vor Lachen auf dem Boden herumrollten, und so versucht, den Werwolf zu vergessen. Schöne, androgyne Kinder mit glänzend glatter Haut und in hässlichen Krankenhaushemden, die für den Moment durch ein Lied über Popel abgelenkt waren.

Leo klammerte sich an diese Ablenkung, auch wenn sie ihm zu entschlüpfen drohte wie ein ölbedecktes Glas.

Er erledigte schnell den Anruf beim Lieferservice, dann duschte er und zog sich bequeme Klamotten an. Halb taumelte er ins Wohnzimmer und brach auf seinem Lieblingsplatz auf dem Sofa zusammen. Sein Körper schmerzte, weil er so lange auf dem Boden gesessen hatte. Es sah aus, als sei das Essen gekommen, während er sich umgezogen hatte: Mitch hatte es bereits auf zwei Teller verteilt.

»Was ist heute Abend mit dir los?«, fragte Mitch. Er faltete sich wie eine verschlungene Brezel in seinen Sessel, wobei er in einer Hand den Cocktail und auf den Knien seinen Teller balancierte. »Du bist so…« Er wedelte demonstrativ mit der freien Hand herum.

»Ich habe…« Leo holte tief Luft und schüttelte den Kopf. Er hatte es noch nicht laut ausgesprochen. »Ich habe heute einen Typ getroffen. Er ist ein Werwolf. Und er glaubt, dass ich sein Gefährte bin.«

Mitch stieß ein sehr lautes und sehr hohes Geräusch aus.

»Aber du bist ein Mensch! Das ist so selten«, sagte er ehrfürchtig.

»Ich wusste, dass es so was gibt, aber nur theoretisch, weißt du? Es passiert nicht so oft, oder?«

»Nein, fast nie. Hast du ein Glück, Bitch. Süßer, wie ist er so?«

»Hetero. Deswegen habe ich nicht unbedingt das Gefühl, Glück zu haben.«

Mitch schnappte theatralisch nach Luft. »Bist du sicher?«

Leo hatte schnell festgestellt, dass Mitch überhaupt nie überreagierte. Es war einfach seine Art, mit dem Leben umzugehen. Irgendwie war Leo neidisch darauf. Alles, was Mitch fühlte, drückte er mit seinem gesamten Körper aus, ohne etwas zurückzuhalten oder zu unterdrücken. Leo stellte sich das sehr befreiend vor.

»Ja.«

»Was ist passiert? Erzähl mir alles. Lass kein einziges Detail aus.«

Mitch stopfte sich seinen Taco in den Mund, um zu zeigen, dass er genug geredet hatte. Vorerst.

»Ich bin in ihn reingerannt. Buchstäblich. Ich habe mich beeilt, zu einem Arbeitstermin zu kommen, und auf mein Handy geschaut, und er ist einfach – ich weiß nicht – mit mir zusammengestoßen. Es war nicht wirklich romantisch.«

»Du hast Romantik von einem Hetero erwartet? Einem Hetero-Werwolf

»Nein, ich habe die Ouvertüre aus Tschaikowskis Romeo und Julia erwartet«, sagte Leo trocken. »Rosenblüten, die vom Himmel fallen. Einen goldenen Lichtstrahl.«

»Ih, du weißt, ich liebe es, wenn du mir was Schmutziges über klassische Musik erzählst.« Mitch machte eine Fahr fort-Handbewegung, während er noch einmal abbiss.

»Er – ich kenne seinen Namen übrigens nicht – er blieb stehen und schaute mich an, als wäre ich etwas total Grauenerregendes. Also habe ich ihm meine Karte gegeben und bin zu meinem Termin gerannt.«

»Wie sieht er aus?«, fragte Mitch mit vollem Mund.

»Groß«, sagte Leo und spielte mit dem Rand seiner Taco-Schüssel. »Größer als ich. Er hat richtig gemeißelte Gesichtszüge. Sein Gesicht ist… dramatisch. Auf gute Art. Er sieht aus wie ein Schauspieler. Ein bisschen wie Ryan Reynolds mit Bart.«

Mitch starrte ihn an. Das machte Leo nervös genug, um weiterzureden.

»Na ja… Jetzt, da ich weiß, dass er ein Werwolf ist, kann ich es sehen, verstehst du?«

»Große Ohren? Fangzähne? Klauen und Knurren?«

Leo widerstand dem Drang, etwas nach ihm zu werfen. »Nein«, sagte er nachdrücklich. »Du bist der mit den spitzen Ohren.«

Mitch hasste es, wenn Leo seine Ohren erwähnte. Sie waren nicht übertrieben spitz – eigentlich waren sie sogar ganz süß –, aber Mitch reagierte empfindlich und Leo war sich nicht zu schade, Mitchs Schwächen gegen ihn zu verwenden.

Manchmal war es leicht, jemanden als Werwolf zu identifizieren. Es gab natürlich die üblichen Stereotypen: Stärke, Dominanz, die Form ihrer Pupillen – wenn man nah genug rankam, um sie sich anzusehen. Das meiste davon war jedoch Blödsinn. Wölfe lebten mittlerweile seit Jahrhunderten in der gemeinen Bevölkerung. Einige Leute hatten immer noch Vorurteile… aber Leo glaubte, das würde wahrscheinlich immer der Fall sein, sobald jemand als anders eingestuft wurde.

Es gab alle möglichen Theorien, warum Wölfe manchmal ihren Gefährten in einem Menschen fanden. Vom Erweitern des Genpools bis zur Vermutung, dass der Mensch irgendeinen Werwolfsvorfahren besaß. Es war jedoch keine richtige Wissenschaft und Leo hatte nie einen Werwolf mit einem Gefährten gekannt, deshalb hatte er nicht fragen können.

Er nahm einen Bissen von seinem Taco, obwohl er eigentlich gar nicht wollte, aber er war auch nicht sicher, wie er weiterreden sollte. Mitch ergriff die Gelegenheit.

»Er ist hetero und ein Werwolf und du bist sein menschlicher Gefährte. Das ist wie Jessica und William in Zeit der Sehnsucht

Leo warf den Kopf zurück und lachte, in diesem Moment dankbar für einen Freund, der eine ernste Situation in eine erträgliche verwandeln konnte.

»Der Handlungsstrang mit den beiden lief vor – wie viel? – fünfzehn Jahren?«

»Oh mein Gott. Ich war unheimlich in William verknallt.«

Leo grinste. »Natürlich warst du das.«

»Es war so romantisch, Leo. Sie war so schwach und zart und hübsch und er war dieser riesengroße Werwolf. Und sie hat sich entschlossen, der Gesellschaft ganz deutlich den Mittelfinger zu zeigen und ist mit ihm durchgebrannt, weil sie ihn so sehr geliebt hat. Egal, was ihre Eltern gesagt haben.«

»Es war eine unglaublich fragliche Handlung und nichts anderes. Und Jessica und William waren keine Gefährten. Sie hat ihn benutzt, um gegen ihre Eltern zu rebellieren. Was ekelhaft ist.«

»Du weißt, worauf ich hinauswill.«

»Ich weiß, dass ich nicht die Jessica in dieser Situation sein will. Obwohl ich ziemlich sicher bin, dass meine Eltern es in etwa so gut aufnehmen werden, wie ihre es getan haben.«

Für eine Sekunde sah Mitch gedankenverloren aus. Dann schüttelte er den Kopf. »Süßer«, sagte er und machte eine Pause, um seinen Margarita zu schlürfen. »Süßer, ich weiß nicht, was ich dir raten soll. Du hast nicht mal seine Nummer?«

»Ich hab ihn kaum reden gehört«, sagte Leo. »Er war zu sehr damit beschäftigt, mich wie ein Goldfisch anzustarren. Ich hatte wirklich keine Zeit zu bleiben und darauf zu warten, dass er noch ein bisschen mehr ausflippt.«

»Wie war es?« Mitchs Stimme hatte sich in ein atemloses Wispern verwandelt. Als wäre das alles eins der größten Geheimnisse der Welt. »Wusstest du es einfach?«

»Schätze schon. Ich habe ihn angesehen und es war als… hätte sich die Erdachse verschoben. Als würde man eine Brille aufsetzen und plötzlich sieht man alles klar, dabei wusste man gar nicht, dass man sie zum Lesen braucht.« Leo schüttelte den Kopf. »Ich bin ein Mensch; ich war darauf nicht vorbereitet. Ich kenne nicht mal seinen Namen.«

Sein Name war wichtig. So eine große Sache, dass Leo sich dazu zwingen musste, nicht darüber nachzudenken. Die Auswirkungen dieser ganzen Situation waren riesig; sie würde seine Eltern betreffen, seine Freunde, seinen Job.

Er hatte genug von der Welt gesehen, um zu wissen, dass es immer noch Vorurteile gegenüber Werwölfen gab, obwohl es nicht einmal mehr als höflich galt, solche Meinungen öffentlich kundzutun. Mit einem Werwolf als Mitbewohner zu leben, wäre sogar noch vor dreißig Jahren ein großes Tabu gewesen; jetzt musste Leo sich mit den Folgen auseinandersetzen, der Gefährte eines Werwolfs zu sein.

Leo wusste, dass Werwölfen ihre Gefährten beinahe heilig waren; es war eine der reinsten und intimsten Verbindungen, die sie eingehen konnten. Aber was das überhaupt alles beinhaltete? Was man von ihm erwarten würde? Leo hatte keine Ahnung.

Er war sich ziemlich sicher, dass er es vermasseln würde.

Mitch schaute zu ihm und musterte ihn bedeutungsschwer. »Glaubst du, er wird anrufen?«

Leo zuckte die Schultern. Denn war das nicht die Krux an der Sache? Was, wenn er nicht anrief?

 

***

 

Er rief nicht an. Er kam vorbei.

Leo fuhr auf seinen Privatparkplatz vor dem Krankenhaus – denn ja, sein Job hatte nicht viele Vorteile, aber sein eigener Parkplatz war einer davon – und der Kerl wartete an der Tür zum Personaleingang auf ihn. Der Personaleingang war nicht leicht zu finden, wenn man nicht wusste, wo man suchen musste, was vielleicht bedeutete, dass sein Wolf ein Arzt war. Oder jemand, der einen anderen Job im Krankenhaus hatte.

Obwohl Leo sich verzweifelt wünschte, sein Gesicht im Rückspiegel kurz abchecken zu können, bevor er ausstieg, tat er es nicht. Er hatte die ganze Nacht damit verbracht, das Phänomen der Mensch-Werwolf-Gefährten zu googeln. Es war, als wäre er in ein tiefes, dunkles Kaninchenloch gefallen. Ganz sicher stand ihm die Erschöpfung ins Gesicht geschrieben.

Wegen des Gesundheitsunterrichts an der Highschool war sich Leo vage bewusst gewesen, dass es möglich war, sich Wölfe aber in den meisten Fällen mit anderen Wölfen verpaarten, wenn sie es überhaupt taten. Es war kein Muss. Je mehr Leo darüber herausfand, desto eingeschüchterter war er von der Aussicht, in ihre Welt geworfen zu werden. Besonders, weil er ziemlich sicher wie eine Anomalie behandelt werden würde.

Er holte sich seinen Rucksack vom Beifahrersitz und schloss den Prius sorgfältig ab, bevor er zu ihm hinüberging.

»Hey«, sagte er leise. »Ich habe nicht damit gerechnet, dich hier zu sehen.«

Er sah aus, als wäre ihm kalt, fand Leo. Es war ein kalter Morgen, frisch und klar, und er trug nur Jeans und einen dunkelroten Kapuzenpullover. Er sah trotzdem gut aus. Leo glaubte, er müsste ein Idiot sein, um einen Mann, der so aussah, nicht attraktiv zu finden.

»Hey.«

Leo blieb einen halben Meter entfernt stehen, weil er ihm nicht auf die Pelle rücken wollte. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen, als hätte er nicht gut geschlafen.

Tja, Leo hatte auch nicht gerade wie ein Baby geschlafen.

»Also, hm, ich kenne deinen Namen nicht«, sagte Leo und entschied sich dafür, seine ausgetretenen Adidas-Schuhe zu mustern, statt der sehr widersprüchlichen Ausdrücke auf dem Gesicht seines Wolfs.

»Jackson. Jackson Lewis.«

»Freut mich, dich kennenzulernen, Jackson«, meinte Leo mit bewusst neutraler Stimme. »Ich bin Leo.«

Dann blickte er auf und in whiskeybraune Augen, die müde und gequält wirkten.

»Du bist mein Gefährte«, sagte – Gott sei Dank kannte Leo jetzt seinen Namen – Jackson mit rauer Stimme.

»Es scheint so… Ja.«

Seine Worte schienen nicht dazu beizutragen, dass Jackson sich besser fühlte. Wenn überhaupt, sah er krank aus.

»Hör mal«, sagte Leo, trat vor und drückte sanft Jacksons Arm. Er ignorierte den kleinen Nervenkitzel, den die Berührung in ihm verursachte. Damit konnte er sich später eingehend beschäftigen. »Ich kann mir vorstellen, dass es wahrscheinlich nicht das ist, was du erwartet hast. Das ist okay. Bevor wir irgendetwas entscheiden, möchte ich dich besser kennenlernen, wenn das in Ordnung für dich ist? Ich habe viele Fragen.« Er endete mit einem leisen Lachen.

Jackson rieb sich grob mit der Hand übers Gesicht, wobei er Leos Griff erfolgreich löste.

»Kann ich… kann ich ein paar Tage haben, um darüber nachzudenken? Ich werde dich anrufen, versprochen, ich brauche nur… Ich brauche etwas Zeit. Ich hab deine Karte.«

»Okay.« Leo ignorierte das Unbehagen, das sich jetzt in ihm ausbreitete, und versuchte gelassen auszusehen. Nicht bedrohlich. »Aber ruf bitte wirklich an.«

»Werde ich. Tut mir leid, dass ich dich hier bei der Arbeit so überfallen habe.«

»Das ist okay. Ich hab ein bisschen Zeit, bevor meine Schicht anfängt.«

Jackson nickte und trat zur Seite.

»Es tut mir leid, Leo.« Leo schaute ihn ausdruckslos an und Jackson schüttelte den Kopf. »Du verdienst was Besseres als das.«

Bevor Leo fragen konnte, was das heißen sollte, hatte Jackson auf dem Absatz kehrtgemacht und war davongeeilt.