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STERNENTIGER

Band 4

 

STAHLFESTUNG
EDELWEISS

 

von

HORST HOFFMANN

IMPRESSUM

STERNENTIGER

Herausgeber: ROMANTRUHE-Buchversand.

Cover: Romantruhe.

Satz und Konvertierung:

ROMANTRUHE-BUCHVERSAND.

© 2015 Romantruhe.

Alle Rechte vorbehalten.

Die Personen und Begebenheiten der

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Was bisher geschah:

 

Im Frühjahr 1945 entdeckt das Geheime Geheimwissenschaftskommando des Reichs das Geheimnis der Zeitreise und bringt von einem Vorstoß in die Zukunft die Unterlagen zum Bau eines Raumschiffs sowie von Klonfabriken mit. Der Führer lässt in aller Eile den Fluchtkreuzer WELTRAUMSTURM bauen und begibt sich mit seinen letzten Getreuen auf den »vorläufigen taktischen Rückzug«, wobei sie Klonduplikate von sich zurücklassen, um die anrückenden Feinde zu täuschen.

Nach 65 Jahren Tiefschlaf landet der WELTRAUMSTURM auf dem erdähnlichen Planeten Neu-Germanien, wobei leider alle kosmischen Daten der Erdheimat verloren gehen. Erst fünf Jahre später, genau auf den 125. Geburtstag des Führers am 20. April 2014, wird eine TV-Sendung von der Erde empfangen, offenbar eine Übertragung aus einer Irrenanstalt mitten im australischen Dschungel. Der Führer erleidet einen heftigen Tobsuchtsanfall, von dem er sich nicht mehr erholt. Auf seinem Sterbelager beauftragt er seinen Vertrauten, Generaloberst Julius Eberhard Konradin Strammer, die Erdheimat wiederzufinden, vom Joch der Verräter und – vor allem bolschewistischen - Feinde zu befreien und das Reich neu zu errichten.

Am 2.8.2014 bricht der Sternengeneraloberst, wie er sich nun nennt, mit dem mächtigen Raumschiff STERNENTIGER auf, die Erdheimat im Sternengewimmel der Galaxie zu finden und den Auftrag des Führers auszuführen – keine leichte Aufgabe, denn dessen verheerenden Tobsuchtsanfall fielen die gerade erst neu gewonnenen kosmischen Daten der Erdheimat erneut zum Opfer. Eher als geglaubt scheint man fündig zu werden, doch das Sonnensystem, das dem eigenen gleicht wie ein kosmisches Ei dem anderen, erweist sich als Trugwerk einer sterbenden Rasse, deren Sonne von jenen roten Kugelraumern zur Nova gezündet wurde, die, neben den Wracks grüner Ringraumschiffe, fast auf jeder Station der Suche angetroffen werden.

Die Ignasuur, wie sich die Fremden nennen, sind in der Lage, aus den Gedanken anderer Wesen deren geheimste Wünsche zu lesen und ihnen genau das suggestiv vorzugaukeln, um sie zu sich zu locken und ihnen den Lebenssaft zu rauben. Strammer und seine Männer gehen in ihre gemeine Falle und können in letzter Sekunde durch den »Verrat« des ignasuurschen »Orakels« dem grausamen Tod durch Auszehren entgehen.

Strammer setzt mit dem STERNENTIGER und dem übergelaufenen Orakel die Suche fort, wobei der Sternengeneraloberst bereits von einer »Mutantenwaffe« träumt, so wie er sie aus den ebenfalls aus der Zukunft mitgebrachten Heftchenromanen kennt, die der Führer mit großer Begeisterung verschlang. Im Sonnensystem AH-0002 wird der STERNENTIGER dann erstmals mit den roten Kugelraumschiffen konfrontiert und es stellt sich heraus, dass es sich um die »Friedenstruppen« des bolschewistischen Erzfeindes handelt. Wie es scheint, hat auch Stalin eine Zeitmaschine bauen lassen und nach dem feigen Sieg über das Reich Flotte um Flotte aus dem Boden gestampft, um die unterdrückten und ausgebeuteten Völker des Weltalls im Salventakt ihrer Strahlenkanonen zu befreien.

Einem von Strammer selbst angeführten Kommando gelingt es zwar nicht mehr, die gestaltwandlerischen Grr-Pff als dominierende Rasse des von ihnen »Schmalz« genannten Planeten vor der restlosen Befreiung zu retten, doch gelingt es, einen hohen Offizier der elenden Bolschewisten gefangen zu nehmen und unter der Wodkafolter zum Reden zu bringen. Strammer erlangt wertvolle Aufschlüsse über den Feind, seine Hoffnung, die kosmische Position der Erdheimat zu erfahren, erfüllt sich allerdings nicht. Unbeantwortet bleibt auch die Frage nach der mysteriösen ACHT, offenbar eine uralte Macht, die an vielen Orten ihre rätselhaften Spuren hinterlassen hat.

Und so geht die Suche weiter, Satz um Satz und von Sonnensystem zu Sonnensystem. Bis der STERNENTIGER mitten in eine Raumschlacht zwischen den roten Kugeln und den geheimnisvollen grünen Ringraumern gerät. Sternengeneraloberst Strammer erkennt die sich ihm hier bietende Chance, Verbündete im Kampf gegen die »Roten« zu finden und eine eigene Machtbasis aufzubauen. Es kommt zu einem erbitterten Kampf um die letzte Rückzugsbasis des Interstellaren Finanzrats, in dessen Verlauf und durch Einsatz der Ersten Geheimen Mutantenwaffe der Hohe Finanzrat gerettet und auf den STERNENTIGER gebracht werden kann. Strammer erhofft sich von ihm die erforderlichen Geldmittel zum Bau der STAHLFESTUNG EDELWEISS.

Das erste Kapitel:

ALARM IM MORGENGRAUEN

 

»Ich … habe eine Vision …«

Sternengeneraloberst Julius Eberhard Konradin Strammer zuckte so heftig zusammen, dass sein Persönlicher Adjutant, Sternenmajor Hermann Mühlenmeister, nicht rechtzeitig mit dem Rasiermesser ausweichen konnte und seinem Vorgesetzten einen tiefen Schnitt in die rechte Wange zufügte. Auch er war bei der täglichen Rasur in der Offizierswaschanstalt so sehr in die martialischen Klänge des Radetzkymarschs, von »Preußens Gloria« und der »Alten Kameraden« versunken gewesen, dass er das Heranschwappen des Orakels nicht bemerkt hatte.

Vor lauter Schreck zuckte Mühlenmeister ebenfalls zusammen und hätte mit dem frisch gewetzten Messer um ein Haar auch noch Strammers linken Nasenflügel verletzt. Er bereitete sich schon auf das unweigerlich auf ihn zukommende Donnerwetter vor, doch zu seiner grenzenlosen Erleichterung schien Strammer die Wunde gar nicht zu spüren. Seine Augen waren starr auf das Orakel gerichtet, jenes letzte überlebende Wesen aus dem Volk der Ignasuur, das rein äußerlich einem Mehl- oder Kartoffelsack glich. Darin war man sich noch immer nicht einig geworden, was vielleicht auch daran lag, dass das Orakel seine Körpergröße von etwa zwei bis etwa drei Meter variieren konnte, je nachdem, in welcher Stimmung es sich gerade befand.

»Du … hattest eine Vision«, schnaufte Strammer und verzichtete darauf, das Wörtchen »hattest« eigens durch Betonung hervorzuheben. Es war sinnlos, das Orakel über die grammatikalischen Feinheiten der deutschen Sprache belehren zu wollen. »Du hast wieder die Erdheimat gesehen. Beim letzten Mal wären wir um ein Haar in einem Schwarzen Loch gelandet, davor war es ein Sonnensystem mit acht Planeten und acht achteckigen Kontinenten auf der angeblichen Heimat. Noch davor haben einige gewisse Ignasuur uns durch hinterhältige Täuschung glauben gemacht, wir hätten die Erdheimat gefunden mit blonden Mädels, einer Marschkapelle, einem …«

»Ich sehe keine Sonne und keine Planeten«, unterbrach ihn das Orakel keck. »Ich sehe …«

Mühlenmeister tupfte vorsichtig das Blut von der Wange des Kommandanten, das sich mit dem schneeweißen Rasierschaum zu einer Art moderner, entarteter Kunst zu vermischen trachtete. Strammer merkte seltsamerweise immer noch nichts. Er schien die allmorgendlichen Auftritte des angeberischen Ignasuur immer noch ernst zu nehmen – vielleicht auch nur, um sich darüber aufzuregen.

»Lass mich raten«, knurrte Strammer. »Du siehst … sahst … eine Raumschlacht!«

»Nein«, sagte das Orakel. »Auch keine Raumschlacht.«

Mühlenmeister war der Verzweiflung nahe, denn das Bluten aus der Wange wollte und wollte nicht aufhören. Er tupfte sie abermals trocken und rührte mit dem Rasierpinsel neuen Rasierschaum an, trug ihn besonders dick auf und hoffte, dass er die Verletzung stopfte. Dabei entstand wieder ein Muster, das ihn zu faszinieren begann. Es sah aus wie eine Spirale.

»Keine Erdheimat, keine Raumschlacht«, schnauzte Strammer, ohne ein einziges Mal »Au!« gesagt zu haben. Er machte eine abweisende Handbewegung. Dann kannst du wegtreten, ich habe …«

»Ich sah … eine Flotte.«

Mühlenmeister sah, wie Strammers Adamsapfel zum Zeichen eines heftigen Schluckens ruckte. »Eine Flotte.«

»Eine Flotte«, bekräftigte das Orakel. Mühlenmeister versuchte sich vorzustellen, wie es wohl ausgesehen hätte, wenn es so etwas wie einen Kopf besessen und damit genickt hätte. »Eine riesige Flotte von waffenstarrenden Kampfschiffen, die …«

»Es ist gut!«, sagte Strammer. »In jedem zweiten von uns inspizierten Sonnensystem haben wir sie gesehen, die roten Terrorkugeln des elenden Bolschewistenpacks.«

»Ich sah keine roten Kugeln«, sagte das Orakel. »Ich sah … andere Schiffe. Große und stolze Schiffe, und ihre Farbe war nicht rot wie Blut, sondern grau wie Stahl. Grau wie unser Schiff, Herr Sternengeneraloberst. Und ihre Form …«

Mühlenmeister spürte, wie sich die Haltung seines Kommandanten schlagartig versteifte. Inzwischen begann er sich Sorgen zu machen. Auch wenn sich Strammer noch so auf den Mehl- oder Kartoffelsack mit den hellseherischen Fähigkeiten konzentrierte – irgendwann musste er doch merken, dass er an der Wange blutete wie ein angestochenes Schwein. Konnte es vielleicht sein, dass er an einer Empfindungsstörung litt? Er wusste, dass der Schiffsoberarzt, Sternengeheimrat Dr. Friedhelm Mertens, an einer Studie über die abnehmende Schmerzempfindlichkeit gefangener Bolschewisten unter dem Einfluss von Wodkaverhören arbeitete. Er war auch selbst Zeuge gewesen, als Strammer mit Igor-1 und Pjotr-3 einige solcher Verhöre persönlich geleitet hatte. Konnte es vielleicht sein, dass er …

»Ihre Form?«, sagte Strammer gefährlich leise und seine Augen verengten sich zu gespannten, bis ins Innere der Pupillen lauernden Schlitzen. »Wie ist ihre Form?«

»Hmmm«, machte das Orakel. »Also dazu müsste ich …«

Strammer seufzte und winkte es zu sich, wobei er zum Glück den Kopf nicht bewegte. Dann flüsterte er dem Seher der Ersten Geheimen Mutantenwaffe etwas in eine der rosa Sinneszellen, bis das Orakel am ganzen Sack die Farbe wechselte. »Wirklich?«

»Wirklich!«, sagte Strammer. Er merkte immer noch nichts und das war nun wirklich und wahrhaftig nicht mehr normal!

Das Orakel machte einen Schwapp zurück und gab einen Laut von sich, der sich für einen anständigen Menschen höchst unanständig anhörte, aber es musste wohl einem menschlichen Seufzen entsprechen.

»Die gewaltigen Raumschiffe, die ich in meiner Vision sehe …«

»Gesehen habe!«, versuchte Strammer mit letzter Verzweiflung, ihm anständige Grammatik beizubringen. Mühlenmeister nahm all seinen Mut zusammen und tupfte ihm von hinten mit dem Rasierpinsel auf die Nase – er zeigte keinerlei Reaktion!

»Sie sehen aus wie Panzerfäuste mit Flossen«, verkündete das Orakel fast feierlich.

Strammer schien wie erstarrt. Mühlenmeister gab ihm mit dem Schaft des Rasierpinsels einen leichten Schlag auf den Kopf. Nichts. Das war nun tatsächlich nicht mehr normal. Mühlenmeister dachte schon daran, mit seinem neuen mobilen Telefonapparat Sternengeheimrat Mertens zu alarmieren, als er sich mit der rechten Hand an der bewussten Stelle zu kratzen begann – ein erstes Lebenszeichen!

»Du meinst«, sagte Strammer und schluckte abermals tief. »Etwa so wie … der STERNENTIGER?«

Das Orakel rülpste zum Zeichen der Bestätigung.

»Und ihre Hoheitsabzeichen?«, fragte Strammer. Mühlenmeister hörte nur mit halber Aufmerksamkeit hin. Viel wichtiger war, ob sein Vorgesetzter auf weitere Reizungen reagierte. Er rührte neuen Rasierschaum an und wischte ihn ihm in die Nasenlöcher. Strammer nieste heftig, ein weiteres Zeichen seiner intakten Sinneswahrnehmung. Zu denken gab seinem Persönlichen Adjutanten allerdings, dass er nicht zu ihm herumfuhr und ihn anschnauzte: »Pass doch auf, du Trottel!«

Aber vor anderen Besatzungsmitgliedern duzte er ihn ja nicht. Da spielte er voll die Respektsperson und hasste es, wenn Mühlenmeister ihn mit »Julius« oder gar »Juli« ansprach, das durfte nur das Bordrechengehirn EVA, das sich eigentlich jeden Moment melden musste. Mühlenmeister liebte es, wenn er etwas tun konnte, das sein eitler Gockel von Vorgesetzter hasste. Er hatte einen diebischen Spaß daran, ihn mit seinem minzgrünen Nagellack und seinen sonstigen minzgrünen Sachen auf die Palme zu bringen, wie zum Beispiel nach der postwendenden Absetzung als Kommandant der Mutantenwaffe. Da hatte er es allerdings ein klein wenig zu sehr auf die Spitze getrieben und Strammers geballten Zorn zu spüren bekommen.

Mühlenmeister konnte ein Kichern kaum unterdrücken, als er an minzgrünen Rasierschaum dachte.

In seinen Gedanken konnte er als Erster Gedankenleser der Ersten Geheimen Mutantenwaffe auch nichts sehen, geschweige denn lesen, was Strammers ausbleibende Reaktion zu erklären vermochte. Sein Gehirn schien ausgefüllt von Bildern riesiger Raumflotten von Kampfschiffen, die dem STERNENTIGER glichen wie eine Panzerfaust der anderen. Vielleicht musste er einfach tiefer in sein Unterbewusstsein eindringen, doch dazu brauchte er Justus, Strammers – wie er meinte – treuen Dackelpinscher, der nicht nur seine gedankenleserlichen Kräfte verstärkte, sondern darüber hinaus …

Aber das gehörte erstens nicht hierher und war zweitens kein Thema, weil Justus seit drei Tagen und 13 Stunden mit einer rätselhaften Magenerkrankung das Körbchen hüten musste.

»Meiner Treu!«, sagte sein Vorgesetzter jetzt. »Potz Blitz und Donner und Doria!« Mühlenmeister hatte, in seine Gedanken versunken, fast überhört, wie ihm das Orakel die Frage nach dem Hoheitsabzeichen beantwortete. Die Schiffe trugen wahrhaftig das gleiche wie der STERNENTIGER – ein schwarzes Kreuz auf weißem Grund mit den abgerundeten Haken!

»Haben Sie das gehört, Sternenmajor Mühlenmeister?«, fragte Strammer und drehte den Kopf zu ihm um, bevor der Adjutant und Privatbarbier den Rasierpinsel zurückziehen konnte. Der Sternengeneraloberst seifte sich selbst von den Augen bis hinab zum Mund ein, schnaubte und spuckte den Schaum quer durch die Kabine und brüllte los: »Passen Sie doch auf, Sie Trottel!«

Mühlenmeister registrierte voller Erleichterung, dass sein Vorgesetzter offenbar wieder bei Sinnen war. Als im nächsten Moment die Adleruhr die volle neunte Stunde schmetterte und sich EVAs weibliche Stimme mit dem dezenten Hinweis meldete, dass der Dienst im Kommandokopf des STERNENTIGERS soeben eigentlich begonnen hätte, war die Welt endgültig wieder in Ordnung.

Jedenfalls fast. Sternengeneraloberst Julius Eberhard Konradin Strammer wuchtete sich aus seinem Rasierstuhl hoch, griff nach einem Handtuch, wischte sich den Schaum aus dem erst halb rasierten Gesicht und starrte entgeistert auf den großen roten Flecken darauf.

»Sternenmajor Mühlenmeister«, sagte er sehr leise und langsam, »was bitteschön ist das?«

»Melde gehorsamst: Ihr Blut, Herr Sternengeneraloberst!«, sagte Mühlenmeister und knallte so fest die Stiefelhacken zusammen, dass er um ein Haar aus dem Gleichgewicht geriet. Im letzten Moment konnte er sich am Rasierstuhl festhalten.

Strammer fuhr sich mit der Hand über die Wange, starrte auf seine Finger, die von der Mischung des restlichen Rasierschaums mit dem eigenen Heldenblut in zartem Rosa schimmerten, und hätte vielleicht etwas sehr Unüberlegtes getan, wenn nicht in just diesem Augenblick die Alarmsirenen losgeheult hätten.

 

*

 

(Vorbemerkung: Die Namen der im Folgenden handelnden Personen sind weder für menschliche Zungen auszusprechen noch in menschlichen Schriftzeichen auch nur halbwegs korrekt wiederzugeben. Sie werden daher durch die Namen menschlicher Mimen ersetzt, die den Charakter sowie das allgemeine und spezielle Gehabe der Raumpiraten so gut wie eben nur möglich wiedergeben.)

Blutkapitän Oliver H. sah nicht unbedingt aus wie ein Raumpirat, aber er war einer. Genauer gesagt war Oliver H., vor allem wenn er selbst von seinen Untaten berichtete, der meistgesuchte, meistgefürchtete, meistgehasste und meistberüchtigte Raumpirat zwischen Sirius und Beteigeuze, von Alpha Centauri ganz zu schweigen. Wenn man ganz genau war, war Oliver H. noch gesuchter, gefürchteter, gehasster und berüchtigte als Errol F., dem vor mehr als hundert Jahren gelungen war, sieben Mal in Folge sein eigenes Kopfgeld zu kassieren. Dabei hielt sich in der Galaxie noch immer hartnäckig das Gerücht, dass Errol F. seine eigene Hinrichtung auf Wega VII selbst inszeniert und die Übertragungsrechte über dunkle Kanäle abkassiert hatte und immer noch in einem geheimen Versteck lebte und dort, verwöhnt von willigen und wunderschönen Eingeborenensklavinnen, in aller Ruhe sein Comeback vorbereitete.

Oliver H. besaß annähernd menschliche Gestalt, auch wenn ihm die Vorliebe für gutes Essen und reichlich Wein anzusehen war. Er maß stolze 1,76 Meter in der Höhe, 1,21 Meter in den Schultern und 1,43 Meter in der Körpermitte, und wehe dem Einfaltspinsel, der sich nach diesen rein äußerlichen Maßen ein falsches Urteil über ihn bildete. Oliver H. war ein Bündel aus reiner Korsarenenergie und jeder noch so fatalen Situation gewachsen. Es hieß, dass selbst die Sterne vor ihm zu zittern begannen, wenn er mit seiner Raubflotte auch nur in ihre Nähe geriet.

Blutmaat Stan L., seine rechte Hand und Berater, war hingegen mit seinen 1,56 Metern Höhe, 76 Zentimetern Schulterbreite und 67 Zentimetern Hüftumfang von eher schmächtiger Gestalt. Sein Kopf war halb so breit wie der von H., dafür aber leicht beschuppter, denn wie sein Kapitän und 99,67 Prozent ihrer Korsarenmeute entstammte er einem aus Zauneidechsen hervorgegangenen Volk, das nie auf den Einfall gekommen war, sich einen eigenen Namen zu geben. Sie waren schon Raumpiraten gewesen, ehe ihre fernen Vorfahren daran gedacht hatten, ihre Höhlen zu verlassen und sich den Heimatplaneten mit Enterhaken und Krummsäbeln zu unterwerfen.

Blutkapitän Oliver H. befehligte eine Piratenflotte von inzwischen nur noch siebzehn Schiffen, von denen kaum eines dem anderen glich. Von Walzen bis Kugeln oder gar Doppelkugeln war so ziemlich alles vertreten, was die galaktischen Völker jemals gebaut hatten. Es waren einst stolze Schiffe gewesen, ihre Kanonen und ihre schwarzen Flaggen gefürchtet, doch diese goldenen Zeiten waren vorbei, seitdem die roten Kugeln der verhassten Interstellaren Solidarität die Sterne geradezu überschwemmt und mit ihren Strahlenkanonen alles befreit hatten, was sich bisher hatte frei fühlen dürfen. Anfangs hatte es noch blutige Schlachten mit ihnen gegeben, doch nachdem System für System von ihnen befriedet worden war, blieb den stolzen Piraten unter Oliver H. nur noch der freie Raum zwischen den Sternen, um darauf zu hoffen, einsame Schiffe der noch nicht befreiten Völker aufzuspüren und ihrerseits von ihrer Ladung zu befreien.

Es war der 237. Tag seit dem letzten lohnenden Überfall auf einen Treck voll mit Edelkupfer beladener Korkenzieherschiffe, als endlich und unerwartet die Orter der KEIN ERBARMEN, des stolzen Flaggschiffs der Piratenflotte mit der einst klassischen Diskusform ausschlugen. Es war schwarz wie das All selbst, nur beim Überfall leuchtete in grellem Weiß der Totenkopf quer über die gesamte Fläche von eindrucksvollen 327 Metern im Durchmesser.

»Du, Olli«, sagte Stan L. und kniff seine kleinen Augen zusammen. »Ich glaube, unsere Orter haben da gerade ausgeschlagen.«

Oliver H. tat einen tiefen Seufzer, blickte wie um Hilfe bittend zur Decke der Kommandozentrale und sagte gepresst: »Ich habe es gesehen, Stanley.«

Stan L. blinzelte und fragte: »Und was machen wir jetzt, Olli?«

Oliver H. schickte einen weiteren Blick zur Decke und hätte die starren Echsenaugen fest zusammengekniffen, hätte man Echsenaugen zusammenkneifen können. »Was bist du nur für ein Dummkopf, Stanley. Natürlich greifen wir an und reißen uns die Beute unter den Nagel!«

Stan L. schien angestrengt nachzudenken und zu einem Schluss zu kommen. »Und wenn sie gar keine Beute an Bord haben, Olli? So ein Schiff haben wir ja hier noch niemals gesehen. Guck mal, es ist ganz grau und fliegt ganz langsam, also wenn es fette Schätze an Bord hätte, würde es doch nicht so langsam fliegen, oder was meinst du?«

Der Blutkapitän schloss kurz die Augen, zählte bei sich bis Drei und sah sich um. Außer ihnen befand sich nur Finlayson im Kommandostand, der mit seinen kleinen Bauklötzen bereits eine Strategie entwickelte. »Aber es ist riesengroß, Stanley. Es ist zehn Kilometer lang. Keine Mannschaft der Galaxie braucht so viel Platz für sich allein, also besteht das Schiff mindestens zu vier Fünfteln aus Lager- und Stauraum. Und was, glaubst du wohl, ist in diesem Lager- und Stauraum verstaut und gelagert?«

Stan L. blinzelte und kratzte sich nachdenklich am Kinn. »Du meinst … Silber und Gold und wertvolle Kristalle? Oder vielleicht Waffen? Vielleicht ist das ein neues Raumschiff der Interstellaren Mafia, dann sollten wir lieber einen großen Bogen um es machen. Du weißt ja, mit der Interstellaren Mafia ist nicht zu scherzen, sie …«

»Siehst du das Kreuz mit den gebogenen Haken auf der Hülle des Schiffes, Stanley?«, fragte Oliver H. mit Engelsgeduld. Aus den Augenwinkeln bemerkte er, wie Finlayson, ein alter Pirat mit einem Glasauge, verstohlen zu ihnen herüberschielte. »Ist das das Zeichen der Interstellaren Mafia

Stan L. schüttelte langsam den Kopf. »Nein, Olli, es sei denn, sie haben ihr altes Zeichen geändert.«

Oliver H. schloss noch einmal die Augen, holte tief Luft, zerlegte in Gedanken Stanley in einige Dutzend blutige Teile und warf sie persönlich aus der Außenschleuse den Weltraumgeiern zum Fraß vor, dann wandte er sich mit entschlossener Miene zu Finlayson um.

»Wir greifen nach der Gnadenlos-Methode an, Finn! Wir umzingeln das fremde Schiff und geben zweihundert Schüsse aus unseren Strahlenkanonen darauf ab. Sobald sich der Schutzschirm daraufhin aufgebaut hat und sich die Fremden sicher glauben, feuern wir aus allen Rohren die Sprengkugeln ab und gleich danach unsere Entermagnethaken. Ich persönlich führe das Prisenkommando an, Stanley wird mich begleiten, du bleibst hier und passt auf, dass uns niemand in die Quere kommt. Gibt es noch Fragen?«

Finlayson schüttelte den bereits halb kahlen Kopf und kniff die Augen zusammen, was so viel wie »Aye, Sir!« bedeutete. Der alte Pirat war stumm, seitdem ihm auf Wega XXI beim letzten von ihm angeführten Raubzug die Eingeborenen die allzu lockere Zunge herausgeschnitten hatten.

Der Blutkapitän nickte grimmig und drehte sich zurück zum Kommandopult, um das Mikrofon zu nehmen und den anderen sechzehn Schiffen den Angriffsbefehl zu geben. Als er sah, dass Stan L. es bereits in der Hand hielt, kämpfte er für drei oder vier (eher vier) Sekunden mit seinem Blutdruck. Dann machte er zwei schnelle Schritte und riss Stan L. das Mikrofon aus der Hand.

»Ich gebe hier die Befehle!«, belehrte er seinen Maat.

Stan L. blinzelte nur verlegen und hob entschuldigend die schmalen Schultern.

 

*

 

Sternengeneraloberst Julius Eberhard Konradin Strammers erster Gedanke war: schon wieder die verdammten elenden Bolschewisten! Hatte man denn nirgendwo seine Ruhe vor diesen räudigen Stalinsöhnen, nicht einmal während einer Auftankpause zwischen den Sternen und zwei Sätzen?

Entsprechend war seine Stimmung, als er mit wuchtigen Schritten in den Kommandokopf des STERNENTIGERS trat und seine Offiziere in hektischer Betriebsamkeit fand. Zu allem Überfluss war er noch immer nicht zu Ende rasiert und die von Mühlenmeister in niederträchtiger Absicht beigefügte Wangenwunde begann tierisch zu schmerzen. Er hoffte für seinen Persönlichen Adjutanten, dass es zu keiner bösen Entzündung kam, denn dann gab es für ihn keine Nachsicht und keine Gnade mehr, dann war das Maß voll.

Nein, eigentlich hoffte er das nicht, denn das Maß war bereits voll, übervoll. Hermann meinte wohl, er könne sich mit ihm alles erlauben, nur weil er … aber egal!

Außerdem war er mit dem Orakel noch nicht fertig. Es war offensichtlich, dass es in seiner neuesten Vision Bilder aus der Zukunft gesehen hatte, eine mächtige Flotte von mächtigen Schiffen, Schiffen mit grauer Farbe und dem Reichsemblem. Aber wann sollte das sein? In einem oder zwei Jahren vielleicht – oder womöglich erst in hundert oder tausend?

Der Erste Offizier, Sternenhauptmann Jakob Schulz, sprang auf und salutierte vor ihm. »Melde gehorsamst, Herr Sternengeneraloberst, fremde Schiffe im Anflug. Und es sind keine – ich betone: keine – Schiffe der Interstellaren Solidarität. Es sind, wenn ich mir die Bemerkung erlauben dürfte, auch keine grünen Ringraumer des Interstellaren Kapitals, es sind …«

»Bitte entschuldigt, dass ich euch kurz unterbrechen muss«, ertönte die Stimme von EVA glockenhell. »Aber dort draußen scheint jemand zu sein, der euch gerne etwas sagen möchte.«