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Impressum
© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-838-6
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Roy Palmer

Schiffbruch

Der Sturm schlug zu – und die Karavelle raste in ihr Verderben

Es hatte den Anschein, als sollten die Grabkammern der Chimús auf der Insel im Golf von Guayaquil auch für Philip Hasard Killigrew, seine beiden Söhne and die sieben Männer zur letzten Ruhestätte werden. Denn die Ausgänge lagen unter dem Pfeilbeschuß der Indianer – und dann hatten sie rings um den Grabhügel auch noch Feuer entfacht, so daß die Grabstätte zur „Räucherkammer“ wurde, wie Edwin Carberry das ausdrückte. Aber dann hatte Philip junior noch einen Ausgang nach Süden entdeckt, der den Indianern offenbar nicht bekannt war. Dieser Ausgang führte in einen langen Felsgang, der in einer Schlucht endete. Die Schlucht war von den Indianern nicht besetzt. So hatten sich die Männer retten können. Doch dann schlug der Sturm zu …

Die Hauptpersonen des Romans:

Philip Hasard Killigrew – muß mit seiner Crew einen Schiffbruch hinnehmen, bei dem sie Glück im Unglück haben.

Jorge Mantilla – ein Teniente, der an seinem Offiziersberuf zu zweifeln beginnt.

Don Pascual de Alcedo – ein Generalkapitän von der Sorte der Feuerfresser und Indianerhasser.

Capitán Porfiro – Kommandant der Kriegskaravelle „Estrella de Málaga“ – bis er gezwungen wird, mit seiner Crew über Bord zu springen.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

Don Carlos de Sicas Gesicht war etwas verzerrt. Wieder einmal verfluchte er seinen Posten. Er war der Hafenkommandant von Guayaquil, aber er hatte sich dieses Amt nicht ausgesucht, sondern war vor einigen Jahren von Nombre de Dios aus – wo es ihm bedeutend besser gefallen hatte – hierher versetzt worden.

In Guayaquil gab es nicht viel Gold und Silber zu sehen wie in Nombre de Dios, und nie bot sich die Chance, den einen oder anderen Barren oder ein Schmuckstück für private Zwecke „abzuzweigen“. In Guayaquil, so sagte sich de Sica immer wieder, befand er sich am Ende der Welt. Das Nest gefiel ihm nicht.

Auch die Chimús, die Indianer, die auf der Insel Puná lebten, waren ihm nicht geheuer, obwohl man eine Art Burgfrieden geschlossen hatte. Guayaquils Hinterland bestand aus menschenfeindlichem, giftigem Dschungel, und in der Stadt und im Hafen selbst gab es ständig irgendwelchen Ärger, mal Schlägereien, mal Probleme mit den Schiffsladungen, mal Diebstahl oder Zank mit den Huren.

Kurz: Don Carlos de Sica haßte Guayaquil.

Heute schien es wieder mal soweit zu sein. Drei Patrouillenboote waren von ihrer normalen Inspektionsfahrt nicht zurückgekehrt. Was war geschehen? Kanonendonner war aus Richtung der Insel Puná herübergeweht, eben, im Dunkelwerden. Hatte der Narr von einem Teniente, der ziemlich karrieresüchtig zu sein schien, sich mit einer Meute von Küstenwölfen oder mit ganz üblen Schnapphähnen angelegt?

Möglich war alles – und dieser de Sica hatte Capitán Albéniz zu sich gebeten, um ihn um Hilfe zu ersuchen. Albéniz lag seit einer Woche mit drei Schiffen im Hafen vor Anker und ließ das laufende und stehende Gut ausbessern. Die Dreimastgaleone „San Francisco“ und die beiden Dreimastkaravellen „San Siro“ und „Estrella de Málaga“ hatten die Überquerung des Atlantiks und die Umrundung des Kap Hoorns hinter sich.

Sie kamen direkt aus Cadiz und sollten nach Panama segeln, um das dortige Kontingent zu verstärken. Es handelte sich um drei gut armierte Kriegsschiffe, die erst drei Jahre alt und nach den neuesten Erkenntnissen konstruiert waren.

Albéniz war sofort einverstanden. Er ließ sich an Bord der „San Francisco“ bringen und erteilte den beiden ihm untergeordneten Kapitänen, Rodrigo und Porfiro, den Befehl, unverzüglich die Anker ihrer Schiffe zu lichten und mit der „San Francisco“ auszulaufen, um nach dem Rechten zu sehen.

Die drei Kriegsschiffe hatten die Reede jedoch noch nicht verlassen, da tauchten im Dunkeln die drei vermißten Schaluppen auf. Ein paar Rufe, die zwischen Albéniz und dem Teniente gewechselt wurden, klärten die Lage, und Albéniz ließ die Segel seiner Schiffe aufgeien. Die Anker rauschten wieder an ihren Trossen aus, Beiboote wurden abgefiert. Albéniz, Rodrigo und Porfiro begaben sich zurück an Land.

De Sica, der in seiner Amtsstube noch wütend ein paar Listen und Frachtbriefe abzeichnete, vernahm die Rufe der Menge, die sich am Kai und den Piers versammelt hatte, erhob sich mit einem Ruck und eilte ins Freie.

Er sah, wie die drei Schaluppen an einer der langgestreckten Piers anlegten und vertäut wurden. Gleichzeitig verfolgte er das Eintreffen der Beiboote. Er wollte zur Pier laufen und mit dem Teniente sprechen, doch die Menschen versperrten ihm den Weg.

„Laßt mich durch!“ schrie er. „Gebt den Weg frei!“

Doch keiner schien ihn zu hören. Alle hatten nur Augen und Ohren für das, was sich jetzt auf der Pier abspielte. Ein lebloser Soldat wurde aus einer der Schaluppen gehievt, und einige andere Uniformierte kletterten offensichtlich unter großen Mühen und mit einigem Stöhnen an Land.

De Sica winkte einige Männer der Stadtgarde heran, die sich zufällig in seiner Nähe befanden, und sie drängten die Neugierigen und Schaulustigen so weit ab, daß der Kommandant ungehindert auf die Pier konnte.

Zornig steuerte er auf den Teniente zu und herrschte ihn sofort an: „Was ist vorgefallen? Reden Sie!“

Der Teniente erwiderte: „Wir haben auf Puná eine verdächtige Jolle überprüft, sind Spuren gefolgt, die ins Innere führten – und sind in eine Falle der Indianer geraten.“

„Was? Die Chimús sind aufsässig geworden?“

„Ja.“

„Das habe ich schon immer geahnt!“ De Sicas Blick fiel auf den reglosen Soldaten. „Mein Gott – was ist mit diesem Mann los?“

„Er ist tot, Señor Comandante.“

„Und die anderen – verletzt?“ fragte de Sica betroffen. „Wie viele?“

„Sieben Mann, Señor.“

„Unfaßbar!“

„Das werden wir nicht auf uns sitzenlassen“, sagte Capitán Albéniz, der in diesem Moment auf die Pier enterte. „Wir zahlen diesen Wilden heim, was sie uns angetan haben.“

„Wie bitte?“ Der Teniente schüttelte den Kopf. „Davon rate ich ab, Capitán.“

„Ich höre wohl nicht richtig. Soll das heißen, daß Sie diese Kannibalen auch noch in Schutz nehmen?“

„Nein“, entgegnete der Teniente müde. „Ich meine nur, es hat nicht viel Sinn, sich mit ihnen herumzuschlagen. Sie scheinen etwas dagegen zu haben, daß man das Zentrum der Insel aufsucht.“

„Trotzdem hat Capitán Albéniz recht“, sagte de Sica. „Allein der Tod dieses Soldaten verlangt nach Vergeltung. Kommen Sie sofort in die Kommandantur, wir wollen dort die entsprechenden Schritte besprechen.“

Der Teniente hatte keine andere Wahl, er mußte sich beugen. Noch vor wenigen Stunden hätte auch er die gleichen Ansichten vertreten – nur war er inzwischen aus dem Kampf gegen die Chimús in gewisser Weise geläutert hervorgegangen. Er hatte eingesehen, daß es verrückt war, ein Exempel statuieren zu wollen, wie er das vorgehabt hatte.

Dabei opferte man nur die eigenen Männer. Es war unverantwortlich, keine Rücksicht auf ihr Leben zu nehmen. Dieser Verantwortung war sich der Teniente erst an diesem heutigen Tag bewußt geworden. Er hatte beschlossen, seine Konsequenzen daraus zu ziehen und die Soldaten nicht mehr zu schikanieren, wie er das bisher getan hatte.

In Guayaquil gab es keinen Stadtkommandanten wie in anderen Häfen, es war de Sica, der diese Aufgaben gleichzeitig mit wahrnahm. Der Teniente hatte gehofft, eines Tages zum Festungskommandanten befördert zu werden, aber auch darauf war er nicht mehr sonderlich erpicht. Viel wichtiger war, von seinen Männern geachtet zu werden.

De Sica indes war überfordert und fühlte sich seinen vielen Aufgaben nicht gewachsen. Er war froh, daß ein Mann wie Albéniz anwesend war. Der Capitán hatte ihm die Entscheidung bereits abgenommen. Ja, man würde diesen Chimús eine Lektion erteilen – mit den drei Schiffen. Das war eine bequeme Lösung. Albéniz’ Schiffe würden die Insel mit ihren Kanonen unter Feuer nehmen, aber er, de Sica, würde nicht dabei sein, denn er war im Hafen sozusagen unabkömmlich.

So hatte er sich wieder einigermaßen beruhigt, als sie die Amtszimmer betraten. Albéniz, begleitet von seinen beiden Karavellen-Kapitänen Rodrigo und Porfiro, nahm auf einem mit Schnitzwerk versehenen Stuhl in der Mitte der Stube Platz. Rodrigo und Porfiro ließen sich auf einer Bank nieder, de Sica setzte sich hinter sein Pult. Der Teniente gab seinen Männern ein paar Anweisungen, dann zog er die Tür hinter sich zu und trat zu den Offizieren.

Während sie sprachen, wurde draußen der Tote zur Festung getragen und dort aufgebahrt. Am nächsten Morgen würde man ihn bestatten. Er hatte Sancho geheißen und war ein anständiger, ehrlicher Soldat gewesen. Nur hatte er nicht schnell laufen können. Und er hatte sich nicht rasch genug zu Boden geworfen, als die Pfeile der Indianer herangezischt waren. Das war ihm zum Verhängnis geworden.

In der Festung wurden auch die Verwundeten versorgt, dann gab es für die Teilnehmer der Patrouille eine Extra runde Branntwein. Die Schaulustigen suchten wieder ihre Häuser oder die Kneipen auf, aus denen sie gekommen waren, und allmählich trat Ruhe ein.

Der Teniente erstattete einen präzisen Bericht von dem, was sich auf der Isla de Puná abgespielt hatte. Als er am Ende angelangt war, hieb de Sica empört mit der Faust aufs Pult.

„Das ist die Höhe! Was, zum Teufel, ist in diese Wilden gefahren?“

„Ich weiß es nicht, Señor“, erwiderte der Teniente wahrheitsgemäß. Daß sich im Zentrum der Insel ein Grabhügel befand, der von den Indianern als Heiligtum verehrt wurde, wußte er immer noch nicht.

„Egal“, sagte de Sica. „Vielleicht haben sie sich berauscht.“

„Das habe auch ich schon vermutet.“

„Leicht könnten sie auch über Guayaquil herfallen“, sagte Albéniz. „Das muß verhindert werden. Jeder Aufstand wird im Keim erstickt. Morgen früh laufen wir aus und nehmen die Hütten dieser Hunde unter Beschuß. Sie laufen uns nicht weg.“

Porfiro, der Kapitän der „Estrella de Málaga“ grinste. „Ja, das ist ganz nach meinem Geschmack. Man muß mit diesem Gesindel aufräumen, wo man kann. Am besten wäre, wenn sie alle ganz verschwinden würden. Es ist ein Fehler, sie am Leben zu lassen.“

Der Teniente blickte ihn an. „Sie meinen, man sollte die Indianer ausrotten?“

„Richtig. Sind Sie etwa anderer Ansicht?“ Porfiro musterte ihn herausfordernd.

Rodrigo hatte lauschend den Kopf gehoben und sagte; „Señores, der Wind hat zugenommen. Er weht ziemlich rauh.“

Sie horchten alle auf. Der Wind heulte und jaulte und zerrte an den Fenstern und Türen der Kommandantur.

„Heute nacht kriegen wir noch Sturm“, sagte Albéniz. „Und solange es dunkel ist, können wir sowieso nichts ausrichten. Hoffen wir, daß sich das Wetter morgen wieder beruhigt hat.“

„Eins ist mal sicher“, sagte de Sica grimmig. „Selbst wenn die Chimús fliehen wollten – sie können jetzt von ihrer Insel nicht runter.“

Porfiro lachte. „Richtig. Sie sind uns ausgeliefert. Sie sitzen wie Ratten in der Falle, die man nur totzuschlagen braucht.“

Es war die Nacht vom 26. auf den 27. Oktober 1594. Der Golf von Guayaquil mitsamt der Isla de Puná lag zu diesem Zeitpunkt schon eine Weile hinter der „Esperanza“, der Dreimastkaravelle, die die Seewölfe und Jean Ribault mit seiner Crew in Panama dem sehr ehrenwerten Hafenkapitän abgenommen hatten.

Das Schiff kreuzte gegen den härter gewordenen Südsüdwestwind in langen Schlägen südwärts. Kurs auf Arica lag an. Das Ziel sollte Potosi sein, wo sie den Gold- und Silberminen der Spanier einen Besuch abzustatten gedachten – ein Unternehmen, das ihr Erzfeind sicherlich nicht vergessen würde.

Aber bis Potosi war es noch weit, und vor den Erfolg hatte der liebe Gott nicht nur den Schweiß, sondern auch einige Anstrengungen und Erschwernisse gestellt, wie Pater David hin und wieder zu bemerken pflegte. Wieder schien sich ein Problem anzukündigen: Sturm. Noch vor Mitternacht wurden Wind und See zusehends ruppiger.

Der Seewolf stand mit abgespreizten Beinen auf dem Achterdeck. Außer Pete Ballie, der die Ruderpinne bediente, befanden sich Ben Brighton, Ferris Tucker, Big Old Shane, Dan O’Flynn und Karl von Hutten bei ihm. Ihre Mienen waren bedenklich bis verdrossen, denn daß innerhalb der nächsten Sekunden keine Wetterberuhigung eintrat, sagte ihnen ihre Erfahrung.

„Es weht mehr als junge Hunde“, sagte Hasard. „Da bahnt sich ein Sturm an, der eine höllische Nacht verspricht.“

„Sir!“ schrie Carberry von der Kuhl. „Luken und Schotten sind verschalkt!“

„Gut!“ rief Hasard zurück. „Manntaue spannen!“

„Aye, Sir!“

„Also“, sagte Shane. „Das eine steht fest: Wir kriegen ordentlich was auf die Jacke. Verdammt noch mal, dieser Törn scheint unter einem Unstern zu stehen.“

„Ja, man könnte meinen, es sei alles verhext!“ rief Dan im zunehmenden Heulen des Windes.

„Fang du jetzt nicht mit der Schwarzmalerei deines Alten an!“ brüllte ihm Ferris ins Ohr. „Das hat uns hier gerade noch gefehlt!“

„Manntaue gespannt!“ brüllte der Profos nach einer Weile.

Der Seewolf blickte zu Bill auf, der den Posten des Ausgucks im Großmars versah, und gab ihm durch eine Gebärde zu verstehen, daß er seinen Platz räumen solle.

Es wurde höchste Zeit – der Wind orgelte und pfiff heftiger, und die See bäumte sich zu rauschenden Brechern auf. Schwarze Schluchten öffneten sich, die „Esperanza“ stieg die gischtenden Hänge hinauf und raste wieder in tiefe Täler. Wütend zerrte der Wind an den Masten und am Rigg, das Schiff schien bis in seine untersten Verbände zu erbeben, wenn die Brecher gegen die Bordwände donnerten.

Bill hatte den Großmars geräumt, gerade noch rechtzeitig genug. Die „Esperanza“ torkelte in den kochenden Fluten. Die Männer klammerten sich an den Tauen fest und fluchten. Es wurde immer schwieriger, die Segelmanöver durchzuführen.

„Es ist sinnlos, in Kreuzschlägen gegen den Wind anzubolzen!“ schrie Ben Brighton.

„Ja!“ rief Hasard. „Das hält das beste Rigg nicht aus.“

Shane brüllte: „Ganz abgesehen von dem mörderischen Seeschlag, zur Hölle!“