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Über dieses Buch:

Die Isle of Skye im Jahre 1810. Sie träumt seit langer Zeit davon, den sagenhaften Schatz von Avalon zu finden – nun hat die schöne Regan Southworth den entscheidenden Hinweis bekommen, wo er versteckt sein könnte. Doch als sie versucht, sich im Schloss Druidhean einzuschleichen, fällt sie in die Hände des ebenso attraktiven wie undurchsichtigen Lachlan MacGregor, dessen Familie hier seit langer Zeit ein dunkles Familiengeheimnis hütet. Von der ersten Sekunde an fühlt Regan sich wie magisch zu ihm hingezogen – und muss doch gegen dieses Gefühl ankämpfen, um ihre Pläne nicht in Gefahr zu bringen. Dann aber gerät Regan in größte Gefahr: Trachtet ihr jemand nach dem Leben? Und ist Lachlan der Mann, der sie retten wird … oder derjenige, vor dem sie sich hüten sollte?

Über die Autorin:

Constance Hall lebt mit ihrer Familie in Richmond, Virginia. Sie hat bereits zahlreiche Romane unter ihrem eigenen Namen und unter Pseudonymen veröffentlicht; unter anderem schrieb sie erfolgreiche Filmromane. Ihre große Leidenschaft gilt aber dem Historischen Roman, und ganz besonders hat es ihr das 19. Jahrhundert angetan.

Bei dotbooks veröffentlichte Constance Hall bereits ihre historischen Liebesromane »Das Verlangen des Marquis«, »Der Herzog und die Schöne« und »Der Ritter und die stolze Lady«.

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eBook-Neuausgabe Mai 2019

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2002 unter dem Titel »Isle of Skye« bei Kensington, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 2005 unter dem Titel »Im Herzen des Verlangens« im Bastei Lübbe Taschenbuch.

Copyright © der Originalausgabe 2002 by Connie Koslow. Published by Arrangement with Kensington Publishing, Corp., New York, NY 10018 USA.

Copyright © für die deutschsprachige Erstausgabe 2005 by Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach.

Copyright © der Neuausgabe 2019 dotbooks GmbH, München.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hamburg.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung von Bildmotiven von shutterstock/Jeffrey B. Banks, shutterstock/Mary Chronis und VJ Dunraven Productions/PeriodImages.com

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-96148-816-2

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Constance Hall

Das Geheimnis des Lords

Roman

Aus dem Englischen von Bettina Albrod

dotbooks.

Für Camelot, der Freund und Muse für mich ist.
Mögen sich all deine Träume erfüllen!

Und für meine Agentin Pam Ahearn,
die mich nie im Stich lässt.

Prolog

Isle of Skye, 1790

Die Abenddämmerung brachte dichten Nebel mit sich. Er schien seinen Schleier gleichermaßen über die uralten Geheimnisse der Kelten wie über die der gegenwärtigen Inselbewohner breiten zu wollen. Aus einem gigantischen Steinkreis ließ sich das Geräusch einer Schaufel vernehmen, die immer wieder in den harten Boden getrieben wurde ...

Eine dunkle Gestalt hob sich nur schwer erkennbar aus dem Nebel – sie stand in einem halb ausgehobenen Grab. Muskelstränge zeichneten sich unter dem engen schwarzen Mantel ab, als die Schaufel in rascher Folge Haufen um Haufen schwarzer Erde auf einen rasch anwachsenden Erdhügel entlud.

Nur wenige Meter entfernt wurde ein Leichnam, der in eine zerschlissene braune Decke gewickelt war, vom Nebel fast gänzlich verhüllt. Mit jeder Sekunde, die verging, breitete sich ein immer größer werdender Blutfleck auf der Decke aus.

Ein Hund jaulte in der Nähe, und die Steine schienen das Geräusch innerhalb des Kreises zu einem Grauen erregenden Heulen zu verstärken.

Der Totengräber fuhr zusammen und ließ die Schaufel fallen, die einen Schenkel des Leichnams traf. Ein lebloser Fuß kam unter der Decke zum Vorschein.

Die dunkle Gestalt runzelte die Stirn, bückte sich wieder nach der Schaufel und fuhr mit ihrer Arbeit fort. Der, Rhythmus des Grabens steigerte sich nun zu einem verzweifelten Tempo.

Nur wenige Meter entfernt stand ein halbwüchsiger Junge hinter einem Stein und beobachtete mit Tränen in den Augen den Vorgang. Keine Sekunde wandte er den Blick von dem verhüllten Körper ab. Er schien nicht zu merken, dass sein Körper heftig zitterte, dass ein eisiger Wind ihm die rabenschwarzen Haare ins Gesicht wehte oder dass seine Hände blutbefleckt waren.

Wieder erklang das Heulen.

Der Junge fuhr zusammen und stolperte ein paar Schritte zurück, ehe er sein Gleichgewicht wiederfand. Mit zitternden Fingern strich er sich die Haare aus dem Gesicht und enthüllte dabei eine ungewöhnliche weiße Strähne an der Schläfe. Dann warf er noch einen Blick auf das Grab, schlug die Hand vor den Mund und verschwand stumm in der Dunkelheit.

Kapitel 1

Isle of Skye, Juni 1810

Regan Southworth zwängte sich durch ein Dickicht aus Stechginster und Heidekraut. Sie war sich bewusst, dass der Ruf und das Leben ihres Vaters von dem abhingen, was sie vielleicht gleich finden würde.

Der Wind zerrte an dem Päckchen, das sie geschultert hatte, und an der Laterne, die in ihrer Hand hin und her schwang. Ab und zu drang der Schein des Mondes durch die dichten Wolken. Regan musste genau hinsehen, um ihren Weg auf dem rauen Kliffpfad am Meer zu finden.

Unter ihr ragte die Ruine von Dunscaith Castle auf einer Klippe ins Meer hinein. Donnernd brachen sich die Wellen an seiner groben Befestigung und schluckten mit ihrem Tosen das Geräusch ihrer Schritte. Regan dachte an die Legende, der zufolge eine Hexe die Burg in nur einer Nacht errichtet haben sollte. Burgherrin war Sgathach gewesen, die oberste Kriegerin aus dem zweiten Jahrhundert vor Christus, nach der die Isle of Skye benannt war.

In einer Nacht wie dieser konnte sie sich lebhaft vorstellen, wie Sgathach mit dem Schwert in der Hand auf dem Söller stand, das Gesicht mit keltischen Kriegsfarben bemalt und einen bronzenen Helm auf den geflochtenen Haaren. Sicher trug sie einen Pelzmantel um die Schultern und ließ den Blick über die Insel und das Meer schweifen, die genauso ungezähmt und gnadenlos wie die Frau waren, die hier herrschte.

Plötzlich hörte Regan Stimmen. Rasch hielt sie den Atem an und kroch vorsichtig weiter. Als sie den Hügelkamm erreichte, entdeckte sie zwei Jungen, die hinter einer Mauer kauerten. Regan verbarg sich hinter einem Felsen und beobachtete sie.

»Gehst du zuerst?«

»Nein, du!«

»Wer am weitesten spucken kann.«

Die Jungen sammelten die Spucke in ihrem Mund, räusperten sich hart und spuckten schließlich aus.

»Ich bin der Sieger. Du gehst zuerst.«

»Bist du nicht. Man kann ja gar nichts sehen.« Der kleinere Junge deutete zu Boden. »Sie sind gleich weit.«

»Ich bin älter und habe die stärkere Faust, also gehst du zuerst.« Einschüchternd versetzte der Größere seinem Freund einen Schubs und schüttelte die Faust.

Der Kleine sah ihm ins Gesicht, straffte die Schultern und sammelte all seinen Mut. »Gut«, stimmte er schließlich zu. Er stand auf, als wären seine Beine aus Eis, und spähte über die Mauer. »Vielleicht ist das doch keine so gute Idee.«

Regan sah über seinen Kopf hinweg zum Castle Druidhean hinüber. Beeindruckend zeichnete sich das massige Gebäude vor dem mondhellen Himmel ab. Die ursprünglichen Ecktürme und die Befestigungsmauern waren verschwunden und durch einen Steinweg ersetzt worden, der um das Gebäude führte. Weißer Dunst, umwaberte die Grundmauern. Der frühere Burggraben war jetzt mit Ginster und Heide zugewuchert, die ihre knorrigen Zweige wie Arme durch den Nebel streckten. Im oberen Fenster flackerten ein paar Kerzen wie Katzenaugen in die Nacht hinaus.

»Sieh dir das an. Es lebt!«

»Du hast doch nur Angst rüberzugehen«, höhnte der Große.

»Hab ich nicht!«

»Hast du wohl!«

»Nein.«

»Du zuerst!«

Der Große erhob sich und folgte dem Blick seines Freundes. »Glaubst du daran, dass Wilddiebe wirklich verschwinden, wenn sie ihren Fuß auf das Land vom Verrückten MacGregor setzen?«

»Hab gehört, dass der Verrückte MacGregor sie zum Abendessen kocht. Das ist wahr, Rory hat es mir erzählt.«

»Dem kannst du kein Wort glauben«, wehrte der andere verächtlich ab. »Der würde sogar noch Petrus belügen.«

»Er hat mir erzählt, dass es auch die Dienstboten dort nicht lange aushalten. Meine Schwester kennt ein Mädchen aus dem Norden, das dort gearbeitet hat. Sie sagte, dort würde es so spuken, dass das Mädchen blind geworden ist und über Nacht weiße Haare bekommen hat, weil sie eines der Gespenster gesehen hat.«

»Eher war es so, dass sie den Verrückten MacGregor bei einem seiner Anfälle gesehen hat. Ich habe gehört, wenn man dem Verrückten MacGregor gerade in die Augen sieht, dann bekommt man dieselbe verhexte weiße Haarsträhne wie er und ist genauso verflucht wie er. Dann wirst du genauso blöd wie MacGregor, das ist eine Tatsache.«

Der Kleine seufzte. »Mein Dad sagt, der erste MacGregor muss ein arroganter Hund gewesen sein, dass er sein Schloss über so einem verfluchten Ort gebaut hat –«

»Nein, das war doch schlau von ihm! Der MacGregor wusste, dass die McAskills und MacDonalds nie versuchen würden, ihm sein Schloss wegzunehmen –«

»Aye, aber so klug war er dann auch wieder nicht, nicht wahr? Am Ende haben ihn die Alten mit ihrem Fluch gekriegt. Ihn und den ganzen MacGregor-Haufen.«

»Aye«, stimmte der Große ehrfürchtig zu.

Regan runzelte die Stirn und dachte an den Mythos, auf den sie im Zuge ihrer Forschungen über Castle Druidhean gestoßen war. Es hieß, Lord MacGregor hätte für den Bau seines Schlosses Torkavaig zerstört, einen uralten heiligen Hain, in dem die Druiden früher ihren heidnischen Göttern Opfer brachten. Gerüchte besagen, dieser Hain sei von den Geistern der Druiden bewohnt gewesen, die dann MacGregor und seinen Clan aus Zorn über die Entweihung mit dem Fluch des Wahnsinns belegt hätten. Allein die Vorstellung, dem gegenwärtigen Lord MacGregor zu begegnen, ließ Regans Herz schneller schlagen und jagte ihr einen Schauer über den Rücken.

»Mir gefällt es nicht, mich verfluchen zu lassen, nur um ein oder zwei Kaninchen zu fangen. Da sind mir deine Fäuste noch lieber. Also los ...« Der Kleine hob seine Fäuste und schob das Kinn vor.

Sein Begleiter überlegte, warf einen Blick auf das Schloss und sah dann seinen Freund an. Er hatte genauso viel Angst wie dieser, verbarg das aber gekonnt hinter einer aufgesetzten Großmäuligkeit. »Das ist den Kampf nicht wert. Wollen wir zum Hafen runterlaufen und im Morgengrauen ein paar Fische von den ersten Booten stehlen?«

»Da bin ich dabei.« Erleichtert ließ der andere die Fäuste sinken.

Sie rannten geduckt hinter der Mauer entlang zum Klippenpfad, um dann den Berg hinunterzulaufen. Regan sah zu, wie ihre Umrisse mit der Dunkelheit verschmolzen. Die Worte des Jungen hallten ihr in den Ohren. Wenn man dem Verrückten MacGregor gerade in die Augen sieht, dann bekommt man dieselbe verhexte weiße Haarsträhne wie er und ist genauso verflucht wie er.

Ein Windstoß berührte ihre Wange wie Eisfinger. »Es gibt keine Flüche«, flüsterte sie und erschauerte. Dann zwang sie sich weiterzugehen.

Sie trat hinter dem Felsen hervor und lief etwa zweihundert Meter. weitet Sie war so nervös, dass sie bei jedem ungewohnten Geräusch zusammenzuckte. Endlich hatte sie den Steinkreis erreicht. Die uralten Megalithen erinnerten an steinerne Wächter, so alt und zeitlos wie die Küste, die sie bewachten.

Als Regan näher trat, schien jeder Stein zum Leben zu erwachen. Sie hatte den Eindruck, dass sie sie beobachteten und sie davor warnten, den geweihten Ort zu betreten.

Regan schüttelte das Gefühl ab und trat in den Steinkreis, wo sie ihre Laterne und das Päckchen absetzte. Dann suchte sie den Polarstern im Norden des Steinkreises und zählte Richtung Westen.

Am zehnten Stein hielt sie inne, und sie sah, dass der Schwanz des Sternbilds Löwe genau dessen Spitze berührte. Mit offenem Mund und voller Ehrfurcht starrte sie die Steinsäule an. Nach jahrelangen Forschungen stand sie kurz vor einer Entdeckung, die die archäologische Welt in Aufruhr versetzen und das Leben ihres Vaters vielleicht verlängern würde.

Beim Gedanken an ihren Vater legte sich ihre Aufregung. Ihr Herz wurde eng, und sie wünschte sich, er könnte bei ihr sein. Sie hatten beide jahrelang gearbeitet, um diesen einen Steinkreis zu finden. Er sollte jetzt bei ihr sein, um die Entdeckung mit ihr zu erleben ...

Aus dem Augenwinkel nahm sie eine Bewegung wahr.

Sie erstarrte.

Kaum zwanzig Meter von ihr entfernt stand ein Mann mit dem Rücken zu ihr auf den Klippen. Er hatte Regan offenbar nicht bemerkt. Ein schwarzer Mantel aus bestem Tuch bedeckte seine breiten Schultern. Der Wind peitschte ihm die schulterlangen dunklen Haare um den Nacken und trieb den Saum seines Mantels gegen einen Stock, auf den er sich stützte. Er blickte auf die schwarze See hinaus Fast greifbar lag eine Aura der Melancholie um ihn. Schwarz gekleidet, wie er war, schien er ein Teil der Nacht zu sein.

Offenbar ohne auf den Abgrund zu achten, der zu seinen Füßen gähnte, bewegte sich der Mann näher an den Rand. Dann beugte er sich vor ...

»Nicht springen!«, schrie Regan auf.

Er drehte sich um, um sie anzusehen, verlor den Halt und fiel.

»Gute Güte!«, schrie Regan auf und rannte zum Rand der Klippe.

Kapitel 2

Regan erreichte rasch die Stelle, an der der Mann vor ihren Augen von der Klippe gestürzt war, aber sie brauchte all ihren Mut, um sich über die Kante zu beugen und nachzusehen. Was, wenn er unten auf die Felsen aufgeschlagen war? Vor vielen Jahren war sie einmal Zeuge geworden, wie ein Steinmetz von einem Gerüst gestürzt war, als er die Verzierungen der Westminster Abbey restauriert hatte. Überall war so viel Blut gewesen.

Schließlich wagte sie doch den Blick nach unten und sah, dass der Mann sich nur mit den Fingerspitzen an die Felsen klammerte.

Sie konnte wieder atmen.

»Wollen Sie die ganze verdammte Nacht dastehen und mich anglotzen?«, knurrte er durch zusammengebissene Zähne, so dass sein schottischer Akzent kaum wahrzunehmen war.

Regan zuckte bei seinem wütenden Ton zusammen. »Das hatte ich eigentlich nicht vor.«

Dann kniete sie sich hin, umfasste seine Handgelenke und zog. Sie spürte, wie sich die Sehnen in seinen Handgelenken spannten, und ihr wurde klar, dass er sie, wenn er jetzt wegrutschte, mit in die Tiefe reißen würde.

»Vorsichtig«, flüsterte sie.

Sein Gewicht war jetzt keine Last mehr, und sie erkannte, dass er ohne ihre Hilfe die Klippe hochkletterte. Sein Mantel hatte sich vorne geöffnet und sie konnte sehen, wie sich die Muskeln seines Brustkorbs unter dem weißen Leinenhemd spannten. Er war schlank und muskulös und hatte kein Gramm Fett zu viel.

Er schob sich über die scharfe Kante und schwang die Füße auf festen Boden.

Regan stieß den Atem aus und ließ seine Handgelenke los. »Kommen Sie, ich helfe Ihnen beim Aufstehen.«

Er winkte ab, verzog aber das Gesicht, als er sein rechtes Bein belastete.

Warum benahm er sich so kühl? Regan runzelte die Stirn. Immerhin hatte sie ihm gerade das Leben gerettet. »Haben Sie Ihr Bein verletzt?«, fragte sie besorgt.

Er antwortete nicht, nahm nur seinen Stock, der am Rand der Klippe zu Boden gefallen war, und richtete sich auf.

Der Fremde ragte nun in seiner ganzen stattlichen Größe vor ihr auf. Regan legte den Kopf in den Nacken und sah zu ihm hoch. Sein Gesicht lag im Schatten, so dass sie nur die hohen Wangenknochen, die tief liegenden Augen und das Grübchen in seinem Kinn sehen konnte. Sie spürte die Feindseligkeit, die von ihm ausging.

»Ich – ich habe Sie nicht erschrecken wollen«, stieß sie mit plötzlich trockener Kehle hervor. »Ich dachte, Sie wollten in die Tiefe springen.«

»Das wollte ich nicht.« Er verlagerte mehr Gewicht auf seinen Stock.

»Aber Sie sind an den Rand getreten ...«, Regans Stimme verklang, als sie die weiße Strähne in seinem Haar dicht über der rechten Schläfe bemerkte. Sie dachte an das, was die Jungen über den Fluch erzählt hatten, und platzte heraus: »Sie müssen –«

»Der Verrückte MacGregor sein.« Er nickte leicht, und das Mondlicht glitzerte in den schwärzesten, ausdruckslosesten Augen, die sie je gesehen hatte.

»Das ... t-tut mir alles s-so Leid«, stotterte sie.

Aus schmalen Augen sah er sie an. »Fremde sind auf meinem Land nicht willkommen. Was wollen Sie hier?«

»Ich ... ich ...« Regan spürte, dass er kurz vor dem Explodieren war, und wich zurück.

Eben hatte er sie noch beobachtet, im nächsten Moment schoss sein Arm vor.

Regan duckte sich und machte einen Satz.

Seine Finger berührten noch ihren Hinterkopf und zogen dabei den Kamm aus ihrem Haar. Lange, blonde Locken fielen ihr über den Rücken.

Wieder griff er nach ihr.

Regan wich nach rechts aus, denn sie wusste, dass er seine rechte Hand nicht einsetzen konnte, solange er damit den Stock hielt. Die Überlegung erwies sich als richtig, und sie kam an ihm vorbei.

»Ich werde Sie finden!«

Sein Ruf zerrte an ihren Nerven. Die Wut in seiner Stimme verriet ihr, dass er keinen Höflichkeitsbesuch plante – falls er sie je finden würde. Sie hörte nicht auf zu rennen, bis ihre Füße schmerzten, ihre Lungen kurz vor dem Platzen standen und ihr Herz wie verrückt schlug. Das Schicksal war ihr gnädig gesonnen gewesen, als es zugelassen hatte, dass sie dem Verrückten MacGregor entkam. Beim nächsten Mal würde sie nicht so viel Glück haben.

***

Lachlan Nail Alden MacGregor, der zehnte Herr von Druidhean, sah den Kamm auf dem Boden schimmern und hob ihn auf. Behutsam zog er das eingravierte Elefantenmuster nach.

Das Bild der blonden Locken, die über den Rücken des Mädchens tanzten, hatte sich in sein Gedächtnis eingebrannt, und noch immer meinte er die seidige, verlockende Berührung ihrer Haare an seinen Fingern zu spüren. Seine Fingerspitzen pulsierten bei der Erinnerung.

Er dachte daran, wie sie von der Kante der Klippe zu ihm heruntergeschaut hatte. Noch immer spürte er ihren weichen Griff, dachte er an ihre kleinen Brüste, die sich an das Mieder des schwarzen Kleides gedrängt hatten bei dem Versuch, ihn hinaufzuziehen. Ihr Mut war bewundernswert. Ohne an ihre eigene Sicherheit zu denken, hatte sie ihm die Hände gereicht, um ihn zu retten. Noch nie war er einer so mutigen Frau begegnet.

Er hob den Kamm an sein Gesicht und atmete tief den Fliederduft ein, der noch daran hing; ein köstlich weiblicher, sinnverwirrender Duft. Es war sechs Monate her, seit er den Duft einer Frau gerochen hatte. Viel zu lang.

Mit reuigem Grinsen ließ er den Kamm in seine Manteltasche gleiten und wandte sich zum Gehen, als er etwas Dunkles innerhalb des Steinkreises entdeckte. Schwer auf seinen Stock gestützt humpelte er die Felsen hinunter. Jeder Schritt verstärkte den Schmerz. Beim Fall hatte er sich ausgerechnet das Bein verletzt, das ihn ohnehin schon sein halbes Leben zum Humpeln zwang. Sonst wäre ihm dieses Mädchen nicht entschlüpft.

Er trat in den Kreis und ging auf das Bündel zu. Die Steine dämpften die Melodie der Wellen, die unter ihm an die Felsen schlugen, dafür verstärkten sie das Geräusch seines Stocks auf dem Boden, bis es ihm wie das stete Schlagen einer Trommel in den Ohren klang. Er hatte die erstaunliche Akustik innerhalb des Steinkreises ganz vergessen, ebenso wie die verwirrende Unsicherheit, die ihn jedes Mal befiel, sobald er die Grenze zum Inneren übertrat.

Er hob das Bündel auf und fand eine kleine Axt und eine Schaufel darin. Weil das Mädchen so spät noch unterwegs gewesen war, hatte er angenommen, dass sie sich mit ihrem Liebhaber hatte treffen wollen. Aber Liebende brauchten kein Grabwerkzeug. Er schloss den kleinen Rucksack wieder und schwang ihn sich über die Schulter.

Er musste sie davon abhalten wiederzukommen. Sein Instinkt verriet ihm, dass sie zurückkommen würde. Innerhalb des Kreises lauerte Gefahr. Die dunklen Kräfte, die hier zirkulierten, hatten den Wahnsinn der MacGregors verursacht, der auch in seinen Adern floss. Er seufzte, dann umfasste er seinen Stock fester und machte sich auf in Richtung der Ställe des Schlosses.

***

Regan galoppierte auf ihrem Maultier Vespertine die südwestliche Straße entlang. In der Ferne ragten die Berge wie die Buckel eines Riesendrachens auf. Zu ihrer Linken floss der Sleat dahin. Am Horizont konnte sie sehen, wo Wasser und Himmel zusammentrafen. Meilen entfernt an der Sleatmündung glomm das Licht des Leuchtturms wie ein Glühwürmchen in der Dunkelheit.

Mittlerweile war der Himmel so bedeckt, dass die Sterne nicht mehr zu sehen waren. Als Regan auf die Insel gekommen war, hatte sie sich an das unvorhersehbare Wetter hier gewöhnen müssen. Innerhalb von Minuten konnte dicker Seenebel das Land überziehen und alles verhüllen. Sie konnte die Feuchtigkeit in der Dunkelheit riechen und spürte sie auf Haar und Wangen.

Der Wind trieb ihr die langen Haare auf den Rücken. Sie dachte daran, wie MacGregors Finger ihr den Kamm aus den Haaren gezogen hatten, und sie erschauerte. Rasch schob sie die Erinnerung beiseite, und eine andere trat an ihre Stelle.

Es war jetzt zwölf Jahre her, aber es kam ihr vor, als wäre es gestern gewesen. Sie war wieder im Zimmer ihrer Mutter. Der vertraute Duft nach Rosenwasser hing in der Luft. Der Duft folgte Lady Candance Southworth, wo immer sie hinging, und er hing noch im Raum, wenn sie ihn schon längst wieder verlassen hatte. Bis heute konnte Regan den Duft nicht wahrnehmen, ohne den Schmerz des Verlustes zu spüren. An jenem Nachmittag bürstete ihre Mutter ihr das Haar und steckte es dann wie ihr eigenes zu der Frisur einer Lady hoch. Ihre Mutter lächelte sie an und sagte: »Entzückend, Reggie. Eines Tages wirst du eine schöne junge Dame sein.«

»Glaubst du wirklich, Mama?« Regan war überzeugt, dass ihre Mutter das nur sagte, um nett zu ihr zu sein. Sie wusste schließlich, dass sie keine Schönheit war.

Ihre Mutter beugte sich zu ihr und küsste sie auf die Wange. »Zweifele nie daran. Ich schenke dir diesen Kamm, und immer, wenn du ihn trägst, soll er dich daran erinnern, dass du meine Tochter bist und von einer der besten Familien Englands abstammst.«

»Das werde ich nicht vergessen, Mama.«

Nachdem Regan das Zimmer verlassen hatte, roch sie den Rosenduft ihrer Mutter in ihrem Haar. Er haftete auch dem Kamm an, aber nicht lange genug. Einen Monat später starb ihre Mutter.

Wenn Regan den Kamm trug, machte sie sich nie vor, eine Schönheit zu sein. Alle Kindheitsillusionen waren mit ihrer Mutter gestorben. Doch der Kamm war eine der wertvollsten Verbindungen zu ihrer Mutter. Sie durfte so ein Erinnerungsstück nicht verlieren. Irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft, wenn sie ihren Mut zusammengerafft hatte, würde sie zurückkehren und den Kamm suchen.

Bei dem Gedanken an eine Rückkehr zu Castle Druidhean erschienen wieder die finsteren Züge Lord MacGregors vor ihr. Wieder meinte sie die düster-bizarre Aura zu spüren, die ihn umgab, und sie erschauerte. Seine letzten Worte erklangen in ihrem Ohr. Ich werde Sie finden. Die Worte hatten noch viel mehr bedeutet. Ich werde Sie bestrafen. Ich werde Sie zerstören.

Hufgeräusche erklangen auf der Straße hinter ihr, und ihr Atem stockte. Lord MacGregor hatte sie gefunden.

Kapitel 3

Regan fuhr herum und erkannte ihren Nachbarn und Vermieter. Der Gentleman saß auf einem schwarzen Hengst, und der Wind wehte ihm sein glänzend blondes Haar aus dem Gesicht. Er war fast vierzig, sah aber viel jünger aus und war umwerfend attraktiv. Er war schlank, breitschultrig und hielt sich sehr gerade. Sein freundliches Lächeln war ein willkommener Anblick.

Regan atmete jetzt wieder ruhiger. »Mr. McAskill, Sie haben mich aber erschreckt.« Sie zügelte Vespertine zum Schritt.

McAskill ritt neben sie. »Ich sah Sie da entlangstürmen«, bemerkte er in seinem starken Dialekt. »Hab mich gefragt, ob etwas nicht stimmt.«

Seit sie auf die Insel gekommen war, hatte Mr. McAskill ihr stets nur Freundlichkeit entgegengebracht. Oft fragte er nach ihrem Vater und erkundigte sich nach seiner Gesundheit. Er gehörte zu den wenigen Inselbewohnern, die ihr das Gefühl gaben, hier willkommen zu sein. »Aber nein«, versicherte sie ihm. »Ich bin nur ein wenig ausgeritten, Sir.«

»Alleine? Um Mitternacht?«

»Ich konnte nicht schlafen.«

»So ging es mir auch. Vielleicht hat uns dieselbe kleine Elfe wach gehalten, damit ich das Vergnügen habe, Sie zu sehen.« Er lächelte sie charmant an. »Und ich denke, dass wir uns mittlerweile gut genug kennen, um den ›Sir‹ wegzulassen. Nennen Sie mich Eth.«

»Sehr gerne –«, Regan zögerte bei seinem Vornamen, »– Eth.« Es kam ihr doch ein bisschen zu vertraut vor, einen Mann, den sie erst einen Monat kannte, mit dem Vornamen anzusprechen. Sie entschied sich, jedes persönliche Thema zu meiden, und fragte: »Kennen Sie Lord MacGregor?«

Er runzelte die Stirn. »Was hat Ihr Interesse an ihm geweckt?«

»Ich bin gestern an Castle Druidhean vorbeigeritten.« Regan vermied sorgfältig jede Unsicherheit in der Stimme bei dieser Lüge.

»Halten Sie sich davon fern.« Die Falten auf seiner Stirn vertieften sich. »Es ist gefährlich dort.«

Regan dachte daran, wie MacGregor den Arm nach ihr ausgestreckt hatte, wie seine Finger sie berührt hatten. Sie bekam eine Gänsehaut. »Ihre Warnung klingt geheimnisvoll, Sir«, erwiderte sie und konnte es nicht verhindern, dass ihre Stimme zitterte.

»Halten Sie sich einfach fern von dem Verrückten MacGregor.« Er verfiel in Schweigen und sah finster vor sich hin.

Regan konnte seine Anspannung spüren. Wenn sie ihn besser gekannt hätte, wäre sie noch weiter in ihn gedrungen. Aber so schwieg sie und spürte jetzt die ersten Regentropfen auf Händen und Gesicht. Gleich würde es heftig zu regnen anfangen. Sie trieb Vespertine zu einem schnellen Trab an.

Auch er beschleunigte sein Tempo, sein Gesicht nach wie vor ernst.

Als sie die Auffahrt von Finn Cottage erreichten, blieb McAskill an ihrer Seite.

Die Auffahrt war nicht lang, aber ziemlich steil, denn Finn Cottage lag auf einem Hügel mit Blick auf die Bucht. Obwohl das Haus aus Stein gebaut war, sah es so aus, als hätten sich die Mauern vor dem ständigen Nordwind gebeugt. Regans Blick suchte das Kerzenlicht im Fenster ihres Vaters. Er wartete auf sie. Was sollte sie ihm erzählen?

»Sagen Sie, wie kommen die Forschungen Ihres Vaters voran?«

»Sehr gut, danke.«

»Ist er mit dem Buch über die Wikten und all das fertig?«

»Sie meinen Pikten«, korrigierte Regan ihn. Die Lüge ging ihr leicht über die Lippen. Sie log nicht gerne, aber sie musste den wahren Gegenstand der Forschungen ihres Vaters vor jedermann verbergen, auch vor Mr. McAskill. Er glaubte wie alle anderen in der Gegend auch, dass er auf die Insel gekommen wäre, um über die Pikten, ein altes keltisches Volk, zu forschen, die 300 vor Christus die Insel besiedelt hatten. Den wahren Grund, der sie hergeführt hatte, durfte sie nicht enthüllen.

»Ich kann meine Herkunft zurückverfolgen bis zu den ersten McAskills, die von ihnen abstammen.« Dabei funkelten seine Augen vor Stolz. »Sie waren alle große Krieger.«

»Dessen bin ich sicher.«

Jetzt, wo sein Ego gebührend gestreichelt worden war, verflog seine grimmige Miene, und er grinste sie an. »Ich habe sogar ein paar Urnen in den Grabhügeln in der Nähe gefunden. Sie sind überall an der Küste. Wir könnten sie morgen gemeinsam erforschen. Haben Sie Lust?«

»Aber ganz bestimmt.« Als sie das Haus erreichten, wandte Regan sich zu ihm um. »Ich würde Sie gerne hereinbitten, aber es ist schon spät.«

»Ich weiß, aber lassen Sie mich Ihr Reittier versorgen.« Er stieg ab und musterte das Maultier abschätzig. »Was bringt Sie dazu, solch eine vierbeinige Scheußlichkeit zu reiten?«

Regan tätschelte Vespertine den Hals und fuhr dann mit den Händen über die Narben, die sich auf ihrem Nacken abzeichneten. »Ich würde mich nie von ihr trennen, Sir. Vespertine und ich sind einander treu ergeben. Wissen Sie, ich habe sie in einem Vorort von Edinburgh vor einem grausamen Farmer gerettet, der sie geschlagen hat. Er hat sie mir für einen Spottpreis verkauft. Ich habe das bessere Geschäft gemacht. Sie hat einen sicheren Schritt, ist treu und klug. Ich werde nie wieder einem Pferd den Vorzug geben.«

McAskill sah erst sie und dann das Maultier zweifelnd an, dann umfasste er ihr schlankes Handgelenk. »Ich helfe Ihnen beim Absteigen.«

Er war unglaublich groß und breitschultrig. Seine Hände umfassten mühelos ihre Taille. Regan fiel jetzt ein, dass sie keine Reitkleidung trug. Ihr Petticoat lugte volle drei Zentimeter unter dem Rock hervor. Doch ganz Gentleman, der er war, wandte er den Blick nicht von ihrem Gesicht und schwang sie aus dem Sattel.

Als ihre Füße den Boden berührten, ließ er sie nicht los, sondern sah auf sie hinunter. Einen Moment schwieg er und kämpfte mit sich. Dann sah er ihr direkt in die Augen und sagte: »Sie müssen wissen, was ich für Sie empfinde.«

Regan blieb der Mund offen stehen, und ihre Augen wurden groß vor Überraschung. Nachdem sie sich wieder ein wenig gefasst hatte, erklärte sie: »Sie waren immer nur freundlich zu uns, aber wir kennen einander kaum ...«

»Seit einem Monat besuche ich Ihren Vater jeden Sonntag. Das ist für mich lange genug, um zu wissen, was ich empfinde.« Er legte die Arme um sie und küsste sie.

Sie entzog sich ihm nicht. Seine Lippen waren warm und schmeckten nach Ale, alles in allem kein schlechter Geschmack. Regan konnte nicht fassen, dass er schließlich doch noch heiraten wollte und sich für sie entschieden hatte. Sie war nicht hübsch, nicht mit all den Sommersprossen. Ihr lockiges Haar hatte die Farbe von Stroh und benahm sich auch entsprechend, wenn sie es frisieren wollte. Außerdem besaß sie keinen Pfennig. Er dagegen galt als einer der gefragtesten und attraktivsten Junggesellen in der Gegend. Doch bislang hatte sich ihn noch keines der einheimischen Mädchen angeln können.

Als Mr. McAskill sich zurückzog, sagte er: »Verzeih mir, das hätte ich nicht tun dürfen, aber du bist so hübsch.«

Obwohl sein Gesicht im Schatten lag, erkannte Regan den warmen Ausdruck in seinen Augen. »Vielleicht sollten wir einfach vergessen, was gerade passiert ist«, schlug sie – immer noch verblüfft – vor.

»Das kann ich nicht«, erklärte er verloren. »Ich will ehrlich sein, du hast mir mein Herz geraubt.«

»Ich – ich –«

»Bitte, hör mir zu, Liebes. Ich stehe gut da. Ich werde mich um dich und deine Familie kümmern. Nichts wird dir fehlen. Ich werde dich immer auf Händen tragen.«

»Aber das kommt so plötzlich.«

»Nicht für mich. Ich wollte dich schon in dem Moment, als ich dich das erste Mal gesehen habe. Ich weiß auch, dass dein Vater ein paar Rechnungen im Dorf offen hat. Ich werde mich darum kümmern.«

»Der Geschäftsführer meines Vaters ist spät mit unseren Monatsbezügen«, log Regan. Seit zwei Jahren lebten sie von der Großzügigkeit ihres Onkels. Onkel Inis gehörte eine Brauerei, aber er hatte auch fünf Söhne, die er unterstützen musste. Die magere Summe, die er ihnen zukommen ließ, reichte kaum für Miete und Unterhalt.

»Du brauchst nichts zu erklären«, versicherte er voller Mitgefühl.

Regan brauchte Zeit zum Nachdenken. »Ich sollte jetzt wirklich besser hineingehen.«

»Ich komme morgen früh vorbei, und dann können wir in meinem Boot hinausrudern.«

»Sehr schön. Gute Nacht.« Sie eilte auf das Cottage zu und spürte dabei Mr. McAskills Blicke im Rücken.

Sie wunderte sich, warum sein Antrag sie so unbewegt ließ. Bei seinem Kuss hatte sie nicht den geringsten Funken gespürt. Natürlich kannte sie ihn auch noch nicht lange genug, um etwas für ihn zu empfinden. Er war freundlich und anscheinend bereit zu übersehen, dass sie bettelarm war und dazu so hässlich wie Vespertine. Die Ehe war eine Lösung, an die sie noch nie gedacht hatte. Und doch wäre sie bereit, dieses Opfer zu bringen, wenn sie dadurch für ihren Vater und ihre Schwester sorgen könnte. Noch liebte sie Mr. McAskill nicht, aber wenn sie erst einmal verlobt waren und sie ihn besser kennen lernte, würde sich das wahrscheinlich ändern. Vielleicht würde sie sich dann sogar auf seine Liebkosungen und ihre ehelichen Pflichten freuen.

Als sie die Treppe erreichte, überlief sie ein seltsames Kribbeln, als würde sie jemand beobachten, und sie hielt inne. Ihr Blick ging zum Stall, wo Mr. McAskill gerade Vespertine in die Box führte. Das seltsame Gefühl kam nicht von dort.

Instinktiv sah sie die Auffahrt hinunter und entdeckte eine seltsam vertraute dunkle Gestalt zu Pferd, deren weiße Haarsträhne in der Dunkelheit leuchtete. Zwei Hunde so groß wie Ponys schnüffelten auf dem Boden zu Füßen seines Pferdes.

MacGregor sah auf.

Die Wucht seiner herzlosen Augen traf sie, als wenn er direkt neben ihr stünde. Sie konnte weder atmen noch sich bewegen.

MacGregor hob seine Reitgerte und grüßte sie mit einer langsamen, spöttischen Geste. Etwas in der Bewegung verriet ihr, dass er gesehen hatte, wie McAskill sie geküsst hatte – und auch was er von der ganzen Geschichte hielt.

Ein heißes Gefühl der Demütigung breitete sich in ihrem ganzen Körper aus und erweckte ihn wieder zum Leben. Sie sank gegen die Tür, fummelte am Riegel herum und stolperte schließlich ins Haus.

»Bist du das, Regan?«, drang die Stimme ihres Vaters aus seinem Zimmer.

Sie sah den Flur hinunter. Kerzenlicht fiel aus seiner offenen Tür. »Ja, Papa.«

»Ich muss mit dir sprechen, mein Mädchen.«

»Ich komme.« Sie eilte den Flur hinunter und wusste, dass es MacGregor nicht genügen würde, sie nur zu demütigen. Ich werde Sie finden. Oh, du gute Güte, was würde als Nächstes kommen?

Der Wind heulte in den Kaminen des Cottages, und das Geräusch klang seltsamerweise wie MacGregors tiefe Stimme. Regan zuckte zusammen und drückte sich an die Wand. Es donnerte. Die Fensterläden klapperten, und Regen trommelte auf das Schindeldach. Regan schlang die Arme um ihren Leib und spürte eine schreckliche Vorahnung.

Kapitel 4

Ein paar Augenblicke später stand Regan vor der Tür ihres Vaters und lauschte auf den Regen, der auf das Cottage herunterprasselte. Sie strich ihr Kleid glatt und versuchte sich zu beruhigen, ehe sie in das Zimmer trat.

Der Raum war eigentlich als Wohnzimmer gedacht, aber als sie vor einem Monat hierhergekommen waren, hatten sie das Sofa und die Sessel an die Wand geschoben, um Platz für die vielen altertümlichen Kunstgegenstände und das Bett ihres Vaters zu machen. Er konnte die Treppe hinauf in sein eigentliches Schlafzimmer nicht mehr steigen. Regan sah sein Bett im Erdgeschoss nur ungern. Es erinnerte sie daran, dass er krank war und sie eines Tages auch so verlassen würde, wie ihre Mutter es getan hatte.

Reihen auf Reihen katalogisierter Tonscherben, Bronzewerkzeuge und kleiner Steine, die mit Inschriften versehen waren, füllten die Regalfächer an den Wänden.

Emma, Regans jüngere Schwester, hatte sich in einem Sessel in der Ecke zusammengerollt, ein Buch über Gartenpflege an die Brust gedrückt. Unter ihrem rosa Baumwollkleid lugten nackte Füße hervor. Der riesige Polsterstuhl ließ ihren zierlichen Körper noch kleiner wirken, so dass sie wesentlich jünger aussah als fünfzehn. Mit gerunzelter Stirn sah sie zu Regan auf, als wenn sie sagen wollte: »Und was ist diesmal passiert?« Aber sie schwieg und warf nur einen besorgten Blick in Richtung ihres Vaters.

Seamus Kendrick Southworth saß in seinem Bett, und der stumme Austausch zwischen den Schwestern war ihm nicht entgangen. Er hörte auf, in sein Buch zu schreiben, und legte es samt Feder und Tinte auf ein Tischchen an seinem Bett. Einen Moment lang sah er so aus wie der Mann, der er vor seiner Krankheit gewesen war.

Er betrachtete Regan genau. »Du bist so blass wie ein Verurteilter, der zusieht, wie sein Galgen errichtet wird. Bist du in Ordnung?« Er streckte ihr seine Hand entgegen.

Regan sah, dass die Hand zitterte, und erkannte, welche Mühe ihn die Geste kostete. Früher einmal war er ein lebhafter Mann gewesen, immer zum Lachen bereit und voller Energie, die ihn zu immer neuen Entdeckungen trieb. Jetzt saß dort nur noch eine Hülle, und das Licht in seinen Augen war erloschen.

»Wenn du mich fragst, sieht sie nicht in Ordnung aus«, meinte Emma und warf Regan einen düsteren Blick zu.

»Mir geht es sehr gut.« Regan spürte Emmas Feindseligkeit und fragte sich, was die Ursache dafür sein mochte.

Seamus betrachtete seine Tochter forschend und sagte dann: »Ich stimme dir zu, Emma.«

Regan wich seinem Blick aus und trat an das Nachttischchen, wo sie ihr Bild betrachtete, das sich in den vielen Medizinfläschchen verzerrt widerspiegelte. Als sie bei ihrem Vater war, umfasste sie sanft seine Hand. Seine kalte Haut fühlte sich warm an in ihrer eisigen Hand. »Du solltest dich ausruhen, statt dir Sorgen um mich zu machen«, wandte sie ein.

»Wie kann ich mir keine Sorgen machen, mein Mädchen, wenn du so weiß bist wie die Wand?« Die blassblauen Augen sahen sie scharf an.

»Mir geht es gut.«

»Du zitterst.«

»Das ist nur die kalte Luft.« Sie hörte den Regen auf das Dach trommeln und trat ans Fenster. Doch alles, was sie sah, war ihr eigenes, ängstliches Gesicht in der dunklen, nassen Fensterscheibe. »Du solltest nicht bei offenen Vorhängen schlafen. Du weißt doch, dass der Arzt gesagt hat, Zugluft sei nicht gut für dein Herz.«

Das Schwindel erregende Gefühl, das sie empfunden hatte, als MacGregor ihre Hand gehalten hatte, hielt noch immer an. So, wie sie ihren Herzschlag spürte, wusste sie, dass er noch immer in der Nähe war, noch immer vor sich hinmurmelte: Ich werde Sie finden. Heftig riss sie die Brokatvorhänge zu.

»Ich hätte wohl daran denken sollen«, bemerkte Emma.

Regan warf ihrer Schwester einen Blick zu. »Ich habe dir keinen Vorwurf daraus gemacht, dass du es nicht getan hast.«

»Dazu braucht es keine Worte.« Emma sah auf ihr Buch hinunter und blätterte eine Seite um.

Spannung hing in der Luft, nur unterbrochen durch das Ticken der Uhr auf dem Kaminsims.

In dem Moment kam Letta, eine treue Dienerin, die schon Amme bei Regans Mutter gewesen war, ins Zimmer. Nach deren Tod war sie in der Familie geblieben und hatte die Schwestern aus reiner Loyalität aufgezogen. Sie hatten kein Geld, um sie zu bezahlen.

Lettas spindeldürrer Körper schien in ihrem schwarzen Kleid mit der fleckigen Schürze zu verschwinden. Eine Kappe bedeckte ihre grauen Haare. Ihr Blick ging zwischen Emma und Regan hin und her, als wenn sie sie hätte streiten hören. Dann stellte sie eine Tasse Tee auf das Nachttischchen am Bett.

Seamus zog eine Grimasse. »Emma hat sich ausgezeichnet um mich gekümmert, nicht wahr, mein Liebes?«, brach er das Schweigen. Er wartete nicht auf eine Antwort. »Wer schert sich darum, ob die Vorhänge vorgezogen sind? Wenn ich auf jeden Arzt gehört hätte, dem ich begegnet bin, wäre ich längst nicht mehr bei euch. Und nun Schluss mit den Predigten, ich will wissen, was heute Nacht passiert ist!«

Ehe Regan etwas sagen konnte, schlug Emma ihr Buch zu, sprang auf und rief: »Ja, weihe uns doch bitte ein!« Ihre Stimme klang erstickt vor Emotionen.

Regan fiel auf, dass Emmas Hände zitterten, und sie bemerkte ihre Unruhe. Fragend sah sie in die großen braunen Augen ihrer Schwester. »Was ist los?«

»Nichts! Was soll schon los sein?« Emma ballte die Fäuste, und Tränen stiegen ihr in die Augen.

»Irgendetwas ist los. Wie habe ich dich verärgert?« Regan sah zu, wie Emma sich die Tränen von den Wangen wischte.

»Wenn du es unbedingt wissen willst, werde ich es dir sagen. Ich war heute Nacht krank vor Sorge. Weißt du überhaupt, wie viele verwünschte Nächte ich nachts darauf gewartet habe, dass Papa und du von einer eurer Ausgrabungen zurückkommt, voller Sorge, dass euch ein Unglück ereilt haben könnte? Und jetzt sitze ich hier und muss darauf warten, dass du nach Hause kommst. Ist dir das überhaupt wichtig? Nein! Alles, woran Papa und du denkt, ist Avalon zu finden und deswegen zu jeder Tages- und Nachtzeit durch die Gegend zu wandern. Was, wenn ich das tun würde? Wie würdest du dich fühlen, wenn du hier sitzen und dich um mich sorgen müsstest? Stell dir das einmal vor.«

Regan trat einen Schritt auf Emma zu. »Wir –«

»Versuch nicht, dich rauszureden – lass es einfach.« Emma erhob abwehrend die Hände. »Du kannst es ohnehin nicht.« Ihr Blick schoss zwischen Regan und Seamus hin und her, während Tränen über ihre Wangen liefen. »Ihr beiden haltet nie lange genug inne, um zu bemerken, dass wir nichts haben. Seht euch doch um. Ein schäbiges altes Cottage und kaum genug Essen im Haus.«

»Du bist bislang immer versorgt gewesen, Mädchen«, warf Seamus ein.

»Oh ja, ihr habt mich durch das Land zu allen möglichen Ausgrabungen mitgeschleppt so versorgt ihr mich anständig.« Emma stampfte mit dem Fuß auf. »Ich will endlich ein richtiges Zuhause! Ich habe es satt, alle Nase lang umzuziehen! Ich habe alles so satt ...« Sie stürmte aus dem Zimmer, und ihre Schritte verhallten in der Stille.

Regan wollte ihr nachlaufen, aber Letta hob die Hand. »Lassen Sie lieber mich gehen, Miss Regan.« Sie eilte hinaus.

Regan starrte auf die Tür und sah dann ihren Vater an, der genauso erstaunt aussah wie sie sich fühlte. »Waren wir wirklich so egoistisch, Papa?«, fragte Regan.

»Das waren wir, mein Mädchen.« Seamus zog die Brauen zusammen. »Ich bin nie auf die Idee gekommen, dass sie sich ein Zuhause wünschen könnte, geschweige denn eine ...«, seine Worte verklangen.

»Hochzeit«, beendete Regan den Satz. Sie schämte sich, dass sie sich so viele Sorgen um die Gesundheit ihres Vaters gemacht hatte, ohne an Emmas Bedürfnisse zu denken. »Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, hat Emma sich nie über unsere Umzüge gefreut. Ich wusste wohl, dass Emma die Begeisterung für unsere Arbeit nicht teilt, aber ich wusste nicht, dass sie sie so sehr ablehnt.«

»Sie hat nicht das Zigeunerblut in sich wie du. Du wolltest nie heiraten und einen Haushalt führen.« Seamus spielte mit der Decke. »Es wäre meine Aufgabe, eine Mitgift und ein Zuhause für sie zu bieten – in beidem habe ich versagt. Ich habe zugelassen, dass die Suche nach Avalon zu einer Besessenheit wurde –«

»So eine Art des Forschens ist bewundernswert. Das ist dein Traum. Wenn wir Avalon wirklich finden, kann Emma ihre Mitgift und eine richtige Saison in London haben, wenn es das ist, was sie sich wünscht. Wenn wir den Beweis finden, dass Arthuis der echte König Arthur war, verändert sich unsere ganze Welt. Dann wirst du berühmt sein, und all die Mitglieder der Royal Society, die dich verhöhnt haben, werden ihre Worte zurücknehmen müssen.«

Ihr Vater war immer davon überzeugt gewesen, dass der König Arthur aus Thomas Malorys Romanen des 15. Jahrhunderts sein Vorbild in einem großen Krieger namens Arthuis gehabt hatte, der rund 455 vor Christus im jetzigen York geboren war. Anders als ihr Vater jedoch glaubten die meisten Gelehrten, dass Riothamus, ein Zeitgenosse von Arthuis, der echte König Arthur war. Dieses Thema war Gegenstand einer andauernden Diskussion in archäologischen Kreisen. Falls es Seamus gelänge, Avalon zu orten, das legendäre Paradies, in das König Arthur vor seinem Tod gelangte, ohne je zurückzukehren, dann könnten sie den Beweis finden, dass Arthuis tatsächlich derselbe war wie König Arthur.

»Stolz hat seinen Preis.« Seamus schüttelte den Kopf. »Ich habe dir das nie erzählt, aber als ich deine Mutter heiratete, hatte ich nur mein Lehrgehalt. Sie hätte jemanden aus ihren eigenen Kreisen heiraten können, aber sie hat einen armen Professor gewählt. Ich hätte sie von der Ehe mit mir abbringen sollen, aber ich war zu egoistisch und habe sie zu sehr geliebt. Du siehst gar nicht schockiert aus, mein Mädchen.«

»Das bin ich auch nicht. Ich weiß das schon seit Jahren.«

»Wie das? Deine Mutter und ich haben nie darüber gesprochen.«

»ich habe es mit sechzehn gehört. Damals wollte ich dich in der Royal Society treffen. Ein paar Mitglieder kamen in die Halle, um ihre Handschuhe anzuziehen, und ich habe gehört, worüber sie sprachen.«

»Ich wollte nie, dass du es auf diese Weise erfährst.«

»Es spielte keine Rolle.« Regan zuckte die Achseln und dachte an damals. Seamus Southworth ist ein Emporkömmling.

Geschieht ihm recht, dass Clarington seine Tochter enterbt hat, ich habe gehört, dass Lord und Lady Clarington nicht mal auf der Beerdigung ihrer Tochter waren.

Die Claringtons haben die Gören wahrscheinlich noch nie gesehen.

»Du musst mehr gehört haben, als dir lieb war.« Er klang sehr traurig.

»Wenigstens habe ich so erfahren, warum Mama und du mir erzählt habt, Lord und Lady Clarington wären an eurem Hochzeitstag gestorben.«

»Wir wussten nicht, was wir sonst über eure adeligen Großeltern erzählen sollten –«

»Wie wäre es mit der Wahrheit gewesen: dass sie bigotte Heuchler waren und ich ohne sie besser dran war?«

»Das wäre sicher die ehrlichere Antwort gewesen.« Seamus warf Regan einen besorgten Blick zu, als wartete er auf ihre Vergebung.

»Mach dir keine Gedanken, Papa, ich habe sie nicht vermisst. Ich hatte Mutter, und ich habe noch immer dich.« Regan erzählte ihrem Vater nicht, dass er damals für sie zum Helden geworden war.

Seamus lächelte bitter. »Du erinnerst mich so sehr an deine Mutter. Sie hat mich immer unterstützt und immer nur das Gute gesehen ...« Seine Stimme brach, dann warf er einen Blick auf die Uhr. »Ihr Tod ist jetzt elf Jahre, acht Monate und drei Tage her. Wo sind die Jahre geblieben? Mir kommt es vor, als hätte ich einmal gezwinkert, und Emma und du wart erwachsen, während ich alles für meine selbstsüchtigen Ziele ausgegeben habe. Ich sollte mich schämen, dass ich von der Gutherzigkeit meines Bruders lebe. Wenn es mir besser ginge, könnte ich als Lehrerarbeiten.« Mit gequältem Gesicht sah er auf seine Decke hinunter.

Regan drückte seine Hand und fühlte zehnfach seinen Verlust und sein Leid. Niemals hätte sie ihre Schuld am Tod ihrer Mutter und an dem schwachen Herzen ihres Vaters jemandem anvertraut. »Das ist jetzt nur eine schlechte Phase«, tröstete sie und zwang sich dazu, zuversichtlich zu klingen. »Bald geht es dir besser. Ich weiß es. Wenn wir Avalon gefunden haben, wirst du berühmt sein. Du wirst auf Vortragsreisen gehen und endlich die Anerkennung für all deine harte Arbeit bekommen. Dann wirst du wieder ganz der Alte sein.«

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass es je wieder dazu kommen wird. Meine Taschen sind leer. Schon bald werden mir die Gläubiger die Tür einschlagen. Wir werden nach Northampton zurückgehen müssen, um bei Onkel Inis –«

»Wir werden schon einen Weg finden, um hier bleiben zu können.« Regan berührte seine Schulter und dachte an eine Lösung: Mr. McAskill zu heiraten.

»Du klingst immer so selbstsicher, Mädchen. Ich wünschte, ich hätte deine Zuversicht.« Er lehnte sich in die Kissen zurück, seufzte und sah ihr in die Augen. Sein Bedauern wandelte sich in Sorge. »Jetzt habe ich dich mit meinen Sorgen belastet, ohne dich zu fragen, was du heute Nacht erlebt hast.«

Von ihrem knappen Entkommen vor MacGregor erzählte sie ihm nichts, sie wollte ihren Vater jetzt nicht noch mehr aufregen. Also zwang sie sich zu einem Lächeln und sagte: »Es wird dich freuen zu hören, dass der zehnte Stein im Druidensteinkreis sich perfekt mit dem Löwen-Sternbild verbindet genau so, wie es im Lied des Barden beschrieben ist.«

Seamus schlug eine Hand vor die Brust. »Beim Jupiter! Ich hätte nie gedacht, dass wir die Worte richtig übersetzt haben.« Er griff nach einer Zeitschrift, in der er gelesen hatte, und schlug die letzte Seite auf. Die Zeitschrift zitterte in seinen Händen, als er auf das Lied deutete. »Ich war mir bei der zehnten Schwester des Löwen nicht ganz sicher. Ganz und gar nicht sicher.« Seine Unterlippe zitterte ein wenig.

Regan beugte sich vor und betrachtete das Gedicht.

Merkt auf Ihr Wahrheitssucher
Und Rätsellöser
In der Mittsommernacht