Johannes
Dieterich, Hg.

TONY
RINAUDO
– DER –
WALDMACHER


Vorwort | Anne Rüffer


Einleitung | Johannes Dieterich

»Ist das nicht Tony?« | Johannes Dieterich

Die Entdeckung des unterirdischen Waldes |
Tony Rinaudo

Hoffnung für Trockengebiete: »Farmer Managed Natural
Regeneration« ist die richtige Antwort auf die
ruinöse Landdegeneration | Dennis Garrity

»Vertrauen wäre zumindest mal ein Anfang« | Interview
mit Günter Nooke

Epilog | Tony Rinaudo


Anhang

Bibliografie

Bildnachweis

Biografien der Autoren

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Vorwort

Anne Rüffer, Verlegerin


2. Dezember 2015, Genf. Im voll besetzten »Auditorium Ivan Pictet« hat sich ein hochrangiges Publikum versammelt, um die aktuellen Preisträger des Alternativen Nobelpreises zu ehren. Selten stimmt die Adresse eines Ortes so unmissverständlich mit den Inhalten der Veranstaltung überein wie an diesem Abend: »Maison de la Paix«. Deutschlands Umweltministerin Barbara Hendriks und UN-Generaldirektor Michael Møller eröffnen den Anlass, der unter dem Titel steht: »On the Frontlines and in the Courtrooms: Forging Human Security.«

In der darauf folgenden Diskussion der vier Preisträger von 2015 fällt auf einmal die Aussage, die mich elektrisiert: »Die UN wurde nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet, um nachfolgende Generationen vor der Geisel des Kriegs zu bewahren. Seither hat es über 170 Konflikte gegeben – und ihr habt die Möglichkeit einer Abschaffung von Kriegen nie diskutiert? Come on, guys, das ist doch unglaublich!« Verlegenes Gelächter und ungläubiges Staunen im Publikum, doch Dr. Gino Strada, Gründer der internationalen Hilfsorganisation »Emergency« weiß nur zu gut, wovon er spricht: Seit den frühen 1990er-Jahren baut er Kliniken in Kriegsregionen und kümmert sich um die zivilen Opfer – 10% sind Kämpfer der verschiedenen Kriegsparteien, 90% Zivilisten. Er beendete sein Statement mit der Feststellung: »Nennt mich ruhig einen Utopisten, denn alles ist eine Utopie, bis jemand seine Idee in die Tat umsetzt.«

Einer der wohl meistzitierten Sätze der letzten Jahrzehnte lautet: »I have a dream.« Nicht nur Martin Luther King hatte einen Traum – viele Menschen träumen von einer gerechteren Welt für alle. Und es sind einige darunter – mehr als wir wissen und noch lange nicht genug –, die ihren Traum mit Engagement, Herz und Verstand realisieren. Es sind Pioniere in ihren Bereichen, man mag sie – wie Gino Strada, Martin Luther King, Mutter Teresa oder Jody Williams – durchaus Utopisten nennen. Doch: Jede große Errungenschaft begann mit einer Idee, einer Hoffnung, einer Vision.

Den Funken einer Idee, einer Hoffnung, einer Vision weiterzutragen und damit ein Feuer des persönlichen Engagements zu entzünden, das ist die Absicht, die wir mit unserer neuen Reihe – wir nennen sie »rüffer&rub visionär« – verfolgen. Im Mittelpunkt steht die persönliche Auseinandersetzung der Autoren mit ihrem jeweiligen Thema. In packenden Worten berichten sie, wie sie auf die wissenschaftliche, kulturelle oder gesellschaftliche Frage aufmerksam geworden sind, und was sie dazu veranlasste, sich der Suche nach fundierten Antworten und nachhaltigen Lösungen zu verpflichten. Es sind engagierte Texte, die darlegen, was es heißt, eine persönliche Verpflichtung zu entwickeln und zu leben. Ob es sich um politische, gesellschaftliche, wissenschaftliche oder spirituelle Visionen handelt – allen Autoren gemeinsam ist die Sehnsucht nach einer besseren Welt und die Bereitschaft, sich mit aller Kraft dafür zu engagieren.

So vielfältig ihre Themen und Aktivitäten auch sein mögen – ihr Handeln geschieht aus der tiefen Überzeugung, dass eine bessere Zukunft auf einem gesunden Planeten für alle möglich ist. Und: Wir sind davon überzeugt, dass jeder von uns durch eigenes Handeln ein Teil der Lösung werden kann.

Einleitung

Johannes Dieterich


Bis zu 700 Millionen Menschen werden in den nächsten drei Jahrzehnten womöglich ihre Heimat verlassen müssen, weil die Landschaften, in denen sie leben, zunehmend veröden. Das ist kein Kassandraruf eines Aufmerksamkeit erheischenden Untergangspropheten, sondern die Prognose von mehr als hundert Wissenschaftlern, die sich im März 2018 in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá trafen. In ihrem Bericht schreiben die in der Bonner »Zwischenstaatlichen Plattform für Biodiversität« vereinten Experten, dass Klimawandel und Landzerstörung in großen Teilen der Welt die landwirtschaftlichen Erträge bis zum Jahr 2050 zu halbieren drohten: Als Folge sei mit sozialer Destabilisierung und gewalttätigen Konflikten um knapper werdende Ressourcen zu rechnen.

Zugegeben: Das erschreckende Szenario hat auch mich kalt erwischt – selbst nach mehr als 20 Afrika-Jahren war mir das Ausmaß der Verödung der Acker- und Weideflächen auf dem Kontinent nicht bewusst. Dass ich Tony Rinaudo im März 2016 zum ersten Mal begegnete, war keiner Jagd auf Apokalyptisches, sondern meiner Suche nach einer »positiven Geschichte« aus Afrika zuzuschreiben, die von meinen Heimatredaktionen in Deutschland immer häufiger angefordert werden: Angesichts des Elends in anderen Teilen der Welt will man aus dem bisherigen Kontinent der Kriege, Krankheiten und Katastrophen inzwischen lieber Mut-Machendes hören. Rinaudo erfülle die in ihn gesetzten Erwartungen glänzend: Der Waldmacher stellte sich als Hoffnungsmacher heraus.

Aus seiner Geschichte könnte man ohne Weiteres ein Heldenepos stricken: vom aufopferungsvollen Missionar, der erfolgreich gegen die Verödung ganzer Landstriche ankämpft. Ihm selbst hätte man damit allerdings keinen Gefallen getan: Denn Tony Rinaudo will sich nicht verherrlicht sehen, er will sich vielmehr überflüssig machen. Erst wenn aus seiner Idee eine »Bewegung« geworden ist, sieht sich der Agronom am Ziel seiner Anstrengungen angelangt: Wenn Millionen von Menschen von sich aus dem Abholzen der Bäume auf ihren Feldern ein Ende setzen und zu einer integrierten Landwirtschaft zurückkehren. Dass dieser Paradigmenwechsel ohne großen Aufwand möglich ist, ist das Faszinierendste an Rinaudos Entdeckung: Um die verödeten Landschaften wieder zum Blühen zu bringen, sind weder große Mengen an Geld noch übergebührliche Anstrengungen nötig.

Mit Tony Rinaudo unterwegs gewesen zu sein gehört zu den eindrücklichsten Erfahrungen meiner Reisen auf dem Kontinent: Selten habe ich einen hellhäutigen Menschen erlebt, der mit der afrikanischen Bevölkerung dermaßen »in tune« ist. Dem Agronom ist Besserwisserei ebenso fremd wie Zynismus – oder die Ursünde des weißen Helferheeres, der Paternalismus. Tony leidet mit einem Kleinfarmer, wenn dessen Ziege stirbt, und freut sich mit ihm, wenn sein Sahel-Apfelbaum die ersten Früchte trägt. Und das alles auf Hausa, der Verkehrssprache Westafrikas, die der Australier nach dem wohlwollenden Urteil seiner Gegenüber wie »ein Esel aus Kano« spricht.

Rinaudo und seine Methode der Farmer Managed Natural Regeneration (FMNR) stehen im Zentrum dieses Buches. In der einführenden Reportage berichte ich von Reisen mit dem »Waldmacher« nach Äthiopien, Somaliland und in den Niger, wo Rinaudo vor fast 35 Jahren den »unterirdischen Wald« entdeckte. Er selbst erzählt dann, wie er die FMNR-Methode entwickelt und den Farmern ihre Vorzüge aufgezeigt hat. Der Agronom Dennis Garrity erläutert in seinem Beitrag die wissenschaftlichen Fakten zu FMNR. Und Günter Nooke, Afrikabeauftragter der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, trägt schließlich im Gespräch eine politische Einschätzung der Arbeit des Waldmachers bei.

Nach Auffassung der in Bogotá versammelten Wissenschaftler gibt es im Zusammenhang mit der rasenden Verödung eigentlich nur eine Hoffnung: Dass die einheimischen Farmer für ein »nachhaltiges Landmanagement« gewonnen werden. Mit FMNR will Tony Rinaudo die geeignete Methode dafür gefunden haben – gerade noch rechtzeitig, um die Zerstörung unserer Lebensgrundlage aufhalten oder sogar rückgängig machen zu können. Während der einstige Missionar seine Entdeckung selbst als religiöse Offenbarung erlebt hat, kommt einem Agnostiker das Diktum des deutschen Romantikers Friedrich Hölderlin in den Sinn: »Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.«