Über das Buch:
Was wird sich mit dem ersten Baby ändern? Kurz gesagt: alles. Was genau Sie bei Zeitplanung, Finanzen, Familienregeln oder der eigenen Partnerbeziehung bedenken sollten, erfahren Sie in diesem praktischen Ratgeber, der Sie liebevoll auf dem Weg durch die Erziehungszeit begleitet. Um manche typische Falle des Elternseins zu vermeiden, haben Gary Chapman und Shannon Warden viele hilfreiche Tipps zusammengestellt, die aus persönlicher Erfahrung und ihrer Arbeit als Ehe- und Familientherapeuten stammen. Warum Fehler machen, die sich vermeiden lassen? Profitieren Sie von der Erfahrung anderer und werden Sie zum Experten in Sachen Leben mit Kind!

Über die Autoren:
Gary Chapman ist zwar im Pensionsalter, will aber nichts von Ruhestand wissen. Der Vater zweier erwachsener Kinder lebt mit seiner Frau Karolyn in North Carolina, arbeitet als Seelsorger seiner Gemeinde, hält Ehe-Seminare und ist Autor zahlreicher Bücher. Mit seinem Buch „Die 5 Sprachen der Liebe“ hat er einen neuen Schlüssel zur Kommunikation gefunden.

Shannon Warden ist Dozentin für Beratung und Therapie an der Wake Forest University, Winston/North Carolina. In ihrer Gemeinde engagiert sie sich in der Frauenarbeit. Vor ihrer wissenschaftlichen Karriere war sie als Therapeutin mit dem Schwerpunkt Ehe- und Familienberatung tätig. Shannon Warden ist verheiratet und hat drei Kinder.

6. Wenn ich das nur gewusst hätte … –
Die seelische Gesundheit ist so wichtig wie die körperliche

Unsere beiden Kinder waren schon geboren, bevor ich Seelsorger und Berater wurde. Ich hatte eine Menge studiert: Anthropologie, Soziologie, Griechisch, Hebräisch und Theologie – aber über seelische Vorgänge wusste ich nur sehr wenig. Natürlich merkte ich, dass ich mich manchmal geliebt fühlte, dann wieder traurig, glücklich, wütend, frustriert oder entmutigt, aber ich schrieb dies alles dem Verhalten meiner Frau zu. Wenn sie mir gegenüber nett und liebevoll war, dann war das Leben schön. Wenn sie mich unfreundlich behandelte, fühlte ich mich abgelehnt, verletzt und empfand noch ein ganzes Bündel weiterer negativer Emotionen. Aber ich hatte keine Ahnung, wie ich mit diesen Gefühlen umgehen sollte. Wir hatten als Paar ein paar schwierige Jahre, bis wir lernten, einander zuzuhören und zu bestätigen und lieber nach Lösungen zu suchen, anstatt zu streiten.

Und hierbei ging es ja nur um zwei Erwachsene, die sich zusammenraufen mussten. Der Gedanke an Kinder und ihre emotionalen Bedürfnisse tauchte nicht einmal entfernt auf meinem Radar auf. Erst Jahre später beschäftigte ich mich mit der Entwicklung von Kindern und das eröffnete mir eine ganz neue Welt. Ich verstand nun meine eigene Kindheit besser. Und ich erkannte, dass ich eine wichtige Rolle spielte bei der emotionalen Entwicklung unserer Kinder. Darum möchte ich Ihnen in diesem Kapitel etwas von dem weitergeben, was ich damals gelernt habe. Ich hoffe, es bewahrt Sie vor einigen Fehlern, die mir unterlaufen sind.

Eltern sorgen sich automatisch um die körperliche Gesundheit ihres Kindes. Darum gehen sie regelmäßig mit ihm zum Kinderarzt. Sie rufen die Hebamme an, wenn das Baby körperliche Reaktionen zeigt, die sie nicht verstehen. Und wenn sie nachts aufwachen, gehen sie zur Wiege und schauen nach, ob der kleine Schatz noch atmet. All dies beruht auf der elterlichen Sorge um das körperliche Wohlergehen ihres Kindes. Diese Sorge ist klug, natürlich und notwendig. Das Kind gesund und am Leben zu erhalten, ist die Grundlage für alles andere.

Doch wenn unser Kind sich körperlich gesund entwickelt, sollte unsere nächste Sorge seiner seelischen Gesundheit gelten. Die seelische und die körperliche Gesundheit sind die beiden Standbeine, auf denen die Fürsorge der Eltern ruhen sollte. Beides ist notwendig, wenn das Kind zu einem gesunden und verantwortungsbewussten Menschen heranwachsen soll. Manche Eltern denken nur wenig über die seelischen Bedürfnisse ihres Kindes nach. Sie sind der Überzeugung: Ich liebe mein Kind und tue alles, was ich kann, damit es gesund heranwächst. Also hoffe ich, dass es später mal ganz okay sein wird. Hoffen und vertrauen genügt jedoch nicht; wir Eltern müssen aktiv werden, um die seelische Gesundheit unserer Kinder zu schützen. Was aber sind die seelischen Bedürfnisse eines Kindes?

Wenn Sie sich schon einmal ausführlicher mit Psychologie beschäftigt haben, werden Sie vielleicht mit John Bowlbys Bindungstheorie9 und Erik Eriksons Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung10 vertraut sein. Als Shannon und ich über dieses Kapitel sprachen, erinnerte sie mich an diese wichtigen Arbeiten. Diese beiden bekannten psychologischen Modelle können auch für Eltern eine wichtige Hilfe sein, wenn sie die emotionale Gesundheit ihres Kindes aktiv fördern wollen. Darum möchte ich sie Ihnen kurz vorstellen.

Die Bedeutung der Bindung

Die Bindung ist eine vertrauensvolle emotionale Beziehung zwischen zwei Menschen, die einander sehr viel bedeuten. (Eine solche Beziehung haben Sie hoffentlich zu Ihrem Ehepartner.) Wir wissen, dass Kinder, die diese emotionale Bindung zu ihren Eltern oder Betreuungspersonen nicht entwickelt haben, eine solche Beziehung auch im Erwachsenenalter nicht entwickeln können. Nach Bowlby können Eltern die Bindung fördern, indem sie für ihre Kinder da sind und auf deren emotionale und körperliche Bedürfnisse eingehen. Die Kinder finden in der Anwesenheit und Fürsorge ihrer Eltern Trost und lernen, darauf zu vertrauen. Durch die emotionale Bindung, die zwischen ihnen und ihren Eltern besteht, entwickeln sie ein Gefühl der Geborgenheit. Frühe Bindungstheoretiker waren der Überzeugung, der Schlüssel zum Aufbau einer Bindung liege darin, das Kind einfach nur mit Nahrung zu versorgen. Mit der Zeit jedoch entdeckten Psychologen, dass die erfolgreiche Bindung zwischen Eltern und Kind viel stärker durch die emotionale Versorgung des Kindes beeinflusst wird, zum Beispiel durch Kuscheln, Reden, Singen und alles andere, das eine positive Umgebung schafft.

Durch diese „seelische Nahrung“ entwickeln Kinder ein gesundes Geborgenheitsgefühl, das es ihnen ermöglicht, ihre Umwelt selbstsicher zu erkunden. Ihre von Anfang an vorhandene Bindung an ihre Eltern befähigt sie außerdem, sich an andere Menschen zu binden, wenn sie älter werden. Die emotionale Nähe und Fürsorge der Eltern und ihre enge Beziehung zu ihrem Kind in den ersten Lebensjahren dienen dem Kind folglich als Vorbild. Sie prägen damit sein Vertrauen in die Beziehungen, die im weiteren Verlauf seines Lebens entstehen, und steuern diesbezüglich sein Verhalten. Diese Erkenntnis ist für Eltern ungeheuer wichtig. Darum sollten Sie als Eltern auch so viel Zeit wie möglich damit verbringen, eine Bindung zu Ihren kleinen Kindern in einer liebevollen, freundlichen und unterstützenden Atmosphäre aufzubauen.

Stufen der seelischen Entwicklung

Erik Erikson, ein Zeitgenosse von Bowlby, sah die Bindung als etwas so Wichtiges an, dass er „Vertrauen versus Misstrauen“ als erste Stufe seines acht Stufen umfassenden psychosozialen Modells einführte. Diese erste Stufe setzte er zwischen der Geburt und dem Alter von eineinhalb Jahren an. In diesem Zeitraum erleben Säuglinge verschiedene Arten von Unsicherheit, die aber durch die verlässliche, liebevolle Zuwendung ihrer Eltern gemildert werden. Als Ergebnis der Beständigkeit und der emotionalen Wärme ihrer Eltern wird die Furcht des Säuglings durch die Hoffnung ersetzt, dass seine Bedürfnisse gestillt werden. Dieses Gefühl der Hoffnung verstärkt das gesunde Gefühl der Geborgenheit, das sich auf alle Aspekte des Lebens auswirkt.

„Autonomie versus Scham“, die zweite Stufe in Eriksons psychosozialem Modell, bestimmt den Zeitraum zwischen eineinhalb und drei Jahren. In dieser Phase werden Kinder immer neugieriger auf ihre Umwelt und sind zugleich immer besser in der Lage, diese zu erforschen. Wenn Sie als Eltern Ihrem Kind eine sichere Erforschung der Umwelt erlauben und es dazu ermutigen, ermöglichen Sie es ihm, eine altersgerechte Freiheit zu erleben, die wiederum zu Gefühlen des Selbstvertrauens und des Selbstwerts führen. Wenn Kinder daran glauben, dass sie im Leben erfolgreich sein können und dass sie wertgeschätzte Individuen sind, beeinflusst sie das ihr ganzes Leben lang positiv. Wenn ihnen diese gesunde Autonomie jedoch nicht gestattet wird und sie nicht die Gelegenheit bekommen, aus Fehlern zu lernen, empfinden Kinder Selbstzweifel und Scham. Sie kommen dann möglicherweise zu dem Eindruck, dass sie im Leben nicht erfolgreich sein können. Es ist also wichtig, dass Sie als Eltern Ihrem Kind eine gesunde, altersgemäße Unabhängigkeit zugestehen und es darin ermutigen. Auf diese Weise verhelfen Sie ihm zu einem gesunden Gefühl der Autonomie.

„Initiative versus Schuld“, Eriksons dritte Stufe, beschreibt die Phase zwischen drei und fünf Jahren. In dieser Zeit sind Kinder immer mehr daran interessiert, andere Kinder in ihr Spiel einzubeziehen. Sie stellen auch mehr Fragen und wollen eigene Entscheidungen treffen. Also ergreifen Kinder in diesem Alter stärker die Initiative. Wenn Ihr Kind dabei durch Sie als Eltern in angemessener Weise ermutigt wird, empfindet es ein steigendes Gefühl des Selbstwerts und der Entschlossenheit. Wird es jedoch von Ihnen nicht angemessen ermutigt, sondern unnötig entmutigt oder gar davon abgehalten, vernünftige Initiativen zu ergreifen, bekommt Ihr Kind den Eindruck, sein Handeln sei wertlos oder falsch. Es entwickelt Schuldgefühle, die auf der Entmutigung durch Sie als Eltern oder auf Ihrer Kritik beruhen.

Natürlich liegen Kinder, genau wie Erwachsene, von Zeit zu Zeit falsch. Doch das gibt Ihnen als Eltern die Gelegenheit, die richtige Absicht hinter dem Fehlverhalten anzuerkennen und Ihrem Kind zu zeigen, wie man richtig die Initiative ergreift. Sie können Kinder beispielsweise dadurch ermutigen, dass Sie ihnen die Wahl zwischen zwei positiven Entscheidungen lassen. Sie könnten fragen: „Willst du dein Dreirad vor oder nach dem Abendessen hereinholen?“ So kann Ihr Kind Initiative zeigen. Entscheidungen zu treffen lernen Kinder, indem sie Entscheidungen treffen.

Die vierte Stufe der psychosozialen Entwicklung lässt sich im Alter zwischen fünf und zwölf Jahren erkennen. Sie wird „Kompetenz versus Minderwertigkeit“ genannt. Kinder bauen in dieser Spanne auf der Initiative auf, die sie hoffentlich in der davorliegenden Phase erworben haben. Nun wachsen sie rapide in ihrem Wissen, ihren Fähigkeiten und in ihrem Wunsch, erfolgreich zu sein. Sie möchten sich kompetent fühlen und von Gleichaltrigen akzeptiert werden. In dieser Phase suchen sie auch nach Anerkennung durch Eltern, Lehrer und Trainer.

Eltern, Freunde, Lehrer und andere Bezugspersonen können dazu beitragen, dass ein Kind sein Potenzial entfaltet. Wenn Kinder unterstützt und ermutigt werden, fühlen sie sich kompetent. Sie sind davon überzeugt, dass sie ihre Ziele erreichen und eine sehr gute Leistung erbringen können. Werden sie aber nicht unterstützt und ermutigt, sondern stattdessen unnötig kritisiert oder davon abgehalten, vernünftige Ziele zu erreichen, entwickeln sie Minderwertigkeitsgefühle und besitzen wenig Selbstvertrauen.

Wenn Sie Ihr Kind loben wollen, dann konzentrieren Sie sich dabei nicht auf den Erfolg, sondern auf die Bemühungen. Wenn ein Fünfjähriger sein Bett macht, könnten Sie zum Beispiel sagen: „Ich sehe, dass du dir große Mühe gegeben hast. Ich finde das richtig gut.“

Zu einem späteren Zeitpunkt könnten Sie dann sagen: „Wenn du morgen wieder dein Bett machst, würde ich dir gerne etwas zeigen.“ Und dann geben Sie dem Kind einen Tipp. Das Kind wird diesen Ratschlag mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen, weil es sich wertgeschätzt fühlt.

Wenn ein Zehnjähriger den Rasen mäht, sagen Sie nicht: „Du hast vergessen, unter den Büschen zu mähen. Siehst du nicht, dass da unten auch Gras wächst?“ Loben Sie Ihr Kind lieber für das Gras, das es gemäht hat: „Danke für deine harte Arbeit im Garten. Ich bin wirklich sehr froh, dass du das gemacht hast.“

Und am nächsten Samstag erklären Sie Ihrem Kind, bevor es wieder den Rasen mäht, wie es das Gras unter den Büschen wegbekommt: „Siehst du das Gras unter den Büschen? Da kommt man schwer ran. Du musst den Mäher hin und her schieben, aber das schaffst du bestimmt.“

Wetten, dass es jetzt klappt? Lob und Anerkennung helfen dem Kind dabei, Selbstvertrauen zu entwickeln.

Ich möchte nicht weiter auf die anderen Stufen eingehen, die Erikson anführt, denn das würde den Rahmen dieses Buches sprengen. Ich hoffe aber, dass Sie gesehen haben, wie wichtig es ist, zu einer gesunden seelischen Entwicklung Ihres heranwachsenden Kindes beizutragen.

Fassen wir also zusammen: Die vier Bereiche, in denen ein Kind sich seelisch gesund entwickeln sollte, sind

* Bindung statt Vernachlässigung;

* Autonomie statt Scham;

* Initiative statt Schuldgefühle;

* Selbstvertrauen statt Minderwertigkeitsgefühle.

Ich will damit nicht sagen, dass körperliche Bedürfnisse unwichtig sind. Ganz im Gegenteil! Ohne Essen, ohne ein Dach über dem Kopf, ohne Luft, Wasser, Wärme und Schlaf kann ein Kind nicht überleben. Auch für seine Sicherheit muss gesorgt sein. Über die Bedeutung von Grenzen haben wir bereits im vorangegangenen Kapitel nachgedacht. Es ist sehr wichtig, all diese Bedürfnisse zu erfüllen. Doch wir dürfen die seelische Entwicklung unseres Kindes nicht vernachlässigen. Hier haben wir als Eltern den größten Einfluss.

Wenn Eltern ihre Kinder lieben und für sie sorgen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass auch die Kinder später einmal sich selbst und andere lieben und versorgen werden. Eltern, die selbst seelisch gesund sind, hegen instinktiv den Wunsch, ihre Babys zu lieben und für sie zu sorgen. Doch sobald die Kinder aus dem Säuglingsalter heraus sind, unabhängiger und eigenständiger werden, geben sich Eltern häufig nicht mehr so bewusst Mühe, ihre Liebe zum Ausdruck zu bringen und die Beziehung zu ihren Kindern weiter zu stärken. Sie übernehmen andere Pflichten und gehen davon aus, dass bei ihren Kindern alles in Ordnung ist, solange sie körperlich gesund sind.

Doch es kann vorkommen, dass ein Kind zwar körperlich fit ist, aber seelisch nicht. Wir alle kennen Erwachsene, die mit Minderwertigkeitsgefühlen, Wut, Schuldgefühlen, Scham und Einsamkeit zu kämpfen haben. Sie sind körperlich gesund, aber sie haben seelische Probleme. Und die beeinträchtigte seelische Gesundheit kann sich negativ auf ihre Beziehungen und ihren Beruf auswirken. Das wollen wir als Eltern für unsere Kinder nicht. Darum müssen wir uns bewusst um ihre emotionalen Bedürfnisse kümmern.

Der Liebestank Ihres Kindes

Während Sie mit Ihrem Kind gemeinsam die genannten Entwicklungsphasen durchleben, besteht meiner Meinung nach das größte emotionale Bedürfnis eines Kindes darin, sich von seinen Eltern geliebt zu fühlen. Sich geliebt fühlen ist die wichtigste Zutat für eine emotionale Bindung zwischen Kind und Eltern. Es ist auch die Grundlage dafür, dass ein Kind zu Selbstständigkeit, Initiative und Selbstvertrauen ermutigt wird. Ich stelle mir gern bildlich vor, dass sich in der Seele jedes Kindes ein Liebestank befindet. Wenn der Tank gefüllt ist – das heißt, wenn das Kind sich von seinen Eltern aufrichtig geliebt fühlt –, wächst es zu einem selbstsicheren, liebevollen Erwachsenen heran, der gesunde Beziehungen aufbauen und seine Ziele erreichen kann. Wenn ein Kind sich aber von seinen Eltern nicht geliebt fühlt, wächst es mit vielen seelischen Problemen heran. Dann besteht vermehrt die Gefahr, dass es später als Teenager oder Erwachsener an den falschen Orten nach Liebe sucht.

Die meisten Eltern lieben ihre Kinder, aber nicht alle Kinder fühlen sich geliebt. Es reicht nicht, wenn wir uns als Eltern aufrichtig bemühen; wir müssen auch sicherstellen, dass wir tatsächlich emotional mit unserem Kind verbunden sind.

Vor Jahren entdeckte ich, dass es im Grunde genommen fünf Wege gibt, auf denen Kinder Liebe empfangen. Ich nenne sie „Die fünf Sprachen der Liebe“. Von diesen fünf hat jedes Kind eine „Muttersprache“, das heißt, diese Sprache berührt das Kind emotional tiefer als die anderen vier. Wenn Sie als Eltern nicht diese Muttersprache der Liebe mit Ihrem Kind sprechen, wird es sich nicht geliebt fühlen, auch wenn Sie Ihre Liebe in einer der vier anderen Sprachen zum Ausdruck bringen.

Das erklärt, warum ein Dreizehnjähriger bei mir im Büro sitzt und erklärt: „Meine Eltern lieben mich nicht. Sie lieben meinen Bruder, aber mich nicht.“

Ich kenne seine Eltern und weiß, dass sie ihn lieben. Ich bin mir sicher, dass sie ziemlich geschockt wären, wenn sie diese Worte von ihm hören würden! Das Problem besteht darin, dass seine Eltern nie seine Muttersprache der Liebe gelernt haben. Um bei Ihnen und Ihrem Kind eine solche Situation zu vermeiden, möchte ich Ihnen kurz diese fünf Sprachen erklären und Ihnen zeigen, wie Sie die Muttersprache der Liebe bei Ihrem Kind entdecken können.

Lob und Anerkennung

Es gibt ein altes hebräisches Sprichwort, das besagt: „Worte haben Macht: Sie können über Leben und Tod entscheiden.“11 Das ist sicherlich richtig, wenn es darum geht, wie Sie mit Ihrem Kind sprechen. Harte, kritische Worte töten das Selbstvertrauen und schaffen Angst und Wut. Positive, ermutigende Worte flößen Mut und Selbstsicherheit ein. „Ich mag deine schönen roten Haare. Deine Armmuskeln sind richtig stark geworden. Ich bin dir sehr dankbar, dass du mir mit dem Geschirr hilfst. Danke, dass du deine Spielsachen mit Tommy geteilt hast.“ All das sind Worte des Lobs und der Anerkennung.

Für ein Baby wirkt sich der Tonfall selbst positiv auf seine seelische Gesundheit aus, nicht die Aussage selbst. Mit einer liebevollen, lustigen Stimme kann man sagen: „Du bist das süßeste Baby auf der ganzen Welt. Ja, das bist du.“ Oder man sagt im gleichen Tonfall: „Du bist das gemeinste Baby auf der ganzen Welt. Ja, das bist du.“

Der Säugling versteht die Worte nicht, aber er empfindet durch den Tonfall Bestätigung. Doch schon ein paar Monate später werden auch die Worte selbst zusammen mit dem Tonfall äußerst wichtig.

Zweisamkeit – Zeit nur für dich

Das ist die Zeit, in der unser Kind unsere ungeteilte Aufmerksamkeit erhält. Egal, ob wir mit ihm spielen, an einem Schulprojekt arbeiten oder uns mit ihm unterhalten: Wichtig ist, dass unsere ganze Aufmerksamkeit dem Kind gilt. Wenn wir nebenbei eine WhatsApp schreiben, ist das keine Zweisamkeit mehr (es sei denn, wir bringen unserem Kind gerade bei, wie man eine Textnachricht versendet).

Geschenke, die von Herzen kommen

Während meines Anthropologie-Studiums entdeckte ich, dass Schenken eine universale Liebessprache ist. Ein Geschenk übermittelt die Botschaft: Ich habe an dich gedacht. Ich glaube, das gefällt dir. Ich liebe dich. Ein Geschenk muss nicht teuer sein. Der Gedanke zählt. Ich erinnere Eltern gerne daran, dass ein Geschenk nicht an Forderungen oder Erwartungen geknüpft sein sollte. Wenn wir sagen: „Ich schenke dir diese Süßigkeit, wenn du dein Zimmer aufräumst“, dann ist die Süßigkeit kein Geschenk, sondern die Bezahlung für einen geleisteten Dienst. Ich will damit nicht sagen, dass wir unsere Kinder nicht für bestimmte Arbeiten bezahlen dürfen. Ich weise nur darauf hin, dass das kein Geschenk ist. Das Wort Geschenk geht auf das griechische Wort Gnade zurück, das so viel wie „unverdiente Gunst“ bedeutet.

Als Eltern schenken wir verantwortungsbewusst. Wir geben unserem Kind nichts, was ihm schaden könnte. Wir müssen unserem Kind auch kein Smartphone schenken, nur weil „alle eins haben“. Als Eltern brauchen wir ein gutes Urteilsvermögen, wenn es um die Geschenke für unsere Kinder geht. Wenn wir den Wutausbrüchen unseres Kindes nachgeben und ihm alles geben, was es will, dann sind wir diejenigen, die manipuliert werden.

Hilfsbereitschaft

„Taten sprechen lauter als Worte.“ Dieses Sprichwort kennen Sie wahrscheinlich. Aber für manche Kinder gilt das ganz besonders. Bei einem Neugeborenen oder einem Baby, das erst wenige Monate alt ist, können wir nur diese Sprache der Liebe sprechen. Ein Säugling ist hilflos. Wir müssen ihn füttern und wickeln, ihn herumtragen und ihn anziehen. Ein Baby kann nicht für sich selbst sorgen.

Wenn ein Kind älter wird, dann sprechen wir die Sprache der Hilfsbereitschaft, indem wir Puppenkleider flicken, Dreiräder reparieren, den Fußball aufpumpen usw. Und wenn die Kinder noch älter werden, sprechen wir diese Sprache, indem wir ihnen etwas beibringen, was sie dann selbstständig tun können. Es ist viel mühsamer, einem Kind das Kochen beizubringen, als es selbst zu tun, aber diese Fähigkeit wird dem Kind in Zukunft noch viel nützen.

Zärtlichkeit

Schon lange weiß man um die Macht der zärtlichen Berührung. Darum nehmen wir unsere Babys auf den Arm, streicheln sie und flüstern ihnen jede Menge Unsinn ins Ohr. Noch lange bevor sie die Bedeutung des Wortes „Liebe“ kennen, fühlen Kinder sich durch zärtliche Berührungen geliebt. Alle Studien bestätigen, dass Säuglinge, die getragen, gestreichelt und geküsst werden, ein gesünderes Seelenleben entwickeln als Kinder, die lange Zeit ohne Körperkontakt bleiben müssen.

Wenn aus dem Säugling ein Kleinkind und aus dem Kleinkind ein Schulkind geworden ist, vermindert sich das Bedürfnis nach liebevollen Berührungen keineswegs. Alle Kinder brauchen Zärtlichkeit, aber für manche ist das die deutlichste Stimme der Liebe. Ohne Zärtlichkeit wird ihre seelische Gesundheit beeinträchtigt.

Wie oben bereits angedeutet, hat jedes Kind eine persönliche Liebessprache, durch die es viel tiefer erreicht wird als durch die anderen vier Sprachen. Wenn das Kind nicht intensiv in seiner Muttersprache der Liebe angesprochen wird, fühlt es sich nicht geliebt, obwohl die Eltern mit ihm in einer oder mehreren der anderen vier Sprachen kommunizieren.

So entdecken Sie die Liebessprache Ihres Kindes

Wie aber finden Sie heraus, welche Sprache für Ihr eigenes Kind die Muttersprache der Liebe ist? Im Folgenden lesen Sie drei Fragen, die Sie sich stellen können, wenn Sie auf der Suche nach der richtigen Liebessprache sind:

Frage Nr. 1: Wie verhält sich Ihr Kind?

Beobachten Sie, wie Ihr Kind auf Sie als Eltern oder auf andere Bezugspersonen zugeht. Wenn es Ihnen ständig bei irgendetwas helfen will, dann ist Hilfsbereitschaft wahrscheinlich seine Muttersprache. Überreicht es Ihnen häufig Geschenke, dann ist das seine bevorzugte Liebessprache. Die Sprache meines Sohnes ist Zärtlichkeit. Ich begriff das, als er ungefähr drei oder vier Jahre alt war. Wenn ich nachmittags nach Hause kam, rannte er zur Haustür, packte mich am Bein und wollte hochgenommen werden. Wenn ich mich hinsetzte, krabbelte er auf mir herum. Er berührte mich, weil er berührt werden wollte.

Meine Tochter machte so etwas nie. Sie sagte: „Papa, komm mal mit in mein Zimmer, ich will dir was zeigen.“ Sie wollte meine ungeteilte Aufmerksamkeit – die Zweisamkeit. Wenn Ihr Kind oft „Danke, Mama“ sagt oder „Das hast du aber gut gemacht, Mama“, dann liegt die Schlussfolgerung nahe, dass Lob und Anerkennung seine persönliche Liebessprache ist.

Frage Nr. 2: Worüber beklagt sich Ihr Kind?

Ein Vierjähriger beschwert sich: „Wir gehen gar nicht mehr zusammen auf den Spielplatz, seit das Baby da ist.“ Er beklagt sich über einen Mangel an Zweisamkeit.

Ein anderes Kind äußert gegenüber der Mutter: „Papa hat mein Fahrrad immer noch nicht repariert.“ Das ist ein Ruf nach Hilfsbereitschaft. Beschwerden offenbaren häufig, welche Liebessprache für das Kind die wichtigste ist.

Frage Nr. 3: Worum bittet Ihr Kind?

Ein Kind, das die Eltern fragt, ob sie mit ihm spielen oder ihm etwas vorlesen können, bittet um Zweisamkeit. Wenn ein Kind sich gerne den Rücken massieren lässt, ist es an Zärtlichkeit interessiert. Fragt ein Kind immer wieder nach Feedback für das, was es gemacht hat, dann könnte Lob und Anerkennung seine Muttersprache der Liebe sein. Fragen wie: „Mama, was hältst du von dem Referat, das ich geschrieben habe?“ oder „Was denkst du, passt das T-Shirt zur Hose?“ oder „Papa, wie war ich bei dem Fußballspiel?“ sind Bitten um Lob und Anerkennung.

Wenn Sie alle drei Dinge zusammennehmen: beobachten, wie Kinder ihre Liebe zum Ausdruck bringen; ihre Klagen wahrnehmen; ihre Bitten genau anhören, dann werden Sie mit großer Wahrscheinlichkeit die persönliche Liebessprache Ihres Kindes entdecken.

Das soll aber nicht heißen, dass Sie von nun an nur noch die Muttersprache Ihres Kindes sprechen sollten. Ich lege Ihnen aber nahe, regelmäßig und oft in der wichtigsten Liebessprache Ihres Kindes zu kommunizieren, dazu natürlich auch in den anderen vier Sprachen. Wir möchten ja unseren Kindern beibringen, in allen fünf Sprachen Liebe zu verschenken und zu empfangen. Das trägt zur seelischen Gesundheit bei und bereitet das Kind am besten auf gesunde Beziehungen im Erwachsenenalter vor.

Es kann sein, dass Sie selbst nicht gelernt haben, wie man in manchen der fünf Sprachen Liebe verschenkt und empfängt. Wenn Sie zum Beispiel als Kind nie gelobt wurden, fällt es Ihnen schwer, Ihrem Kind gegenüber Worte der Anerkennung zu finden. Die gute Nachricht ist aber, dass Sie auch als Erwachsener noch alle Liebessprachen lernen können! Lassen Sie nicht zu, dass Ihre eigene Kindheitserfahrungen Sie daran hindern, die seelischen Bedürfnisse Ihrer Kinder zu erfüllen. (Weitere praktische Tipps finden Sie in dem Buch Die fünf Sprachen der Liebe für Kinder, das ich gemeinsam mit dem Psychiater Dr. Ross Campbell geschrieben habe.12 Sie können auch im Internet recherchieren: www.diefuenfsprachenderliebe.de.)

Eltern, die als Kinder schwer misshandelt oder traumatisiert wurden und sich folglich seelisch beeinträchtigt und mit ihrer Elternrolle überfordert fühlen, rate ich dringend zu einer Therapie. Verletzungen, Wut, Angst, Depressionen und andere negative Gefühle verschwinden im Laufe der Zeit nicht von selbst. Ich empfehle außerdem, sich einer Selbsthilfegruppe anzuschließen, wie sie manchmal von Kirchen oder anderen Organisationen angeboten wird. Indem Sie Hilfe in Anspruch nehmen, begeben Sie sich auf den Weg zu Ihrer inneren Heilung. Ihr Kind hat es verdient, dass Sie sich mit aller Kraft darum bemühen.

In manchen Fällen sprechen Eltern und Kinder dieselbe Muttersprache der Liebe. Dann müssen Sie als Eltern nur daran denken, mit Ihrem Kind in Ihrer eigenen Liebessprache zu kommunizieren. Andere Eltern, die nicht dieselbe Liebessprache sprechen wie ihre Kinder, müssen jedoch die Sprache ihres Kindes bewusst lernen. Ähnlich wie beim Erlernen einer Fremdsprache kostet dies Mühe. Mit der Zeit jedoch wird es einfacher und fühlt sich natürlicher an. Der Lohn besteht darin zu sehen, wie das eigene Kind innerlich aufblüht. Und ich versichere Ihnen: Das ist jede Mühe wert!

Ich wünschte, ich hätte das alles gewusst, was in diesem Kapitel steht, bevor wir Eltern wurden. Und ich hoffe, dass es Ihnen hilft, die seelische Gesundheit Ihres heranwachsenden Kindes zu fördern.

Jetzt mal ehrlich – Fragen zum Nachdenken und Diskutieren

1. Haben Sie den Eindruck, dass die Bindung zu Ihrer Mutter in Ihrer frühen Kindheit tief und beständig war? Wie sah die Bindung zu Ihrem Vater aus? Wie wirkt sich das Ihrer Meinung nach auf Ihr Erwachsenenleben aus?

2. In welcher Hinsicht wollen Sie sich anders als Ihre Eltern verhalten, wenn es um die Bindung zwischen Ihnen und Ihrem Kind geht?

3. Wo würden Sie Ihr Selbstbewusstsein auf einer Skala zwischen 0 und 10 einordnen? Worin sehen Sie die Ursachen dafür?

4. Wie stark waren bei Ihnen Gefühle der Schuld, der Scham und der Minderwertigkeit in den Teenagerjahren auf einer Skala zwischen 0 und 10? Was waren die Ursachen dafür?

5. Wie sehr fühlten Sie sich von Ihren Eltern geliebt, als Sie heranwuchsen – auf einer Skala zwischen 0 und 10? Warum?

6. Wie sehr fühlen Sie sich von Ihrem Ehepartner geliebt? Sprechen Sie die Liebessprache des anderen? Wenn Sie die Liebessprache Ihres Partners nicht kennen, reden Sie darüber und finden Sie sie heraus.

7. In den ersten drei Jahren werden Sie die persönliche Liebessprache Ihres Kindes nicht erkennen können. Also kommunizieren Sie in allen fünf Sprachen mit ihm. Wenn Ihr Kind etwa drei Jahre alt ist, können Sie sein Verhalten beobachten und werden dann sehr wahrscheinlich seine Muttersprache der Liebe entdecken. Lassen Sie Ihr Kind Ihre Liebe durch diese Sprache intensiv erfahren, doch sprechen Sie auch immer wieder die vier anderen Sprachen. So wird Ihr Kind in der Gewissheit heranwachsen, dass es geliebt ist. Es gibt fast nichts, was wichtiger für die seelische Gesundheit Ihres Kindes ist.