Die abgebildeten Porträtfotos stammen vom Autor.

Alle anderen Bilder haben – sofern nicht anders angegeben – dankenswerterweise die einzelnen Porträtierten aus ihren Privatarchiven zur Verfügung gestellt.

Für die Richtigkeit der Angaben wird trotz sorgfältiger Recherche keine Haftung übernommen.

Umschlagfoto: Johannes Sigmund (rechts) beim „Fass-Reiten“, dem Fass-Putzen, mit Josef Sigmund in der Stiftskellerei Neustift

Auch als E-Book erhältlich

ISBN 978-8-8683-9301-4

2017

Alle Rechte vorbehalten

© by Athesia AG, Bozen

Design & Layout: Athesia-Tappeiner Verlag

Druck: Athesia Druck, Bozen

ISBN 978-88-6839-300-7

www.athesia-tappeiner.com

buchverlag@athesia.it

Inhalt

Südtiroler Wein- und Kellereigeschichten

41 Südtiroler Kellermeister und Weinpioniere blicken zurück

Eine faszinierende Vielfalt und eine einzigartige Qualität zeichnen die Südtiroler Weinwirtschaft heute aus. Das kleine und nördlichste Weinbaugebiet Italiens zählt unumstritten zur Avantgarde des internationalen Weinbaus. Eine klare Identität und ein unverkennbarer Charakter prägen die Südtiroler Weine.

Eine Generation von Pionieren – Kellermeister, Weingutsbesitzer und Kellereiobmänner – hat ab den frühen 1990er  Jahren die Grundsteine für die Qualitätsoffensive und das neue Image des Weinlandes Südtirol gelegt. Mittlerweile ist bereits eine neue, jüngere Winzergeneration dabei, das Ruder in die Hand zu nehmen und selbst neue Akzente zu setzen.

Sowohl die „Jungen“ von heute als auch die Pioniere von gestern, haben ihr „Handwerk“ von den „Alten“ gelernt. Es ist nämlich noch nicht lange her, dass Ochsenfuhrwerke in der Erntezeit wochenlang das Straßenbild der Südtiroler Weindörfer beherrschten und schwerste Handarbeit in den Kellern an der Tagesordnung stand. Eine ganze Generation von Südtiroler Kellermeistern hat in den Jahren zwischen 1950 und 1990 unter nicht immer leichten Voraussetzungen Südtiroler Wein- und Kellergeschichte geschrieben – ein Stück Südtiroler Weingeschichte, ohne die das Heute in dieser Form nicht denkbar wäre. Allzu leicht gerät das Vergangene allerdings in Vergessenheit.

Weingeschichte und Weingeschichten

41 Persönlichkeiten, die in den letzten Jahrzehnten die Südtiroler Weingeschichte wesentlich mitgeprägt haben, blicken für uns zurück und erzählen, wie es früher war und was sich im Laufe der Jahrzehnte in Südtirols Weinbergen, Weinkellern und Weinwirtschaft alles verändert hat. Es sind keine wissenschaftlich-historischen Abhandlungen, sondern persönlich erlebte Geschichten und Geschichte …

Wenn man „Südtirol heute im Glas schmeckt“ und der eigenständige alpin-mediterrane Charakter seiner Weine zu einem eindeutigen Erkennungsmerkmal Südtirols geworden ist, dann baut dieser Erfolg auf einer Geschichte mit so manchen Hochs und Tiefs auf. Jede und jeder der hier porträtierten Persönlichkeiten hat in ganz persönlicher Art und Weise an dieser Geschichte mitgeschrieben. Sicherlich wären noch einige weitere Kellermeister und Weinmacher in die Liste aufzunehmen. Aus Platzgründen musste ich leider eine Auswahl treffen, die man mir nachsehen mag.

Bei allen Interviewpartnern bedanke ich mich ganz herzlich für ihre Bereitschaft und die Zeit, die sie mir bei den Gesprächen geschenkt haben. Die Fotos – mit Ausnahme der aktuellen Porträts – stammen, sofern nicht anders angegeben, aus den Privatarchiven der Porträtierten.

In den Fußstapfen der Alten

Das vorliegende Buch will nicht nur Südtiroler Wein- und Kellereigeschichte/-n erzählen. Es versteht sich auch als kleiner Dank und als Zeichen der Anerkennung für all das, was die 41 hier vorgestellten Persönlichkeiten nebst vielen anderen im Laufe der letzten sieben Jahrzehnte für die Südtiroler Weinwirtschaft geleistet haben.

Die ersten beiden Dutzend der im Buch vorgestellten Kellermeister haben die Jahrzehnte von 1950 bis 1990 geprägt. Ab den frühen 1990er Jahren treten einige Visionäre und Vordenker auf den Plan und leiten ein neues Kapitel der Südtiroler Weingeschichte ein.

Schließlich übernimmt eine junge Generation von Südtiroler Kellermeistern von ihren Vorgängern die Verantwortung und verschreibt sich der eingeleiteten Qualitätsoffensive.

Wie es der Lauf der Geschichte so will, gehört inzwischen auch diese Generation bereits zu den „Alten“. Den „Jungen“, die mittlerweile teilweise schon das Ruder übernommen haben, könnte der nächste Band der Südtiroler Wein- und Kellergeschichten gewidmet sein.

Herbert Taschler

Herbst 2017

In den 1950er Jahren vor der Neuen Kellerei Kaltern: Kellerarbeiter Anton Morandell und Franz Pernstich, Obmann Anton Battisti, Kellermeister Ludwig Andergassen und Kellerarbeiter Eduard Sölva

Ludwig Andergassen

Mander, i wears probieren!

Ludwig Andergassen, Jahrgang 1920 und am 15. Februar 2009 verstorben, begann seine Laufbahn 1936 als Kellerarbeiter in der Neuen Kellerei Kaltern, wo er 1946 Kellermeister wurde. Bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1983 war er als echtes Kalterer Original für die Kellerei verantwortlich.

Meinen Beruf habe ich in der Neuen Kellerei Kaltern erlernt. Dort habe ich als junger Bursche im Herbst 1936 erstmals beim Wimmen geholfen. Dann bin ich gleich dort geblieben – bis zu meiner Pensionierung im Jahr 1983. Wir wohnten damals neben der Kellerei, und ich wollte eigentlich nie dort arbeiten. Aber es gab wenig andere Möglichkeiten. So begann ich halt mit dem Fässerputzen, dem Essigauffüllen – zehn 7-hl-Fässer standen davon im Keller –, dem Weinabfüllen und all den täglichen Arbeiten, die es für einen Kellerarbeiter zu tun gab.

Die vier Filialen der Neuen Kellerei Kaltern

Vier Filialen hatte die Neue Kellerei Kaltern damals bereits, je eine in Bozen, in Brixen, in Bruneck und in Meran. Mit einem alten „Cerano“-Lastwagen, einem der ersten in der Gegend, wurden die Filialen wöchentlich mit Wein in Holzfässern beliefert. Da musste ich liefern helfen und vor den Festtagen in Bozen auch Wein verkaufen. Die Leute kamen mit Flaschen, und wir füllten ihnen ab, was sie brauchten: billigen Gassenwein, Vernatsch, besseren Tischwein, Kalterersee und Blauburgunder. An Weißweinen gab’s damals nur Weißburgunder und Gewürztraminer in 70-l-Fässern.

„Morgen um sechs Uhr früh fongsch du on!“

Eine eigentliche Berufsausbildung gab es für mich nicht, aber mich haben der damalige Weininspektor Toni Kofler, unser Obmann Anton Battisti und der Kellermeister Leopold Morandell ordentlich geschult und trainiert. Und da habe ich mir das Rüstzeug für meine spätere Arbeit erlernt. Als Kellermeister angefangen habe ich im Jänner 1946 nach sechsjährigem Militär- und Kriegsdienst. Lange hat mich der damalige Ausschuss überredet, bis ich endlich zugesagt habe: „Mander, i wears probieren!“ Da hat mir der Obmann den Kellerschlüssel in die Hand gedrückt und gesagt: „Morgen um sechs Uhr früh fongsch du on!“

Ludwig Andergassen bei einer Kellermeisterlehrfahrt nach Barcelona im Jahr 1966 (3. Reihe, 3. v. r.)

So ging’s los mit zehn Mitarbeitern und über 100 Mitgliedern. An die 25.000 Hektoliter haben wir jährlich eingekellert. 35 Holzstander à 200 Hektoliter standen für die Ernte bereit. Gegen Ende September, Anfang Oktober ging das Wimmen in jenen Jahren los und dauerte dann bis in den November hinein. Einmal kamen die letzten Trauben am 17. November herein.

Unsere Vernatschweine waren voller, mit dunklerer Farbe und mehr Aromen …

95 Prozent der Trauben waren damals Vernatsch. Dazu kamen ein wenig Blauburgunder, Weißburgunder, Gewürztraminer und Grüner Veltliner. Die Rotweintrauben kamen bereits gemostet in die Kellerei und wurden sofort in die großen Gärstander gefüllt. Dort gärten sie ein bis zwei Monate, bevor sie von den Trestern gezogen und in Holzfässer umgefüllt wurden. Mein Ziel war es immer, die Weine etwas reifer und daher später auf den Markt zu bringen.

Die meisten Weinberge waren damals im gemischten Satz angepflanzt, mit Tschaggele-Vernatsch, Mittervernatsch, Edelschwarzem, Gschlafenem, einigen weißen Reben und Lagrein dazwischen. Die Ernteerträge waren viel geringer, die Trauben kleiner. Somit waren auch unsere Vernatschweine voller und schöner in jeder Beziehung, mit dunklerer Farbe, mehr Extrakt und Aromen. Wir haben damals den Trauben einfach mehr Zeit zum Reifen gelassen. Heute wird dieses Naturgesetz nicht mehr immer eingehalten, und es muss immer alles schnell gehen beim Wimmen.

Der Kellermeister musste ein Künstler sein

In den 1960er Jahren kam dann der große Einbruch in Südtirols Weinwirtschaft. In den Weinbergen wurde Großvernatsch gepflanzt. Die Quantität siegte über die Qualität. Die Nachfrage, vor allem aus der Schweiz, aus Österreich und Deutschland nahm ständig zu, und so kam manche Kellerei mit den eigenen Trauben bald nicht mehr aus. Zukäufe von Trauben und Wein wurden notwendig, und es gibt Gerüchte, dass manche Kellereien ihre Keller im Herbst sogar zweimal auffüllen mussten.

Der Kellermeister musste halt ein Künstler sein. Er musste mit dem Saft fertigwerden und schauen, dass er zum Schluss passte. Wie man das tat, danach hat niemand gefragt. Mein Ziel war es aber immer, einen klaren, sauberen, gesunden Wein im Keller zu haben.

Bereits 1965 hat die Neue Kellerei Kaltern eine Konzentrieranlage angekauft, um selber Traubenkonzentrat herzustellen. Damit konnten wir beim damals üblichen nächtlichen Nachzuckern etwas einsparen. Das erste Kellerlabor habe ich aus der eigenen Tasche bezahlen müssen. Ich habe mich schon immer sehr für Chemie und Biologie interessiert. Der Doktor Bruno Weger war da jahrzehntelang für uns alle ein großes Vorbild und eine wertvolle Hilfe.

1983 bin ich in den Ruhestand getreten und blicke nun mit Genugtuung auf meine fast fünfzigjährige Kellereizeit zurück.

(September 2000)

Kellermeister Alfons Giovanett (2. v. r.) in der Kellerei Terlan

Alfons Giovanett

Ans Aufhören habe ich nie gedacht

Alfons Giovanett wurde am 25. August 1921 in Rungg, damals Gemeinde Kurtatsch, heute Gemeinde Tramin, geboren. Von 1947 bis 1955 war er Kellermeister in der Kellerei Terlan. Von 1955 bis 1970 führte er die Genossenschaftskellerei Neumarkt und gründete dann das eigene Weingut Castelfeder in Neumarkt.

Mein Vater war ab den 1930er Jahren Kellermeister im Weingut Lageder im Ansitz Löwengang in Margreid. Insgesamt waren wir fünf Kinder in der Familie. Der Bruder Hermann war auch Kellermeister, beim Waldthaler in Bozen und beim Kössler in St. Pauls.

Von 1937 bis 1940 habe ich die Weinbaufachschule in San Michele besucht und dann beim Lageder im Keller gemeinsam mit meinem Vater gearbeitet. Es folgten die Militärzeit, der Kriegseinsatz mir der Deutschen Wehrmacht in Afrika und anschließend drei Jahre Gefangenschaft in Kalifornien. 1946 kam ich wieder zurück und half in der Landwirtschaft zu Hause mit.

Start in der Kellerei Terlan

1947 wurde ich mit 26 Jahren als Kellermeister in die Kellerei Terlan berufen. An die 6.000 Hektoliter haben wir 1947 eingekellert, davon über 60 Prozent Weißweine. Das war eine absolute Ausnahme in Südtirol, wo die Kellereien fast ausschließlich Rotweine– und da wieder vor allem Vernatsch – im Sortiment hatten. Die Hauptsorte war der Welschriesling. Der Terlaner oder Garganega, wie wir ihn damals auch geheißen haben, war schon stark rückläufig. Von den schütteren Trauben mit den großen Kernen wurden nur noch an die 30 bis 40 Hektoliter eingekeltert. Die Sorte war schon fast beim Aussterben. Dann gab es noch kleine Mengen an Weißburgunder und etwas Sauvignon. Der Chardonnay war damals bei uns ja noch nicht bekannt. Der Weißburgunder kam vor allem aus den höheren Lagen – unter dem Namen Johannisberg in den ersten Jahren.

Vom Terlaner haben wir bereits ab den 1950er Jahren an die zweitausend Flaschen für einen Kunden in Mailand abgefüllt – mit einem alten Asbest-Rundfilter. Das Fass haben wir auf den Oberboden gestellt und von da aus abgefüllt. Hauptmärkte für unsere Weißweine, die wir alle offen in 50-, 100- und 150-l-Holzfässern abgefüllt haben, waren Südtirol selbst und der norditalienische Raum, vor allem die Toskana. In Südtirol haben wir die Gasthäuser beliefert, im Pustertal, Eisacktal und vor allem in Bozen. Vormittags und bis zum Mittagläuten wurde ja überall ein Glas Weißwein getrunken, der sogenannte „Vormittagswein“.

Bei den Rotweinen hat unser Vernatsch Silberleiten den Ton angegeben. Den haben wir ebenfalls gut in Südtirol verkauft. Ein Teil davon ist auch in die Schweiz gegangen. Da mussten wir allerdings auch einiges zukaufen, so an die 20 bis 30 Prozent – von Südtiroler Kellereien und vor allem Montepulciano aus den Abruzzen und Castel del Monte aus Apulien. Der war ähnlich wie unser Vernatsch. Wir hatten ja selbst zu wenig Wein.

Im Keller haben wir bei den Weinen nicht viel gemacht

Die Qualitäten waren gut damals, zwar verschieden und stark von den Jahrgängen abhängig. Unsere Kunden waren immer sehr zufrieden. Gar einige wollten die Alleinvertretung für unsere Weine für ganz Italien und dann diese selber abfüllen. Darauf sind wir in Terlan aber nie eingegangen.

Die Bauern haben die Trauben in den ersten Jahren noch mit den Ochsen- und Pferdegespannen angeliefert. Was gekommen ist, ist gekommen. Berücksichtigt worden sind nur die Menge und die Gradation. Traktoren hatten nur wenige Großbauern damals. Einige hatten umgebaute Fiat-Autos. Den Rückteil der Karosserie hatten sie weggeschnitten und dort Ladeflächen errichtet. Aus den höheren Lagen, von den Leiten, kamen die Bauern mit den gemosteten Trauben in Bottichen.

Im Keller haben wir nicht viel gemacht. Die Weißweintrauben wurden geschwefelt, gepresst und in die Gärstander gepumpt. Dann ging es mit der Spontangärung los. Die Gärung hat an die acht bis zehn Tage gedauert. Dann wurde der Jungwein abgezogen, wieder geschwefelt und liegen gelassen. Kontrolliert wurde durch regelmäßiges Verkosten. Die wenigen Analysen für den Alkohol hat unser Landeschemiker, der Dr. Weger, gemacht. Die Rotweine wurden alle gerebelt und dann gleich vergoren. Reinzuchthefen für die Gärung wurden uns schon damals angetragen, aber gebraucht haben wir sie nie.

Trübe Weine haben wir mit Gelatine geschönt. Bentonit und Blauschönung kamen erst später. Nach dem zweiten Abzug haben wir die Weine filtriert.

Vor der Kellerei war ein Garten. Da haben wir ein acht Meter tiefes Loch ausgehoben und dort die ersten Betonzisternen eingebaut, mit 300 und 500 Hektoliter Fassungsvermögen. Bis dahin gab’s ja nur die großen Holzfässer im Keller. Die Stahlfässer kamen erst allmählich und waren sehr teuer.

Der Stocker-Waschtl, der dann 1955 mein Nachfolger wurde, hat schon damals bei uns in der Kellerei gearbeitet. Er hatte den Pressraum über. Die arbeiteten damals immer unterirdisch. Viel Interesse und neue Ideen, die hatte der Waschtl immer schon gehabt. Der war auch beim Verkosten oft dabei.

Neustart bei der Kellerei Neumarkt

In Neumarkt gab es damals noch eine Genossenschaftskellerei in der Hand von Trentinern. Die waren etwas in Schwierigkeiten. Da gab es die Gelegenheit, diese zu pachten. Gemeinsam mit meinem Partner Nussbaumer aus Montan übernahm ich 1955 die Führung dieser Kellerei. Von 3.000 bis 10.000 Hektoliter haben wir da alljährlich eingekellert, vor allem Vernatsch und Blauburgunder. Eines der größten Mitglieder war Baron Longo, der allein hat an die 1.800 Hektoliter im Jahr geliefert.

Wir haben uns verpflichtet, den Mitgliedern zehn Prozent mehr zu bezahlen, als die Richtpreise der Handelskammer vorgesehen haben. Da hat mich öfters ein benachbarter Weinhändler angerufen und kritisiert, dass wir zu hohe Preise auszahlen.

Der Blauburgunder kam fast zur Gänze aus Montan und war schon damals sehr gefragt. Wir haben deshalb schon 1955 damit begonnen, einen Teil in 7/10-l-Flaschen abzufüllen: Vernatsch, Kalterersee Auslese, Blauburgunder und Weißburgunder. Für den Tiroler Leiten, den Bauernwein und so manchen Fantasiewein haben wir Wein zugekauft. Wir waren ja Weinhändler. Wir hätten selbst nie genug Wein gehabt. Um preislich mithalten zu können, mussten wir zukaufen. Das meiste haben wir im Inland verkauft.

Kellerei Lageder 1947 – Alfons Giovanett ist der junge Bursche auf der Leiter.

Alfons Giovanett (auf dem Bottich vorne in der Mitte) beim Wimmen in der Kellerei Terlan

Sehr beliebt war der weiße Frizzantino. Der Wein dazu kam aus dem Soavegebiet. Mit etwas Zucker oder Konzentrat und Kohlensäure im Tank versetzt, war der Wein sehr frisch und spritzig und vor allem bei den Deutschen sehr beliebt. Die sind verrückt danach gewesen. Beim Abfüllen ist mit dem Druck so manche der 50.000 Flaschen explodiert. Da musste der Arbeiter schon vorsichtig sein. Nach dem Abfüllen der Flaschen wurden diese in einem kleinen Kasten mit circa 80 °C pasteurisiert.

Ab und zu haben wir einige Flaschen ab Kellerei verkauft, wenn jemand vorbeigeschaut hat. Sonst gab es aber keinen direkten Verkauf. Ab und zu kamen auch ein paar deutsche Gäste und wollten die Kellerei besichtigen. Da haben wir sie durch den Betrieb geführt.

Die Gründung von Castelfeder

1970 erfolgte die Fusion der Kellerei Neumarkt mit der Kellerei Tramin. Ich habe mich dann selbstständig gemacht, die Gebäude der ehemaligen Holzknechtkellerei unter den Neumarkter Lauben angemietet und die neue Kellerei Castelfeder gegründet. Der Name ist mir während der Arbeit eingefallen. Den habe ich dann gleich schützen lassen.

Einige Mitglieder der ehemaligen Kellerei Neumarkt sind nicht nach Tramin gegangen. Die habe ich übernommen, dazu noch einige Lieferanten aus dem Unterland. Mit denen bin ich gestartet. Die Abfüllanlage von der alten Gesellschaft habe ich auch übernommen. Dazu haben wir einige Holzstander gekauft. Beim Gären haben wir ab und zu auch schon Feinhefen verwendet, damit die Gärung startet und sicherer verläuft. Das war schon wichtig. Denn früher hatte der Wein immer wieder Nebengerüche, wenn die Weine nicht ausgegoren hatten. Da musste man bei den Verschnitten aufpassen, dass nicht ein Fass noch Restzucker hatte. Die fehlerhaften Weine musste man die längste Zeit schönen und mit neuen Hefen wieder aufgären, um die Gerüche wieder wegzukriegen.

Ein Dutzend Kellereien in Neumarkt

Allein in Neumarkt waren damals fast ein Dutzend Kellereien tätig, darunter einige große Händlerbetriebe mit Millionen von billigen Flaschen. Da waren Vinexport/Todesca von gebürtigen Trienter Unternehmern, Montemerli aus Venetien oder Winefood/Folonari am heutigen Würthsitz. Hinzu kamen die Kellereigenossenschaft Neumarkt und einheimische Händler und Abfüller wie Stimpfl, Vaja/Bonatti ex Mairgünther, Holzknecht und Tapfer – die waren an unserem heutigen Firmensitz von Castelfeder – sowie Eigenbauabfüller wie der Pernter in der Vill.

Bis Mitte der 1980er Jahre hielt dieser Boom an. Als Folge der einschneidenden Weinkrise und der neuen DOC-Bestimmungen sind die meisten dieser Betriebe dann von der Bildfläche verschwunden. Übrig geblieben sind damals in Neumarkt schlussendlich nur wir als Castelfeder. Sohn Günther hat 1984 mit 26 Jahren die Leitung des Weinguts übernommen. Im Jahre 1989 haben wir die Kellerei aus Platzgründen nach Kurtinig ausgelagert.

Ein Dreiviertelkilo Zucker hat einen Hektoliter um einen Alkoholgrad aufgebessert

Die größte Plage für die Kellermeister war damals das Aufzuckern. Da musste man aufpassen, in der Nacht alle Lichter auslöschen, die Kellertüren zusperren … Um zehn Uhr abends haben wir angefangen, und dann gingen die Arbeiten oft bis vier Uhr in der Früh. Das war keine leichte Aufgabe in den Kellern während der Gärung. Bei all den Gärgasen hat man es manchmal kaum mehr „derschnauft“. Da musste man immer wieder kurz an die frische Luft. Vorher mussten wir aber immer einen Spion rausschicken, um zu schauen, ob die Luft rein war. Das war eine Rauferei.

Das Zuckern war immer verboten, aber schlimm wurde es mit den Kontrollen, wie die DOC-Bestimmungen eingeführt worden sind. Viele Trauben waren noch halb grün bei der Ernte, mit vielen Fuchsen. Ein bis eineinhalb Kilo Zucker pro Hektoliter haben wir dazugegeben. Ein Dreiviertelkilo hat einen Hektoliter um einen Alkoholgrad aufgebessert. Den Zucker mussten wir schwarz besorgen und in einem Geschäft bestellen. Die haben den Zucker dann heimlich in 50-kg-Säcken am Abend geliefert.

In Terlan hatten wir eines Tages gerade eine Zuckerlieferung. Wir haben die Säcke alle in ein Eck im Keller gestockt und einige Kisten davorgeschoben. Wir haben nicht daran gedacht, dass da eine Kontrolle kommen könnte. Und gerade da kamen sie, die Kontrolleure von San Michele, die waren damals dafür zuständig. Gott sei Dank war da ein Schulkollege von mir dabei. Den habe ich gleich zur Seite genommen und ihn aufgeklärt: „Schaugs mo bitte jo net in dei Ecke eini.“ So ist alles gut gegangen.

Die haben schon einige beim Zuckern erwischt in jener Zeit. Wo die Kontrolleure in den Nächten Licht gesehen haben, da wurde kontrolliert.

„Trink mo a Glasl!“

Das war mein Beruf. Ans Aufhören hätte ich nie gedacht. Der Schaffer, der Kellermeister, war damals der beste Arbeiter in der Kellerei. Das Sagen hatten meist die Obmänner, und die haben nicht immer viel verstanden vom Wein und vom Geschäft.

Beim Preiseaushandeln und Verkaufen war ich nie dabei in Terlan. Die haben mich dazu gar nicht eingeladen. Wie und zu welchen Bedingungen die damals verkauft haben, das weiß ich nicht, das hat mich auch gar nicht interessiert. Beim Einkaufen von Weinen hingegen war ich schon dabei. Da musste schon ich schauen, was wir einkaufen, und die richtigen Weine auswählen.

Ich war kein Weintrinker, habe nur gekostet. Das war eine Plage. Wenn ich in ein Gasthaus gekommen bin, hat es gleich geheißen: „Hoi, iatz isch do Schoffa do, trink mo a Glasl!“ Ich habe aber immer das halbe Glas stehen lassen. Irgendwann haben mich dann alle gekannt und das akzeptiert. Es wurde schon viel getrunken damals. So mancher Vertreter und Verkäufer, der den ganzen Tag unterwegs war, hat sicherlich regelmäßig vier bis fünf Liter Wein am Tag getrunken – und nichts gespürt. Manche haben’s dann aber schon bezahlt und sind früh gestorben.

„Du, Alfons, du bisch der Beschte“

Bei den Kellermeistern war anfangs einiges an Misstrauen vorhanden. Vor allem die Chefitäten wollten nicht so recht, dass wir ins Gespräch kommen und uns absprechen. Der Kellermeisterverband hat da viel verändert. Da haben wir dann auch angefangen, die Weine gegenseitig zu verkosten. Die haben wir auch bei den Sitzungen mitgenommen. Wenn jemand einmal nicht mehr weiterwusste oder eine Fehlgärung hatte, dann haben wir gemeinsam gekostet und beraten. Es ist auch alles viel lockerer geworden mit der Zeit, und wir haben viel gemeinsam unternommen. Ich war zwei Jahrzehnte Kassenwart beim Verband, zuerst beim Präsidenten Weger und dann auch beim neuen Präsidenten Hans Terzer.

Die Kellermeisterversammlungen waren schon interessant. An die Witze vom Kollegen Bollego erinnert sich jeder noch mit viel Freude. Der hat die ganze Bude unterhalten. Vor allem bei den Lehrfahrten und Ausflügen.

Bei einer Lehrfahrt hat unser Weißburgunder Castelfeder die Österreicher geschlagen. Das war ein Erfolg. Ich habe drei Flaschen für die Verkostung in Klosterneuburg mitgenommen. Da haben sich Kellermeister aus Österreich, Deutschland und von uns getroffen. Nach der Verkostung und Auswertung ruft mir der Dr. Weger zu: „Du, Alfons, du bisch der Beschte!“ Das war schon toll, die Österreicher zu schlagen.

Kellermeisterausflug nach Geisenheim

Da wollte man uns gleich den ganzen Wein abkaufen. Aber wir hatten nur ein Fass davon im Keller, ein altes Eichenfass mit 30 Hektolitern.

„Du muasch lei aufpassen …“

Ein junger Kollege ist einmal zu mir gekommen und hat mich gebeten: „Du Alfons, schreib mir bitte das Wichtigste auf, was ich als Kellermeister tun muss beim Einkellern und beim Wein.“ – „Du muasch lei aufpassen, die faulen Trauben a bissl separat halten und fest schwefeln. Sonst musst du 20 bis 30 Gramm Schwefel reintun beim Einkellern und dann immer wieder kosten und bei jedem Abzug fünf Gramm Schwefel dazutun.“ Das waren die wichtigsten Regeln, die man als Kellermeister damals einhalten hat müssen.

(Mai 2016)

Beim Gradieren der Maische in Neustift: Franz Markart (l.) und Johannes Sigmund

Johannes Sigmund

Ein Kellermeister ohne Titel

Johannes Sigmund, der Hans, kam am 12. Dezember 1928 am Schwarzierenhof in Feldthurns als zehntes von zwölf Kindern zur Welt. Von 1959 bis 1993 arbeitete er in der Stiftskellerei Neustift, zuerst als Kellerarbeiter, dann als Kellermeister (ohne Titel) und nach seiner Pensionierung über zwanzig Jahre lang als beliebter und origineller Kellerführer.

Die Eltern hatten einen kleinen Bauernhof, wo wir alle mithelfen mussten. Von einem knappen Hektar Weinberg kamen die Trauben, die wir alljährlich selbst einkellerten. Die Weinberge waren in lauter kleinen Stücke über die gesamte Fläche verteilt. Vier Erziehungsformen gab es in jener Zeit noch in unseren Weinbergen: Die Ackerpergeln mit Doppelfliege am Rande der Felder und Äcker waren wie eine Art Einzäunung und Abgrenzung der Grundstücke. Das war ein großer Arbeitsaufwand, weil es große Säulen dazu gebraucht hat. Dafür waren das echte Massenträger, mit sehr viel Ertrag in guten Jahren. Dann gab es die normalen, klassischen Pergeln, die Spalier- oder Drahtrahmenerziehung auf kleinen Flächen und die Stöckele-Reben in Schrambach.

Roter Veltliner und Schlauraufrote

Um 1938/39 hat mein Vater schon Veltliner auf alten Portugieserstöcken veredeln lassen. Als weiße Trauben hatten wir noch Blatterle, als rote Reben Portugieser, etwas Lagrein, der war gut für den Leps, etwas Vernatsch und Schlauraufrote, die nach dem gleichnamigen Hof in Feldthurns benannt waren. Von der Rebe ist aber nichts mehr bekannt. Eingekellert haben wir als Weißwein immer den Blatterle und dann später den Veltliner. Dann gab es einen Rotwein mit den gemischten Rotweintrauben. Dazu kam noch der Leps. So an die 60 bis 70 Hektoliter haben wir jedes Jahr eingekellert und versucht zu verkaufen. 200 Zummen à 40 Kilogramm Trauben, das ergab an die 8.000 Kilogramm Trauben pro Ernte.

Schwefelung gab es keine bei uns damals. Aber die Trauben hatten schon ihren Schwefel. Bei den Ackerpergln und bei den Pergeln sind die Trauben mit einem trockenen, gelben Schwefel geschwefelt worden – gegen Heuwurm und ähnliche Krankheiten. Im Keller sind dann nur die Fässer geschwefelt worden, damit sie nicht zugrunde gingen.

„Hüatln“ als Einkellerungsmethode

Mit den Portugiesertrauben gab es bei uns noch eine besondere Tradition. Nach der Gärung wurde der Jungwein von den Trestern abgezogen. Mit diesen ist Leps gemacht worden. Auf zehn Hektoliter Wein kamen dann an die 100 Kilogramm frisch gemostete Veltlinertrauben oben drauf, so wie ein Hut. Das hat einmalig gepasst und die Qualität des Weines wesentlich verbessert. Der Wein hat mehr Kraft bekommen. Die Trauben blieben dann drauf bis zum nächsten Abzug. Das wurde bei uns zu Hause immer so gemacht. Das haben wir das „Hüatln“ genannt.

Halbmittag im Stiftskeller in Neustift: Kellermeister Franz Markart (r.), Johannes Sigmund (Mitte)

Es gab einen Weißwein bei uns, einen Roten und den Leps. Den Wein haben wir zum Großteil verkauft. Ein paar Bauern kamen aus Latzfons mit 1- bis 2-hl-Fässern und holten ihren Wein. Bei den Markttagen wurde aufgeschenkt. Und auch sonst wurde viel mehr Wein getrunken als heute. Da ist immer mindestens ein halber Liter Wein getrunken worden, nicht nur „a Glasl“ wie heute. Wein wurde zudem den ganzen Tag über getrunken, vom Halbmittag übers Mittagessen bis zur Marende und zum Abendessen. Beim Bauen mit den Ochsen in den Äckern brauchte ein Nachbar von uns nach jeder zweiten Furche das Lepspanzele für den Durst.

Ein Jahr hatten wir vor dem Einkellern aber noch 15 Hektoliter Wein im Keller. Das war ein großes Problem. Vor allem hat der Wein den Sommer nicht gut überstanden. Qualität gab es damals ja überhaupt nicht. Das war meist immer nur ein besserer Leps.

Landwirtschaftsschule in Klausen

In den letzten Kriegsmonaten musste ich als junger Bursche mit einem Wachtrupp nachts die Bahngleise im Eisacktal abgehen und bewachen. Am 28. Februar 1945 hat bei einer Bombardierung bei unserem Nachbarn ein Volltreffer eingeschlagen, mit sieben Toten. Darunter war auch ein Bruder von mir.

Nach dem Krieg habe ich vorübergehend in Gröden gearbeitet. Im Winter 1956/57 habe ich die Landwirtschaftsschule in Klausen in einem Saal des Hotels Post besucht. Da standen vor allem die Obst- und Viehwirtschaft im Mittelpunkt.

Ich war kein gelernter Kellermeister

Dann habe ich nach einer neuen Arbeit gesucht. Da kam einmal jemand aus Neustift bei uns zu Hause vorbei und hat erzählt, dass die im Kloster Neustift einen Kellerarbeiter suchen. Ich bin hinauf und habe mich vorgestellt. Und am 1. April 1959 habe ich dort als landwirtschaftlicher Arbeiter angefangen. Kellermeister war damals der Tobias Ploner, Schankmeister der Franz Markart. Der Franz Markart hat dann bald einmal die Nachfolge von Tobias Ploner angetreten.

Im Keller kamen immer mehr Arbeiten dazu, und ich musste überall mit anpacken. Vormittags haben wir im Keller gearbeitet und nachmittags in der Klosterschenke bedient. Der Kellermeister Markart hat gerne mit den Leuten geredet und im Schankbetrieb gearbeitet. Ich bin dafür immer mehr in die Kellerarbeiten hineingewachsen und habe dort Verantwortung übernommen. Ich war für alle einfach der Hans.

In den 1970er Jahren ist der Kellermeister erkrankt und hat sechs Monate lang gefehlt. Das Kloster war in einer schwierigen Situation. Ich war zu schwach für die Aufgabe oder wurde als zu schwach angeschaut. Aber das ist ja gleich heute. Und das Kloster konnte niemand anstellen. Aber es ist trotzdem weitergegangen. Der Werth-Adolf, der Kellermeister vom Kloster Muri-Gries, hat ein paarmal aushelfen müssen. Aber die Weine, die da ausgewählt worden sind, habe ich nicht immer zur Bozner Weinkost geschickt. Die habe ich schon selber ausgesucht.

Das ist dann so weitergegangen, und ich bin langsam in die Aufgaben des Kellermeisters hineingewachsen. Der Verwalter Dietl hat mich dann Anfang der 1980er Jahre mit dieser Verantwortung beauftragt. Ein ausgebildeter Kellermeister war ich aber nie. Da will ich mich nicht mit fremden Federn schmücken.

Der Brixner Hügel, der war gesund

Die Trauben in Neustift kamen aus den Weinbergen des Klosters sowie von verschiedenen Bauern: an die 2.500 bis 3.000 Hektoliter Weißwein und an die 500 Hektoliter Rotwein in meinen ersten Jahren dort.

Sylvaner, Gewürztraminer, Roter Veltiner und Ruländer spielten bei den Weißweinen die Hauptrolle. Müller-Thurgau kam später und der Kerner ab den 1980er Jahren hinzu. Da haben wir die ersten 30 Hektoliter davon eingekellert. An die 70 Prozent machten die Weißweine in Neustift aus, 30 Prozent die Rotweine, da vor allem der Portugieser und der Vernatsch.

Der Rotveltliner war eine sehr alte Sorte bei uns. Er war samtiger als der Grüne Veltliner, mit niedrigerer Säure. Mit einem Tusch Sylvaner wurde das immer ein frischer, saftiger Wein. Schade, dass er mittlerweile aus den Weinbergen verschwunden ist.

Aus Portugieser und Blatterle kellerten wir den Brixner Hügel, einen frischen, süffigen Rotwein, den wir in 1- und 2-l-Flaschen, später dann auch in 3/4-l-Flaschen, abgefüllt haben. Die Trauben sind zusammen geliefert und so vergoren worden. Der Wein war sehr beliebt, bei Einheimischen und Urlaubern. Ein bekannter Brixner Arzt hat auf den Wein geschworen und einmal gesagt: „Der Rothschild von Frankreich geht gut zum Essigmachen, aber der Brixner Hügel, der ist gesund, den trinken wir.“

Schon in den 1960er Jahren haben wir die ersten 3/4-l-Flaschen im Kloster abgefüllt: Sylvaner, Gewürztraminer und Veltliner. Diese haben wir vor allem in unserer Klosterschenke gut verkauft. Da musste ich ja auch oft als Schankmeister aushelfen. In Liter- und Doppelliterflaschen haben wir immer schon gefüllt.

„Wenn der Hans das sagt, dann stimmt’s!“

Die Ernten waren sehr unterschiedlich. Die Erntezeit ging in der Regel von Anfang Oktober bis Martini um den 11. November herum. In einem Jahr hatten wir aber auch schon am 4. Oktober die ganzen Trauben im Keller.

Mit der Qualität war es nicht immer leicht. Einmal kam ein junger Bauer beim Einkellern mit lauter dürren Trauben. Den wollten wir wieder heimschicken. Er sollte die Trauben besser als Trester zum Schnapsbrennen verkaufen. Der wollte das aber nicht glauben: „Das werden wir ja sehen!“ Da kamen dann der Verwalter, dann der Obmann der Genossenschaft und dann auch noch der Vater vom Bauern. Mir wurde dabei schon etwas mulmig zumute. Aber die mussten mir recht geben. Der Jungbauer ist daraufhin nie mehr mit den Trauben gekommen. Die hat dann sein Bruder geliefert. Ich hatte etwas Angst, dass ich bei der Versammlung der Genossenschaft angegriffen würde. Aber niemand hat weder pipp noch papp gesagt.

Beim Schnapsbrennen im Stift Neustift: Franz Markart (l.) und Johannes Sigmund

Ein anderes Mal kam ein Bauer, der hatte keine schlechten Trauben, aber keine Gradation. Was tun? Das war ein armer Teufel. Da habe ich es auf meine Kappe genommen und den Vorschlag gemacht: „Bei den 1.000 Kilogramm Trauben ziehen wir 200 Kilogramm ab, so haben weder das Kloster noch du einen Schaden.“ Wir konnten mit den Trauben ohnehin nur Tafelwein machen. So etwas konnte man nur mit einem Bauern machen, der „dicht“ war. Wenn das in die Verwaltung gekommen wäre, hätte es gleich Stunk gegeben. Solche Fälle gab es aber nicht viele.

Einige Bauern – vor allem einige Tschötscher – wollten ab und zu schon die Schlauen spielen und haben versucht, die guten

Trauben zu sortieren und nur bei diesen die Werte messen zu lassen. Das konnte ich nicht akzeptieren. Einer war überhaupt nie zufrieden. Dem habe ich schon gesagt: „Dass du mich für blöd anschaust, das kann ich akzeptieren. Aber dass du mich für so blöd anschaust, dass ich etwas stehle, wovon ich nichts habe, für so blöd darfst du mich nicht anschauen.“ Aber es gab auch die, die beim Gradieren gar nicht zugeschaut haben. Die haben sich voll auf mein Urteil verlassen: „Wenn der Hans das sagt, dann stimmt’s!“

Die Genossenschaft Brixen, Neustift und Umgebung …

1961 ist in Klausen die Eisacktaler Kellereigenossenschaft gegründet worden. In etwa zur gleichen Zeit wurde auch hier bei uns die Genossenschaft Brixen, Neustift und Umgebung gegründet. 30 Jahre lang war da der Haller-Toni Obmann. Die Mitglieder der Genossenschaft haben ihre Trauben ans Kloster Neustift geliefert, außer in einem Jahr: Da wurden die Trauben an die Kellerei Wilhelm Walch in Tramin verkauft. Viele Bauern haben in all den Jahren im Raum Brixen ihre Trauben auch an die Kellerei Vonklausner in Brixen geliefert, die erst vor einigen Jahren ihre Tore geschlossen hat. Der Vonklausner hat immer alles genommen. Da mussten viele Bauern froh darüber sein.

Es war nämlich nicht immer ganz leicht mit den Bauern. Einer hat zum Beispiel in den ersten Jahren in drei Orte geliefert: ins Kloster, zum Vonklausner und in die Genossenschaft nach Klausen. Da musste man bei manchem Bauern die Samthandschuhe anziehen. Wenn da einmal jemand etwas mehr für eine Sorte gezahlt hat, dann wollte der eine oder andere gleich dorthin wechseln.

Bei den Selbsteinkellerern im Brixner Raum gab es immer schon den alten Pacherhof in Neustift. Der alte Pacher und der Völkl, die haben ja im 19. Jahrhundert den Sylvaner ins Eisacktal gebracht. Dann kamen im Laufe der Jahre der Peter Pliger vom Kuenhof, der Köfererhof, der Strasserhof, der Villscheider, der Griesser und einige mehr hinzu.

„Ich war immer ein großer Sylvanerfan“

Der Sylvaner war und ist die Hauptsorte im Eisacktal. Ich war immer ein großer Sylvanerfan. Früher waren die Sylvanerweine aber etwas anders als heute: Sie waren rescher, etwas härter, mit viel höherer Säure und einem klassischen Brennnesselton als typischem Markenzeichen.

Konkurrenten des Sylvaners wurden im Eisacktal mit der Zeit allmählich der Müller-Thurgau und der Kerner. Die brauchten nicht die besten Lagen. Der Sylvaner hatte nicht immer einen leichten Stand und hätte so manches Mal durch andere Sorten ersetzt werden sollen. Heute sind es Gott sei Dank vor allem wieder die Eisacktaler Sylvaner, die überall gut abschneiden und Preise einheimsen.

Als Klosterkellerei haben wir jedes Jahr auch an die 20 bis 30 Hektoliter Messwein, einen Sylvaner, abgefüllt. Da durften kein Tropfen Wasser und kein Zucker dabei sein. Den haben wir in Literflaschen abgefüllt und an die Pfarreien geliefert. Aber auch einige Private und bessere Brixner Bürger haben den gekauft. Der war etwas billiger und anscheinend auch gesünder. Die 18 Pfarreien, die vom Kloster aus betreut worden sind, haben zudem alle ein Hektoliterfass Wein für den täglichen Gebrauch bekommen.

Beim Einkellern im Stift Neustift: mit Praktikant und Kellerbua Josef Sigmund (r.), dem späteren Bürgermeister von Vahrn

Landwirtschaftsschule Klausen 1956 in Leitach, Lehrgang auf die Spitalwiesen

Einmal hatten wir ein Fass Sylvaner mit 13,5° KMW. Den mussten wir mit sechs Kilogramm Zucker aufbessern, dann verschneiden und als Tafelwein verkaufen. 15° KMW waren schon gut damals. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen.

Die Roten vom Marklhof

Für die Rotweine war in Neustift immer der Marklhof in Girlan zuständig. Der Marklhof mit der Bozner Lage Maria Heim gehörte zum Kloster. Dort wurden Vernatsch und Lagrein, Blauburgunder und etwas Gewürztraminer angebaut und immer vor Ort eingekellert. Schaffer war dort viele Jahre hindurch der Prader-Hans. Das lief alles ganz getrennt ab. Wir in Neustift haben als Rotwein nur den Brixner Hügel abgefüllt.

Der Portugieser war im Eisacktal der typische Törggelewein. Das war ein interessanter, weicher Wein. Einige weiße Trauben dabei haben ihm gutgetan. Der Portugieser war ein idealer Wein zum geselligen Trinken. Der Zweigelt hingegen war schon immer etwas härter und rustikaler. Der braucht viel mehr Zeit zum Reifen.

Zweimal in Pension

1990 bin ich das erste Mal offiziell in Pension gegangen. Nachdem es aber Probleme mit der Nachfolge gab, musste ich nochmals zurückkehren und bin dann 1993 zum zweiten Mal in Pension gegangen. Mein Nachfolger wurde der Alexander Weissteiner. Der kam mit vielen Fachbüchern und Zeitschriften zur Arbeit und hat mich einmal nach meinen Unterlagen gefragt. Zwei, drei kleine Schulhefte, einen Block mit Notizen und ein Lehrbuch aus der Schulzeit, mehr war nicht da – mit dem habe ich über all die Jahre hindurch gearbeitet. Mich hat sicher auch das Glück immer auf meinem Weg begleitet. Bei meinem Weggang vom Keller war dieser fast ganz leer.

Als Kellerschaffer habe ich mir immer ein Ziel gesetzt: Ich wollte erreichen, dass die Bestellungen hereinkommen, wenn die Trauben noch an der Rebe hängen. Das habe ich als bescheidener Hans mit der alten Sorte Veltliner erreicht. Darauf bin ich stolz, auch wenn Selbstlob stinkt.

Bis 2014 herauf habe ich dann immer noch Kellerführungen im Kloster gemacht. Für mich war es eine kleine Genugtuung, wie ich gemerkt habe, dass auch danach noch so manche Gäste nach den Führungen mit dem „alten Hans“ gefragt haben. Es ist zwar nicht immer alles gut gegangen, aber es war eine schöne Zeit im Kloster.

(September 2016)

Herbert Tiefenbrunner bei der Verkostung der Weine im historischen Keller

Herbert Tiefenbrunner

Ein Tiroler wie im Bilderbuch

Das Reich Herbert Tiefenbrunners (29. Februar 1928 bis 1. April 2015) war zeitlebens Castel Turmhof in Entiklar, das romantische Schlösschen mit seinem antiken Schlossgarten, den uralten Bäumen, den urigen Sagengestalten und den tiefen Kellern. 1965 übernahm Herbert Tiefenbrunner den Betrieb von seinem Vater und baute ihn – ab 1983 gemeinsam mit Sohn Christof – zu dem Vorzeigebetrieb aus, der er heute ist.

Herbert Tiefenbrunners Herz schlug neben dem Wein gleichzeitig immer auch für den Gesang und für die Tradition. Das waren die Eckpfeiler seines Lebens. Über 50 Jahre lang sang er im Kurtatscher Männerchor, deren Ehrenobmann er war. Er gründete gemeinsam mit seiner Familie die Entiklarer Stubenmusik, dann den Entiklarer Männerviergesang … „Wo man singt, da lass dich nieder“, hat sich Herbert Tiefenbrunner zeitlebens zu seinem Motto gemacht.

Sein Lieblingsplatz war oben auf dem Fennberg, in der Hofstatt. Dort, wo er 1972 auf über 1.000 Meter Meereshöhe seine ersten Müller-Thurgau-Reben und damit einen der höchsten Weinberge Europas gepflanzt hat. Wenn er dort in geselliger Runde den hausgemachten Speck aufschnitt und seinen berühmten „Feldmarschall von Fenner“ kredenzte, dann war für den kernigen Tiroler mit den schneeweißen Haaren die Welt in Ordnung – und seine Augen begannen zu leuchten.

Müller-Thurgau am Fennberg

In einem Gespräch im Jahr 2010 erinnert sich Herbert Tiefenbrunner: „Am Unterfennberg hat unsere Familie einen alten, traditionsreichen Ansitz, unser Ferienhaus übers Jahr. Da habe ich beobachtet, dass in den Feldern und Wiesen unterhalb vom Ansitz ein besonderes Mikroklima herrscht. Die Ora, der milde Wind vom Gardasee aus dem Süden, schwächt hier das raue Klima etwas ab. Und die nach Süden ausgerichtete Lage hat eine herrliche Sonneneinstrahlang das ganze Jahr über. Da habe ich mich zu einem Schritt entschlossen, den wohl kaum einer gewagt hätte in jener Zeit.

Auszeichnung Cangrande bei der Vinitaly – mit Handelskammerpräsident Benedikt Gramm

1972 habe ich hier in Fennberg, auf über 1.000 Meter Höhe beim Kreuzacker, Müller-Thurgau-Reben gepflanzt. ‚Der Tiefenbrunner spinnt, da zwischen den Larchen Reben zu setzen’, spotteten gar manche damals. Ich ließ mich aber trotz einiger Rückschläge nicht von der Idee abbringen.

Schon im zweiten Jahr kam die erste Katastrophe: Ein Skandinavientief ließ die Temperaturen im September auf minus sieben Grad sinken. Mein Mitarbeiter rief mich mitten in der Nacht an und wusste sich nicht zu helfen. Die erste Ernte war in Gefahr. Da ist mir eingefallen, dass im Apfelanbau bei Frostnächten im Frühjahr die Oberflächenberegnung eingeschaltet wird. Das Eis schützt die Blüten vor Schlimmerem. Was bei den Äpfeln hilft, kann ja bei den Trauben auch nicht falsch sein, habe ich mir gesagt. Und wir haben gleich die Beregnung eingeschaltet und die ganze Nacht hindurch bewässert. Am Morgen waren zwar die Trauben in eine schöne Eisschicht eingepackt, aber sie und damit die erste Ernte waren gerettet.

Feldmarschall von Fenner zu Fennberg

1974 kam der erste Müller-Thurgau vom Fennberg auf den Markt. Als Müller-Thurgau konnten wir ihn nicht verkaufen, da die DOC-Regelung vorsah, dass nur Weine, die unterhalb von 950 Meter Höhe wachsen, als DOC-Weine gelten durften. Alles andere waren Tafelweine. Das hat uns aber nicht entmutigt, und wir haben unseren Müller-Thurgau nach Franz Philipp Freiherr von Fenner zu Fennberg, einem ehemaligen Mitstreiter von Andreas Hofer, der die Sommerfrische immer am Fennberg verbracht hatte, benannt. Damit haben wir eine eigene Marke kreiert. Und der „Feldmarschall“ ist heute überall gefragt und wohl Italiens bekanntester Müller-Thurgau.

Dem taten auch weitere Rückschläge wie ein totaler Rebenausfall in den 1980er Jahren keinen Abbruch. Der Feldmarschall hat uns die Türen zu den internationalen Märkten geöffnet.“

Südtiroler Weine bekannt gemacht

Herbert Tiefenbrunner war aber auch sonst ein umtriebiger Geist. Bereits 1942, als 14-Jähriger, musste er für die Schlosskellerei in Entiklar die Verantwortung mit übernehmen.

Ab 1968 führte Herbert Tiefenbrunner das Unternehmen gemeinsam mit seiner Frau Hilde. Die Geschichte der Handelskellerei Turmhof reicht bis ins Jahr 1848 zurück. In jenem Jahr wurde der Kellereibetrieb in das Handelsregister eingetragen. Erhebliche qualitative Fortschritte machte das Weingut aber erst unter Herbert Tiefenbrunner. Die Weine, die ursprünglich für den Ab-Hof-Verkauf bestimmt waren, wurden in Flaschen abgefüllt, Märkte im In- und Ausland wurden erschlossen. Die Schlosskellerei Turmhof zählte zu den Ersten, die Südtiroler Weine außerhalb der Provinz Bozen bekannt machte. Heute steht der Name Tiefenbrunner mit seinen Linien Castel Turmhof und Linticlarus auch international für beste Weinqualitäten.

21. Oktober 1973 – Tagebucheintrag in der Hofstatt am Fennberg: die erste Feldmarschall-Ernte

Herbert Tiefenbrunner bei der Weinprobe

Die Auszeichnung „Cangrande ai Benemeriti della Vitivinicoltura“ bei der Vinitaly 2007 war für Herbert Tiefenbrunner eine gebührende Auszeichnung für sein Lebenswerk.

(Herbst 2010)

Herbert Tiefenbrunner in seinem Weinberg am Fennberg

Kellernotizen von Sebastian Stocker: abgefüllte Flaschen Jahrgang 1959

Sebastian Stocker

Wegbereiter der neuen Südtiroler Weißweinkultur

Sebastian Stocker ist am 10. April 1929 als zweitältestes von vier Kindern am Lehenegghof der Familie Mackowitz in Terlan zur Welt gekommen. Sein Vater war dort Baumann und für die Landwirtschaft mit verantwortlich. Von 1955 bis 1993 war der „Waschtl“ Kellermeister der Kellerei Terlan, einer der großen Pioniere und Visionäre sowie Wegbereiter der neuen Weißweinkultur in Südtirol.

Schon als kleiner Junge war ich mit meinem Vater oft in den Weinbergen und wuchs mit den Reben auf. Die Familie Mackowitz war sehr experimentierfreudig und qualitätsorientiert und hatte in ihren Weinbergen ein breites Sortiment an Rebsorten gepflanzt. Neben der klassischen Terlaner Rebe gab es Weißburgunder, Welschriesling, Gewürztraminer und Chardonnay sowie Vernatsch und Frühen Roten Malvasier. Die guten Reben wurden gewissenhaft sortiert und vor dem Wimmen über drei Jahre lang für die Veredelung gekennzeichnet.

Im Rahmen der Option 1939 hat sich meine Familie für das Auswandern nach Deutschland entschieden, die Familie Mackowitz fürs Dableiben. Für uns war schon ein Hof in der Tschechei vorgesehen, wo wir hingekommen wären. Gott sei Dank wurde die Auswanderung dann aber unterbrochen. Für ihren Hof hatte die Familie Mackowitz inzwischen schon einen anderen Baumann aus dem Trentino eingestellt, und so mussten wir den Hof verlassen.

Wir Kinder kamen zu Bauern in der Umgebung zum Arbeiten. Die Eltern kamen in einer Notwohnung unter. Ich war zwei Jahre lang, von 1941 bis 1943, beim Kolerhof. Beim Koler haben sie schon selber eingekellert. Die Weine wurden an die Firma Torggler und die Kellerei Algund verkauft. Da war alles schon da, von der Presse bis zu den Pumpen. Das war sehr interessant. Und ich hatte ja schon immer Freude für die Reben, seit ich als Bub mit dem Vater viel in den Weinbergen unterwegs war.