Über Jürgen Trimborn

Jürgen Trimborn, geboren 1971, Studium der Theater- und Filmwissenschaften, Kunstgeschichte, Germanistik und Philosophie. 1997 Promotion. 1995-2000 Lehrbeauftragter insbesondere zum Film des Dritten Reichs an der Universität zu Köln. Seine Biographie »Riefenstahl. Eine deutsche Karriere« wurde 2003 für den Deutschen Bücherpreis nominiert. Ebenfalls im Aufbau-Verlag erschienen sind seine Biographien zu Arno Breker und Johannes Heesters.

Informationen zum Buch

Bonvivant, Liebling der Frauen, vollendeter Charmeur – das Image von Johannes Heesters wurde in erster Linie von seinen Rollen bestimmt. Jürgen Trimborn sieht hinter die Fassade des »Dauer-Lebemannes«, dem unzählige Affären nachgesagt wurden, der immer perfekte Umgangsformen zeigte und mit einem schier unauslöschlichen Lächeln auf den Lippen alle Schwierigkeiten mit links zu meistern schien. An zentraler Stelle dieser Biographie steht zudem die Frage nach der ambivalenten Rolle, die Heesters im Dritten Reich gespielt hat. Einerseits war er der Paradestar, der sich in den Dienst der Goebbelsschen Ablenkungsmaschinerie stellte, andererseits bewies er wiederholt, dass er seine ablehnende Haltung gegenüber den Nazis nie aufgab. Aufgrund von zahlreichen Quellen und Gesprächen mit Zeitgenossen zeichnet Jürgen Trimborn das facettenreiche Bild eines der größten deutschsprachigen Bühnenstars, dessen neunzigjährigen Laufbahn europäische Theater- und Filmgeschichte spiegelt.

Mit einer ausführlichen Filmographie.

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Jürgen Trimborn

Der Herr im Frack
Johannes Heesters

Biographie

Inhaltsübersicht

Über Jürgen Trimborn

Informationen zum Buch

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Prolog: Ein Leben im Frack

Teil I
Ein überzeugter Holländer
(1903–1934)

1. »Nichts als Kaufleute«.
Kindheit und Jugend in Amersfoort, Baarn und Amsterdam

Der »Alleshandel« in der Puntenburgerlaan

Ein Jahr in Baarn

Verlockungen der Großstadt

Eine prägende Kinderfreundschaft

2. »Schauspieler wollte ich werden«.
Erste Schritte auf der Bühne

Bürgerliche Existenz oder Theaterzauber?

Lehrjahre bei Willem Royaards

Von Shakespeare zu Strindberg

3. »Wenn ich König wär’ …«.
Erfolge auf der Operettenbühne

Vom Carré zum Paleis voor Volksvlijt und zurück

Rotterdam und Den Haag

Die zwei Wiesjes

»Kein dummer August«

Abschied von Holland

Teil II
Der Schauspieler und die Macht
(1934 –1949)

4. »Das Tor zur ganz großen Karriere«.
Durchbruch in Wien

Die Operettenmetropole

Der Bettelstudent lernt Deutsch

Ein singender Schauspieler

5. »Eine glänzende Bühnenerscheinung«.
Publikumsliebling der Berliner

Die gleichgeschaltete Operette

»Der Typus des amerikanischen Tonfilmcharmeurs«

6. Der Ufa-Star.
Operettenfilme und Musikkomödien

Die braune Leinwand

Kein Traumpaar: Marika Rökk und Johannes Heesters

Rückzug ins Private

»Manche zarte Bande …«

Schallplatten, Rundfunk und Fernsehen

7. Hitlers Danilo. Karriere im Dritten Reich

»Der beste Danilo, den ich je gesehen habe«

Vereinnahmungsversuche und Gagenpoker

Ein gewagtes Gastspiel

Danilo in Dachau

8. »Statist einer gewaltigen Augenwischerei«.
Die Kriegsjahre

Bomben und Bühne

Dreharbeiten in Wien und Prag

Flucht nach Grundlsee

Neuanfang in Österreich

Teil III
Der Jahrhundertstar
(1949 – 2003)

9. »Heut’ geh’ ich ins Maxim«.
Die Nachkriegskarriere

Altbewährtes auf der Bühne

Operetten, Grafen, Grandhotels

Zwischen Cole Porter und Franz Lehár

Gescheitertes Comeback in Holland

10. »Im Ohrensessel bleibe ich noch lange nicht sitzen«. Popularität bis ins hohe Alter

Neue Karriereufer: Das Musical »Gigi«

»Sie musste ein ganzes Leben lang auf mich warten«

Ein Casanova im gesegneten Alter

Epilog: Am Ende einer Reise

Anhang

Anmerkungen

Bühnenverzeichnis

Filmographie

Personenregister

Zeittafel

Danksagung

Impressum

Prolog
Ein Leben im Frack

Ich mache mich auf den Weg zu einer Legende. Zu einem Mann, der bereits seit über achtzig Jahren für sein Publikum präsent ist und der es verstand, gleich mehrere Generationen zu bezaubern. Ein Jahrhundertstar, von dem mir einst meine Großmutter vorschwärmte und dessen Filme meine Mutter als junges Mädchen gesehen hat. Der schon über seinen Rückzug nachdachte, als ich geboren wurde, und der heute mit fast hundert Jahren immer noch auf der Bühne und vor den Kameras steht. Dem sein unermüdliches Bühnenengagement 1997 sogar einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde einbrachte, als Schauspieler, der als weltweit ältester »en suite« auf der Bühne gestanden hat. Der nach wie vor eine feste Größe in der Medienlandschaft ist: Johannes Heesters.

Im Flugzeug von Köln nach München, wo ich ihn zum ersten Mal treffen werde, stelle ich mir die Frage, was mich erwartet, welchen Eindruck der Mann – über den ich in den zurückliegenden Wochen und Monaten so viel gelesen habe – in der persönlichen Begegnung auf mich machen wird. Ich habe mir vorgenommen, alles, was mir an Klischees über ihn begegnet ist, hinter mir zu lassen – soweit dies irgend möglich ist. Hinter die Kulissen seiner außergewöhnlichen Karriere zu blicken ist meine Absicht, zu ergründen, was der Privatmann Heesters mit dem öffentlichen Heesters zu tun hat, den Millionen kennen und lieben.

Wenige Stunden später führt mich seine Frau Simone Rethel in die viel zu kleine Garderobe, die man sich mit den anderen Mitgliedern des Ensembles teilen muss, mit dem er zur Zeit Tschechows Kirschgarten spielt. Ein nüchternes Ambiente. Unweigerlich frage ich mich, wie es für Heesters wohl ist, so untergebracht zu sein. Denkt er an die weiträumigen Garderoben des Amsterdamer Paleis voor Volksvlijt, des Berliner Metropol-Theaters oder anderer großer Häuser, an denen er einst gespielt hat und an deren Bühnenausgängen die Frauen scharenweise auf ihn warteten, um ihm zuzujubeln, um ein Autogramm zu ergattern oder ihm unmoralische Angebote zu machen? Nachdem ich mich an den riesigen Kartons mit den Kostümen vorbeigezwängt habe, stehe ich ihm gegenüber und bin verblüfft, nach zweieinhalbstündiger Vorstellung keineswegs einen müden und erschöpften Mann vorzufinden. Nein, Heesters plaudert, in der Hand eine Flasche Mineralwasser, mit einer jungen Kollegin. Er wirkt gelöst, entspannt, zufrieden mit sich und der Welt. Der Applaus seines Publikums hat ihm auch an diesem Abend ganz offensichtlich wieder neue Lebenskraft gegeben.

Schlagartig wird mir bewusst, wie groß die Diskrepanz zwischen dem Image des eleganten Lebemannes, des liebenswertdraufgängerischen Herzensbrechers auf der einen und dem Menschen Johannes Heesters auf der anderen Seite sein muss. Zwar ist er auch im Privaten ganz der Kavalier alter Schule und entschuldigt sich mit einem Lächeln, dass er zu meiner Begrüßung nicht eigens aufstehe, dennoch ist er hier weit entfernt vom umjubelten und strahlenden Star, wirkt vielmehr nachdenklich, bescheiden. Die Bühnenstimme, in der immer das auftrumpfende Timbre des Operettenkönigs mitschwingt, hat er abgelegt, er spricht leise, langsam, zurückgenommen, mit großem Bedacht. Doch all das schmälert nicht seine Ausstrahlung, ja seinen Charme. Ganz im Gegenteil. Auch in diesem Moment noch, als er kurz vor seinem 99. Geburtstag in der etwas zu großen Strickjacke in der bescheidenen Garderobe vor mir sitzt, kann ich nachvollziehen, warum Millionen von Frauen ihn anhimmelten und von ihm träumten, wenn sie ihn auf der Leinwand oder der Bühne sahen, warum Millionen von Männern sich wünschten, einmal so elegant, formvollendet und weltgewandt zu sein – und einmal solchen Erfolg bei Frauen zu haben wie er.

Spätestens in diesem Moment wird mir bewusst, dass meine Beschäftigung mit Johannes Heesters noch manche Überraschung bringen, dass meine Recherche manch Unerwartetes zu Tage fördern wird. Gerade weil in der Vergangenheit so häufig die Rollen und Klischees mit dem Menschen verwechselt wurden, der hinter diesem Image steht und von dem man letztlich nur wenig weiß, ist es mir wichtig, mit den vielfältig wuchernden Klischees aufzuräumen, um ein möglichst authentisches und facettenreiches Bild des Menschen und Künstlers Johannes Heesters zu zeichnen.

Es ist der 16. November 2002. München-Unterhaching. Tschechows Kirschgarten, jene melancholische Komödie über die Ablösung des Überkommenen durch das Gegenwärtige, des Alten durch das Neue, entstand 1903, im Geburtsjahr von Johannes Heesters. Es ist sicher kein Zufall, dass der hochbetagte Mime kurz vor seinem 99. Geburtstag in einer mehrmonatigen Theatertournee gerade die Rolle des alten Dieners Firs spielt, der ein Symbol der Vergangenheit ist, einer, den man aus Versehen im versteigerten, nun leerstehenden Anwesen vergisst und der beschließt zu sterben, weil er nicht bereit ist, die alte Welt, aus der er stammt und die ihm Heimat war, aufzugeben – wissend, dass es in der neuen Welt keinen Platz mehr für ihn geben wird. Eine große Altersrolle, zweifellos, die Heesters nach seiner langen Schauspielerlaufbahn noch immer mit außergewöhnlicher Bühnenpräsenz, mit markanter und fester Stimme füllt.

Tschechows Kirschgarten demonstriert, wie unüberwindbar die Kluft zwischen der alten und der neuen Welt ist: Auf der einen Seite die in der Vergangenheit lebende Gutsbesitzerin Ljubow Andrejewna Ranewskaja, die unfähig ist, etwas gegen die Zwangsversteigerung ihres Besitzes zu unternehmen, auf der anderen Seite der Kaufmann Jermolaj Alexejewitsch Lopachin, der das Gut, auf dem seine Vorväter noch als Leibeigene gearbeitet haben, erwirbt, es einebnen und den wunderbaren Kirschgarten roden lässt, um darauf eine Reihe schmucker Wochenendhäuser zu errichten. Der alte Firs ist in diesem durcheinandergeratenen Kosmos, inmitten des radikalen Umbruchs, zum Sterben verurteilt. In der neuen Welt wird er niemals ankommen, sein altes Leben aber hat sich aufgelöst, es ist spätestens in dem Moment vorbei, als seine Herrschaft, heimatlos geworden, in alle Winde zerstreut wird, neuen und unklaren Zielen entgegen. Nur er bleibt zurück, legt sich, seiner Kraft und Energie beraubt, zum Sterben nieder, während dumpfe Axthiebe das Ende des Kirschgartens besiegeln. Eine große Szene für Heesters, die letzte des Stücks. Vorher aber darf ihm seine zweite Frau, die Schauspielerin Simone Rethel, noch eine Liebeserklärung auf offener Bühne machen. Sie verkörpert die Rolle der Charlotta Iwanowa, einer eigenwilligen Gouvernante, die ihre Umwelt mit kleinen Zauberkunststücken und mit Bauchreden zum Lachen bringt. Das »Zeit für dich, zu sterben, Großvater«, das Charlotta Iwanowa im Originaltext Tschechows zum alten Firs zu sagen hat, wurde in der Inszenierung gestrichen. Statt dessen darf Simone Rethel gestehen: »Ich liebe Dich, alter Mann.«

Nicht nur Heesters’ Frau, auch der Großteil des Publikums wird in diesem Moment eine tiefe Zuneigung zu dem Mann verspüren, dessentwegen man ins Theater gekommen ist – gerade weil Johannes Heesters nicht, wie der alte Firs, ein ausgedientes Symbol der Vergangenheit ist. Der Blick auf das Leben und insbesondere auf die Alterskarriere dieses großen Mimen wird zeigen, dass Heesters selbst keineswegs ein Mensch ist, der schwelgerisch oder melancholisch der Vergangenheit nachhängt, in Erinnerungen ertrinkt oder an der Gegenwart verzweifelt, sondern der auch noch in hohem Alter voller Neugier auf neue Anregungen und Impulse reagiert, mitten im Berufsleben steht, ein Mann, der zwar durchaus auch ein Symbol der Vergangenheit ist, für den es aber dennoch einen Platz in der Gegenwart gibt und der deshalb plant, seine Karriere auch noch über seinen 100. Geburtstag hinaus fortzusetzen.

Im Unterhachinger Kulturzentrum herrscht an diesem Abend großer Andrang. Schon seit Wochen ist die Vorstellung restlos ausverkauft. Auch mir gelang es nur durch Glück und Zufall, noch eine Karte zu ergattern. Schon an der Kasse bekomme ich zu spüren, wie die Atmosphäre des Abends sein würde. Die anderen Gäste werden namentlich und mit Handschlag begrüßt, keiner versäumt, sich in epischer Breite und in stärkstem bayerischen Dialekt nach den kürzlich geborenen Zwillingen des Kartenverkäufers zu erkundigen. Man kennt sich, es geht familiär zu. Die Gespräche im Foyer offenbaren schnell, dass man gekommen ist, um Johannes Heesters zu sehen. Er ist die Trophäe, die an diesem Abend präsentiert werden soll.

Der Großteil der Besucher ist im Rentenalter, der hohe Anteil von Besucherinnen fällt auf. Das sind sie wohl: Heesters’ Verehrerinnen, Frauen, die den Star schon in ihrer Jugend angehimmelt haben. Johannes Heesters ist für sie eine feste Größe in ihrem Leben, er tritt immer noch auf und strahlt auf der Bühne, während man selbst sich mit manchen Sorgen des Alters herumzuplagen hat. So ist es fast selbstverständlich, dass man heute abend gekommen ist, um ihm seine Reverenz zu erweisen. Man ist gespannt, ob und wie der beinahe Hundertjährige den Abend meistern wird – und kann sich bald schon davon überzeugen, dass er es mit Bravour tut. Und natürlich trägt er auch an diesem Abend das Kleidungsstück, in dem er berühmt geworden ist. Einst erzählte man sich gar die Anekdote, dass der Frack überhaupt erst für Heesters erfunden worden sei, so sehr identifizierte man ihn damit.

Als der Vorhang fällt, tost begeisterter Beifall los. Standing ovations für Heesters, natürlich, die sind für einen Schauspieler in diesem Alter selbstverständlich. Anschließend im Foyer strahlende Augen. An diesem Abend scheinen sich – wenn auch spät – unzählige Jungmädchenträume erfüllt zu haben. Auch wenn man längst mit seinem Jugendidol gealtert ist, man hat ihn leibhaftig auf der Bühne gesehen, endlich. Und kann ein paar Stunden träumen, von damals, als man selbst noch jung und Jopie Heesters als Graf Danilo in Franz Lehárs Operette Die lustige Witwe, oder in seinen vielen anderen Rollen, der Inbegriff des charmanten Lebemannes war, der mit seinem Lächeln die Herzen der Frauen leichtfüßig und im Sturm zu erobern wusste.

Doch warum nimmt Johannes Heesters es trotz seines hohen Alters noch weiter auf sich, auf der Bühne zu stehen? Fernsehauftritte oder kleine Filmrollen alternder Stars sind an der Tagesordnung, nun gut. Aber eine Theatervorstellung, die zwei Stunden oder länger dauert und eine immense Anstrengung bedeutet? Ist ein solches Unterfangen nicht immer potentiell mit der Gefahr verbunden, ins Peinliche abzurutschen? Man denkt unweigerlich an den alten Heinz Rühmann, der bei seinen letzten Fernsehauftritten seltsam verloren und desorientiert wirkte. An Heesters’ frühere Kollegin Marika Rökk, die auch im Alter von 82 Jahren noch meinte über die Bühne wirbeln und Seniorensport betreiben zu müssen. An Zarah Leander, die ihre Karriere mit Auftritten in Möbelhäusern und Einkaufszentren beendete und nur noch wie eine schlechte Parodie ihrer selbst wirkte. An Frank Sinatra, der es mit schief sitzendem Toupet nicht mehr schaffte, den Text »seines« Liedes My Way von riesigen Monitoren abzulesen. Oder an Marlene Dietrich, die mehrmals betrunken von der Bühne stürzte, bis sie sich radikal aus der Öffentlichkeit zurückzog.

In all diesen Fällen ist die Schwelle zwischen Rührung und Mitleid hauchdünn, bleibt trotz des Jubels, der Lobreden und der Standing ovations ein schaler Geschmack zurück. Stets fragt man sich, warum diese Menschen nicht den Mut haben, von der Bühne abzutreten, oder warum es keine Freunde oder Berater gibt, die ihnen klarmachen, dass es an der Zeit sei, aufzuhören, loszulassen, Abschied zu nehmen. Bei Heesters scheint dies anders zu sein. Nicht übersteigerter Ehrgeiz und Starrköpfigkeit oder die Unfähigkeit, aus dem Rampenlicht treten zu können, sind es, die ihn immer wieder auf die Bühne und vor die Kameras treiben. Vielmehr hat er offenbar im tiefsten Innern das Gefühl, dass sein Publikum – und das ist vielleicht das Schönste für einen Menschen, der mit Leib und Seele Schauspieler ist –, ihn noch braucht. Dies ist es offenbar, was Heesters, der, was sein Publikum anlangte, zeitlebens preußische Pflichterfüllung an den Tag legte, heute noch umtreibt. Das Phänomen Johannes Heesters lässt sich nur verstehen, wenn man begreift, wofür er heute noch steht.

Johannes Heesters war der erste Holländer1 in Deutschland, das – wie es einst ein Journalist formulierte – »Haltbarste, was Deutschland je aus Holland importiert hat«.2 Er bezauberte mit seinem Charme und mit seinem unnachahmlichen holländischen Akzent gleich mehrere Generationen von Deutschen. Der Operettentenor, der nach einer beachtlichen Karriere in den Niederlanden und in Belgien über den Umweg der Wiener Volksoper 1935 nach Berlin kam, wurde dank der Liebe, Zuneigung und Bewunderung, die ihm sein Publikum entgegenbrachte, zu einem Dauerbrenner im deutschen Musik- und Theaterbetrieb, im Showbusiness, im Kino wie später auch im Fernsehen. Seine außergewöhnlich lange Laufbahn liest sich wie ein Operettentraum, sein Leben wie eine einzige Erfolgsgeschichte bis ins hohe Alter. Während Großmütter und ihre Töchter gleichermaßen den schmucken, stets perfekt und elegant gekleideten Holländer anhimmelten und davon träumten, sich von ihm ins Traumland der Liebe entführen zu lassen, ist er heute durch seine unermüdliche Tätigkeit und seine ungebrochene Ausstrahlung auch noch den Enkeln ein Begriff. Für sie ist er das Fossil aus einer längst entschwundenen Vergangenheit – und gerade das hält die Faszination für Johannes Heesters nach wie vor am Leben.

Heesters entstammt einer Zeit, in der jede Frau ein süßes Geheimnis hatte und den Männern Avancen machte. Einer Zeit, in der Männer schöne Frauen am geduldigen Klavier bezaubern, in der man tausend Gefühle verbergen muss bis zum ersten seligen Kuss. Die Welt des Johannes Heesters ist eine, die durchs Champagnerglas betrachtet wird, in der das Gute siegt und die Liebe triumphiert. Eine Welt der Grafen und der Grandhotels. Die Welt der Operette und des Pomps, der Sehnsucht, des Verlangens und der Eifersucht, der List und der Tücke, der Verwicklungen, Verwechslungen und Intrigen, der kitschigen Gefühle. Ein schillernder, zu Herzen gehender Kosmos des schönen Scheins und der Sinnenfreuden, in der sich alle zeitweiligen, meist nur oberflächlichen Konflikte schon bald in Harmonie und Wohlgefallen auflösen. Eine Zauber- und Märchenwelt, in die über Jahrzehnte Millionen von Menschen nur zu gern vor dem grauen Alltag flüchteten: »Wie betörend dieser exotische Flitterglanz und farbenprächtige Kitsch! Wie wohltuend, sich erstaunen zu lassen, der Rührung nachzugeben, gefühlsselig zu schwärmen, Träumen nachzuhängen!«3

Schon der Klang seines Namens löst bestimmte Assoziationen aus. Wer den Namen Johannes Heesters hört, sieht den hocheleganten Bonvivant im maßgeschneiderten Frack vor sich, der weiße Handschuhe trägt, den Zylinder lässig auf dem Kopf, den Spazierstock in der Hand balancierend und sich den schneeweißen Schal über die Schulter werfend, so grazil, wie nur Heesters es vermochte. Wer den Namen Johannes Heesters hört, meint die Eiswürfel in den Champagnerkühlern klirren zu hören und hat auch schon die großen Melodien auf den Lippen, die Heesters berühmt machten – oder die er berühmt machte: Heut’ geh’ ich ins Maxim, Man müsste Klavier spielen können, Es kommt auf die Sekunde an bei einer schönen Frau, Ich werde jede Nacht von Ihnen träumen, Wunderschön ist es, verliebt zu sein, Lippen schweigen, ’s flüstern Geigen oder Ein Glück, dass man sich so verlieben kann. Man denkt an seine großen Rollen, den Grafen Danilo Danilowitsch in Franz Lehárs Die lustige Witwe, den Grafen Tassilo in Emmerich Kálmáns Gräfin Mariza, den Ulrich Hansen in Friedrich Schröders Hochzeitsnacht im Paradies, den Georges Duroy in Peter Kreuders Bel Ami, den Honoré Lachailles in Frederick Loewes Gigi oder René, den Grafen von Luxemburg in Lehárs gleichnamiger Operette. Oder man denkt an seine großen Filme: Der Bettelstudent und Gasparone, Hallo Janine und Glück bei Frauen, Jenny und der Herr im Frack und Illusion, Die Fledermaus, Die Csárdásfürstin oder aber Opernball.

Die Hochzeit der fulminanten Karriere Heesters’ waren die dreißiger und vierziger Jahre. Mit den meisten Filmen, die er in der Nachkriegszeit drehte, konnte er nicht mehr an diese Erfolge anknüpfen. Die Welt, der Heesters entstammte, begann zu bröckeln und bald schon ganz zu verschwinden. Für viele blieb er das letzte Relikt aus dieser Zeit, eine lebende Hommage an eine untergegangene Welt, die sich hervorragend zur Verklärung eignete. Dennoch verschwand er niemals ganz von der Bildfläche, brauchte, da es nie still um ihn wurde, nie ein Comeback zu starten. Seine Karriere verlagerte sich lediglich – vom Film zurück auf die Bühne und bald auch schon ins Fernsehen, so dass er mit zahlreichen eigenen Shows, Fernsehfilmen und Gastauftritten auch dem nachwachsenden Publikum ein Begriff blieb. Die heutige Begeisterung für Johannes Heesters hat nicht zuletzt mit seinem erfolgreichen Wechsel ins Charakterfach zu tun. Mit seinem Auftreten in Stücken wie Casanova auf Schloss Dux, in Curth Flatows Ein gesegnetes Alter und schließlich in Tschechows Kirschgarten blieb er präsent. Schaffensfreudig wie eh und je, beabsichtigt er sogar, seine Karriere bis zu seinem einhundertsten Geburtstag und darüber hinaus fortzusetzen, was nur durch die tatkräftige Unterstützung seiner zweiten Frau Simone Rethel überhaupt erst ermöglicht wird. Sein Charme, für den er einst berühmt geworden ist, scheint tatsächlich unverwüstlich zu sein.

Anders als bei Künstlern des Dritten Reiches wie etwa Leni Riefenstahl oder Veit Harlan, die zutiefst in die Machenschaften des Regimes verstrickt waren und sich so offensichtlich von den Verlockungen der Macht haben korrumpieren lassen, stellt es eine besondere Herausforderung dar, das Leben eines Schauspielers zu beleuchten, dessen Karriere auf den ersten Blick weit weniger problematisch erscheint, der sich nicht für Propagandastreifen hergab und lediglich Filme gedreht, Stücke gespielt und Lieder gesungen hat, deren herausragendste Eigenschaft es war, unpolitisch zu sein. Doch inwieweit hat auch Heesters vom NS-Regime profitiert und es durch seine Arbeit gestützt? Zu welchen Zugeständnissen war er für seine Karriere bereit? Inwieweit kann und darf man ihm Vorwürfe machen?

In den neun Jahren seiner Karriere in Nazi-Deutschland war Johannes Heesters ein fest etablierter Star. Innerhalb kürzester Zeit hatte er erreicht, dass das deutsche Publikum seinetwegen ins Kino ging und Millionen Menschen seine Lieder kannten, was seinen Status schnell sicherte und ihm gewisse Privilegien verschaffte. Dennoch verlief hinter den Kulissen nicht alles so reibungslos, wie es auf den ersten Blick scheint, denn es gab in dieser Zeit sehr wohl Widersprüche und Spannungen. So hatte sich Heesters im Mai 1941 zwar von der SS dazu instrumentalisieren lassen, das Konzentrationslager Dachau zu besuchen, andererseits jedoch reiste er 1938 ohne die Genehmigung der zuständigen NS-Behörden nach Holland, um dort mit einem Ensemble geflohener jüdischer Schauspieler die Gräfin Mariza des in Deutschland verbotenen Komponisten Emmerich Kálmán zu spielen, und zog sich damit den Zorn des Propagandaministers zu.

Neben unzähligen Zeitungsberichten und Kritiken, zahlreichen Dokumenten aus dem Bundesarchiv Berlin oder anderen film- und musikwissenschaftlichen Archiven, die das Fundament dieses Buches bilden, haben Interviews und Gespräche mit Heesters’ Kollegen wie Anneliese Rothenberger, Peter Alexander, Marika Rökk, Margot Hielscher, Carola Höhn, Ilse Werner und Marcel Prawy, mit seinen Regisseuren oder Produzenten, so etwa mit Artur Brauner oder Gyula Trebitsch, die Recherche bereichert.

Aber nicht nur die Karriere und das öffentliche Leben, vor allem der private Johannes Heesters interessierte mich, wenn mir auch von Beginn an klar war, dass dies ein schwierigeres Unterfangen sein würde, als die Stationen seiner beruflichen Laufbahn nachzuzeichnen. Wer ist der Mensch hinter dem Image des strahlenden Lebemannes? Wie weit kongruieren Leben und Image? Welche Brüche, welche Übereinstimmungen gibt es? Heesters hat über weite Strecken seines Lebens sein Privatleben abgeschirmt, es ist ihm fast ausnahmslos gelungen, Skandale zu vermeiden. Die im Kollegenkreis kursierenden Gerüchte über seine angeblichen Affären drangen selten an die Öffentlichkeit. Heesters gab nicht nur auf der Leinwand und in seinen Bühnenauftritten den charmanten Bonvivant, der die Frauen verehrt, sie aber niemals verletzt, sondern genau dies machte auch sein Image als Privatmann aus und kam bei seinen Fans gut an. Sein Leben jenseits der Bühne, jenseits des Images des Galans und Bonvivants, war dagegen leise, diszipliniert, unaufgeregt. Auf der Bühne bediente er sein Image, egal ob vor seinem holländischen, dem österreichischen oder dem deutschen Publikum – oder vor Hitler, dessen Lieblingsschauspieler Heesters war. Danach schminkte er sich ab, zog den Frack aus und ging nach Hause. Die Gespräche mit seiner zweiten Frau Simone, seinen Töchtern Wiesje und Nicole, seinen Enkeln und Menschen, die ihn auch aus dem privaten Erleben kennen, und nicht zuletzt mit Heesters selbst brachten zum Vorschein, dass der strahlende Ufa-Star vergangener Tage zeitlebens eher ein Skeptiker, ein nachdenklicher und besonnener Mensch war. Aber vielleicht sind genau das zwei Seiten, die immer unweigerlich zusammenhängen: »Denn der Mensch ist dazu gemacht, Gegensätze zu vereinigen. Er ist nicht dies, sondern immer dies und das Gegenteil davon« (Egon Friedell).

Der persönliche Zugang zu Heesters und seiner Familie, das war mir von Beginn an klar, war von entscheidender Bedeutung, um ein möglichst tiefenscharfes Bild des Menschen Johannes Heesters zeichnen zu können, denn viele Fragen zu den Hintergründen seiner Karriere oder zum Privatleben Heesters’ konnten nur durch die Auskünfte der Familie oder ihn selbst beantwortet werden. Ursprünglich war Heesters durchaus skeptisch, als ich ihm mitteilte, dass ich ein Buch über ihn schreiben wolle – schließlich, so wandte er im ersten Telefonat ein, sei doch gerade eine neue Ausgabe seiner Memoiren erschienen. Was sei schon noch mehr über ihn zu sagen? Sicherlich schwang in dieser ersten, reflexartigen Ablehnung auch das nachvollziehbare Bedenken mit, das damit verbunden ist, wenn sich ein anderer Mensch des eigenen Lebens zu bemächtigen versucht, anfängt zu graben, einen neuen Zugang zu finden, Wertungen vorzunehmen und Fragen zu stellen, denen man vielleicht selbst lieber ausweichen würde. Die Angst auch vor Indiskretionen sicherlich. Doch spätestens mit der ersten persönlichen Begegnung war das Eis gebrochen, war klar, dass es eine wie auch immer geartete Unterstützung meiner Recherche geben würde. Als ungemein positive Erfahrung verbuche ich es, dass dies in der Folgezeit geschah, ohne dass in irgendeiner Weise versucht wurde, Einfluss auf die Darstellung zu nehmen, ohne dass Bedingungen an die geleistete Unterstützung geknüpft wurden.

Heesters’ Popularität ist auch im hohen Alter fraglos ungebrochen. Das überwältigende Medienecho zu seinem 99. Geburtstag, das von Berichten und Homestories der Boulevardpresse bis hin zu Würdigungen in den Feuilletons der großen Zeitungen reichte, belegt dies. Auch das ist für Heesters charakteristisch. Er war zeitlebens ein Mensch, der Gegensätze vereinte. Sein Charme half ihm einst, Ländergrenzen spielerisch zu überwinden, er war in den Niederlanden und Belgien ebenso populär wie später in Deutschland und Österreich. Nur der Rückweg war ihm versperrt, die Holländer verziehen ihrem Landsmann nie, dass er Karriere in Nazideutschland machte, während Hitlers Truppen sein Heimatland okkupierten.

Wenn man bedenkt, wie beispielhaft Heesters’ Leben für das 20. Jahrhundert ist, wie wenig sein Name aus der Geschichte der Operette und des Theaters, des Films, des Fernsehens, aber auch der Musikgeschichte wegzudenken ist, wie sehr er diese Bereiche der modernen Medienkultur mitgeprägt hat und wie präsent sein Name auch heute noch ist, dann verwundert es, dass dies die erste Biographie dieses Mannes ist. Das Thema bietet Chancen, die vielleicht erst auf den zweiten Blick sichtbar werden. Denn die Biographie des Johannes Heesters weitet sich zu einem Panorama des ganzen zurückliegenden Jahrhunderts, sie lässt eine Welt wiederauferstehen, die zwar längst untergegangen ist, aber immer noch fasziniert.

Teil I
Ein überzeugter Holländer
(1903–1934)

1.
»Nichts als Kaufleute«
Kindheit und Jugend in Amersfoort, Baarn und Amsterdam

Spurensuche vor Ort. Amersfoort im Nordosten der niederländischen Provinz Utrecht. Heute eine florierende Stadt, nur noch der Stadtkern erinnert an das Amersfoort von einst, in dem Johannes Heesters 1903 zur Welt kam. Um heute in Heesters’ Geburtsstadt zu kommen, fährt man über die Autobahn, die vom niederländischen Maastricht an Eindhoven und ’s-Hertogenbosch in der Provinz Noord-Brabant vorbeiführt, durch den westlichen Zipfel der Provinz Gelderland, weiter nordwärts Richtung Utrecht, der kleinsten der niederländischen Provinzen, die man erreicht hat, nachdem man die Lek, den südlichen Grenzfluss, hinter sich gelassen hat. Bei Utrecht, einer der bedeutenden Universitätsstädte der Niederlande, führt die Straße durch eine bewaldete Hügellandschaft mit für die Niederlande beachtlichen Höhen geradewegs zum nordöstlich der Provinzhauptstadt gelegenen Amersfoort, vorbei an pittoresken Dörfern und Gehöften, windgeschützt hinter Bäumen und Hecken versteckt, und den so charakteristischen weltberühmten Windmühlen.

Die ursprüngliche Landschaft dieser Gegend, die noch Heesters’ Kindheit prägte, ist durch die stetige Bevölkerungszunahme in den letzten hundert Jahren grundlegend, ja beinahe dramatisch verändert worden. Die Wälder wurden abgeholzt, um Weideland für das Vieh zu schaffen, und durch den Torfabbau, das sogenannte Torfstechen, verschwanden die Moore. Bereits im 18. Jahrhundert florierte in der Provinz Utrecht die Wirtschaft, reiche Bürger des Landes ließen sich hier nieder und bauten sich prächtige Landsitze. Die Industrialisierung des 19. Jahrhunderts brachte weiteren Aufschwung für die Gegend, und im 20. Jahrhundert kam es zu einer sukzessiven Verstädterung des Landstrichs, der Entstehung von Ballungsräumen und einem dadurch bedingten stetigen Ausbau der Infrastruktur. Auch wenn das von Wald und Heidelandschaften geprägte Umland von Amersfoort auf diese Weise stark verändert wurde und Platz für die unzähligen neuen Ortsteile und Industriegebiete, Kasernen und den Militärflughafen der Stadt machen musste, ist der historische Stadtkern, an dessen westlichem Rand Heesters vor einhundert Jahren geboren wurde und seine ersten sieben Lebensjahre verbrachte, beinahe vollständig erhalten geblieben. Noch heute ist der Kern der über tausend Jahre alten Garnisonsstadt von einem Grachtenring eingefasst, an dem entlang einst die Stadtmauer verlief. Einige der mächtigen, die Eem überspannenden Torbauten haben den Abbruch der Befestigungsanlage im Jahre 1829 überlebt und zeugen vom Reichtum Amersfoorts im Mittelalter, als Tuchmacher, Bierbrauer, Tabakbauern und Händler für Wohlstand sorgten. Schon damals unterhielt die Stadt weitreichende Handelsbeziehungen, die zur Aufnahme in die Norddeutsche Hanse führten. Auf den Überresten der einstigen Stadtmauer wurden später die sogenannten Muurhuizen, Mauerhäuser, errichtet, die ebenso wie die alten innerstädtischen Giebelhäuser, die altertümlich anmutenden schmalen Gassen und Plätze und die winzigen, idyllischen Gärten bis heute ausnahmslos erhalten und liebevoll instand gesetzt worden sind. Wahrzeichen Amersfoorts ist nach wie vor der markante, einhundert Meter hohe Lange Jan, wie der um 1500 entstandene Turm der im spätgotischen Stil errichteten Amersfoorter Liebfrauenkirche Onze Lieve Vrouwen, im Südwesten der malerischen Altstadt gelegen, auch genannt wird. Von hier aus kann man an klaren Tagen bis nach Utrecht schauen. Die dazugehörige Kirche, die einst als Pulverlager zweckentfremdet worden war, flog 1787 bei einer Explosion in die Luft. Seitdem ist die mehr im Zentrum der Altstadt gelegene, im 13. Jahrhundert erbaute St. Joris-Kerk, auch Grote Kerk genannt, die Hauptkirche der Amersfoorter Bevölkerung. Noch heute kann man hier das für die Niederlande typische Glockenspiel der Kirche hören, das von François Hemony, einem der berühmtesten Glockengießer des 17. Jahrhunderts, geschaffen wurde. Schon in Heesters’ Kindheit rief es die Menschen zum Gottesdienst.1

Die Amersfoorter, die heute mit dem Slogan »Stad met een hart«, Stadt mit Herz, werben, sind stolz auf ihre Stadt und deren lange Geschichte – und wahren deren Traditionen. Das stadthistorische Museum Flehite, im Nordwesten der Altstadt, unweit des Havik, des einstigen Hafens von Amersfoort, gelegen, bestand schon in Heesters’ Kindertagen und erinnert an die reiche Vergangenheit der Stadt. Und das jährliche Keistadtfest, das man zu Ehren des Amersfoortse kei, des Amersfoorter Steins, eines großen Findlings, veranstaltet, gibt es sogar bereits seit 1661.

Auf prominente Söhne und Töchter der Stadt verweist man gern. Etwa auf jenen Ratspensionär John van Oldenbarneveldt, der in Zeiten des langen Unabhängigkeitskampfs gegen die spanische Herrschaft so wichtig für die Geschicke Hollands war und als einer der führenden Minister und Vordenker der jungen niederländischen Republik galt, bis er 1619 aufgrund des Vorwurfs, er habe den Religionsfrieden gestört, zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde. Aber nicht nur auf historische Gestalten, auch auf Künstler des 20. Jahrhunderts, die aus Amersfoort stammen, ist man stolz. So erinnert etwa das Mondrianhuis daran, dass Piet Mondrian, einer der Wegbereiter der abstrakten Malerei, ein gebürtiger Amersfoorter war.

An einen anderen großen Sohn der Stadt, Johannes Heesters, erinnert heute jedoch nichts, ihm hat man auch in Amersfoort nicht verziehen, dass er in den dreißiger Jahren sein Heimatland verlassen und in Nazideutschland Karriere gemacht hat. An seinem Geburtshaus in der Puntenburgerlaan, im westlich der Altstadt gelegenen Viertel Soesterkwartier, das um die Jahrhundertwende jenseits der neu errichteten Eisenbahnlinie nach Amsterdam erbaut wurde und von wo aus man geradewegs bis zum Langen Jan schauen kann, verweist heute keine Tafel auf den berühmten Amersfoorter. Die Erinnerung an ihn ist hier beinahe vollständig verblasst, auch im nur einige Gehminuten vom ehemaligen Refugium der Familie Heesters entfernten, in der Snoukaertlaan gelegenen Kinopalast Grand Théâtre Amersfoort kennt niemand den Namen Heesters. Mögen die älteren Amersfoorter in den dreißiger und vierziger Jahren noch die Filme gesehen haben, die Heesters in Deutschland gedreht hat und die auch in den Kinos der Niederlande gezeigt wurden, die meisten jüngeren Amersfoorter wissen nicht, dass der Mann, der als der berühmteste Holländer in Deutschland gilt, hier, in ihrer Stadt, geboren wurde.

Damals, in einer Zeit, als man noch wesentlich weniger mobil war als heute, lebte und arbeitete man in Amersfoort. Hier, wo man geboren worden war und wo man »hingehörte«, war auch der Lebensmittelpunkt. Fernweh war ein Gefühl, das nur die wenigsten kannten. So war es noch bei Heesters’ Urgroßeltern und seinen Großeltern, die Amersfoort nie verließen und niemals weit über die Stadtgrenzen hinausgekommen sind. Heesters’ Eltern gehörten zur ersten Generation, die aus der Stadt ihrer Vorfahren aufbrachen, um in Amsterdam ihr Glück zu versuchen. Damals stellten die fünfzig Kilometer nach Amsterdam noch eine kleine Weltreise dar. Heute pendeln viele Amersfoorter zur Arbeit in die Metropole, die durch die gewaltige Expansion und die Ausweitung ihres Einzugsbereichs immer näher gerückt ist. In Amersfoort leben heute über 100 000 Menschen. Der Baedeker-Reiseführer Holland und Belgien aus dem Jahre 1905, zwei Jahre nach Heesters Geburt erschienen, beschreibt Amersfoort noch als eine »Industriestadt mit 16 000 Einwohnern, gelegen an der Eem, inmitten eines sandigen Gebiets«.2

Damals, als Heesters noch als kleiner Junge durch die Straßen von Amersfoort lief, konnte niemand ahnen, welchen Weg der Sohn einer angesehenen Kaufmannsfamilie einmal einschlagen würde. Nichts von dem, was kommen sollte, war vorgezeichnet. Erst der spätere Umzug nach Amsterdam sollte die Impulse bringen, die dazu führten, dass er die Herkunft aus der Provinz sowie das Kaufmannsmilieu seiner Familie hinter sich ließ, jedoch ohne seine Wurzeln zu vergessen.

Der »Alleshandel« in der Puntenburgerlaan

Johannes Heesters wurde am 5. Dezember 1903 abends um elf Uhr geboren. In den Niederlanden ist dies traditionsgemäß ein ganz besonderer Abend, der Nikolausabend, der Tag vor Sinter Klaas, wie man ihn in Holland nennt. Wie in Deutschland und großen Teilen West- und Südeuropas ist dieses Fest auch hier vor allem den Kindern gewidmet, eine Tradition, die in den Niederlanden ganz besonders gepflegt wird, denn der heilige Nikolaus, im 11. Jahrhundert zum Schutzpatron der Seefahrer erkoren, genießt in der Seefahrernation ein hohes Ansehen.3 Am Abend vor Sinter Klaas, dem sogenannten Pakjesavond, Päckchenabend, stellt man die sorgfältig gereinigten Schuhe vor die Tür, in der Hoffnung, dass der heilige Nikolaus diese mit vielen Geschenken füllt. In Amersfoort griff man damals noch, wie überall in der niederländischen Provinz, zu den landestypischen Holzschuhen, Klompen genannt. Diese einfach herzustellenden, äußerst haltbaren und strapazierfähigen Schuhe, die heute längst zu einem beliebten Holland-Souvenir und Wahrzeichen des Landes geworden sind, waren die traditionelle Fußbekleidung des Landvolkes – und ein Kleidungsstück, über das sich die Städter bereits lustig machten: »Klompenvolk« war seit dem 19. Jahrhundert das Schimpfwort für die holländische Landbevölkerung.

Wenn man Glück hatte, konnte man am nächsten Morgen Geschenke in den Schuhen vorfinden. In Holland glauben die Kinder, dass der Sinter Klaas und sein Diener, der Zwarte Piet, das Jahr über in Spanien leben und ein großes Buch führen, in dem sie die guten und schlechten Taten der Kinder festhalten. Von da aus machen sich die beiden dann mit einem großen Schiff nach Amsterdam auf, wo sie von der Königin und dem Bürgermeister empfangen werden. Während Nikolaus auf einem weißen Pferd durch die Städte und über das Land zieht, steigt sein Diener, der Schwarze Piet, durch die rußigen Kamine und verteilt die Geschenke.

Bei den Heesters’, einer Kaufmannsfamilie, stellten an diesem Nikolausabend die drei Söhne zwar auch ihre Klompen vor die Tür, doch sie interessierten sich an diesem Abend viel mehr für das, was sich im Haus ereignete: die Geburt eines weiteren Kindes, wiederum eines Jungen, der – wenn auch nur mit dem dritten Vornamen – immer an seine Geburt am Nikolausabend erinnert werden sollte, Johan Marius Nicolaas, der später unter dem Namen Johannes Heesters in Deutschland bekannt werden sollte.

Zwei Tage nach der Geburt, am 7. Dezember, teilten der 37jährige Jacobus Heesters und seine zwei Jahre jüngere Frau Geertruida Jacoba van den Heuvel der Gemeinde Amersfoort die Geburt ihres vierten Sohnes mit, worauf die Geburtsurkunde ausgestellt und der neue Erdenbürger in das Bevolkingsregister Amersfoort aufgenommen wurde.4 Jacobus und Geertruida, beide gebürtige Amersfoorter, hatten zehn Jahre zuvor, am 18. Oktober 1893, geheiratet.5 Als Trauzeugen fungierten die beiden Väter der Eheleute: der 72jährige Cornelis Heesters, Kaufmann wie sein Sohn, und der 64jährige Jacob van den Heuvel, von Beruf Grobschmied. Der 27jährige Jacobus hatte sich zu diesem Zeitpunkt schon als Kaufmann eine Existenz aufgebaut. Die zwei Jahre jüngere Geertruida hatte bis zur Heirat als Näherin gearbeitet, gab nun aber ihren Beruf auf, wurde ganz Ehefrau und Mutter, wie es die Gesetze der Provinz in dieser Zeit noch wollten. Dem niederländischen Brauch folgend, behielt Geertruida Heesters auch nach der Heirat ihren Mädchennamen zusätzlich bei, in offiziellen Dokumenten wurde sie zeitlebens als Geertruida Jacoba van den Heuvel geführt.

Zum Zeitpunkt der Hochzeit war Geertruida bereits im siebten Monat schwanger. Zwei Monate nach der Eheschließung wurde der älteste Sohn Cornelis Johannes Joseph (genannt Cor) geboren, just am 25. Dezember 1893, an dem man nicht nur den ersten Weihnachtstag, sondern auch noch den achtundzwanzigsten Geburtstag des frischgebackenen Vaters feierte. Natürlich war der erstgeborene Sohn für den stolzen Vater das schönste Geburtstags- und Weihnachtsgeschenk. Vier Jahre sollte es dauern, bis Geertruida erneut schwanger wurde. Am 7. April 1897 wurde ihr zweites Kind geboren, wiederum ein Sohn, den die Eltern nach dem Vater auf den Namen Jacobus Antonius (genannt Jacob) tauften. Auch beim dritten Kind ging Geertruidas Wunsch nach einer Tochter nicht in Erfüllung. Am 1. Februar 1900 wurde der dritte Sohn geboren, Jacobus Wilhelmus Cornelis (genannt Nico). Und zwei Jahre später, am 19. Februar 1902, wurde endlich die langersehnte Tochter geboren.6 Das auf den Namen Johanna Maria getaufte Mädchen sollte jedoch das Säuglingsalter nicht überleben. Bereits vier Monate später, am 20. Juni 1902, wurde im Einwohnerregister von Amersfoort ihr Tod verzeichnet. Die genaue Todesursache ist unbekannt.7

Die Geburt von Johan Heesters, der von Kindesbeinen an mit dem Kosenamen »Jopie« gerufen wurde, war traditionsgemäß als Hausgeburt durchgeführt worden, auch seine drei älteren Brüder und die verstorbene Schwester waren in dem geräumigen Haus in der Puntenburgerlaan geboren worden, in dessen Erdgeschoss sich das Geschäft der Familie Heesters befand. Im Haus hatten neben der nunmehr sechsköpfigen Familie von Jacobus Heesters zeitweilig auch noch zwei seiner Brüder gelebt, der jüngere Bruder Godefridus, Jahrgang 1875, sowie Wilhelmus, Jahrgang 1863. Beide waren ebenso wie Jacobus Heesters in die Fußstapfen des Vaters getreten und hatten den Kaufmannsberuf ergriffen, das Haus ihres Bruders jedoch noch vor Johans Geburt wieder verlassen. Wilhelmus war 1899 nach Leusden gezogen, damals noch ein kleines Dorf, unmittelbar südöstlich vor den Toren Amersfoorts gelegen, um dort eine eigene Familie zu gründen, Godefridus hatte seine Geburtsstadt verlassen, um zur See zu fahren.8 Der Beruf des Kaufmanns, den Jacobus Heesters, sein Vater und seine Brüder und viele weitere nähere und fernere Verwandte ausübten, hatte in den Niederlanden durch die Kolonien und die weitreichenden Handelsbeziehungen schon seit Jahrhunderten einen großen Stellenwert, und insofern genossen die Heesters in Amersfoort ein hohes Ansehen.

Jacobus Heesters hatte sich, nachdem er bei seinem Vater Cornelis in die Lehre gegangen war, in seiner Geburtsstadt mit einem eigenen Geschäft selbständig gemacht – im neu errichteten Stadtviertel Soesterkwartier, in dem es zu jener Zeit noch so gut wie keine Geschäfte gab. Er besaß das, was man damals in der niederländischen Provinz einen »Alleshandel« nannte, in dem neben einer breiten Palette von Lebensmitteln auch das Wichtigste angeboten wurde, was man sonst noch zum Leben brauchte: »Zucker, Salz, Mehl, herrlich duftende Gewürze aus der ganzen Welt, aber auch Tongefäße, Zwirne, Wolle und Textilien gehörten zum Angebot.«9 Der Andrang war groß, das Geschäft in dem Eckhaus in der Puntenburgerlaan lief gut, es war »das größte am Platze«10, wie sich Johannes Heesters später erinnerte. Jacobus Heesters war ein geschickter Kaufmann, der den Bauern, Handwerkern und Manufakturen der Gegend ihre Waren abnahm und sie gewinnbringend weiterverkaufte. Seine Kunden behandelte er höflich und zuvorkommend. Er war stolz auf sein florierendes Geschäft und investierte auch in eine ansprechende Präsentation der Waren: »Unsere Geschäftsräume in Amersfoort konnten sich sehen lassen. Mit Säulen und feinen Holzregalen, langen Ladentischen und Spiegelwänden hinter Glastüren machten die hohen Räume schon Eindruck.«11 In einem solchen Ambiente gelang es Vater Heesters, seine Kunden, die froh waren, dass sie zum Einkaufen nicht bis in das einen Fußmarsch von zwanzig Minuten entfernte Zentrum laufen mussten, manches Mal auch dazu zu überreden, Dinge zu kaufen, die im bescheidenen Amersfoort einen Luxus darstellten, wie zum Beispiel Zigarren der allerbesten Qualität: »Den Verlockungen meines Vaters konnte über kurz oder lang keiner widerstehen.«12

Der Alleshandel von Jacobus Heesters war eine wichtige Anlaufstätte in dem kleinen Städtchen, den Namen Heesters kannte folglich jedes Kind. Für den geschäftstüchtigen Jacobus war es selbstverständlich, dass er an Markttagen seine Waren auch im Freien feilbot. Hierzu hatte er eigens zwei Pferde und einen hölzernen Wagen angeschafft, der Woche für Woche hoch mit den Warenkörben beladen wurde, deren Inhalt dann auf den Verkaufstischen des Amersfoorter Marktes, wo buntes und geschäftiges Treiben herrschte, ausgebreitet wurde. Seine drei Söhne begleiteten ihn an diesen Tagen, wie sie auch sonst im Geschäft des Vaters mithalfen und Besorgungen oder Auslieferungen für ihn erledigten, so wie sie es je nach Alter, Körperkraft und Fähigkeit vermochten: »Wir Jungens mussten helfen, und es hat immer riesigen Spaß gemacht«, erinnert sich Johannes Heesters später.13

Wenn Jacobus mittags und abends mit seinen vier Kindern vom Markt oder aus dem Geschäft in die im Obergeschoss des Hauses gelegene Wohnung kam, stand pünktlich das Essen auf dem Tisch. Die Rollenverteilung in der Familie war klar, die Aufgaben strikt getrennt. Während Jacobus für das Geschäft zuständig war und für den Unterhalt der Familie sorgte, war Geertruida für den Haushalt und die Erziehung der Kinder zuständig. Gemäß der traditionellen Vorstellungen, die Jacobus’ vier Söhne später weitgehend unverändert übernehmen sollten, hatte sie nur für die Familie zu leben und für das Wohl ihres Mannes und ihrer Kinder zu sorgen.

Das Familienleben der Heesters war entspannt und harmonisch, Streitigkeiten gab es kaum. Im Gegenteil, meist herrschte gute Laune, und es wurde viel gelacht. Jacobus machte sich gern einen Spaß daraus, abends seiner Frau und seinen Söhnen vorzuspielen, wie er tagsüber seine Kunden umschmeichelt und zum Kauf von Dingen überredet hat, die sie eigentlich gar nicht hatten kaufen wollen. Dennoch brachte er seinen Söhnen, von denen drei später selbst im kaufmännischen Bereich arbeiten sollten, bei, dass der Kunde stets König zu sein hat und man den Menschen herzlich und offen begegnen muss, wenn man Erfolg haben, wenn man ankommen und etwas erreichen will.

Auch wenn es den Heesters in dieser Zeit durch das florierende Geschäft gut ging, hielt Jacobus die Familie an, sparsam zu leben. Von unnötigem Luxus hielt man im Hause Heesters nichts. Selbst die Brüder des Vaters, deren kaufmännisches Geschick noch stärker ausgeprägt war und die es zu ansehnlichen Vermögen gebracht hatten, lebten verhältnismäßig bescheiden: »Meine Onkel haben es mit ihrem Kaufmannstalent zu holländischen Millionären gebracht. Leider waren sie alle geizig, besonders einer, der einen Eisenhandel betrieb und die Hufeisen auf Wunsch noch selbst beschlug – gegen Extrabezahlung versteht sich.«14 Diese Bodenständigkeit war eine prägende Erfahrung, denn auch als aus dem kleinen Jopie längst der gut verdienende Filmstar Johannes Heesters geworden und er durch seine Bühnenengagements, Filmgagen und Schallplattenverträge zum Großverdiener aufgestiegen war, blieb er der sprichwörtlichen holländischen Sparsamkeit treu. Ein Mann der großen Trinkgelder war Heesters nie.

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