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Karl Baedeker (1801–1859)

»Wie aber die Verhältnisse einmal sind, so muss man sie nehmen, und sich die gute Laune nicht trüben lassen, wenn man Manches nicht so findet, wie man es von zu Hause gewohnt ist Wer misstrauisch in die Welt hinauszieht, bei jedem Preise, der höher ist als in der Heimath, an Prellerei denkt, mag lieber daheim bleiben «

Karl Baedeker

IMPRESSUM

1. Auflage 2019

© DuMont Reiseverlag / Karl Baedeker Verlag, Ostfildern

Alle Rechte vorbehalten

eISBN 978-3-6164-9108-0

Gesamtgestaltung und Satz Tom Ising und Daniel Ober für Herburg Weiland, München

Illustrationen Amélie Cordier, Lyon

Redaktion Svenja Heinle, Ostfildern

Portrait Karl Baedeker (>>>), Touristenbus-Foto (>>>) Archiv Karl Baedeker Verlag

BAEDEKER’S

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HANDBUCH
FÜR
SCHNELLREISENDE

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Ausgewählt und kommentiert von Christian Koch,
Philip Laubach und Rainer Eisenschmid.
Mit einem Vorwort von Dr. Hasso Spode und einem
Nachwort von Rainer Eisenschmid

DuMont Reiseverlag / Karl Baedeker Verlag

Illustriert von Amélie Cordier

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Inhalt

VORWORT

ÄGYPTEN

INDIEN

BELGIEN UND HOLLAND

PARIS

RHEINREISE VON STRASSBURG BIS DÜSSELDORF

MITTEL- UND NORDDEUTSCHLAND

PALÄSTINA UND SYRIEN

GROSSBRITANNIEN

LONDON

ITALIEN

RUSSLAND

SPANIEN UND PORTUGAL

NORDAMERIKA

GRIECHENLAND

ÖSTERREICH-UNGARN

KONSTANTINOPEL UND DAS WESTLICHE KLEINASIEN

SCHWEDEN UND NORWEGEN

SCHWEIZ

NACHWORT

Abkürzungsverzeichnis

c. = Cent Italien, Nordamerika
d. = Penny Großbritannien und London
Dr. = Griechische Drachme Griechenland
fl. = Gulden (Floren) Belgien und Holland, Österreich-Ungarn
fr. = Franc Ägypten, Belgien und Holland, Paris, Palästina und Syrien, Griechenland, Konstantinopel und Kleinasien
ggr. = Guldengroschen Mittel- und Norddeutschland
Kop. = Kopeke (Untereinheit des Rubel) Russland
kr. = Österreichische Krone Österreich-Ungarn
l. = Pfund Großbritannien und London
L. = Lepto
(Untereinheit der griechischen Drachme)
Griechenland
p. = Peseta Spanien und Portugal
Pf. = Pfund Palästina und Syrien
Pi. = Piaster Ägypten, Palästina und Syrien, Konstantinopel und Kleinasien
R. = Grad Réaumur Ägypten
R. = Indische Rupie Indien
R. = Russischer Rubel Russland
s. = Schilling Großbritannien und London
Sgr. = Silbergroschen Rheinreise, Mittel- und Norddeutschland
Thlr. = Taler Mittel- und Norddeutschland

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Hoffentlich haben alle ihren Baedeker dabei ...

Touristenbus Ende der 1920er-Jahre.

Vorwort

BAEDEKER UND DIE ENTDECKUNG DES REISENS

Vorwort von Hasso Spode

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Vorwort

Am 2. Mai 1838 besteigt ein Herr von 36 Jahren in Antwerpen den Dampfzug nach Mechelen. Mechelen ist ein malerisches belgisches Städtchen, doch das interessiert den Herrn nicht. Ihn interessiert die Eisenbahn. Die drei Postmeilen lange Strecke war zwei Jahre zuvor eingeweiht worden, und er will erkunden, was es mit diesem Wunderwerk auf sich hat. Gewissenhaft macht er sich Notizen — und ist begeistert. »Welche Lust gewährt das Reisen!«, schreibt er noch am selben Abend an seinen Vater.

Der Name des jungen Herrn: Karl Bädeker. Der Spross einer weit verzweigten Verlegerfamilie ahnte, welche Chancen ihm die Dampfkraft im Transportwesen eröffnete: Reisen würde bald billiger, komfortabler, schneller und sicherer sein als je zuvor. Immer mehr Menschen würden nur zu ihrem Vergnügen reisen. Und sie würden Orientierung benötigen: Nicht Lohnbediente, die sie für teures Geld in der Fremde umherführen, sondern kleine handliche Reisebücher — nicht menschliche, sondern gedruckte Reiseführer.

In Deutschland dampfte da zwar erst eine einzige, aus England importierte Lokomotive über die Gleise — auf der kurzen Ludwigsbahn zwischen Nürnberg und Fürth —, doch auf dem Wasser begann sich der motorische Antrieb bereits durchzusetzen. Schon seit 1816 verkehrte ein riesiger Schaufelraddampfer auf Spree und Havel, und 1827 hatte die Preußisch-Rheinische Dampfschiffahrts-Gesellschaft den Betrieb aufgenommen. Der Rhein war bereits eine touristische Attraktion, die erste in Deutschland. Prompt war im Folgejahr in Koblenz ein gelehrter Rheinführer für Schnellreisende erschienen. Karl Bädeker hatte die Rechte an dem Band gekauft und 1832/35 zwei Neuauflagen auf den Markt gebracht.

Ein Jahr nach seiner Fahrt mit der belgischen Eisenbahn begann er Handbücher für Reisende zu verlegen, die er selbst recherchierte und verfasste. Mit Berlin-Potsdam und Dresden-Leipzig gab es im Deutschen Bund bereits zwei weitere Bahnlinien und fortan wurden rastlos Schienen verlegt. Von 1840 bis 1914 wuchs das Streckennetz von 300 auf über 63 000 Kilometer; die Passagierzahl stieg von hunderttausend auf fast zwei Milliarden — ein Wert, der erst um 2010 wieder erreicht werden sollte. Der touristische Reiseverkehr machte davon nur einen Bruchteil aus, doch seine Steigerungsraten dürften sogar noch höher gewesen sein als die des Gesamtfahrgastaufkommens. Baedeker hatte goldrichtig gelegen, auch, weil er aufmerksam die Entwicklung in England verfolgte.

Das Mutterland der Industriellen Revolution war sowohl beim Eisenbahnwesen als auch beim Tourismus vorangegangen. »Sind Briten hier? Sie reisen sonst soviel«, lässt Goethe den Mephisto fragen.

Bädeker orientierte sich bei seinen Handbüchern zunehmend an den roten hand-books for travellers des Londoner Verlegers John Murray III (1808–1892). Reiseanleitungen hatte es schon immer gegeben, meist dicke Folianten voll philosophischer Erörterungen und weitschweifiger Prosa. Murray machte daraus nüchterne Nachschlagewerke im Taschenformat, dem Ideal wissenschaftlicher Präzision, Objektivität und Kürze verpflichtet.

Der Baedeker — wegen internationaler Geschäftsbeziehungen seit 1851 mit „ae“ geschrieben — wandte sich mit seinen rationellen Reiseanleitungen an ein nur mäßig wohlhabendes Publikum mit begrenztem Zeitbudget: an das aufstrebende Bürgertum. Das lange 19. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg gilt als das bürgerliche Zeitalter. In Deutschland setzte dessen Blüte 1871 mit der Gründung des Kaiserreichs ein. Der ökonomische Rückstand gegenüber England und Frankreich wurde rasch aufgeholt: Aus einem ärmlichen Agrarland wurde eine führende Industrienation. Einerseits fanden immer mehr Bauern, Handwerker und Tagelöhner in den neuen Fabriken ein bescheidenes Auskommen; eine abgehängte Arbeiterklasse entstand, rund die Hälfte der Erwerbsbevölkerung. Anderseits boten sich Geistesarbeitern — gut ein Zehntel der Berufstätigen — vorzügliche Aufstiegschancen. Weniger der Adel als vielmehr ein buntscheckiges Bürgertum war nun die tonangebende Schicht. Sie war es, die sich einen Baedeker leistete.

Denn zum Lebensstil der besseren Leute gehörte es nun, einmal im Jahr zu verreisen. Die besseren Leute, das waren Fabrikanten, Kaufleute, Wissenschaftler, Ärzte, Schriftsteller und Künstler, hohe Militärs, leitende Beamte und Angestellte — und deren Ehefrauen und Kinder.

Seit 1873 wurde für Staatsdiener und dann auch für Angestellte schrittweise ein Anspruch auf Urlaub eingeführt — in Spitzenpositionen sechs Wochen! Etablierte Selbstständige aller Art und wohlhabende Pensionisten konnten ebenfalls Zeit und Geld für diesen Luxus erübrigen, nicht zu reden vom Adel. Wogegen bis 1914 nur ein Zehntel der Fabrikarbeiter einen drei- bis sechstägigen Urlaub erhielt; andere Handarbeiter und Dienstleute, vom Hausmädchen bis zum Landarbeiter, meist gar keinen. Ohnehin reichte ihr Lohn nicht zum Verreisen. Dennoch nahm der Tourismus einen beispiellosen Aufschwung. Im Kaiserreich verfünffachte sich die Zahl der Fremdenübernachtungen. Mindestens ebenso stark nahmen die Auslandsreisen zu. »Zu den Eigentümlichkeiten unserer Zeit gehört das Massenreisen«, notierte Theodor Fontane, »jetzt reist jeder und jede« — was freilich nur auf jene Kreise zutraf, denen Fontane selbst angehörte: Zehn Prozent der Deutschen bildeten die Touristenklasse des Kaiserreichs.

Damit reiste erstmals ein beachtlicher Bevölkerungsanteil regelmäßig auf freiwilliger Basis. Das war keineswegs selbstverständlich. Jahrtausendelang war die Reise eine gefahrvolle Pflichtübung gewesen, eine Bürde, die man nur auf sich nahm, wenn es dafür gute Gründe gab, sei es Geld, Macht oder Sündenablass.

Ein Jahrhundert vor Fontane hatten einige romantische Gebildete, im Gepäck die Schriften des Romantikers Jean-Jacques Rousseau (1712–1778), begonnen, zu reisen ohne davon einen handfesten Nutzen zu erwarten. Ihr Motto: »Zurück zur Natur!« Ein tiefes Unbehagen an der Versklavung durch den zivilisatorischen Fortschritt hatte sie ergriffen und führte zu einer radikalen Umwertung von Natur und Geschichte: Berge und Strände, Burgruinen und gotische Kirchen — was bis dato öde, hässlich und wertlos war, wurde zum Zeugen einer unverfälschten Natur, einer großartigen Vergangenheit. Der Tourismus war geboren.

Die ersten Touristen mussten noch mit den althergebrachten Transportsystemen auskommen. Sieben Postmeilen, gut fünfzig Kilometer, mit der Kutsche über holperige Sandpisten waren schon eine beachtliche Tagesreise und dafür wurden auch noch horrende Summen fällig. »Sie streichen die Postwagen rot an, als die Farbe des Schmerzens und der Marter«, notierte der Forscher und Schriftsteller Georg Christoph Lichtenberg (1742–1799). Auf Flüssen und Kanälen reiste man komfortabler, allerdings noch langsamer. Als ab 1820 die leuchtend gelbe Eilpost über die neuen Pflasterstraßen raste, war dies ein großer Fortschritt. So schrumpfte die Fahrzeit Dresden-Leipzig von 2 Tagen auf 10 Stunden. Doch die Preise blieben hoch und die Kapazitäten begrenzt.

Erst Dampfschiff und Eisenbahn ermöglichten das Massenreisen. Nicht nur ging es nun fünfmal, später zehnmal schneller voran als mit der Eilpost. Auch die Preise fielen drastisch; selbst die Erste Klasse kostete nur die Hälfte des Posttarifs. Denn so ein Zug konnte hunderte Menschen gleichzeitig befördern, die Kutsche nur zehn. Anfangs — zu Karl Bädekers Zeit — waren die Waggons den Postkutschen nachempfunden: aneinandergereihte abgegrenzte Abteile mit Außentüren, die nur am Bahnsteig geöffnet werden konnten. Um 1900 wurden diese Coupé-Wagen durch den Durchgangszug (D-Zug) ersetzt. Die Fahrgäste konnten sich nun frei bewegen, um Toiletten oder den Restaurantwagen aufzusuchen. Bald gab es auch Schlafwagen und Privatkabinen — Fernreisen wurden ein Vergnügen.

Die Salonzüge der Compagnie Internationale des Wagons-Lits schwelgten in fantastischem Luxus; bis heute legendär ist der Orient-Express nach Konstantinopel. Dies nutzend, boten findige Reiseveranstalter, voran Thomas Cook & Son, ausgeklügelte Arrangements an; die Nilschifffahrt war fest in der Hand dieser Londoner Weltfirma, sie brachte Pilger nach Mekka und auf dem Vesuv betrieb sie eine Seilbahn. Ähnlich global agierte Carl Stangen’s Reise-Bureau in Berlin, dessen Angebotspalette von der Orient-Reise bis zur Reise um die Erde reichte. Zugleich befuhren riesige Kreuzfahrtschiffe die Meere — Pauschalurlaub in schwimmenden Hotels.

Problemlos ließ sich aber auch auf eigene Faust verreisen: Per Telegraph wurde die Suite im Grand Hotel gebucht; Grenzen spielten keine Rolle, Pass und Visum waren abgeschafft. Ob Nizza, Biarritz, Ostende, Ischl oder Baden-Baden: In den mondänen Kur- und Seebädern tummelte sich Europas High Society. Reichen Abenteurern stand zudem die Welt offen, von den Niagarafällen bis zum Amazonas, von den Tempeln von Baalbek bis zum Taj Mahal.

Weniger glanzvoll und exotisch, dafür weit zahlreicher die Urlaubsreisen der gutbürgerlichen Familie: Mit Kind und Kegel ging es in die Sommerfrische oder ins Ostseebad. Die Ehemänner wanderten auch als Rucksacktouristen durch die Berge; andere hingegen zog es magisch nach Paris, der Welthauptstadt der Kultur — und der käuflichen Liebe.

Die wachsende Vielfalt der Reiseziele und -formen schlug sich auch in einem Boom des Reiseführermarkts nieder. Längst hatte der Baedeker Konkurrenz bekommen: ähnliche Reihen wie Meyer und Grieben, Spezialreihen für Wanderer, Radfahrer oder Automobilsten und zahllose Einzelbände. Allein die vier auflagenstärksten Reiseführerverlage boten 1914 fast siebenhundert Titel an. Doch unumstrittener König blieb der Baedeker. Baedeker wurde eine Weltmarke. Seit 1861 produzierte der Verlag auch englischsprachige Bände und überflügelte den Konkurrenten Murray schließlich so deutlich, dass der seine Reiseführerreihe 1912 einstellte.

Der Erfolg rief freilich die Kulturkritik auf den Plan. Dass Touristen nur dumpf die Sternchen abarbeiten würden, mit denen im Baedeker besonders sehenswerte Orte gekennzeichnet waren, wurde zu einem langlebigen Stereotyp. Der Schriftsteller Ludwig Thoma (1867–1921) etwa spottete über den »moralischen Zwang«, den sie ausüben: „Frau Kommerzienrat nimmt ihren Bleistift und streicht im Baedeker das erledigte Pensum durch“. Und als Karl May (1842–1912) tatsächlich erstmals eine große Reise buchte, reimte er holperig über die anderen Touristen: »Den rothen ‚Führer′ krampfhaft in der Hand / Sind sie bemüht, zu messen, zu vergleichen / Als habe Bädecker sie hergesandt / Um ihnen als untrüglich sich zu zeigen.« Dabei hatte er in Unkenntnis der Schauplätze seiner Abenteuerromane beim Schreiben selbst auf den Baedeker zurückgegriffen.

Die Kritik an den Touristen und an der Vereinheitlichung ihres Verhaltens durch Reiseführer ist bis heute nicht verstummt. Und doch war es gerade der zuverlässige Baedeker, der Reisenden eine begrenzte Selbständigkeit in der Fremde ermöglichte und somit vor Ort Handlungsspielräume eröffnete. Er befreite von der Abhängigkeit von teuer bezahlten Berufsreiseführern, über die der Schriftsteller und Wanderer Johann Gottfried Seume (1763–1810) gestöhnt hatte: »einer unwissender und abenteuerlicher als der andere«. Wer selbstständiger reiste, konnte auch preiswerter reisen. Auch wenn der Aufstieg des Baedeker noch in die Zeit einer privilegierten Touristenklasse fiel, so hat er doch nicht wenig zur Demokratisierung des Reisens beigetragen.

Mit welchen kulturellen und logistischen Problemen Individualreisende von Beginn an zu kämpfen hatten und welche unverzichtbaren Ratschläge Karl Baedeker und seine Autoren ihnen mit auf den Weg gaben, dies erfährt die/der geneigte Schnellreisende von heute auf den folgenden Seiten mit den bemerkenswertesten Fundstücken aus den ersten hundert Jahren der Baedeker-Reiseführer — garantiert fernab jeglicher politischer Korrektheit und gänzlich frei von praktischem Nutzens.*

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* Vorbemerkungen von Hasso Spode und Zitate aus den original Baedeker-Bänden sind im Folgenden in Schwarz gedruckt, Kommentare von Christian Koch in Rot. Die originale Rechtschreibung der Zitate wurde beibehalten und nicht vereinheitlicht.

ÄGYPTEN

4. Auflage, 1897

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Ägypten ist die älteste touristische Destination überhaupt. Schon Griechen und Römer pilgerten zum »Weltwunder« der Pyramiden. Um 1900 gehört das Land formal zum türkischen Reich, faktisch aber steht es unter britischer Herrschaft. Die Einwohnerzahl liegt mit rund 7 Millionen nicht höher als in der Antike (heute drängen sich hier bald 100 Millionen). Die »allgemeinen zerrütteten Verhältnisse« — liest man in einem zeitgenössischen Lexikon — sind sprichwörtlich, von der »übelberüchtigten Finanzwirtschaft« bis zur »sehr niedrigen Stufe« des Bildungswesens. Immerhin hatten die Engländer den Sklavenhandel zurückgedrängt. Die erste Gruppenreise nach Kairo organisierte das Breslauer Reisebüro Stangen bereits 1864. Später dominierte der führende britische Veranstalter Thomas Cook & Son den boomenden Ägyptentourismus; mit seinen 15 Nil-Dampfern hielt Cook nahezu ein Monopol auf die Vergnügungsschifffahrt. Baedekers Ägyptenführer wendet sich aber auch an Individualreisende, die sich unterwegs selbst versorgen — nicht zuletzt mit Whisky und Champagner.

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UNTERWEGS IN KAIRO

… wo den Reisenden Unwägbarkeiten erwarten, die wir heutzutage nur noch von Berliner Taxifahrten kennen.

Die Kutscher verstehen weder die europäische Sprache noch können sie die angeschlagenen Straßennamen lesen, kennen die Orte oft auch nur unter ihren eigenen Bezeichnungen. Man ist daher auf Hilfe angewiesen, zu der sich sprachkundige Araber, die entweder im Dienst der Gasthöfe stehen oder dort die Eingänge umlagern, stets anbieten (ihre weitere Begleitung weise man zurück). Man achte auf die Richtung, da der Kutscher nicht selten ins Blaue hineinfährt, und deute sie ihm, etwa durch Berührung mit dem Stock am rechten oder linken Arm, selbst an.

Viel Lob erhält hingegen der Esel als Transportmittel — und das an mehreren Stellen des Reiseführers. Dem Eseltreiber gegenüber empfiehlt der Baedeker allerdings eine gewisse väterliche Strenge.

Esel (ein kürzerer Ritt in die Stadt 1–2 Pi., die Stunde 3–4 Pi., der Vormittag 8–12 Pi., ein Tagesausflug 15–25 Pi.) kommen auch in Kairo bei der eleganten Welt mehr und mehr aus der Mode. Wer aber orientalisches Leben kennen lernen, die engen arabischen Stadtteile mit ihren Bazaren und Moscheen durchstreifen will, kann des Esels nicht entbehren. Beim Besuch der Khalifen- und Mamlukengräbern, der Aussichtspunkte auf den Windmühlenhügel und dem Mokaṭṭam u. s. w. bietet der Esel den Vorteil, daß man überall hin kann und auf den Reitpfaden weniger vom Staube leidet, als zu Wagen auf den Fahrstraßen. Man findet die Esel fast überall, wo man sie braucht, an Straßenecken und auf Plätzen, in der Nacht vor den Cafés. Das Massenangebot ist oft so stürmisch, daß man sich wohl mit dem Stocke Bahn schaffen muß. Vorzuziehen sind die jungen Eseltreiber, deren Humor weltbekannt ist und deren gute Laune erfahrungsgemäß auch auf das Tier günstig einwirkt. Man verbiete bei erster Gelegenheit, nötigenfalls auf etwas drastische Weise, die gewohnheitsmäßige Quälerei der Tiere durch Stacheln und das beliebte Hetzen zum Galopp. Letztere Gangart ist überdies in der Stadt verboten. Je nach Zufriedenheit mit Treiber und Tier bemißt man das Bakschîsch.

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SEHENSWÜRDIGKEITEN

Das Besteigen der Pyramiden ist natürlich auch heutzutage noch möglich — sofern man eine mehrmonatige Gefängnisstrafe in Kauf nehmen will. 

Man wähle einen hellen windstillen Tag, bleibe wenigstens bei starkem Winde zu Hause, da der wehende Sand höchst unangenehm ist. Zum Schutze gegen die grelle Sonne ist die Mitnahme von Schirmen und rauchfarbenen Brillen zu empfehlen, die namentlich oben auf der großen Pyramide gute Dienste leisten werden. Für den Besuch des Innern der Pyramide sind eine Magnesiumlampe und Kerzen erforderlich. Damen mögen sich zur Besteigung der Pyramide mit angemessener Kleidung versehen.

Die Besteigung der Pyramide ist ungefährlich, aber anstrengend. Der gewöhnliche Aufgang ist an der NO.-Ecke. Man nimmt zwei Beduinen und begiebt sich dorthin. Mit den beiden Führern, denen man die Hände reicht, zur Seite, nötigenfalls noch mit einem dritten hinten, geht es dann über die meist 1m hohen Stufen aufwärts. Die gewandten und kräftigen Leute ziehen, stützen und schieben den Reisenden am liebsten ohne Aufenthalt bis hinauf. Man nehme ihre Hilfe ganz ordentlich in Anspruch, lasse sich aber durch ihr Geschrei nicht irre machen (»Iskut wallâ mâfisch bakschîsch« heißt »schweig oder du erhältst kein Trinkgeld«), sondern setze den Ehrgeiz rasch hinaufzukommen bei Seite und ruhe sich nach Belieben aus, wäre es auch noch auf der letzten Stufe. Denn das ungewohnte Klettern greift die Muskeln in hohem Grade an und treibt das Blut in den Kopf. Bitte um Bakschîsch weise man ab und sehe unterwegs auch zu, daß man nichts aus den Taschen verliere. — Die Besteigung läßt sich in 10–15 Min. wohl ausführen. Die Verwendung der doppelten Zeit wird aber niemand bereuen, es ist höchst unangenehm, in erhitztem Zustand oben anzulangen.

Die obere Fläche der Pyramide mißt gegenwärtig 10 m im Quadrat, so daß selbst eine größere Gesellschaft Platz zu freier Bewegung hat.

Das Hinabsteigen von der Pyramide geht schneller, ist aber nicht minder unangenehm, namentlich für Schwindlige. Von Gefahr ist aber nicht die Rede. Jedenfalls nehme man fortwährend die Hilfe der Beduinen in Anspruch.

Regel Nummer 1 für den Pyramiden-Besucher: Niemals mit vollem Magen durchs Grab der Pharaonen kriechen!

Der Besuch des Innern der Pyramide, das dem gewöhnlichen Touristen etwas bietet, ist ebenfalls beschwerlich und sollte erst unternommen werden, nachdem man sich von der Besteigung vollständig ausgeruht hat. Damen und Herrenbegleitung, sowie vollblütigen, nervösen oder sonst leidenden Personen ist davon abzuraten. Auch Gesunde mögen den Besuch nie nach einer stärkeren Mahlzeit ausführen. Denn es ist ein fortwährendes Kriechen und Klettern in dunklen, stellenweise, namentlich anfangs nicht über 1 m hohen und 1,3 m breiten Gängen, daher tiefes Bücken erforderlich. Auch hier drängen die Führer unablässig vorwärts; man lasse sich aber nicht durch stören. Der Boden ist zum Teil außerordentlich glatt und die dumpfe, mit Fledermausgeruch erfüllt Luft sowie die Hitze, die in den inneren Räumen bis zu 21°R. steigt, erschweren die Wanderung.

Die Sphinx — die nasenloseste Berühmtheit der Weltgeschichte! Einst erbaut, um mittels der furchteinflößenden Nachbildung eines Sonnengottes in Löwenform die Pyramiden zu bewachen — was offensichtlich gehörig schiefging. Schließlich verdiente sich der gottlose Berufstand des Grabräubers über die Jahrhunderte eine goldene Nase an den Pharaonengräbern.

Wenn man sich auf die obere Rundung des Ohres stellt, erreicht man mit der Hand noch nicht die Höhe des Scheitels. Im Kopfe ist eine Höhlung, in die ein Beduine auf Verlangen hineinklettert.

Die Ägypter glaubten, der Nil speise sich aus dem Schweiß der Krokodile. Ein bedauerliches Missverständnis, wissen Biologen doch, dass wechselwarme Tiere ihre Körpertemperatur nicht selbstständig regeln und deshalb nicht schwitzen können. Trotzdem wurde das Nil-Krokodil lange Zeit als Fruchtbarkeitsgott verehrt. Der etwas aufgeklärtere Bevölkerungsteil geriet jedoch mit der Zeit ins Grübeln, ob man es mit der Krokodils-Verehrung nicht doch ein wenig übertrieb. Manche Historiker nehmen sogar an, Ägypten habe sich eine Zeit lang in Bezirke Pro Krokodil und Bezirke Contra Krokodil gespalten. Unschwer zu erraten, in welchem Bezirk die berühmte Krokodilgrotte mit Hunderten sorgsam mumifizierter Krokodilsleichen lag und liegt.

Man findet im Dorfe Führer, deren man, teils um den besten Weg über das Gestein der zu ersteigenden Hügelwand, teils um die Öffnung der Höhle zu finden, nicht entbehren kann, versorge sich mit Laternen und Tauen und lasse sich von einigen handfesten Matrosen begleiten. Die Entfernung beträgt gut 1 St.; es geht meist steil bergan. Damen ist von dem Besuch der Grotte abzuraten. Man geht n.ö. auf den Berg zu, ersteigt das Plateau desselben in ¾ St., dann s.ö. in ½ St. zur Grotte. Den Zugang bildet ein 4m tiefes Loch, in das man hinabgelassen und unten von einem der Führer aufgefangen wird. Man kriecht dann auf allen Vieren in dem Mumienstaube eine gute Strecke lang vorwärts; nach einiger Zeit steigt man l. in eine Verzweigung des Ganges. Während der sich gerade fortsetzende Weg hauptsächlich Menschenmumien enthalten soll, ist der Seitengang mit Mumien von Krokodilen angefüllt, z. T. in sehr großen Exemplaren, daneben Bündel von kleinen, zu 25 Stück zusammengepackt, und Bastkörbchen mit Krokodileiern, mit erhaltener Eierschale, in der der Embryo gewunden liegt. Zuletzt kommt man in einen breitern Raum, in welchem man bequem stehen kann. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß die Höhle von der andern Bergseite her noch einen Zugang hatte, doch wurde dieser bisher nicht aufgefunden. Daß größte Vorsicht bei dem Gebrauch von Licht anzuwenden ist, zeigt das Beispiel zweier Franzosen, die in dem Rauch der in Brand geratenen Mumienbinden erstickten und verkohlten.

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MEET THE LOCALS

Man muß die Verhältnisse nehmen wie sie sind und sich durch nichts in seiner äußeren Gleichgültigkeit stören lassen. Vor allem zeige man weder Neugier noch Interesse für diese Menschen; hat man gezahlt, so lasse man sie unbeachtet, als wenn man niemals etwas mit ihnen zu thun gehabt hätte; tritt einer zu nahe, so erinnere man sich der Worte »rûḥ«, »imschi« (fort! packe dich!), die in einem gelassenen aber ganz entschiedenen, nicht etwa in einem ärgerlichen Tone auszusprechen sind.

Europäische Ohren auf Reisen hatten es in Ägypten nicht immer leicht.

Die Ägypter halten sich für ein besonders musikalisches Volk, und in der That wird es dem Reisenden auffallen, wie viel er singen hört. Der Ägypter singt, wenn er in sich versunken, seinem Kêf hingegeben, auf seinen Fersen hockt oder auf einer Strohmatte ausgestreckt am Boden liegt, wenn er hinter seinem Esel herspringt, wenn er Mörtel und Steine am Baugerüste emporträgt, bei der Feldarbeit und beim Rudern; er betrachtet den Gesang als eine Stärkung bei der Arbeit und als einen Genuß in der Ruhe. Es fehlt jedoch eine eigentliche Melodie, vielmehr wird nur in einem bestimmten Rhythmus gesungen, der vom Text abhängig ist, und zwar so, daß der Sänger unter 6–8 Haupttönen je nach seiner Seelenstimmung beliebig wechselt. Für europäische Ohren ist der näselnde Ton und die eintönige Vortragsweise ohne Wohlklang.

Jeglicher Wohlklang fehlte auch dem oft gebrauchten Wort BACKSCHÎSCH.

Backschîsch. — Das Wort backschîsch (urspr. bachschîsch), das die Geduld des Reisenden häufig auf eine harte Probe stellt, und das in seinen Ohren noch fortklingt, wenn er längst die Grenzen des Orients hinter sich hat, bedeutet einfach ein Geschenk, und da man mit »Geschenken« im Orient Alles erreichen kann, so findet das Wort die verschiedenste Anwendung. Der gewöhnliche Orientale hält den europäischen Reisenden für einen Menschen von ungemessenem Reichtum und teilweise auch, da ihm der Zweck und die Lust des Reisens unverständlich sind, für einen Narren. Infolge davon drängt er sich an ihn mit dem Gefühl einer berechtigten Forderung: »gieb mir ein Backschîsch, weil du reich bist und mit einem großen Troß in der Welt umherfährst«. Es wäre ein arger Fehler, den Eingebornen, mit denen man in Berührung kommt, also den Führern, Kutschern, Eseltreibern, Beduinen nachgeben zu wollen. Je mehr man giebt, um so unverschämter werden die Ansprüche. Man zahle nie früher, als bis alle Dienste geleistet sind, und zwar die in diesem Buche angegebenen Preise, erwarte keinen Dank, den der Orientale dem Europäer gegenüber überhaupt nicht kennt, und gehe kurz seiner Wege weiter.

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ERLEBEN UND GENIESSEN

Niemandem würde heutzutage einfallen, eine Nilkreuzfahrt selbst zu organisieren, bekommt man sie doch schon ab 449 Euro (für 15 Tage) beim Discounter. Ganz anders vor 120 Jahren.

Für diejenigen Reisenden, welche die Beschaffung der Lebensmittel selbst in die Hand nehmen, nennen wir hier einige Firmen, die wir auf Grund eigener Erfahrungen empfehlen können: Walker & CoK, Ezbekîye 16–20, für Konserven und andere Eßwaaren; Nicola Zigada, bei Shephears’s Hotel, für Eßwaaren und Wein, E. J. Fleurant, gegenüber dem Crédit Lyonnais, für französische und österreichische Weine. Als Anhalt für die Auswahl der Gegenstände diene folgende Übersicht des Bedarfs für zwei Monate zu drei Personen:

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