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übersetzt von Paul Fleischmann

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www.editionkoch.de

Impressum

Die Autoren: Marcia Barrett mit Lloyd Bradley

Deutsche Erstausgabe 2018

Copyright © Marcia Barrett with Lloyd Bradley, 2018

First published in the United Kingdom in 2018 by Constable, an imprint of Little, Brown Book Group

Layout und Satz: Thomas Auer, www.buchsatz.com

Coverdesign: www.bw-works.com

Abbildungen Cover und Buchrückseite: © Didi Zill

Bilder Innenteil: Privatfotos mit freundlicher Genehmigung von Marcia Barrett

Lektorat und Korrektorat: Hollow Skai

© 2018 by Edition KOCH

Edition KOCH, ein Imprint der KOCH International GmbH, A-6604 Höfen

www.editionkoch.de

ISBN 978-3-7081-0528-4

Auch als Paperback erhältlich mit der ISBN 978-3-7081-0527-7

Hinweis für den Leser:

Kein Teil dieses Buchs darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, digitale Kopie oder einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet werden. Der Autor hat sich mit größter Sorgfalt darum bemüht, nur zutreffende Informationen in dieses Buch aufzunehmen. Es kann jedoch keinerlei Gewähr dafür übernommen werden, dass die Informationen in diesem Buch vollständig, wirksam und zutreffend sind. Alle durch dieses Buch berührten Urheberrechte, sonstigen Schutzrechte und in diesem Buch erwähnten oder in Bezug genommenen Rechte hinsichtlich Eigennamen oder der Bezeichnung von Produkten und handelnden Personen stehen deren jeweiligen Inhabern zu.

Inhalt

Vorwort von Eddy Grant

Einleitung: „Es war schwierig, nicht überwältigt zu sein“

Teil 1 – Sternenlicht

1. „Man muss einfach damit klarkommen“

2. „Plötzlich wollten alle Boney M. – überall“

3. „Ständig trafen wir auf Abba“

4. „Es war unser Job, toll auszusehen“

5. „Die Boney-M.-Blase“

6. „Frank Farian kam mit einer Tüte Ketten an“

7. „Zwei Drinks und nicht mehr“

8. „200.000 Menschen sangen ,Rivers of Babylon‘“

9. „All diese schwarzen Leute feierten auf dem Roten Platz“

10. „Wir alle suchten nach unterschiedlichen Dingen bei Boney M.“

11. „Verdammt, der ist aber geschickt!“

12. „Wir waren zu unserer eigenen Tribute-Band geworden“

Teil 2 – Meine Wurzeln

13. „Wir lebten auf dem Land“

14. „Kinder sind anpassungsfähiger, als man denkt“

15. „Ein Bus mit zwei Etagen!“

16. „Baby? Was für ein Baby?“

17. „Mein erster Vorgeschmack auf das echte Showbusiness“

18. „Ich schnappte mir das Mikro und begann zu singen“

Bildstrecke

Teil 3 – Beharrlichkeit

19. „Wir amüsierten uns einfach und fühlten uns großartig“

20. „Krebs! Das Wort springt einen förmlich an“

21. „Wieso sollte ich mir selbst leidtun?“

22. „Meine Beine fühlten sich an wie zwei tote Klumpen Fleisch“

23. „Wir stiegen aus dem Taxi und unser wunderbares Zuhause stank“

24. „Ich musste mir vom Gärtner Geld für das Begräbnis meiner Mutter borgen“

25. „Der Krebs verfolgt mich über alle Landesgrenzen hinweg“

Teil 4 – Zufriedenheit

26. „Ich weigere mich, mich meinem Alter entsprechend zu benehmen!“

Boney M. – Die goldenen Jahre

Danksagungen

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Auf den ebenso unsteten wie turbulenten Reisen in meinem Leben habe ich nur wenige Menschen getroffen, von denen ich aufrichtig behaupten kann, dass sie es wert sind, als „Helden“ bezeichnet zu werden: weder im Musikbusiness noch im – darf ich es sagen? – Leben im Allgemeinen. Mitunter fällt einem gar nicht auf, dass man Heldenhaftes vollbringt, während man sich um die Notwendigkeiten und Bedürfnisse des täglichen Lebens kümmert. Zumeist geht es schlichtweg darum, eine Aufgabe zu erledigen, etwas Geld zu verdienen, gelobt zu werden (oder auch nicht), um sich dann der nächsten Aufgabe widmen zu können. All dies gehört zum scheinbar nie enden wollenden Prozess, mit dem man seine Lebensgrundlage zu sichern versucht.

Doch 1979 durfte ich eine ebensolche Heldin kennenlernen. Die ganze Welt, so schien es, war gerade damit beschäftigt, die Schallplatten zweier enorm erfolgreicher Popgruppen zu kaufen: Abba und Boney M. Ihre kommerziellen Reichweiten waren schlicht atemberaubend. Sie waren für das Musikbusiness, was Muhammed Ali und Joe Frazier in der Welt des Boxens darstellten. So wie schon die Beatles vor ihnen, besaß jedes einzelne Mitglied der beiden Gruppen seine jeweils eigenen Fans, die fast schon bereit gewesen wären, für sie zu sterben. Auch wenn es heute nicht mehr ganz so arg sein dürfte: So war das damals eben.

Ich liebte die Musik beider Gruppen und war und bin immer noch der Meinung, dass die Schönste von ihnen die anmutige, amazonenhafte Marcia Barrett von Boney M. war. Sie hatte einfach eine gewisse Jenseitigkeit, Spiritualität und Freundlichkeit an sich, durch die sie sich von all den anderen abhob.

Damals wusste ich noch nicht genau, wie viel Marcia tatsächlich zum Sound von Boney M. beitrug. Das sollte ich erst viel später herausfinden. Doch diese Zeiten konnten einen schon verwirren: Durch das Aufkommen neuer Aufnahmetechnik und der überaus großzügigen Unterstützung von Session-Sängerinnen aller Art, konnte sich das, was man zu Gehör bekam, letztlich stark von dem unterscheiden, was einem auf der Bühne oder der Plattenhülle visuell präsentiert wurde. Doch so wie mit den meisten Dingen im Leben ist es oft nur eine Frage der Zeit, bis alles ans Tageslicht kommt: Ohne Liz’ Beitrag schmälern zu wollen – es war die Liebe in Marcias Stimme, die hauptsächlich dafür verantwortlich war, dass sich weltweit so viele Millionen Boney-M.-Platten verkauft haben und auch weiterhin verkaufen werden.

Ich glaube fest daran und sehe in diesen Worten eine Art Mantra: „Das, was für dich ist, muss zu dir kommen.“ Nachdem ich mit meiner Band The Equals am großen Erfolg hatte nippen dürfen, verschwand ich sieben Jahre lang in der Anonymität. Der Weg zurück an die Spitze der Charts war steinig und gelang mir als Solokünstler erst mit meinem Song „Living on the Frontline“. Tatsächlich war dies eine sehr unsichere Phase meines Lebens. Außerdem hatte ich nie eine Solokarriere angestrebt. Damals wurde die karibische Community in Großbritannien durch die Caribbean Times mit Nachrichten versorgt, die jedes Jahr eine Award-Show veranstaltete, bei der die erfolgreichsten Künstler aus den Bereichen Musik, Film und Fernsehen ausgezeichnet wurden. So gelangte ich in den Orbit des Weltstars Marcia Barrett. Boney M. wurden von unserer oftmals verunglimpften schwarzen, karibischen Community ausgezeichnet, doch nur Marcia Barrett war erschienen, um den Preis entgegenzunehmen. Nicht nur ich, sondern auch alle anderen, die der Veranstaltung beiwohnten, waren beeindruckt. Selbstverständlich waren mehr Fotografen als sonst vor Ort, die inständig auf ein Lächeln seitens Marcia hofften. Sie wären ohne mit der Schulter zu zucken heimgegangen, ohne dem vielleicht besten britischen Mimen seiner Zeit, Norman Beaton, der später in der Sitcom Desmond’s Fame auftrat, und natürlich auch meiner Wenigkeit ihre Aufmerksamkeit zu schenken.

Als Marcia begriff, was da vor sich ging, ließ sie ausrichten, dass sie für keine Fotos mehr zur Verfügung stünde, sollten darauf nicht auch Norman als auch ich zu sehen sein. Ich war ihr extrem dankbar dafür und mein Respekt ihr gegenüber nahm daraufhin ein Ausmaß an, das ihre Plattenverkäufe, die damals schon fast außerirdisch anmuteten, noch bei weitem überstieg.

Und wie begeistert war ich, als ich ein paar Jahre später einen Anruf von Marcia erhielt! Ich war zu diesem Zeitpunkt auf Barbados sesshaft geworden und Marcia war nicht glücklich mit ihrer Situation bei Boney M. Plötzlich rief mich diese wunderbare Person und Künstlerin an, um zu fragen, ob ich es in Erwägung ziehen könnte, ihr Solo-Album zu produzieren.

Mein Studio war zwar noch nicht ganz fertiggestellt, aber mit Sicherheit schon so weit, um uns Musik machen zu lassen. Also lud ich sie zu mir ein. Außerdem ließ ich meinen guten Freund und Bassisten Marcus James von meiner Tourband Frontline Orchestra aus Großbritannien kommen. Wir verbrachten eine tolle Zeit damit, Musik zu machen und Marcia an meinem Familienleben teilhaben zu lassen. Meine ganze Familie liebte ihre unkomplizierte Art – obwohl der Umfang ihrer Garderobe selbst Imelda Marcos ins Staunen versetzt hätte. Wir waren wie eine Familie: Marcia und meine Frau Anne kochten im Haus und unter freiem Himmel und wir unternahmen furchtbar anstrengende Radausflüge auf den hügeligen Straßen von Barbados, bei denen Marcia uns Männern, die sich durchaus für fit hielten, jedes Mal die Grenzen aufzeigte.

Der Schock war unermesslich, als ich einige Zeit später, nach ihrer Rückkehr in ihre damalige Heimat Florida, hörte, sie würde gegen jenen unnachgiebigen Feind des Menschen, den Krebs, ankämpfen – und es wäre sehr ernst. Meine Familie und ich beteten für sie und wir alle sorgten uns sehr, vor allem auch um Marcus, der mittlerweile mit Marcia verheiratet war.

Tief in meinem Herzen wusste ich, dass es Marcia wäre, wenn es jemanden gäbe, der diese Krankheit bezwingen kann. Aber wie oft?

Lasst es euch von ihr selbst erzählen und euch von meiner Heldin mit Hoffnung erfüllen.

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Am 9. Dezember 1978 bestiegen Boney M. ein Flugzeug in Richtung Sowjetunion, zu der Russland damals gehörte, um eine Reihe von Konzerten in Moskau zu geben. Zu dieser Zeit wurde uns langsam klar, wie berühmt wir eigentlich waren. Das mag seltsam anmuten, da wir praktisch von Anfang an Hits überall in Europa, Australien, Neuseeland und Kanada hatten landen können. Doch in Wahrheit hatten wir einfach nicht genug Zeit gehabt, um alles eingehend verarbeiten zu können. Wir nahmen die Single „Daddy Cool“ auf, gingen sofort im Anschluss daran auf Tour, um sie zu bewerben, und kehrten dann direkt ins Studio zurück, um an der nächsten Single zu arbeiten – und dann wiederholte sich alles gleich noch einmal. Wir konzentrierten uns nur auf die Boney-M.-Welt und nicht auf die große, weite Welt als solche.

Natürlich wussten wir, dass sich die Platten gut verkauften. Im Laufe des Jahres 1978 wurde uns auch bewusst, wie sehr sich Boney M. im Pop-Alltag, der uns alle umgab, etabliert hatten, was vor allem auf Deutschland zutraf, wo sich unser beruflicher Mittelpunkt befand.

Im Verlauf dieses Jahrs gewöhnten wir uns daran, Restaurants und Bars zu betreten und dort von „Daddy Cool“, „Ma Baker“ oder „Rasputin“ begrüßt zu werden. Am Ende dieses Jahres sahen wir einander bloß noch an, nickten und lächelten. Vielleicht waren wir gegenüber unserem Status als Promis ein wenig gleichgültig geworden. Womöglich hielten wir uns auch nicht für besser als all die anderen Acts, die im Radio gespielt wurden. Schließlich lief ja immer auch ein Song vor und ein Song nach uns. Dieser Ausflug in die Sowjetunion machte uns jedoch klar, wie groß wir wirklich geworden waren.

So wie bei allem, was wir taten, kam es uns vor, dass dieser Trip sehr rasch zustande gekommen war, weshalb mir gar nicht genug Zeit blieb, mir detaillierte Gedanken darüber zu machen, was wir tun würden. Als die Limousine mich abholte, um mich zum Flughafen Heathrow zu bringen, fühlte es sich an wie ein ganz normaler Trip in irgendein x-beliebiges Land. Es war ein wenig chaotisch, als wir uns zum Abflug bereitmachten, aber das war nicht ungewöhnlich. Erst nachdem wir abgehoben hatten und ich mich mit einem Glas Champagner auf meinem Sitzplatz in der ersten Klasse entspannte, die ganz allein für uns reserviert war, konnte ich mir Gedanken darüber machen, was uns bevorstand. Für mich war dies der Höhepunkt unserer Karriere. Die Verkaufszahlen unserer Alben, die ausverkauften Tourneen, die Magazin-Titelseiten, die gebrochenen Rekorde und die Gold- und Platinauszeichnungen waren absolut fantastisch, aber das hier war etwas ganz Besonderes. Keine andere westliche Pop- oder Rock-Gruppe war bis dahin in der Sowjetunion aufgetreten. Weder die Beatles noch die Rolling Stones oder die Bee Gees. Nicht einmal Abba, die damals die größte Musikformation in ganz Europa waren. Nein, Boney M. waren die Ersten, die diesen Meilenstein für sich verbuchen konnten. Wir schrieben Geschichte.

Es war schwierig, nicht überwältigt zu sein – vor allem, wenn ich über den Ursprung dieser Gruppe nachdachte, als ein praktisch unbekanntes deutsches Rock-Talent beschloss, dass er besser für ein Leben als Produzent im Studio geeignet wäre, und sich auf die Suche nach drei glamourösen schwarzen Frauen begab, die die Platte, die er kreiert hatte, präsentieren sollten. Er wollte, dass sie den Song einmalig im Fernsehen zu einem Playback vortrugen, hatte aber darüber hinaus keine Pläne für sie.

Unter solchen Vorzeichen nach Moskau zu fliegen, war eine große Auszeichnung für diese Gruppe, die so flüchtig zusammengewürfelt worden war, nichtsdestotrotz hart gearbeitet hatte und sich mittlerweile zu einem der besten Acts der Welt zählen durfte. Ich empfand zudem ein großes Maß an persönlicher Bestätigung, da ich aus dem ländlichen Jamaika stammte, wo wir zu fünft in einem Bett geschlafen hatten – wenn wir Kinder nicht auf den Berg gegangen wären, um Gemüse zu pflücken, hätte die Familie hungern müssen. Auf diesem Flug genoss ich nun die Luxusbehandlung, die Boney M. ermöglicht hatte.

Ich war mir auch absolut im Klaren darüber, wie anders mein Leben hätte verlaufen können, und erinnerte mich daran, dass ich mich Boney M. fast nicht angeschlossen hätte. Als ich zum ersten Interview dieser Gruppe, die aus drei schwarzen Mädchen und einem schwarzen Typen bestehen sollte, erschien, war ich unbeeindruckt. Es hätte mich gar nicht noch weniger interessieren können. Erst nach ein paar Monaten und nachdem der Kerl, mit dem ich mich damals traf, mir sagte, dass ich zu alt wäre, um in eine Popgruppe einzusteigen, änderte ich meine Meinung und fragte nach, ob die Stelle noch frei wäre.

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Meine Freundin Dornee erzählte mir 1975 von einem deutschen Musikproduzenten namens Frank Farian, der sich offenbar auf der Suche nach attraktiven schwarzen Mädchen mit guten Stimmen befand, um eine Gruppe zusammenzustellen. Es war nicht das erste Mal, dass ich gefragt wurde, ob ich mich einer Gruppe anschließen wolle, aber ich hatte diese Avancen stets zurückgewiesen, da ich sehr glücklich mit dem war, was ich machte. Natürlich fühlte ich mich bereit, den nächsten Schritt in Angriff zu nehmen, aber ich wollte das als Solokünstlerin tun, da ich glaubte, ich würde nach fünf Jahren auf mich allein gestellt sein und zu viel von dem aufgeben, was ich mir selbst aufgebaut hatte, wenn ich bei einer Gruppe einstiege. Der einzige Grund, warum ich es nun überhaupt in Erwägung zog, war der, dass die Anfrage von Dornee kam, meiner besten Freundin in der deutschen Musikszene. Wir hatten uns im Jahr zuvor kennengelernt, als ich mit dem Produzenten Joe Menke aufnahm und sie im Studio nebenan mit jemand anderem arbeitete. Ich hörte sie bei der Arbeit und war fasziniert von ihrer Stimme, die unglaublich gut war. Nachdem wir uns kennengelernt hatten, nannte ich sie die schwarze Barbra Streisand. Dornee sollte sich als einer der nettesten Menschen erweisen, die ich jemals getroffen hatte, und wir freundeten uns an. Wenn ich in Hamburg weilte, besuchte ich sie oder wir verabredeten uns zum Abendessen.

Sich selbst dieser Gruppe anzuschließen, übte keinen Reiz auf sie aus, da sie sich auf den Gospel, den sie so spektakulär zu singen verstand, konzentrieren wollte. Aber sie kannte mich gut und hätte das Angebot nicht an mich weitergeleitet, wenn sie nicht gedacht hätte, dass es sich für mich lohnen würde.

Zwar hatte ich ihr gesagt, dass ich nicht interessiert wäre, aber die Sache ging mir nicht mehr aus dem Kopf und nachdem ich wenig später wieder nach England zurückgekehrt war, quälte mich der Gedanke daran regelrecht. Dornee hatte ganze Arbeit geleistet. Auch wenn ich sofort wieder in meinen familiären Alltag einstieg, wachte ich jeden Tag auf und dachte: „Was ist nun mit dieser Gruppe?“

Als ich mich dann wieder in Hamburg aufhielt, fragte ich den Mann, mit dem ich mich damals traf, einen Deutschen, was er darüber dachte – und vielleicht war es ja seine Antwort, die letztlich den Ausschlag für meine Entscheidung gab: „Glaubst du nicht, dass du schon ein bisschen zu alt bist, um in eine Popgruppe einzusteigen?“ Dabei war ich gerade mal 27! Egal, wie alt das irgendjemandem vorkommen mochte, oder wie alt ich im Vergleich mit anderen Popsängerinnen war – für mich machte das keinen großen Unterschied, da ich mich noch am Anfang dieser Reise wähnte: Ich befand mich an der Schwelle zu einer wunderbaren Karriere.

Also griff ich zum Hörer und rief Dornee in der Hoffnung an, dass die Stelle nicht schon vergeben wäre. Sie sagte, sie müsste zuerst Frank fragen. Als sie das getan hatte und sich bei mir meldete, war ich ziemlich überrascht, dass er sich immer noch auf der Suche befand. Die Würfel waren gefallen! Wenn der Job nach ein paar Monaten immer noch zu haben war, dachte ich, war er für mich bestimmt. Es war Schicksal. Nachdem ich so vehement darauf bestanden hatte, mich nie wieder einer Gruppe anzuschließen, rechtfertigte ich das mir selbst gegenüber: „Hier geht es darum, einen wichtigen Schritt nach vorne zu machen. Ich habe zwar einen eigenen Plattenvertrag, aber in den letzten Jahren habe ich nicht viele Fortschritte gemacht. Wenn jetzt ein neuer Produzent daherkommt, der sich dafür interessiert, mit meiner Stimme zu arbeiten, ergibt sich daraus vielleicht eine große Sache. Also warum nicht einfach ausprobieren?“ Es ist albern, sich nur um seiner selbst willen an Prinzipien festzuklammern. Manchmal muss man sich eben auch auf Kompromisse einlassen. Und ich wusste von Anfang an, dass ich nichts zu verlieren hatte, wenn es nicht funktionieren würde. Ich könnte dann ja immer noch meine Solokarriere weiterverfolgen.

Meine Kontaktperson war Katja Wolfe, eine Deutsche, die, das nahm ich an, für Frank Farian Talente aufspürte. Sie traf sich mit mir in einer Bar in Hamburg und brachte Maizie Williams mit. Maizie schloss sich als erste dieser neuen Gruppe an. Sie hatte gute Moves drauf, weil sie zuvor in einer Oben-Ohne-Bar in Hannover getanzt hatte. Solche Kneipen waren damals in Deutschland ziemlich angesagt. Tatsächlich gab es so viele von ihnen, dass ich immer ein wenig schräg angeguckt wurde, wenn ich nach London zurückkehrte und sagte, ich würde in Deutschland als Tänzerin arbeiten. Als ob ich etwas Unlauteres gemacht hätte! Wenn ich tanzte, trug ich Glockenhosen und verknotete meine Hemdschöße unter meinen Brüsten. Ich habe noch Fotos von damals, die das beweisen.

Ich nahm meine Mappe mit Presseschnipseln und Fotos zu unserem Meeting mit. Obwohl Katja beeindruckt schien, dass ich tatsächlich singen konnte – ich nehme an, sie erwartete jemanden, der bloß tanzte und gut aussah –, gab sie sich einigermaßen zugeknöpft: „Gut, ich werde das Herrn Farian mitteilen. Du musst dich nur mit ihm treffen und, wenn er das will, ein wenig vorsingen.“ Das war auch schon alles. Ich sollte bald herausfinden, dass allein das schon ein großes Lob war.

Daraufhin gingen ein paar Wochen ins Land. Dann erfuhr ich, dass Frank mich in Saarbrücken, nahe der französischen Grenze, vorsingen lassen würde, wo er und sein Arrangeur Stefan Klinkhammer lebten. Stefan begleitete mich in seiner Wohnung bei „Get Ready“ und ein paar weiteren Nummern. Frank saß nur da, und als ich fertig war, sagte er: „Das wird reichen.“ Mein erster Gedanke war: „Menno! Ist das alles, was ihm einfällt?“ Er erkundigte sich mehrmals, ob ich noch ein paar andere Schwarze kennen würde, was ich ein wenig seltsam fand. Suchte er wirklich nach einer Sängerin, oder wollte er nur eine kleine Marionette, die sich einfach zu seiner Musik bewegte? Wie sich herausstellen sollte, war es genau das, was er sich wünschte.

Frank Farian hatte mit „Baby Do You Wanna Bump?“ selbst eine Platte als Interpret herausgebracht, auf der er alle Gesangsparts übernommen hatte. Viel Text hatte er dabei nicht zu bewältigen gehabt. Zwar konnte er damit in Deutschland keine großen Erfolge verbuchen, doch zumindest in den Niederlanden gelang ihm ein Überraschungs-Hit. Der Name, den er seiner Gruppe verpasst hatte, lautete Boney M. – inspiriert von einem australischen Fernseh-Detektiv namens Boney. Das M. fügte er hinzu, weil es dem Namen einen besseren Klang verlieh.

Nun hatte tatsächlich eine niederländische TV-Show Boney M. für einen Auftritt gebucht. Da er nie eine Gelegenheit ausließ, ein paar Platten zu verkaufen, musste Frank seiner rein fiktiven Gruppe Leben einhauchen, weshalb er mich nun mit Maizie und einem Typen namens Bobby Farrell zusammenspannte, die er bereits ausgesucht hatte. Der ursprüngliche Plan lautete, dass wir für diesen Fernsehauftritt nur so tun würden, als ob wir performten. Ich nehme an, dass das der Grund war, warum er und Katja Wolfe unser Vorsingen so locker nahmen.

Bobby verdingte sich als DJ im selben Lokal, in dem auch Maizie getanzt hatte, sodass sie sich schon kannten. Ich traf ihn zum ersten Mal, als wir zu unserem TV-Gig in die Niederlande reisten. Wieder einmal passierte alles Hals über Kopf. Er schien mir ein anständiger Kerl zu sein. Vielleicht ein wenig extrovertiert, aber in unserem Geschäft muss das ja nicht unbedingt etwas Schlechtes sein. Er hatte als Einziger von uns nicht in England gelebt und stammte aus Aruba, einer ehemals niederländischen Kolonie in der Karibik. Von dort aus war er zunächst in die Niederlande gezogen, bevor er schließlich in Hannover landete. Dass Frank so erpicht darauf war, drei Mädchen in der Gruppe zu haben, lag daran, dass er bereits ein PR-Foto mit einem Typen und drei Girls hatte schießen lassen, dem er nun auch gerecht werden wollte. Allerdings bin ich mir sicher, dass es entweder niemandem auffiel oder jedem schlichtweg egal war, dass die Anzahl der Mitglieder sich von der auf dem Foto unterschied – oder dass gleich zwei der Personen nicht darauf vertreten waren: Nur Maizie war schon auf dem Promo-Foto zu sehen und sollte als Einzige ein vollwertiges Mitglied von Boney M. werden.

Wir absolvierten den Gig somit als Trio. Maizie und ich gaben vor, „Wuuuh-wuuuh-wuuuh“ zu singen, und Bobby war für jenen Part zuständig, in dem mit tiefer Stimme der Titel des Songs wiederholt wurde. Ich sagte ja bereits, dass die Nummer ohne allzu viel Text auskam. Bobby eilte der Ruf voraus, ein verwegener Tänzer zu sein, der seine eigenen Moves beisteuern konnte. Auch Maizie war eine gute Tänzerin, die zu improvisieren wusste. Da auch ich ein paar Jahre lang in der Top-Ten-Discotheque getanzt hatte, einem Club in Hamburg-Harburg, war diese Aufgabe kein Problem für uns. Wir präsentierten den Song sehr dynamisch, aber ich muss gestehen, dass ich ihn schon damals nicht wirklich mochte. Auch dem gleichnamigen Tanz, dem Bump, konnte ich nichts abgewinnen. Als Frank ihn dem ersten Boney-M.-Album Take the Heat off Me hinzufügte, wurde der Song zu einem festen Bestandteil unseres Bühnenprogramms, den ich jedoch verabscheute, weil ich wusste, dass mein Hintern nun vier oder fünf Minuten lang angerempelt würde.

Weil wir nun auf der großen Bühne des Fernsehens auftraten und die Reaktion auf unsere Darbietung positiv ausfiel, schien Frank, als wir uns auf dem Weg zurück nach Deutschland befanden, ein Licht aufzugehen: „Hey, ich will mehr davon!“ Mit einem Schlag wollte er neue Songs aufnehmen und Boney M. in eine richtige Gruppe mit echten Sängern verwandeln. Deshalb begann er nun, sich ernsthaft nach einer zweiten Sängerin umzusehen. Für den Sound, wie er ihn sich vorstellte, brauchte er zwei Sängerinnen. Zwar hatte er schon mich und wusste, dass ich singen konnte, doch aus irgendeinem Grund ließ er mich ein weiteres Mal vorsingen. Zum Glück bestand ich den Test. Maizie und Bobby waren bereits an Bord, obwohl ihm klar war, dass sie keine Sänger waren. Das sollten sie aber auch gar nicht: Bobby verlieh der Besetzung eine gute Balance und seine Tanzschritte waren stets ein Hingucker. Maizie hingegen sah gut aus und konnte so tun, als würde sie singen, obwohl sie die dreistimmigen Harmonien nicht ganz hinbekam. Somit begab sich Frank auf die Suche nach einer weiteren Sängerin, was später unabsichtlich für eine Menge Verwirrung sorgen sollte.

Er sah sich nach einem weiteren schwarzen Mädchen um. Eine der ersten, die er fand, war eine Jamaikanerin namens Millie irgendwas. Frank war von ihr beeindruckt. Sie hätte den Job wohl bekommen, doch sie war mit einem Deutschen verheiratet, der alles sehr genau nahm. Nach dem ersten Treffen prüfte er den Vertrag. Er warf einen Blick darauf und sagte: „Nein, so läuft das nicht, das ist ja ganz schlecht!“ Damit war die Sache erledigt. Sie wurde nicht wieder eingeladen und ich frage mich bis heute, wie sehr sie das bereut haben mag.

Dann gab es noch ein Mädchen, das zusammen mit Millie aus England herübergekommen war, um gemeinsam mit ihr in einer Disco in Hannover als Go-Go-Tänzerin zu arbeiten. Sie war eines der Girls auf jenem ersten PR-Foto. Als Frank nun nach „Baby Do You Wanna Bump?“ nach Sängerinnen fahndete, sang auch sie vor – ohne Erfolg. Tatsächlich kam sie der Gruppe noch am nächsten, als sie in den Neunzigerjahren eine Zeitlang mit Maizies Version von Boney M. auf Tour ging. Aber all das hielt sie nicht davon ab, dieses uralte Foto als Vorwand zu benutzen, sich selbst als „Gründungsmitglied von Boney M.“ zu bezeichnen und ihre eigene Inkarnation der Gruppe zu formieren. Als ich vor einiger Zeit auf ihrer Website nachsah, befand sich das Foto immer noch dort. Es zeigt sie und noch ein paar andere – aber sie hat den Typen rausgeschnitten, der das Quartett zu jener Zeit vervollständigte, einen Afrikaner, der von allen, soweit ich das mitbekam, immer nur „Mike“ genannt wurde. Die Bildunterschrift lautet: „Original Boney M. Girls 1975!“ Seit zehn Jahren präsentiert sie sich so und kann sich über jede Menge Arbeit freuen, weil sie sich so billig aus der Affäre zieht und uns, die wir tatsächlich einen Anspruch auf diesen Titel hätten, unterschlägt.

Ich will sie ja nicht schlechtreden, nur weil es sich bei ihr um eine Konkurrentin handelt. Schließlich bin ich absolut dafür, dass Leute unternehmungslustig auftreten und sich ins Zeug legen. Und wegen Franks Herangehensweise, seiner Gruppe ein paar attraktive Schwarze voranzustellen, war sie ja tatsächlich noch vor mir zum Zug gekommen. Deshalb könnte man sie wohl wirklich als Mitglied der Urformation bezeichnen, zumindest rein technisch gesehen. Dabei wird allerdings der wichtigste Aspekt außer Acht gelassen: Sie sang nämlich nie auch nur eine Note mit Boney M. im Studio. Mit der Musik hatte sie nichts zu tun gehabt. Jeder, der heute auf eines ihrer Konzerte geht, tut das, weil ihm einst gefallen hat, was wir sangen und wie wir uns präsentiert hatten – und nicht wegen eines mehr als 40 Jahre alten Fotos, auf dem zwei relativ unbekannte Personen zu sehen sind. Weil mich das sauer macht, ließ ich unlängst meinen Anwalt die Fairfield Halls in Croydon, wo sie auftreten sollte, anrufen, um die Veranstalter darüber zu informieren, was für eine Mogelpackung sie sich da eingeladen hatten. Man wollte uns aber tatsächlich weismachen, besagtes Foto, auf dem sie zu sehen war, würde sie zu einem Gründungsmitglied machen. Ist das zu glauben? Erst als sie dieses eine Foto mit all den anderen der tatsächlichen Gruppe verglichen, ließen sie sich überzeugen. Das zeigt, wie leicht sich die Leute täuschen lassen.

Auch Claudja Barry war auf diesem Foto von 1975 zu sehen, eine Jamaikanerin, die in Kanada aufgewachsen und über London nach Deutschland gekommen war. Sie war sogar schon im Musical Hair aufgetreten. Auch sie konnte singen und ich glaube, dass sie von Anfang an eine von Frank Farians Favoritinnen war. Sie lehnte jedoch ab, da sie mit den Songs, die sie in Deutschland aufnahm, Hits in Kanada landen konnte und sich weiterhin darauf konzentrieren wollte. Sie hatte die Argumente anfangs auch klar auf ihrer Seite, da sie dort tatsächlich was am Laufen hatte und das zu diesem Zeitpunkt viel besser war als das, was Frank ihr anbot. Wenn ich damals irgendwo Hits gehabt hätte, hätte ich wohl auch kein Interesse an „Baby Do You Wanna Bump?“ und dergleichen gehabt. Trotzdem scheint auch sie nicht abgeneigt, Profit aus diesem alten Foto zu schlagen. Ich hatte nie viel über sie nachgedacht, bis mein jamaikanischer Halbbruder mir erzählte, dass sie sich dort oft blicken ließe und sich als „Gründungsmitglied von Boney M.“ anpreise. Auch sie war nie mit uns im Studio gewesen. Manchmal kommt es mir so vor, als würden sich überall auf der Welt Tausende als Gründungsmitglieder unserer Gruppe bezeichnen. Ich habe keine Ahnung, wie so viele Leute auf einer Bühne Platz finden sollten.

Zwischenzeitlich schritt das Vorsingen voran. Frank und Katja Wolfe fragten regelmäßig bei mir an, ob ich nicht noch eine weitere schwarze Sängerin kannte. Irgendwann erinnerte ich mich dann an eine Frau, die ich vor gar nicht allzu langer Zeit in Deutschland kennengelernt hatte – Liz Mitchell.

Ich hatte Liz ein paar Monate zuvor in Hamburg getroffen. Sie hatte sich dort in Begleitung ihrer beiden Schwestern Joyce und Jascind aufgehalten, die in Deutschland studierten. Eines Tages lud sie mich zum Abendessen in ihre Wohnung ein. Obwohl es mir gefiel, zur Abwechslung mal wieder jamaikanisch zu essen (Reis und Makrele), entsprach der Abend so gar nicht meinen Vorstellungen. So wie ich war auch Liz schon als kleines Mädchen von Jamaika nach London emigriert. Alle fünf Minuten läutete es an der Tür. Leute kamen und gingen. Es war alles sehr hippiemäßig. Ihre Wohnung war nicht sehr groß und schon bald gerammelt voll. Da ich es gewohnt war, zu Hause eher eine ruhige Kugel zu schieben, fühlte ich mich ein wenig überwältigt. Zudem schien es so, als würde jeder einzelne Gast rauchen. Ich hingegen hatte mein ganzes Leben lang nie geraucht, da mir vom Rauch die Augen juckten und er mir im Hals kratzte. So dachte ich den ganzen Abend lang nur: „Holt mich hier raus!“

Liz selbst war aber eine sehr angenehme Person, schließlich hatte sie mich ja zu sich nachhause eingeladen. Sie hatte auch schon ein paar Jahre lang in Deutschland gesungen. Zunächst hatte sie eine Rolle in einer Inszenierung des Bühnenmusicals Hair angenommen, bevor sie sich den Les Humphries Singers anschloss, einem gemischtrassigen Pop- und Gospel-Chor, der von einem Engländer angeführt wurde, aber vor allem in Deutschland erfolgreich war. Als wir uns über den Weg liefen, sang sie in einer Gruppe namens Malcolm’s Locks, die ihr damaliger Freund Malcolm Magaron, der ebenfalls bei den Les Humphries Singers gewesen war, gegründet hatte. Sie hatten ein paar Platten in Deutschland aufgenommen, aber an diesem Abend erzählte sie mir, dass sie nicht an ihren Erfolg glaubte und ernsthaft mit dem Gedanken spielte, wieder nach England zurückzukehren, wo sie wieder als Session-Sängerin im Studio arbeiten könnte. Als ich nun in Bezug auf Boney M. an sie dachte, wusste ich nicht einmal, ob sie sich überhaupt noch in Deutschland aufhielt. So schlug ich Katja vor, dass sie am besten die beiden Schwestern in ihrer Wohnung kontaktierte, da sie wohl immer noch studierten.

Wie sich herausstellte, war Liz tatsächlich zurück nach London gezogen, doch Katja gelang es mithilfe ihrer beiden Schwestern mit ihr in Kontakt zu treten. Ich weiß gar nicht, ob sie oder Frank Liz irgendwo vorsingen ließen, aber schon ein paar Wochen später stiegen sie und ich in einem Hotel in der Nähe des Frankfurter Flughafens ab, da wir unweit von dort in Frank Farians Studio in Offenbach aufnehmen sollten. Sie war aus London eingeflogen und ich war aus Hamburg angereist. Am nächsten Tag wurden wir ins Studio chauffiert, wo wir sofort mit den Gesangsparts für die erste richtige Boney-M.-Single begannen – „Daddy Cool“.

Obwohl die Platte erst Mitte 1976 einschlagen sollte, passierte all dies bereits zu Jahresbeginn, gerade mal ein paar Wochen, nachdem ich die anderen kennengelernt hatte und mit ihnen in die Niederlande gefahren war, um „Baby Do You Wanna Bump?“ zu performen. In diesem Tempo ging es bei Frank Farian immer zur Sache. Die Begleitmusik war bereits im Kasten. Zwar war noch nicht alles ganz fertig, aber es gab schon jede Menge Aufnahmen, zu denen wir singen konnten. Wir standen nun also da und Frank erklärte uns, was er sich von uns wünschte. Das war seine bevorzugte Arbeitsweise: Die Sänger kamen erst ziemlich am Ende zum Zug.

Das bedeutete, dass Liz und ich uns erst gerade wieder getroffen hatten, uns nun in einem uns völlig fremden Studio befanden, gemeinsam mit einem Produzenten, den wir nicht wirklich kannten und der kein Englisch sprach. Uns wurde ein Songtext in die Hände gedrückt, zu dem wir schon ein paar Minuten später Harmonien beisteuern sollten. Wir wurden also quasi ins kalte Wasser geworfen, aber auf so etwas muss man sich eben in der Musikbranche einlassen. Vermutlich hätten wir uns gröbere Sorgen gemacht, wenn Frank nicht die Spannung etwas aufgelockert hätte – wenn auch völlig unabsichtlich. Als er den Song mit uns durchging, steuerte er den tiefen Gesang bei. Er hielt sich dabei den Bauch und sang „Crazy like a fool …“ mit einer rauen Stimme. Liz und ich sahen uns an und kämpften dagegen an, laut loszuprusten. Der Typ war vielleicht ein guter Produzent, aber mit Sicherheit kein guter Sänger.

Nach relativ kurzer Zeit – auch wenn es mir nur wie wenige Tage vorkam, muss es länger gedauert haben, da ich zwischenzeitlich nach London zurückgekehrt war – war „Daddy Cool“ fertig abgemischt und wurde veröffentlicht. Daraufhin trafen Liz und ich uns mit Bobby und Maizie, um zusammen auf Tour zu gehen und die Single zu bewerben. Uns wurde mitgeteilt, wir müssten die Tour in Zusammenarbeit mit einer Organisation namens DDU (Deutsche Diskotheken-Unternehmer) abwickeln. Dabei handelte es sich um einen geschäftlichen Zusammenschluss deutscher DJs und Diskothekenbesitzer, mit denen Frank Farian zusammenarbeitete. Das taten die meisten deutschen Pop-Produzenten damals – alle Mitglieder der Organisation öffneten ihre Nachtclubs für neue Gruppen, neue Platten und neue Ideen. Wir performten zu Musik vom Band, da die Clubs nicht viel bezahlten – 400 D-Mark pro Show, was sogar damals fast nichts war. Aber zumindest sahen uns die Leute nicht nur in ein paar Clubs in den Großstädten. Der DDU gehörten auch Discos in jeder Kleinstadt an, was uns eine maximale Publicity garantierte, denn die Clubs waren stets mehr als nur gut gefüllt. Der Nachteil bestand nur darin, dass wir ständig unterwegs waren, und obwohl die Clubbesitzer im Geld schwammen, wurden wir mit einem Hungerlohn abgespeist. Doch unterm Strich konnte die DDU ebenso wichtig für den Erfolg einer neuen Gruppe oder einer neuen Platte sein wie das Airplay im Radio. Farian nahm an, einen guten Sound kreiert zu haben, und wusste, dass ihm eine attraktive Gruppe zur Verfügung stand, um ihn zu präsentieren, weshalb er es kaum abwarten konnte, uns hinaus in die weite Welt zu schicken.

Da standen wir also nun – mitsamt einem Roadmanager, einem Ford Transit sowie unserer Ausrüstung. Unsere Bühnenklamotten steuerten wir selbst bei. Wir wurden auf typische Farian-Art in dieses Projekt hineingehetzt, hatten aber nur zwei Songs, „Daddy Cool“ und „Baby Do You Wanna Bump?“, um damit eine Show zu bestreiten. Die DDU wollte allerdings ein bisschen mehr für ihre 400 Mark Gage. Frank wusste, dass ich als Solo-Act bereits über ein Repertoire verfügte, das sehr gut aufgenommen worden war. Deshalb ergänzten wir die beiden Boney-M.-Songs durch meine Coverversionen und zwei oder drei eigene Titel aus meinem Programm und gingen damit auf die Bühne. Alles lief so hektisch ab, dass wir mein Tonbandgerät mit auf Tour nehmen mussten, weil Frank selbst keins besaß.

Dass wir bei diesen frühen Auftritten auf mein Repertoire zurückgriffen, führte direkt zu einem der größten Hits von Boney M., „Belfast“, der in ganz Europa an die Spitze der Hitparaden schoss. Die Nummer befand sich auf dem Tonband, also performten wir sie. Der Song kam beim Publikum auf diesen Touren extrem gut an, was der Roadmanager auch Frank mitteilte. Frank selbst ließ sich nämlich nur selten auf Tour blicken. Als wir populärer wurden, behielt er den Song als Bestandteil unserer Live-Show. Er kam auch weiterhin gut an, weshalb er ihn schließlich auf dem Album Love for Sale und auch als Single veröffentlichte. Warum auch nicht? Es war einfach ein guter Titel und ich freute mich sehr, dass die beiden Urheber, Drafi Deutscher und Joe Menke, jene Anerkennung ernteten, die ihnen dafür auch zustand. Da ich ihn auch für mein Soloalbum Come Into My Life aufnahm und immer noch live singe, hatte ich auch nie das Gefühl, man hätte ihn mir weggenommen.

Genau das war aber der Fall! Doch ich realisierte das damals nicht, weil ich mir noch immer nicht ganz im Klaren darüber war, ob ich Teil einer Gruppe sein wollte oder nicht, und als ich die deutschen Autobahnen in einem kleinen Ford Transit auf und ab fuhr und in heruntergekommenen Motels übernachtete, befand ich mich bereits auf einer Reise, die die nächsten zehn Jahre meines Lebens dominieren und einen umfassenden Effekt auf alles, was danach noch kommen sollte, haben würde.

Wenn wir uns nicht gerade auf Achse befanden, um „Daddy Cool“ zu bewerben, kümmerten Liz und ich uns um die Aufnahmen zum ersten Boney-M.-Album, das den Titel Take the Heat off Me tragen sollte. Wir begannen mit der Arbeit an den anderen Tracks schon recht früh im Jahr 1976, ziemlich bald, nachdem wir die Promo-Aufgaben rund um „Daddy Cool“ abgeschlossen hatten. Wir nahmen einen Monat lang auf und wohnten in dieser Zeit im Steigenberger Airport Hotel, von wir ins Studio nach Offenbach kutschiert wurden. Da wir noch keine Tantiemen erhielten, zählten wir zu den Produktionskosten, weshalb Frank für alles aufkam: Flüge, Hotelrechnungen, Verköstigung … Wir mussten nur aufkreuzen und singen. Das war schon in Ordnung, es war eben ein Job und kein Urlaub, und so stellten wir uns schnell auf diesen Ablauf ein. Wir begaben uns am Vormittag von unseren Zimmern – damals waren das noch keine Suiten – hinunter ins Foyer, wo ich mir oft noch etwas zu essen holte. Dann gingen wir in die Sauna oder in den Pool, um uns völlig zu entspannen, bevor wir uns startklar für die halbstündige Fahrt ins Studio machten. Am frühen Nachmittag begannen wir mit der Arbeit, die sich in der Regel bis neun oder zehn Uhr abends hinzog. Abhängig davon, wofür Frank uns benötigte, konnten wir aber auch schon mal bis 23 Uhr im Studio bleiben.

Franks Arbeitsweise deckte sich mit jener, auf die er schon bei „Baby Do You Wanna Bump?“ gesetzt hatte. Zuerst wurde die Musik fertiggestellt, dann kamen wir hinzu, um unseren Gesang beizusteuern. Dieser Ansatz war die Blaupause, nach der praktisch alle Boney-M.-Aufnahmen entstanden. Wir kannten die Songtexte bereits, um sie durchzugehen und uns Gedanken dazu zu machen, aber die Musik bekamen wir – einen Song nach dem anderen – erst zu hören, wenn er uns dazuholte. Nachdem wir uns die Musik eingeprägt hatten, ging er alles noch einmal mit uns durch. Er erklärte, wie er sich den Gesang für jeden einzelnen Part vorstellte, wo die Harmonien hingehörten, wie die Stimmen die Melodie tragen sollten und wie der Refrain klingen müsse … Ich fand diese Methode fantastisch, da sie sicherstellte, dass wir nicht unsere Zeit verschwendeten. Da wir erst geholt wurden, wenn alles bereits unter Dach und Fach war, wurden wir sofort mit der vollen Intensität der Vibes des jeweiligen Tracks konfrontiert.

Wenn er uns im Studio versammelte, stand er hinter dem Mischpult und erteilte Anweisungen: „Sing mal diese Harmonie …“ Oder: „Sing diesen Part so und so …“ Das taten wir dann auch. Vielleicht erinnert das ein bisschen an Angestellte, die den Befehlen ihres Arbeitgebers Folge leisten müssen, aber so war es dann auch wieder nicht. Natürlich trugen auch Liz und ich Ideen bei und schlugen Dinge vor. Aber Frank war nun mal der Produzent. Die Gruppe verkörperte seine Vision. Wir waren Profis und respektierten seine Rolle – genauso wie wir erwarteten, dass er unsere respektierte. Was er auch tat, vor allem am Anfang, und ich genoss es wirklich, mit Frank Farian zusammenzuarbeiten.

Als ich ihn zum ersten Mal getroffen hatte, war alles auf einer freundlichen Ebene abgelaufen, die sich am besten als neutral umschreiben lässt. Zu diesem Zeitpunkt ahnte ich noch nicht, dass sein Vorhaben zu einem langfristigen Engagement führen würde, aber er machte einen professionellen Eindruck. Alles schien gut organisiert zu sein, was mir sehr gefiel. Wie sehr das der Fall sein sollte, erfuhr ich, als wir mit ihm im Studio zu arbeiten begannen und es mit Boney M. so richtig abging. Da stellte sich erst heraus, wie ernst er die Sache nahm. Zudem wurde offensichtlich, was für ein guter Plattenproduzent er war – nicht nur, weil er einen Sound schuf, der sich praktisch weltweit als Hit erwies, sondern wegen der Art und Weise, wie er mit Liz und mir im Studio arbeitete. Er besaß viel Geduld, was am allerwichtigsten war. Auch erklärte er uns genau, was er von uns wollte – und wenn wir das nicht auf Anhieb auf die Reihe bekamen, verlor er nie die Fassung, sondern versuchte stattdessen, es uns anders zu erklären oder vorzuführen. All das tat er auf Deutsch, weil er über keinerlei Englischkenntnisse verfügte. Allerdings sprach ich zu diesem Zeitpunkt schon mehr oder weniger fließend Deutsch und wenn Liz etwas nicht verstand, sprang ich als Dolmetscherin ein.

Frank hatte sich ursprünglich selbst als Sänger versucht. Er liebte es ja, im Rampenlicht zu stehen und hatte vor „Do You Wanna Bump?“ eine Solokarriere angestrebt. Mit dem Song „Rocky“ hatte er tatsächlich auch einen Hit in Deutschland gelandet. Gerne erzählte er den Leuten, dass er von dem Geld, das er mit dieser Platte gemacht hatte, ungefähr 70.000 Mark, die ersten Aufnahmen von Boney M. finanziert hätte. Das war schon ziemlich beeindruckend, wenn man bedenkt, dass er nicht eine Note singen konnte. Er ließ sich jedenfalls nicht aufhalten davon und übernahm die Sprechstimme bei „Daddy Cool“, und er glaubte echt, er hätte eine so tolle Falsettstimme wie Barry Gibb von den Bee Gees. Aus irgendeinem Grund sang er auf dem Titelsong des Albums Oceans of Fantasy – und es klang richtig mies! Als Liz und ich das hörten, dachten wir nur: „Ach, du meine Güte! Das klingt nicht gerade wie ein ordentliches Falsett oder eine Frauenstimme, sondern wie ein Mann, der ein paar Töne zu hoch singt.“ Vielleicht war ja das der Grund dafür, dass das Album in Großbritannien so schwer in die Gänge kam.

Das war aber noch längst nicht alles. Nach Boney M. machte er ein paar Platten, die wie feuchte Rockstar-Träume anmuteten, zum Beispiel „Stairway to Heaven“: Im dazugehörigen Video spielt er Gitarre, während der Wind durch sein Toupet bläst.

Take the Heat off Me

So positiv diese ganze Arbeitserfahrung auch war, benötigte Frank am Ende jeder Session doch auch seine Zeit, um jeden Track abzumischen und die Magie aus ihnen herauszukitzeln. Das hieß, dass wir nun frei hatten. Nach ein paar Wochen im Hotel konnte ich es kaum noch erwarten, nach London zurückzukehren, meine Familie zu sehen und mich zu entspannen. Meine Mama hatte inzwischen aufgehört, zu arbeiten, und ich verdiente genug, um nicht als Stenographin arbeiten zu müssen. Das war seit meinem Schulabschluss mein Brotberuf. Wenn ich mich um alles Notwendige gekümmert hatte, konnte ich erst einmal die Füße hochlegen.

Diese Pausen ermöglichten es mir, Revue passieren zu lassen, was ich so getrieben hatte und wo ich mich nun befand. Ich war zufrieden, dass das, was anfangs ein Wagnis gewesen war, meine Solokarriere auf Eis zu legen und mich einer Gruppe anzuschließen, sich nun auszuzahlen schien. Ich erfuhr jede Menge über die Arbeit im Studio und auf welche unterschiedliche Weise Gesang eingesetzt werden konnte. Außerdem spürte ich, dass ich im Musikbusiness definitiv einen Schritt nach vorn gemacht hatte.

Als das ganze Album erst einmal fertig war, verspürte ich große Begeisterung. Ich mochte, wie es klang, und war happy mit meinem Beitrag und wie Frank unsere Stimmen zum Einsatz gebracht hatte. Wir hatten ziemlich viele Coverversionen aufgenommen, „Sunny“, „No Woman No Cry“, „Fever“, und ich war zufrieden damit, wie wir diesen Nummern unseren eigenen Stempel aufgedrückt hatten. Ganz im Ernst: Mir war es viel wichtiger, wie dieses Album klang, als ob es nun ein Riesenhit oder nicht würde – mir war klar, dass viele Faktoren mitspielen mussten, um einen Hit zu landen. Doch jeder, der das Album hören würde, könnte sagen, ob es mir gerecht würde oder nicht. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich Boney M. noch nicht ganz verschrieben, da alles noch so neu für mich war. Ich hatte zuvor noch nie in einer Gruppe gesungen oder ein Album veröffentlicht. Somit wusste ich überhaupt nicht, was ich zu erwarten hatte, sondern nur, dass ich die Solokarriere, mit der ich immer noch liebäugelte, nicht aufs Spiel setzen wollte.

Natürlich wollte ich, dass Take the Heat off Me ein Hit wird. Ich war gespannt, ob das Album nach seiner Veröffentlichung an die Spitze der Charts schießen würde. Allerdings gab ich mir Mühe, den Ball flach zu halten. Das traf auch auf Liz zu, die zweite Jamaikanerin in der Gruppe. Kurz, bevor das Album veröffentlicht wurde, wandte sie sich an mich und fragte mit breitem jamaikanischen Akzent: „Glaubst du, dass das was wird?“ Alles, was ich darauf sagen konnte (in ebenso breitem Jamaikanisch natürlich), war: „Keine Ahnung! Das müssen wir einfach mal abwarten!“