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Vorschau

Band 60: Bluternte

1889: Die Weltausstellung in Paris lockt nicht nur Menschen aus aller Welt in die französische Hauptstadt, sondern auch Dämonen. Um seine Stellung zu festigen, hat auch Asmodi zu einer Schwarzen Weltausstellung aufgerufen – als eine Art Wettbewerb innerhalb der Schwarzen Familie, und dem Sieger winken besondere Privilegien. Einer, der sich berufen fühlt, den Sieg davonzutragen, ist Michael Zamis …

In der Gegenwart verbringt Coco mit ihrem Liebhaber entspannende Wochen an der Côte d’Azur. Nach Wien zieht es sie nicht mehr. Sie ahnt nicht, dass die Zeit des Friedens bald vorbei sein wird. Jemand hat einen dämonischen Kopfgeldjäger auf sie angesetzt: den berüchtigten Charles Axman und seine Rocker-Crew!

 

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Das Phantom von Notre Dame

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Band 59

 

Das Phantom von Notre Dame

 

von Simon Borner und Logan Dee

nach einem Exposé von Uwe Voehl

 

 

© Zaubermond Verlag 2019

© "Das Haus Zamis – Dämonenkiller"

by Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

 

Titelbild: Mark Freier

E-Book-Erstellung: Die eBook-Manufaktur

 

www.Zaubermond.de

 

Alle Rechte vorbehalten

 

 

Was bisher geschah:

 

Die junge Hexe Coco Zamis ist das weiße Schaf ihrer Familie. Die grausamen Rituale der Dämonen verabscheuend, versucht sie den Menschen, die in die Fänge der Schwarzen Familie geraten, zu helfen. Auf einem Sabbat soll Coco endlich zur echten Hexe geweiht werden. Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie der Dämonen, hält um Cocos Hand an. Doch sie lehnt ab. Asmodi kocht vor Wut – umso mehr, da Cocos Vater Michael Zamis ohnehin mehr oder minder unverhohlen Ansprüche auf den Thron der Schwarzen Familie erhebt.

Nach jahrelangen Scharmützeln scheint endlich wieder Ruhe einzukehren: Michael Zamis und seine Familie festigen ihre Stellung als stärkste Familie in Wien, und auch Asmodi findet sich mit den Gegebenheiten ab. Coco Zamis indes hat sich von ihrer Familie offiziell emanzipiert. Das geheimnisvolle »Café Zamis«, dessen wahrer Ursprung in der Vergangenheit begründet liegt und innerhalb dessen Mauern allein Cocos Magie wirkt, ist zu einem neutralen Ort innerhalb Wiens geworden. Menschen wie Dämonen treffen sich dort – und manchmal auch Kreaturen, die alles andere als erwünscht sind.

Michael Zamis, seine Frau Thekla und Coco reisen nach Rumänien. Dort, auf der Temeschburg, findet die Testamentseröffnung der Fürstin Bredica statt, einer Großtante Michaels. Hier trifft er seine ehemalige Geliebte Florentina wieder – und seine uneheliche Tochter Juna, die er bisher verschwiegen hat. Juna hat eine grausame Vergangenheit hinter sich – die sie auf der Temeschburg einzuholen droht.

Das in Aussicht gestellte Erbe der Fürstin erweist sich als Lockvogel, damit diese ihre Jugend wiedererlangen kann. Michael, Thekla und Coco Zamis sowie Juna und auch Skarabäus Toth entkommen der tödlichen Intrige nur knapp. Der Rückweg nach Wien führt durch den sagenumwobenen, dämonenverseuchten Hoia-Baciu-Wald. Dort werden sie von einem unsichtbaren Gegner attackiert. Jeder Einzelne muss fortan um sein Leben kämpfen: Coco Zamis gelangt in ein Dorf, das von der Außenwelt abgeschnitten scheint. Bei dem verzweifelten Versuch, daraus zu fliehen, wird sie von Schwärmen von Fliegen attackiert. Ihr Vater, Michael Zamis, hat unterdessen in demselben Dorf eine Unterredung mit einem Dämon namens Beelzebub, der über die Ansiedlung herrscht. Der Dämon versucht Michael dazu zu gewinnen, mit ihm gegen Asmodi vorzugehen, doch Michael lehnt ab …

Unterdessen wird klar, dass Skarabäus Toth, der Schiedsrichter der Schwarzen Familie, einmal mehr ein doppeltes Spiel betreibt: Er bereitet für Beelzebub dessen Herrschaft in Wien vor.

Die verbliebenen Zamis-Sprösslinge Adalmar, Lydia und vor allem Georg, der das Erbe seines für tot erklärten Vaters Michael anzutreten anstrebt, halten dagegen.

Georg hat jedoch keinen leichten Stand. Er wird von den Wiener Dämonen nicht akzeptiert. Da tauchen Coco und ihre Eltern unverhofft wieder auf. Michael Zamis nimmt das Zepter wieder in die Hand, und es gelingt der vereinten Familie, Baalthasar Zebub zu schlagen …

Die intriganten Spiele, auch innerhalb der Zamis-Sippe, gehen unvermindert weiter. Dabei erfährt Coco Zamis einen ganz besonderen Exorzismus: Ihre böse Seite gewinnt die Oberhand. Mit wessen Hilfe Michael Zamis das geschafft hat, bleibt erstmal sein Geheimnis.

Coco wird unterdessen aufgewiegelt, dass ihre Halbschwester Juna ihr das Café streitig machen wolle. Kurzerhand versetzt Coco sie mithilfe des Zwerges Ficzkó in die Vergangenheit – in die Dienste der berüchtigten Blutgräfin.

Doch Juna taucht in der Gegenwart wieder auf – als Puppe. Georg Zamis, der inzwischen seine Gefühle für Juna entdeckt hat, entführt sie kurzerhand und versteckt sich mit ihr im Haus der Callas. Coco findet es heraus und zwingt Ficzkó, Juna erneut auf magische Weise in die Vergangenheit zu entführen. Sie bringt Ficzkó einen Zauber bei, den dieser anwenden soll, sobald er Junas habhaft wird. Von Georg verfolgt, flüchtet Ficzkó in einen Schrank und versetzt sich und Juna in die Vergangenheit. In letzter Sekunde springt Georg hinzu. Alle drei werden von dem Sog erfasst und gelten seitdem als verschollen.

Doch etwas ging schief: Fortan ist ein Durchgang zu anderen – höllischen – Dimensionen entstanden. Ein neuer Dämon taucht so in Wien auf: Monsignore Tatkammer. Niemand weiß, woher er stammt, doch er sät Böses, wo immer er ist. Noch ist die Schwarze Familie nicht auf ihn aufmerksam geworden, sodass er ungehindert wirken kann.

Unterdessen wird der verschwundene Schiedsrichter der Schwarzen Familie, Skarabäus Toth, in Wien gesichtet. Michael Zamis hatte ihn, um ihn loszuwerden, in ein Chamäleon verwandelt. Offensichtlich aber hat Toth eine Möglichkeit gefunden, zumindest als Geistererscheinung auf seine verzweifelte Lage aufmerksam zu machen. Michael Zamis will ihn daher endgültig loswerden und beauftragt dafür Coco.

Sie macht sich widerwillig auf die Reise und lässt den Sarg mit Toth über dem Ätna abwerfen.

Auftrag erledigt, doch sie zieht es nicht sofort nach Wien zurück, denn dort warten weitere Probleme auf sie. Nicht zuletzt ein Dämon namens Youssef.

 

 

Erstes Buch: Das Phantom von Notre Dame

 

Das Phantom von Notre Dame

 

von Simon Borner

nach einem Exposé von Uwe Voehl

 

 

Kapitel 1

 

Der Abend war stürmisch und kalt. Ein scharfer Wind pfiff um die Ecken der alten Kathedrale, und der Regen prasselte gegen die gläsernen Fenster wie Hagel.

Estelle Dutroux schlug den Mantelkragen höher und vertiefte sich noch mehr ins Gebet. Hier im Inneren von Notre Dame konnte das Unwetter ihr zwar nichts anhaben, doch Estelle fühlte sich trotzdem so, als kröchen die Kälte und der Regen auch ihr sekündlich mehr in die Knochen. Am liebsten wäre sie zu Hause geblieben.

»Aber ich kann nicht anders«, murmelte sie, hob den Blick und schaute zu dem Kreuz über dem Altar. »Ich muss zu dir. Nur du kannst uns noch helfen.«

Der Heiland schwieg, doch Estelle spürte, dass er sie hörte. Seit Tagen schon lag Henri, ihr Mann seit mehr als vierzig Jahren, krank im Bett. Die Ärzte und sogar die Nachbarn warteten eigentlich nur noch darauf, dass er starb. Niemand, so sagten sie, könne dermaßen viel Blut aushusten und eine so ungesunde Gesichtsfarbe bekommen, ohne daran zu sterben. Doch Estelle Dutroux scherte sich nicht viel um die Meinung anderer. Sie hatte ihren Herrn. Wer brauchte da schon Medizin?

»Du warst immer bei mir«, sagte sie dem Mann dort vorn am Kreuz nun. »Sei es auch jetzt. Hilf uns. Mach meinen Henri wieder gesund.«

Kerzenschein flackerte und spiegelte sich auf dem Kreuz. Er warf Schatten an die dunklen Wände von Notre Dame und tauchte das Innere der großen Kirche in ein gelbliches Dämmerlicht – helle Inseln in einem Meer, das ansonsten nur Schwärze bot.

Außer Estelle war zu dieser späten Stunde keine Menschenseele mehr in der Kirche. Das Wetter hielt selbst die Verzweifeltsten davon ab, vor die Tür zu treten. Niemand wollte sich den Tod holen. Nur Estelle ließ sich von Wind, Regen und Dunkelheit nicht davon abhalten, ihren Heiland um Unterstützung zu bitten. Persönlich und aus nächster Nähe.

»Du bist mein Hirte«, sagte sie, sehnsuchtsvoll und leise wie ein Hauch. »Behüte mich. Behüte Henri.«

In diesem Moment hallte ein ohrenbetäubender Knall durch das leere Kircheninnere. Estelle zuckte zusammen und drehte sich erschrocken um. Der Knall war von der Tür gekommen, hinten am anderen Ende des Innenraums. Doch da war nichts.

Ein Ast, ahnte sie. Der Sturm hat bestimmt einen Ast von einem Baum gerissen und gegen das Holz der Tür geblasen.

Die Annahme ergab Sinn. Es standen Bäume vor dem Eingang der Kirche. Die Verwaltung hatte sie erst vor fünf Jahren dort pflanzen lassen, im Sommer 1883. Gut möglich, dass das Wetter dieser Nacht auch ihnen zu schaffen machte.

Dennoch zog ein eisiger Schauer über Estelles Rücken. Denn sie wusste, dass nicht nur das Wetter daran schuld war, dass die Menschen Notre Dame mieden.

Meine Nachbarn würden jetzt sagen, ich hätte das Phantom gehört. Die alte Pariserin schüttelte den Kopf. Was sind das bloß für abergläubische Narren.

Die Geschichten von dem Phantom von Notre Dame kursierten bereits seit Wochen durch das Viertel und vermutlich sogar durch den Rest der Stadt. Es hieß, der Teufel selbst habe die Kirche bezogen und treibe in ihrem Inneren nun sein unheiliges Unwesen. Madame Curdin von gegenüber schwor sogar Stein und Bein, den Satan mit eigenen Augen gesehen zu haben! Er sei klein gewesen, verhutzelt wie ein böser Gnom. Und in seinen hasserfüllten Augen habe das Feuer der ewigen Verdammnis gebrannt.

Das war natürlich Unfug. Estelle wusste es genau. Es gab keine dämonischen Gnome, erst recht nicht in der Kirche des Herrn.

Trotzdem: Sie fröstelte. Und das nicht allein wegen der Kälte. Nein, nicht einmal ansatzweise deswegen.

Wieder ein Knall, lauter als zuvor und … näher!

Dutroux stand auf. Sie hatte vor dem Altar gekniet, nun drehte sie sich um und spähte unsicher in die Dunkelheit jenseits der Inseln aus Kerzenlicht.

»Hallo?«, flüsterte sie. »I… Ist da jemand?«

Irgendetwas raschelte, oder bildete sie sich das ein? Flackerten da nur die Kerzen oder bewegte sich tatsächlich eine bizarre Gestalt durch die Schatten? Ein Wesen, klein wie Zwerg und seltsam missgebildet?

Das Phantom! Die alte Pariserin keuchte innerlich. Ihr Herz schlug schneller, und ihr Mund wurde ganz trocken. Es … Es ist wirklich hier!

»Unsinn«, flüsterte sie und tadelte sich selbst für ihre Leichtgläubigkeit. »Du hörst nur den Sturm vor den Mauern von Notre Dame. Nichts Böses kann über diese Schwelle kommen. Du bist beim Herrn, Estelle. Niemand kann dir hier etwas anhaben. Das weißt du genau.«

Einen Herzschlag später preschte die Gestalt vor. Sie war tatsächlich so klein wie ein Kind, hatte aber immens breite Schultern und muskulöse Oberarme. Ein gewaltiger Buckel verunstaltete ihren Rücken, und die bizarre Kleidung, die diese Kreatur trug, schien zu einem Wanderzirkus zu gehören … oder zum Kostümfundus einer Irrenanstalt.

Estelle kam nicht dazu, all diese Gedanken zu beenden. Ehrlich gesagt, kam sie kaum dazu, sie zu formulieren. Denn binnen eines einzigen Sekundenbruchteils war die Kreatur aus den Schatten direkt neben ihr am Altar – und reckte den mitgebrachten Dolch in die Höhe. Die Klinge der Waffe war scharf und lang.

Ein lauter Schrei hallte durch das Innere von Notre Dame de Paris. Und nicht Henri war es, der in dieser von allen guten Geistern verlassenen Nacht starb. Seine gottesfürchtige Frau kam ihm um wenige Stunden zuvor.

 

Ficzkó stöhnte, als er sich aufrichtete. Blut klebte an seiner Kleidung, und Blut troff von seinen kräftigen Fingern. Fast schon triumphal hob er die Hände in die Höhe und präsentierte dem Mann am Kreuz seinen Lohn.

Das Herz der alten Vettel war noch warm. Ficzkó hatte einige Mühe gehabt, es aus ihrem Brustkorb zu reißen. Anfangs hatte die Alte sich noch nach Kräften gewehrt, doch zwei gezielte Schnitte durch die Kehle hatten ihrem Widerstand ein schnelles Ende bereitet. Danach waren nur noch die Rippenknochen im Weg gewesen. Und mit denen kannte Ficzkó sich inzwischen bestens aus. Sein Werk kostete Mühe, aber es war ganz und gar nicht unmöglich.

Wieder eins, dachte der Zwerg zufrieden. Schweiß prangte auf seiner Stirn, und er spürte das Schlagen des eigenen Herzens deutlicher als seit Tagen. Er spürte endlich wieder, wie sehr er lebte. Siehst du, du ach so heiliger Mann? Ich habe wieder eins. Direkt vor deinen Augen habe ich es mir genommen, hier in deinem eigenen Haus. Denn du kannst mir nichts. Du bist so unnütz wie die Gegenwehr dieser alten Vettel. Du bist Geschichte … und ich bin jetzt hier.

Eine Turmuhr schlug zur Mitternacht. Bis zum Sonnenaufgang blieben noch gute fünf Stunden. Mehr als genug Zeit also, um die Leiche zu entsorgen – schließlich waren es bis zur Seine nur eine Handvoll Schritte. Ficzkó mochte kein Riese sein, aber stark genug, um den Körper einer Toten ans Flussufer zu zerren, war er allemal. Und bei diesem Wetter würde ihn auch nichts und niemand dabei beobachten.

Er packte seine Trophäe sicher beiseite. Dann griff er nach den Fußgelenken der Alten und begann sein Werk. Nach wenigen Schritten hielt er inne und sah hinter sich.

Ob er das Blut vom Altarboden wischen sollte? Spur war Spur, oder etwa nicht? Selbst wenn die Leiche fort war und nie gefunden werden würde – das Blut dort auf dem Boden sprach eine deutliche Sprache.

Ficzkó lächelte grimmig. »Sollen sie es ruhig finden«, murmelte er, und seine böse Stimme wehte wie ein dämonischer Odem durch das menschenleere Innere der alten Kathedrale. »Sie denken ja sowieso schon, ein böses Phantom sei in ihre Kirche eingezogen. Da schadet es nicht, ihren Glauben zu unterstützen.«

Er lachte leise, als er erneut nach den Fußgelenken seines Opfers griff. Und die Seine verschluckte die Alte so dankbar wie der unendliche Ozean.

 

 

Kapitel 2

 

Zuvor

Georg Zamis erwachte keuchend. Ruckartig richtete er sich auf, schnappte nach Luft. Seine Muskeln zuckten wie nach langer Anstrengung, und sein Schädel dröhnte wie nie zuvor.

»Wo … Wo bin ich?«

Das Sprechen fiel ihm schwer. Seine Stimme klang, als würde sie über Schmirgelpapier gezogen und gleichzeitig mit einer Käsereibe traktiert. Auch hatte er Schwierigkeiten, Worte zu finden.

Nein, begriff er dann. Nicht nur Worte.

Eisiger Schrecken ergriff ihn, als ihm klar wurde, dass er einen Blackout hatte. Da klafften Lücken in seiner Erinnerung! Wo befand er sich? Was war geschehen?

Georg hatte auf kaltem Kopfsteinpflaster gelegen. Nun erhob er sich endgültig von den nackten Steinen. Seine Knie wackelten, als er aufstand und sich fragend umsah. Sein Blick fiel auf Häuserfassaden, keine höher als drei Stockwerke. Die gepflasterte Straße war schmutzig und ziemlich abschüssig. Die Luft war klar und abendlich kühl, roch aber nach einem satten Sommer. Von irgendwo her erklang leise Musik.

»Wo bin ich?«, murmelte er erneut.

Vorsichtig machte er ein paar Schritte, sah sich abermals um. Niemand begegnete ihm. Etwas weiter hinter sich konnte er die steinernen Stufen einer langen Treppe erkennen. Das gelblich-trübe Licht einer altmodischen Straßenlaterne erhellte sie. Und als er den Blick hob, um den Stufen nach oben zu folgen, stutzte er.

Da stand ein Gebäude am oberen Ende der Treppe. Georg sah nur schattenhafte Umrisse vor einem sternenklaren Nachthimmel, aber er erkannte es trotzdem. Die runden Kuppeln, die spitzen Türmchen …

»Montmartre?«, wunderte er sich. »Was mache ich denn bei Montmartre?«

Wieder suchte er in seinen Erinnerungen nach Erklärungen, die nicht da waren. Stattdessen fand er bloß weitere Fragen. Zum Beispiel: Warum kam ihm diese Nacht so eigenartig still vor? Wenn er in Paris war – wie und warum auch immer –, wo war dann der allgegenwärtige Autolärm? Warum stank es hier nicht nach Abgasen? Und warum verunstaltete nicht ein einziges Flugzeug diesen stattlichen Sternenhimmel mit seiner Präsenz?

Er wusste es nicht. In diesem eigenartigen Augenblick wusste Georg Zamis gar nichts mehr.

Deshalb zog er los, hilf- und ratlos wie ein kleines Kind. Die Musik spielte nach wie vor – flotter, melodischer Geigenklang wie von einem Zigeuner –, und Georg ging ihr entgegen.

Die melodische Spur führte die Stufen hinauf. Auf halbem Weg gelangte er an einen kleinen Platz – weiße Steinklötze, grünes Gras –, auf dem ein Mensch stand.

Der Mann war Anfang zwanzig und hatte rötliches Haar. Seine Kleidung sah aus wie aus einem Theaterfundus und wirkte zerschlissen. Die schmalen Wangen und die knochigen Arme ließen darauf schließen, dass auch seine Vorratskammer nicht gerade im Überfluss lebte. Der Mann hielt eine hölzerne Geige und spielte sie mit geschlossenen Augen und einer Innbrunst, als hinge sein Leben von den nächtlichen Tönen ab.

Als er Georg bemerkte, hielt er inne und ließ das Instrument sinken.

»Nein, bitte«, sagte Georg. »Lassen Sie sich nicht stören. Ich wollte nur …«

Der Mann lächelte wissend. »Du wolltest nur die Musik der Nacht genießen. Ja, das kenne ich. Mir geht es da ganz genauso.« Ohne Vorwarnung streckte er die Hand aus. »Marius. Marius Jarvert. Freut mich, dich kennenzulernen.«

»G… Georg«, erwiderte er völlig überrumpelt und war gerade noch geistesgegenwärtig genug, die französische Aussprache gleich hintendranzuhängen. »Georges.«

»Also dann, Georg Georges«, lachte sein Gegenüber. »Willkommen bei meinem Konzert. Ich spiele jeden Abend hier oben ein paar Stücke. Für die Stadt. Für die Nacht. Und, na klar, auch für mich. Danach ziehe ich weiter. Und du? Was führt dich zu dieser späten Stunde noch auf die Straßen von Montmartre?«

Georg wusste nicht, was er antworten sollte. Die Situation war zu eigenartig, zu fremd. Irgendwie wurde er diese elende Orientierungslosigkeit nicht los. Schnell wechselte er das Thema. »Du ziehst weiter? Wohin denn?«

Jarvert lächelte. »Ein Mann, der Anschluss sucht. Das kann ich gut verstehen.« Er klemmte sich die Geige unter den Arm. »Und ich fühle da mit dir, nein, wirklich. Auch ich könnte langsam einen Wein vertragen. Was sagst du, mein Freund? Lassen wir den Konzertsaal Konzertsaal sein und gehen zum gemütlichen Teil der Nacht über? Montmartres Gaststätten erwarten uns.«

Gaststätten? Zamis zögerte nicht lange. Wo Gaststätten waren, waren auch weitere Menschen. Und er brauchte dringend mehr Informationen, um das Chaos hinter seiner Stirn zu ordnen. »Das fände ich schön.«

Jarvert legte ihm den Arm um die Schultern, als wären sie alte Freunde. Seite an Seite gingen sie die Treppe hinunter und näherten sich den Straßen des Pariser Viertels, die so eigenartig still und leer schienen.

Nach wenigen Minuten erreichten sie das erste Lokal. Warmes Licht fiel durch die Fenster, die Butzenscheiben hatten, und die Luft roch nach Tabak und Schweiß. Georg trat über die Schwelle. Der Schankraum war klein, hölzerne Tische vor einem hölzernen Tresen. Hinter der Theke stand ein Schrank von einem Kerl und schenkte Gläser voll. Überall sonst standen und saßen fröhliche Zecher. Ein großes Hallo brandete auf, als Jarvert eintrat, und gleich mehrere Männer und Frauen kamen herüber, um den Geiger zu begrüßen. Auch Georg wurde sofort in ihre Gruppe aufgenommen – ohne Fragen, ohne Skepsis.

Schweigend verfolgte er das Geschehen. Die Bekannten seines Begleiters wirkten ähnlich ärmlich wie Jarvert selbst. Doch ihr mageres Portemonnaie schien sie kein bisschen zu stören. Im Gegenteil: Sie genossen ihr Leben – und sie genossen den Absinth, der in dieser schummrigen Spelunke so selbstverständlich floss wie Regenwasser.

»Marius«, grüßte eine blonde Frau von vielleicht fünfundzwanzig Jahren. Sie trug weite, abgewetzte Kleidung. Farbflecken prangten an ihren Ärmeln. »Wen bringst du uns heute Nacht? Frischfleisch für die Szene?«

Jarvert klopfte Georg auf die Schulter. »Das ist Georg Georges, ein guter alter Freund von mir. Er wird uns heute ein wenig Gesellschaft leisten.«

»Aber nur, wenn er trinkt!«, rief jemand an einem der vollbesetzten Tische. Der Mann stand auf und drückte Georg ein Glas in die Hand. »Na los. Nur keine Scheu. Das ist Gottes Wasser, Georges. Und du willst den Herrn, deinen Gott, doch wohl nicht beleidigen, indem du es verschmähst.«

»N… Nein?«, antwortete Zamis, und es klang wie eine Frage. Doch er leerte das Glas in einem Zug, und die Menge quittierte es mit anerkennendem Jubel.

»Du und deine blumige Sprache, Gaston«, sagte Jarvert. »Gottes Wasser? Ernsthaft?«

Der Angesprochene zuckte mit den Schultern. »Was kann ich dafür, wenn die Muse mir ein Talent für Worte schenkt? Soll ich es ablehnen?«

»Nein, Gaston«, sagte die Frau mit den Farbklecksen auf der Kleidung. »Du sollst weiterschreiben. Schreib deine Stücke. Die Welt braucht sie und will sie auf der großen Bühne sehen.«

»Und ich will dein nächstes Gemälde sehen«, erwiderte er und küsste ihre Hand.

Künstler! Georg begriff allmählich. Montmartre galt als ausgesprochenes Künstlerviertel, zumindest historisch betrachtet. Diese jungen Menschen mussten allesamt Künstler sein, das erklärte ihre offene Art und ihre liebenswerte Exzentrik. Aber weshalb sahen sie – und die gesamte Umgebung – aus wie aus einem Historienschinken gefallen?

»Kann … Kann mir einer von euch vielleicht sagen, welchen Tag wir heute haben?«, fragte er zaghaft. »Ich fürchte, es ist mir entfallen.«

Jarvert lachte und griff nach einer Flasche Wein, die er genüsslich an den Mund setzte. »Heute ist der Tag, um das Leben in vollen Zügen zu genießen, mein Freund«, antwortete er dann. »Genau wie an jedem anderen Tag.«

»Ja, aber welches Datum schreiben wir?«

Gaston sah ihn amüsiert an. »Na, den sechsten Juli. Oder ist Mitternacht schon durch? Dann wäre es der siebte.«

»Es ist der siebte«, wusste die Frau. Ihren Namen kannte er noch immer nicht. Aber sie war schön, auf eine ganz eigene Art und Weise. »Der siebte Juli des guten alten Jahres 1888, und wir sind noch immer viel zu nüchtern.« Sie drehte sich um und sah zu dem Schrank hinter dem Tresen. »He, Alexandre! Noch eine Runde für meine Freunde, ja? Her mit den vollen Flaschen.«

Alexandre brummte ungehalten. »Und womit willst du die bezahlen, Emmeline?«

»Mit meiner Liebe«, erwiderte sie, tänzelte zu ihm herüber und strich ihm lächelnd über das teigige Kinn. »Mit allem, was die Welt von mir braucht.«

 

1888. Georg Zamis traute seinen Ohren kaum. Schweigend saß er da, in einer Nische des inzwischen schon dritten Lokals, das er mit der Gruppe von Künstlern besuchte, und kam einfach nicht über diese Information hinweg. Er befand sich im Jahr 1888.

Wie konnte das sein? Und wie konnte er das ändern?

Abermals grübelte er, suchte nach Antworten in den Lücken seiner Erinnerung. Und mit einem Mal sah er ein Bild!

Die Puppe erschien vor seinem geistigen Auge, als wäre sie immer schon da gewesen. Mehr noch: Er wusste auch ihren Namen. Er wusste, wer sie wirklich war!

»Juna!«, rief er.

Sofort verstummte das Gespräch an seinem Tisch.

»Wie bitte?«, fragte Gaston grinsend.

Auch Emmeline konnte sich das Lachen nicht verkneifen. »Erst schweigt er eine Ewigkeit, dann redet er Unsinn? Ehrlich, Marius – ich mag deinen neuen Freund. Der ist lustig.«

»Nein, ihr versteht nicht …« Georg winkte ab. Hektik stieg in ihm auf. Er hatte endlich eine Spur! »Ich … Ich muss Juna finden, sofort! Sie … Habt ihr sie gesehen? Ist sie ebenfalls hier gelandet? Hier in Paris?«

»Juna?« Gaston rieb sich das Ziegenbärtchen. »Wer soll das sein? Ist sie hübsch? Ist sie ledig?«

»Reiß dich zusammen, du Charmeur«, lachte Jarvert. »Nicht jeder Rock wartet darauf, dass du ihn besuchst.«

»Bist du dir sicher?«, erwiderte der Autor. Er klang, als sähe er das entschieden anders. »Nicht jeder Rock kennt mich schon. Das ist alles.«

»Kennst du sie?«, wandte sich Georg an Gaston. »Juna. Sie …« Er stutzte. Erneut purzelten Erinnerungsfetzen auf ihn herein. Er hatte Mühe, sie zu sortieren. »Sie ist eine Puppe und …«

»Ein Püppchen?« Emmeline schüttelte den Kopf. »Klingt exakt nach deinem Beuteschema, Gaston.«

Schnell begriff Georg, das seine Begleiter nie von Juna gehört hatten. War sie überhaupt in der Stadt – hier im Jahr 1888, genau wie er?

Ich muss sie finden, wusste er. Diese Aufgabe war es, an die er sich mit aller Macht klammerte. Ich muss es einfach tun.

Wenn er Juna fand, würde sich der Rest vielleicht auch finden. Juna brauchte seine Hilfe.

Doch zunächst standen weitere Spelunken auf dem Plan dieser Nacht. Mehr oder weniger wehrlos ließ sich Georg von Jarverts Freunden mitziehen. Er trieb durch die Nacht in Montmartre wie ein Blatt durch den Wind und verweilte nie für lange Zeit. Der Alkohol floss in Strömen, und vor allem der Absinth mit seinen speziellen Folgeschäden hatte es seinen Begleitern angetan. Es schien das angesagteste Getränk unter denjenigen zu sein, die sich als waschechte Künstler verstanden.

Doch nicht nur die Getränke, sondern auch die Umgebung wurde von Mal zu Mal bemerkenswerter. Hatten sie anfangs noch recht normale, bodenständige Kaschemmen aufgesucht, so zog es die Gruppe zu fortgeschrittener Stunde vermehrt in ungewöhnliche Lokale – in Bars, die in Hinterhöfen oder Kellern lagen, fernab der Straßen und Wohnungen. Bars, wie sie auch von anderen Kreaturen der Nacht frequentiert wurden.

Georg witterte den Dämon schon, bevor er ihn sah. Das Wesen mit der blassen Haut und den kristallblauen Augen stand in einer Ecke der sechsten Kaschemme, die er und Jarverts Freunde besuchten. Und er bemerkte Georg genauso wie Georg ihn.

»Willst du diese Kinder nicht sich selbst überlassen?«, raunte der Blasse. Er war zu Georg getreten, einmal quer durch den dämmerdunklen Schankraum. Und er sprach so leise, dass nur er ihn hörte. »Das ist doch kein würdiger Umgang für einen wie dich. Du bist Besseres gewöhnt.«

Georg sah ihn an. »Und du kennst Besseres?«

Der Mann nickte. »Claude Bracquaval, der Name. Und genau wie du, habe ich mich an der Gesellschaft hier sattgesehen. Was meinst du, Unbekannter? Gehen wir in eine andere Bar? Dorthin, wo wir auf Leute unseres eigenen Schlags treffen – und nicht bloß auf Schlachtvieh wie dieses?«

Er war ein Vampir. Das merkte man nicht nur an der überheblichen Art, mit der er Jarvert und die anderen abkanzelte, ohne sie je gesprochen zu haben. Für Bracquaval waren diese Montmartre-Künstler nicht mehr wert als das Blut, das in ihren Adern floss.

Doch als Vampir hatte er vielleicht mehr Ahnung, wo Juna sein konnte, als Emmeline, Gaston und Co. je haben würden. Georg überlegte nicht lange. »Von mir aus. Geh voran, ich folge dir.«

Der Vampir lächelte wissend. Dann drehte er sich um und verließ das Lokal. Georg tat es ihm gleich – er tauchte einfach in der Menge der trunkenen Nachtschwärmer unter. Nicht einmal Jarvert bemerkte es, als er kommentarlos ging.

 

Bracquaval führte seinen Begleiter nicht weit. Die nächste Bar lag nur wenige Straßen von der vorherigen entfernt. Inhaltlich trennten sie aber Welten!

Das »En Enfer« wurde ausschließlich von Dämonen besucht. Georg kam sich schon beim Betreten vor, als hätte er seinen Stamm gefunden. Das Gefühl war beruhigend und erschreckend zugleich. Das »En Enfer« hatte einen großen Schankraum voller Tische und lag in kunstvoll arrangiertem Halbdunkel. Die Gäste blieben in den Schatten, wo sie nach Herzenslust zechen und verzehren konnten, was und wen sie wollten. Zeitgleich fand auf der kleinen Bühne, nach der alle Tische ausgerichtet waren, eine Darbietung statt, bei der Georg beinahe der Absinth wieder hochkam.

»Was ist das für ein Ort?«, fragte er den Vampir, als sie sich an einen Tisch rechts von der Bühne setzten. »Was passiert hier?«

»Warte ab«, sagte Bracquaval schlicht, und seine Mundwinkel zuckten amüsiert.

Auf der Bühne hing eine Frau. Sie war jünger als Emmeline und nackt. Ihre Hände waren ihr über den Kopf gefesselt, ihr Blick war trüb und benommen. Drei Vampire, allesamt männlich und allesamt ebenfalls nackt, labten sich an ihrem Blut, während die Benommene gleichzeitig willenlos und hilflos vor sich hin stöhnte.

Niemand nahm Anstoß an der Darbietung. Ganz im Gegenteil. Die Gäste des »En Enfer« verfolgten sie halb mit Desinteresse und halb mit fast schon ins Erregende grenzender Anerkennung.

Als Nächstes trat eine Gruppe in schwarzen Kutten auf. Die Kultisten zeichneten zeremoniell ein Pentagramm auf den Bühnenboden. Dazu benutzten sie das Blut, das die Vampire von der gefesselten Frau übrig gelassen hatten. Gleichzeitig hingen Angestellte des Etablissements ein Kreuz, wie es Altarräume zieren mochte, über der Bühne auf – allerdings auf dem Kopf.

Der reinste Schwarze Sabbat, dachte Georg. Gelangweilt verfolgte er das Geschehen. Mehrfach war er versucht, einfach aufzustehen und zu gehen. Aber irgendetwas sagte ihm, dass er Juna dann nie und nimmer finden würde. Paris war groß, und die seltsame Zeit, in die es ihn verschlagen hatte, behielt ihre Geheimnisse für sich. Noch immer hatte Georg Lücken in seiner Erinnerung, die sich einfach nicht schließen wollten.

Als das Pentagramm fertig war, kehrten die Kuttenträger zurück. Sie trugen eine weitere Person in ihrer Mitte, abermals eine Frau von vielleicht zwanzig Lenzen. Sie war nicht benommen, sondern gefesselt. Und als die Kuttenträger begannen, ihr die Kleidung vom Leib zu reißen, schrie sie vor Entsetzen.

Georg hatte genug. Das Spektakel ödete ihn allmählich an. Er sah zu Bracquaval, der das Geschehen anerkennend verfolgte, und wollte schon aufstehen, als sich plötzlich eine Hand auf seine Schulter legte.

»Aber, aber«, raunte eine verführerisch sanfte Stimme. »Wo wollen wir denn hin? Die Nacht fängt doch eben erst an.«

Sie war schön wie die Sünde. Ihre Hand war wie ein elektrisches Kribbeln auf seiner Haut, und ihre Stimme schmiegte sich in deine Gehörwindungen wie warmer, süßer Honig. Ihr Name …

»Francoise«, hauchte Georg Zamis. Er hatte diese Frau nie zuvor gesehen, und dennoch wusste er ihren Namen sofort. Das war Francoise.

Sie nickte anerkennend. »Einen guten Fang hast du da gemacht, Claude. Tut genau, was er soll.«

»Ich dachte mir doch, dass er dir gefällt.« Bracquaval winkte desinteressiert ab, ohne von der Bühne wegzusehen. »Nimm ihn mit, wenn du magst. Mich langweilt er jetzt schon.«

Francoise schenkte Georg einen langen, schweigenden Blick, in dem mehr Versprechungen lagen als in tausend dämonischen Folianten. »Willst du das denn, Unbekannter? Willst du mit … zu mir?«

Zamis hegte keinerlei Interesse daran, mit einer Dämonin zu gehen, die ihm Dinge in den Verstand legte, ohne dass er sich dagegen wehren konnte. Dennoch … oder gerade deswegen … war er nun unfähig, sie abzuweisen. Im Gegenteil: Die Schöne hatte die Frage kaum ausgesprochen, da versteifte sich sein kleiner Georg schon zu einer Erektion, wie er sie seit Monaten nicht mehr gespürt hatte. Geilheit wallte in ihm auf, unaufhaltsam wie eine Flut. Und die Lust begrub jeglichen Widerstand spurlos unter sich.

»Ja«, antwortete er – ein gieriges Grunzen, dem kaum noch etwas Menschliches anhaftete. »Und ob ich das will.«

Gleichzeitig rebellierte sein Geist. Irgendwo in den Tiefen seines Verstandes – dort, wo die mentalen Finger der Schönen nicht hinreichten – wehrte er sich gegen die Manipulation. Doch die Tiefen waren weit und tief. Nichts drang aus ihnen heraus.

Georg stand auf und ging der Schönen einfach hinterher, raus aus dem unheimlichen Nachtlokal und hinauf in ein weiches, warmes Bett.

 

Sie schliefen häufig miteinander. Manchmal kam es Georg Zamis sogar vor, als verbrächten sie ihre Tage und Wochen mit wenig anderem. Nicht dass er sich darüber beschwerte – Francoise war eine unersättliche Liebhaberin, deren Reizen er sich nur zu gern hingab. Ehrlich gesagt, war er sogar verblüfft, zu welchen Höchstleistungen sie seine Libido wieder und wieder inspirierte.

Zeit verging. Von der Welt außerhalb ihrer Kammer nahm Zamis kaum noch etwas wahr. Jarvert, Emmeline und die anderen waren ihm genauso egal geworden wie sein eigenes Leben in der Zukunft. Egal wie die Aufgabe, die er sich selbst gestellt hatte. Nur hin und wieder brachen die alten Ziele noch aus ihm heraus. Dann stand er da, sah plötzlich Juna vor dem geistigen Auge und schämte sich dafür, sie vergessen zu haben. Wenige Augenblicke später war Francoise bei ihm, jedes einzelne Mal, und ließ ihn seine Scham und seine Schuld vergessen.

Er konnte sich nicht um Juna kümmern. Nicht jetzt. Nicht hier. Er wollte es auch gar nicht mehr. Dafür war er schlicht zu glücklich … und zu müde.

»Was machst du nur mit mir?«, murmelte er zufrieden, als er einmal mehr in ihrem Bett erwachte. »Ich bin kein schwacher Mann, Francoise. Aber der Sex mit dir … Danach schlafe ich immer wieder ein.«

Die nackte Schöne an seiner Seite lachte leise. »Danach? Oder eher währenddessen? Ich muss schon sagen, Georges: Du weißt, wie man eine Frau spüren lässt, dass man sie begehrt.« Dann imitierte sie Schnarchgeräusche.

Georg errötete. Hatte er wirklich mitten im Akt die Augen geschlossen und war eingeschlafen? Es klang unglaublich – und unhöflich –, aber er glaubte es sofort. »Du bist … anstrengend«, gestand er seiner Partnerin.