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Die Herausgeber

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Prof. Dr. Britta Gebhard ist Diplom-Pädagogin mit dem Schwerpunkt Rehabilitation. Seit 2015 ist sie Professorin für Frühförderung an der Hochschule Nordhausen. Vorher war sie als Juniorprofessorin für chronische und progrediente Erkrankungen sowie körperliche und motorische Beeinträchtigungen an der Universität Oldenburg tätig.

Schwerpunkte in Forschung und Lehre sind Frühförderung, Psychomotorik und Partizipation mit Fokus auf rehabilitative Prozesse.

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Prof. Dr. Sebastian Möller-Dreischer arbeitete zunächst als Sonderpädagoge im Gemeinsamen Unterricht in der Primarstufe sowie in der Sekundarstufe I. Seit 2014 ist er Professor für Inklusive Pädagogik an der Hochschule Nordhausen.

Schwerpunkte in Forschung und Lehre sind Theorien und Ansätze, die sich im vorschulischen und schulischen Bereich mit einem Umgang mit Vielfalt mit dem besonderen Fokus auf der Umsetzung von Inklusion beschäftigen.

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Prof. Dr. Andreas Seidel ist Kinder- und Jugendarzt mit dem Schwerpunkt Neuropädiatrie. Seit 2014 arbeitet er als Professor für Sozialpädiatrie an der Hochschule Nordhausen.

Schwerpunkte in Forschung und Lehre sind sozialpädiatrische und (altersübergreifend) sozialmedizinische Themen, insbesondere die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) der WHO.

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Prof. Dr. Armin Sohns ist Diplom-Pädagoge und Diplom-Politologe. Seit 1998 lehrt er als Professor für Sozialpädagogik bzw. Heilpädagogik an den Hochschulen Neubrandenburg und Nordhausen sowie als Gastprofessor an der Medical School in Berlin und Hamburg. Er ist Vorsitzender der »Vereinigung für Interdisziplinäre Frühförderung« in Hessen und Mitglied in zahlreichen Wissenschaftlichen Beiräten zur Frühförderung und Frühen Hilfen.

Britta Gebhard, Sebastian Möller-Dreischer, Andreas Seidel, Armin Sohns (Hrsg.)

Frühförderung wirkt – von Anfang an

Verlag W. Kohlhammer

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1. Auflage 2019

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-033872-2

E-Book-Formate:

pdf:       ISBN 978-3-17-033873-9

epub:    ISBN 978-3-17-033874-6

mobi:    ISBN 978-3-17-033875-3

Geleitwort und thematische Einführung

Andrea Caby

 

In Deutschland erhalten ca. 120.000 Kinder pro Jahr Leistungen der Frühförderung; der Bedarf an pädagogischen und therapeutischen Hilfen für Kinder wird allerdings wesentlich höher eingeschätzt. In über 1.100 interdisziplinären Frühförderstellen und zirka 150 Sozialpädiatrischen Zentren werden Kinder mit besonderen Entwicklungsverläufen und/oder Verhaltensproblemen gemeinsam versorgt. Diese Zahlen spiegeln die große Bedeutung interdisziplinärer früher Förderung, Begleitung und Behandlung in Deutschland wider; und sie belegen auch die dringende Notwendigkeit des weiteren Ausbaus von Angeboten für entwicklungsbeeinträchtigte Jungen und Mädchen und ihre Familien. Um diese Kinder bestmöglich und so früh wie möglich unterstützen zu können, sind ein regelmäßiger, intensiver fachlicher Austausch sowie eine aktive Vernetzung gefordert. Das bundesweite Symposion zur interdisziplinären Frühförderung möchte dazu beitragen diese Anliegen weiter voran zu bringen und Ideen, Erfahrungen sowie zukünftige Ansätze auszutauschen.

Die zweijährlich stattfindenden Bundessymposien der Frühförderung sind somit ein wichtiges Forum, auf dem interdisziplinär tätige Fachkräfte, wie Pädagogen und Pädagoginnen, Ärzte und Ärztinnen und Therapeuten und Therapeutinnen die Möglichkeit erhalten, verschiedenste Themen der Frühförderung zu diskutieren.

Als Thema des Frankfurter Symposions wurde der Titel »Frühförderung von Anfang an – wirkt …« gewählt. Unter dem Motto »Bewährtes erhalten – Neues integrieren« sollte das Symposion Raum für die Auseinandersetzung mit den aktuellen Herausforderungen und die Reflexion von Chancen und Erkenntnissen bieten. In den vielen, langjährig aktiven Frühförderstellen haben die dort tätigen Fachkräfte mit großem Engagement einen Schatz an Erfahrungen gesammelt und zu schlüssigen Arbeitsmodellen weiterentwickelt.

Diese bewährten Konzepte sollten als »Best Practice-Beispiele« stärker kommuniziert und reflektiert werden. Gleichzeitig gilt es neue wissenschaftliche Erkenntnisse und Fragestellungen in diesen Prozess aufzunehmen.

Mit dem Titel »Frühförderung von Anfang an – wirkt …« sollen außerdem nicht nur die große Bedeutung der frühen Lebensphase für die kindliche Entwicklung, sondern auch die einzelnen Wirkfaktoren und Notwendigkeiten fokussiert werden, um die Ansprüche der interdisziplinären Frühförderung und ihrer speziellen Aufgaben dauerhaft verankern zu können.

Wichtige Aspekte sind dabei neben allgemeinen frühen Wirkfaktoren auch Wirkfaktoren im Kontext von Migration, Kultur, Sprache oder im Sozialraum. Beim Blick auf das Wirken der Frühförderung in und mit Familie bleibt die Frage aktuell, wie sich ein direktes Einbeziehen der Bezugspersonen in den Förderprozess im familiären Umfeld von Elternarbeit im Förderort Kita unterscheidet.

Aktuelle politische Herausforderungen sowie gesellschaftliche Entwicklungen erfordern ein abgestimmtes Vorgehen aller beteiligten Professionen im interdisziplinären Arbeitsfeld. Die VIFF-Symposien konnten sich in diesem Zusammenhang als zukunftsweisende Tagungen etablieren, die nicht nur bundesweite, sondern auch europäische Zeichen setzen.

Nachdem vor zwei Jahren erstmalig in enger Kooperation mit Vertretern und Vertreterinnen der Europäischen Vereinigung für Frühförderung – Eurlyaid auch international besetzte Vorträge und Workshops angeboten werden konnten, setzten wir diesen wichtigen Diskurs fort und konnten dazu spannende Vorträge aus den europäischen Nachbarländern hören.

Genauso erfreut hat uns als Veranstalter die erstmalige Gelegenheit auf der Tagung in Frankfurt mit SPZ-Vertretern und -Vertreterinnen einen gemeinsamen Workshop zum Thema ICF durchführen zu können. Hier gab es eine große Nachfrage für dieses interdisziplinäre Angebot, das in angenehmer Atmosphäre eine gute Basis für ein zukünftiges Miteinander schaffen konnte.

Die Themen ICF, Partizipation/Teilhabe und Bundesteilhabegesetz waren insgesamt gut vertreten, führten überall zu lebhaften Diskussionen und werden uns in den nächsten Jahren in deren Implementierung intensiv begleiten. Ein regelmäßiger Austausch unter Vertreterinnen und Vertretern der verschiedenen Berufsgruppen und Institutionen wird auch hierbei unabdingbar sein.

Daher freuen wir uns, dass abschließend wieder viele der vorgetragenen Inhalte in einem gemeinsamen Herausgeberband zur Verfügung stehen.

Hier gilt unser Dank neben den Referentinnen und Referenten natürlich auch dem Herausgeberteam, das in bewährter Weise ein thematisch breit aufgestelltes Werk erstellt hat, indem sowohl aktuelle wissenschaftliche als auch praxiserprobte Erkenntnisse präsentiert werden.

Im Namen des Bundesvorstandes

Prof. Dr. Andrea Caby

Vorsitzende der Bundesvereinigung für Interdisziplinäre Frühförderung

(VIFF) e.V.

Vorwort der Herausgeberin und der Herausgeber

 

 

Frühförderung wirksam gestalten, dies ist die zentrale Aufgabe vor dem Hintergrund der individuellen Bedarfe der Familien, der interdisziplinären Zusammenarbeit mit verschiedenen Fachkräften und Institutionen sowie der Finanzierung durch unterschiedliche Rehabilitationsträger. Aktuell fordern politische Veränderungen (u. a. das Bundesteilhabegesetz) sowie gesellschaftliche Entwicklungen (Inklusion und Partizipation im Fokus) ein abgestimmtes Vorgehen aller beteiligten Fachkräfte im Prozess der Frühförderung.

Unter dem Motto »Bewährtes erhalten – Neues integrieren« wird in diesem Band die Auseinandersetzung der Frühförderung mit aktuellen Herausforderungen in den Blick genommen. Dabei liegt der Fokus auf Fragen zur Wirksamkeit der Frühförderung, die gleichermaßen für Wissenschaft und Praxis von hoher Bedeutung sind:

Die Beiträge sind diesem Motto folgend gebündelt im Hinblick auf verschiedene Prinzipien der Frühförderung:

•  Familienorientierung: Was wirkt im Hinblick auf den Einbezug der Bedarfe von Familien?

•  Sozialraumorientierung: Wie können diese Bedarfe mit Blick auf die Rolle der Frühen Hilfen in den Regionen aufgegriffen werden?

•  Effektivität und Wissenschaft: Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse liegen hinsichtlich ihrer Wirksamkeit vor?

•  Diversitätsorientierung: Wie kann Frühförderung den unterschiedlichen Ausgangslagen und Fragestellungen der Familien gerecht werden?

•  Interdisziplinarität und Internationalität: Wie lässt sich die Zusammenarbeit unterschiedlicher Fachkräfte in ein gemeinsames Dokumentationssystem überführen und welche internationalen Erfahrungen können die Frühförderung bereichern?

•  Notwendige Rahmenbedingungen: Welche strukturellen, rechtlichen und konzeptionellen Faktoren beeinflussen die künftige Frühförderung?

Vor diesem Hintergrund geben die Beiträge Anstöße zu notwendigen politischen und gesetzlichen Entwicklungen, exemplarisch seien eine Vielzahl von Beiträgen zur Implementierung der ICF-CY in die Frühförderung sowie von Beiträgen, die sich mit dem Verhältnis von Frühförderung und Frühen Hilfen auseinandersetzen, genannt. Darüber hinaus werden verschiedene Facetten der Arbeit in der Frühförderung beleuchtet, die die Notwendigkeit einer Diversitätssensibilität, (forschungs-)methodischer Wirksamkeitsnachweise sowie konzeptioneller Entwicklungen der Familien- und Sozialraumorientierung belegen. Abgerundet werden die Beiträge, die sich vorwiegend an nationalen Herausforderungen und Entwicklungen orientieren, durch exemplarische internationale Perspektiven.

Neben der wissenschaftlichen Absicherung des Handelns in der Frühförderung werden so eine Vielzahl von Argumenten für sich abzeichnende und notwendige Entwicklungen im Kontext des BTHG/SGB IX und deren Finanzierung erbracht sowie konkrete Anstöße zu Weiterentwicklungen aber auch zu Entwicklungsnotwendigkeiten gegeben.

In bewährter Tradition baut dieser Herausgeberband auf Beiträgen des bundesweit ausgerichteten 19. Symposions Frühförderung, welches vom 9. bis 11. März 2017 an der Goethe-Universität Frankfurt am Main stattfand, auf. Eine hohe Aktualität der Fachbeiträge, gestaltet durch fachlich interdisziplinäre und internationale Autorinnen und Autoren, trägt zur Erweiterung des ›state of the art‹ in der Frühförderung bei.

Genau diesen Autorinnen und Autoren gilt unser Dank in Bezug auf die eingereichten Manuskripte und ihre Bereitschaft, in einen aktiven Diskurs über ihre jeweiligen Themen zu gehen. Nicht zuletzt sei an dieser Stelle Philipp Hendricks für seine Mitarbeit im Prozess des Redigierens herzlich gedankt.

Nordhausen, im Winter 2017/2018

Britta Gebhard, Sebastian Möller-Dreischer, Andreas Seidel, Armin Sohns

Inhaltsverzeichnis

  1. Geleitwort und thematische Einführung
  2. Andrea Caby
  3. Vorwort der Herausgeberin und der Herausgeber
  4. Teil I: Frühförderung wirkt in und mit Familien – Familienorientierung
  5. Kindliche Entwicklungsrisiken – familiäre Erschöpfungszustände: Was heißt das für die Interdisziplinäre Frühförderung von Anfang an?
  6. Hans Weiß
  7. Familienorientierung! Ein empirischer Blick auf die gelebte Praxis
  8. Matthias Lütolf, Christina Koch & Martin Venetz
  9. Familienorientierte Frühförderung in Alltagsroutinen
  10. Steffi Reinders-Schmidt
  11. »Was machen wir eigentlich gerade?« – Diagnose-Vermittlung und Elternarbeit
  12. Thomas Becher
  13. Verhaltensauffällige Kinder – verhaltensauffällige Eltern: zur Dekonstruktion von Verhaltensauffälligkeit
  14. Günther Emlein
  15. Väter im Fokus – auch in der Frühförderung?!
  16. Luise Behringer, Wolfgang Gmür, Gerhard Hackenschmied & Daniel Wilms
  17. Wege für Eltern, die einander nicht (mehr) über den Weg trauen – Frühförderung im Kreuzfeuer elterlicher Konflikte
  18. Gabriele Koch & Anne-Frieda Reinke
  19. Teil II: Frühförderung wirkt im Kontext – Sozialraumorientierung und Frühe Hilfen
  20. Interdisziplinäre Frühförderung und Frühe Hilfen
  21. Armin Sohns & Hans Weiß
  22. Frühförderung im Kontext der Frühen Hilfen – Herausforderungen und Gestaltungsmöglichkeiten von Kooperation und Netzwerkarbeit
  23. Eva Klein
  24. Freiwilliges Engagement in den Frühen Hilfen – auch ein Modell für die Frühförderung?
  25. Melanie Bagola, Luise Behringer & Veronika Beyermann
  26. Frühförderung im Netzwerk Früher Hilfen aus der Sicht eines sektorenübergreifenden Präventionsmodells
  27. Wilfried Kratzsch & Bärbel Dafeld
  28. Teil III: Frühförderung wirkt früh – Effektivität und Wissenschaft
  29. Wirksamkeit von Maßnahmen im Rahmen der Frühförderung evaluieren – Chancen und Herausforderungen kontrollierter Einzelfallstudien
  30. Anna-Maria Hintz, Britta Gebhard & Marianne Irmler
  31. Entwicklung sozial-adaptiver Kompetenzen – Ergebnisse der Heidelberger Down-Syndrom-Studie
  32. Klaus Sarimski
  33. Mentalisierungsbasierte Ansätze in der Frühförderung
  34. Svenja Taubner
  35. Erfahrungen in der Beurteilung sozial-emotionaler Kompetenzen von Kleinkindern mit einer Behinderung
  36. Manfred Hintermair, Klaus Sarimski & Markus Lang
  37. Teil IV: Frühförderung wirkt im Kontext von Vielfältigkeit – Diversitätsorientierung
  38. »Heidelberger Elterntraining zur Förderung von Mehrsprachigkeit«. Zusammenarbeit mit Familien aus dem Migrationskontext im Rahmen interaktiver Elternworkshops
  39. Anke Buschmann
  40. Inklusion gemeinsam weiterentwickeln – Kooperationsmöglichkeiten von Kinderbetreuungseinrichtungen und Frühförderstellen mit besonderem Fokus auf das Angebot der Heilpädagogischen Fachberatung
  41. Marian Kratz & Eva Klein
  42. Früh, früher, viel zu früh …? – Konfrontation von Kindern mit Sexualität
  43. Annette Hartung
  44. Frühe Förderung von Kindern mit Fluchterfahrung
  45. Myriam Kramer
  46. Teil V: Frühförderung wirkt interdisziplinär – internationale und disziplinübergreifende Perspektiven
  47. Einführung in das Arbeiten mit der ICF in Frühförderung und Sozialpädiatrie
  48. Liane Simon & Heike Philippi
  49. Überlegungen und Konzepte zur Implementierung der ICF-CY innerhalb der bayerischen Frühförderung
  50. Hanns-Günter Wolf
  51. ICF-CY basierter Elternfragebogen
  52. Nicole Baden
  53. Die ICF-CY gemeinsam mit Eltern verwenden
  54. Manfred Pretis & Janneke Brandt
  55. »ICF-Mapping« – eine Pilotstudie zur Umsetzung der ICF als gemeinsame »Sprache« in der Praxis der Frühförderung
  56. Liane Simon, Marianne Irmler & Angela Kindervater
  57. Der Wert beziehungsorientierter Pädagogik und »professioneller Liebe« für die Frühförderung und das Wohlbefinden von Kindern mit komplexen Beeinträchtigungen und ihren Familien
  58. Carolyn Blackburn, England (Übersetzung Jürgen Kühl)
  59. Umdenken in der Professionalisierung für eine transkulturelle und inklusive Frühförderung
  60. Ana Teresa Brito, Portugal (Übersetzung Jürgen Kühl)
  61. Familiäre Balance im Zusammenhang mit einer Behinderung: Ko-Konstruktion von Raum und Zeit positiver Lebensqualität (»Bientraitance«) sowohl für Eltern wie für Fachleute
  62. Jean Jacques Detraux, Belgien (Übersetzung Jürgen Kühl)
  63. Gemeinsam Essen als ein Akt der Liebe: Mahlzeiten und Inklusion
  64. Ena Caterina Heimdahl, Norwegen (Übersetzung Jürgen Kühl)
  65. Teil VI: Frühförderung wirkt unter neuen gesetzlichen, konzeptionellen und strukturellen Rahmenbedingungen – Teilhabeorientierung
  66. Das Bundesteilhabegesetz als Rechtsgrundlage der Frühförderung – ein Einblick in wesentliche Veränderungen
  67. Armin Sohns & Torsten Schaumberg
  68. Förderung von Säuglingen und Kleinkindern im Konzept KleineWege® – Wie viel Struktur braucht heilpädagogisches Handeln?
  69. Yvette Schatz & Silke Schellbach
  70. Beobachtungen zum Zusammentreffen von pädagogischem Handeln und Sprachförderhandeln
  71. Simone Kannengieser
  72. Förderung von Verstehen und Sichverständigen in der präverbalen Kommunikation mit kleinen Kindern
  73. Etta Wilken
  74. Früherkennung und Möglichkeiten der frühen Hör- und Kommunikationsförderung bei mehrfachbehinderten Kindern mit einer Hörbeeinträchtigung
  75. Karolin Schäfer
  76. Damit wir uns von Anfang an verstehen: Beratung, Praxis und Grenzen Unterstützter Kommunikation in der interdisziplinären Frühförderung
  77. Andrea Karus
  78. Professionalisierung Unterstützter Kommunikation an Frühförderstellen und in Kindertagesstätten am Beispiel einer Großstadt
  79. Markus Spreer & Michael Wahl
  80. Psychosoziale Beratung im Spannungsfeld von Schwangerschaft und Behinderung: Vorstellung eines Kooperationsmodells einer Schwangerenberatungsstelle und einer Interdisziplinären Frühförderstelle
  81. Gerhard Krinninger
  82. Frühförderung ist bunt – was die Frühförderung in Hessen zusammenhält
  83. Armin Sohns & Eva Klein
  84. Die Autorinnen und Autoren

 

 

 

Teil I:  Frühförderung wirkt in und mit Familien – Familienorientierung

Kindliche Entwicklungsrisiken – familiäre Erschöpfungszustände: Was heißt das für die Interdisziplinäre Frühförderung von Anfang an?

Hans Weiß

 

Zwar hat es – zumindest in den entwickelten Staaten und Regionen – wohl noch kaum eine Zeit gegeben, in der so viele Kinder so große Entfaltungschancen hatten wie heute. Man denke nur an die vielfältigen Möglichkeiten der kulturellen Teilhabe vieler Kinder (z. B. Reisen oder Pflege von Hobbys). Gleichwohl wächst eine eher größer gewordene Zahl von Kindern unter erschwerten Bedingungen auf. Zugleich haben sich Entstehungsbedingungen und Formen von Entwicklungsbeeinträchtigungen einschließlich manifester Behinderungen verändert. Dazu seien Hintergründe aufgezeigt und Konsequenzen für die Interdisziplinäre Frühförderung erörtert, die unter dem Anspruch steht, ›von Anfang an‹ den Bedürfnissen der betroffenen Kinder und ihrer Eltern/Familien im Sinne nachhaltiger Wirksamkeit gerecht zu werden.

 

Biologische und soziale Entwicklungsgefährdungen – Veränderungen im zeitlichen Kontext

 

Bei den sog. ›klassischen‹, insbesondere genetisch bedingten Behinderungsformen gehen die Zahlen zurück. Dazu gehören die Trisomie 21, Spina bifida oder Muskelerkrankungen wie die Progressive Muskeldystrophie vom Typ Duchenne. So fiel der Anteil von Schülerinnen und Schülern mit Down-Syndrom an Schulen mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung von 1960 bis 2010 um rund die Hälfte (Lenhard 2003). Zurückzuführen ist dies vor allem auf die immer feineren Methoden der Pränataldiagnostik mit nachfolgender Abtreibung bei ca. 90 % der ›positiven‹ Befunde.

Im Unterschied zu vielen genetisch bedingten Beeinträchtigungen haben umfängliche Schädigungen in den letzten Jahrzehnten eher zugenommen. Dies ist eine Folge der Fortschritte in der Pränatal- und Neonatalmedizin. Viele medizintechnisch hochkomplexe lebenserhaltende und -ermöglichende Maßnahmen verringern die Sterblichkeit von Kindern besonders bei Früh- und Risikogeburt. Sie tragen allerdings auch dazu bei, dass unvermeidlich Schädigungen entstehen sowie schwer geschädigten Kindern ein (Über-)Leben ermöglicht wird. Andererseits führen die Fortschritte der Neonatalmedizin inzwischen auch dazu, dass z. B. sehr frühgeborene Kinder nicht mehr mit so schweren Cerebralparesen aufwachsen wie noch in früheren Jahren.

Über die gesundheitliche Situation der Kinder und Jugendlichen heute wissen wir Genaueres vor allem durch den Kinder- und Jugend-Gesundheits-Survey des Robert Koch Instituts, die sog. KiGGS-Studie. Die Basiserhebung wurde zwischen 2003 und 2006 bei 17.641 Kindern und Jugendlichen zwischen 0 und 17 Jahren durchgeführt. Eine erste Folgebefragung (1. Welle) mit ausgewerteten Ergebnissen schloss sich in der Zeit von 2009 bis 2012 an.

Bereits in der Basiserhebung zeigten sich zwei deutliche Verschiebungen in der Morbidität von Kindern und Jugendlichen, zum einen von akuten zu chronischen Gesundheitsstörungen wie z. B. Adipositas und psychosomatischen Erkrankungen, zum anderen von somatischen zu psychischen (psychosozialen) Störungen. Zusammengefasst werden diese über die letzten Jahrzehnte gehenden Tendenzen als Neue Morbidität bezeichnet.

In der 1. Welle der KiGGS waren insgesamt 17,2 % der Jungen und Mädchen zwischen drei und sechs Jahren in ihrer psychischen Situation auffällig oder grenzwertig auffällig, insbesondere in Form von emotionalen und Verhaltensproblemen, Hyperaktivität und Peer-Problemen (Hölling et al. 2014).

Vor allem die Verschiebung von den somatischen zu den psychosozialen Beeinträchtigungen bildet sich in der Klientel der Frühförderung ab. So überstieg in der Totalerhebung der Frühförderstellen in Thüringen 2010 der Anteil der Kinder mit psychosozial bedingten Entwicklungsproblemen im kognitiven, perzeptiven, sprachlichen und/oder sozial-emotionalen Bereich deutlich den Anteil der Kinder mit manifesten Behinderungen (Sohns et al. 2015).

 

Biologische und psychosoziale Risiken in Abhängigkeit vom Sozialstatus der Familien

 

Insgesamt zeigt sich ein deutlicher Einfluss der sozialen Lage auf gesundheitliche Risiken: »Das Risiko für einen nur mittelmäßigen bis sehr schlechten allgemeinen Gesundheitszustand ist bei Jungen und Mädchen mit niedrigem sozioökonomischen Status um das 3,4- bzw. 3,7-Fache erhöht im Vergleich zu Kindern mit hohem sozioökonomischen Status« (Robert Koch Institut 2014). Frühe und für die weitere Entwicklung bedeutsame biologische Risiken wie Frühgeburtlichkeit, niedriges Geburtsgewicht, prä-, peri- und postnatale Komplikationen etc. treten bei Kindern mit niedrigem Sozialstatus häufiger auf, als bei Kindern aus besser gestellten Familien und erhöhen das Risiko für Schädigungen, besonders Cerebralparesen, Sehstörungen sowie geistige und Mehrfachbehinderungen (Lampert et al. 2010, 10).

Mithilfe bildgebender Verfahren wie der strahlungsfreien Magnetresonanztomographie (MRT) verfügen wir inzwischen über genauere Einblicke zur Frage, wie sich ein niedriger sozioökonomischer Status und damit verbundene familiäre Belastungen auf die Gehirnentwicklung von Kindern, speziell die Entwicklung des präfrontalen Cortex und des limbischen Systems, auswirken. Wichtige Funktionen von ihnen lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:

•  Präfrontaler Cortex: zuständig für Handlungssteuerung, Handlungsplanung und die Regulation emotionaler Prozesse

•  Hippocampus: Teil des limbischen Systems, wirkt mit bei der »Erzeugung«, der »Archivierung« und dem »Abruf« von Inhalten des Langzeitgedächtnisses

•  Amygdala (Mandelkern): Teil des limbischen Systems, hat Einfluss auf das emotionale Gedächtnis, das Bewerten und Wiedererkennen von Situationen

Aufwachsen in Armut korreliert solchen MRT-basierten Studien zufolge mit einem geringeren Wachstum des Hippocampus (Noble et al. 2012). Ferner besteht eine Korrelation zwischen der Anzahl der Jahre, in denen ein Kind in einer sozioökonomisch benachteiligten Familie aufwächst, und einem verringerten Wachstum der Amygdala (ebd.). Die verschiedenen Ansatzpunkte problematischer Einwirkungen von ungünstigen familiären Umweltbedingungen auf die Entwicklung des kindlichen Gehirns fasst Azma (2013) dezidiert zusammen:

»Anregende Umgebungen fördern neuronales Wachstum, während belastende Umgebungen negative Effekte auf die Hirnentwicklung auf mehrfachen Ebenen haben, von der Systemebene, z. B. der Architektur des neurologischen Systems, das die Gehirnregionen einschließt, oder dem Umfang der vorhandenen Hirnstruktur bis zur Zellebene, z. B. der Synapsendichte auf einem einzelnen Neuron« (Übers. H. W.).

Der breite Bedingungszusammenhang von deprivierenden Entwicklungsbedingungen und erhöhten Schädigungsrisiken im Kontext von sozioökonomischer Benachteiligung spiegelt sich auch in einer Studie über soziobiografische Aspekte der Schülerschaft mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung in Bayern (Dworschak & Ratz 2012) wider. In dieser Studie mit rund 1.600 Schülerinnen und Schülern des Schuljahrs 2009/10 betrug der Anteil jener Schüler/innen aus Familien mit einem niedrigen sozialen Wohlstand (gemessen mit der Family Affluence Scale) 40,3 %, d. h. rund das Fünffache des vergleichbaren Anteils mit niedrigem sozialem Wohlstand in der Gesamtbevölkerung (7,8 %). Noch eklatanter ist dieser Unterschied, nämlich gut das Achtfache, bei Einelternfamilien und Familien mit Migrationshintergrund (rund 64 % zu 7,8 %) (ebd., 45 f.).

Armut und soziale Benachteiligung sind nicht nur ein Nährboden für intellektuelle Entwicklungsbeeinträchtigungen, die mit dem Begriff der ›Lernbehinderung‹ umschrieben worden sind. Aufgrund des Zusammenspiels von psychosozialen und biologischen Risiken (Images Abb. 1) ist das Risiko, von einer Schädigung betroffen und z. B. geistig oder körperbehindert zu werden, bei Menschen aus erheblich benachteiligten Lebenslagen erhöht, wenn auch in geringerem Maße als bei ›Lernbehinderung‹ (BMFSFJ 2002). Beeinträchtigt- bzw. Behindertwerden muss somit als komplexes bio-psycho-soziales Geschehen verstanden werden.

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Abb. 1: Entwicklungsbeeinträchtigendes Zusammenspiel von psychosozialen und biologischen Risiken

Erhöhte soziale Verwundbarkeit und Erschöpfung von Familien in benachteiligten Lebenslagen

 

In den vielfältigen Zusammenhängen zwischen (neuro-)biologischen und (psycho-)sozialen Faktoren spielen die Eltern als handelnde und erleidende Personen eine wichtige Rolle. Dazu werde ich einige Schlaglichter auf die Erziehungswirklichkeit von Eltern werfen und dann den Blick speziell auf Eltern und Familien mit niedrigem sozioökonomischem Status richten.

These 1:

»Eltern stehen heute unter enormem Druck, sowohl hinsichtlich ihrer subjektiven Befindlichkeit als auch hinsichtlich der objektiv gestiegenen Anforderungen« (Henry-Huthmacher 2008, 23). Ihnen wird »ein Maß an Verantwortung und Mitsprache für ihre Kinder zugewiesen, das es in früheren Elterngenerationen so nicht gab« (ebd., 1).

Ich beziehe mich hier auf eine sozialwissenschaftliche Untersuchung auf der Basis der Sinus-Studie über Lebensstile von Familien mit dem Titel »Eltern unter Druck« (Merkle & Wippermann 2008). Eltern, insbesondere jene in der sog. Mitte der Gesellschaft, nehmen die Sozialisations-, Erziehungs- und Bildungsaufgaben bei ihren Kindern als anspruchsvoll, verbunden mit entsprechenden gesellschaftlich untermauerten Erwartungen, wahr. Das gerade in Deutschland mit hohen Idealen konturierte Bild der ›guten Mutter‹ ist auch heute ein maßgebliches Leitbild.

These 2:

Die »Überfrachtung der Elternrolle mit zunehmenden Ansprüchen und Erwartungen« (Henry-Huthmacher 2008, 24) und das Erleben, den verinnerlichten Selbstansprüchen oft nur annähernd oder unzureichend gerecht zu werden, führen nicht selten zu »massiver Verunsicherung der Eltern« (ebd., 6).

Zur elterlichen Verunsicherung in Erziehungsfragen trägt auch der Verlust eines einheitlichen Menschenbildes bei, der zu unterschiedlichen, z. T. auch konkurrierenden Werten und Erziehungszielen führt. Ausdruck dieser Verunsicherung ist die hohe Konjunktur von Erziehungsratgebern in Print- und digitaler Form.

Das ›Gebot der optimalen Förderung‹ hat nichts an Brisanz verloren. Um den Wettlauf um erfolgreiche Bildungsabschlüsse bestehen zu können, investieren viele Eltern der gehobenen Milieus viel Zeit, Kraft und Geld. »Zum Normbild guter moderner Eltern gehört offenbar, ›Architekten der Kindergehirne‹ zu sein« (Merkle & Wippermann 2008, 55).

These 3:

Es zeigt sich ein deutliches räumliches und soziales Auseinanderdriften der Milieus (Henry-Huthmacher 2008, 8). »Kinder der Bürgerlichen Mitte haben heute kaum mehr Kontakt zu Kindern unterer Schichten« (ebd.).

Als Stichworte für diese räumliche und soziale Abgrenzung sind zu nennen:

•  Umzug in bessergestellte Wohnviertel

•  Gentrifizierung eines Stadtteils und faktisches Hinausdrängen der finanziell schwächeren Bewohner/innen

•  Anmeldung der eigenen Kinder in öffentlichen Schulen mit einer gut situierten Schülerschaft

•  Aufnahme der eigenen Kinder in teuren Privatschulen und privaten Kindertagesstätten

Somit sind milieuübergreifende Erfahrungen von Kindern eingeschränkt und Einblicke in die Kommunikationsweisen, Ziele und Sorgen anderer Milieus erschwert. Eine »Demarkationslinie« trennt »sozial-hierarchisch die Ober- und Mittelschicht von den Milieus am unteren Rand der Gesellschaft« (Merkle & Wippermann 2008, 51).

These 4:

Der Druck der Eltern, den gestiegenen Anforderungen bei der Entwicklung, Erziehung und Bildung ihrer Kinder gerecht zu werden, hat gesellschaftliche Ursachen. Das für ein kapitalistisch-marktorientiertes Wirtschaftssystem bestimmende Leitbild des Wettbewerbs hat sich in das Bewusstsein der Menschen tief eingenistet. Menschen sollen als ›Unternehmer ihrer selbst‹ (Henry-Huthmacher 2008, 3) flexibel, kreativ, verantwortungsvoll und damit erfolgreich ihr Leben im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wettbewerb gestalten – im Sinne des bekannten Sprichworts: »Jeder ist seines Glückes Schmied.« Bis hinein in die ganz persönlichen Bereiche des Lebens mit Kindern hat dieses Leitbild seine nachhaltigen Spuren hinterlassen.

Bei dieser These sind zwei Aspekte in den Blick zu nehmen: zum einen die hohen Anforderungen, die mit dem Leitbild des »unternehmerischen Selbst« (Bröckling 2007), des verantwortlichen ›Selbstmanagers‹, für die Belange des eigenen Lebens und Lebensglücks verbunden sind, und zum anderen die Anforderungen der Eltern als ›Manager‹ der Entfaltungschancen ihrer Kinder. Beide Male wird gelingendes Leben verstanden als optimale Realisierung von Lebenschancen und Verwirklichungsoptionen.

Um dem Leitbild des »unternehmerischen Selbst« im persönlichen Leben wie in der Elternrolle gerecht zu werden, bedarf es finanzieller, sozialer und kultureller Ressourcen und Handlungsspielräume. Bei einem anhaltenden gravierenden Missverhältnis zwischen Anforderungen und verfügbaren Handlungsspielräumen wächst für die Betroffenen die Gefahr, den Anforderungen – ob für die eigene Lebensgestaltung oder in der Elternrolle – auch in der Selbsteinschätzung nicht gerecht zu werden, eben kein ›guter Schmied‹ für das eigene Lebensglück, das der Familie und die Entwicklung der eigenen Kinder zu sein.

Mit solchen leidvollen Diskrepanzerfahrungen sind vor allem Menschen in benachteiligten Lebenslagen konfrontiert. Sie laugen die Betroffenen auf Dauer aus, reduzieren ihre verfügbaren psychischen Kräfte und können allmählich dazu führen, sich mit dem Gegebenen resignativ abzufinden. Nach Lutz weisen solche Menschen eine »höhere soziale Verwundbarkeit« (2014a, 10) bzw. soziale Erschöpfung auf, die er so umschreibt:

»Soziale Erschöpfung ist eine soziale Situation, in der Menschen zwar initiativ sind, aber nicht im Sinne von Teilhabe, Reflexion und Gestaltung, sondern lediglich hinsichtlich eines Kampfes die Zumutungen des Alltags einigermaßen zu bewältigen. Der Blick auf die Zukunft fehlt, da die Gegenwart übermächtig wird. Sozial Erschöpfte verharren in einer Form der Verlangsamung, in einer Zeit ohne morgen, sie verfügen kaum noch über Energie und verschließen sich in einem Zustand des ›Nichts-ist-möglich‹ (Ehrenberg 2008). […]

Diese soziale Erschöpfung zeigt sich wesentlich in ›erschöpften Familien‹ […], bei Menschen, die dem Tempo und den Zumutungen der Gesellschaft nicht mehr folgen können. Durch vielfältige Formen der Entmutigung, hervorgerufen durch höhere Verwundbarkeit, Verunsicherung, Statusverluste, Armut und dauerhafte Belastungen, sind sie immer weniger in der Lage, ihre alltäglichen Verrichtungen eigenständig, sinnvoll und nachhaltig zu organisieren, vor allem zulasten der Kinder« (Lutz 2014b, 121 f.).

Die Zone der erhöhten Vulnerabilität beginnt schon vor der Armutsgrenze, im prekären Raum niedriger Statuslagen (Images Abb. 2). Die auftretenden Phänomene sozialer Erschöpfung betreffen einzelne Menschen und Familien, die sich noch der Gesellschaft zugehörig, also im ›Drinnen‹, fühlen, sowie vor allem solche, die sich als ausgeschlossen und chancenlos im ›Draußen‹ verorten. Emotionale Erschöpfung äußert sich in emotionalen, mentalen und körperlichen Erschöpfungszuständen, »die das gesamte Leben, die sozialen Beziehungen und das Handeln durchdringen und prägen« (Lutz 2014a, 100). Lutz wird nicht müde, zu betonen,

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Abb. 2: Erschöpfung in der Diskrepanz zwischen (hohen) Anforderungen und (geringen) Ressourcen

dass er mit dem Begriff der sozialen Erschöpfung keine individuellen Schuldzuschreibungen verbindet. Soziale Erschöpfung ist ein erklärend-analytischer Begriff, der dazu dient, die Verhaltensweisen von Menschen zu analysieren, jedoch nicht beschuldigend:

»Wir können gerade in Familien am unteren Rand der Gesellschaft vermehrt Symptome dieser sozialen Erschöpfung beobachten, die als Vernachlässigung, aber auch als Verantwortungslosigkeit den Kindern gegenüber diskutiert und angeprangert werden. Doch diese Diagnosen gehen völlig an der Realität vorbei, sie sind Ausfluss einer zunehmenden Moralisierung sozialer Ungleichheit und missachten, dass Erschöpfung sich aus sozialer Überforderung ergibt, resultierend aus der Ungleichverteilung von Gütern und Ressourcen, und das Sich-Einrichten möglicherweise die einzige Alternative darstellt, einigermaßen eine Form des Lebens zu finden« (Lutz 2014a, 13).

Das »Sich-Einrichten« in der hochbelasteten Lebenswelt mit all ihren – gerade für Kinder – problematischen Konsequenzen, das (resignative) Sich-Abfinden und Arrangieren mit den Einschränkungen des Hier und Jetzt, ohne konkrete Zukunftsperspektiven, wird auch als ›Kultur der Armut‹ bezeichnet. Trotz der fatalen Konsequenzen haben die betroffenen Menschen subjektiv ›gute Gründe‹ für dieses Sich-Einrichten in einer Kultur der Armut. So wissen wir aus Studien, dass viele Langzeitarbeitslose Erwerbsarbeit als ein normatives Ziel ihres ›Sinnens und Trachtens‹ aufgegeben haben. Warum? Nicht um sich in der scheinbaren Bequemlichkeit einzurichten, sondern um ein niederdrückendes Gefühl der eigenen Nutzlosigkeit von sich wegschieben zu können (Lutz 2014a, 129).

 

Interdisziplinäre Frühförderung mit den Eltern (Familienorientierung)

 

Gerade in sozial erschöpften Familien wachsen häufig Kinder auf, die entwicklungsgefährdet sind. Daher hat die Interdisziplinäre Frühförderung es oftmals mit diesen Familien zu tun. Und hier mag schon ein erster Einwand auftreten: Welchen Wert hat die Zusammenarbeit mit diesen Eltern, die sozial erschöpft sind? Sollte man sie nicht eher in Ruhe lassen und versuchen, alles Mögliche für ihre Kinder in außerfamiliären Einrichtungen zu tun? Genau dieses Bild wird in den fachlichen und bildungspolitischen Diskursen z. T. propagiert und dafür plädiert, die Kinder aus Familien mit niedrigem Sozialstatus frühzeitig in außerfamiliäre Betreuungs- und Bildungseinrichtungen aufzunehmen. Das ist sicher eine richtige Strategie, um diese Familien zu entlasten und Kindern aus unterschiedlichen sozialen Lagen Interaktions- und Kommunikationsgelegenheiten zu ermöglichen sowie Demarkationslinien zwischen den Milieus zumindest ansatzweise entgegenzuwirken. Jedoch ist die frühzeitige Aufnahme der Kinder sozial erschöpfter Eltern in Kitas oder eine Tagespflege keineswegs hinreichend. Vielmehr gilt es, diese Eltern nicht aufzugeben, sondern sie so gut es geht in ihrer Elternrolle trotz ihrer Erschöpfungszustände zu stützen und zu stärken. Dafür gibt es wichtige Gründe.

Erinnert sei an die Korrelation zwischen der Dauer, in denen Kinder unter deprivierenden familiären Bedingungen aufwachsen, und der verzögerten Gehirnentwicklung, speziell der Amygdala, was Hilfen zur Verbesserung der familiären Situation ›von Anfang an‹ herausfordert. Dem entsprechen auch die Ergebnisse von Längsschnittstudien wie die US-amerikanische NICHD Study of Early Child Care (Textor o. J.): Zwar beeinflusste die außerfamiliäre Betreuung der Kinder, speziell ihre Qualität hinsichtlich Art, Dauer und Stabilität, die kognitiv-sprachliche und sozio-emotionale Entwicklung der Kinder während der ersten drei Lebensjahre. Jedoch übten Familienfaktoren, z. B. die mütterliche Sensibilität, die Qualität des familialen Umfeldes und das Familieneinkommen, einen größeren Einfluss aus als die außerfamiliäre Betreuung.

Aus der Vielzahl insbesondere US-amerikanischer Evaluationsstudien zur nachhaltigen Wirksamkeit von Frühförderung lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, »dass eine einseitige Ausrichtung der Frühförderung auf die Arbeit in der Kindertagesstätte keineswegs dem Anspruch gerecht wird, die soziale Teilhabe und langfristig bestmögliche Entwicklung des Kindes zu sichern. Vielmehr muss die Beratung der Erzieherinnen verbunden werden mit Unterstützungsangeboten für die Eltern des Kindes […]« (Sarimski et al. 2013, 202). »Die ebenso wichtige Kooperation mit Kindergärten kann die Elternarbeit nicht kompensieren, da die Familie den zentralen und primären Erfahrungsraum des Kindes darstellt« (Peterander & Weiß 2017, 34).

Die Forschungslage spricht also eindeutig für die Notwendigkeit einer familienorientierten Frühförderung. Und doch scheint das Modell der Frühförderung mit den Eltern gefährdet zu sein, evtl. sogar ein Auslaufmodell zu werden. So brachten in einer explorativen Befragung von Krause rund 41 % der Frühförder-Fachpersonen »nur bis zu maximal zwei Stunden je halbes Jahr für Elterngespräche auf […]« (2012, 175). Sohns et al. ziehen aus den Ergebnissen ihrer Erhebung aller Thüringer Frühförderstellen im Jahr 2010 den Schluss, dass »die Förderung (des Kindes) in der Kindertagesstätte als die Regelförderung durch die Thüringer Frühförderstellen bezeichnet werden« kann (2015, 232).

Was sind die Gründe für diese Ausdünnung der Elternkomponente? Man kann systemexterne und systeminterne Gründe unterscheiden.

Systemexterne Gründe:

•  Berufstätigkeit beider Elternteile

•  mehr außerhäusliche Betreuung der Kinder

•  Reduzierung der Frühförderung bei Kindern, die in inklusiven Kitas betreut werden

Systeminterne Gründe:

•  Eltern- und familienorientierte Begrifflichkeiten haben offensichtlich nicht mehr die zentrale Bedeutung im Frühförderdiskurs (z. B. »pädagogisches oder therapeutisches Dreieck«; Weiß 1989, 55–60)

•  Lebenswelt- oder Alltagsorientierung anstelle Familienorientierung – Zufall oder Ausdruck einer veränderten Gewichtung?

•  resignative Tendenzen (»Mit manchen/vielen Eltern kann man sowieso wenig machen.«)

•  Elternarbeit als »Angstarbeit« der heilpädagogischen Früherzieherinnen (so einmal pointiert von dem Schweizer Heilpädagogen Jörg Grond formuliert)

•  oftmals nicht hinreichende Vorbereitung in der Ausbildung

 

Was ist zu tun? – Mögliche Weiterentwicklungen der Familienorientierung

 

Fatal wäre eine resignative Einstellung. Vielmehr gilt es mit Überzeugungskraft das Konzept einer Frühförderung mit den Eltern zu vertreten. »An der Frühförderung ist es auch hier, die Familien in ihren Entscheidungsfreiheiten wie -zwängen ernst zu nehmen und die eigenen Angebote so zu verdeutlichen, dass Eltern einen Nutzen darin für sich und ihr Kind erkennen, dem sie Raum geben möchten« (Klein 2013, 94). Mit welcher Überzeugungskraft und guter konzeptioneller Fundierung die Bedeutung der mobilen Frühförderung im häuslichen Kontext vertreten werden kann, zeigt z. B. die Praxis der Frühförderstelle im Landkreis Oder Spree.

Neben den klassischen Formen der Hausfrühförderung und der Frühförderung in der Frühförderstelle mit einem Elternteil sind auch folgende Kooperationsmöglichkeiten mit den Eltern denkbar:

•   regelmäßige Gespräche mit den Eltern im Kindergarten unter Einbezug von Erzieherin und Frühförderin

•  freie Zusammenkünfte von Eltern (Müttern) bei Eltern-Kind-Gruppen, Mütter-Nachmittagen, Mütter-Cafés usw.

•  Phasen intensiverer Zusammenarbeit (z. B. im Rahmen des Blockteam-Konzepts nach Jourdant 2001)

•  Elternseminare, Elternwochenenden

Aus der Erfahrung in einem Forschungsprojekt mit Familien mit vernachlässigten Kindern schlussfolgern Schone et al., dass die betroffenen Eltern ein hohes Interesse an regelmäßigen »Gesprächen über ihre Lebenssituation« sowie an »generellen Themen der Lebensgestaltung mit Kindern« haben, wenn angemessene Rahmenbedingungen (z. B. Kinderbetreuung) gesichert sind (1997, 215).

 

Schlussbemerkungen

 

Für den Rundbrief Nr. 21 der VIFF-Bayern (Vereinigung für Interdisziplinäre Frühförderung Bayern 2016) führten eine Kollegin und ich Interviews mit Frühförderinnen, die mit drei Familien in hoch belasteten Lebenslagen arbeiteten. Uns interessierte die Frage: Wo haben diese Frühförderinnen eine Art Schlüssel gefunden, um damit die Türe zu der jeweiligen Familie öffnen zu können? Auch wenn jede der drei Familien natürlich anders war, gab es einige übergreifende Faktoren, die zum Erfolg der Zusammenarbeit beigetragen haben, so vor allem:

•  geduldiges, einladendes ›Dranbleiben‹ (auch an den Vätern)

•  Vorgehen in kleinen Schritten, Erfolge wahrnehmen und würdigen

•  Respekt und Perspektivwechsel

•  Herzlichkeit und Verständnis, Ernstnehmen des Gegenübers

Die Interdisziplinäre Frühförderung kann ein wichtiges und entwicklungsförderliches Bindeglied zu »erschöpften Familien« sein, auch zu jenen, die schon ›im Draußen‹ leben oder überleben.

Literatur

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BMFSFJ – Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Gesundheit (Hrsg.) (2002): Elfter Kinder- und Jugendbericht. Bonn

Bröckling, U. (2007): Das unternehmerische Selbst. Frankfurt a. M.

Dworschak, W. & Ratz, C. (2012): Soziobiografische Aspekte der Schülerschaft mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung. In: Dworschak, W., Kannewischer, S., Ratz, C. & Wagner, M. (Hrsg.): Schülerschaft mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung. Oberhausen, 27–48

Henry-Huthmacher, C. (2008): Eltern unter Druck. Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der Studie. In: Henry-Huthmacher, C. & Borchard, M. (Hrsg.): Eltern unter Druck. Stuttgart, 1–24

Hölling, H., Schlack, R., Petermann, F., Ravens-Sieberer, U. & Mauz, E. (2014): Psychische Auffälligkeiten und psychosoziale Beeinträchtigungen bei Kindern und Jugendlichen im Alter von 3 bis 17 Jahren in Deutschland – Prävalenz und zeitliche Trends zu 2 Erhebungszeitpunkten (2003–2006 und 2009–2012). In: Bundesgesundheitsblatt 57, 7, 807–819

Jourdant, N. (2001): Der Förderblock. In: Frühförderung interdisziplinär 20, 2, 71–77

Klein, E. (2013): Familienorientierung in der Frühförderung. In: Frühförderung interdisziplinär 32, 2, 82–96

Krause, M. P. (2012): Verliert die Frühförderung die Familien? In: Frühförderung interdisziplinär 31, 4, 164–177

Lampert, T., Hagen, C. & Heizmann, B. (2010): Gesundheitliche Ungleichheit bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Verfügbar unter: https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GBEDownloadsB/soz_ungleichheit_kinder.pdf?__blob=publicationFile (16.02.2017)

Lenhard, W. (2003): Der Einfluss pränataler Diagnostik und selektiven Fetozids auf die Inzidenz von Menschen mit angeborener Behinderung. In: Heilpädagogische Forschung 39, 4, 165–176

Lutz, R. (2014a): Soziale Erschöpfung. Weinheim

Lutz, R. (2014b): Das aktuelle Thema: Soziale Erschöpfung. In: Sonderpädagogische Förderung heute 59, 2, 121–122

Merkle, T. & Wippermann, C. (2008): Eltern unter Druck. In: Henry-Huthmacher, C. & Borchard, M. (Hrsg.): Eltern unter Druck. Stuttgart, 25–241

Noble, K. G., Houston, S. M., Kann, E. & Sowell, E. R. (2012): Neural correlates of socioeconomic status in the developing human brain. In: Developmental Science 15, 4, 516–527

Peterander, F. & Weiß, H. (2017): Wirksamkeit Familienorientierter Frühförderung. In: Frühförderung interdisziplinär 36, 1, 34–36

Robert Koch Institut (2014): Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Verfügbar unter: http://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Studien/Kiggs/Kiggs_w1/KiGGS1_Ergebnisse_Zusammenfassung.pdf?__blob=publicationFile (02.03.2017)

Sarimski, K., Hintermair, M. & Lang, M. (2013): »Auf die Familie kommt es an.« Familienorientierte Frühförderung und inklusive Krippenförderung. In: Frühförderung interdisziplinär 31, 4, 195–205

Schone, R., Gintzel, U., Jordan, E., Kalscheuer, M. & Münder, J. (1997): Kinder in Not. Münster

Sohns, A., Hartung, A., Urbanek, J., Ederer, F. & Lamschus, K. (2015): Rahmenbedingungen und Qualifizierungsstandards der Frühförderstellen im Freistaat Thüringen. In: König, L. & Weiß, H. (Hrsg.): Anerkennung und Teilhabe für entwicklungsgefährdete Kinder. Stuttgart, 222–237

Textor, M. R. (o. J.): Die »NICHD Study of Early Child Care« – ein Überblick. In: Textor, M. R. (Hrsg.): Das Kita-Handbuch. Verfügbar unter: http://www.kindergartenpaedagogik.de/1602.html (04.03.2017)

Vereinigung für Interdisziplinäre Frühförderung Bayern (2016): Rundbrief Nr. 21. Verfügbar unter: https://www.fruehfoerderung-bayern.de/fileadmin/files/PDFs/VIFF_Byern/Rundbrief_2-2016_VIFF_2.pdf (14.09.2017

Weiß, H. (1989): Familie und Frühförderung. München

Familienorientierung! Ein empirischer Blick auf die gelebte Praxis

Matthias Lütolf, Christina Koch & Martin Venetz

 

In der Prämisse Frühförderung wirkt in und mit Familien – Familienorientierung des ViFF-Symposion 2017 in Frankfurt spiegeln sich zwei Perspektiven wider, welche zurzeit in der theoretischen Auseinandersetzung mit dem Fachgebiet der Frühförderung intensiv diskutiert werden. Es sind dies Wirksamkeit und Familienorientierung. Diese gehören zusammen und lassen sich sowohl theoretisch wie auch empirisch darlegen. Der vorliegende Beitrag zielt darauf hin, ergänzend zur theoretischen Auseinandersetzung einen Blick auf die gelebte Praxis der Fachpersonen der Heilpädagogischen Früherziehung (HFE) (Schweizer Äquivalent zur Frühförderung in Deutschland) zu werfen.

 

Ausgangslage

 

Um sich der Perspektive der Familienorientierung zu nähern, ist es sinnvoll, vorgängig frühe heilpädagogische Interventionen unter dem Aspekt der Wirksamkeit zu betrachten. Nach Guralnick (2011) lassen sich drei Wirksamkeitsebenen beschreiben, die es zu beachten gilt und nicht isoliert voneinander angeschaut werden können. Neben der Ebene der kindlichen Entwicklung, welche im Besonderen die kognitiven und sozialen Kompetenzen des Kindes beachtet, ist es die Ebene der Familie, mit Blick auf die Eltern-Kind-Interaktion sowie die familiären und außerfamiliären Netzwerke, die als einflussreich betrachtet wird; im Weiteren die Ebene der familiären Ressourcen, welche persönliche psychische Merkmale der Eltern und materielle Ressourcen der Familie einschließt. Diese drei Ebenen wirken wechselseitig und gemeinsam. Sie beinhalten Themen der kindorientierten Förderung und weisen zudem auf eine Familien- und Lebensweltorientierung hin. Diese ist geprägt von intensiver Zusammenarbeit mit dem Kind, der Familie und weiteren Bezugspersonen, dem Fachteam und involvierten Institutionen.

Frühe heilpädagogische Interventionen, zu denen in der Schweiz die HFE gehört, welche sich der Familienorientierung verpflichtet fühlen, definieren sich demnach nicht nur über die Förderung der kindlichen Entwicklung, sondern beachten ebenso die Ressourcen und Bedürfnisse der Familien sowie deren Umfeld und beziehen die Familien in die Förderung ein. Es wird gefordert, den Fokus der Unterstützung sowohl auf die kindliche Entwicklung wie auch auf die Beratung der Eltern und die Eltern-Kind-Interaktion zu richten (Klein 2013). Damit dies garantiert