cover.jpg

img1.jpg

 

Nr. 3033

 

Das Phantom von Lepso

 

Lordadmiral Monkey auf der Freihandelswelt – die Cairaner fordern ein Opfer

 

Leo Lukas

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog: Nach Einbruch Dunkelheit

1. Der Auftrag

2. Mamis Reservat

3. Daten, Fakten, Masken

4. Thalassas Septim

5. Die Hornissenkrone

6. Gefährten, Gefährte und Fährten

7. Die Sklavenbank

8. Wenn Kolibris blinzeln

9. Rififi

10. Der größte Schatz des Planeten

Epilog: Die Lizenz zum Schützen

Fanszene

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

img2.jpg

 

Mehr als 3000 Jahre in der Zukunft: Längst verstehen sich die Menschen als Terraner, die ihre Erde und das Sonnensystem hinter sich gelassen haben. In der Unendlichkeit des Alls treffen sie auf Außerirdische aller Art. Ihre Nachkommen haben Tausende von Welten besiedelt, zahlreiche Raumschiffe fliegen bis zu den entlegensten Sternen.

Perry Rhodan ist der Mensch, der von Anfang an mit den Erdbewohnern ins All vorgestoßen ist. Nun steht er vor seiner vielleicht größten Herausforderung: Die Rückkehr von seiner letzten Mission hat ihn rund 500 Jahre weiter in der Zeit katapultiert. Eine Datensintflut hat fast alle historischen Dokumente entwertet, sodass nur noch die Speicher der RAS TSCHUBAI – seinem Raumschiff – gesichertes Wissen enthalten.

Während Perry Rhodan ins geheimnisvolle Galaxien-Geviert aufbricht, um mehr über die Hintergründe zu erfahren, bleibt der unsterbliche Arkonide Atlan in der Milchstraße. Schützenhilfe erhält er von keinem Geringerem als Monkey, dem Lordadmiral der USO. Dieser sieht nun DAS PHANTOM VON LEPSO ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Monkey – Der USO-Lordadmiral möchte den Friedensbund der Cairaner unterwandern.

Shuana »Thalassa« Sul – Die Meisterdiebin plant den Coup des Jahrhunderts.

Aionguma Baldaraise und Ujud Dremurai – Der cairanische Konsul und sein Adjutant verlangen einen Treuebeweis.

Abreu Dool – Der Plophoser hat mehr als nur ein Konto bei der Bank.

»Lepso steht für absolute Freiheit; für die Freiheit der Stärkeren, Mächtigeren, Vermögenderen.

Gesetze gibt es, auch eine Art Regierung und Exekutive. Aber selbst der amtierende Diktator, der den Titel Thakan führt, muss sich der obersten, sogenannten Hyperkristallinen Regel beugen. Die da lautet, ungebrochen seit vielen Jahrtausenden: Wer die Hyperkristalle hat, macht die Regeln.«

(aus: »Dossier Lepso«, USO,

Stand: 2043 NGZ)

 

 

Prolog:

Nach Einbruch Dunkelheit

29. Oktober 2045 NGZ

 

»Algustranische Austern sind meiner Meinung nach überbewertet«, sagte Efftzar schmatzend. »Nicht direkt schlecht, auch durchaus würzig, aber ein wenig schal im Abgang. Bei diesen Preisen erwarte ich mir eigentlich einen nachhaltigeren Eindruck. – Apropos, was hältst du von Muurt-Maische?«

»Kommt auf die Zubereitung an«, antwortete Shuana Sul ausweichend.

»Völlig richtig! Als Beilage grenzgenial, beispielsweise zu epsalischem Stockfisch. Hingegen als Hauptspeise ein totales Desaster!«

Der Mehandor-Patriarch nahm ein neues Schälchen vom Buffet, führte es zum Mund und verschlang, lautstark schlürfend, den gesamten Inhalt auf einmal. Dass dabei etliche gallertige, grünliche Tropfen in seine Bartzöpfe rannen und diese verklebten, kümmerte ihn nicht.

Er rülpste genüsslich. »Ah, das gute alte Gefirnen-Gelee! Nicht unbedingt erste Qualität, trotzdem ganz passabel. Mit vergorenem Gemüse kann man mich sonst ja eher verjagen. Falls du bessere Ware suchst ...«

»Momentan nicht, danke.«

»Die Laderäume meiner EFFTZ-IX quellen über vor Spezereien, erworben bei den führenden Produzenten der Milchstraße. Für enge Freunde wie dich gebe ich gerne Rabatt. – Was machst du eigentlich so?«

»Ich bin Logopädin.«

Efftzar wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. »Hä?«

»Man könnte auch ›Kommunikationsberaterin‹ dazu sagen. Im Wesentlichen behandle und korrigiere ich Sprachfehler, sowohl bei unmittelbarer, biologisch generierter Rede als auch bei Translatoren.«

»Davon kann man leben?« Der Mehandor griff gierig nach einem weiteren Happen.

»Ich schlage mich durch.«

»Na, immerhin hast du eine Einladung zu diesem exklusiven Empfang ergattert«, mümmelte er, ungeniert kauend. »So schlecht kann es um deine Finanzmittel nicht bestellt sein. An Orten wie diesem werden keine Habenichtse geduldet. Selbst ich musste meine Beziehungen zu Gradbuk, dem engsten Vertrauten des Thakans, in die Waagschale werfen.«

Während Shuana anerkennend durch die Zähne pfiff, horchte sie unauffällig in sich hinein. Es musste bald so weit sein ...

»Obwohl ... Dass Übersetzungsgeräte stottern, habe ich selbst schon erlebt. Du wirst es nicht glauben, einmal hat mir so ein Programm glatt ›Schifferklavier‹ ausgeworfen statt ›Schilf-Kaviar‹. Ist das zu fassen?«

Shuanas internes Chronometer signalisierte lautlos, dass die nächste Phase begann. Es wurde Zeit, den Standort zu wechseln. »Fast nichts funktioniert hundertprozentig exakt«, bemühte sie eine abgeschmackte Floskel.

»Erschreckend, gell? Warum eigentlich? Da haben wir große Bereiche der Galaxis erschlossen, fliegen über Tausende Lichtjahre kreuz und quer, und zugleich ... Ich meine, die Cairaner haben wenigstens so etwas wie Ordnung in das frühere Chaos gebracht. Keine wesentlichen Bereicherungen für die interplanetare Gemeinschaft der Feinschmecker, aber ...«

»Hast du schon die blymmosische Brandbeeren-Bowle probiert?«, lenkte Shuana ab. »Für sich allein genossen wirkt sie fade. Zusammen mit Jülzii-Birnen und den gegrillten Markknochensplittern von Arxisto-Sauriern entfaltet sie am Gaumen ein höchst originelles Aroma.« Sie deutete auf ein dampfendes Gefäß am anderen Ende der Tafel.

»Ich kenne das selbstverständlich«, behauptete der fleischig-korpulente Mann und strich sich über die üppige, grellrot glänzende Haarmähne. »Gleichwohl, danke für den Tipp.«

Er leckte sich über die Lippen. Unschlüssig wippte er auf den Fersen, hin- und hergerissen zwischen seiner Gesprächspartnerin und der in Aussicht gestellten Köstlichkeit.

»Mich würde sehr interessieren, was du davon hältst«, ermunterte ihn Shuana. »So oft treffe ich nicht auf einen wahren Experten. Ich harre gespannt deiner Bewertung. Vielleicht teilst du sie mir ja später unter vier Augen mit ...«

»Bin gleich wieder da, schöne Frau!«

 

*

 

Nachdem sie den angeberischen Mehandor endlich abgeschüttelt hatte, schlenderte Shuana Sul langsam, scheinbar ziellos, zum Hintereingang des Speisesaals.

Von dort aus lieferten überwiegend robotische Servierkräfte in reger Folge Nachschub für die Buffettische. Der Öffnungsmechanismus der Schwingtür wurde von simplen Annäherungssensoren und ebenso schlicht gestrickten Funkimpulsen gesteuert.

Shuana hatte keine Mühe, den passenden Augenblick abzuwarten. Ihre eingebaute Positronik extrapolierte den Rhythmus des Gegenverkehrs auf Sekundenbruchteile genau.

Unbemerkt schlüpfte sie hindurch. Dahinter lag ein kurzer Korridor, eng und niedrig, ernüchternd kahl im Vergleich zur Opulenz der Prunkräume und schlecht durchlüftet.

Es stank nach Verbrennungsrückständen, Körperausdünstungen und Schmieröl. Zwei Meter vor der Küche zweigte ein Seitengang ab, der zu einer Nottreppe mit niedrigen Stufen führte.

Während Shuana die Stufen hinunter tänzelte, veränderte sie ihr Äußeres komplett. Unten angekommen, legte sie die Handfläche auf den Sensor. Zugleich bot sie der Kamera die Retinamuster ihrer täuschend echt nachgebildeten Augen dar und sprach mit klarer Stimme eine Abfolge von Codesilben aus.

Kurz verharrte sie angespannt. Dann glitt das Schott auf.

Sie zählte bis drei. Kein Alarm erklang.

Alles hatte gestimmt. Die langwierige, mühsame Vorbereitung hatte sich ausgezahlt.

Shuanas auf vielerlei Weisen zusammengestoppelte Autorisierung war akzeptiert worden. Sie erlaubte sich keinerlei Triumphgefühl, sondern trat einfach ein.

Dann war sie im Allerheiligsten.

 

*

 

»Herzlichen Glückwunsch!«, sagte ihr ebenfalls perfekt als Wartungsmann verkleideter Partner.

Wie er seinerseits die zahlreichen Hindernisse überwunden hatte, wusste Shuana nicht. Das gehörte zu der Vereinbarung, die sie getroffen hatten: keine überflüssigen Fragen.

Schon gar nicht, wenn bislang der gesamte Coup wie am Schnürchen funktioniert hatte!

»Gleichfalls«, flüsterte Shuana Sul.

Fast feierlich nahmen sie Aufstellung vor dem Ausgabemodul. Sie nickten einander zu und lockerten die Gliedmaßen. Die letzte Schranke verlangte absolut synchrone Eingaben.

»Auf drei«, sagte der Partner, der das ganze kühne Unternehmen eingefädelt hatte. »Eins, zwei, und ...«

Sie taten es, wie Dutzende Male einzeln geprobt. Shuana hielt den Atem an.

Die erforderliche, simultane Identifizierung glückte. Eine Klappe glitt auf. Eine flache Rampe schob sich hervor.

Ein Behälter rutschte ihnen entgegen. Shuanas Partner hob den Koffer flink an den Handgriffen hoch.

Äußerlich wirkte er unscheinbar, gewöhnlich. Nichts deutete darauf hin, welche Reichtümer er enthielt.

»Fast geschafft«, sagte Shuana. »Weiter auf den vorbereiteten Fluchtwegen. Lass uns gehen!«

»H-hm. Was das betrifft, tritt eine geringfügige Planänderung in Kraft.«

Sirenen heulten auf.

»Zu früh!«, rief Shuana erschrocken. »Sollte unser Netzwerkspezialist den Alarm nicht noch länger unterdrücken?«

»Sollte er, meine Liebe. Aber leider funktioniert heutzutage bekanntlich fast nichts hundertprozentig exakt. Bedauerlicherweise gibt es immer wieder einmal Kollateralschäden. Diesmal trifft es dich. Sei mir nicht böse, es war nicht persönlich gemeint.«

»He! Halt, warte, was soll ...?«

Ein leises »Plopp!« erklang. Dann war er verschwunden, zusammen mit dem Koffer.

Stattdessen umringten Shuana gleich darauf mehrere Gestalten in den martialischen Monturen der Wachmannschaft. Drohend richteten sie die glutrot glimmenden Mündungen großkalibriger Thermogewehre auf sie.

Shuana hob die Hände.

 

*

 

»Du hast dich kampflos ergeben und abführen lassen«, sagte die Stimme aus der Dunkelheit. »Das ist ein kleiner Pluspunkt für dich.«

»Trotzdem wurde ich misshandelt. Deine Büttel haben mir zahlreiche Blessuren zugefügt.«

»Nichts, was dauerhafte Schäden nach sich ziehen würde«, sagte die Stimme. Sie klang rauchig und belegt. Als würde ihr Gegenüber demnächst husten und Schleimpfropfen auswerfen. »Darauf sind sie trainiert. Also jammere nicht!«

Shuana fokussierte ihre Optiken. Ergebnislos. Der Sprecher blieb in den scharfen Schlagschatten der Lampen verborgen, gegen deren blendend grelles Licht ihre Blitzkompensatoren nicht ankamen.

»Du wurdest benutzt«, sagte die Stimme. »Geradezu missbraucht. Weichherzig, wie ich nun mal bin, werte ich das als weiteren Bonuspunkt. Sofern du Einsicht in deine Situation zeigst und mir alles mitteilst, was du über den Schurken weißt, der mich um einen schwer zu verschmerzenden Teil meines Besitzes erleichtert hat.«

»Wer bist du?«

»Ha! Wer bist du, Shuana Sul, die auch unter dem Namen ›Thalassa‹ auftritt? Was maßt du dir an, eine solche Frage zu stellen, angesichts der Lage, in der du dich befindest?«

Sie schwieg. Ihr fiel keine kluge Antwort ein. Der Unbekannte hielt alle Trümpfe in der Hand.

Er lachte heiser und bellend. »Über dein Weiterleben oder deinen Tod entscheidet einzig mein Urteil. Ein Urteil, das ich jederzeit fällen kann, ohne negative Konsequenzen befürchten zu müssen. Mir redet niemand rein. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?«

Shuana schluckte. »Ich war nicht die treibende Kraft. Ich habe nur mitgemacht.«

Aus der Finsternis tauchte, nicht rechtzeitig erkennbar, ein dicker Arm auf, der in scharfem Bogen auf sie zuschoss. Ehe Shuana sich ducken konnte, schlug die behandschuhte Faust ihr hart gegen die Ohrmuschel.

Der Hieb wurde von einem Elektroschock verstärkt. Er betäubte sie nicht völlig, hinterließ jedoch einen pochenden Schmerz im kybernetischen Schläfenimplantat.

»Niemand hat jemals nur bei irgendetwas mitgewirkt«, sagte die Stimme, plötzlich zornig grollend. »Meine Fresse, wie gut kenne ich dieses Argument! Und wie sehr habe ich es satt! Tausende Generationen vor dir haben auf diese billige Weise versucht, sich aus der Verantwortung zu stehlen.«

»Ich wurde über einen Mittelsmann kontaktiert, angeheuert und ...«

»Von wem?«

»Das weiß ich nicht.«

»Wirklich nicht?«

»Nein, wenn ich's doch sage.«

»Den Drahtzieher hinter dieser Sache zu decken, bringt dir nichts. Wir quetschen sowieso sämtliche Erinnerungen aus dir heraus. Oder aus eurem Komplizen, der die Kodes manipuliert und die Transaktion durchgeführt hat. Den haben wir nämlich ebenfalls auf frischer Tat ertappt. Er befindet sich in unserem Gewahrsam.«

»Viel werdet ihr nicht in Erfahrung bringen, weder bei ihm noch bei mir.«

»Das lass meine Sorge sein! Du hast zumindest die Chance, dir noch den einen oder anderen Pluspunkt zu verdienen. Falls du den Namen des Hintermanns nennst und mir einen Hinweis gibst, wo er zu finden ist, könnte sich das strafmildernd auswirken. Eventuell. Also, spuck's aus! Jetzt oder nie!«

Verzweifelt rang Shuana die Arme. »Ich würde den Schuft liebend gerne verraten. Aber glaub mir doch, ich kann es nicht!«

»Na komm, du bist ein helles Köpfchen. Ein paar Anhaltspunkte wirst du gewiss haben.«

»Eben nicht! Unsere vorbereitenden Kontakte wurden über mehrere Ecken und Relais abgewickelt. Er hat seine Identität raffiniert verschleiert. Persönlich trafen wir einander zum ersten Mal im Ausgabezimmer – und da war er ebenso rundum verkleidet wie ich.«

»Du wirst staunen: Ich bin geneigt, dir zu glauben. Das Muster dieser Vorgehensweise ist mir leider nicht unbekannt. Verdammt!«

In der Finsternis knallte es. Die Faust hatte wohl auf eine stählerne Tischplatte geschlagen.

»Weißt du«, sagte die raue, gutturale Stimme, nun wieder einschmeichelnd, »ich könnte dir manches verzeihen. Ich habe Verständnis für deinesgleichen. Jeder streckt sich nach der Decke. Wir alle versuchen unser Glück, nicht selten abseits des bisschens, was es an Legalität auf diesem Planeten gibt.«

Shuana sah einen schmalen Hoffnungsschimmer. Vielleicht kam sie einigermaßen heil davon, wenn sie an die interdisziplinäre Solidarität der Diebe appellierte?

Hektisch durchstöberte sie ihre Vokabel- und Formulierungsspeicher nach geeigneten Argumenten. In Bruchteilen von Sekunden fügte sie Satzbausteine aneinander. Dann setzte sie zu einer flammenden Verteidigungsrede an.

Aber die Stimme hinter den schrecklich hellen Scheinwerfern kam ihr zuvor. »Vergiss es gleich wieder. Bemüh dich nicht um Ausflüchte! Deine Freveltat muss und wird gesühnt werden, keine Frage.«

»Das sehe ich ein.«

»Freilich würde ich dich wesentlich sanfter behandeln lassen, falls ich dank deiner Hilfe endlich diesen verflixten Kerl zu fassen bekäme. Er tanzt ehrbaren Leuten wie mir schon allzu lange auf der Nase herum. Mittlerweile hat er es sogar zu einer gewissen Berühmtheit gebracht. Man nennt ihn das Phantom von Lepso. Wusstest du das?«

»Ich, äh ... ich habe davon raunen gehört«, gab sie zu. »Jedoch hätte ich nicht gedacht, dass jemand wie er mit mir ...«

»Ja, das zählt zu seinen Methoden«, unterbrach die Stimme sie rüde. »Er ködert die Helfer mit glaubhaften Versprechungen künftigen Reichtums, aber stets im Rahmen ihrer beschränkten Vorstellungskraft. Deshalb fügen sie sich in ihre Nebenrolle und nehmen die Heimlichkeiten hin, ohne zu erahnen, worum es tatsächlich geht. – Soll ich dir verraten, was er mir dank deiner Mithilfe gestohlen hat?«

Shuana nickte.

Die Summe, die ihr daraufhin genannt wurde, raubte ihr den Atem. Schlagartig war sie wieder entmutigt.

Sie hatte sich damit abgefunden, dass sie für den Raub des Koffers büßen musste. Das volle Ausmaß ihrer Schuld hatte sie jedoch weit unterschätzt.

 

*

 

»Insgesamt trägt euer, zugegeben raffiniert angelegter Coup ziemlich klar die Handschrift des Phantoms.«

Der kaum hörbare Akzent könnte auf einen Barniter hindeuten, dachte Shuana.

Sie war sich noch nicht sicher. Sowieso hätte ihr das nicht weitergeholfen.

Die Barniter stellten eine der größten Volksgruppen auf Lepso; wenig verwunderlich, galten sie doch als die verschlagensten Händler der Milchstraße. Wo sonst sollten sie geballt in Erscheinung treten, wenn nicht auf der seit Jahrhunderten berüchtigten Freihandelswelt?

Shuana Sul bemerkte, dass sie geistig abdriftete, um sich nicht der bitteren Realität stellten zu müssen. »Ich mach's wieder gut«, sagte sie lahm.

»Und ob du das machen wirst, Fräulein Thalassa, im bescheidenen Rahmen deiner Möglichkeiten! Schade, dass du nicht mehr zu bieten hattest. Oder fällt dir doch noch etwas ein, das mich milder stimmen könnte?«

Verzweifelt durchforschte Shuana ihre biologischen und positronischen Gedächtnisspeicher. So sehr sie sich quälte, sie förderte keine brauchbaren Hinweise zutage.

»Nein«, gestand sie. »Ich bin blank. Das Phantom von Lepso hat mich genauso betrogen wie alle seine anderen Opfer.«

»Traurig, traurig. Ich resümiere: keine nennenswerten Milderungsgründe. Dich trifft die volle Wucht der Vergeltung. Du gehörst mir, für neunundneunzig Tage, wie es das ungeschriebene Gesetz der Kartelle von Lepso vorsieht. Während dieser Zeit holen wir alles aus dir heraus, was uns dienlich und verwertbar erscheint.«

»Mach es bitte möglichst kurz«, bat Shuana. Sie fügte sich endgültig in ihr Schicksal. »Für mich, subjektiv.«

»Ehrensache.« Er gluckste höhnisch. »Besser gesagt, das ist im Service inbegriffen.«

Die bionischen Bestandteile ihrer Rückenhaut vermittelten das Gefühl, als perlte ein eiskalter Wasserschwall über sie hinab. Sämtliche Follikel reagierten und stellten die Außenschäfte der Haare auf.

»Möchtest du etwaige Anverwandte darüber informieren, weshalb sie mehr als drei Monate lang nichts von dir hören werden, bis zu deiner Wiedererweckung?«

»Nein.«

»Keine Familie? Keinerlei Bettgenossen?«

»Nein. – Jetzt mach schon!«

»Weißt du«, sagte die Stimme aus der Dunkelheit bedächtig, »du könntest mir fast leidtun. Unter anderen Umständen wäre ich vielleicht geneigt, dich zu begnadigen.«

»Aber?«

»Aber ich bin kein Rächer oder Richter. Jedenfalls nicht dein Richter. Ich bin keine planetenweite, juristische Instanz, sondern viel mehr. Was ich tue, kann ich ganz allein rechtfertigen, ohne jegliche Winkeladvokaten.«

»Warum erzählst du mir das?«

»Weil mir danach ist. Weil ich es kann, und tun muss. Sonst würde ich mir selbst untreu werden, verstehst du das?«

»Nicht ganz.«

Er seufzte. »Wir vom Kartell strengen uns sehr an, um Leuten wie dir ein würdiges Überleben zu gewährleisten. Ob aber in Palästen oder in Hütten, ob auf den Bühnen der teuersten Theater, oder neben den Müllkübeln der hinterletzten Gosse – das hängt von eurer jeweiligen Eigeninitiative ab. Jeder ist seines Glückes Schmied.«

»Trotz unterschiedlichster Ausgangspositionen? Ist das fair?«

»Fairness, Kindchen, ist nicht mehr als ein philosophisches Konstrukt. Daran orientiert sich nur, wer auch an fliegende, rosafarbene Einhörner glaubt oder an die Existenz eines Planeten namens Terra. Für alle anderen gelten die Regeln, die ich und meinesgleichen machen und in der Praxis ausgestalten, wie es uns beliebt.«

»Für mich bedeutet das konkret – was?«

»Du hast mich geschädigt und schuldest mir Genugtuung.«

Die Stimme klang nun abgeklärt und furchterregend sachlich, so kaltschnäuzig, als würde sie die Speisekarte eines Restaurants verlesen. »Nicht mehr und nicht weniger werde ich mir holen, exakt neunundneunzig Tage lang.«

Shuana Sul wurde schlecht. Mit Mühe unterdrückte sie den aufkommenden Brechreiz.

Feilschen oder betteln war sinnlos. Sie fühlte sich innerlich leer. Zugleich wusste Shuana, dass man sie in der kommenden Zeit viel grässlicher aushöhlen würde.

Sobald er ihr das Licht des Bewusstseins ausgeknipst hatte, konnte der unbekannte Peiniger über sie und ihre sämtlichen körperlichen und geistigen Komponenten nach Belieben verfügen. Shuana fragte nicht nach, was er mit ihr anstellen würde.

Schließlich wusste sie bereits, wie die Antwort lautete: alles, was er wollte.

1.

Der Auftrag

28. Januar 2046 NGZ

 

Manchmal hätte Bela Hogam ihren Kommandanten gerne bewundert. Andererseits war sie nicht selten nahe daran, sich vor ihm zu fürchten, wenn nicht gar zu ekeln.

Stil