Cover

Moonlight Romance
– 24 –

Der teuflische Gehilfe

Jean van Delft – treu ergeben der Macht der Finsternis

Helen Perkins

Impressum:

Epub-Version © 2019 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74094-267-0

Weitere Titel im Angebot:

Weitere Titel im Angebot
Weitere Titel im Angebot
Weitere Titel im Angebot

Der Händedruck dieses Mannes war nicht nur kalt gewesen und beinahe wie ein Schraubstock. Zugleich hatte Didier den Eindruck gehabt, als dringe der andere gedanklich in seinen Kopf ein. Er konnte es nicht anders beschreiben. Es war so, als wühle er kurz, aber heftig in seinen Gedanken und Gefühlen. Es war eine schmerzhafte und beklemmende Erfahrung. Im Grunde wollte Didier nichts mit Jean van Delft zu tun haben. Der Mann war ihm unheimlich. Und doch hatte er keine andere Wahl. Michel und seine beiden Schläger saßen ihm im Nacken. Spielte er nicht mit, würde er dies bitter bereuen.

Neumond, die dunkelste aller Nächte. Der Himmel über Paris war von einem tiefen Schwarz, dessen stumpfe Düsternis kaum vom Neon der Stadt erhellt wurde. Wie ein schwerer Druck, die Ahnung von etwas Bösem und Abseitigem lag die Dunkelheit über der Metropole an der Seine. Nichts vermochte diesen Albdruck zu lockern. Die Lichter der Stadt wirkten verwaschen und blass, selbst die Illumination der Ausflugsboote auf dem breiten Strom schien vergeblich gegen die Düsterkeit anzuleuchten.

Es war Mitte September, die große Sommerhitze vorüber. In den Parks der Stadt lag noch der Duft nach Rosen und doch schlich in dieser Nacht ein kühler Wind wie der erste Vorbote der dritten Jahreszeit umher.

An der Seine, gegenüber des Jardin des Plants waren zu dieser späten Stunde nicht mehr viele Menschen unterwegs. In der Nähe gab es unter einem Brückenpfeiler einen Treffpunkt von Obdachlosen. Obwohl die Gegend zu den besseren in Paris zählte, sahen Polizei und Stadtverwaltung großzügig über diesen »Schandfleck« hinweg. Mehrere Bürgermeister hatten versucht, die Gestrauchelten, die hier ihren Rotwein teilten, zu vertreiben. Doch es war keinem gelungen, denn die »Wermutbrüder« fühlten sich hier wohl, abseits der Parks, wo Junkies und Dealer das Sagen hatten und man in der Nacht allzu leicht in ein Verbrechen verwickelt werden konnte.

In dieser Nacht war hier jemand unterwegs. Der Mann lenkte seine Schritte zielsicher und ohne zu zögern zur Seine. Er war schon öfter hier gewesen, denn er wusste, wie leicht es war, für seine Zwecke etwas Passendes zu finden. Sein scharf geschnittenes Gesicht lag im Schatten der Hutkrempe. Er trug einen Maßanzug, darüber einen dunklen Mantel aus edlem Tuch. Seine Schuhe waren handgenäht, echte Budapester, die er von einem Schumacher aus London bezog, der sein Handwerk noch verstand. Auf den unvoreingenommenen Betrachter machte der Mann einen seriösen Eindruck. Er mochte ein gut betuchter Geschäftsmann sein, ein reisender Diplomat, vielleicht auch ein Privatier, dem ein reiches Erbe das Leben versüßte. Niemand konnte ahnen, was sich wirklich hinter dieser seriösen Maske verbarg. Und die wenigen, die es wussten, konnten darüber keine Auskunft mehr geben.

Der Mann hatte sein Ziel erreicht und blieb in einigem Abstand zu dem Brückenpfeiler stehen. Dort brannte ein Feuer, dessen Funken in den schwarzen Nachthimmel stoben. Es wärmte die wenigen, traurigen Gestalten, die hier lagerten. Vom Wasser her wehte ein leichter Wind. Er brachte einen brackigen Geruch mit sich, gemischt in Schmutz, Rost und Alkoholdunst.

Eine leere Flasche flog ins Feuer, wo das Glas mit einem Knall zerbarst. Ein raues Lachen, dann senkte sich wieder Stille über die düstere Szenerie.

Es dauerte nicht lange, bis der Besucher entdeckt wurde. Er hörte leises Gemurmel, dann kam ein junger Bursche auf ihn zu. Er war hoch aufgeschossen und dürr. Sein blondes Haar stand widerspenstig vom Kopf, seine Kleidung war abgewaschen. In seinem Gesicht lag ein noch fast kindlicher Zug, doch in seinen Augen spiegelte sich die Abgeklärtheit eines Greises. Obwohl der Junge erst sechzehn war, hatte er doch schon alles gesehen. Alkohol und Drogen hatten ihn abstürzen lassen. Nun verbrachte er seine Tage mit Betteln und Stehlen in den großen Einkaufsstraßen der Stadt. Am Abend kehrte er meist hierher zurück, denn die Kameradschaft unter den Männern, die hier hausten, gab ihm ein wenig Sicherheit. Er blieb nahe vor dem Mann stehen und schaute ihn fragend an.

»Suchen Sie Gesellschaft, Monsieur?«, fragte er freundlich.

»Das nicht, aber ich brauche jemanden, der für mich etwas erledigt. Es muss schnell und diskret sein. Traust du dir das zu, mein Junge? Die Bezahlung ist gut.«

»Ich bin kein Einbrecher. Ich kann aber Schmiere stehen.«

»Es geht um einen Gegenstand, der mir gestohlen wurde. Er befindet sich nun bei einem Bekannten von mir. Ich weiß, wo er ihn versteckt. Aber ich bin nicht in der Lage, unentdeckt in sein Haus zu gelangen. Dafür brauche ich deine Hilfe.«

Der Junge hob die Schultern. »Wie kommt man hinein? Ich habe kein Werkzeug.«

»Nun, das kann ich dir geben. Ich habe alles besorgt, was man so braucht. Leider bin ich etwas zu unge­schickt, um damit umzugehen.«

»Zeigen Sie her.« Der Junge man die kleine Tasche, in der sich Dietriche, Zangen und Schraubenzieher, sowie einiges mehr befand. Es war tatsächlich die richtige Ausrüstung für einen Einbruch. »Und was zahlen Sie?«

»Wenn ich das Bild in Händen halte und niemand etwas gemerkt hat, gebe ich dir tausend Euro«, bot der Mann an.

Damit war der Junge sofort einverstanden. »Kann ich meinen Kameraden davon erzählen? Vielleicht will einer mitmachen.«

»Nein, ich brauche nur dich. Also, sind wir uns einig?«

»Für tausend Euro würde ich noch ganz andere Dinge tun.«

»Gut, dann komm. Wir wollen es gleich hinter uns bringen.«

Der Junge nickte und folgte dem Mann arglos. Er malte sich bereits aus, was er mit dem Geld alles anfangen konnte. Vielleicht sogar mal eine Nacht in einem Hotelbett schlafen. Vor allem aber genügend Schnaps, um die Welt ringsum für eine ganze Weile zu vergessen. Er war so mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, dass ihm das kalte, zufriedene Grinsen seines Begleiters völlig entging. Sie verließen das Seineufer und tauchten in das Labyrinth der Pariser Straßen ein. Der Junge kannte sich hier überall aus. Es gab kaum einen Ort, den er noch nicht durchstreift hatte. Als der Mann vor einem gediegenen Bürgerhaus stehen blieb und auf einen Kellerabgang deutete, machte der Junge sich sogleich ans Werk.

Die Tür hatte er rasch geöffnet. Der Mann folgte ihm mit einer Taschenlampe. Sie nahmen einen schmalen Kellergang, der vor einer Stahltür endete. Der Junge griff nach dem Dietrich, um das Schloss zu knacken, als ihn von hinten ein brachialer Schlag traf und ihn sofort ins Reich der Träume schickte.

Der Mann ließ den Todschläger wieder in seine Manteltasche gleiten, denn schloss er die Tür auf, packte den Bewusstlosen unter den Achseln und schleifte ihn durch die Tür, die gleich darauf mit einem dumpfen Geräusch ins Schloss fiel.

*

Als der Junge wieder zu sich kam, drehte sich alles vor seinen Augen. In seinem Kopf hämmerte ein dumpfer Schmerz, und es dauerte eine Weile, bis ihm bewusst wurde, was geschehen war. Der Kerl hatte ihn hereingelegt. Er hatte ihn beschwindelt. Doch warum? Aus welchem Grund hatte er ihn niedergeschlagen?

Der Junge versuchte, sich zu bewegen, die absolute Finsternis, die ihn umgab, mit Blicken zu durchdringen. Beides wollte ihm nicht gelingen. Er spürte etwas an Hand- und Fußgelenken. Zuerst dachte er, es seien Stricke, aber dann begriff er, dass es eiserne Fesseln waren. Ketten rasselten, wenn er seine Arme hob. Sie hatten ein enormes Gewicht. Was hatte das zu bedeuten? Kurz schlich sich Panik in sein Denken und griff mit bleichen Fingern nach seinem Herzen, um es gleichsam mit Kälte zu umfangen.

War der Mann ein Irrer, ein Psychopath? Wollte er ihn vielleicht sogar … umbringen? Ein Gefühl, das dem Jungen lange fremd geworden war, drängte in ihm nach oben. Es brachte Tränen mit sich, Verzweiflung und den reuigen Wunsch, das kleine Dorf, in dem er geboren und aufgewachsen war, niemals verlassen zu haben. Er war geflohen vor der öden Spießigkeit eines Durchschnittslebens. Er wollte nicht zur Bahn, wie sein Vater und sein Großvater. Er wollte feiern, Party machen, sich mit Mädchen amüsieren und sein Leben in vollen Zügen genießen.

Wohin hatte ihn dieser dumme Egoismus nun gebracht? Einen Moment lang sehnte er sich sogar nach dem Lager am Fluss zurück. Seine Kameraden hatten immer zu ihm gehalten. Dort war man ehrlich, man teilte, was man hatte. Und wenn es nichts zu teilen gab, teilte man eben die Einsamkeit.

Ein Geräusch unterbrach den Fluss seiner Gedanken. Es waren Schritte, die sich näherten. Sein Herz begann zu rasen, Panik erfasste ihn. Er riss mit aller Kraft an seinen Fesseln, erreichte aber nichts. Und gleich darauf hörte er ein leises Lachen. Es trieb ihm das Blut ins Gesicht, denn es war kalt und ohne jedes Gefühl. Was immer der Mann vorhatte, er würde es tun. Und sein Opfer hatte keine Gnade zu erwarten.

Im nächsten Moment flammte Helligkeit auf und blendete den Jungen. Er kniff die Augen zu, nur um sie gleich wieder weit aufzureißen, denn Todesangst hatte ihn erfasst und schüttelte ihn. »Was wollen Sie von mir?«, fragte er tonlos. »Lassen Sie mich gehen, ich …«

»Wie ist dein Name, mein Junge?«, fragte der Mann ihn. Er hatte sich umgezogen, trug nun einen langen, schwarzen Umhang, auf den allerlei seltsame Symbole gestickt waren. Der Junge schöpfte ein wenig Hoffnung. War das vielleicht nur ein abseitiges Spiel? Hatte er gar nichts Schlimmeres zu befürchten als alles, was er bereits kannte? Er beschloss, mitzuspielen. Möglicherweise kam er dann nicht nur mit heiler Haut davon, sondern kassierte auch noch das versprochene Geld …

»Jules, Jules Despain«, antwortete er freimütig.

»Schön, Jules. Ich sehe, du fühlst dich hier nicht ganz wohl, aber das wird sich bald ändern. Du sollst heute Nacht die Bekanntschaft eines guten Freundes von mir machen. Er wird dein Leben für immer verändern.«

»Eine Party?« Jules gab sich locker. »Ich bin dabei.«

Der Mann lächelte dünn, dann wandte er sich ab und ging zu dem dunklen Opferstein, der inmitten eines Drudenfußes im hinteren Teil des Raums zu finden war. Jules bemerkte Kerzen, Räucherwerk, das nun entzündet wurde und einen schweren Duft entfaltete, und weitere seltsame Zeichen an den Wänden des Raums. Er konnte mit all dem nichts anfangen. Doch seine Hoffnung, diesen Ausflug unbeschadet zu überstehen, schwand, als der Mann anfing, Beschwörungsformeln in einer Sprache zu murmeln, die fremd und archaisch klang. Jules wollte etwas sagen, bekam aber keinen Ton heraus. So sehr er sich auch bemühte, er schien plötzlich verstummt zu sein, während sein Entführer mit jenem unheimlichen Singsang fortfuhr, der auf ihn eine beängstigende Wirkung hatte.

Kälte kroch in seinen Körper, schien jede einzelne Pore zu durchdringen und schob sich bis zum Herz. Sein Herzschlag wurde langsamer. Seine Glieder wurden steif und schwer. Er war bald nicht einmal mehr in der Lage, den kleinen Finger zu bewegen. Zugleich sah er grausame Bilder vor seinem geistigen Auge. Blut, Tod, Verstümmelung. Es schien ein Panoptikum der Hölle zu sein, das ihn gequält aufstöhnen ließ. Kein Laut drang dabei über seine Lippen. Jules hatte das Empfinden, sich immer weiter und tiefer in seinen eigenen Körper zurückzuziehen, sich gleichsam darin zu verstecken. Denn das Äußere war wie eine Klammer, wie eine Fessel des Bösen, die sich langsam und erbarmungslos immer fester zusammenzog.

Plötzlich brach der Singsang ab. Jules hoffte, dass es ihm nun besser gehen würde, doch das war nicht der Fall. Er verharrte in jenem unnatürlichen Zustand der wortlosen Lähmung, in den sein Peiniger ihn versetzt hatte. Der Mann erhob sich nun und kam wieder auf sein Opfer zu. Jules riss die Augen weit auf. Er wollte schreien, sich endlich wehren. Doch er war paralysiert.