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Roy Palmer

Der
Schatzkeller

So sicher war das Versteck nicht – denn die Seewölfe fanden es

Wenn sich zwei Schiffe auf der weiten, einsamen See treffen, dann ist das für beide Besatzungen immer ein Ereignis, vorausgesetzt, keiner führt etwas Böses im Schilde. In der Karibik konnte man da nicht so sicher sein. Aber der dicke Capitán Blanco war sich seiner Sache ganz sicher, ebenso der Vizegouverneur in Cartagena, der sich für die Sicherheit der „Andalucia“ verbürgt hatte. Denn Capitán Blanco sollte an die zweihundert Affen nach Spanien befördern. Beide ehrenwerten Señores meinten, jeder Schnapphahn würde vor der stinkenden Affen-Galeone schleunigst die Flucht ergreifen. Das war eben ihr Irrtum. Denn die Männer um Philip Hasard Killigrew hatten etwas dagegen, Affen über See zu transportieren – zumal es sich um ein Bubenstück handelte …

Die Hauptpersonen des Romans:

Chaqui – der Häuptling der Cuna-Indianer hält die Fremden für Feinde und besetzt mit seinen Kriegern den Zweidecker.

Araua – die Tochter der Schlangen-Priesterin erregt Bewunderung und wird verehrt.

Don Alfonso de Roja – der Hafenkapitän von Panama ist ein Schlitzohr, aber dennoch erpreßbar.

Smoky – der Decksälteste der Seewölfe geht zusammen mit dem Profos auf Rattenjagd.

Philip Hasard Killigrew – entdeckt verborgene Schätze und findet eine Möglichkeit, eine feine Karavelle zu „besorgen“.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

Mit nachdenklicher Miene stand Chaqui, der Häuptling der Cuna-Indianer, am Strand und verschränkte die Arme vor der Brust. Er war ein großer, breitschultriger Mann, dessen Haut die Färbung polierter Bronze hatte. Seine Züge waren scharf geschnitten, die Nase wies eine leichte Krümmung auf.

Wie alle Männer und Frauen seines Stammes trug er als einzige Kleidung einen Lendenschurz, nichts unterschied ihn von seinen Brüdern und Schwestern. Und doch mußte auch ein Fremder auf den ersten Blick erkennen, daß er der Anführer war: Er war der von der Statur her größte Mann dieses Stammes, und von seiner Persönlichkeit ging eine spürbare Würde und Autorität aus.

Chaqui zog die Augenbrauen etwas zusammen und betrachtete die grauen Wolken, die sich am Himmel zusammenballten.

Bevor der Tag zu Ende ist, wird der Sand naß, dachte er, und der Dschungel wird vor Feuchtigkeit dampfen.

Er vernahm ein Geräusch hinter seinem Rücken und wandte den Kopf. Antola, einer seiner Unterhäuptlinge, trat auf ihn zu und verharrte neben ihm.

„Was siehst du?“ fragte er. „Ein Zeichen?“

Chaqui spähte nach Osten. „Nein. Nur Regen wird es geben.“

„Ist das kein Zeichen?“

„Nein. Es hat keinerlei Bedeutung.“

„Der Schamane hat gesagt, daß wir an diesem Nachmittag ein Zeichen erhalten“, sagte Antola.

Chaqui sah ihn an. „Der Schamane irrt sich.“

„Laß ihn das nur nicht hören.“

„Wir warten auf Boten, die nie erscheinen“, sagte Chaqui. Er war ein nüchterner Denker, der von Wettermacherei und ähnlichem Zauber nicht viel hielt. „Es wird sich allenfalls ein Schiff zeigen, und wie immer wird es ein Schiff der Viracocha sein, der dunkelbärtigen Männer, die unsere Feinde sind.“

„Dann überfallen und töten wir sie“, sagte Antola. Seine Miene hatte sich verfinstert. Unwillkürlich griff er nach seinem Hartholzmesser.

Er haßte die Spanier wie die Pest, denn sie hatten bei einem Überfall auf das Dorf der Cunas, das sich seinerzeit noch an einem anderen Platz im Dschungel befunden hatte, seine Frau getötet. Sein Haß pulsierte in seinem Blut, und seine Rache würde nie ein Ende finden.

„Ja“, sagte Chaqui mit einem bestätigenden Nicken. „Wir lassen es nicht zu, daß sie sich annähern.“

„Wenn sie landen und unser Dorf entdecken, töten sie die Kinder und vergewaltigen unsere Frauen.“

„Und alle Männer werden in Silberminen verschleppt“, sagte Chaqui.

„Niemals“, sagte Antola. „Eher sterbe ich selbst.“

„Auch das dürfte wenig nutzen, denn die Überlebenden würden als Sklaven Zwangsarbeit verrichten müssen“, sagte Chaqui. Dann blickte er Antola offen an. „Aber warum haben wir so düstere Gedanken?“

„Weil es noch ein düsterer Tag wird.“

„Der Regen kommt und geht. Wie ist die Stimmung im Dorf?“

„Wie üblich fröhlich“, erwiderte Antola und mußte lächeln. „Unbeschwert. Es glauben eben doch alle an das, was der Schamane gesagt hat – daß die göttliche Erleuchtung nicht fern ist.“

„Es hat leider schon viele Männer unserer Rasse gegeben, die die Viracocha für Götter gehalten haben.“

Antola seufzte. „Nun gut, du hast ja recht. Aber bist du ganz sicher, daß heute noch ein Schiff auftaucht?“

„Sicher nicht, aber ich spüre es.“

„Also gibst auch du etwas auf deine Gefühle.“

„Habe ich jemals das Gegenteil behauptet?“ Chaqui lachte. „Oh, ich weiß, du hältst mich für undurchschaubar. Aber du irrst dich in mir. Mein Denken ist so klar wie das Licht der Sonne, meine Worte sind wie das Wasser der Quelle und haben keinen zweiten Sinn.“

„Das weiß ich“, sagte Antola. „Trotzdem behaupte ich, daß auf den Regen das Wunder folgt.“

„Das Wunder?“

„Die Göttin des Lichts“, sagte Antola beharrlich. „Sie wird uns heimsuchen. So hat der Schamane es gesagt, und daran halte auch ich fest.“

„Wie du meinst“, sagte Chaqui, dann richtete er seinen Blick wieder nach Osten. Plötzlich versteifte sich seine Haltung, und er hob den Kopf. „Aber siehst du – vorerst hat es den Anschein, als ob ich recht behalte.“

Antola spähte in dieselbe Richtung, und jetzt entdeckte auch er die Mastspitzen, die sich über die östliche Kimm geschoben hatten.

„Es ist wahr“, sagte er, und seine Stimme klang nun beinahe ehrfürchtig. „Ein großes Schiff mit drei Masten kommt. Es scheint direkt auf uns zuzusteuern.“

„Es sind weiße Männer an Bord“, murmelte Chaqui. „Spanier oder Piraten, für uns auf jeden Fall Feinde. Sag den Männern, sie sollen die Waffen bereithalten und die Pirogen zum Wasser tragen. Es könnte sein, daß wir das Schiff angreifen, ehe seine Männer an Land gehen und über uns herfallen.“

„Im Regen?“ fragte Antola.

„Glaubst du, daß der Schamane etwas dagegen hat?“

„Ich werde ihn um seinen Rat fragen“, erwiderte Antola.

„Tu das“, sagte Chaqui. „Und beeil dich. Die Fremden kommen rasch näher.“ Wieder blickte er zu dem Schiff, das sich drohend auf die Küste zuschob. Es handelte sich, so konnte er schon bald erkennen, um einen großen, dunklen Zweidecker, dem die Aura des Unheimlichen und der Gefahr anhaftete.

Mit etwas trauriger Miene ging Missjöh Buveur im Großmars der „Caribian Queen“ Ausguck und beobachtete seine Umgebung. An der nötigen Aufmerksamkeit mangelte es ihm dabei nicht, denn er war ein guter Seemann und desgleichen ein nicht minder guter Ausguck. Nur an etwas mangelte es ihm auf seinem luftigen Posten: an etwas Flüssigem, Trinkbarem.

Er war ein Seemann französischer Herkunft, dieser Missjöh Buveur, dunkelblond, grauäugig und etwas dicklich. Er konnte sehr fröhlich, aber auch sehr melancholisch sein, das hing vom jeweiligen Pegelstand in seinen geheimen Flaschenvorräten ab.

Seinen Namen hatte er von der Mannschaft, weil er permanent alle mit „Missjöh“ anredete. Der zweite Teil des Beinamens bedeutete dem Wortsinn nach übersetzt „Trinker“, und so nannte man ihn zu recht, denn er befand sich ständig auf der Suche nach Bier, Wein, Brandy, Whisky und Rum. So passierte es, daß er schon mal total betrunken irgendwo an Deck oder in den Schiffsräumen aufgefunden wurde, aber jeder sah ihm das nach, und selbst Siri-Tong pflegte in dem Fall beide Augen zuzudrücken.

Missjöh Buveur stieß einen Seufzer aus und versuchte, sich mit seiner trockenen Lage abzufinden. Der Wachplan wollte es nun mal, daß er heute den Posten des Ausgucks versah, und zwar gleich mit einer Doppelwache. So geschah es, daß er sich schon den ganzen Tag über hier oben befand. Dieses 11. Oktobers 1594, so wußte er, würde er sich noch lange entsinnen, denn es war einer der ganz wenigen Tage, an denen er wahrhaftig stocknüchtern war.

Auf Westkurs steuerte die „Caribian Queen“ längs der Nordküste von Darién und lavierte zwischen den unzähligen Palmeninseln und Inselchen hindurch, die den Muletas-Archipel bildeten, der im Westen bis zum Golf von San Blas reichte. Da mußte nun mal scharf aufgepaßt werden – wegen der vielen Untiefen und Sandbänke, die es in dieser Region gab. Missjöh Buveur hielt seine Augen also offen und meldete jede Verfärbung der Fluten, die ihm ein Riff oder eine Bank ankündigte.

Er versah seinen Ausguck mit Umsicht und Sorgfalt, und keiner konnte sich über ihn beklagen. Er gab immer rechtzeitig genug bekannt, wann der Kurs geändert werden mußte. Dann eilten die Männer an die Brassen und Schoten, und der Riese Barba legte Ruder.

Wieder lag ein Abenteuer hinter den drei Besatzungen, die sich an Bord des Zweideckers befanden. Dies waren: Siri-Tong mit ihrer Mannschaft, Philip Hasard Killigrew mit seiner Crew von achtundzwanzig Mann sowie Jean Ribault und Karl von Hutten mit den Männern der einstigen „Le Vengeur III.“, zu denen außerdem Le Testu, Montbars, Albert, Pater David, George Baxter und Mulligan gestoßen waren. Als zweiter weiblicher „Bordgast“ war Araua, die Tochter von Arkana, zugegen. Auch die drei Tiere der Arwenacks waren mit von der Partie: Plymmie, die Wolfshündin, Arwenack, der Schimpanse, und Sir John, der karmesinrote Aracanga.

Dieser große Trupp hatte an Bord der „Caribian Queen“ die panamaische Karibikküste erreicht, die erste Etappe ihres Unternehmens, dessen Ziel die Gold- und Silberminen von Potosi waren. In einer kleinen Bucht etwa dreißig Meilen östlich von San Blas hatten sie mit der Affen-Galeone geankert und die Tierchen an Land in Freiheit gesetzt, denn sie hatten mit der „Andalucia“ nach Spanien gebracht werden sollen. Durch Zufall hatte Carberry dabei die Doppelböden in den Käfigen entdeckt, die mit Perlen, Münzen, Diamanten und Edelsteinen gefüllt waren. Das war eine krumme Tour des spanischen Vizegouverneurs von Cartagena gewesen, die sie jedoch vereitelt hatten.

Missjöh Buveur hielt nach neuen Untiefen Ausschau, aber ihm entgingen auch die Wolken nicht, die sich mit zunehmender Geschwindigkeit zusammenzogen und der „Caribian Queen“ zu folgen schienen.

„Deck!“ rief er deshalb vorsorglich. „Es gibt gleich Regen!“

„Unsinn!“ brüllte Carberry sofort zurück. „Das ist nur Nachmittagsdunst! Der verzieht sich gleich wieder!“

„Ich persönlich neige zu der Ansicht, daß Buveur recht hat“, sagte Dan O’Flynn grinsend. Er stand gerade auf dem Backbordniedergang, der das Hauptdeck mit dem Achterdeck verband, warf einen Blick in die Runde und sah den Profos herausfordernd an.

„Drück dich gefälligst nicht so kariert aus, Mister O’Flynn“, sagte Carberry auch prompt. „Ich weiß, was du willst. Du willst mich mit deinen, Sprüchen mal wieder auf die Palme bringen, aber das gelingt dir nicht.“

„Wetten, daß doch?“ sagte Blacky. „Ich wäre bereit, einen Silberling darauf zu setzen, daß Ed gleich der Kragen platzt.“

„Mein Hemd hat keinen Kragen, du Saftbarsch“, erklärte Carberry und grinste nun seinerseits. „Na, was sagst du jetzt?“

„Ich finde, daß Buveur und Dan richtig liegen“, sagte Jean Ribault. Er stieg eben den Backbordniedergang hinunter und blieb bei Dan stehen. „Und eigentlich solltest du dich in der Karibik auch auskennen, Mister Carberry.“

„Ich?“ Carberry stieß einen Laut aus, der wie eine Mischung aus Röhren und Wiehern klang. „Ich doch nicht! Ich bin gerade erst angekommen! Wie ist denn das hier? Sind wir hier gleich in Indien, oder was ist los?“ Er lachte, denn er hielt dies für einen großartigen Witz, aber keiner lachte mit.

„Von einem Moment auf den anderen kann hier das Wetter umschlagen“, fuhr Ribault seelenruhig fort. „So ein rauschender Sturzbach ist gar nicht selten.“

„Was du nicht sagst“, brummelte der Profos. „Du meinst – Regen? Wasser, das einfach vom Himmel fällt?“

„So was gibt es? Ist es salziges Wasser?“

„Tränen der Götter“, entgegnete Dan. „Sie hocken oben in den Wolken und heulen sich die Augen aus.“

„Du sitzt zwar nicht in den Wolken“, sagte Carberry grollend. „Aber du heulst dir trotzdem auch gleich die Augen aus, nämlich dann, wenn ich dir das Oberdeck einbeule.“

„Und dann regnet es, was?“ Matt Davies grinste wie ein Faun. „Na also. Ich halte auch mit. Einen Silberling für den Regen.“

Carberry drehte sich langsam zu ihm um. „Wie lange ist es her, daß dir deine Prothese zum letzten Mal ins Wasser gefallen ist, Mister Davies, hm? Nun?“

„Wenn es jemals passiert ist, dann war es im letzten Sturmregen“, erwiderte Sam Roskill an Matts Stelle. „Wenn die Tropfen so richtig runterprasseln, kann einem nämlich schon mal dieses und jenes abfallen.“

„Ich steige mit zwei Silberlingen ein“, sagte Stenmark. „Wenn’s tatsächlich regnet, wird Ed ganz schön blechen müssen.“

„Mal langsam“, sagte der Profos und deutete auf die Wolken. „Das da – das sind keine Regenwolken. Die verziehen sich gleich wieder. Es sind nur Dunstschwaden, klar?“

„Dunstiger Regen“, sagte Matt.

„Komm mal her, Mister Davies!“ brüllte Carberry, daß es allen in den Ohren dröhnte. „Hier muß dringend ein Fall klariert werden! Was ist das für eine verdammte Schlamperei?“

„Keine Ahnung“, antwortete Matt. „Aber für diese Art von Sauerei ist eigentlich die Crew der ‚Caribian Queen‘ zuständig.“

„Ich hab’ dir was befohlen, Mister Davies!“

„Wer hat hier was an uns auszusetzen?“ fragte Bill the Deadhead drohend.

„Niemand“, erwiderte Dan mit wildem Grinsen. „Es ist nur unser Profos, der wieder mal herumstänkert.“

„Und ich bin niemand?“ brüllte Carberry.

Smoky warf einen Blick zum Wolkenhimmel. „Ich bin mit einem Silberling dabei und sage, daß es in spätestens einer halben Stunde regnet.“

„Ich setze einen Copper auf Buveur und O’Flynn“, sagte Gordon McLinn.

Stenmark musterte ihn spöttisch. „He, ihr Schotten scheint ja wirklich so geizig zu sein wie euer Ruf.“

„Sag das noch mal!“ fuhr McLinn ihn an.