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Dorian Hunter Band 98: Alastors Siegeszug

Cocos Versuch, Hunter aus den dämonischen Klauen Alastors zu befreien, ist fehlgeschlagen, aber der Dämonenkiller hat nun endlich das volle Ausmaß seiner Lage erkannt und ist bereit zu kämpfen. Während Alastor einen neuen Plan ausheckt, wartet Dorian Hunter auf den richtigen Moment, um zuzuschlagen. In der Vergangenheit verschlägt es Hugo Bassarak derweil auf der Suche nach seinem unwillkommenen Dämonensprössling nach Südamerika: auf die Île du Diable!

 

 

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www.Zaubermond.de

 

Alastors Erben

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Band 97

 

Alastors Erben

 

von Catherine Parker und Simon Borner

nach einem Exposé von Susanne Wilhelm

 

 

© Zaubermond Verlag 2019

© "Dorian Hunter – Dämonenkiller"

by Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

 

 

Titelbild: Mark Freier

E-Book-Erstellung: Die eBook-Manufaktur

 

www.Zaubermond.de

 

Alle Rechte vorbehalten

 

 

Was bisher geschah

 

Der ehemalige Reporter Dorian Hunter hat sein Leben dem Kampf gegen die Schwarze Familie der Dämonen verschrieben, seit seine Frau Lilian durch eine Begegnung mit ihnen den Verstand verlor. Seine Gegner leben als ehrbare Bürger über den gesamten Erdball verteilt. Nur vereinzelt gelingt es Dorian, ihnen die Maske herunterzureißen.

Bald kommt Hunter seiner eigentlichen Bestimmung auf die Spur: In einem früheren Leben schloss er als französischer Baron Nicolas de Conde einen Pakt mit dem Bösen, der ihm die Unsterblichkeit sicherte. Der Pakt galt, und als de Conde selbst der Ketzerei angeklagt und verbrannt wurde, wanderte seine Seele in den nächsten Körper. Im Jahr 1713 wurde er als Ferdinand Dunkel in Wien Zeuge, wie Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie, von einem Nachfolger verdrängt wurde, der sich fortan Asmodi II. nannte. Ihn kann Dorian schließlich töten.

Nach vielen Irrungen nimmt Lucinda Kranich, die Schiedsrichterin der Schwarzen Familie, die Rolle des Asmodi an. Niemand weiß, dass sie in Wirklichkeit hinter dem wiedererstandenen Fürsten steckt. Und letztendlich wird ihre Maskerade Wirklichkeit. Dass Lucinda sich einen Teil Asmodis einverleibt hat, um seine Macht zu erlangen, wird ihr zum Verhängnis. Der in ihr schlummernde Asmodi übernimmt die Kontrolle über ihren Körper und ersteht so tatsächlich wieder auf.

Den Posten des Schiedsrichters nimmt die babylonische Vampirin Salamanda Setis an, die noch ein sehr persönliches Hühnchen mit Dorian zu rupfen hat. Gleichzeitig gelingt es Dorian mithilfe seiner Tochter Irene, ganz Großbritannien von Dämonen zu befreien. Allerdings sind Salamanda und Asmodi bereits dabei, einen Gegenschlag zu planen. Um ihn zu verhindern und Salamanda als Schiedsrichterin zu stürzen, unterstützt Dorian seinen alten Mal-Freund-mal-Feind Olivaro als Schiedsrichter-Gegenkandidaten. Die endgültige Entscheidung über das Schiedsrichteramt soll bei einem Wettstreit entschieden werden. Dieser endet mit Salamandas Tod, aber auch damit, dass der Eidesstab Dorian zum neuen Schiedsrichter auserwählt.

 

 

Erstes Buch: Rendezvous Diabolique

 

Rendezvous Diabolique

 

von Catherine Parker

nach einem Exposé von Susanne Wilhelm

 

 

Kapitel 1

 

Wien, Hietzing

Unruhig blickte Coco über die Schulter.

Seit Dorian so unerwartet mit dem Eidesstab auf sie losgegangen war, kaum dass sie ihn aus dem magisch versiegelten Höhlenlabyrinth von Lascaux befreit hatte, ließ jedes kleinste Geräusch in ihrem Rücken sie herumfahren.

Doch es war nur ein harmloser Nachtvogel, den sie aufgescheucht hatte. Ansonsten lag die Ratmannsdorfgasse still und verlassen in der Dunkelheit.

Außer ihr war niemand hier.

Coco zögerte dennoch weiterzugehen. War es richtig, was sie vorhatte?

In all der Zeit, die sie als Schiedsrichterin der Schwarzen Familie in Wien verbracht hatte, hatte sie es stets vermieden, nach Hietzing zurückzukehren. An den Ort, wo ihre Familie einst gelebt hatte.

Das Eckgrundstück, auf dem das stolze Anwesen der Zamis gestanden hatte, war komplett mit Unkraut überwuchert. Sie hatte sich nie darum gekümmert. Warum auch?

Einige düstere Mauerreste zeugten von dem gewaltigen Brand, den Zakum damals hier entfacht hatte. Fast glaubte Coco, hauchfeine Reste des erstickenden Qualms noch wahrzunehmen. So, als besäße dieser Ort eine Erinnerung an das, was geschehen war.

Aber das war natürlich Unsinn.

Die Anwohner flüsterten, das Grundstück mit der Nummer 218 sei verflucht. Sämtliche Nachbarn machten einen großen Bogen darum. Trotz der boomenden Immobilienpreise schien niemand daran Interesse zu haben.

Coco stieß das rostige Tor auf.

Umso besser, dachte sie. Vielleicht bestand also noch die geringe Chance, dass sie hier fand, was sie suchte. Vielleicht war damals nicht alles zu Asche verbrannt.

Die magische Sicherung des Tores war noch intakt und flackerte, als sie es sorgfältig wieder schloss. Ihr nächtlicher Besuch sollte möglichst keine Aufmerksamkeit erregen. Was sie hier tat, ging keinen etwas an.

Auch vom Team hatte sie niemanden eingeweiht.

Die anderen waren eh damit beschäftigt, die Geschehnisse in Frankreich zu verarbeiten. Was dort passiert war, hatte das ganze Team erschüttert.

Dorians jäher Gewaltausbruch in Lascaux hatte sogar Fred Archer so mitgenommen, dass er gegen seine Gewohnheit keine Fragen stellte, als Coco aufbrach, sondern sich mit der hastig gemurmelten Auskunft »Ich will etwas recherchieren …« zufriedengab.

Ob Archer dem Dämonenkiller je verzieh?

Coco nagte zweifelnd an ihrer Unterlippe. Dorian war stets ein unberechenbarer Charakter gewesen, aber auch sie hätte ihm nie zugetraut, dass er dem ehemaligen Privatdetektiv grundlos die Faust ins Gesicht donnern würde. Archer war schließlich kein provokantes Großmaul wie Morales, mit dem Dorian öfter im Clinch lag.

Das alles bewies klar, dass mit Dorian etwas nicht stimmte.

Und Coco war fest entschlossen, herauszufinden, was es war.

Olivaros Schilderung der Ereignisse in der Höhle ließ eindeutig zu viele Fragen offen. Gut möglich, dass er entscheidende Dinge verschwieg. Der Januskopf war meist nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht – sie konnte ihm nicht vertrauen. Niemand konnte das.

Aber es war ja nicht das erste Mal, dass sie auf sich allein gestellt war.

Coco lauschte in die Dunkelheit.

Außer dem Wind, der durch die Bäume strich, einem sich entfernenden Fahrzeug in einer Nebenstraße und ihrem eigenen Atem war absolut nichts zu hören.

Okay. Weiter.

Mühsam bahnte sie sich ihren Weg durch Gestrüpp und wucherndes Unkraut. Manche der stacheligen Disteln reichten ihr bis zu den Schultern. Ärgerlich zupfte sie Kletten aus ihrem Haar, während sich ständig aufs Neue zähe Ranken um ihre Knöchel schlangen.

»Vielleicht war das doch keine so tolle Idee, hierherzukommen.«

Unvermittelt trat ihr linker Fuß ins Leere.

Mit einem Aufschrei geriet Coco ins Straucheln. Gerade noch rechtzeitig gelang es ihr, einen hervorstehenden Ast zu packen und so den Sturz abzufangen.

Der alte Pool! Wie hatte sie den vergessen können?

Beinahe wäre sie über seine Umrandung gefallen.

Das gähnende Loch verströmte einen widerlichen Geruch nach Moder und Verwesung, der Coco erschauern ließ. Der Tod war auf dem Grundstück allgegenwärtig. Die Vergangenheit schien plötzlich gar nicht mehr vergangen, sondern ganz nah.

Haltsuchend umklammerte Coco den Ast.

Sie dachte an die magische Pest, die ihre komplette Familie dahingerafft hatte.

Dann holte sie tief Luft. Schob sich zurück auf sicheren Untergrund und ließ den Ast los.

Konzentrier dich, befahl sie sich selbst.

Sie war schließlich nicht aus Trauer um ihre Sippe hergekommen, sondern weil sie sich an eine Bemerkung ihres Vaters erinnert hatte.

Eine, die angesichts der derzeitigen Lage vielleicht von Bedeutung war.

Damals, als Dorian Hunter zum allerersten Mal in der Stadt aufgetaucht war, hatte Michael Zamis Nachforschungen über ihn angestellt. Cocos Vater vertrat die Ansicht, dass es sinnvoll war, seine Feinde zu kennen. Wäre sie selbst damals nicht so sehr mit ihren eigenen Zweifeln und Problemen beschäftigt gewesen, hätte sie ihm vielleicht genauer zugehört.

Dummerweise hatte sie das nicht.

Aber sie erinnerte sich, dass er sehr erregt über Dorians Abstammung gesprochen hatte.

Sie hatte sich bereits überall in der Stadt heimlich umgehört, aber keine neuen Anhaltspunkte dazu gefunden. Michael Zamis hatte damals der Öffentlichkeit offenbar strikt verschwiegen, was er wusste. Nur an jenem Abend, an den Coco sich erinnerte, hatte er in seinem eigenen Haus etwas angedeutet. Das Ganze ließ ihr keine Ruhe.

Was, wenn Michael Zamis damals auf etwas Wichtiges gestoßen war, das ihr helfen konnte, die aktuellen Ereignisse besser zu verstehen? Eine Erklärung, darauf hoffte sie. Allein aus diesem Grund war sie in Wien.

Obwohl es nur eine winzige, vage Chance gab, hier heute Nacht mehr herauszufinden, war sie nach all den Jahren zurückgekommen.

Hoffentlich nicht umsonst.

Während Coco sich weiter zur Ruine vorkämpfte, kreisten ihre Gedanken unentwegt um die konkrete Formulierung ihres Vaters: Er hatte sich damals über Dorians dämonisches Erbe ausgelassen und es – da war sie ganz sicher – bemerkenswert genannt. Was er noch hinzugefügt hatte, fiel ihr jedoch leider absolut nicht mehr ein.

Damals hatte sie angenommen, ihr Vater beziehe sich lediglich darauf, dass Dorian Asmodis Sohn war. Aber Asmodi hatte zahlreiche Kinder in die Welt gesetzt. Ihre eigene Mutter war ebenfalls eine Tochter von Asmodi. Hätte ihr Vater es tatsächlich bemerkenswert gefunden, dass Dorian ein weiteres dieser Kinder war?

Nein.

Das sagte Coco nicht nur ihr Gefühl, sondern auch ihr Verstand.

Michael Zamis musste etwas anderes damit gemeint haben. Etwas Außergewöhnliches, auf das er bei seiner Recherche gestoßen war. Falls sie es herausfand, bekam sie vielleicht eine schlüssige Erklärung für Dorians Verhalten.

Für seine charakterliche Veränderung, die nicht zu übersehen war.

Coco weigerte sich, die Wandlung des Dämonenkillers einfach so hinzunehmen. Ihr lag viel an Dorian, auch wenn es um ihre Beziehung derzeit nicht zum Besten stand.

Sie würde ihn nicht verlorengeben.

Auch wenn er sich zuletzt wie ein gewaltiges Arschloch benommen hatte.

Sie wusste, dass er in Wahrheit anders war. Irgendetwas, von dem sie im Moment leider noch nichts ahnte, musste passiert sein.

Daher hoffte sie, in den alten Aufzeichnungen ihres Vaters einen Hinweis darauf zu finden, was die seltsame Veränderung in Dorians Charakter ausgelöst oder verursacht haben könnte. Ob das Ganze umkehrbar war. Oder ob sie und das Team sich mit dem veränderten Dorian und dessen Aggressivität auf Dauer abfinden mussten.

Schwer vorstellbar, wie das funktionieren sollte.

Nein, besser war, sie fand schnellstmöglich eine Lösung für das Problem.

Vorausgesetzt, es gab auf dem Grundstück der Zamis außer Asche und verkohlten Mauern überhaupt noch etwas zu finden …

Sie kletterte über einen hüfthohen Mauerrest und stand nun in dem, was von ihrem Zuhause übriggeblieben war. Geschwärzte Wände. Morsche, halbverbrannte Dielen. Rußverklebte Teppichflocken. Gesplitterte Reste von Mobiliar.

Sie wagte einen vorsichtigen Schritt.

Unter ihrem Absatz knirschten Scherben. Vermutlich das Glas der alten Standuhr. Sie befand sich im ehemaligen Wohnzimmer, auch wenn das kaum noch zu erkennen war.

Eine Schleifspur zog sich seitlich durch den Schmutz.

Coco kniff die Augen zusammen.

Irgendwann musste jemand hier gewesen sein. Ihre Intuition verriet ihr, dass es sich dabei nicht um einen Menschen, sondern um ein dämonisches Wesen gehandelt hatte. Aber die Spur seiner Anwesenheit war schon fast wieder verflogen.

Lange her.

Keine Gefahr also.

In einem Streifen Mondlicht zu ihren Füßen schimmerte es bläulich. Sie bückte sich und hob eine winzige Phiole auf. Der Glaspfropfen fehlte. Die darin enthaltene Flüssigkeit war längst verdunstet, das bittere Aroma kaum noch wahrnehmbar.

Aber zweifellos gehörte das Ding nicht hierher. Der Giftschrank ihrer Familie hatte sich nie im Salon befunden.

»Diebisches Pack«, murmelte sie.

Welcher Dämon sich wohl erdreistet hatte, heimlich das Zamis-Anwesen nach wertvollen Artefakten zu durchsuchen? Ob er erfolgreich gewesen war? Sehr weit in die Ruine war er jedenfalls nicht vorgedrungen. Die Barriere vor den Stufen, die hinunter ins Untergeschoss führten, war noch intakt.

Coco spürte das magische Summen in der kühlen Nachtluft. Das feine Kribbeln auf der Haut, als das Haus sie erkannte und willkommen hieß.

Beherzt schob sie mit dem Fuß den Schutthaufen beiseite, der die Treppe versperrte. Ein verkohlter Wandbehang mit dämonischen Motiven kam darunter zum Vorschein.

Sie erkannte ihn sofort wieder.

Erweckte das Haus über der Erde noch den Anschein einer menschlichen Behausung, so gab es sich weiter unten immer deutlicher als ehemalige Hexenresidenz zu erkennen.

Coco tastete sich stolpernd zum Ende der Stufen vor. Die kostbarsten seiner Schätze hatte ihr Vater stets im sicheren Keller aufbewahrt.

All das, was er mit niemandem teilen wollte.

Sie erinnerte sich an den Raum, in den er sich zurückzog, wenn er seine Ruhe haben wollte. An den antiken Schreibtisch darin, das Regal mit den Hexenbüchern und die Waffenvitrine. Irgendwo dort musste er auch seine Aufzeichnungen versteckt haben.

Staub drang ihr in die Kehle, und sie hustete.

Schutt und Asche lagen knöchelhoch im Gang. Bei jedem Schritt wirbelten Schwaden davon auf und tanzten um sie herum.

Coco drückte sich ihr Halstuch vor Mund und Nase und balancierte weiter.

Dort, die verschlossene Tür musste es sein. In die schwarze Kassettenoptik der Front waren die Initialen von Michael Zamis eingraviert.

Coco hoffte inständig, dass die Decke dahinter nicht eingestürzt war. Wenn das Feuer auch dort gewütet hatte, würde sie wohl kaum noch etwas Verwertbares im Zimmer finden. Aber erst einmal musste es ihr gelingen, die Tür zu öffnen. Es gab weder ein Schloss noch einen Türgriff. Also musste ein anderer verborgener Mechanismus vorhanden sein.

Sie probierte es zunächst mit einem Zauberspruch.

Dann mit Gewalt.

Dann mit beidem zugleich.

Blitzende Funken stoben in die Nacht, als die Tür sich ihrem Willen widersetzte.

Coco stieß einen Fluch aus. Sie war so weit gekommen, da würde sie gewiss nicht akzeptieren, dass ihr Vorhaben an einer störrischen Tür scheiterte!

Energisch presste sie beide Hände gegen die schwarzlackierte Oberfläche und versuchte es mit einem anderen, machtvollen Zauberspruch. Ob es am Ende eine Nuance in ihrer Stimme war, die sie als Familienangehörige auswies, oder ob es an der Wirksamkeit ihrer Magie lag, die Tür gab jedenfalls nach und ließ sich endlich aufdrücken.

Zentimeter für Zentimeter. Das leise Scharren zerrte an Cocos Nerven.

»Nun mach schon!«

Empört quietschend schwang die Tür vollends auf.

Cocos Herz schlug einen Takt schneller.

Das geheime Arbeitszimmer von Michael Zamis hatte den Brand des Anwesens weitgehend unbeschadet überstanden. Es war gegen äußere Einflüsse quasi versiegelt gewesen. Lediglich die Decke hatte sich leicht abgesenkt und stellenweise war Putz auf den Boden gerieselt.

Über dem Schreibtisch hing das Portrait ihres Vaters. Michael Zamis war ein attraktiver Mann gewesen. Groß, breitschultrig und mit markanten Gesichtszügen wirkte er wie ein Star aus der Stummfilmära.

Coco hatte den Eindruck, dass er sie finster beobachtete, während sie an den Schubladen seines Schreibtisches zerrte. Jedenfalls fühlte es sich so an, als wollte sein Blick ihren Nacken durchbohren.

»Lass mich«, murmelte sie. »Ich muss das tun.«

Trotzdem kam es ihr wie ein Frevel vor, seinen Besitz zu durchwühlen. Zumal sie zwar eine Menge mysteriöser Dinge fand, aber keine persönlichen Aufzeichnungen. Nichts über Dorian Hunter und auch kein Tagebuch.

Nur einige langweilige Schriftstücke wie Schuldscheine oder Briefe. Im Papierkorb lagen ein paar uralte, zerfetzte Rezepte, mit denen er wohl experimentiert hatte, die seine Erwartungen aber nicht erfüllt hatten. Insgesamt absolut nichts von Belang.

Sie zermarterte sich das Hirn, wo er die wirklich wichtigen Dinge aufbewahrte.

Die Hände in die Hüften gestemmt, baute sie sich vor seinem Portrait auf.

Suchte in seinen finsteren Augen nach einer Antwort.

Und fand sie.

Beziehungsweise dahinter. In der Mauer hinter dem Portrait war eine Art Safe eingelassen. Er ließ sich erstaunlicherweise ganz ohne Magie mit der Nagelfeile knacken.

Michael Zamis hatte offenbar nicht damit gerechnet, dass Unbefugte jemals weit genug in seinen Besitz eindringen würden, um dieses Versteck zu finden.

Coco spürte einen Anflug von schlechtem Gewissen, als sie den Inhalt herausnahm.

Aber nur kurz.

Zu interessant waren die Bücher und Papiere, die sie in Händen hielt.

Hastig blätterte sie durch den Stapel, bis ihr endlich Dorians Name ins Auge fiel.

Er stand auf einem gebundenen Dossier.

In gestochen klarer Schrift hatte Michael Zamis darin die Ergebnisse seiner Recherchen vermerkt. Die Aufzeichnungen waren umfangreich. Zu Cocos Erstaunen bestanden sie allerdings aus endlosen Ahnenreihen, die ihr nichts sagten.

Sie überflog einige Seiten, fand aber keinerlei sinnvolle Erklärung.

Irritiert blätterte sie zurück bis zum Anfang.

Dorians Geburt.

Deren Details waren ihr bekannt. Dass Dorian der Spross von Asmodi und Gräfin Anastasia von Lethian war. Dass er im Schloss in Asmoda gezeugt worden war.

Cocos Vater hatte sich damit nicht zufriedengegeben.

Er hatte noch viel tiefer in der Vergangenheit gegraben und herausgefunden, dass die Familie jener Gräfin Anastasia im Pariser Dämonenadel verwurzelt war. Zu eben jener französischen Familie du Lethian hatte er einen umfangreichen Stammbaum erstellt.

Coco runzelte die Stirn, während sie die aufgelisteten Ahnenreihen langsam durchging. Was war so Besonderes an der Gräfin von Lethian, das diesen Aufwand rechtfertigte?

Welchem Verdacht war ihr Vater damals nachgegangen?

Welchen Zusammenhang hatte er gesehen, der ihr bisher noch entging?

Wonach hatte er konkret gesucht?

Michael Zamis war jedenfalls außerordentlich gründlich vorgegangen. Seite um Seite hatte er mit Namen, Daten und Verknüpfungen gefüllt. Der engen Verwandtschaft der du Lethians mit einer Familie namens d’Alastair hatte er besondere Aufmerksamkeit geschenkt.

D’Alastair? Coco schüttelte den Kopf. Der Name sagte ihr nichts. Sie hätte geschworen, von dieser Familie noch nie gehört zu haben.

Der Stammbaum der d’Alastairs reichte sogar noch weiter zurück als jener der du Lethians. Aber keiner der Dutzenden von Namen erschien Coco irgendwie vertraut.

Mit zunehmender Verwirrung blätterte sie durch die Seiten.

Worum ging es hier?

Wo versteckte sich das Detail, das ihr Vater so bemerkenswert gefunden hatte?

Wenn sie die Ahnenreihe der d’Alastairs richtig interpretierte, hatten diese sich irgendwann im Verlauf der Spätantike und des frühen Mittelalters in Frankreich angesiedelt.

Davor gab es etliche Eintragungen zu einer italienischen Familie Alasterii.

Noch weiter zurück reichten die Spuren der Familie im antiken Griechenland.

Erst auf der allerletzten Seite ganz unten fand Coco dann einen Hinweis: Den von ihrem Vater dick unterstrichenen Namen ›Alastor‹.

Daneben hatte Michael Zamis sogar noch eine Anmerkung gekritzelt. Offenbar in höchster Erregung, denn manche der Buchstaben hatten glatt das Papier durchstochen.

»Ich wusste, dass mir irgendetwas an ihm vertraut vorkam«, entzifferte Coco.

Vollkommen ratlos starrte sie auf das Blatt.

Und jetzt?

Mit dieser Information konnte sie überhaupt nichts anfangen.

Sie hatte keine Ahnung, was ihr Vater damit meinte. Was ihr dieser Name sagen sollte. Oder was die Enthüllung mit Dorian zu tun hatte.

Wer war Alastor?

 

 

Kapitel 2

 

Paris, 1803

Hugo Bassarak verlangsamte seine Schritte. Erst seit wenigen Stunden war er zurück in Paris, doch an jeder Straßenecke stürmten die Erinnerungen auf ihn ein.

So vieles hatte sich verändert seit den Jahren der Französischen Revolution. Die Stimmung in der Stadt war eine völlig andere – weniger aufgepeitscht, weniger gewaltsam. Man musste nicht mehr fürchten, in die Hände randalierender Horden zu geraten oder grundlos verhaftet zu werden.

Manches war allerdings auch gleich geblieben: Der faulige Geruch des Flusswassers zum Beispiel oder das Keifen der Fisch- und Gemüseweiber, die an ihren Marktständen mit den Dienstmädchen um die Preise feilschten. Das war ihm vertraut.

Genau wie das verdammte Gefühl, allein zu sein.

Er war ein Ausgestoßener, der nirgends dazugehörte.

Scheint, als wäre das mein Schicksal.

Hugo blieb stehen und spuckte in die Seine, während verschiedene Passanten ihm murrend auswichen. Den einen oder anderen Rempler ignorierte er, ebenso wie die unfreundlichen Bemerkungen. Sogar die Sprache seiner Geburtsstadt kam ihm fremd vor.

War er zu lange weg gewesen?

Paris wirkte seltsam klein auf ihn. Und abweisender als erwartet. Ob es daran lag, dass das Reisen in ferne Länder seinen Horizont erweitert hatte?

Jedenfalls sah er Paris heute mit anderen Augen als bei seiner Flucht 1793.

Unmittelbar nach der Hinrichtung Ludwigs XVI. hatte er verhindert, dass das Blut des toten Königs dem Vampir Jerome de Choiseul in die Hände fiel. Der Einfluss des verräterischen Beraters reichte damals bis in die höchsten politischen Kreise. Hugo war gar keine andere Wahl geblieben, als Frankreich zu verlassen, wenn er am Leben bleiben wollte.

»Tja, die Situation hat sich gründlich geändert«, murmelte er. Von Choiseul ging längst keine Gefahr mehr aus. »Die Revolution hat etliche ihrer Kinder gefressen …«

Hugos Geschichte war ebenfalls ereignisreich verlaufen.

Zunächst hatte es ihn als Schiffsjungen ans Kap von Afrika verschlagen, wo er sich mit dem Orden von Delphi und neuen Dämonen konfrontiert sah. Später war er nach China gelangt, wo er die friedlichste und hoffnungsvollste Zeit seines Lebens verbracht hatte.

Aber leider war ihm eine dauerhafte »normale« Existenz nicht vergönnt gewesen. Überall hatte er gegen die Mächte des Bösen gekämpft. Nirgendwo war er vor Angriffen verschont geblieben. Hugo hatte seine Lektion gelernt: Die Welt war voll von Dämonen.

Der Kampf gegen sie beherrschte inzwischen sein Denken; nicht erst, nachdem Chen Lu in seinen Armen ihr Leben ausgehaucht hatte. Ein mörderischer Fuchsgeist hatte sich Hugos großer Liebe bemächtigt.

Dämonen zu töten war seitdem seine wahre Bestimmung.

Das, wozu er geboren war.

Aber dass er das inzwischen akzeptierte, bedeutete noch lange nicht, dass er mit seinem Los glücklich war.

Immerhin war ihm zuletzt in Venedig das Vergessen geschenkt worden, das er sich nach der Reise durch die Taklamakan-Wüste sehnlichst gewünscht hatte. Wenn er an die Seidenstraße zurückdachte, spürte er zwar noch ein leises Echo des Grauens in sich.

Aber sonst nichts.

Dem verdammten Dschinn sei Dank sonst nichts.

Keine Bilder aus der Ewigkeitshölle. Keine Schreie. Keine Schmerzen.

Hugo wandte den Kopf. Von der Île de la Cité drang Baulärm herüber. Der Erste Konsul, Napoleon Bonaparte, war eifrig dabei, der Stadt ein neues Antlitz zu verpassen – großzügige Plätze, breite Straßen, ansehnliche Häuser. Die dichtbesiedelten Elendsquartiere mussten dafür weichen, meist wurden sie einfach abgerissen.

Hugos Hoffnung auf eine bezahlbare Unterkunft schwand zusehends.

Sein früheres Zimmer in der Rue Mortisse existierte nicht mehr, die blinde alte Vermieterin war verstorben. Wo also sollte er hin?

Er suchte das Seineufer in der aufziehenden Dämmerung nach einer Bank ab, auf die er sich setzen konnte. Seine Sohlen waren durchgelaufen, sein Magen leer. Er war erschöpft von der Reise, die seine letzten Ersparnisse fast aufgebraucht hatte. Heimzukehren nach Paris, das war sein Ziel gewesen. Doch nun, da er hier war, fühlte er sich jeder Illusion beraubt.

Von niemandem erwartet. Von niemandem gebraucht.

Eine mehr als bittere Erkenntnis.

Doch kaum hatte er sich zurückgelehnt und die Augen geschlossen, um das schlechte Gefühl zu verdrängen, nahm er instinktiv wahr, dass sich jemand der Bank näherte.

Mit besonderer Wachsamkeit horchte er auf die verstohlenen Schritte. Gleich darauf spürte er eine tastende Hand an seinem Gürtel.

Hugo schnellte hoch und schlug den dreisten Dieb kurzerhand zu Boden.

»Aauu«, heulte der Junge auf.

Er war höchstens zwölf Jahre alt. Trotz seiner Magerkeit und der zerlumpten Schuhe schien er kein Bettelkind zu sein. Darauf wies der Stapel Zeitungen hin, der neben ihm im Dreck gelandet war.

Hugo stutzte. Der kleine Gauner arbeitete als Zeitungsverkäufer?

»Was soll das?«, herrschte er ihn an. »Einer wie du hat es doch gar nicht nötig zu stehlen!«

»Pah, was wissen Sie schon von mir?« Trotzig schob der Junge die Unterlippe vor.

»Nichts.« Plötzlich fand Hugo die Situation lächerlich. Oder vielleicht war er auch einfach zu müde für eine weitere, nutzlose Auseinandersetzung. Was ging ihn dieser Bengel an? Er hatte im Moment genug eigene Sorgen, um die er sich kümmern musste. Er brauchte etwas zu essen und möglichst rasch eine bezahlbare Unterkunft.

»Du hast recht. Ich weiß gar nichts. Nichts von dir, und in Paris kenne ich mich auch nicht mehr aus.«

Der Junge blinzelte. Auffallend schnell registrierte er die veränderte Stimmung und sprang wieder auf die Füße. Mit keck funkelnden Augen und einem Zahnlückengrinsen rückte er seine Mütze gerade.

»Ich könnte Ihnen helfen«, schlug er vor.

»Ach?«

»Ja, ich kann Sie überall hinführen.« Fordernd streckte er die Hand aus. »Für ein paar Sous bringe ich Sie zu jedem Ort, zu dem Sie wollen.«

Hugo schüttelte den Kopf. Diese Bank mit der Aussicht auf Notre Dame im Abendlicht war im Augenblick der richtige Ort für ihn – das Nachdenken hier kostete ihn nichts.

Der Junge ließ nicht locker. Offenbar witterte er trotzdem ein Geschäft.

»Ich heiße Gaspard«, verkündete er, während er seine Zeitungen aufsammelte.

Er zählte sämtliche Speiselokale auf, die er kannte, die Theater mit den tollsten Shows und die Bars mit den begehrtesten Mädchen.

»Ich brauche kein Mädchen.«

»Das sagen Sie jetzt! Warten Sie ab, bis Sie die Belles tanzen sehen.«

Stöhnend barg Hugo den Kopf in den Händen. »Ich brauche wirklich kein Mädchen. Alles, was ich brauche, ist eine warme Mahlzeit – und vielleicht ein trockener Schlafplatz.«

Wie sich herausstellte, fiel Gaspard auch dazu etwas ein. Er kannte ein preiswertes Lokal, in dem sein Onkel Didier häufig verkehrte.

»Es liegt in einem Hinterhof«, erklärte er. »Die Männer spielen dort Karten. Wer verliert und sich deshalb nicht nach Hause traut, den lässt der Wirt auch mal im Stall schlafen.«

Es klang nicht wie das Paradies, aber besser als die Bank am Seineufer war es wohl.

So kam es, dass Hugo gleich darauf hinter Gaspard hertrottete, der erfreut vor ihm durch die Gassen hüpfte und dabei unentwegt auf ihn einredete. Sein Mund stand keine Sekunde still. Hugo erfuhr, dass Gaspard ein Waisenjunge war – was sowohl sein zerlumptes Äußeres als auch seine Anhänglichkeit erklärte.

Doch nach den Anstrengungen der langen Reise fiel Hugo das Zuhören schwer. Irgendwann schaltete er einfach ab. Dachte stattdessen über seine Möglichkeiten nach.

Er musste baldmöglichst Arbeit finden, um sich eine neue Perspektive zu schaffen.

Ohne Arbeit würde er sich in Paris nicht lange durchschlagen können. Seine Mittel reichten höchstens noch für ein paar Tage, selbst wenn er sparsam damit umging.

Was kam in Frage? Wo konnte er sich um eine Stelle bewerben?

Das französische Militär hatte bestimmt Verwendung für jemanden wie ihn; kampferprobt und mit Waffenkenntnissen. Aber Hugo traute den Mächtigen nicht. Dazu hatte er in seinem Leben schon zu viele schlechte Erfahrungen mit ihnen gemacht.

Die allgemeine Stimmung innerhalb Frankreichs war seit Napoleons Machtübernahme zwar recht gut – das Volk erhoffte sich nach den gefährlichen, chaotischen Revolutionsjahren vor allem Ordnung und Stabilität –, doch ein Krieg mit anderen Nationen war jederzeit möglich. Großbritannien zum Beispiel schien derzeit nur darauf zu lauern. Der Friede von Amiens war bereits brüchig.

Außerdem sah Hugo keinen Sinn darin, gegen Menschen zu kämpfen. Dämonen waren es, gegen die er seine Kraft richten wollte. Somit schied die französische Armee aus.

»Wir sind da«, verkündete Gaspard.

Er öffnete eine Tür, und Hugo fand sich in einer echten Pariser Spelunke wieder: Verraucht, mit niedriger Decke und einem langen, abgenutzten Holztisch. Die Männer, die daran saßen, schenkten ihm einen misstrauischen Blick, wandten sich dann aber wieder ihrem Kartenspiel zu. Im hinteren Teil der Bruchbude befand sich eine Art Küchenverschlag. Von dort roch es unverkennbar nach Essen.

»Cassoulet«, bestätigte Gaspard. »Der Wirt stammt ursprünglich aus dem Languedoc.«

Er rutschte neben einen grobschlächtigen Mann mit hellem Bart, der über seinem Weinkrug eingenickt war, und schubste ihn. »Onkel Didier, wach auf! Ich habe jemanden mitgebracht.«

»Hm?«, knurrte der Bärtige unwillig. Seine Augen waren blutunterlaufen.

»Mach Platz«, bettelte Gaspard. »Wir wollen etwas zu essen bestellen. Stimmt’s?«

Erwartungsvoll blickte er Hugo an.

Ah, daher wehte der Wind! Jetzt begriff Hugo. Der Junge hoffte auf eine kostenlose Mahlzeit – zum Dank, dass er ihn hierhergeschleppt hatte.

Der Eintopf aus weißen Bohnen, Speck und gepökeltem Fleisch war die Sache jedoch wert. Allenfalls das Brot stammte noch vom Vortag und krachte zwischen Hugos Zähnen. Aber das Essen weckte eindeutig wieder seine Lebensgeister.

Gaspard hatte seine Schüssel bereits leergefuttert und schwatzte auf Didier ein.

»Weißt du übrigens, wo ich Hugo getroffen habe?«, erzählte er. »Genau an der Stelle, wo wir im August das Dampfschiff beobachtet haben. Erinnerst du dich noch an das Spektakel auf der Seine?«

»Klar«, grummelte Didier. »Ich bin vielleicht betrunken, aber nicht blöd.«

»Das war wirklich großartig«, schwärmte der Junge. »Haben Sie davon gehört?«

Hugo schüttelte kauend den Kopf.

»Oder gelesen? Es stand in allen Zeitungen.«

»Nein.«

»Tja, da hast du was verpasst, Mann.« Didier kratzte sich das bärtige Kinn. »Dieser verrückte Kerl aus Amerika hat ein Dampfschiff gebaut und …«

»Robert Fulton heißt er«, trumpfte Gaspard mit seinem Wissen auf. »Er hat die Erfindung auf der Seine ausprobiert, damit alle das Dampfschiff sehen können. Napoleon Bonaparte hat ihm prompt eine Audienz gewährt. Allerdings war unser Konsul am Ende nicht ganz überzeugt von der Idee. Dabei heißt es, der Amerikaner hätte in Le Havre sogar ein Tauchboot gebaut. Können Sie sich das vorstellen? Ein Schiff, das unter Wasser fährt! Ist das nicht verrückt?«

Hugo dachte, dass er noch viel verrücktere Geschichten auf Lager hatte, beispielsweise von Dschinnen, die in Spiegeln gefangen waren, oder von betrügerischen Vampiren, die Königen nach dem Leben trachteten. Aber das würde ihm ja sowieso niemand glauben.

Er bestellte noch einen Krug Wein, obwohl er bereits merkte, dass er ihm zu Kopf stieg.

»Apropos Verrückte«, meinte Gaspard nachdenklich. Seine funkelnden Augen verrieten Hugo, dass er schon wieder einen neuen Einfall hatte.

»Sie sind auf der Suche nach Arbeit, richtig?«

»Und wenn?«

»Warum fragen Sie nicht an der Salpêtrière, ob man Sie dort einstellt?«

»Als Irrenwärter?« Hugo zögerte.

Das mit Obdachlosen, Kranken und Häftlingen überfüllte Hospital inmitten der Stadt war gewiss kein Ort, zu dem es ihn hinzog. Die Salpêtrière war ein grauenhafter Moloch.

Gaspards betrunkener Onkel grinste. »Falls du ein Schloss vorziehst, in Bicêtre suchen sie auch ständig Personal.«

»Hm, ich weiß nicht …«

Um die beiden von sich abzulenken, schenkte er nach. Auch Gaspard bekam einen Becher Rotwein. Freundschaftlich prosteten sie sich zu. Dummerweise vergaß der Junge das Thema des Gesprächs noch lange nicht, nur weil sie sich verbrüdert hatten.

»Also, was ist nun, Hugo, traust du dich?« Gaspard lachte. »Oder hast du etwa Angst vor den Irren?«

»Oder befürchtest du, man könnte dich gleich mit einsperren?« Didier beugte sich vor und wischte mit dem Ärmel eine Rotweinpfütze auf. Unsanft boxte er Hugo gegen die Brust. »Oder bist du gar früher schon mal eingesessen?«

»Unsinn«, widersprach er.

Das fehlte noch, dass er seine Pariser Vergangenheit preisgab. So viel getrunken hatte er definitiv noch nicht.

Sie scherzten und redeten eine Weile über Belanglosigkeiten. Doch je länger Hugo insgeheim über Gaspards Vorschlag nachdachte, umso mehr Gefallen fand er daran.

Was seine körperliche Kraft und Statur anging, war er für die Tätigkeit als Irrenwärter oder Aufseher durchaus geeignet.

Der besondere Vorteil einer Irrenanstalt schien Hugo zudem, dass sie höchstwahrscheinlich dämonenfrei war. Seiner Erfahrung nach mieden Dämonen Geisteskranke und Verwirrte wie die Pest, weil sie sich in deren Anwesenheit unwohl fühlten.