Impressum

Wilhelm Eickhoff, Irma Köhler-Eickhoff

Paulchen, Schnaps und Schweinespeck

 

ISBN 978-3-96521-133-9 (E-Book)

ISBN 978-3-96521-132-2 (Buch)

 

Umschlaggestaltung: Ernst Franta

Fotos: Bild 7, 8, 9 , 11, 14, 17, 20, 21, 22, 23: fotolia,

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So hat es begonnen

Während der Feier zum 100-jährigen Bestehen unseres Elternhauses, einem kleinen Bauernhof am Rand der Lüneburger Heide, dort wo das Moor beginnt, wurden zu vorgerückter Stunde Geschichten und Erlebnisse aus vergangenen Zeiten erzählt. Da war von harter Arbeit, Schnapsbrennen, Schweinen, aber auch von Moorbränden, Hochwassern und immer wieder von der großen Hilfsbereitschaft unter den Nachbarn die Rede. Sicher hatte der eine oder andere auch gern etwas übertrieben und nicht immer waren die Erinnerungen vollständig oder wurden ausgeschmückt. Aber es waren viele tolle Geschichten und aufregende Erlebnisse und die alte Zeit war buchstäblich wieder aufgelebt. Auf unserem Heimweg hatten wir dann die Idee, unsere eigenen Erlebnisse aufzuschreiben. Es sind inzwischen einige Jahre vergangen und mehr als dreißig Geschichten entstanden.

 

Dort wo das Moor beginnt, am südwestlichen Ausläufer der Lüneburger Heide, wurde in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts eine neue Siedlung gegründet. Es bedurfte jedoch langjähriger, kontinuierlicher, schwerer Arbeit, bevor das bisherige Ödland in fruchtbare Felder und saftige Wiesen umgewandelt werden konnte. Für die ersten Siedler war es ein hartes, entbehrungsreiches Leben. Doch mit der Zeit wagten sich immer mehr Familien aus den umliegenden Orten an diese Pionierarbeit.

 

Der Urgroßvater unserer Familie begann 1911 mit dem Bau des heutigen Elternhauses in der bis dahin schon um einiges gewachsenen Siedlung. Mit seiner Frau Ida hatte er sieben Kinder, die in der Zeit von 1892-1904 geboren worden waren. Im Frühjahr 1912 sollte das Haus bezogen werden. Doch kurz vorher starb der Urgroßvater an einem geplatzten Blinddarm. Die Familie stand ohne den Vater und Ernährer da. Die Urgroßmutter zog nun allein mit ihren sieben Kindern in das neue, noch nicht ganz fertige Haus. In den folgenden Jahren gelang es ihr mit Hilfe der Nachbarn und ihrer Kinder, nach und nach einen kleinen bäuerlichen Betrieb aufzubauen. Gustav, der einzige Sohn, leistete dabei die Hauptarbeit.

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Bild 1: Das Stammhaus

Mit Beginn des ersten Weltkrieges wurde auch Gustav zur Armee eingezogen. Ohne die gegenseitige Hilfe der Nachbarn, meistens waren es Frauen, deren Männer ja auch im Krieg waren, hätte unsere Urgroßmutter mit ihren sechs Töchtern die harte Arbeit auf dem kleinen Hof nicht bewältigen können. Zum Jahresende 1918 kam Gustav dann endlich und auch gesund wieder nach Hause.

Auf dem Heimweg hatte er eine junge Frau kennengelernt. Nach zweijährigem intensiven Werben um Erna wurde geheiratet. Die Schwestern rückten zusammen, damit die beiden ihr eigenes Zimmer im Elternhaus bekommen konnten. In den folgenden Jahren bekam das junge Paar erst zwei Töchter und dann zwei Söhne. Es war eng im Haus, bis die Schwestern, eine nach der anderen, geheiratet wurden und das Haus verließen. Als dann endlich 1934 die letzte Tochter zu ihrem Ehemann zog, soll Urgroßmutter Ida in ihr Tagebuch geschrieben haben:

Gott sei es gedankt! Es ist vollbracht!

 

Mit Ausbruch des zweiten Weltkrieges wurde Hubert, der älteste Sohn von Gustav und Erna, zum Wehrdienst eingezogen. Er wurde mehrfach auf dem Russlandfeldzug schwer verwundet, überlebte aber mit viel Glück selbst das Grauen vor Stalingrad. Auch der jüngere Sohn Walter musste mit seinen sechzehn Jahren zum Ende des Krieges noch monatelang zum Volkssturm, kam aber unverletzt nach Hause zurück. Wieder waren es die Frauen und die alten Männer gewesen, die während dieser unsicheren Zeiten die Verantwortung für Familie, Haus und Hof trugen und irgendwie mit der vielen Arbeit fertig werden mussten. Nur durch die gegenseitige Hilfe im Dorf konnte diese schwere Zeit überwunden werden.

Unser kleines Dorf war in den vergangenen Jahren kräftig gewachsen und bestand jetzt bereits aus fünfzig verstreuten, alleinliegenden Gehöften. Nach dem Krieg kamen viele Flüchtlinge in dies kleine Moordorf. Unter ihnen auch Theresa, ein hübsches, junges Mädchen aus Polen, das mit seiner Herrschaft vor der anrückenden russischen Armee geflohen war. Hubert gefiel diese junge Frau und auch die Familie hatte, nachdem Theresa einige Zeit zur Probe auf dem Hof gearbeitet hatte, nichts mehr gegen sie einzuwenden. Die beiden wurden ein Paar, es wurde geheiratet. Doch für einige in der Familie und auch im Dorf blieb Theresa für immer das „Polenmädchen“. Bereits 1949 kam das erste Kind der beiden, ein Mädchen, und 1950 dann Paulchen, der ersehnte Junge und Stammhalter, zur Welt.

Von den Erlebnissen dieses Jungen und seiner Familie in den vergangenen Jahrzehnten und den Geschehnissen in dem kleinen Moordorf wird in diesem Buch erzählt. Viele Geschichten sind selbst erlebt, einige wurden nach Erzählungen von Freunden und Bekannten aufgeschrieben. So entstanden viele lustige, humorvolle Geschichten, aber auch einige sehr ernste und nachdenkliche Erzählungen. Nicht immer waren die Erinnerungen vollständig. Hin und wieder war auch unsere Fantasie gefragt. Namen und Orte haben wir geändert. Aber so oder ähnlich hat es sich damals zugetragen in unserer Welt, dem kleinen Dorf zwischen Moor und Heide.

Die Destille

Wie viele in unserem Dorf, brannte auch mein Großvater leidenschaftlich gern und viel Schnaps. Gerade während der Kriegsjahre, als es wenig oder gar keinen Alkohol mehr zu kaufen gab, praktizierte er sein Hobby ausgiebig. Er achtete immer darauf, dass genug Vorrat im Haus war, denn die nächste Familienfeier, und sei es nur eine Beerdigung, kam bestimmt. Vor allem aber schmeckte ihm selber der Schnaps zu allen Gelegenheiten. Außerdem war der Selbstgebrannte eine begehrte Tauschware für schwer zu beschaffende Ersatzteile, die immer mal wieder auf dem kleinen Bauernhof benötigt wurden.

Da war es nur eine Frage der Zeit, bis eines Tages überraschend die Polizei bei Gustav vor der Tür stand. Das Schnapsbrennen war natürlich verboten und wurde während des Krieges besonders streng verfolgt. Die beiden Polizisten der nahegelegenen Kleinstadt waren bei einer ihrer Kontrollfahrten durch unser Dorf durch den unverwechselbaren Geruch auf das Brennen aufmerksam geworden. Sie drohten meinem ertappten, aber durchaus geständigen Opa zunächst mit einer harten Haftstrafe, ließen dann aber nach einigen Diskussionen Gnade vor Recht ergehen. Es wurde heftig verhandelt, wobei auch der eine oder andere Schnaps probiert und bewertet wurde. Ob die Qualität der Schnäpse die Höhe der Strafe beeinflusst hat, wurde nie bekannt. Schließlich einigte man sich auf Folgendes: Jeder Polizist bekam vorab und stillschweigend eine Flasche des besten Selbstgebrannten und Opa bekam eine saftige Geldstrafe und die Auflage, alle Gerätschaften für das Brennen in Celle beim Gericht abzugeben. Natürlich durfte zukünftig kein Schnaps mehr gebrannt werden. Damit war die Haftstrafe kein Thema mehr. Die Polizisten zogen wieder ab und ein betrübter Schnapsbrenner blieb nachdenklich zurück.

All seine Gerätschaften abzugeben, war für meinen Großvater ein herber Verlust, denn erst vor einigen Jahren hatte er die wichtigsten Teile der Apparatur erneuert. Alles noch einmal zu kaufen, konnte er sich nicht leisten. Auch wurmte es ihn unendlich, dass ausgerechnet er erwischt worden war. Opa dachte einige Tage über seine anscheinend ausweglose Situation nach und begann dann in der Scheunenecke, in der sich einiges Gerümpel angesammelt hatte, nach den alten, ausgewechselten Teilen zu suchen. Tatsächlich fand er alles, was er suchte. Er setzte die alten Teile zusammen. Fast wäre das Gerät vollständig funktionsfähig gewesen. Aber eben nur fast.

Opa blieb nichts anderes übrig, als nach und nach alle Nachbarn zu besuchen, seine Situation und seinen Plan zu erklären und die Kollegen um Hilfe zu bitten. Sein Pech hatte inzwischen im Dorf schon die Runde gemacht und sowohl für Schadenfreude als auch für Mitleid gesorgt. Da fast alle heimlichen Schnapsbrenner auch schon mal einige Teile ihrer Destille ausgewechselt hatten, fanden sich bei den hilfsbereiten und mitfühlenden Kollegen nach und nach die noch fehlenden Teile. Froh darüber, nicht selbst erwischt worden zu sein, überließen sie meinem Großvater gerne die alten, ausrangierten Geräte. So konnte mein Opa nach einigen Tagen alles komplett zusammenschrauben und eine etwas lädierte, aber durchaus funktionsfähige Destille auf seinen Ackerwagen laden.

Am folgenden Tag spannte er die Pferde an und fuhr gemächlich den weiten Weg nach Celle zum Gericht. Für ihn war es ein nicht enden wollender Leidensweg. Endlich angekommen, wurde dort von den Beamten alles genau kontrolliert. Sie prüften, ob er auch alle notwendigen Teile der Apparatur mitgebracht hatte und ob die Anlage voll funktionsfähig war. Skeptisch wurden die einzelnen Teile begutachtet, und schließlich schmunzelnd und augenzwinkernd von den Kontrolleuren akzeptiert. Die Gerichtsdiener waren aber erst zufrieden, nachdem Opa auch seine Geldstrafe bar bezahlt hatte. Dies schmerzte ihn damals sehr, denn Bargeld war immer sehr knapp auf dem Hof. Tief betrübt und verärgert ließ Opa sich von seinen Pferden wieder den langen Weg nach Hause ziehen. Zum Glück hatte er sich vorsorglich einen Flachmann eingesteckt. Der half ihm jetzt, den Verlust zu ertragen.

Natürlich wurde mit der geretteten, neueren Destille weiterhin fleißig Schnaps gebrannt. Birnen, Mirabellen und Äpfel waren besonders beliebt. Doch meine Oma achtete sehr darauf, dass nicht das gesamte Obst zum Schnapsbrennen verwendet wurde, sondern auch noch genug für die Familie zum Essen übrig blieb. Deshalb wurden nach dem ersten Frost Schlehen gesammelt, um auch daraus Schnaps zu brennen. War auch der getrunken, brannte mein Opa seinen Schnaps sogar aus Rüben oder Kartoffeln. Doch vorab erkundete er die Zeiten, zu denen die Polizisten regelmäßig ihre Kontrollfahrten durch unser Dorf machten. Mit den anderen heimlichen Schnapsbrennern wurde nach und nach ein richtiges Alarmsystem vereinbart, sollte die Polizei unverhofft gesichtet werden. Da das meist tagsüber geschah, wurde zukünftig nur noch nachts Schnaps gebrannt. Einige Male kamen die Polizisten direkt zu Opa zur Kontrolle. Der bewirtete sie dann jedes Mal mit einem Schnaps aus seinen „allerletzten“ Restbeständen. Aus den Polizisten wurden mit der Zeit fast Freunde und ungebetene Razzien gab es lange Zeit nicht mehr.

Obwohl Opa noch glimpflich davon gekommen war und auch weiter Schnaps brennen konnte, wurmte ihn diese Geschichte noch sein ganzes Leben lang. Immer wenn er viele Jahre später mit mir durch Celle fuhr und wir am Gericht vorbeikamen, zeigte er mit dem Finger auf das große Gerichtsgebäude:

„Dor häv ik dat allns henbring möst“, pflegte er dann zu sagen.

„Wat för ne Schande“, und dann erzählte er von den Kriegsjahren und wie es ihm immer wieder gelungen war, kleine Nischen zu finden, um seinem Hobby, dem Schnapsbrennen, nachzugehen. Mir wurde nie klar, ob ihn das Erwischtwerden, der Verlust der Destille oder die Geldstrafe mehr geschmerzt hatten. Einen guten Schnaps hat mein Opa noch bis ins hohe Alter immer gern und mit Genuss getrunken.

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Bild 2: Opa träumt von den vergangenen Zeiten

Motocross

Sommer 1949. Es war ein warmer Sonntagnachmittag. Lissy hörte laute Stimmen vor dem Haus. Als sie neugierig aus dem kleinen Dachfenster schaute, sah sie ihre beiden Brüder und die Männer aus der Nachbarschaft. Sie standen um jemanden herum. Schnell lief Lissy die steile Treppe hinunter. Was war da los?

Als sie heftig atmend bei den Männern ankam, sah sie, dass Friedolin, der Freund ihres Bruders, gekommen war. Die Männer diskutierten wild durcheinander ihre Erlebnisse der letzten Zeit und Friedolin präsentierte gerade stolz sein erstes eigenes Moped.

„Hallo Friedolin“, rief Lissy freudig, lief auf ihn zu und begrüßte ihn mit einer innigen Umarmung. Aber dann betrachtete auch sie neugierig das knallrote, neue Moped und es platzte aus ihr heraus: „Darf ich mal mit deinem Moped fahren?“

Friedolin sah in die Gesichter seiner Freunde und antwortete zögernd: „Ja, von mir aus kannst du auch mal mit dem Moped fahren.“

Walter, Lissys jüngster Bruder, nutzte die Chance und verkündete entschieden: „Aber erst, wenn wir gefahren sind, danach kommst du dran!“ Damit war Lissy einverstanden. So fuhren die Männer, einer nach dem anderen auf dem Weg vor dem Haus hin und her. Zunächst den Weg bis zur Straße, dann mit Vollgas wieder zurück, am Haus vorbei bis zu dem kleinen Fluss. Von dort wieder zurück zu den ungeduldig Wartenden. Das kleine Moped wurde gelobt. Die Männer diskutierten über PS und Höchstgeschwindigkeit und hatten auch schon Ideen, wie sie es noch schneller machen konnten. Jeder von ihnen hätte auch gerne ein solches Gefährt gehabt.

„Nun redet nicht so viel, ich will jetzt auch fahren.“ Lissy wurde ungeduldig. „Ihr könnt weiter rumspinnen, wenn ich unterwegs bin!“ Endlich waren Friedolin und Walter bereit, Lissy in die große Kunst des Mopedfahrens einzuweisen. „Das ist wie Fahrrad fahren, nur dass du nicht treten musst“, prahlte Walter.

„Wenn du hier Gas gibst, kannst du schneller fahren“, belehrte Friedolin die aufgeregte Lissy.

„Setz dich drauf, wir schieben dich an.“ So geschah es und Lissy fuhr langsam los in Richtung des kleinen Flusses. Die Männer sahen ihr hinterher. Als sie kurz vor der Brücke keine Anstalten machte umzudrehen, riefen sie ihr nach: „Umdrehen, Lissy, umdrehen!“ Aber Lissy drehte nicht um, sondern bog mit Schwung links in den kleinen Weg ein, der in einem großen Bogen hinter dem elterlichen Gehöft auf die Straße führte. Hier bog sie erneut links ab, fuhr die 500 Meter bis zum Schotterweg, der sie wieder zum Haus brachte. Lissy fuhr auf die wartenden Männer zu und … fröhlich lachend an ihnen vorbei. „Ich fahre noch eine Runde“, rief sie den verdutzten Männern zu und winkte.

Wieder fuhr sie bis kurz vor den kleinen Fluss, bog links in den Feldweg, dann links in die Straße, danach links in den Weg zum Haus und … wieder an den Männern vorbei. Das Fahren machte ihr sehr viel Spaß, und so fuhr sie weiter. Als Lissy das fünfte Mal an den Männern vorüber fuhr, rief sie: „Wie kann ich denn anhalten?“ Jetzt schaute sie bereits etwas ängstlich zu den Männern hinüber. Diese aber lachten nur und spotteten: „Spring ab, Lissy, spring ab!“ Während Lissy eine weitere Runde fuhr, hatten die Männer ihren Spaß: „Da kommt sie ja wieder, na los, Lissy, noch ‘ne Runde!“ Dabei klatschten sie in die Hände und sahen amüsiert hinter ihr her, als sie wieder in Richtung Fluss fuhr. So ging es, zur Belustigung der Männer, noch einige Runden weiter.

Ganz langsam begriffen die Männer dann doch, dass Lissy wirklich nicht anhalten konnte. Als sie das nächste Mal mit verzweifeltem Gesicht an ihnen vorbei fuhr, riefen sie: „Langsamer fahren, Lissy, weniger Gas geben, langsamer!“ Aber schon war sie wieder an ihnen vorüber. Sie zählte die Runden nicht mehr, sie überlegte nur noch, wie sie heil wieder von dem Moped herunterkommen könnte.

Jedes Mal wenn sie wieder an den Männern vorbei kam, riefen diese, jetzt im Chor: „Langsamer fahren, Lissy, nicht so viel Gas geben. Schalte in den ersten Gang!“ Aber wie sollte sie das machen? Lissy klammerte sich ängstlich an dem Lenker fest und drehte Runde um Runde, bis sie irgendwann tatsächlich etwas langsamer wurde. Diese Gelegenheit nutzte Walter, lief hinter dem Moped her und sprang hinten auf den Gepäckträger. Das Moped schlingerte. Walter griff um seine Schwester herum und nahm den Lenker fest in beide Hände. Beruhigend sagte er zu Lissy: „So, jetzt müssen wir nur noch …“ Weiter kam er nicht. Das Moped stotterte ein wenig und blieb kurz vor der kleinen Brücke von alleine stehen. Der Tank war leer.

Langsam schoben die Geschwister das Moped zurück zu den Männern, denen sie ansahen, dass sie nicht mehr spotten mochten. Sie waren froh, dass Lissy nichts passiert war. Diese sah, wie ihr Mann und ihre kleine Tochter ihnen entgegen kamen. „Mama, Mama“, rief die kleine Sabine. „Du sollst nicht wieder wegfahren, bitte, fahr nicht wieder weg.“ Glücklich schloss Lissy ihr Kind in die Arme. „Nein, ich fahre nicht mehr weg, so etwas mache ich nie, nie wieder“, versprach sie ihrer Familie. Gleich am nächsten Tag wurden die Fahrräder der Familie hervorgeholt, wieder einmal ordentlich geputzt und gemeinsam mit ihrer Tochter unternahm Lissy eine erholsame, ruhige Radtour.

Oma spinnt

Wenn Weihnachten und Sylvester gefeiert waren und im Januar bei eisiger Kälte und Schnee etwas Ruhe einkehrte, kam Omas große Zeit. Die Spinnräder wurden vom Boden heruntergeholt, von Staub befreit und in die Stube gestellt. An den langen Winterabenden wurde nun fleißig Flachs gesponnen. Wir alle saßen in der gut geheizten Wohnstube, es wurden Geschichten erzählt, heißer Tee getrunken und fleißig gesponnen.

Sobald Oma und Theresa genug gesponnen hatten, wurde die Stube ausgeräumt, der Webstuhl vom Boden geholt, gesäubert und in der Stube aufgestellt. Wochenlang webte Oma anschließend Leinentücher, sehr breite für die Bettwäsche, etwas schmalere für Tischdecken. Noch schmalere für Servietten und Handtücher. Tagsüber, aber auch oft bis spät in die Nacht hinein, hörten wir nun das regelmäßige Schlagen des Webbalkens und das schnelle hin und her Flitzen der kleinen Holzschiffchen. Oma freute sich, wenn sie die fertigen, feinen Laken präsentieren konnte.

Anschließend wurden Bettbezüge und Kopfkissen genäht. Die Tischdecken wurden gesäumt oder auch mit Spitze umnäht. In die Servietten wurden nach dem Säumen in mühevoller Kleinarbeit Namen gestickt. Vieles davon wurde schon für die spätere Aussteuer meiner Schwester beiseitegelegt. Alle diese Arbeiten, an denen sich auch meine Mutter in jeder freien Minute beteiligte, dauerten viele Wochen. Erst wenn Oma entschied, dass für das kommende Jahr genügend Wäschevorräte vorhanden seien, wurden das Spinnrad und der Webstuhl wieder auf den Boden transportiert und die Stube wieder eingeräumt.

 

Meine Großmutter saß oft abends, nach getaner Arbeit, zusammen mit meiner Mutter in der Stube. Beide strickten dann für uns Kinder aus Wolle Pullover, Socken und Handschuhe oder stopften die Strümpfe der Männer, die in deren Gummistiefeln immer schnell Löcher bekamen. Auch wenn die Socken und Pullover zu Anfang ziemlich kratzten, waren wir Kinder doch glücklich über die neuen Sachen. Draußen in der winterlichen Kälte waren sie sehr hilfreich, denn die Winter waren damals noch sehr kalt.

Der Stammhalter