Ilona Einwohlt

Erdbeersommer

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Ilona Einwohlt,
geb. 1968, war ein richtiges Pferdemädchen, bevor Germanistikstudium und
Familie wichtiger wurden als der Stall und sie mit dem Schreiben begann.
Seither sind aus ihrer Feder unzählige Bücher für Kinder und Jugendliche
geflossen. In ihrem neuen Roman »Erdbeersommer« verbindet die Autorin der
bekannten »Sina«-Reihe erstmals die Leidenschaft für Pferde mit ihrem
Sehnsuchtsort, der stürmischen Nordsee, und erzählt von den Verwirrungen der
ersten Liebe. Ilona Einwohlt lebt mit ihrer Familie in Darmstadt.

Mehr unter www.ilonaeinwohlt.de

Weitere Titel von Ilona Einwohlt im Arena Verlag:
Alicia. Unverhofft nervt oft
Alicia. Wer zuerst küsst, küsst am besten
Alicia. Liebe gut, alles gut!!!
Drillingsküsse. Wen lieb ich und wenn ja, wie viele?

S. 139–140, Hanna Hanisch: Wenn die Nebelfrau kocht …
Der Rechteinhaber konnte nicht ermittelt werden. Wir bitten diesen sich
gegebenenfalls mit dem Verlag in Verbindung zu setzen.

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1. Auflage 2016
© 2016 Arena Verlag GmbH, Würzburg
Alle Rechte vorbehalten
Einbandgestaltung: Frauke Schneider
Lektorat: Kerstin Kipker
ISBN 978-3-401-80586-3

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Das Leuchtturmmädchen

Vor vielen, vielen Jahren, vielleicht im vorletzten Jahrhundert, lebte ein Leuchtturmwärter gemeinsam mit seiner Tochter in einer alten Kate am Dorfrand. Die Mutter war bei der Geburt des Mädchens gestorben und der ehrbare Mann hatte nie wieder geheiratet. Tagsüber versorgte er seine über alles geliebte Tochter Gesche, pünktlich zur Dämmerung aber machte er sich auf den Weg zu seinem Arbeitsplatz im Leuchtturm, wo er Nacht für Nacht Wache am Leuchtfeuer hielt; die Tochter ließ er in der Obhut einer Amme. Der Turm war vor etlicher Zeit ein paar Hundert Meter vom Land entfernt ins Meer gebaut worden, je nach Witterung und Tide mal mehr, mal weniger beschwerlich zu erreichen.

Doch mit der Zeit hatte das Meer die Zufahrt überspült, der schmale Damm war nur mit Mühe und Ortskenntnis zu passieren; der Leuchtturmwärter nahm deswegen ein Boot. Der Lauf der Jahre sowie das nächtliche Wachen hatten ihm zugesetzt, Gicht und Husten plagten ihn – und nur die wärmende Suppe und die Liebe seiner Tochter hielten den alten Mann bei Gesundheit und Verstand. Die zu einer stattlichen jungen Frau herangewachsene Gesche kümmerte sich rührend um ihren zunehmend gebrechlichen Vater, half den Fischersfrauen und Näherinnen im Dorf, womit sie ihnen beiden ein kärgliches Zubrot sicherte. Eines Abends jedoch vergaß der Vater, seine Brotzeit mitzunehmen, er war in jüngster Zeit fahrig und vergesslich geworden – aber zu spät, sein Boot hatte bereits abgelegt. Da fasste Gesche jenen verhängnisvollen Entschluss: Obwohl es stürmte und der Neumond bis Mitternacht die Springflut über die Deiche treiben würde, wollte sie ihrem geliebten Vater die Suppe bringen. So ritt sie auf ihrem Schimmel hinaus in der Hoffnung, durchs Watt den Weg bis zum alten Damm und damit zum Leuchtturm zu finden. Schließlich war sie an der Küste aufgewachsen und kannte den Wattboden samt seinen Prielen in- und auswendig. Doch dichter Nebel und eine tiefdunkle Nacht lockten sie in die falsche Richtung. Dachte sie, dort das Licht des Leuchtturms zu sehen, war es die Funzel eines Fischerbootes. Meinte sie, festen Boden unter den Hufen ihres Pferdes zu spüren, war es die trügerische Festigkeit einer Sandbank im Meer. Niemand weiß, wie lange Gesche in jener Nacht durchs Watt irrte, bis die Flut sie und ihr Pferd für immer verschlang. Den Leuchtturmwärter fand man am nächsten Morgen tot in seinem Turm.

Bei Ebbe kann man das abgebröckelte Fundament des alten Leuchtturms heute noch sehen, längst wurde an anderer Stelle ein neuer errichtet. Den Steg und das Boot gibt es jedoch immer noch. Und in Vollmondnächten, wenn Lichter über das aufgewühlte Wattenmeer irren und Nebelwolken die Sicht erschweren, wispern die alten Leute im Ort: Das ist Gesche auf ihrem Pferd, sie sucht ihren Vater …

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Meine Tante Isodora war so dick, dass sie nicht aufs Display passte. Egal, wie ich mein Handy drehte und wendete, ich bekam immer nur einen Teil von ihr aufs Foto: entweder ihre stämmigen Beine. Oder ihren üppigen Busen. Oder ihr fröhliches Gesicht. Nur wenn ich dreißig Meter Abstand hielt, schaffte ich eine Ganzkörperaufnahme. Aus der Ferne wirkte Isodora in ihrem bunten Kaftan wie ein Walfisch im Strandkleid. Dabei war sie mit ihren fünfzig Jahren und siebzig Kilo Übergewicht weitaus flinker als Onkel Piet, der als ehemaliger Marathonläufer höchstens die Hälfte seiner Frau auf die Waage brachte – und meistens lieber auf dem Traktor saß als im Strandkorb.

Die beiden waren meine Sommer-, Herbst- und Ostereltern. Seit ich denken konnte, verbrachte ich meine Ferien bei ihnen auf dem Friesenhof und war inmitten von Pferden, Ponys, Ziegen, Hühnern und Schafen groß geworden. Meine Mutter, die hier aufgewachsen war, hielt nichts von Landluft und das raue, unbeständige Klima der Nordsee mochte sie ebenso wenig wie das kleinkarierte Dorfleben. Lieber vergrub sie sich hinter ihren Aktenbergen, entwarf Marketingpläne für ihre Firma – am liebsten Tag und Nacht. Deswegen war sie jedes Mal froh, wenn ich in den Ferien zu ihrer Schwester fuhr, weit weg von unserem Großstadtalltag in Hamburg, denn dann konnte sie sich voll und ganz auf die Arbeit konzentrieren.

So wie in jenem Sommer, der für uns alle unvergesslich bleiben würde. Nicht nur, weil die Hinfahrt mit dem Zug statt der üblichen zwei Stunden fast drei Mal so lange dauerte. Ein Sturm hatte die Oberleitungen beschädigt und ich saß deshalb Ewigkeiten in einem kleinen Bahnhof fest, wo ich die Zeit mit endlosem Blättern im Fotoalbum meines Smartphones verbrachte. Dort hatte ich eine Sammlung meiner Lieblingsfotos von Hauke gespeichert, an denen ich mich nicht sattsehen konnte: Hauke, wie er mich anschaute, Hauke mitten im Erdbeerfeld, Hauke in den Dünen, Hauke im Sonnenuntergang …

Hauke war mein allerbester Freund. Genauer gesagt, ein feingliedriger Schimmelhengst, den ich mit der Flasche großgezogen hatte, nachdem seine Mutter bei der Geburt gestorben war. Sommerlang hatte ich auf seinem Rücken bei Wind und Wetter die Gegend erkundet, Strand, Moor, Wiese, Felder … Ich vertraute ihm blind – und er ließ sich nur von mir reiten. Während ich in Hamburg vor Sehnsucht nach ihm verging und Vokabeln büffeln musste, stand Hauke gemütlich auf der Weide und führte das beste Pferdeleben, das man sich vorstellen konnte. Ich war Piet und Isodora von Herzen dankbar dafür, dass sie mein Pferd einfach so durchfütterten und nicht auf die Idee kamen, er könne sich ja auch an jemand anderen gewöhnen.

Mit klopfendem Herzen scrollte ich durch die Fotos, nur noch wenige Stunden, dann würde ich ihn endlich, endlich wiedersehen. Ich schloss die Augen und träumte mich für einen Moment in seinen Sattel, voller Vorfreude auf unseren ersten Ausritt nach der langen Zeit. Denn natürlich wollte ich heute Abend noch ausreiten, ohne Frage, egal, wie spät ich ankommen würde!

Als es nach einer gefühlten Ewigkeit schließlich weiterging und ich Stunden später aus dem Regionalzug kletterte, war es bereits Nachmittag. Vom Meer wehte zur Begrüßung eine leichte Brise herüber. Die Luft schmeckte vertraut salzig, und als eine Möwe kreischend über den Bahnsteig segelte, fühlte ich mich sofort wie zu Hause. Suchend blickte ich mich um. Normalerweise wäre das der Moment gewesen, in dem Piet »Moin, moin, min Deern!« gerufen, meinen Rucksack geschnappt und mich Richtung Traktor bugsiert hätte. Doch heute erspähte ich meinen Onkel nirgends in der Menschenmenge, die sich auf dem Bahnsteig knäulte, obwohl ich die Verspätung längst gesimst hatte. Ich wunderte mich.

Sie hätten ja auch Wilm schicken können, dachte ich, während ich schließlich meinen Rucksack schulterte und mich auf den Weg zur Bushaltestelle machte. Der Stallknecht vom Friesenhof war für viel mehr als nur für Pferde und Fuhrwerke zuständig und es gab niemanden mit einem größeren Pferdeverstand als ihn. In diesem Moment hätte ich mich sehr darüber gefreut, neben ihn auf den Kutschbock klettern zu können und mich nach Hause bringen zu lassen, vorbei an den unzähligen Erdbeerfeldern, die im Sommer immer einen betörenden Duft verströmten. So machte ich mich allein auf den Weg und suchte nach dem passenden Bus, begleitet vom Geklapper der Fahnenmasten im Wind und dem Geschrei der Möwen am knallblauen Himmel.

Vor dem Bahnhof wimmelte es vor aufgeregten Urlaubern, die ein paar Wochen unbeschwerte Zeit an der Nordsee verbringen wollten, sich aber jetzt ärgerten, dass die Busse nicht gewartet hatten und die Taxen nicht parat standen. Unschlüssig lehnte ich mich an eine Säule und beobachtete das bunte Treiben auf dem Vorplatz: Kinder, die fröhlich zwischen Koffern und Taschen Fangen spielten, während ihre sichtlich gestressten Eltern mit Smartphone und Stadtplan hantierten. Verunsicherte Omis, die nicht wussten, wohin und wie weiter. Verliebte Pärchen, die sich nach wochenlanger Trennung endlich wieder in den Armen lagen und ausgiebig küssten …

Unangenehm berührt blickte ich schnell zur Seite, versuchte den Stich in meinem Herzen zu ignorieren, weil ich sofort an Eliyah denken musste, in den ich, wie alle Mädchen aus meiner Klasse, heimlich verknallt war. Natürlich hatte ich null Chancen bei ihm und von romantischen Küssen konnte ich nur träumen.

Erstens weil Julia, Vanessa und Pilar ihre Besitzansprüche klar definiert hatten, schließlich trugen sie BH und enge Jeans, färbten sich die Haare und hatten schon Erfahrungen mit Jungs.

Zweitens weil Eliyah einfach umwerfend gut aussah und sich locker aussuchen konnte, welches Mädchen er als Nächstes küsste.

Und drittens weil ich mit meinen feuerroten Lockenhaaren und den Dauereinsen im Zeugnis sowieso als Außenseiterin galt.

Trotzdem hatte Eliyah am vorletzten Tag vor seiner Abreise mit mir Handynummern getauscht und versprochen, mir jeden Tag eine Nachricht aus Amerika zu schicken, wo er nun seit ein paar Wochen ein Highschool-Jahr verbrachte. Natürlich hatte ich bisher noch keine einzige Message von ihm erhalten und würde es wohl auch nie. Trotzdem guckte ich ständig nach.

»Aua!« Jemand hatte mir im Vorübergehen seinen Ellenbogen in die Magengrube gehauen, für einen kurzen Augenblick wurde mir schwindelig und speiübel – und nicht nur deswegen schossen mir Tränen in die Augen.

»Kannst du nicht aufpassen!«, rief ich dem Blondschopf zu, doch der drehte sich nur lässig um und zeigte mir seinen Stinkefinger.

»Pass doch selbst auf, Feuerkopf, wem du mit deinem fetten Hintern den Weg verstellst!«

»Idiot!«

Für einen Moment starrten der Typ und ich uns feindselig an. Mir fiel auf, dass er die gleiche Augenfarbe wie Eliyah hatte. Blau.

»Großstadttussi!«, fauchte er zurück, funkelte mich noch einmal giftig an und war dann hinter einer Reklametafel verschwunden, das grelle Grün seines Fußballtrikots wehte hinterher.

»Idiot!«, wiederholte ich, atmete dreimal tief durch und versuchte, mich irgendwie zu beruhigen. Was fiel dem denn ein!

Da stand ich hier nun mitten in der Menschenmenge und fühlte mich bei der Erinnerung an Eliyah plötzlich fürchterlich einsam und alleine.

»Sei nicht so sensibel«, sagte meine Mutter immer. Auch meine Freundinnen Gizem und Kim waren der Meinung, ich solle nicht immer jedes Wort auf die Goldwaage legen. Echt ein toller Vorschlag! Ich kann schließlich nichts dafür, dass ich keine Elefantenhaut besitze und empfindlich reagiere, wenn jemand meine Gefühle verletzt oder sich einen Spaß auf meine Kosten erlaubt. Und Eliyah hatte in dieser Hinsicht ganze Arbeit geleistet. Ausgerechnet er, der Mädchenschwarm, hatte mich auf der Party bei Pilar so besonders angesehen, als ob er mich jeden Moment küssen wollte. Zum Abschied dann hatte er mir jeden Tag eine Message versprochen, doch jetzt war er einfach abgetaucht, reagierte auf keine Nachrichten von mir, stellte sich stumm und taub und blind oder alles auf einmal und nur ganz langsam kapierte ich, dass er sich mit mir einen Spaß gemacht hatte.

Zudem hatte der Typ gerade eben mit seiner fiesen Bemerkung voll ins Schwarze getroffen: Ich hatte zwar längst keinen dicken Hintern mehr wie damals in der Grundschule, als ich mich zwei Schuljahre lang nur von Chips und Pizza ernährt habe. Das war zu der Zeit gewesen, als Papa uns von jetzt auf gleich verlassen hatte und meine Mutter monatelang vor lauter Kummer nicht kochen konnte. Inzwischen hatte sie sich davon erholt und ich längst abgespeckt. Heute habe ich eine sportliche Figur, mit der ich mich echt sehen lassen kann. Trotzdem fühlte ich mich immer noch sofort angesprochen, sobald jemand mein Gewicht thematisierte.

Unschlüssig stand ich auf dem Bahnhofsvorplatz herum. Wie gut hätte es jetzt getan, wenn mich jemand vom Friesenhof abgeholt hätte! Warum hatten weder Isodora noch Piet geantwortet? War womöglich etwas passiert? Eine düstere Vorahnung machte sich in mir breit.

Abermals zückte ich mein Handy, mein Akku war so gut wie leer und das Display vermeldete keine Eingänge. Es blieb mir also nichts anderes übrig, als wieder, wie den ganzen Tag über auch schon, darauf zu warten, bis es endlich, endlich weiterging und der Bus kam.

Gefühlte Ewigkeiten später kam ich auf dem Friesenhof an, und als ich das hektische Durcheinander bemerkte, verstand ich auch, warum niemand zum Abholen an den Bahnhof gekommen war. Aus irgendeinem Grund ging es drunter und drüber. Jede Menge Urlaubsgäste warteten darauf, in die Planwagen zu klettern, die sie gleich gemütlich durchs Watt kutschieren würden, aber Piets Schimmel Luigi und Alma waren noch nicht eingespannt.

»Moin, moin, min Deern«, begrüßte mich Piet und zog mich überschwänglich in die Arme, bevor er sich gleich wieder seinen Pferden zuwendete und vor sich hinbrummelte. »Der olle Klookschieter vom Veterinäramt wollte uns verposematuckeln und beinahe nicht die Plakette geben … Jetzt müssen wir uns beeilen, wenn wir noch vor dem Hochwasser zurück sein wollen. Los, man tau, worauf wartest du noch, hol Hauke! Ich kann dich heute gut gebrauchen, bevor hier endgültig alle durchdrehen.«

»Alles klaro«, rief ich, pfefferte Rucksack und Tasche in die nächstbeste Ecke, begrüßte im Vorübereilen den weißen Hofkater Merlin und die fünf Hühner und rannte in den Stall. Dort waren in geräumigen Boxen die Gastpferde untergebracht, während ihre Besitzer Urlaub in einem der Zimmer auf dem Friesenhof machten.

Leise rief ich Haukes Namen, gleich würde er mir entgegenwiehern. Mit klopfendem Herzen lief ich durch die Stallgasse. Obwohl alle Boxen belegt sein mussten – es war schließlich Hochsaison! –, hoben sich nur wenige neugierige Pferdeköpfe. Bei dem schönen Wetter waren die meisten mit ihren Reitern unterwegs oder standen auf der Weide. Einer nicht. Denn Piet wusste, dass ich Hauke in meiner Nähe brauchte und in den Ferien am liebsten Tag und Nacht mit ihm zusammen war.

»Hauke!«

Schnalzend rief ich seinen Namen, als ich mich seiner Box näherte, sein Fell schimmerte weiß und hell durch die staubigen Gitter. Als er meine Stimme hörte, hob er mit einem Ruck den Kopf und wieherte mir freudig entgegen.

»Na du«, flüsterte ich und pustete zur Begrüßung auf seine Nüstern, während ich meinen Kopf an seinen legte. Endlich! Wie sehr hatte ich mich schreckliche lange Schulstunden danach gesehnt! Wie sehr hatte ich sein weiches Pferdemaul und seine Nasenstüber vermisst!

Hauke schnaubte sanft zurück. Am liebsten hätte ich noch eine Weile mit ihm so nah dagestanden und unser Wiedersehen ausgekostet. Aber Piet wartete. Schnell holte ich Sattel- und Zaumzeug und führte Hauke nach draußen, wo Piet, Wilm und zwei andere Männer sich gerade mit ihren voll besetzten Kutschen auf den Weg machten. Ein kleines Mädchen jauchzte vor Begeisterung, als Luigi während der Fahrt äppelte.

Oft schon hatte ich meinen Onkel bei seinen Fahrten durchs Watt begleitet. Ich kannte den Verlauf der Priele und Strömungen, die gefährlichen Stellen und wusste, wo es besser war, einen Umweg zu reiten, bevor der Wagen im Schlick stecken blieb. Jetzt ritt ich den Weg hinter den Dünen entlang, eine kleine Anhöhe noch und schon öffnete sich vor mir der breite Abgang runter an den Strand, ich hörte bereits das Meer von Ferne rauschen. Ich zügelte Hauke und schaute auf den scheinbar endlosen Strand zu unseren Füßen, der durch die ablaufende Flut noch breiter wirkte als sonst. Glücklich schmeckte ich das Salz auf meinen Lippen, über mir segelten die Möwen und der Wind spielte mit meinen Haaren.

»Hey, willst du ein Reiterdenkmal werden, Modell Rote Zora, die Schimmelreiterin?«, drang plötzlich eine vertraute Stimme an mein Ohr. Unter tausend anderen hätte ich sie erkannt!

Das war Finn, der neben mir sein Pferd gezügelt hatte und mich aus meinen Träumen und Gedanken riss. Zur Begrüßung klopfte er mir herzhaft auf die Schulter, sein sommersprossiges Gesicht strahlte dabei bis über beide Ohren. Wie immer standen ihm seine blonden, strubbeligen Haare wild vom Kopf. Ich grinste ihn an.

»Wer als Erstes bei den Wagen ist!«, rief ich ihm statt einer Begrüßung zu. Schon trieb ich Hauke in den Galopp, doch Finn war mir sofort eine Pferdelänge voraus. Sobald der Weg breiter wurde, hatte Hauke ihn wieder eingeholt und wir galoppierten Seite an Seite über den Wattboden, das Wasser unter den Hufen spritzte bis in mein Gesicht. Kurz blieb mir die Luft weg vor Glück. Das hier war mein Himmel!

Auch Finn stieß einen Juchzer aus, er war wie ich völlig pferdeverrückt und hatte seinen Wallach Morango bei Isodora und Piet unterstehen, einen temperamentvollen, braunen Holsteiner mit astreinen Papieren. Er und Morango hatten in den letzten beiden Sommern etliche Preise auf Turnieren in der Umgebung abgeräumt und galten als vielversprechendes Dreamteam. Finns Eltern gehörte der renommierte »Anker« unten am Hafen, wo es in der Saison wie überall im Ort haufenweise Arbeit gab und Finn helfen musste. Doch wann immer es möglich war, verdrückte er sich in den Stall zu den Pferden. Dann stand er Piet und Wilm zur Seite, kümmerte sich um die Lütten, wenn sie mit ihren störrischen Ponys nicht klarkamen, oder gammelte bei Schietwetter mit Mareike und mir gemeinsam im Heuschober herum, bis die Sonne wieder schien. Mit Finn konnte man stundenlang ausreiten, Zimtwaffeln um die Wette futtern oder einfach nur im Strandkorb abhängen, während einem der Nordseewind um die Nase flatterte.

»Erzähl, was gibt’s Neues?«, fragte ich und zügelte Hauke, nachdem wir die Planwagenkolonne eingeholt hatten, die vor uns durchs Watt zockelte. Diese Kutschfahrten waren bei den Feriengästen überaus beliebt und für Piet eine wichtige Einnahmequelle, erforderten jedoch bei den beteiligten Fuhrwerkführern höchste Konzentration und Professionalität. Und von den Pferden auch.

Hauke und Morango kauten zufrieden die Zügel aus der Hand und wir hielten jetzt locker mit dem letzten Wagen mit. Weiter vorne tänzelte eine schwarze Araberstute herum, die Reiterin hatte ihre liebe Mühe, sich zu halten, immer wieder bäumte sich ihr Pferd auf.

Ich grinste in mich hinein. Dass eines dieser Stadtpferde, die mit ihren Reitern zur Sommerfrische ans Meer reisten, durchging, kam in der Saison mindestens einmal pro Woche vor. Die sensiblen Tiere waren weder diese endlose Weite gewöhnt, noch waren sie in der Lage, sich in einer Planwagenkarawane einzuordnen. Und ihre Reiter besaßen in der Regel zu wenig Pferdeverstand und Erfahrung, um ihnen die freie Hand zu lassen, die sie verlangten. Wie gut, dass Piets Pferde allesamt so zuverlässig und sturmerprobt waren und den Weg durchs Watt im Schlaf kannten. Nie im Leben wären sie auf die Idee gekommen durchzugehen, dachte ich gerade, als ich plötzlich hinter uns ein Rauschen und Rascheln hörte, das eindeutig nichts mit Wind, Wellen und Meer zu tun hatte. Hauke spielte nervös mit den Ohren.

»Es gibt jede Menge Neuigkeiten –«, setzte Finn gerade an, doch er kam nicht dazu, mir zu erzählen, was alles seit den Osterferien passiert war, denn das Rauschen kam immer näher, ich hatte meine liebe Mühe, Hauke zu beruhigen, der unruhig umhertänzelte, obwohl ich die Zügel längst wieder aufgenommen hatte. Morango machte einen Satz nach vorne und Finn, der nicht damit gerechnet hatte, segelte im hohen Bogen über seinen Hals und landete unsanft auf dem Wattboden.

Erschrocken drehte ich mich um. Ein Paraglider kam von hinten direkt auf uns zu und hatte offensichtlich die Kontrolle verloren.

»Achtung! Bahn frei! Ich kann nicht mehr steuern!«, schrie der im Geschirr hängende Typ, aber das hätte er sich auch sparen können, das merkten wir auch so. Und dann ging alles ganz schnell.

Piet hatte den Unglückssegler ebenfalls längst gesehen und seine Schimmel mit harschen Kommandos zur Seite gelenkt, soweit es der tiefe Priel neben ihm zuließ. Doch für ein Ausweichmanöver mit den schwerfälligen Fuhrwerken war es längst zu spät! Der Paraglider kam immer tiefer, schwebte jetzt direkt auf uns zu, als hielte er Kurs auf die Kolonne. Hauke bäumte sich wiehernd auf, als der Typ dicht über unsre Köpfe hinwegsegelte, die Leute in den Kutschen schrien. Der Unglückspilot landete stolpernd und fluchend knapp neben Piets Wagen, der Schirm rauschte hinab – und der Nylonstoff begrub die Fahrgäste unter sich. Im gleichen Augenblick galoppierten Alma und Luigi wie von Sinnen los, die anderen Pferde sofort hinterher. Aus irgendwelchen Gründen hatte sich ein Gurt des Gleitschirms gelöst, weshalb der Typ glücklicherweise nicht mitgeschleift wurde und einfach liegen blieb. Dafür rasten jetzt die Wagen – Piets sogar samt Schirm – über den Wattboden um die Wette. Hauke wäre am liebsten hinterher, ich schaffte es kaum, ihn zu zügeln, und ritt enge Volten, damit er endlich stehen blieb. Auch der Reiterin auf der schwarzen Stute war es gelungen, einen großen Bogen zu reiten und ihr Pferd aus der Schusslinie zu bringen.

»Ach du Scheiße! Schau, ob der Idiot Hilfe braucht, und dann komm nach«, rief Finn, stieg wieder in den Sattel und drückte Morango die Hacken in die Flanke, um den durchgegangenen Kutschen hinterherzugaloppieren.

Ich nickte und sprang ab.

»Bist du okay?«, fragte ich und wollte dem Bruchpiloten die Hand reichen, um ihm beim Aufstehen behilflich zu sein. Doch ich erntete nur einen abschätzenden Blick. Irgendwie kam er mir bekannt vor.

»Echte Kerle wirft so schnell nichts aus dem Sattel«, antwortete er lässig und rappelte sich auf. »Bin ja kein Reiter!« Dabei schaute er mich abschätzend von oben bis unten an und ich wusste plötzlich, wo ich ihm heute schon mal begegnet war. Am Bahnhof.

»Wärest du mal ein Reiter!«, rutschte es mir heraus. »Dann würdest du mit deinem dämlichen Verhalten nicht das Leben von uns allen riskieren! Paragleiten ist an diesem Strandabschnitt verboten!« Dann sprang ich auf Haukes Rücken. »Los, komm, die kriegen wir«, trieb ich mein Pferd an und das galoppierte aus dem Stand in einem irren Tempo los, dass ich mich kaum halten konnte.

Glücklicherweise war es Piet gelungen, seinen Wagen mithilfe der Fahrgäste von dem Stoff zu befreien. Doch während Wilm und die anderen Fuhrwerke stoppen und wenden konnten, rasten die Schimmel immer noch wie auf der Flucht durchs Watt.

»Wir müssen sie einfangen! Du Alma, ich Luigi«, rief mir Finn zu, als wir die beiden eingeholt hatten und auf gleicher Höhe links und rechts neben Piets Wagen galoppierten.

»Die Bremsen funktionieren nicht!«, rief mir mein Onkel zu, der es aufgegeben hatte, die Schimmel zu parieren. »Ihr müsst ihnen ins Zaumzeug greifen!«

Ich nickte und versuchte von links, Alma in den Zügel zu fassen und gleichzeitig Haukes Tempo zu drosseln. Der schien verstanden zu haben und drängte Alma langsam ab. Finn hatte von der anderen Seite aus Luigi im Griff und so gelang es uns – es grenzte an ein Wunder! –, die wahnwitzige Fahrt zu stoppen. Endlich!

»Das war Rettung in letzter Sekunde, was?«, rief ich zu Finn hinüber, der noch heftiger schnaufte als Morango. Ich klopfte Hauke erleichtert den Hals und konnte kaum glauben, dass wir es geschafft hatten.

»Noch mal«, rief in diesem Moment einer von den Gästen und da fiel die Anspannung von den Leuten ab und alle lachten befreit und applaudierten und grölten und fielen sich glücklich in die Arme. Obwohl mir immer noch die Knie zitterten, lachte ich mit. Hauke gab einen tiefen Schnauber von sich, Luigi schüttelte die Mähne, als könne er selbst kaum glauben, was geschehen war.

Piet war vom Kutschbock gesprungen und klopfte seinen Schimmeln dankbar den verschwitzten Hals. »Wenn ich den Kerl zwischen die Finger kriege …«, murmelte er dabei vor sich hin und ich dachte nur, dass ich dann lieber nicht in dessen Haut stecken wollte.

»Gut gemacht«, lobte Finn Morango ausführlich und meinte damit ganz bestimmt uns alle.

»So hatte ich mir meinen ersten Ausritt auch nicht vorgestellt«, sagte ich, bevor ich neben den Wagen ritt. »Ist wirklich alles okay bei Ihnen?«, fragte ich, als ich bemerkte, dass ein kleines Mädchen weinte.

»Nichts passiert, nur der Schreck«, antwortete die Mutter und strich der Kleinen über das Haar.

»Mein Hasi ist rauuuusgefallen«, schniefte das Mädchen. »Und ohne Hasi …«

»Den finden wir, kleine Sprotte!«, versuchte Finn sie zu trösten. »Morango ist der beste Spürhund der Welt, hörst du, wie er wau-wau-schnüffel-schnüffel macht?!« Dann zeigte er auf mich. »Und das hier ist eine gute Hexenfee, die rettet sowieso alle!«, fügte er hinzu und grinste in meine Richtung.

Ich rollte die Augen. Hexenfee hatte Finn mich früher immer genannt, als wir jünger waren und diese Fantasy-Phase hatten. Wegen meiner roten Kringellocken natürlich. Und weil ich so zauberhaft gut mit Hauke zurechtkam, der sich sonst von niemandem reiten ließ, noch nicht einmal von Finn.

»Wir müssen sowieso schleunigst zurück, bevor die Flut kommt«, meinte Piet und deutete auf die Priele, die deutlich angestiegen waren. Das Wasser strömte bereits von allen Seiten, höchste Zeit, den Rückweg anzutreten. Er prüfte noch mal Gurte und Deichsel und entschuldigte sich in aller Form bei seinen Gästen für die stürmische Fahrt, bevor er zurück auf den Kutschbock kletterte. Dann ging es im gemächlichen Trab nach Hause, jeder für sich froh darüber, dass unser Wattabenteuer so glimpflich ausgegangen war, Luigi und Alma schnaubten tief.

Finn und ich ritten nebeneinander voraus und ließen unsere Blicke suchend umherschweifen, um das Stofftier der Kleinen zu finden.

»Da werden die Stadtlüdd wieder etwas zu erzählen haben«, rief ich zu Finn hinüber und musste kichern, obwohl mir der Schreck immer noch in den Knochen saß. Die Gäste liebten solche Abenteuergeschichten mit Happy End! Egal, ob jemand mitten im Watt eine Durchfallattacke bekam oder eins der Pferde durchging und seinen Reiter in einen Priel abwarf.

In diesem Moment entdeckte ich vorne etwas Kleines, Weißes auf dem Boden und zeigte nach vorne.

»Da ist das Schmuseteil von der Lütten!«, rief Finn und wir zügelten unsere Pferde.

Finn sprang ab, um sich nach Hasi zu bücken. »Matschig, aber unversehrt!«, sagte er und reichte der strahlenden Kleinen ihr Stofftier in den vorüberfahrenden Wagen.

»Wie kommt man nur auf die Idee, seinen Fallschirm direkt über die Pferde zu steuern?«, dachte ich laut nach, während wir weiterritten.

Finn verzog sein Gesicht. »Das war typisch Jan. Jan Friedrichsen. Fußballstar und Angeberarschloch. War doch klar, dass der dort herumsegeln muss, wo er das größte Publikum hat. Sag bloß, du kanntest den nicht? Seit wie vielen Jahren machst du hier schon Ferien?«

»Nie gehört, nie gesehen!« Ich schüttelte den Kopf.

»Na, das wird ein Nachspiel haben, oder?«, rief Finn rüber zu Piet.

»Das kannst du aber man glauben! Den Jung krieg ich bi de Büx! Da hätte sonst was passieren können«, polterte mein Onkel. »Aber jetzt versorgen wir erst mal die Pferde nach dem Schreck. Und dann sehen wir bei ’ner Runde Friesenschnaps weiter.« Sprachs und kutschierte in aller Seelenruhe sein Fuhrwerk an der Unglücksstelle vorbei, wo sich mittlerweile eine aufgeregte Menge um Jan scharte und wild durcheinanderredete. Der gab lautstark seine Story zum Besten von wegen Kontrolle verloren und Rettung in letzter Sekunde. Dass sein Gleitschirm weit draußen irgendwo in den Fluten lag, schien ihn nicht zu interessieren. Als er mich bemerkte, rief er augenzwinkernd: »Hey, Ginger Bitch, sehen wir uns später?«

»Keine Lust auf abgestürzte Fußballstars«, konterte ich fix, obwohl es mir beinahe die Sprache verschlug. Dass mich jemand wegen meiner feuerroten Locken aufzog und mich wahlweise als Rote Zora, Feuermelder, Ginger alias Rotschopf oder eben als Hexe bezeichnete, machte mir längst nichts mehr aus. Ginger Bitch war jedoch mit Abstand das Gemeinste, was ich bisher gehört hatte, das sagten sie noch nicht einmal in Hamburg. Wie unterirdisch war das denn?! Ich funkelte ihn böse an und erntete nur einen spöttischen Blick.

»Jeder andere hätte sich bei so einem Manöver sämtliche Knochen gebrochen«, knurrte Finn. »Warum nicht der?!«

Auf dem Friesenhof kümmerten wir uns als Allererstes um die Kutschpferde, während Piet ins Haus lief, um zu telefonieren.

»Will er diesen Jan etwa anzeigen?«, fragte ich Finn verwundert. Vorsichtig ließ ich das Wasser aus dem Schlauch über Luigis Beine laufen, strich ihm mit der Hand den Schlick aus seinen dicken Fesseln und dann vorsichtig von seinem Bauch. Zum Glück hatten sich die Tiere bei der wilden Fahrt nicht verletzt! Als wüsste Luigi, dass ich ihm etwas Gutes tue, ließ er mich gewähren und schnaubte vertraut in meine Richtung.

»Keine Ahnung, ich glaube nicht. Dein Onkel ist doch nicht der Typ, der gleich mit der Polizei kommt.« Finn zuckte mit den Schultern und zog Luigi mit dem Schweißmesser das Wasser aus dem Fell. »Aber Piet ist auf die Friedrichsens nicht gut zu sprechen, irgendeine alte Geschichte … Jans Vater ist ein angesehener Geschäftsmann, ihm gehört die große Wäscherei, bei der alle Hotels hier in der Umgebung waschen lassen. Außerdem ist er Trainer der hiesigen Mannschaft und beim DFB! Dem Sohn von Geert Friedrichsen passiert so schnell nichts, wenn du mich fragst.«

Obwohl die Sonne schon tief stand, war es für die hiesigen Nordseeverhältnisse immer noch sehr warm. Wir würden die Pferde nicht extra mit Stroh trocken rubbeln müssen und konnten sie so auf die Weide schicken, wo sie wie immer die Nacht über blieben.

»Bravo ragazzo! Heute hast du dir den Feierabend verdient …« Finn kraulte dem kräftigen Friesen zärtlich den Schopf, bevor er Luigi eine Belohnungsmöhre hinhielt.

Als Morango dran war, wurde es kompliziert. Er war weitaus empfindlicher und begann sofort herumzutänzeln, als ich mit dem Schlauch nur in seine Nähe kam.

»Schon gut, mein Hübscher, gleich vorbei«, redetet ich beruhigend mit tiefer Stimme auf ihn ein und gab den Schlauch an Finn weiter. Finn richtete den Wasserstrahl vorsichtig auf die Beine und tauchte unter den Bauch, um ihm ebenfalls den verkrusteten Schlamm abzurubbeln, ich strich ihm das Wasser aus dem Fell. Auf die gleiche Weise kümmerten wir uns dann Hand in Hand um Alma, Hauke und die anderen, bevor wir die Pferde auf die Weide brachten. Merlin stromerte uns auf der Jagd nach Mäusen hinterher.

»Hast du dir eigentlich bei deinem Sturz irgendwas getan?«, fragte ich Finn.

»Ach Quatsch. Wie war das: Das Glück der Pferde sind Reiter auf der Erde …«, sagte Finn und schaute mich von der Seite an. »Gib es zu, ich und meine Sprüche haben dir gefehlt!« Statt einer Antwort stupste ich ihn in die Seite.

Dann standen wir dicht nebeneinander über das Gatter gelehnt und schauten den Pferden zu, wie sie im Schein der warmen Abendsonne grasten. Alles war wie immer.

2

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Ich war an meinem Lieblingsort, dem besten Platz der Welt. Entsprechend fühlte ich mich nächsten Morgen beim Aufwachen frisch und ausgeruht, von Müdigkeit keine Spur mehr, die Strapazen der langen Reise waren im Schlaf verschwunden. Hier an der Nordsee bei Hauke und den anderen Pferden, bei Isodora und Piet – hier durfte ich so sein, wie ich wirklich war, hier hatte ich weder Stress mit meinen Klamotten noch mit den Mädchen aus meiner Klasse.

Zu Hause in Hamburg nervte es mich ohne Ende, jeden Morgen aufzustehen und mich in enge Jeans und ein cooles Shirt zu quetschen, das hirnlose Quatschgelaber meiner Mitschüler zu ertragen und geduldig den Lehrern zuzuhören, wenn sie zum wiederholten Male Formeln und Zusammenhänge erklärten. Ich wusste längst, um was es ging, meine Noten waren die allerbesten und wenigstens in dieser Hinsicht hatte ich keinen Stress mit meiner Mutter.

Bezüglich meiner »sozialen Kompetenzen«, wie sie sich ausdrückte, allerdings schon. Mama war der Meinung, ich hätte zu wenig Freizeit und zu wenig Spaß, weil ich ständig über meinen Büchern hing und lernte und mich nur selten mit Kim und Gizem traf, obwohl sie meine Freundinnen waren. Sie verstand nicht, warum ich mich lieber mit Fakten und Buchstaben auseinandersetzte als mit der Frage, ob Ed Sheeran cooler sei als Eminem oder Sia – und warum Eliyah heute Julia angelächelt hat und nicht Pilar.

Mama hatte längst alles Mögliche versucht, um mich öfters unter Leute zu bringen: Sie hatte mich zu einem Hamburger Edelfriseur geschleppt und mir dann in einer ihrer Trendboutiquen coole Outfits gekauft, weil sie der Meinung war, ich wäre modetechnisch unterentwickelt und würde deshalb von den anderen gemobbt.

Sie hatte mich der Reihe nach verschiedene Sportarten von Ballett bis Zumba ausprobieren lassen, damit ich endlich von meinem Pferdefimmel geheilt würde und Anerkennung für meine sportlichen Leistungen erhielte.

Sie hatte mich von Coachs zu Therapeuten geschickt, damit die meine Kompetenzen herausfiltern und mir helfen, mich weiterzuentwickeln.

Sie hatte immer noch nicht verstanden, dass ich nur Pferde um mich brauchte, um glücklich zu sein: Morango, Kusmi, Winston, Alma, Luigi und Hauke, vor allem Hauke.

Gähnend räkelte ich mich jetzt in meinem Bett und verschränkte die Arme hinter meinem Kopf. Nur fünf Minuten Ankommen im Tag, das hatte ich mir von Tante Isodora abgeschaut, die morgens auch immer eine Weile brauchte, bis sie sich aus ihrem Bett schwang. Trotzdem war sie schon lange vor uns anderen wach, schob frische Brötchen in den Ofen und kochte Kaffee, bevor die ersten Feriengäste sich zum Frühstück an den Tisch setzten.

Gestern Abend hatten wir nicht mehr allzu viel miteinander geredet, denn als ich ins Haus kam, glücklich und voller Hauke-Geruch und Nasenstüber im Gesicht, war sie schon auf dem Weg in ihr Zimmer gewesen. Natürlich hatte es sich meine Tante trotzdem nicht nehmen lassen, mir noch ein frisches Stück Rosinenstuten und einen Becher Tee zu reichen. Als ich die ersten Bissen nahm, merkte ich erst, wie hungrig ich gewesen war. Wegen all der Aufregung hatte ich glatt das Essen vergessen.

»Bin ich froh, dass du hier bist, min Deern«, hatte Isodora gesagt und mir glücklich die Stirn geküsst, bevor sie mich überschwänglich an sich drückte. »Dieses Jahr machen mich die Stadtlüdd fertig … allesamt ganz pingelig, ständig gibt es Gemecker und Diskussionen und die Pferde sind allesamt hochsensibel, vertragen dieses nicht, bekommen von jenem gleich Kolik. Was meinst du, wie oft der Tierarzt schon da war! So einen Sommer hatten wir hier noch nie! Und das Wetter spielt auch verrückt, jeder Tag ist anders als vorhergesagt, du weißt nie, ob es stürmt oder die Sonne scheint, ob die Ausflüge stattfinden oder nicht …«

Seufzend hatte sie sich die Schläfen gerieben, kein gutes Zeichen. Meine Tante hatte nie irgendwelche Schmerzen und schon gar nicht schlechte Laune, sondern war ein Ausbund an kerngesunder Natur, den so schnell nichts aus den Puschen warf. Zudem verfügte Isodora über ein unerschöpfliches Wissen an Naturheilkunde und kannte für jedes Wehwehchen das passende Mittel: Kräuter, Globuli oder Bachblüten – ob bei Halsschmerzen, verstauchtem Fuß oder Blasenkatarrh, Müdigkeit, Schwäche oder Heimweh. Die Leute hier im Ort hielten sie deswegen für eine Kräuterhexe oder wenigstens für verrückt, manche aber kamen auch heimlich, um sich Rat und Mittelchen zu holen.

»Ich hab sogar schon geräuchert und Mantras getanzt«, sagte Isodora und zupfte an ihrem Kaftan, »hilft alles nichts! Da müssen wir uns wohl fügen …« Sie rollte lustig die Augen, bevor sie geräuschvoll aufstand und in ihr Zimmer verschwand. Sie und Piet bewohnten getrennte Räume, was diejenigen, die davon wussten, seltsam fanden. Meine Mutter auch. Dabei war sie es doch gewesen, die mir erst neulich erklärt hatte, dass sie nicht wusste, wie eine Liebe ein Leben lang halten soll, wenn man morgens nebeneinander mit Mundgeruch aufwacht …

Grinsend hatte ich meinen leeren Teller in die Küche getragen und noch in die Spülmaschine geräumt. Es roch nach Roter Grütze und Rosinenbrot, nach einem langen, arbeitsreichen Tag, nach Ferien auf dem Friesenhof – wie immer. Zufrieden war ich hoch auf mein Zimmer gegangen, in das Piet bereits meinen Rucksack und die Tasche gestellt hatte. Schnell war ich noch unter die Dusche gesprungen und dann todmüde in mein Bett gefallen …

Helles Sonnenlicht blinzelte durch den einen Spalt im Vorhang und blendete mich. Ein eindeutiges Zeichen, aufzustehen! Doch ich huschte nur kurz aus dem Bett, zog die Vorhänge zurück, öffnete das Fenster und lief wieder zurück. Frische Morgenluft wehte zu mir hinein. Ich kuschelte mich noch mal tief in die Decke und schaute nach draußen, während ich tief einatmete und den kühlen Luftzug genoss.

Ich liebte es, einfach so dazuliegen, still und zufrieden dem Morgen zu lauschen, den Blick in den Himmel gerichtet, der quadratisch winzige Ausschnitt, der sich mir durch das Fenster offenbarte, wahlweise regenverhangen oder so strahlend blau wie heute. Man wusste nie, wie es drumrum aussah: War es nur eine vorüberziehende Regenwolke oder war alles komplett grau? Folgten die Wolken rasch aufeinander? Zogen weiter hinten am Horizont dunkle Wolken auf, während hier noch alles ganz hell war? Ich konnte stundenlang darüber spekulieren.

Unten klapperten Pferdehufe über den Hof, ein leises Schnauben, offensichtlich war da jemand schon ziemlich früh unterwegs. Wer mochte das sein? Sicher einer von den Stadtlüdd.

Früher war es Piet gewesen, der immer als Erster vor allen anderen auf seine Stute Nautica gestiegen war und seine Runde übers Feld und Gelände gedreht hatte. Er hatte nach dem Rechten gesehen, kaputte Zäune entdeckt, auch mal eine Kuh vom Nachbarn wieder zurück auf ihre Weide getrieben. Seit seiner Knie-OP vor einiger Zeit saß er allerdings nicht mehr so oft im Sattel und kontrollierte die Zäune lieber mit dem Traktor.

Ein allerletztes Mal einkuscheln und in den Morgenhimmel schauen, dann schwang ich mich aus dem Bett. Gestern Abend hatte ich einfach alles stehen und liegen gelassen. Ich fischte meine Klamotten vom Boden und blickte mich um, das Zimmer war unverändert: die Blümchentapete, der weiße Schrank, das alte Foto vom Leuchtturm und die kleine, verhutzelte Holzkommode in der Ecke. Wie immer, dachte ich zufrieden, während ich rasch meine Sachen in den Schrank räumte und den leeren Rucksack unters Bett schob. Nach einer Katzenwäsche rannte ich hinunter in die Küche, wo Isodora längst mit dem Frühstücksgeschirr klapperte. Warmer Kaffeeduft zog in meine Nase, gefolgt von dem frischer Brötchen, die hier Rundstücke hießen, und selbst gemachter Erdbeermarmelade.

»Moin, moin, min deern! All up stee?«, begrüßte mich Piet herzlich, er wirkte frisch und ausgeschlafen. Offensichtlich hatte er das Chaos von gestern gut weggesteckt.

»Moin, moin!«, grüßte ich zurück und drückte Isodora einen Kuss auf die Wange.

»Diese Kaffeemaschine macht mich ganz rammdösig! Eine gefüllte Kanne hat sie geschafft, und jetzt? Lässt mich einfach im Stich … Baby, das kannst du nicht machen!«, rief sie mit einer theatralischen Geste. Es zischte und dampfte aus dem Apparat, einem gigantischen Teil aus dem letzten Jahrtausend, das aber Isodoras Meinung zufolge den allerbesten Kaffee der Welt braute – innerhalb von wenigen Minuten. Eine Tatsache, die angesichts Dutzender Feriengäste, die immer alle auf einmal zum Frühstück erschienen, nicht unerheblich war.

»Melitta ist eben eine Diva. Na komm, du Hübsche, verpassen wir dir eine ausgiebige Schönheitskur«, seufzte Isodora und begann in aller Seelenruhe, sämtliche Knöpfe, Siebe und Düsen abzuschrauben und zu reinigen. Nachdem sie die Maschine komplett entkalkt und gesäubert hatte, setzte sie sie wieder zusammen, füllte Wasser und frisch gemahlenes Kaffeepulver ein und drückte den roten Knopf. Kurz darauf waren sämtliche Kannen für den Frühstückstisch gefüllt. Ich verteilte sie auf die bereits eingedeckten Tische, stellte die Brotkörbe daneben und prüfte, ob es ausreichend Saft gab.

»Jetzt erzähl mal, was gibt es Neues bei euch in der Stadt? Gestern Abend hatten wir ja kaum Zeit!« Isodora hantierte geschäftig mit Tellern und Marmeladenschälchen, stapelte frische Servietten und kramte nach den Löffeln in der Schublade, von denen immer zu wenige beim Müsli lagen.

»Alles easy«, winkte ich ab. »Alles beim Alten.«

»Bei Camilla auch? Läuft deine Mutter immer noch wie ein Irrlicht im Watt?« Isodora schaute mich prüfend an, während ich mich neben Piet niederließ und mir von ihm ein Rundstück reichen ließ. Obwohl sie Schwestern waren, waren die beiden grundverschieden, wie mir zum wiederholten Male auffiel. Mama hatte die hagere Gestalt einer Marathonläuferin: kein Gramm Fett auf den Rippen ihrer zierlichen Figur, lange blonde Haare und ein schmales Gesicht. Wenn sie nicht arbeitete, ging sie laufen, und wenn sie nicht laufen ging, arbeitete sie.

»Hab gelesen, sie hat neulich ihre Bestzeit geknackt«, rief Piet kauend dazwischen, der sich natürlich brennend für Läufergeschichten interessierte, erst recht, wenn sie mit meiner Mutter zu tun hatten. Im Gegensatz zu mir und Isodora. Uns ging nämlich Mamas Superpowerwonderwoman-Getue schrecklich auf die Nerven. Zur Antwort zuckte ich deshalb nur mit den Schultern.

»Immer noch keinen Mann?« Isodora schaute fragend.

»Mama ist halt so beschäftigt, da hat sie keine Zeit für eine Beziehung«, antwortete ich schnell. Meine Tante sollte sich bloß keine falschen Hoffnungen machen, dass ihre Schwester sich wieder in eine feste Beziehung stürzte. In Wirklichkeit war es nämlich so, dass meine Mutter alle Freiheiten ihres Single-Daseins genoss. Und auch, wenn sie mich diesbezüglich für unterentwickelt hielt, war ich mit meinen fast vierzehn Jahren ja nicht vollkommen blöde und wusste, was passierte, wenn sie mit einem Mann hinter ihrer Schlafzimmertür verschwand, was ziemlich häufig vorkam. Irgendeine innere Stimme sagte mir jedoch, dass es nicht gut war, wenn andere davon wüssten, hier auf dem Land tickten die Uhren anders. Denn meine Mutter hatte offensichtlich ihren Spaß, aber keine Lust, sich einem Kerl auszuliefern. So ähnlich hatte sie es mir irgendwann einmal erklärt, als ich sie fragte, warum keiner von denen länger als bis zum Frühstück blieb.

»Wird höchste Zeit, dass deine Mutter wieder zur Besinnung kommt und nicht ständig vor ihren Gefühlen davonläuft!«, fügte Isodora hinzu und da musste ich unwillkürlich nicken. Denn das hatte ich auch kapiert: Selbst wenn Mama mit ihrer Arbeit und unzähligen Lauffreunden unterwegs war, immer mal wieder ausgiebig geküsst wurde und mehr, war sie innendrin doch schrecklich einsam. Die Trennung von meinem Vater und die damit verbundenen Umstände hatte sie nie wirklich verwunden und mehr als einmal hatte ich darüber nachgedacht, wie ich es wohl anstellen könnte, für Mama einen Mann zu finden. In Büchern las man immer wieder von solchen Verkupplungsversuchen. Vielleicht sollte ich diesbezüglich mal eine gute Idee ausbrüten …

In diesem Moment stolzierte ein dunkelhaariges Mädchen in den Frühstücksraum, gefolgt von einem seriösen Herrn im schwarzen Rollkragenpullover, der offensichtlich ihr Vater war. Die beiden schienen sich nicht viel zu sagen zu haben, kommunizierten stumm über Gesten und Blicke.

»Die sind auch aus Hamburg«, wisperte mir Isodora zu, die meine Neugier bemerkte. »Anna reitet immer ganz früh hinaus an den Strand. Sehr zum Ärger von Piet, weil er findet, dass dadurch die anderen Feriengäste gestört werden.«

Ich biss in mein Rundstück. Dann war es also Anna gewesen, die ich heute Morgen gehört hatte. Und sie war auch die Reiterin im Watt gestern. Bevor ich dazu kam, sie möglichst unauffällig zu mustern und mir zu überlegen, ob ich mit so einer hageren Tusseline etwas zu tun haben wollte oder nicht, wurde ich von hinten stürmisch umarmt und fast vom Stuhl gewirbelt.

»Hey, Liv, wo geit di dat? Is ja irre, dich zu sehen!« Schon fühlte ich dicke Schmatzer links und rechts auf meinen Wangen. Es war Mareike, völlig aus dem Häuschen, mich wiederzusehen.

Ich drückte sie fest an mich. »Was hast du mit deinen Haaren gemacht? Machst du jetzt einen auf Blaubeere?« Beinahe fassungslos griff ich nach ihren blau gefärbten Strähnen.

»Jetzt sei doch nicht so spießig! Meine Mutter hat mir auch schon Stress gemacht. Nur Isodora findet es cool, oder?« Sie grinste meine Tante entwaffnend an und ich musste ebenfalls grinsen. Mareike war die beste Freundin, die man sich denken konnte. Immer gute Laune, immer verlässlich, immer für neue Ideen gut. Beim letzten Mal hatte sie mich mit einem Nasenpiercing überrascht und davor war es ein Tattoo am Knöchel gewesen. Diesmal waren es eben blaue Haare.

»Hab gehört, du hast deinen ersten Ausritt schon hinter dir!« Sie knuffte mich liebevoll in die Seite. »Hättest du nicht auf mich warten können?!«

»Mannomann, ich kann dir sagen …«, setzte ich an. Natürlich hatte sich unser gestriges Wattabenteuer längst wie ein Lauffeuer im Ort herumgesprochen.

»Jan gibt überall damit an, wie toll er die brenzlige Situation gemeistert habe!« Sie angelte sich ein Stück Rosinenbrot.

»Was???« Fassungslos schaute ich sie an. »Wegen dem sind Alma und Luigi durchgegangen! Das hättest du mal sehen sollen!«

»Beim Störtebeker, ich krieg noch ’ne Glatze«, rief Piet dazwischen. »Jan behauptet, der Verleiher hätte ihm falsche Anweisungen gegeben und zudem seien die Gurte gerissen. Ihn träfe keine Schuld, dass alle durchgedreht sind … Mannmannmann, dabei weiß jeder, dass an diesem Strandabschnitt Paragleiten verboten ist.«

»Ja, und? Das juckt doch einen wie Jan Friedrichsen nicht«, meinte Mareike und pulte sich eine Rosine aus dem Teig. »Der wollte zeigen, was für ein toller Hecht er ist! Dass er nicht nur Fußball spielen, sondern auch Paragleiten kann …«

»Und, ist er’s?«, fragte ich und konnte mir die Antwort schon denken.

»Pah! Was denkst du denn! Jan ist der größte Angeber ever! Nimm dich in Acht, Liv! Seit er wieder hier ist, hat er eine Freundin nach der nächsten, der baggert jede an …«, sie zwinkerte mir zu und ich rollte die Augen. »Was ist, gehen wir jetzt endlich rüber in den Stall schnacken?«

»Brauchst du meine Hilfe bei den Ausfahrten?«, fragte ich Piet, der seinen restlichen Kaffee genüsslich ausschlürfte. Ich deutete auf den Plan neben seinem Teller, auf dem er die Gäste von heute aufgeschrieben hatte, die Liste war fast leer.

»Heute nicht … nach dem Vorfall gestern sind alle Mann noch bang in der Büx. Einige haben abgesagt.« Er runzelte die Stirn. »Na, die werden sich schon wieder einkriegen. Die Sonne scheint, da kommen sie gleich alle an und wollen Abenteuer, selbst Anton aus Tirol!«

»Los, Liv, worauf wartest du noch!« Mareike stupste mich übermütig in die Seite. »Es gibt viel zu erzählen! Du willst doch sicher wissen, warum ich blaue Haare habe … und was mit Lena und den Hühnern los ist.«

Noch ein kurzer Blickwechsel mit Isodora, ein verständnisvolles Nicken, dann war ich entlassen. Sie wusste, dass ich ihr jederzeit helfen würde, aber heute erst mal unbedingt mit Mareike sämtliche Neuigkeiten der letzten Wochen bequatschen musste.

Glücklich rannte ich Hand in Hand gemeinsam mit meiner Freundin nach draußen in die Stallungen, wo Wilm längst mit dem täglichen Ausmisten begonnen hatte. Unsere Pferde waren wie immer auf der Weide, während die Gastpferde mit sehnsüchtigem Blick nach draußen schielten. Sie mussten in ihren Boxen bleiben, weil ihre Besitzer Angst hatten, sie könnten sich verletzen. Dabei kam es selten vor, dass sich die Tiere nicht vertrugen. Pferde waren Herdentiere und es gewohnt, sich ihrer Leitstute unterzuordnen. Aber die Stadtlüdd wussten das eben nicht und wenn ja, ignorierten sie es.

»Schau mal, das ist Moonlight, sie gehört Anna.« Mareike deutete auf eine grazile pechschwarze Stute, die nervös in ihrer Box auf und ab lief.

»Ist mir gestern schon aufgefallen! Was für ein schönes Pferd!« Bewundernd öffnete ich den Riegel, um der Stute beruhigend den Hals zu tätscheln, was sie wachsam über sich ergehen ließ. Prüfend strich ich ihr über Beine und Flanke, eine gesunde, vitale Stute. Ich pfiff anerkennend durch die Zähne.