Cover

Table of Contents

Titel

Impressum

WIDMUNG

1 Motive zum Religionswechsel

2 Buddhismus – Religion ohne Gott

3 Buddhismus – eine Religion?

4 Mythos, Bild und Wirklichkeit

5 Deutungsmodelle der Religionen

6 Zen-Buddhismus – Weg-Religion

7 Form ist Leere - Leere ist Form

8 „Das ist mein Leib“

9 Unterscheidung der Geister?

10 Selbsterlösung oder Fremderlösung?

11 Das Kreuz mit dem Kreuz

12 Sühneopfer?

13 Zeugnis und Hingabe

14 Die Vier Edlen Wahrheiten des Buddha in der Bibel?

15 Ethik und Spiritualität

16 Was heißt Geist?

17 Statisches und dynamisches Denken

18 Verschiedene Arten der Meditation

19 Praxis des Zazen

20 Persönliche Anmerkung

21 Theozentrische und christozentrische Sicht

22 Auferstehung und Wiederkunft

23 Jüdisch-christliches

24 Die „Achsenzeit“ um 500 vor Christus

25 Resümee

26 Differenzierte Sicht des Zen

27 Eschatologie und Präsenz

Anmerkungen/Quellennachweis

Zur Person Peter Shinkyo Vormschlag

Anhang

 

 

 

 

Peter Shinkyo Vormschlag

 

 

 

 

Blick auf das Christentum

aus der Sicht des gelebten

Zen-Buddhismus

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

DeBehr

weiss.jpg

 

 


Zen-Institut Essen c/o Vormschlag

Hülsebergstraße 52

45279 Essen

Tel.: 0201 534426

E-Mail: info@zen-izid-essen.de

www. zen-izid-essen.de

Das Zen-Institut Essen ist die regionale Zen-Gemeinschaft

des Internationalen Zen-Institut Deutschland e. V.

Copyright by Peter Shinkyo Vormschlag, 2014

Herausgeber: Verlag DeBehr, Radeberg

ISBN: 9783957536075

Erstauflage 2018

 

 

 

 

 

 

 

WIDMUNG

 

Meinem Zen-Lehrer Tetsuo Kiichi Nagaya Roshi

Meiner Zen-Lehrerin Gesshin Myoko Prabhasa Dharma Zenji

 

14 Öffnung

 

1 Motive zum Religionswechsel

 

Vorauszuschicken dieser Schrift ist, dass ich selbst nach reiflichem Bedenken und längerer Zen-Praxis die Religion gewechselt habe, und zwar vom katholischen Christentum zum Zen-Buddhismus. Insofern sind die folgenden Ausführungen einerseits eine Rückbesinnung und andererseits eine eventuelle Orientierungshilfe für diejenigen, die aus dem christlichen Kulturkreis kommen und sich mit Zen befassen, wobei sich für sie die Frage nach Christentum und Buddhismus stellt.

Die folgenden Ausführungen sind keine so genannte objektive oder wissenschaftliche und erst recht keine vollständige Darstellung beider Religionen. Diese findet sich in der einschlägigen Literatur zur Genüge. Selbstverständlich liegt mir an einem sachlichen Bericht. Es geht mir aber in erster Linie um die Wiedergabe einer Erfahrung, die sich aus der lebendigen Begegnung mit beiden Religionen erschließt.

Andere mögen andere Erfahrungen vorweisen können. Das wäre auch kein echter Widerspruch zu dem hier Ausgeführten. Denn Religionen sind lebendige Erscheinungsformen, die sich in einem stetigen Wandel befinden, sie können nicht in Begriffe und Dogmen gepresst werden.

Man erlebt sie durch Identifikation und nicht durch eine objektive Distanz. Folgerichtig sind die vorliegenden Ausführungen induktiv und nicht deduktiv-systematisch angelegt.

Die eigene Religion zu verlassen und eine andere als neue religiöse Heimat zu erklären kann von unterschiedlichen Motiven bestimmt sein, zum Beispiel aus gesellschaftlichen Gründen wie Heirat oder andere Konventionen in einem neuen Lebensumfeld, aus Aggression wegen erlebter Enttäuschungen im bisherigen religiösen Umfeld oder auch

aus dem Bedürfnis nach religiöser Erkenntnis, die man in der eigenen Religion nicht zu finden glaubt.

Problematisch ist ein Religionswechsel aus aggressiven Motiven. Die Aggression verschwindet nicht durch solch einen Wechsel, der sich ja nur äußerlich vollzieht. Durch aggressive Gefühle bleibt man weiterhin mit der Ursprungsreligion innerlich verhaftet, während man sich eventuell äußerlich in der neuen Religion als Hardliner und Fundamentalist gebärdet.

Sollte sich das Motiv der Aggression mit der Suche nach religiöser Erkenntnis koppeln, ist Konvertiten auch diese kaum möglich. Aggressives Verhalten ist mit eines der größten Hindernisse für eine echte religiöse Erfahrung. Gewinnbringend für die persönliche Entwicklung und die Gestaltung des eigenen Lebens ist in einem solchen Fall das Bemühen um inneren Frieden mit der Herkunftsreligion.

 

Es brauchte für mich eine gewisse Zeit, mir über meinen Wechsel zum Buddhismus Klarheit zu verschaffen. Geholfen hat hierbei eine Bemerkung von Prabhasa Dharma Roshi auf dem Europäischen Buddhistischen Kongress in Berlin in den 90ger Jahren. Sie verkündete in ihrer Rede freiweg, erst nach 25 Jahren Praxis im Zen-Buddhismus habe sie das Christentum verstanden. Dies löste bei den circa 1000 anwesenden Buddhisten unterschiedliche Reaktionen aus, von hellem Entsetzen bis zu verständnisvollem Kopfnicken.

Für mich waren Prabhasa Dharma Roshis Worte eine persönliche Hilfe, meinen Weg zum Zen-Buddhismus als eine Wende ohne Abbruch und ohne radikalen Neuanfang zu verstehen. Versöhnung mit der ersteren Religion erschien mir als die Bedingung der Möglichkeit eines Eintritts in eine andere Religionsgemeinschaft, wobei Positives in der alten Religion nicht verleugnet wird.

Trotz eventueller schlechter Erfahrungen kann man der vorhergehenden Religion gegenüber dankbar sein, da man durch sie überhaupt erst religiös sozialisiert wurde. Dies gelingt aber nur, wenn die eventuellen Negativ-Erfahrungen nicht allzu groß sind beziehungsweise wenn der Betreffende einen hohen Reifungsgrad erreicht hat.

Nur fragt sich angesichts des zunächst offensichtlichen Unterschiedes von Christentum und Buddhismus, was Prabhasa Dharma Roshi denn nach 25 Jahren Zen-Praxis am Christentum gesehen haben mag. Dies gilt es für mich zu untersuchen und im Folgenden aus meiner Sicht darzustellen.

Hierbei wird es nicht zu billiger Gleichmacherei kommen.

 

2 Buddhismus – Religion ohne Gott    

 

„Im Buddhismus gibt es keinen Gott“, hörte ich 1979 Hirata Roshi in einem Einführungsvortrag zum Zen-Buddhismus sagen. Späterhin betonte er auf Nachfrage, das Absolute gebe es aber schon.

Im selben Jahr während eines sehr strengen Sesshin in Berlin begegnete ich der gleichen Aussage, von einem jungen Zen-Lehrer mit starken Worten vorgetragen. Nach seinem Vortrag fragte er ziemlich provozierend, was sich denn durch seine Worte geändert hätte, alle Wände ständen noch still. Tatsächlich blieben die Wände stehen, nur die Knochen mancher anwesender Katholiken begannen während der Meditation innerlich oder äußerlich zu zittern, zumal in den folgenden Tagen die - für viele anstößige - Aussage mehrmals wiederholt wurde. Eine echte Herausforderung, für manche eine Qual. Erst am letzten Tag des Sesshin war im Teisho zu hören: „Wo kein Gott mehr ist, da ist nur Gott.“ Warmer Regen nach einem heftigen Gewitter!

Ich erinnerte mich an meinen ersten Spanienbesuch vor Jahrzehnten ohne spanische Sprachkenntnisse. Verwundert stellte ich damals fest, dass in Spanien die Bäume nicht „Bäume“ heißen. Bislang hatte ich Dinge und ihre deutschen Namen in meiner Fantasie so sehr miteinander gekoppelt, dass ich mir einen Gegenstand nicht ohne seinen Namen als existent vorstellen konnte. Dabei hatte ich einen Baum noch gar nicht richtig erlebt, sondern ihm nur eine sprachliche Bezeichnung gegeben, sobald ich ihn oberflächlich ansah.

Ähnlich ergeht es uns bei religiösen Worten. Wir sprechen über etwas, was eventuell andere erlebt haben könnten, geben diesem einen Namen und glauben, das zu kennen, was wir benennen, nur weil wir es nennen.

Es kommt noch schlimmer: Wir produzieren in unserer Fantasie eifrig weitere Vorstellungen und Bilder der Seele vom Göttlichen und nennen diese Produktion dann gerne eine theologische Erkenntnis. Schon die Kinder werden im Religionsunterricht dazu angeregt, übernatürliche Bilder von dem zu erfinden, was sie nicht erleben.

Zugegeben, freundlicherweise suchen manche Mystiker nach Worten, die symbolisch, also im übertragenen Sinne, das anzudeuten versuchen, was ihre Zuhörer nicht kennen, um ihnen einen Köder vor die Füße zu werfen, damit auch sie den religiösen Weg zu gehen bereit sind.

Nur leider nehmen viele die symbolischen Vergleiche für bare Münze, verlieben sich in sie und dogmatisieren sie als eine ewige Wahrheit.

Sie glauben zu wissen, was sie von anderen gehört oder gelesen haben.  

Auf diese Weise wird man zu einem Buch-Mystiker und/oder zu einem knallharten Dogmatiker, der vor anderen fanatisch etwas behaupten muss, was er selbst nicht erlebt hat, nur um das eigene instabile Selbstbewusstsein zu retten. Carl Gustav Jung stellte fest: „Fanatismus findet man nur bei Menschen, die einen inneren Zweifel zu übertönen versuchen.“ (*1)

Auf solche Wort-Köder verzichtet der Zen-Buddhismus (*2). Zeitweilig mögen Bilder oder Vergleiche benutzt werden, um jemandem damit in dem jeweiligen Augenblick zu helfen. Danach werden sie aber sofort wieder verworfen. „Töte den Buddha“, eine beliebte Aussage im Zen, meint: „Vergesst das Wort und die Vorstellung von Buddha.“ Auch auftretende archetypische Bilder werden als Makyo, so genannte „Teufelsbilder“, interpretiert und verworfen, um eine tiefere Einsicht zu ermöglichen.

Demgegenüber erkennt das Christentum Visionen und Auditionen schon als eine aus dem „Jenseits“ kommende Erfahrung des Göttlichen an, so zum Beispiel bei den Propheten in der Hebräischen Bibel. Hildegard von Bingen sprach bei religiösen Bildern, die aus der Tiefe der eigenen Psyche aufsteigen, hingegen nur von Schatten des göttlichen Lichtes, nicht vom göttlichen Licht selbst, obwohl sie selbst mit vielen Visionen lebte.

Manchen Nichtbuddhisten erscheint ein Verzicht auf sprachliche Fixierung des Absoluten als eine Leere im negativen Sinn des Wortes, die als gefühlskalt ohne einen liebenden Gott interpretiert wird.

Demgegenüber wird im Buddhismus von der großen Leere als der Fülle aller Möglichkeiten gesprochen – für jemanden, der nicht aus der buddhistischen Tradition kommt, erst glaubwürdig, wenn er einen Buddhisten erlebt, der Frieden und Mitgefühl durch seine persönliche Verhaltensweise ausstrahlt.

 

3 Buddhismus – eine Religion?

 

Angesichts der im Buddhismus fehlenden Worte über eine so genannte jenseitige Welt ist die Frage, ob Buddhismus überhaupt eine Religion sei, nicht von der Hand zu weisen. Sie wird auch in buddhistischen Kreisen unterschiedlich beantwortet. Es kommt darauf an, was man unter dem Terminus Religion versteht. Gemeinhin wird das Wort Religion vom lateinischen religare abgeleitet, was so viel heißt wie zurückbinden.

Bei der begrifflichen Bestimmung von Religion stellt sich die Frage: Was ist das, woran sich der religiöse Mensch zu seinem eigenen und zu anderer Menschen Heil bindet? Und: Wie bindet er sich an das, was er als heilbringend ansieht? Mit anderen Worten geht es um die Frage, was Gott oder ähnlich Genanntes sei und darum, welches der Weg ist, um zu diesem Unbeschreiblichen zu kommen.

Die erste Frage wird im Buddhismus nicht durch Definition oder Bildbeschreibung eines persönlichen Gottes beantwortet. Auch Worte wie Leere oder das Nichts geben für Außenstehende nichts her. „Wer weiß, redet nicht, wer redet, weiß nicht“ ist im Zen ein geflügeltes Wort (*3). Insofern kann man sagen, Buddhismus sei keine Religion.

Versteht man Religion als Frage nach den Wegen zum Absoluten, dann ist Buddhismus auf jeden Fall eine Religion. Gerade die Kenntnis, wie man zum Erwachen, auch Erleuchtung genannt, kommt, sowie das Befolgen der im Buddhismus angesagten Wege zu diesem Ziel machen den Kern der buddhistischen Weisheit aus. Buddhas Sutren (*4) werden als Wegweiser und „Leitfäden“ erlebt und nicht als zu glaubende Lehrsätze über transzendente Wahrheiten.

10 Endless-giving-Grafik

4 Mythos, Bild und Wirklichkeit


Nicht zu übersehen ist allerdings, dass auch in manchen Schulen des Buddhismus von transzendenten Gestalten gesprochen und damit Buddhismus manches Mal doch als Religion im oben genannten ersteren Sinne verstanden wird. Es handelt sich hier um mythische Gestalten, die nicht dogmatisiert werden, sondern lediglich als Symbole für Verhaltensweisen wie Weisheit oder Barmherzigkeit und anderes angesehen werden.

Ähnliche Phänomene gibt es im Christentum, nur mit dem Unterschied, dass hier, speziell in der katholischen Kirche, Mythen weitgehend als objektive religiöse Wahrheit betrachtet und als dogmatische Lehre zu glauben vorgeschrieben werden. Mythen sind aber lediglich Erzählungen, die symbolische Aussagen über den Sinn von Leben und Kosmos in Bildern der jeweiligen Zeit und Kultur machen. In ihnen wird archetypisches Material der menschlichen Psyche verarbeitet. Sie weisen auf eine Wirklichkeit hin, die letztlich nicht in einer rationalen Sprache erfasst beziehungsweise nicht in ihr lebendig genug mit existentieller Betroffenheit weitergegeben werden kann.