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Kompendien Praktische Theologie

Herausgegeben von:

Thomas Klie und Thomas Schlag

Band 1

 

Die Kompendien Praktische Theologie bieten kompakte und anschauliche Überblicke über die Teilgebiete der Praktischen Theologie. Die einzelnen Bände präsentieren gesichertes Grundlagenwissen mit Bezug auf gegenwartsrelevante Fragestellungen und orientieren sich an folgenden Leitthemen: Problemhorizont und gegenwärtige Herausforderungen – Geschichte der Disziplin – Systematische Entfaltung – Empirische Erkenntnisse – Enzyklopädische Verortung im Ganzen der Praktischen Theologie. Besonderes Augenmerk liegt auf der Verzahnung von Theoriebildung und Praxisreflexion, der Integration in internationale Diskurse sowie dem Dialog mit Partnerwissenschaften außerhalb der Theologie.

Matthias Marks

Religionspsychologie

Verlag W. Kohlhammer

Prof. Wulf-Volker Lindner

zum 80. Geburtstag.

 

 

1. Auflage 2018

 

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

 

Print:

ISBN 978-3-17-034062-6

 

E-Book-Formate:

pdf: ISBN 978-3-17- 034063-3

epub: ISBN 978-3-17- 034064-0

mobi: ISBN 978-3-17- 034065-7

 

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Vorwort

Man kann von Glück sprechen, angefragt zu werden für die Realisierung eines Projekts, das einem selbst schon immer am Herzen lag: Es müsste in der Praktischen Theologie doch möglich sein, die Kommunikationshürden zwischen der Theoriewelt akademischer Wissenschaft und der Praxiswelt von Kirche, Schule und Gesellschaft so einzuebnen, dass gegenseitiges Bereichern leichter fällt. Das vorliegende Kompendium ist Teil einer Reihe, die dies zum Ziel hat, als begleitende Lektüre im Vikariat bzw. Referendariat, in Vorbereitung aufs Zweite Examen sowie in Fort- und Weiterbildungen. Eine solche Handreichung habe ich während meiner Ausbildung vermisst und so freue ich mich, hiermit einen Beitrag dazu leisten zu können.

Mein Dank gilt den Herausgebern Prof. Dr. Thomas Klie (Rostock) und Prof. Dr. Thomas Schlag (Zürich) für ihr Vertrauen in meinen Sach- und Schreibstil. Er hat sich in unterschiedlichen Kontexten mit den Jahren entwickelt: im Studium der Ev. Theologie und einigen Semestern Psychologie, in der Pastoralpsychologischen Sozietät bei Prof. Wulf-Volker Lindner (Hamburg), in der praktisch-theologischen Auseinandersetzung mit der Malerei von Rudolf Hausner (Wien), als Pfarrer in der Gemeinde (Bielefeld) und als Mitglied im Doktorandenkolloquium (Rostock). Ebenso danke ich den Autor/innen der weiteren Bände dieser Reihe, besonders Prof. Dr. Maike Schult (Marburg) für konstruktive Tipps, sowie Dr. Sebastian Weigert und seinem Team vom Kohlhammer-Verlag (Stuttgart) für die engagierte Begleitung des Projekts. Nachhaltig dankbar bin ich auch meinen Wegbereitern. Dabei denke ich vor allem an Prof. Wulf-Volker Lindner. Die persönlichen Begegnungen mit ihm, seine Lehrveranstaltungen, Schriften und Predigten, die zeigen, wie Psychoanalyse und Theologie sich gegenseitig bereichern können, haben mich inspiriert. Ihm sei diese Schrift gewidmet, verbunden mit Glück- und Segenswünschen zu seinem 80. Geburtstag.

 

Matthias Marks

Inhalt

1  Einleitung

1.1  Zum Gegenstand

1.1.1  Das zentrale Anliegen und seine Probleme

1.1.2  Hauptaufgaben und Fragestellungen

1.1.3  Hauptansätze, ihre Ziele und Grenzen

1.2  Zu den Prämissen dieses Ansatzes

1.2.1  Theorie-Praxis-Verhältnis

1.2.2  Bildungsverständnis

1.2.3  Perspektive des Verfassers

1.3  Aufbau des Bandes

2  Geschichte der Religionspsychologie

2.1  Zur Vorgeschichte der Disziplin

2.2  Anfänge als Erfahrungswissenschaft

2.2.1  Internationale Aufbrüche

2.2.2  Regionale Ausdifferenzierungen

2.3  Unter bedrückenden Umständen

2.3.1  Unzeitgemäßer Zusammenbruch

2.3.2  Verborgene Wirksamkeit

2.3.3  Neuer Aufbruch

2.4  Zur gegenwärtigen Lage

2.4.1  Schwierige Positionierung

2.4.2  Aktuelle Interessen der Praktischen Theologie

3  Religiöses Subjekt als Gegenstand der Religionspsychologie

3.1  Anthropologische Grundlagen

3.1.1  Bezogenheit als Grundverhältnis

3.1.2  Psychoanalytisches Menschenbild

3.1.3  Neuere Wege

3.2  Religionshermeneutische Grundlagen

3.2.1  Zur Unentbehrlichkeit der Hermeneutik

3.2.2  Zum psychischen Vorgang in der Religion

3.3  Spiritualität als Forschungsgegenstand

3.3.1  Zum Begriff »Spiritualität«

3.3.2  Zum Sinn anthropologischer Rede vom Geist

3.4  Ambivalenzen des Religiösen im Subjektwerdungsprozess

3.4.1  Religiosität als Such- und Fluchtbewegung

3.4.2  Ausweitung religiöser Erscheinungsformen

3.4.3  Zur Ambivalenz von Abhängigkeit

3.4.4  Zum Krankheitsbegriff in der Religionspsychologie

3.4.5  Reife und unreife Religiosität

4  Bemerkungen zur Empirie

5  Zur Bedeutung (psychoanalytischer) Religionspsychologie für die Praktische Theologie

5.1  Religionspsychologie – eine praktisch-theologische Disziplin?

5.1.1  Plädoyer für reife Gesprächspartnerschaft

5.1.2  Sehschule

5.2  Enzyklopädische Verortungen

5.2.1  Gottesdienst (Liturgik)

5.2.2  Seelsorge (Poimenik)

5.2.3  Predigt (Homiletik)

5.2.4  Amtshandlungen (Kasualtheorie)

5.2.5  Bildung (Katechetik, Religionspädagogik)

5.2.6  Helfendes Handeln (Diakoniewissenschaft)

5.2.7  Pfarrberuf (Pastoraltheologie)

5.3  Ausgewählte praxisrelevante Themen

5.3.1  Wie viel Religion steckt in Tattoos?

5.3.2  Heilende Kräfte aus dem Gebet?

5.3.3  Warum ist Scheitern ein Tabu?

5.3.4  Weitere praxisrelevante Themen

5.4  Ausblick

6  Literatur

6.1  Verwendete Literatur

6.2  Thematische Literaturempfehlungen

6.3  Index

1  Einleitung

Dieses Kompendium bietet Grundlagenwissen über Religionspsychologie in ihrer Bedeutung für die Praktische Theologie. Es richtet sich an Studierende in Vorbereitung auf universitäre, staatliche und kirchliche Examina, an Pfarrer/innen und Lehrer/innen in Fort- und Weiterbildungen sowie an Interessierte, die im Hinblick auf gegenwartsrelevante Fragestellungen Antworten auf dem Gebiet suchen.

Kennzeichen der späten Moderne sind kulturelle Transformationsprozesse, die neu nach der Rolle der Religion fragen lassen. Es gibt sowohl Stimmen, die einen allgemeinen Bedeutungsverlust und Rückgang des Religiösen feststellen, als auch solche, die eher einen Bedeutungswandel und eine Umgestaltung des Religiösen in seinen bisherigen institutionalisierten Formen oder auch Neugestaltung in fremden, erst noch zu entdeckenden Gestalten sehen. Dahinter steht die Frage, ob Religiosität zur Natur des Menschen gehört, also angeboren ist, oder in seiner Entwicklung durch ein Ensemble unterschiedlichster Faktoren zustande kommt bzw. nicht zustande kommt. Diese und andere grundlegende Fragen erfordern heute zunehmend interdisziplinäre Forschungen, zu denen die Religionspsychologie einen maßgeblichen Beitrag leisten kann.

1.1  Zum Gegenstand

1.1.1  Das zentrale Anliegen und seine Probleme

Zentrales Anliegen der Religionspsychologie ist es, religiöses Erleben und Verhalten zu verstehen. Nicht Religion an sich, sondern wie sie am Ort des Menschen, in seiner Entwicklung, in seinem Selbst- und Weltverständnis, in seinen Beziehungen und in den Interaktionen zwischen Individuum, Gruppen und Institutionen erfahren und verstanden werden kann, ist ihr Thema. Im Vordergrund stehen also nicht die Ideologien und Inhalte bestimmter Religionsformen und ihrer vielgestaltigen Ausprägungen, sondern der psychische Vorgang in der Religion, soweit sich dieser aus dem nur subjektiven Horizont als menschliches Phänomen erheben lässt. Im Bereich der Psychologie geschieht dies vornehmlich durch empirische Untersuchungen, die mehr naturwissenschaftlichen Erkenntniswegen folgen, während im Bereich der Theologie geisteswissenschaftliche Erkenntniswege beheimatet sind und darum mehr hermeneutisch gearbeitet wird. Obwohl der Begriff Religionspsychologie es nahelegt, sie vorrangig als eine psychologische Disziplin anzuerkennen, ist ihre Entwicklung doch von Anfang an, sowohl im angloamerikanischen als auch im deutschsprachigen Raum, ebenso maßgeblich von der christlichen Theologie geprägt und wird heute außerdem als ein Zweig der Religionswissenschaft betrieben. Interdisziplinarität ist also ein wesentlicher Grundzug ihres Wesens. Aus diesem Potenzial wird bis heute allerdings kaum geschöpft. Wissenschaftstheoretische Differenzen erschweren den Dialog. Unterschiedliche Interessen führen nicht selten zu Ignoranz und Abschottung.

Ein gewichtiger Grund liegt darin, dass aufseiten der Psychologie aufgrund ihrer empirischen Prämissen darauf bestanden wird, Religion, als menschliches Phänomen betrachtet, allein aus weltlichen Bedingungen heraus erforschen zu können, d. h. unter weitgehendem oder gänzlichem Ausschluss des Bezugs zu einer wie auch immer genannten (Metaphysik, Heiliges, Göttliches usw.) Transzendenz. Dies weckt aufseiten der Theologie berechtigte Zweifel, ob und wie Religionspsychologie so überhaupt zu betreiben ist. Welchen Beitrag die Praktische Theologie, insbesondere seit ihrer empirischen Wende in den 1970er Jahren, zur Entwicklung der Religionspsychologie und Überwindung so mancher Missverständnisse geleistet hat und leistet, wird in der Psychologie kaum wahrgenommen, bisher jedenfalls nicht genutzt.

In der Flut der neueren religionspsychologischen Fachliteratur seit den 1990er Jahren wird deshalb viel Energie darauf verwendet, erkenntnis- und wissenschaftstheoretische Hürden zwischen Psychologie und Theologie einzuebnen, zu mehr Transparenz nach außen und mehr Kohärenz nach innen der verschiedenen Untersuchungsmethoden und Theoriekonzepte beizutragen und fruchtlose Kämpfe um die Priorität von Erfahrung oder Deutung zu überwinden. Dies geschieht jedoch nicht selten auf Kosten des eigentlichen Stoffs, der inhaltlichen Aspekte des Gegenstands der Religionspsychologie, die aber auch nicht leicht zu greifen sind, solange es keine Verständigungsbasis dafür gibt, wie der Mensch und das, was ihn religiös macht, verstanden werden soll. Deshalb wird seit einigen Jahren dafür plädiert und inzwischen auch zunehmend berücksichtigt, die Anthropologie als gemeinsame Bezugswissenschaft aller interdisziplinär orientierten Beiträge der Religionspsychologie anzuerkennen.

Dennoch – oder gerade deshalb – ist es kaum möglich, die schier unüberschaubare Fülle von Aspekten und Themen, Untersuchungsergebnissen und Theoriekonzepten, die in den verschiedenen Bereichen der Religionspsychologie verhandelt werden, gesammelt darzustellen. Dies würde nicht nur den Rahmen dieses Kompendiums bei weitem sprengen, es schürt auch die Gefahr der Vereinnahmung der anderen Disziplinen.1 Es gilt, die wissenschaftlichen Grenzen zu achten. Offiziell ist die Religionspsychologie bis heute kein Teilgebiet der Praktischen Theologie2, gleichwohl sich ihre Gegenstände teilweise überschneiden. Dieses Kompendium erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit und Ausführlichkeit der in ihr als psychologischer Disziplin diskutierten Themen, Fragen und Probleme, sondern beschränkt sich auf ihre Bedeutung für die Praktische Theologie. Die Wahrung der Distanz zur fachfremden Nachbardisziplin hat den Vorteil, dass diese ein kritisches Gegenüber sein, umgekehrt aber auch, dass die Praktische Theologie mit den aus ihrer Sicht relevanten Themen psychologieinterne Diskurse bereichern kann.

1.1.2  Hauptaufgaben und Fragestellungen

Als unverzichtbar gelten religionspsychologische Reflexionen in der Praktischen Theologie seit langem im Bereich der Religionspädagogik zur Erhebung des Entwicklungsstands und der Lebenssituation der Lernenden (Konfirmandenarbeit, schulischer Religionsunterricht). Ein anderer Schwerpunktbereich ist die Seelsorge, wo religionspsychologische Erkenntnisse z. T. in die Theoriebildungen einfließen und wo die Geschichte der Pastoralpsychologie in ihrer wechselvollen Beziehung zur Religionspsychologie aufgearbeitet wird. Zunehmend werden ihre hermeneutischen Qualitäten auch für andere Bereiche der Praktischen Theologie, insbesondere die Pastoraltheologie, Liturgik, Homiletik, Kasualtheorie und Diakoniewissenschaft, neu entdeckt. Es bleibt abzuwarten, ob und wann sich der Zweig einer »Spiritualitätspsychologie« herausbilden wird. Manches spricht dafür, wenn man die Gründe für den gegenwärtigen Spiritualitätstrend unter Berücksichtigung neuester Erkenntnisse in der Hirn- und Gesundheitsforschung weiterdenkt.

Die Religionspsychologie fragt nach den intrapsychischen und psychosozialen Voraussetzungen von religiösen Ausdrucksformen wie religiösem Erleben, emotionalen und kognitiven Vorstellungswelten und Verhaltensweisen, nach dem psychologischen Persönlichkeitsprofil von religiös orientierten Menschen, untersucht ungewöhnliche religiöse Ausdrucksformen (parapsychologische Phänomene, magische Praktiken, Out-of-body-Erfahrungen usw.), gefährliche Strömungen (Sekten) und krankmachende Formen (Neurosen) und eröffnet Denk- und Handlungsoptionen zur helfenden Begleitung und Therapie (Aufklärung, Prävention, Rehabilitation). Um diesen Aufgaben gerecht zu werden, soll die empirische Methode möglichst genaue Daten und Fakten liefern. Dabei wird manchmal vergessen, dass die Erforschung psychischer Wirklichkeit nur in Ausschnitten möglich, religiöse Wirklichkeit immer mannigfaltiger ist als jene. Hier wird ein hermeneutischer Ansatz vertreten, der auf die Praxiswelt ausgerichtet ist. Er soll der Profilierung seelsorglicher Angebote, einem die psychische Entwicklung der Lernenden berücksichtigenden Unterricht, dem interdisziplinären Dialog, dem Umgang mit fundamentalistischen Einstellungen, der persönlichen Sinnfindung und nicht zuletzt dem Erkennen und Verstehen neuerer religiöser Phänomene außerhalb und innerhalb der institutionellen Formen dienen.

1.1.3  Hauptansätze, ihre Ziele und Grenzen

In die Entwicklung der Religionspsychologie als Erfahrungswissenschaft fließen Erfahrungen und Erkenntnisse aus unterschiedlichen Bereichen der Psychologie ein. Manche haben sich bewährt und als eigenständige Theorieansätze mit speziellem Zugriff und Methodenrepertoire herausgebildet. Der folgende Kurzüberblick über die Hauptansätze dient auch als Abgrenzung und Hinführung zu dem Ansatz, der in diesem Kompendium leitend ist.

• Evolutionsbiologische Ansätze:

In ihnen wird Religion auf der Basis physiologisch oder lerntheoretisch beschreibbarer Mechanismen untersucht. Gefühle, Phantasien und Bewusstseinsvorgänge bleiben unberücksichtigt. Deshalb bleibt ungeklärt, wie Religion für den Menschen bedeutsam wird. Bisher hat dieser Ansatz keinen großen Einfluss. Im Zuge der Hirnforschung könnten Teilaspekte, die den Evolutionsprozess betreffen, heute aufgegriffen werden.

• Verhaltenspsychologische Ansätze:

In der Psychologie als Wissenschaft vom menschlichen Erleben und Verhalten gilt vor allem das Verhalten als objektivierbar. Darin liegen ihre empirischen Ansätze und experimentellen Arbeitsweisen begründet. Am Umgang mit dem Verhältnis von Erfahrung und Deutung scheiden sich phänomenologische von streng empirischen Entwürfen. Letztere bergen die Gefahr, das Wesen des Menschen auf Mess- und Zählbares, das Naturhaft-Gesetzmäßige einzuengen. Gerade in der Religionspsychologie kann dies zum Problem werden, wenn der unverzichtbare Aspekt des Geistes ins Spiel kommt. Religiosität, wie sie in der Theologie verstanden wird, ist nicht messbar.

• Lerntheoretische Ansätze:

Diese betonen, dass Religiosität als Bestandteil der Sozialisation vermittelt wird, d. h. sich unter Bedingungen überwiegend psychosozialer Art entwickelt. Deshalb liegt das Gewicht auf Untersuchungen von Herkunftsfamilie, Vorbildern, Glaubensgemeinschaft, überlieferten Traditionen und überhaupt der äußeren Umgebung, durch die das Individuum mit Religion in Berührung kommt. Lernen am Modell, durch Instruktion, Fremdverstärkung und soziale Bestätigung bestimmt die Selbstsozialisation. Aus dieser Perspektive werden auch die Gründe für die Ausprägung »normaler«/»gesunder« versus »paranormaler«/»krankmachender« Formen gesehen. Jedoch werden innerpsychische Bedingungen der Aneignung und Entwicklung von Religiosität in diesen Ansätzen nicht genug berücksichtigt.

• Persönlichkeitspsychologische Ansätze:

In ihnen gilt Religiosität als eine messbare, aktuelle bzw. dauerhafte Einstellung des Individuums, die aus anderen Verhaltensdispositionen mittels experimenteller Methoden und statistischer Erhebungen herausgestellt werden kann. Die dabei zu treffende Unterscheidung zwischen »intrinsischen« (unbedingten) und »extrinsischen« (funktionalen) Motiven hat sich durchgesetzt. Untersucht wird z. B. die religiöse Orientierung religionsgeschichtlich bedeutsamer Persönlichkeiten, ob sich Religiosität bestimmten Persönlichkeitstypen zuordnen lässt oder ob die Art individueller Religiosität mit Beobachtungen zu Gesundheit/Krankheit der Person in Verbindung steht. Diese Ansätze werden in der akademischen Psychologie breit rezipiert und ständig weiterentwickelt. Kritik ergibt sich aus der Frage der Messbarkeit und bei Problemen in der begrifflichen Differenzierung von expliziter und impliziter Religion.

• Sozialpsychologische Ansätze:

In ihnen steht die Frage nach gesellschaftlichen Einflüssen auf die Entwicklung und Wandlung von Religion im Mittelpunkt: Religiöses Erleben als Ausdruck eines Wechsels der Weltsicht. Dazu gehört z. B. die breit rezipierte Rollentheorie mit ihrer Grundthese, religiöse Erfahrung entstehe durch Identifikation mit gesellschaftlichen Verhaltensnormen. Der psychische Vorgang wird dabei als Phasenwechsel vom alltäglichen zum religiösen Wahrnehmungshorizont gedacht. Die Attributionstheorie erklärt, inwiefern Menschen, wenn sie religiöse Symbole als bedeutsam für sich erkennen bzw. sich selbst als religiös bezeichnen, damit immer auch bestimmten sozialen Denk- und Handlungsoptionen entsprechen. Sozialpsychologische Ansätze neigen dazu, den Einfluss äußerer Faktoren zu stark an bestehenden Traditionen bzw. Institutionen festzumachen und zu wenig mit der Weiterentwicklung des äußeren Deutungsrahmens und der Wechselwirkung individual- und sozialpsychologischer Aspekte zu rechnen.

• Humanistische Ansätze:

Diese bauen auf das Prinzip natürlicher menschlicher Selbstentfaltung aus inneren Kräften. Die humanistische Bewegung, die unterschiedliche Ansätze versammelt, verbindet vor allem dieses Menschenbild, mit dem sie sich von einem biologistischen Verständnis des Menschen einerseits (Psychoanalyse) und einem Reiz-Reaktions-mechanistischen Verständnis des Menschen andererseits (Behaviorismus) abgrenzt. Religion wird erkannt in mystischen Erfahrungen, organischem Wachstum (Natur-Religion), Gefühlen und Bedürfnissen. Gestaltpsychologische Ansätze gehen davon aus, dass beim Wahrnehmen und Denken, bei Willenshandlungen und Bewegungsabläufen eine ganzheitliche Organisation psychischer und somatischer Prozesse sinnstrukturierend und zielorientiert stattfindet. Transpersonale Ansätze rechnen dabei mit einem höheren spirituellen Wesenskern des Menschen. In therapeutischer Hinsicht wird die Bedeutung des Gesprächs für die Selbstaktualisierung erkannt. Diese und andere humanistische Ansätze neigen dazu, das Selbst zu etwas Heiligem zu überhöhen, die Ambivalenzen einzuebnen und die destruktiven Kräfte zu verharmlosen.

• Entwicklungspsychologische Ansätze:

Seit Beginn religionspsychologischer Forschung ist das Interesse an der Bildung und Entwicklung individueller Religiosität bestimmend, wobei die Erforschung kognitiver und affektiver Komponenten einen eigenen Forschungszweig darstellt. Längst steht dabei nicht mehr allein das Jugendalter im Mittelpunkt, sondern auch andere Lebensphasen, besonders aber die frühkindliche Entwicklung wird in ihrer Bedeutung für die Entwicklung des Subjekts und seiner Religiosität erforscht. Die Vielzahl der Ansätze kann nach zwei theoretischen Grundmodellen gegliedert werden. Das psychoanalytische Entwicklungsmodell liefert in Erweiterung durch die Ich-Psychologie und die Objektbeziehungstheorien, vor allem die Theorie der Übergangsobjekte, differenzierte Einsichten in frühe Beziehungserfahrungen, den Symbolbildungsprozess und die mit Elternerfahrungen zusammenhängende Entstehung von Gottesvorstellungen. Das strukturgenetische Modell ermittelt religiöse Entwicklungsstufen bei Individuen und Gruppen anhand der Überprüfung von Zusammenhängen zwischen kognitiver Entwicklung, Moralvorstellungen, Fähigkeiten zum religiösen Urteil bzw. zur Deutung der Gott-Mensch-Beziehung. Daneben werden Theorien zur Glaubensentwicklung diskutiert. Sie versuchen, kognitive und affektive Faktoren zu integrieren, neigen jedoch dazu, an theologischen Vorprägungen zu hängen und Glaubensentwicklung kaum aus neuen religiösen Phänomenen heraus zu erklären.

• Psychoanalytische bzw. tiefenpsychologische Ansätze:

Diese befruchten die gesamte Disziplin seit ihren Anfängen maßgeblich und durch ihre Weiterentwicklungen bis heute nachhaltig. Warum dies so ist, wird in diesem Kompendium entfaltet.

1.2  Zu den Prämissen dieses Ansatzes

1.2.1  Theorie-Praxis-Verhältnis

Die Religionspsychologie arbeitet theoretisch, indem sie Religion/Religiosität über anthropologische Prämissen rekonstruiert und die Aspekte ihres Gegenstands sowie ihre Forschungsmethoden selbst entwickelt. Als Erfahrungswissenschaft gewinnt sie ihr Material im psychologischen Bereich vor allem empirisch, durch Beobachtungen und Messungen am Ort des menschlichen Lebens und Zusammenlebens anhand von Phänomenen, die gedeutet und ggf. als religiös bezeichnet werden. Im theologischen Bereich dienen vor allem hermeneutische Theorien dem Verstehen religiösen Erlebens, seiner Bildung sowie seiner inneren und äußeren Erscheinungen.

Ähnlich wie die Religionspsychologie wird auch die Praktische Theologie seit ihren Anfängen als Theorie gesehen, die von der Praxis her und auf die Praxis hin denkt. Damit arbeitet sie auf einer Schwelle, die sich kommunikativ nicht selten als eine Hürde erweist. Die Problematik selbst ist nicht neu, stellt sich aber heute angesichts der Tatsache, dass nicht mehr die kirchliche Ausübung des Christentums allein der Gegenstandsbereich der Praxis ist, sondern eine Vielzahl unterschiedlicher religiöser Phänomene und Formen zur Debatte steht, als brisanter dar, so dass praktisch-theologische Arbeiten über das ihnen zugrunde liegende Theorie-Praxis-Verständnis Auskunft geben müssen. Hauptkriterium für die Auswahl und Darstellung der Themen hier soll die allgemein-religiöse und kirchliche Praxis sein, auf die sich Pfarramts- und Lehramtsstudierende besonders in der zweiten Ausbildungsphase (Referendariat, Vikariat) vorbereiten und die in berufsbegleitenden Fort- und Weiterbildungen im Zentrum des Interesses steht. Als Beitrag zu einer Praktischen Theologie lebendiger Religiosität/Religion grenzt sich dieses Kompendium gegen folgende Praxis-Verständnisse ab:

Gegen den psychologischen Praxisbereich der Therapie:

Therapie gehört nicht, auch nicht im Hinblick auf Seelsorge, zu der Praxis, wovon theologische Theoriebildung ausgeht oder worauf sie zielt.

Gegen das »pro-domo«-Prinzip:

Die Praktische Theologie ist weder eine Institution noch nur eine Funktion der christlichen Kirche. Vielmehr arbeitet sie unabhängig. Sie beschränkt ihren Gegenstandsbereich also nicht auf Phänomene, die religiöse Institutionen als relevant erklären, sondern hat die Breite kultureller Erscheinungen, vor allem auch die lange Zeit vernachlässigte ästhetische und körperliche Dimension religiösen Erlebens im Blick.

Gegen das pastoraltheologische Primat:

Auch wenn sie z. T. gemeinsame Wurzeln und Themen haben, ist Religionspsychologie nicht gleich Pastoralpsychologie. Vielmehr zeichnet sich die Religionspsychologie dadurch aus, dass sie unabhängig von pastoraltheologischen Ansprüchen und Notwendigkeiten arbeitet (vgl. 5.2).

Gegen das Anwendungsprinzip:

Hier wird davon ausgegangen, dass Praktische Theologie mehr ist als eine Anwendungswissenschaft und mehr will, als bloß Handlungsoptionen für die Praxis bereitzustellen. Verstanden als eigenständige kulturtheoretisch orientierte Disziplin entfaltet sich ihr Potenzial in Bezug auf die Praxis vor allem in hermeneutischer Hinsicht. Sie holt sich von ihren Nachbardisziplinen nicht nur punktuelles Orientierungswissen, sondern richtet ihr Interesse darauf, veritable Ansätze als Ganze zu verstehen und aufzunehmen.

Gegen das Konsum-Prinzip:

Hier wird die Religionspsychologie nicht deshalb rezipiert, um Religion daraufhin zu befragen, wozu sie nützlich ist, z. B. den Gebrauchswert des christlichen Glaubens festzustellen. Vielmehr verstanden als Grunddimension menschlichen Daseins wird davon ausgegangen, dass z. B. auch ein Mensch, der von sich sagt, Religion mache für ihn keinen Sinn und helfe ihm auch nicht weiter, trotzdem ein religiöser Mensch sein kann.

Religionspsychologie theoretisch verstanden zu haben, heißt noch nicht, damit auch praktisch etwas anfangen zu können. Deshalb wird in diesem Kompendium anhand einiger Themen exemplarisch vorgeführt, wie religionspsychologische Wahrnehmungseinstellung in der Praktischen Theologie zur kirchlichen, schulischen, kulturellen und gesellschaftlichen Bildungsverantwortung beitragen kann (vgl. 5.3).

1.2.2  Bildungsverständnis

Voraussetzung: Als fachfremde Disziplin wird Religionspsychologie hier im offenen Referenzrahmen einer Praktischen Theologie als inter- und transdisziplinär sensibler und theologisch ausgewiesener Lebenswissenschaft rezipiert. »Offen« bedeutet zweierlei:

Multioptional, perspektivisch flexibel:

Selbstverständlich greift sie auch auf Theoriekonzepte von Nachbardisziplinen zurück, wenn diese einen Beitrag zum näheren Verstehen von Identitätsbildungs- bzw. Subjektwerdungsprozessen leisten, wie es aus dem theologischen Theoriefundus nicht zu erheben ist. Religionspsychologische Themen, Fragen und Herausforderungen werden in Beziehung gesetzt zu einer Praktischen Theologie, die sich im Verbund mit anderen Human- und Geisteswissenschaften multioptional versteht: als Kunstlehre, als Lehre im Licht kirchlicher Verkündigung und der Kommunikation des Evangeliums, als empirisch fundierte gesellschaftsbezogene Krisenwissenschaft sowie als hermeneutisch und ästhetisch ausgerichtete Wahrnehmungswissenschaft. Der permanente Perspektivenwechsel ist somit konstitutiv.

Zukunftsorientiert, experimentell, traditionskritisch:

Sie wagt den Blick in die einstweilen unabsehbare Zukunft, geht mit den Impulsen aus der Religionspsychologie durchaus auch experimentell und spekulativ um, mit der Bereitschaft, praktisch-theologische Selbstverständlichkeiten kritisch zu hinterfragen und ggf. auch zu revidieren.

Durch stetes Pendeln der Wahrnehmung zwischen innen und außen, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und unterschiedlichen Perspektiven ereignet sich das kreative Zusammenspiel von Tradition und Innovation, retrospektiven und prospektiven Aspekten, Ich und Anderem als Voraussetzung von Bildung. In ihr kann das Notwendige als ein zuvor nicht bekanntes und nicht erwartetes oder aus der Verlorenheit wieder auftauchendes und neu an Bedeutung gewinnendes Drittes gefunden werden.

Bildungsziel: Wesentliche Basis aller Identitätskonzepte in der psychoanalytisch orientierten Religionspsychologie ist das Phänomen des dynamischen Unbewussten. Von daher lautet das zentrale Bildungsziel »Selbst-Bewusstwerden« als Voraussetzung für gelingende Lebensführung. Gleichwohl entspricht es psychoanalytischer Erfahrungen und Erkenntnisse, dass ein vollständiges Begreifen und Bewusstmachen dieser innerpsychischen und zwischenmenschlichen Dynamik menschlichem Erkenntnisvermögen entzogen ist. Innere Widerstände und psychische Abwehrmechanismen können der Grund sein, dass Unbewusstes oder Vorbewusstes nicht bewusst wird. Dennoch darf im Wissen um bleibende blinde Flecken und in der Hoffnung, dass die unauflösbare Spannung ausgehalten werden kann, die Auseinandersetzung gewagt werden. Religion ist nicht jenseits dieses Bildungsprozesses zu verstehen, weil sie am Ort des Subjekts ebenso allen Ambivalenzen des Lebendigen ausgesetzt ist.

Abschied vom Negativitätsmodell: Aufgrund des ursprünglichen Selbstverständnisses der Psychoanalyse als medizinischer Disziplin ist psychoanalytisch orientierte Religionspsychologie geneigt, ihr Bildungsverständnis von Defizit-Wahrnehmungen her zu definieren. Demnach fehlt dem Subjekt etwas, weil entweder entwicklungsbedingt noch nicht oder regressionsbedingt nicht mehr gegeben ist, was mit Hilfe der Psychologie wieder-hergestellt werden soll. Dazu gibt es Parallelen in der Theologie, wenn z. B. schöpfungstheologisch mit dem imago-Dei-Begriff ein Bildungsverständnis begründet wird, wonach Bildung als Vorgang der Wiedergewinnung von etwas Gestörtem oder Verlorenem im Gottesverhältnis gedacht werden soll. – Gegen solche Ansätze, in denen entweder um Wahrung des göttlichen Mysteriums oder um wissenschaftlicher Würden willen das Subjekt tendenziell in der Negation festgeschrieben wird, geht das vorliegende Kompendium andere Wege. Bildung ist hier nicht auf Vollständigkeit und Ganzheit aus, sondern erkennt auch dem Brüchigen und Unvollständigen einen Bedeutungswert zu, weil gerade darin ungeahntes kreatives Potenzial schlummern, Ganzheit als abwesende anwesend sein kann. Das vorliegende Bildungsverständnis impliziert also den Aspekt der Hoffnung.

Sehen lernen: Das Kompendium ist themenbezogen aufgebaut. Nicht die Vielzahl an Konzepten, Ansätzen und Methoden wird hier ausgebreitet, was schon aus Platzgründen nicht möglich wäre, aber auch dem hermeneutischen Anliegen nicht entspräche. Vielmehr soll der Aufriss ein Beispiel dafür sein, wie es zur Aneignung der Wahrnehmungseinstellungen kommen kann, die dazu befähigen, sich auf Religionspsychologie zu verstehen. Die Perspektive des Verfassers und seine interpretatorische Identität können und sollen dabei nicht verborgen bleiben, sondern im Gegenteil den Leser/die Leserin zur kritischen Auseinandersetzung und den je eigenen, womöglich anderen Perspektiven und Orientierungen motivieren.

1.2.3  Perspektive des Verfassers

Weil Religiosität, verknüpft mit basalen Bedingungen der Wirklichkeitswahrnehmung, einen hohen Stellenwert für die Identitätsbildung einnehmen kann, und die Religionspsychologie die Aufgabe hat, diese z. T. sehr persönlichen Bereiche zu beleuchten, erscheint ein rein formales, unbeteiligtes Agieren in dieser Disziplin kaum möglich. Gerade auch aus diesem Grund ist festzuhalten: Es gibt keine voraussetzungslose Wissenschaft. Hinter dem eigenen Ansatz kann sich niemand verstecken. Gleichwohl bietet auch ein Höchstmaß an Selbstreflexion, sei es beim konfessionell gebundenen oder beim konfessionslosen Forscher, keinen restlosen Schutz davor, seine Weltanschauung unbewusst auf seine Forschungen zu übertragen.

Damit ist eine basale Problematik wissenschaftlicher Religionspsychologie genannt. Sie resultiert aus dem unlösbaren Zusammenhang von anthropologischen und religionstheoretischen Prämissen und ist mehr oder weniger in jeder religionspsychologischen Theoriebildung wirksam. Auch hier kann dieses Problem nicht einfach neutralisiert werden. Deshalb gilt es, sich so weit wie möglich bewusst zu machen und offen zu legen, was sich im Rezeptionsprozess auch hintergründig abspielt, und bei den verschiedenen Zugängen auch die Probleme zu kennen.

Ein Zugang, der versucht, Religion unabhängig von ihren geschichtlichen und konkreten Erscheinungsformen zu erfassen, hat die Chance, unerwartet neuen Erscheinungen religiösen Erlebens auf die Spur zu kommen. Er neigt aber tendenziell dazu, im Formalen zu verharren oder sich im Ungreifbaren zu verlieren. Der andere Zugang, der mit einem bestimmten religiösen Referenzrahmen verbunden ist, hat die Chance, aus intimer Kenntnis religiöser Betroffenheit und unter klareren Voraussetzungen zu agieren. Er neigt aber tendenziell zur Vermischung von wissenschaftlicher Annäherung mit inhaltlichen religiösen Vorannahmen. Die Aufmerksamkeit für diese Grundproblematik macht den reifen wissenschaftlichen Zugang aus.

Eine permanent mitlaufende Reflexion, die nicht von einem fixen Standort ausgeht, sondern um den Blick einer dynamisch pendelnden Betrachtungsweise bemüht ist, war notwendig, um dieses Kompendium zu verfassen. Es soll durchaus zu sehen sein, dass der Autor seinen christlichen Glauben sowie seine Professionen als Gemeindepfarrer und Theologe nicht ohne solche psychoanalytischen Wahrnehmungshorizonte und Reflexionsmöglichkeiten verstehen kann, wie sie hier jedoch nur in äußerster Kurzform dargelegt werden können. Maßgeblich gebildet und vertieft wurden diese durch langjährige persönliche und wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit der Psychoanalyse in klassischen und neueren Ausprägungen (vgl. Marks 2013, 2015).

1.3  Aufbau des Bandes

Der Band ist Teil eines Kompendiums aus mehreren Bänden. Für ein einheitliches Erscheinungsbild sind je sechs Kapitel vorgesehen, wonach jeder Band thematisch gegliedert sein soll. Dem entspricht der folgende Aufriss:

Im Einleitungsteil wird die Relevanz der Religionspsychologie im Rahmen praktisch-theologischer Fragestellungen aufgezeigt. Dazu gehört eine nähere Bestimmung des Gegenstands, eine Skizze der zentralen Anliegen, Aufgaben, Fragen, Probleme und Theorieansätze mit ihren Zielen und Grenzen. Dazu gehört aber ebenso, die Prämissen des vorliegenden Ansatzes darzulegen, was hier nicht nur das Theorie-Praxis-Verhältnis und das Bildungsverständnis, sondern auch die Perspektive des Autors umfasst.

Der zweite Teil trägt historische Orientierungen vor, die zum Verständnis der gegenwärtigen Themen und Probleme notwendig sind. Bis heute gibt es kein einheitliches Geschichtsbild der Religionspsychologie, weil die beteiligten Disziplinen – v. a. Psychologie, Theologie und Religionswissenschaft – von ihren Prämissen aus bestimmte Entwicklungsphasen unterschiedlich sehen. Hier werden nach jedem Abschnitt die Impulse für die Praktische Theologie und am Ende ihre aktuellen Interessen herausgestellt. Um die Übersichtlichkeit zu erleichtern, sind die Abschnitte nach den Namen der Hauptakteure gegliedert.

Der dritte Teil widmet sich der systematischen Entfaltung und Differenzierung der wesentlichen Aspekte psychoanalytisch fundierter Religionspsychologie. In vier Abschnitten, die aufeinander aufbauen, wird unter Bezugnahme auf klassische und neuere Konzepte exemplarisch gezeigt, wie es zur Aneignung von Wahrnehmungseinstellungen kommen kann, die dazu befähigen, sich auf Religionspsychologie zu verstehen. Dafür sind zunächst die anthropologischen Grundlagen zu entfalten, bevor deutlich werden kann, wie der psychische Vorgang in der Religion am Ort des Subjekts und seinen Beziehungen zu erfassen ist. Auch neue, bisher in der Religionspsychologie noch nicht reflektierte, interdisziplinär bedeutsame Wege werden mit einbezogen sowie Impulse aus der aktuellen Spiritualitätsforschung kritisch beleuchtet und weitergeführt. Auch der vierte Abschnitt unterstreicht das Profil des vorliegenden Ansatzes, indem die Ambivalenzen des Religiösen im lebenslangen Subjektwerdungsprozess durch Einsicht in die zwielichtige Dynamik von Abhängigkeit und den Gebrauch des Krankheitsbegriffs im Kontext mit Religion/Religiosität erklärt werden.

Der vierte Teil stellt kurz die in der Psychologie vorherrschende empirische Arbeitsweise der Religionspsychologie vor. Die Verfahren quantitativer und qualitativer Methoden mit ihrem Anspruch, Religion/Religiosität messen bzw. ihre Existenz durch Objektivierung beweisen zu können, fordern kritische Anfragen seitens der Praktischen Theologie heraus.

Im fünften Teil soll die bearbeitete Disziplin enzyklopädisch im Ganzen der Praktischen Theologie verortet werden. Dazu ist zunächst zu klären, in welcher Beziehung die Religionspsychologie zur Praktischen Theologie steht, ob sie als eine Fremd- oder als eine Teildisziplin von ihr gesehen wird. Anschließend wird an den Beispielen Gottesdienst, Seelsorge, Predigt, Kasualien, Religionspädagogik, Diakonie und Pfarrberuf aufgezeigt, inwiefern eine religionspsychologische Wahrnehmungseinstellung die Arbeit in der Praktischen Theologie bereichern kann. Als Ausdruck der praxisbezogenen Intention des Kompendiums werden schließlich einige Themen, die in der Wahrnehmung praktisch-theologischer Bildungsverantwortung relevant sind, als ausgearbeitete Beispiele vorgestellt.

Die Literaturliste umfasst neben den zitierten Schriften weitere ausgewählte, religionspsychologisch relevante Literatur sowie themenbezogene Empfehlungen zur Weiterarbeit. Ein Index hilft bei der Suche nach bestimmten Themen und Aspekten.