Die Autorin

Beate Boeker – Foto © privat

Beate Boeker ist neben ihrem Beruf als Autorin Betriebswirtin mit internationalem Schwerpunkt, arbeitet im Marketing und lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter in Deutschland. Der erste Roman der USA Today Bestseller-Autorin wurde 2008 vom Verlag Avalon Books in New York veröffentlicht. Heute ist eine große Auswahl ihrer romantischen Komödien, Krimis und Kurzgeschichten auf Englisch verfügbar. Ihre Bücher wurden für viele Auszeichnungen nominiert, z.B. den Golden Quill Contest, den National Readers' Choice Award und den Best Indie Books. Obwohl sie Deutsche ist, entschied sie sich, zunächst nur auf Englisch zu schreiben, weil sie in den USA mehr Hilfe bei der Entwicklung ihrer schriftstellerischen Fähigkeiten fand. Jetzt übersetzt sie ihre Bücher auch ins Deutsche.

Das Buch

Ein Mord an der malerischen Küste der Toskana

Die Familie Mantoni fährt zum alljährlichen Familienurlaub nach Forte dei Marmi am Ligurischen Meer. Auch Carlina und Commissario Stefano Garini sind mit von der Partie. Doch kaum sind sie im Hotel angekommen, wird der unsympathische Hotelmanager erschossen aufgefunden. Der lokale Commissario übernimmt den Fall und verdächtigt sofort Carlinas Cousin Ernesto. Das kann der Mantoni-Clan natürlich nicht hinnehmen und bestürmt Stefano, die Untersuchung zu übernehmen. Dieser hatte sich seinen ersten gemeinsamen Urlaub mit Carlina wahrlich anders vorgestellt, willigt aber ein, Ernesto zu helfen. Auch die Mantonis mischen kräftig mit, halten jedoch brisante Informationen zurück. Schon bald weiß Stefano nicht mehr, wem er noch glauben kann … und das schließt Carlina mit ein.

Von Beate Boeker sind bei Midnight in der Reihe Florentinische Morde erschienen:
Hochzeitstorte mit Todesfall (Band 1)
Amore Mortale (Band 2)
Mord all' arrabbiata (Band 3)
Einmal Mord, aber pronto! (Band 4)
Mord al Mare (Band 5)

Beate Boeker

Mord al Mare

Aus dem Englischen
von Beate Boeker

Midnight by Ullstein
midnight.ullstein.de

Deutsche Erstausgabe bei Midnight
Midnight ist ein Verlag
der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
Juli 2019 (1)

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2019
© Beate Boeker 2015
Titel der englischen Originalausgabe: Seaside Death
Umschlaggestaltung:
zero-media.net, München
Titelabbildung: © FinePic®
Autorenfoto: © privat
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ISBN 978-3-95819-278-2

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Figurenübersicht

Die Mantonis & ihre Partner

Caroline Ashley
genannt Carlina, Besitzerin des luxuriösen Lingerie-Geschäfts Temptation in Florenz


Stefano Garini
ermittelnder Inspektor der Mordkommission in Florenz


Onkel Teo
Carlinas Großonkel, 80 Jahre alt


Fabbiola
Carlinas Mutter


Benedetta
Carlinas Tante (Fabbiolas jüngere Schwester)


Leopold Morin (Leo)
Benedettas Lebensgefährte (ein Franzose)


Emma
Carlinas Cousine (Benedettas älteste Tochter)


Lucio
Emmas Ehemann


Annalisa
Carlinas attraktive, rothaarige Cousine (Benedettas zweite Tochter)


Ernesto
Carlinas rothaariger Cousin, der jüngste im Hause Mantoni (Benedettas Sohn)


Tante Violetta
die Matriarchin der Mantoni-Familie, 99 Jahre alt, lebt in einer Villa in Fiesole


Omar
der Adoptivsohn von Tante Violetta

Kapitel 1

»Stopp! Stopp!« Die dröhnende Stimme von Tante Violetta erfüllte den kleinen Bus mit so heftiger Dringlichkeit, dass alle Mitglieder der Mantoni-Familie erstarrten.

Lucio trat abrupt auf die Bremse und brachte den Neunsitzer mit quietschenden Bremsen zum Stehen. »Was ist los?« Er drehte sich auf dem Fahrersitz um und schaute die neunundneunzig Jahre alte Matriarchin der Familie mit einer Mischung aus Sorge und Ungeduld an. »Was ist es diesmal?«

Tante Violetta, die neben ihm saß, starrte geradeaus aus dem Fenster, ohne seinen Blick zu erwidern. »Ich habe etwas vergessen.« Sie sprach mit der lauten Stimme einer Tauben.

Ein kollektiver Seufzer erklang. Dies war das dritte Mal, dass die Familie gezwungen war, den Beginn der Sommerferien aufzuschieben, nur um etwas einzusammeln, das irgendein Mantoni vergessen hatte.

Eine Sekunde lang sah es so aus, als ob Lucio einen Wutanfall bekommen würde. Er hatte ein heftiges Temperament, das sich meist zeigte, wenn es darum ging, seine ausgesprochen unabhängige Frau Emma zu beschützen. Aber dieses Mal zuckte er nur mit den Schultern und nutzte die nächste Gelegenheit, um eine Kehrtwendung zu machen und zurück zu Tante Violettas Villa zu fahren, die sich im Außenbezirk von Florenz befand.

Emma, die direkt hinter ihrem Mann saß, lehnte ihren attraktiven Kopf an die Kopfstütze und schob ihre Sonnenbrille hoch, sodass sie in ihren langen braunen Haaren steckte. Dann verdrehte sie die Augen und seufzte entnervt, aber sie enthielt sich jeden weiteren Kommentars.

Lucio sprach immer noch mit Tante Violetta. »Sag Omar, was du brauchst, dann kann er es für dich aus dem Haus holen.«

Omar, Tante Violettas Adoptivsohn, saß direkt hinter seiner Mutter. Jetzt beugte er sich nach vorne, bereit, ihre Anordnungen entgegenzunehmen, sein dunkles Gesicht unbeweglich wie immer.

Aber Tante Violetta presste die runzeligen Lippen zusammen und sagte kein Wort.

Fabbiola, zwischen Omar und Emma eingepfercht, beugte sich ebenfalls nach vorne, damit Tante Violetta sie auf dem Beifahrersitz auch hörte. Auf ihrem Schoß umklammerte sie ein großes Kissen mit buntem Blumenmuster in Orange und Gelb. In voller Lautstärke schrie sie: »Ist es wirklich nötig, noch einmal umzukehren, Tante Violetta? Könnten wir es nicht kaufen, wenn wir nach Forte dei Marmi kommen?«

»Nein.« Tante Violetta gab das Wort wie einen Schuss ab.

In der letzten Reihe des kleinen Busses nahm Carlina Stefanos Hand und lächelte ihn entschuldigend an. Es war das erste Mal, dass sie gemeinsam in den Urlaub fuhren. Nun, eigentlich war es kein wirklicher Urlaub, mehr ein verlängertes Wochenende. Da ferragosto, der fünfzehnte August und wichtigste Sommerfeiertag in Italien, dieses Mal auf einen Freitag fiel, hatte die Familie beschlossen, ihren Jahresurlaub an dem Mittwoch zuvor zu beginnen. Jedes Jahr buchten sie Zimmer in dem kleinen Hotel mit dem kreativen Namen Albergo Giardino – Gartenhotel. Die Fahrt von Florenz dauerte nur eineinhalb Stunden, was wichtig war für die Familienmitglieder, die nach ferragosto wieder arbeiten mussten. Nur vier Mantonis saßen nicht im Bus: Carlinas Tante Benedetta und Leopold Morin, der Franzose, mit dem Benedetta zusammen war, sowie Benedettas rothaarige, erwachsene Kinder Annalisa und Ernesto. Sie fuhren separat mit einem Auto, das die arbeitenden Familienmitglieder nach dem Wochenende wieder zurück nach Florenz bringen sollte.

»Eigentlich wäre ich lieber alleine mit dir weggefahren«, sagte Carlina leise. »Ich hatte mir unseren ersten gemeinsamen Urlaub etwas idyllischer vorgestellt.«

Stefano legte ihr den Arm um die Schultern. »Das hätte ja auch fast geklappt.«

Sie seufzte. »Wenn du nicht wieder ungeplant einen Mordfall hättest übernehmen müssen, weil deine Kollegen bei der Mordkommission alle krank wurden.«

Er nickte. »Und die Sommersaison ist so wichtig für deinen Laden, dass nur dieses Wochenende infrage kommt. All diese Touristen scheinen ihren Urlaub dazu zu nutzen, sich in Temptation mit neuer Luxusunterwäsche auszustatten.«

»Du meinst, damit sind wir quitt?«

»Ja.«

Sie seufzte wieder. »Na gut. Eigentlich sollte ich mich auch nicht beschweren, dass der Laden läuft. Stattdessen sollten wir froh sein, zumindest diese paar Tage am Meer zu haben … selbst wenn der ganze Clan dabei ist.«

Er zog sie näher an sich heran. »Ich freue mich.«

»Ich mich auch.« Es klang ein wenig kleinlaut. Sie freute sich wirklich, nicht nur auf die Zeit mit Stefano. Sie hatte auch immer Spaß während der Urlaube mit ihrer nicht ganz normalen Familie und wäre traurig gewesen, einen zu verpassen. Doch andererseits war da diese tief sitzende Angst, dass ein längerer, ungefilterter Kontakt mit ihrer überschäumenden und exzentrischen Familie irgendwann dafür sorgen könnte, dass Stefano hastig das Weite suchte.

Dies war wieder einer dieser Momente, in denen sie wünschte, die Familie würde ein wenig mehr Selbstbeherrschung zeigen. Sie wirkte wie eine Ansammlung von fest verschlossenen Dampfgartöpfen, bei denen jede Sekunde der Druck stieg. Nicht mehr lange und einer von ihnen würde explodieren, während der Dampf aus den Ohren kam. Alle waren müde, genervt und von den Vorbereitungen in letzter Minute gestresst. Ihre Mutter hatte genug Essen mitgebracht, um sie auch dann noch verpflegen zu können, wenn sie einen spontanen Abstecher nach Afrika machten, und der Geruch der Salami zog langsam durch den Bus.

Carlinas Großonkel Teo, der auf Carlinas anderer Seite vor sich hin döste, hatte sich das Vorrecht eines achtzigjährigen Patriarchen herausgenommen und noch nicht einmal darüber nachgedacht, ein Taschentuch einzustecken, sodass Carlina und Emma in letzter Minute hastig einen Koffer für ihn packen mussten. Emma hatte einige vernichtende Bemerkungen über ihren schlecht organisierten Großonkel gemacht, aber Carlina erinnerte sie daran, dass seine Frau vor weniger als einem Jahr gestorben und es sein erster Urlaub ohne sie war. Damit brachte sie ihre Cousine zum Schweigen, bevor Onkel Teo sie hören konnte.

Es war also alles chaotisch wie immer und Carlina konnte es gar nicht abwarten, in dem Hotel mit dem großen Pool anzukommen, wo dicht belaubte Olivenbäume die Natursteinwege zum Haus hin beschatteten. Sie wusste, dass die Familie sich in dem Moment beruhigen würde, in dem jeder in seinem angestammten Zimmer war, und dass dann der wahre Urlaub beginnen würde. Aber noch war es nicht so weit. Sie seufzte und drückte Stefanos Hand.

»Es tut mir leid«, flüsterte sie. »Es wird besser, wenn wir erst da sind.«

Er lächelte sie an, ein kleines, ironisches Lächeln, das ihr Herz flattern ließ. Es sagte ihr zwei Dinge: Er schätzte es, dass sie sich um ihn Gedanken machte … und er glaubte kein Wort. Es war deutlich, dass er sich auf einige Tage ungefilterter Mantoni-Verrücktheit eingestellt hatte, um sie glücklich zu machen.

Carlina biss sich auf die Unterlippe. Sie war wild entschlossen, ihnen beiden eine Auszeit zu verschaffen, als Ausgleich zu all dem Chaos, das entstand, wann immer die Mantonis irgendwo auftauchten. Wenigstens konnten sie zum Sonnenuntergang einen Spaziergang am Strand machen. Ja, das war ein Bild, das sie im Kopf behalten sollte.

In diesem Augenblick trat Lucio hart auf die Bremse. Sie hatten Tante Violettas Villa erreicht.

Omar schaute seine Adoptivmutter erwartungsvoll an.

Stefano beugte sich zu Carlina. »Hat er eigentlich noch nie gesprochen, auch als Kind nicht?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, niemals. Du weißt doch, dass ihn ein traumatisches Erlebnis in seiner Jugend hat verstummen lassen. Das war aber schon lange vor der Adoption, und wir wissen nichts über die genaueren Umstände.«

Omar neigte den Kopf und hob eine Hand mit der Handfläche nach oben. Die Tattoos auf seinen muskulösen Armen ließen seine Haut noch dunkler erscheinen. Als Tante Violetta ihn in Ägypten adoptiert hatte, war sie schon Ende sechzig gewesen, aber auch in diesem Alter war sie energiegeladener als die meisten Dreißigjährigen. Omar war jetzt in den Dreißigern, genau wie Carlina und Stefano, aber sein sehniger Körper überragte sie alle, und es amüsierte Carlina immer, dass ein so sanfter Mann so gefährlich aussah.

Tante Violetta flüsterte etwas in sein Ohr.

Einen Augenblick lang schien Omar erschrocken zu sein, dann nickte er, drückte sich an Tante Violettas zusammengefaltetem Rollstuhl vorbei und sprang aus dem Bus.

Carlinas Mutter Fabbiola schob sich eine Strähne ihres hennaroten Haares aus der Stirn. »Ich kann mir nicht vorstellen, was du vergessen haben kannst, das sowohl geheim als auch unersetzlich ist.«

Tante Violetta wendete den Kopf und warf ihr einen tödlichen Blick zu. »Und ich kann mir nicht vorstellen, warum wir zurückfahren mussten, um ein Kilo Salami mitzunehmen.«

Fabbiola wurde rot vor Wut. »Sie wäre schlecht geworden, wenn wir sie zu Hause gelassen hätten.«

»Blödsinn.« Tante Violetta schnaufte verächtlich. »Salami hält sich ewig.«

Omar kehrte mit einem kleinen Beutel zurück und überreichte ihn Tante Violetta mit einem Blick, den man fast böse nennen konnte.

Sie nickte zufrieden und stopfte den Beutel hinter ihren Rücken. »Danke, mein Lieber.«

Carlina runzelte die Stirn. Es war deutlich zu sehen, dass Omar unzufrieden war, und das an sich war schon ungewöhnlich. Omar war ein ausgeglichener Mann, und es machte ihm nie etwas aus, Dinge für seine Adoptivmutter zu holen. »Was ist in diesem Beutel, Tante Violetta?«

Tante Violetta zog es vor, die Frage zu ignorieren.

Carlina hob ihre Stimme. »Tante Violetta? Was ist in dem Beutel?«

Omar, der jetzt wieder auf seinem Platz saß, biss sich auf die Lippe und starrte geradeaus.

»Nichts für neugierige Mädels.« Tante Violetta stieß Lucio mit einem dicken Finger in die Seite. »Worauf warten wir noch, Lucio? Wir wollen doch alle so schnell wie möglich ans Meer, oder?«

Lucio reagierte, indem er den Hügel in einem halsbrecherischen Tempo hinunterraste.

»Lucio!« Fabbiola hielt sich krampfhaft an Omar fest. »Fahr bitte langsamer! Du wirst uns noch alle umbringen!«

»Ihr solltet dankbar sein, dass Lucio uns überhaupt fährt.« Emma hob ihr Kinn. »Gibt es noch irgendjemanden hier, der unbedingt noch einmal nach Hause muss, um eine geheime und wahnsinnig wichtige Sache zu holen, oder können wir jetzt endlich wirklich losfahren?«

Carlina blendete die vertrauten Familienzetereien aus und konzentrierte sich auf die Dinge, auf die sie sich freute. Sie wollte ausschlafen und sich zusammen mit Stefano ganz langsam für den Tag fertig machen, mit der verrinnenden Zeit als Freundin, nicht als Feind.

Sie freute sich darauf, am Hotelpool zu sitzen und ohne Unterbrechung ein gutes Buch zu lesen. Sie hatte extra einige Romane von ihren Lieblingsautoren eingepackt.

Sie freute sich darauf, eine Tasse Kaffee in dem winzigen Caffè Stretto zu trinken. Es lag direkt gegenüber vom Hotel, und sie konnte danach zum Strand hinuntergehen, um zu schwimmen.

Sie freute sich darauf, die Leute am Strand um sich herum zu beobachten und die ganzen Bikinis und Badeanzüge zu sehen, die sie vielleicht zu einem neuen Design für ihre nächste Unterwäschekollektion inspirieren würden. Ihr Geschäft Temptation war zwar sehr klein, aber es war ihr Universum, und sie genoss die Herausforderung, von Zeit zu Zeit einige Entwürfe für die Spitzenfirma Bertosti zu kreieren.

Irgendwann würde sie auch die luxuriösen Boutiquen in Forte die Marmi besuchen und schauen, was die Konkurrenz so machte. Vielleicht konnte sie Stefano sogar überreden, mitzukommen.

Ja, das Leben war schön, und sie war dankbar für alles, was sie hatte. Ihr Herz weitete sich vor Glück. Sie lächelte Stefano an.

Er schaute sie an, dann murmelte er in ihr Ohr: »Wo kommt denn dieses Tausend-Watt-Lächeln her?«

Carlina zuckte mit den Schultern. »Ich bin so glücklich. Alles ist perfekt.«

Er hob eine Augenbraue. »Lass uns hoffen, dass dies nicht die berühmten letzten Worte sind.« Dann neigte er den Kopf in Richtung Carlinas Mutter. »Ich sehe, dass Fabbiola wieder dazu übergegangen ist, ein Kissen herumzuschleppen. Ich dachte, die Phase sei vorbei?«

Carlina seufzte. »Das hatte ich auch gehofft, aber anscheinend hat sie die Kissen-Herumschlepp-Phase nur während der intensiven Strickphase fallen gelassen. Sie sagte, die Stricksachen fühlten sich fast wie ein Kissen an und seien auch gesellschaftlich akzeptierter.«

Stefano schluckte. »Und jetzt?«

»Jetzt hat sie das Stricken aufgegeben, weil es für den Sommer zu heiß ist, und ist wieder zu den Kissen zurückgekehrt.«

»Und das ist kühler?« Der ironische Unterton in seiner Stimme war nicht zu überhören.

Carlina lachte. »Nein, aber man kann sich am Strand einfach draufsetzen.«

Nach einer langen Autofahrt über die völlig verstopfte autostrada 11 kamen sie endlich am Hotel an. Carlina seufzte erleichtert auf. Sie konnte es gar nicht abwarten, auf ein wenig Distanz zu ihrer immer anstrengenderen Familie zu gehen, sich in ihren Bikini zu werfen und ins Meer zu springen oder sich auf ihrem Bett mit dem frischen, kühlen Bettlaken auszustrecken.

Glücklich schaute sie auf die bekannte Fassade des Hotels. Es war ein niedriges Steinhaus, breiter als hoch, obwohl es drei Stockwerke hatte, und es war in den typischen Farben der Toskana gestrichen: ein gewischtes Orange mit dunkelgrünen Holzläden. Eine Seite des Hauses war bis zum Dach mit Efeu bewachsen.

Die verschnörkelten Buchstaben mit dem Namen des Hotels, Albergo Giardino, hatten die gleiche Farbe wie die dunkelgrünen Fensterläden und zusätzlich einen schmalen, goldenen Streifen obenauf, als wäre die Sonne gerade hinter ihnen untergegangen. Dicht belaubte Olivenbäume umringten das Hotel wie silbrig-grüne Wolken. Auf der Terrasse standen vier große Terrakottatöpfe, die bis zu den Hüften reichten und mit blühenden Bougainvilleen überschäumten. Carlina atmete die ruhige Eleganz und einfache Schönheit des Grundstücks ein. Auf einmal waren all die glücklichen Ferien, die sie hier verbracht hatte, wieder da. Sie erinnerte sich noch an ihre Begeisterung, als sie eine Eidechsenfamilie unter einem der Terrakottatöpfe entdeckt hatte. Es waren wunderbare Sommer gewesen.

Direkt unter dem Hotellogo befand sich die doppelte Glastür, die jetzt weit offen stand und sie willkommen hieß. Die Familie stürzte sich wie eine Welle in die Lobby. Tante Violetta in ihrem Rollstuhl war die Erste, geschoben von Omar. Carlinas Mutter Fabbiola folgte mit ihrer Nichte Emma und Emmas Ehemann Lucio, umgeben von unzähligen Koffern. Als Nächstes kam Onkel Teo. Carlina hatte ihm einen Arm gereicht, um ihm aus dem Bus zu helfen, und hielt ihn noch, als sie den Angestellten hinter dem Tresen sah. Sie schnappte nach Luft und machte unwillkürlich einen Schritt zurück.

Stefano schaute sie erstaunt an. »Was ist los?«

»Ich kenne den Typen da.« Sie starrte das runde Gesicht mit den dichten Locken an. »Aber als ich ihn zuletzt gesehen habe, hat er nicht in einem Hotel gearbeitet.«

»Was hat er denn getan?« Stefanos Frage war kurz und treffend, so typisch für ihn.

»Er war ein Verkäufer, der versuchte, mich einzuschüchtern und zu betrügen.«

Stefanos Augenbrauen gingen in die Höhe, aber bevor er etwas sagen konnte, erfüllte Tante Violettas laute Stimme den kleinen Empfangsbereich. »Was soll das heißen, ich habe Zimmer Nummer zwölf? Da müssen Sie sich irren, junger Mann! Ich bin immer in Zimmer vier und das ist schon so, seit wir vor siebzehn Jahren zum ersten Mal hier gewohnt haben. Das wird auch dieses Jahr nicht anders sein, hören Sie? Was ist überhaupt mit signor Alberi geschehen? Er hat immer dafür gesorgt, dass ich das Zimmer bekomme, das ich brauche.«

Die kleinen Augen des Rezeptionisten verengten sich. »Er ist gegangen.« Sein Ton war schon eine Beleidigung.

»Nun, das ist ein Jammer«, sagte Tante Violetta streng, »aber ich bin sicher, dass wir das Problem trotzdem lösen können. Man hat Ihnen vermutlich nicht mitgeteilt, dass Sie Zimmer Nummer vier für mich reservieren müssen.«

Der Angestellte schaute sie ohne jegliche Gemütsregung an. »Ich fürchte, das ist nicht ganz so einfach.«

»Ach nein, junger Mann?« Tante Violettas erheblicher Umfang schien in dem Rollstuhl noch anzuwachsen. »Nun, das werden wir sehen. Wo ist der Hotelchef?«

Ein schwaches Lächeln glitt über sein rundes Gesicht. »Ich bin der Hotelchef.«

»Sie?« Ihre Stimme war voller Unglauben.

»Ja. Sie müssen es einfach akzeptieren, wenn ich Ihnen mitteile, dass Zimmer Nummer vier nicht frei ist.«

»Ich werde überhaupt nichts akzeptieren!« Tante Violettas Gesicht wurde lila. »Wir können immer noch in ein anderes Hotel gehen!«

»Es ist ferragosto«, sagte der Manager mit einem höhnischen Lächeln. »Alles ist ausgebucht. Sie werden kein einziges freies Zimmer irgendwo finden, geschweige denn acht.«

»Sie scheinen nicht zu verstehen, dass die Mantonis Stammgäste sind und es auch gewohnt sind, als solche behandelt zu werden. Ich denke mal, dass es nicht so einfach ist, jeden Sommer auf einen Schlag acht von dreizehn Zimmern zu vermieten.« Tante Violetta schloss den Mund mit einem hörbaren Schnappen.

»Um ferragosto herum kann ich dieses Hotel ohne die geringsten Schwierigkeiten komplett vermieten«, sagte der Manager, »mit oder ohne Mantonis.«

Der ganze Clan sog entsetzt die Luft durch die Zähne.

Carlina ließ Onkel Teos Arm los und eilte zur Rezeption. »Buongiorno, signor Rosari.«

Seine Augen weiteten sich. »Signorina Ashley. Was machen Sie hier?«

Sie lächelte ihn bewusst nett an. »Ich bin zufälligerweise ein Mitglied der Mantoni-Familie.« Sie fühlte Stefanos ruhige Gegenwart direkt hinter sich. Es war gut zu wissen, dass er sie ihre Kämpfe alleine ausfechten ließ, aber bereitstand, um ihr zu Hilfe zu eilen, wenn es nötig war. »Sie sehen doch, dass meine Großtante im Rollstuhl sitzt, also können Sie ihr natürlich nicht die Nummer zwölf geben, die sich im ersten Stock befindet.«

Sie wusste, dass die Zimmer im Hotel logisch durchnummeriert waren – die fünf Zimmer im Erdgeschoss hatten einstellige Nummern. Im ersten Stock begannen die Zimmer alle mit einer eins und im zweiten mit einer zwei. Es befanden sich vier Zimmer in jedem Stockwerk, mit Ausnahme des Erdgeschosses, wo es fünf gab, weil drei etwas kleiner waren.

Signor Rosari schaute sie genauso an wie damals, als er versucht hatte, sie dazu zu bringen, Unterwäsche zu kaufen, die sie nicht gebrauchen konnte. Ein Schauer überlief sie.

»Die Zimmer im Erdgeschoss stehen leider nicht zur Verfügung. Wir haben alle Zimmer im ersten und zweiten Stock für Ihre Familie reserviert, sodass Sie ganz unter sich sind. Ich bin sicher, dass Ihre Großmutter Zimmer zwölf über den Fahrstuhl leicht erreichen kann.« Er warf einen Stapel altmodischer Schlüssel mit Holzanhängern auf den Tresen. »Ich habe den Check-in schon entsprechend vorbereitet und möchte jetzt gern fortfahren.«

Bevor Carlina antworten konnte, rollte eine zweite Welle Mantonis in die bereits überfüllte Lobby. Benedetta und ihre erwachsenen Kindern Annalisa und Ernesto sowie ihr Lebensgefährte Leopold Morin winkten, während sie durch die Tür stürmten.

»Wir sind da! Endlich!« Ernesto, Carlinas achtzehnjähriger Cousin, galoppierte mit einem breiten Grinsen durch die Lobby. Seine roten Haare standen sorgfältig gegelt in die Höhe, und eine Wolke Aftershave folgte ihm, als er Carlina und Stefano auf die Schultern klopfte. »Seid ihr schon eingecheckt?«

Carlina war erstaunt, dass Ernesto, der sonst einer der ruhigeren Vertreter des Clans war, ganz vorne mitmischte. Und seit wann benutzte er so ein betäubendes Aftershave? Sie schob die Gedanken zur Seite. »Na ja, wir versuchen es gerade.« Sie achtete darauf, dass ihre Stimme trocken klang. »Aber es ist nicht so einfach wie gedacht.«

Signor Rosari warf ihr einen bösen Blick zu, dann wandte er sich an Ernesto. »Wir können sofort anfangen. Wie ist Ihr Name?«

»Ernesto Santorini.« Ernesto strahlte ihn wie ein begeistertes Hundejunges an.

»Bitte schön.« Der Hotelmanager nahm einen Schlüssel und schob ihn über den Tresen. »Nummer fünf.«

»Super, danke!« Ernesto schnappte ihn und drehte sich zur Seite, um zu gehen.

»Aber das ist ein Zimmer im Erdgeschoss!«, schrie Tante Violetta mit aller Kraft.

Ernesto machte einen erschrockenen Luftsprung und schaute die Matriarchin der Familie mit weit aufgerissenen Augen an. »Wie bitte?«

Der Manager blickte Tante Violetta vernichtend an. »Ja, aber es ist ein Einzelzimmer. Tatsächlich ist es das kleinste Zimmer, das wir im ganzen Hotel haben, und Sie haben ausdrücklich ein Doppelzimmer bestellt.«

Tante Violetta riss die Augen entsetzt auf. »Natürlich brauche ich ein Doppelzimmer. Omar muss doch nach mir sehen können.«

Der Manager nickte. »Und deshalb können Sie nur in Zimmer zwölf wohnen. Wie gesagt, die Doppelzimmer im Erdgeschoss sind alle belegt.«

Carlina runzelte die Stirn. »Aber vor einer Minute haben Sie doch gesagt, dass Sie alle Zimmer im ersten und zweiten Stock für uns reserviert haben!«

Ernesto fiel ihr ins Wort. »Ich hatte immer Zimmer fünf!« Er umklammerte den Schlüssel, als ob jemand versuchte, ihn ihm abzuringen.

»Oh Madonna, nicht noch einer«, sagte der Manager so laut, dass Carlina es hören konnte.

Sie entschied sich, es zu ignorieren, und wandte sich an Tante Violetta. »Warum nimmst du nicht erst mal Ernestos Zimmer, Tante Violetta?«

»Erwartest du von mir, dass ich ohne Omar auskomme?« Tante Violetta verzog die Mundwinkel.

»Zu Hause schlaft ihr doch auch nicht in einem Zimmer, oder? Ich denke, es wäre im Moment die einfachste Lösung.«

»Nein!« Ernesto sprach mit nie dagewesener Härte. »Ich möchte Zimmer fünf behalten!«

Carlina starrte ihn an. Was war aus ihrem tiefenentspannten Cousin geworden?

»Ernesto!« Benedetta erschien neben ihrem Sohn, den rot geschminkten Mund missbilligend verzogen. »Wo sind denn deine Manieren? Was macht es für einen Unterschied, welches Zimmer du hast?«

»Ich denke mal, er will sein Zimmer nicht mit Omar teilen«, sagte Tante Violetta.

»Nein! Das ist es überhaupt nicht!« Ernesto schaute sich mit weit aufgerissenen Augen um, dann schnappte er sich Omars Arm und drückte ihn. »Ich habe überhaupt kein Problem damit, mit dir in einem Zimmer zu wohnen, Omar. Es ist nur … ich mag Zimmer fünf halt am liebsten.«

Der Rest der Mantonis starrte ihn an, als ob er gerade behauptet hätte, er würde ab sofort jeden Abend um Punkt sieben zu Bett gehen.

Onkel Teo richtete sich zu seiner vollen Größe auf, sodass er gerade bis zu Ernestos Schulter reichte. »Ich denke, du solltest deine Entscheidung noch einmal überdenken, Ernesto. Wenn es Tante Violetta hilft, willst du doch nicht egoistisch sein, oder?«

Ernesto wurde bis zu den Wurzeln seiner roten Haare rot. »Nein. Natürlich nicht. Ich …« Er brach ab und biss sich auf die Lippe. Nach einem sichtbaren inneren Kampf streckte er die Hand aus. »Hier ist der Schlüssel, Tante Violetta.«

»Vielen Dank, mein Junge.« Tante Violetta nahm den Schlüssel an sich und lächelte. »Das ist sehr nett von dir.«

»Können wir jetzt mit dem Check-in fortfahren?«, fragte der Manager gelangweilt. »Ich habe heute noch ein paar andere Dinge zu tun.«

Eine halbe Stunde später hatten sich die Mantonis im Gebäude verteilt und ihre Zimmer in Besitz genommen.

»Nun, mein Herz, wenn es so weitergeht, wie es angefangen hat, werde ich wohl nicht zu traurig sein, wenn ich am Sonntagabend nach Florenz zurückfahren muss.« Stefano Garini zog sich das Hemd über den Kopf und ließ es auf das breite Doppelbett fallen. Er sprach in Richtung der offenen Badezimmertür, wo Carlina sich das Gesicht wusch.

Carlina schaute rasch zu ihm hinüber. Sie freute sich über den Anblick seiner breiten Brust, doch seine Worte machten sie nervös. Schnell zog sie ihren Bikini an und warf ein frisches Sommerkleid über ihren Kopf, dann kam sie aus dem Bad und legte ihre Arme um seinen Hals. »Verzweifle noch nicht. Sie werden sich jetzt erst mal alle einleben und beruhigen, und dann wird es schön werden.«

»Hmm.« Er küsste ihren Hals. »Ich hoffe nur –«

Ein scharfer Knall von draußen ließ Carlina zusammenzucken. »Was war das?«

Stefano zog den Mund schief. »Tante Violetta hat den Manager erschossen?«

Sie kicherte. »Nun bleib mal ernst.«

Es knallte noch ein paarmal.

Carlina ging zum Fenster und schaute hinaus. Ihr Zimmer war im dritten Stock mit Aussicht auf den Garten. Die Sonne hatte die Pinie neben ihrem Fenster aufgeheizt und mit der sanften Brise wehte ein herrlicher Duft von Pinie und Sommer in den Raum. Carlina holte tief Luft. Weiter weg konnte sie eine Ecke des funkelnden, blauen Pools sehen und einen rot-weiß gestreiften Sonnenschirm. Dann entdeckte sie eine Gruppe von Teenagern, die in einem Kreis auf dem Kiesweg standen, der rund um das Hotel führte. Sie fing an zu lachen. »Sie testen gerade Feuerwerkskörper. Wahrscheinlich können sie es nicht erwarten, dass heute Abend das große Ferragosto-Feuerwerk beginnt. Komm mit, ich möchte im Meer schwimmen gehen.« Sie nahm Stefanos Hand und zog ihn zur Tür hinaus.


Zwei Stunden später lag Stefano auf seinem Liegestuhl ausgestreckt am Strand. Sie hatten zwei dieser lettini vom Beach Club gemietet. Er nahm einen Schluck von seinem kühlen Bier, streckte sich und steckte eine Hand hinter den Kopf, während er sich mit unbeweglichem Gesicht die Umgebung ansah.

Carlina hob ihr Lemonsoda und prostete ihm zu. »Na, habe ich zu viel versprochen?« Sie zeigte auf den Sand und das blaue Meer direkt vor ihnen.

Er wandte den Kopf und lächelte sie an. »Nein, hast du nicht. Und wenn ich mich nur auf dich und deinen Bikini konzentriere – und ich muss sagen, das ist ein wirklich netter Bikini, den du da anhast –, kann ich fast vergessen, dass Emma zwei Liegestühle weiter beleidigt ist, weil sie keinen Liegestuhl in der ersten Reihe bekommen hat, dass Tante Violetta ihren Liegestuhl vier Reihen weiter bis zum Limit belastet, dass deine Mutter und Benedetta sich lautstark über die Qualität der mitgebrachten Salami streiten, dass Annalisa am Strand auf und ab stolziert und ihre Haare schüttelt, sobald ein gut aussehender Mann vorbeiläuft, und –«

»Schhh.« Carlina beugte sich vor und legte ihm einen Finger auf den Mund. »Schließe einfach nur die Augen und entspanne dich. Die Sonne wird sie müde machen und bald werden sie alle ein Nachmittagsschläfchen halten. Mit geschlossenen Augen kannst du so tun, als wärst du ganz allein auf der Welt.«

»Ha.« Stefano fing ihre Hand ein und küsste ihre Fingerspitzen. »Ich habe nicht gesagt, dass ich das möchte. Eine Person zumindest sollte ganz nahe bei mir sein.«

Carlina lächelte. »Das ist sie.«

Er lächelte zurück.

Halte diesen Augenblick fest. Genieße ihn und schließe ihn in dein Herz ein. Carlinas Herz schlug schneller, als sie in seine Augen blickte, die sonst so häufig kühl und distanziert aussahen.

»Carlina!« Benedetta erschien aus dem Nichts und stemmte die Hände auf die Hüften, den rot geschminkten Mund nach unten gezogen.

Stefano ließ Carlinas Hand fallen und lehnte sich mit einem Seufzer zurück. »Ich wusste, dass es nicht lange anhalten würde.«

»Was ist los?« Carlina hörte, wie scharf ihre Stimme klang, und versuchte, ihre schlechte Laune in den Griff zu bekommen. Ihre sanfte Tante verdiente es nicht, angefaucht zu werden. »Ist etwas passiert?«

»Ich habe Ernesto nicht mehr gesehen, seit wir angekommen sind. Hast du irgendeine Ahnung, wo er sein könnte?«

»Ernesto?« Carlina schaute sich auf dem überfüllten Strand um. »Vielleicht hat er ein paar Freunde getroffen und ist Beachvolleyball spielen gegangen? Du weißt doch, dass er hier jedes Jahr die gleichen Freunde trifft.«

Benedetta runzelte die Stirn. »Ja, das weiß ich. Sie spielen dort drüben.« Sie zeigte auf einen Teil des Strands, wo die rot gestreiften Schirme von einer blau gestreiften Variante abgelöst wurden, ein klares Zeichen, dass dieser Strandabschnitt einem anderen Besitzer gehörte. »Aber er ist nicht dabei. Ich habe schon geschaut.«

»Dann siehst du ihn bestimmt zum Abendbrot, Benedetta.« Carlina lächelte ihre übervorsichtige Tante an. »Gib ihm ein wenig Luft zum Atmen. Er ist jetzt erwachsen, weißt du.«

Benedetta seufzte. »Das weiß ich doch. Aber er hat sich in den letzten Wochen sehr seltsam verhalten. Erst hat er sich riesig auf die Ferien hier gefreut und jetzt ist er ohne ein Wort verschwunden. Das passt nicht zu ihm. Ich habe versucht, ihn anzurufen, aber er hat sein telefonino ausgeschaltet.«

»Vielleicht ist er ja schwimmen. Du weißt doch, dass er wie ein Delphin schwimmt. Also mach dir keine Sorgen. Genieß die Sonne und deine Zeit mit Leo und frag ihn heute Abend einfach, wo er war. Es ist bestimmt etwas völlig Harmloses, und er hat nur vergessen, dir Bescheid zu sagen.«

Benedetta schüttelte den Kopf, murmelte etwas vor sich hin und ging dann den Strand entlang, eine Hand vor der Stirn, sodass ihre Augen im Schatten lagen und sie den überfüllten Strand absuchen konnte.

»Sie wird sich nicht entspannen, bis er neben ihrem Liegestuhl sitzt und im Sand buddelt.« Stefano trank sein Bier aus und lehnte sich zurück.

»Du bist gemein.« Carlina hob eine Handvoll Sand auf und ließ ihn auf seinen flachen Bauch rieseln.

»Lass das!« Er schob sich den Sand vom Bauch. »Und nein, ich bin überhaupt nicht gemein. Mir tut Ernesto nur ehrlich leid. Er ist der einzige junge Mann in einem Haus voller Frauen und seine Situation ist wirklich nicht beneidenswert.«

»Er wird es schon schaffen. Immerhin hat er noch mich, und ich bin immer da, um ihm zu helfen.«

Stefano seufzte. »Genau deshalb mache ich mir ja solche Sorgen.«

Kapitel 2

Am nächsten Morgen erschien Tante Violetta in Toplaune beim Frühstück. Ihre hellen Augen überblickten den Raum wie die eines Generals, der seine Truppen prüft. Dann schoss sie in ihrem Rollstuhl so rasch nach vorne, dass mehrere überraschte Leute aus dem Weg springen mussten. Als sie sich einen Platz neben Carlina gesichert hatte, winkte sie der jungen Kellnerin zu.

Die Kellnerin, ein schmales Mädchen mit einem scheuen Lächeln, sprang eilig auf sie zu. Anscheinend hatte sie instinktiv erfasst, wann sie besonders aufpassen musste.

Tante Violetta sagte zu ihr in einem Ton, von der sie glaubte, dass er ein Flüstern war, die aber tatsächlich den ganzen Raum ausfüllte: »Buongiorno! Wie heißen Sie?«

»Ich bin Nora.« Ihre Stimme war weich und freundlich, und ihr langes Haar hing in einem dicken Zopf ihren Rücken hinunter.

»Wie? Sie müssen schon deutlich sprechen, mein Mädchen. Nicht so vor sich hin brummeln!«

Nora schaute sie erschrocken an, dann blickte sie fragend zu Carlina.

Carlina nickte ihr ermutigend zu.

Nora hob die Stimme und rief: »Ich heiße Nora.«

Tante Violetta lächelte. »Das ist schon besser. Nun, Nora, könnten Sie mir bitte einen Gefallen tun?«

Nora sah ein wenig überrascht aus, aber sie nickte und rief: »Natürlich.«

»Bitte zeigen Sie mir die Leute, die in dem Zimmer neben mir schlafen, Zimmer Nummer vier.«

Nora schaute sich im Raum um. »Sie sind noch nicht da. Oh, doch, da kommen sie gerade.« Sie machte eine diskrete Handbewegung in Richtung eines Paares im mittleren Alter, das gerade den Frühstücksraum betrat. Er gähnte, als er hereinkam, und sie hatte tiefe Ringe unter den Augen.

Nora hatte ihre Stimme wieder auf ein normales Niveau gesenkt, aber Tante Violetta hatte keine Schwierigkeiten, die Geste richtig zu interpretieren. »Brillant. Danke. Könnten Sie mir bitte eine Tasse Kaffee bringen?«

»Sehr gern.« Nora eilte in die Küche.

Tante Violetta rollte ihren Rollstuhl nach vorne und schaffte es gerade eben so, das müde Paar nicht zu überfahren, als sie zwei Zentimeter vor ihnen anhielt.

Stefano biss ein Stück von seinem Blätterteiggebäck ab und folgte ihr mit den Augen. »Was hat sie nun wieder vor?«

Carlina runzelte die Stirn und trank einen Schluck von ihrem cappuccino. »Ich habe keine Ahnung.«

Das Paar mittleren Alters blinzelte überrascht, schaffte es aber, der beeindruckenden alten Dame in dem Rollstuhl gefasst Guten Morgen zu sagen.

»Buongiorno!« Tante Violettas Stimme füllte den Raum wie ein Nebelhorn. »Haben Sie gut geschlafen?«

Ein höfliches Lächeln war die Antwort. »Ja, vielen Dank.« Das Paar wandte sich zum Buffet.

»Wirklich?« Tante Violetta schob ihren Rollstuhl nach vorn, sodass das Paar nicht entkommen konnte. »Um ehrlich zu sein, sehen Sie ein wenig müde aus.«

Die Frau lächelte sie verspannt an. »Na ja, das stimmt schon. Wir haben gar nicht gut geschlafen. Jemand im Nachbarzimmer hatte die ganze Nacht den Fernseher laufen. Es war so laut, dass wir jedes einzelne Wort verstanden haben, ganz fürchterlich. Wir haben an die Tür geklopft, aber es kam keine Antwort. Dann haben wir die Rezeption angerufen, aber als wir uns endlich dazu durchgerungen hatten, diesen Schritt zu gehen, war schon keiner mehr erreichbar.«

Ihr Mann rieb sich mit der Hand über die roten Augen. »Ich war ja dafür, die Polizei zu rufen, aber meine Frau wollte keine Szene machen.«

Tante Violetta hüpfte einmal gekonnt in ihrem Stuhl hoch, als ob sie sich erschreckt hätte. »Ach, du lieber Himmel.« Sie machte große Augen und bedeckte ihren Mund mit einer runzeligen Hand. »Das tut mir schrecklich leid. Ich glaube, das war ich.«

Stefano warf Carlina einen Blick zu. »Denkst du auch, was ich gerade denke?«

Carlina schluckte. »Ich hoffe nicht.«

Die müde Frau starrte Tante Violetta an. »Sie waren das?«

»Ich fürchte ja.« Tante Violetta brachte ein zittriges Lächeln zustande. »Sehen Sie, wir hatten ein Doppelzimmer für mich und meinen Sohn gebucht, aber durch einen Fehler der Hotelleitung konnte ich nur noch ein Einzelzimmer hier im Erdgeschoss bekommen.« Sie machte eine leichte Geste zu ihrem Rollstuhl hin. »Man hatte uns zwar ein Doppelzimmer im ersten Stock reserviert, aber das wäre natürlich zu unpraktisch gewesen, mit dem Rollstuhl und überhaupt, also haben wir uns getrennt.«

»Ich glaube das jetzt einfach nicht«, sagte Stefano leise.

»Ich schon.« Carlina konnte ihren Blick nicht abwenden.

Tante Violetta war nun voll in ihrem Element. Mit einem mitleidsheischenden Blick baute sie ihre sorgfältig vorbereitete Geschichte weiter aus. »Ich muss gestehen, dass ich mich ein wenig fürchte, wenn ich alleine an einem fremden Ort schlafen muss, weil ich ja eine hilflose alte kranke Frau bin.«

»So hilflos wie ein Tiger in den besten Jahren«, murmelte Stefano.

Carlina trat ihm auf den Fuß.

»Also, um mich zu beruhigen und mich nicht mehr so allein zu fühlen, habe ich den Fernseher angemacht und die ganze Nacht laufen lassen. Vielleicht war es etwas zu laut für Sie, weil ich ein wenig taub bin.«

Carlina fing an, sich vor unterdrücktem Lachen zu schütteln. »Und außerdem schläft sie mit Ohrstöpseln, also kann man davon ausgehen, dass sie nachts stocktaub ist.« Sie sprach so leise, dass nur Stefano sie hören konnte.

Das Gesicht des müden Ehemanns rötete sich. »Sie meinen, Sie haben die ganze Nacht hindurch geschlafen, trotz dieses … dieses höllischen Krachs?«

Tante Violetta schaute ihn verlegen an. »Ich fürchte ja.« Sie breitete ihre Hände aus. »Was können wir da tun?« Sie senkte den Kopf so, als würde sie nachdenken, dann hob sie ihn mit funkelnden Augen wieder. »Ich glaube, ich habe die perfekte Lösung!«

»Wirklich?« Die erschöpfte Ehefrau klammerte sich am Arm ihres Mannes fest. »Sie meinen, Sie werden heute Nacht nicht den Fernseher anstellen?«

Tante Violetta schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe eine viel bessere Lösung. Wir tauschen einfach die Räume.«

»Die Räume tauschen?« Der Ehemann zuckte zurück. »Aber ich will keine –«

Tante Violetta unterbrach ihn ohne die geringste Schwierigkeit. »Es wäre die ideale Lösung all unserer Probleme! Sie könnten den Raum bekommen, der direkt über Ihrem aktuellen Zimmer liegt. Das ist das Zimmer, in dem mein Sohn und mein Neffe gerade wohnen. Wussten Sie, dass es ein Zimmer mit Meerblick ist? Und ich würde zusammen mit meinem Sohn in Ihr Zimmer ziehen, sodass ich den Fernseher gar nicht mehr anstellen muss, um mich sicher zu fühlen. Und mein Neffe, der sich gerade das Zimmer mit meinem Sohn teilt, könnte mein Einzelzimmer bekommen. Was halten Sie davon?«

Das Paar blinzelte. »Ich fürchte, ich bin nicht ganz mitgekommen.« Die Stimme der Frau klang schwach.

Tante Violetta zeigte die Zähne in einer recht guten Imitation eines Lächelns. »Sie nehmen das Zimmer meines Sohns. Ich nehme Ihres. Das war's.« Wieder breitete sie die Hände aus. »Ganz einfach. Und alle sind glücklich.«

Die müde Frau wandte sich an ihren Mann. »Ich denke, das könnten wir machen, oder, Liebling? Eigentlich wollten wir ja von Anfang an ein Zimmer mit Meerblick haben.«

Der Ehemann verengte die Augen. »Würde es mehr kosten?«

»Aber keinesfalls.« Tante Violetta schüttelte den Kopf. »Wissen Sie was, ich kläre das jetzt auf der Stelle mit der Hotelleitung.« Sie strahlte die beiden Eheleute an und manövrierte ihren Rollstuhl zurück. »Es ist wirklich eine Freude, mit so intelligenten und flexiblen Menschen wie Ihnen zu tun zu haben. Wenn alle Menschen wie Sie wären, hätten wir weniger Kriege.«

Stefano zuckte zusammen. »Sie übertreibt.«

»Oh nein.« Carlinas Stimme schwankte vor Lachen. »Schau sie dir an, sie sind ganz hingerissen. Die Frau ist ja sogar vor Freude errötet.«

Alle starrten Tante Violetta hinterher, die in Blitzgeschwindigkeit durch die Tür in Richtung Lobby raste.

»Ich kann einfach nicht glauben, dass sie es geschafft hat. Was für eine unglaubliche Frau.« Stefano schüttelte den Kopf. »Und wen meinte sie überhaupt mit ihrem Neffen? Ernesto ist doch gar nicht ihr Neffe, oder?«

»Nein, natürlich nicht, aber es ist einfacher so. Sie ist ja auch gar nicht meine Großtante, wenn ich richtig darüber nachdenke. Eigentlich ist sie –«

Stefano hielt eine Hand hoch. »Nein, nein, sag es mir nicht, es ist mir völlig egal. Sie ist ein Mantoni-Familienmitglied, das reicht mir völlig.« Er starrte immer noch in Richtung der Tür, obwohl Tante Violetta schon lange nicht mehr zu sehen war. »Eine, die wirklich alle Erwartungen erfüllt, das muss ich schon sagen.«

Die junge Kellnerin Nora kam mit roten Wangen und leicht außer Atem aus der Küche. Die Tasse zitterte in ihrer Hand. »Es tut mir leid, dass es so lange gedauert hat. Hier ist der Kaffee.« Sie schaute sich um. »Aber wo ist sie denn hin?«

»Sie ist gleich wieder da.« Carlina lächelte sie an. »Sie können den Kaffee hier stehen lassen – und machen Sie sich keine Sorgen, weil Sie spät dran waren. Sie war anderweitig beschäftigt und hat es gar nicht gemerkt.«