Ulrich Lamparter Hans Ulrich Schmidt


Wirklich psychisch bedingt?

Somatische Differenzialdiagnosen in der Psychosomatischen Medizin und Psychotherapie

Impressum

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Schattauer

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Printausgabe: ISBN 978-3-608-43135-3

E-Book: ISBN 978-3-608-19140-0

PDF-E-Book: ISBN 978-3-608-26961-1

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Lektorat: Dipl.-Biol. Martina Kunze, Ehringshausen

Projektmanagement: Dr. Gisela Heim, Dr. Nadja Urbani

Inhalt

Anschriften

Herausgeber

Autoren

Einführung

Allgemeiner Teil

1 Der Begriff »psychogen« als diagnostischer Fehler

1.1 Welche Art von Fehler ist gemeint?

1.2 Rahmenbedingungen

1.3 Holismus und Dualismus als Quellen diagnostischer Denkfehler in der Psychosomatik

1.4 Wie kann man den Leib-Seele-Zusammenhang heute klinisch relevant konzeptualisieren?

1.5 »Somatogen« und »psychogen« in der klinischen Situation

1.6 »Psychogen« bedeutet nicht »psychisch« und bedeutet auch nicht »psychosomatisch«

1.7 Zur Definition und Entstehung psychogener Störungsbilder

1.8 Der Fehler »psychogen« in der Differenzialdiagnostik – eine Übersicht

1.9 Konsequenzen für die praktische Diagnostik

1.10 Überlegungen zur Fehlervermeidung

2 Fehldiagnosen in der Psychotherapie – eine Fallgeschichte

2.1 Die Fehlerproblematik in der Psychotherapie

2.2 Erstbericht an den Gutachter

2.3 Katamnese

3 Mustererkennung und diagnostische Fehler

3.1 Fehler im diagnostischen Prozess

3.2 Mustererkennung

3.3 Krankheitspräsentation

3.4 Widerstände gegen analytisches Denken

3.5 Vereinfachte Lösungswege (Heuristiken) ermöglichen uns, aus einem komplexen Problem ein einfaches zu machen

3.6 Wir überschätzen systematisch unsere Kompetenz

3.7 Eine Fehldiagnose ist häufig eine Folge von systematischen Denkfehlern

3.8 Methoden zur Fehlerminimierung

Spezieller Teil

4 Symptome und Syndrome

4.1 Schmerz

4.1.1 Schmerz und seine klinische Analyse

4.1.2  Kopfschmerzen

4.1.3  Bauchschmerzen

4.1.4  Rückenschmerzen

4.1.5  Sonstige Schmerzen

4.2 Erschöpfung und Müdigkeit

4.3 Depression

4.4 Angst

4.5 Bewusstseinsstörungen

4.5.1 Quantitative Bewusstseinsstörungen

4.5.2 Qualitative Bewusstseinsstörungen

4.6 Sinnesstörungen

4.6.1 Riechen (olfaktorisch)

4.6.2 Schmecken (gustatorisch)

4.6.3 Sehen (optisch)

4.6.4 Hören (akustisch)

4.6.5 Tasten/Fühlen (sensorisch)

4.7 Schlafstörungen

4.8 Motorische Schwäche und Lähmungen

4.9 Gefühlsstörungen

4.10 Schwindel

4.11 Herzbezogene Beschwerden

4.11.1 Angina pectoris

4.11.2 Herzrhythmusstörungen

4.12 Verdauungsstörungen

4.12.1 Obstipation/Verstopfung

4.12.2 Diarrhoen

4.12.3 Übelkeit und Erbrechen

4.13 Sexuelle Funktionsstörungen

4.14 Chronischer Unterbauchschmerz der Frau

4.15 Symptome bei Allergien und Unverträglichkeiten

4.15.1 Allergie vom Soforttyp/Typ-I-Reaktion nach Coombs und Gell

4.15.2 Typ-IV-Reaktion (allergisches Kontaktekzem)

4.15.3 Arzneimittelüberempfindlichkeitsreaktionen

4.16 Fieber

5 Krankheitsbilder

5.1 Kopf, Gesicht und Hals

5.1.1 Schlaganfall durch zerebrale Ischämie

5.1.2  Schlaganfall durch intrazerebrale Blutung

5.1.3  Schlaganfall durch Subarachnoidalblutung

5.1.4  Sinusvenenthrombose

5.1.5  Zerebrale Vaskulitis

5.1.6  Hydrocephalus

5.1.7  Hirntumor

5.1.8  Enzephalopathien und enzephalitische Syndrome

5.1.9  Parkinson-Syndrom

5.1.10  Multiple Sklerose

5.1.11  Amyotrophe Lateralsklerose

5.1.12  Dystonien

5.1.13  Myasthenie

5.1.14  Myopathien (Muskelerkrankungen)

5.1.15  Epilepsie

5.1.16  Demenzen

5.1.17  Organische Depression und organisch bedingte Psychosen

5.1.18  Intoxikationen

5.1.19  Migräne

5.1.20  Kopfschmerzen vom Spannungstyp

5.1.21  Clusterkopfschmerz

5.1.22  Riesenzellarteriitis (Arteriitis temporalis, Horton-Magath-Brown-Syndrom)

5.1.23  Trigeminusneuralgie (»Tic douloureux«)

5.1.24  Craniomandibuläre Dysfunktion (CMD)

5.1.25  Benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel

5.1.26  Einseitiger Gleichgewichtsausfall

5.1.27  Morbus Menière

5.1.28  Vestibuläre Migräne (Basilaris-Migräne)

5.1.29  Tinnitus

5.1.30  Akustikusneurinom

5.1.31  Hörstörungen

5.1.32  Schluckstörungen

5.2 Brustraum

5.2.1 Asthma bronchiale

5.2.2  COPD/Lungenemphysem

5.2.3  Lungenkarzinom

5.2.4  Sarkoidose (Morbus Boeck)

5.2.5  Arterieller Hypertonus

5.2.6  Koronare Herzerkrankung

5.2.7  Herzinsuffizienz

5.2.8  AV-Knoten-Reentry-Tachykardie

5.3 Bauchraum

5.3.1 Ösophagitis (Speiseröhrenentzündung, Refluxerkrankung)

5.3.2  Ösophageal bedingte Schluckstörungen

5.3.3  Gastritis

5.3.4  Ulcusleiden

5.3.5  Cholezystitis

5.3.6  Gallensteinleiden

5.3.7  Pankreatitis

5.3.8  Tumoren und Karzinome im oberen Verdauungstrakt

5.3.9  Appendizitis

5.3.10  Chronisch entzündliche Darmerkrankungen

5.3.11  Darmkrebs

5.3.12  Divertikulitis

5.3.13  Nierensteinerkrankung

5.3.14  Nierenzellkarzinom

5.3.15  Prostataerkrankungen

5.3.16  Harnwegsinfektionen

5.3.17  Überaktive Blase

5.3.18  Urothelkarzinom

5.3.19  Erkrankungen des äußeren Genitale des Mannes

5.3.20  Sexuell übertragbare Erkrankungen

5.3.21  Myome/Uterus myomatosus

5.3.22  Endometriose

5.3.23  Erkrankungen der Vulva und der Vagina mit chronischen Beschwerden

5.3.24  Emesis und Hyperemesis gravidarum (Erbrechen in der Schwangerschaft)

5.4 Rücken

5.4.1 Lumbaler Bandscheibenvorfall

5.4.2  Spondylodiscitis

5.4.3  Tethered Cord (gefesseltes Rückenmark)

5.5 Extremitäten

5.5.1 Myopathien

5.5.2  Nervenkompressionssyndrome (Engpass-Syndrome)

5.5.3  Subclavian-Steal-Syndrom (Perfusionsstörungen)

5.5.4  Erkrankungen des peripheren Nervs (radikuläre Störungen, Plexusläsion, Neuropathie)

5.6 Haut

5.6.1 Hyperhidrose

5.6.2  Chronischer Pruritus

5.6.3  Lupus erythematodes

5.6.4  Dermatomyositis

5.6.5  Neurodermitis (atopisches Ekzem/atopische Dermatitis)

5.6.6  Urtikaria

5.6.7  Psoriasis (Schuppenflechte)

5.6.8  Nahrungsmittelunverträglichkeiten

5.7 Infektionskrankheiten

5.7.1 HIV-Infektion/AIDS

5.7.2 Andere chronische Virusinfektionen

5.7.3 Pilzerkrankungen (Systemmykosen)

5.7.4 Borreliose

5.7.5 Slow-Virus- und Prionen-Erkrankungen

5.7.6 Hepatitis

5.7.7 Syphilis

5.7.8 Subphrenische und andere chronische Abszesse

5.8 Entzündliche rheumatische Erkrankungen

5.8.1 Rheumatoide Arthritis

5.8.2 Spondarthritiden (entzündliche Wirbelsäulenerkrankungen)

5.8.3 Kollagenosen

5.8.4 Vaskulitiden

5.9 Stoffwechselerkrankungen

5.9.1 Diabetes mellitus

5.9.2 Adipositas

5.9.3 Organisch bedingte Differenzialdiagnosen der Anorexia nervosa

5.9.4 Primäre und sekundäre Nahrungsmittelunverträglichkeiten

5.9.5 Morbus Wilson (Kupferspeicherkrankheit)

5.10 Endokrine Störungen

5.10.1 Hyperthyreose

5.10.2  Hypothyreose

5.10.3  Hypophysenadenom

5.10.4  Primärer Hyperparathyreoidismus

5.10.5  Cushing-Syndrom (Hypercortisolismus)

5.10.6  Morbus Addison (primäre Nebenniereninsuffizienz)

5.10.7  Phäochromozytom

5.11 Genetisch bedingte Syndrome mit ihren psychischen Implikationen am Beispiel des Marfan-Syndroms

5.12 Medikamentöse Ursachen einer psychischen Störung

5.12.1 Lithiumintoxikation

5.12.2 Depressive Verstimmung unter Pharmaka

5.13 Sphinxen der Diagnostik

5.13.1 Morbus Whipple

5.13.2 Chronische Hyponatriämie

5.13.3 Takayasu-Arteriitis

5.14 Ausgewählte Krankengeschichten

5.14.1 Angstkrankheit, Depression, Schmerzkrankheit, Burn-out, Hypochondrie oder?

5.14.2 Psychogenes Erbrechen?

5.14.3 Kopfschmerzen, Übelkeit, Sehstörungen, Herzstolpern, Schwitzen?

Anschriften

Herausgeber

Priv.-Doz. Dr. med. Dipl.-Psych. Ulrich Lamparter

Rothenbaumchaussee 71

20148 Hamburg

ulamparter@t-online.de

Dr. med. Hans Ulrich Schmidt

Ambulanzzentrum

Fachbereich Psychosomatische Medizin und Psychotherapie

Universitätsklinikum Eppendorf

Martinistraße 52

20246 Hamburg

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Autoren

PD Dr. med. Marcus Oliver Ahlers

CMD-Centrum Hamburg-Eppendorf

Falkenried 88

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Oliver.Ahlers@CMD-Centrum.de

Prof. Dr. med. Christian Arning

Praxis für Neurologie

Mittelweg 123

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Prof. Dr. med. Frank-Ulrich Beil

Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

Ambulanzzentrum Endokrinologie

Martinistraße 52

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Dr. med. Alexandra Bussopulos-Orpin

Zentrum für Psychosoziale Medizin, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie

Universitätsklinikum Eppendorf

Martinistraße 52

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Dr. med. Mathias Gelderblom

Kopf- und Neurozentrum, Klinik und Poliklinik für Neurologie

Universitätsklinikum Eppendorf

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Thomas Haalck

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Universitätsklinikum Eppendorf

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Klinik für Neurologie und Psychiatrie

Friedrich-Ebert-Krankenhaus Neumünster

Friesenstraße 11

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Fachklinik für analytische Psychotherapie

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Dr. med. Matthias Janneck

Zentrum für Innere Medizin

III. Medizinische Klinik und Poliklinik

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Priv.-Doz. Dr. med. Christof Iking-Konert

Zentrum für Innere Medizin

III. Medizinische Klinik und Poliklinik

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Dr. med. Thomas Kahlert

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Prof. Dr. med. Uwe Kehler

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Priv.-Doz. Dr. med. Dipl.-Psych. Ulrich Lamparter

Rothenbaumchaussee 71

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Dr. med. Tomas Müller-Thomsen

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Dr. med. Hans Ulrich Schmidt

Ambulanzzentrum, Ärztliche Psychotherapie

Universitätsklinikum Eppendorf

Martinistraße 52

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Dr. med. Stefan Schmiedel

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Priv.-Doz. Dr. med. Hans Strenge

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Klinik für Innere Medizin, Darmzentrum

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Hohe Weide 17

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Prof. Dr. med. Eberhard Windler

Universitäres Herzzentrum

Allgemeine und interventionelle Kardiologie

Universitätsklinikum Eppendorf

Martinistraße 52

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Dr. med. Christopher Wirtz

Gastroenterologie Praxis Altona

22765 Hamburg

Ottenser Hauptstraße 5

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Einführung

Ulrich Lamparter, Hans Ulrich Schmidt

Warum dieses Buch?

Das vorliegende Buch mag den einen oder anderen die erstaunte Frage stellen lassen, ob Psychosomatik und Psychotherapie sich nun etwa selbst infrage stellen wollen? War denn nicht jahrzehntelang das fundamentale Anliegen in vielen psychotherapeutischen Fort- und Weiterbildungen, den ärztlichen Blick für die Bedeutung des Psychischen zu öffnen? Wird denn nicht immer noch anhaltend an der Verfeinerung diagnostischer Instrumente gearbeitet, um psychische Störungen rasch zu erkennen und lange Patientenkarrieren zu vermeiden? Gibt es denn nicht immer noch viele Patienten, die von Arzt zu Arzt geschickt werden, ohne dass erkannt wird, dass das eigentliche Problem im Seelischen zu suchen ist? Geht es denn nicht gerade darum, diese Patienten rasch einer Psychotherapie zuzuführen, und sie nicht »durch die Mühle der körperlichen Diagnostik zu drehen«? Kommt es denn nicht gerade dann zu iatrogenen Fixierungen auf das Somatische?

Verzeichnen wir nicht gerade eine erfreuliche Zunahme der Zielgenauigkeit und Geschwindigkeit, mit der psychosomatisch oder psychisch Erkrankte in eine psychotherapeutische Behandlung weiterverwiesen werden und beobachten eine über viele Jahre gewachsene höhere Akzeptanz der Psychotherapie in der Gesellschaft, bei den betroffenen Patienten und nicht zuletzt bei den primär somatisch orientierten Medizinern?

Versuchen nicht seit vielen Jahren höchst erfolgreich für das Psychische offene Ärzte in Balint-Gruppen der Geschichte hinter den Beschwerden ihrer Patienten auf die Spur zu kommen und ihre Fähigkeiten in Kursen zur psychosomatischen Grundversorgung zu verbessern?

Dieses Buch soll diese – durchaus erfreulichen – Entwicklungen in keiner Weise infrage stellen, sondern sie vielmehr um eine Blickrichtung ergänzen, die gerade den interdisziplinären Stellenwert der Psychosomatik und Psychotherapie weiter vertiefen kann. Bei aller Offenheit für die Welt des Psychischen und die Zusammenhänge von Lebensgeschichte, Lebenssituation und Krankheit gilt es jedoch, den Fehler zu vermeiden, körperliche Krankheiten fälschlich als »psychisch bedingt« zu diagnostizieren.

Störungen, die in den Lebensumständen der Patienten ihre Wurzeln haben, werden in ihrer seelischen Dimension oft nicht ausreichend erkannt. Nicht selten sind ihre Wege, wenn sie psychotherapeutische Hilfe suchen, lang. Dies gilt besonders für Menschen aus den weniger gebildeten Schichten, für sog. Problempatienten oder solche, die in Regionen leben, die immer noch medizinisch oder gar psychotherapeutisch weniger gut versorgt sind. Als langjährig gemeinsam Tür an Tür tätige Diagnostiker in der psychosomatischen Ambulanz, im Konsultations- und Liaisondienst einer Universitätsklinik und in unseren eigenen Praxen haben wir jedoch auch andere Erfahrungen gemacht: Gerade bei seltenen und wenig bekannten primär somatischen Krankheitsbildern oder Problemen werden die Symptome eines Patienten fälschlicherweise als psychisch bedingt aufgefasst. Dadurch kommen diese Patienten auf die »falsche Schiene«, und es wird wertvolle Zeit verloren. An Stelle einer medikamentösen Behandlung oder sogar einer notwendigen Operation wird der Patient in eine psychosomatische Klinik oder ambulante Psychotherapie geschickt. Nicht allzu häufig, aber doch gelegentlich hört man von derartigen »Horrorgeschichten«. Gerade weil die Medizin glücklicherweise nicht mehr auf dem seelischen Auge blind ist und vermehrt psychosoziale Aspekte berücksichtigt, gilt umso mehr die grundsätzliche Empfehlung von Weiss & English (1943), die zu den Gründungsvätern der psychosomatischen Medizin zählen, dem Körper nicht weniger, sondern der Psyche mehr Beachtung zu schenken. Nota bene: dem Körper nicht weniger.

Das Problem des »psychogenen Fehlers«

Die Fehldiagnose »psychogen statt somatogen« ist sicherlich seltener als die umgekehrte schnelle Nostrifizierung von Symptomen durch die Körpermedizin.

Umso gravierender kann jedoch das Versäumnis sein, im Zuge einer vorschnell auf ein psychogenes Konzept fokussierten Diagnose wichtige körperliche Behandlungsmöglichkeiten zu versäumen. Als ein klassisches Beispiel mag hier die Fehldeutung einer Hyperthyreose als Angststörung stehen. Nicht selten wird dann im weiteren Krankheits- und Behandlungsprozess, gerade auch in einer psychotherapeutischen Behandlung, dem Patienten das (scheinbare) Festhalten an Körpersymptomen als Widerstand gegen die Psychotherapie ausgedeutet. Gravierender noch ist es, wenn eine fehlende, eigentlich angezeigte weiterführende somatische Diagnostik eine möglicherweise kurative oder zumindest die Beschwerden lindernde medikamentöse, evtl. auch stärker invasive Behandlung verhindert. Im Extremfall führt dann z. B. eine zu früh eingeleitete, möglicherweise jahrelange Psychotherapie nicht zu einer Rückbildung der Symptomatik, um deren Willen die Psychotherapie ja eigentlich begonnen wurde. Manche unserer Fallgeschichten können diesen Aspekt gut illustrieren.

Der »psychogene Fehler« ist nicht leicht zu erkennen

Unbestritten: Manchmal sind unsere Patienten an einer vorschnellen Psychogenie-Zuschreibung nicht unbeteiligt. So, wenn sie uns hochmotiviert für eine Psychotherapie begegnen und wir unsererseits erfreut, mitunter auch hocherfreut darüber sind, endlich mal wieder einen Patienten nicht in mühsamen Vorgesprächen von möglichen psychischen Zuflüssen zu etwaigen Körpersymptomen oder gar einem primär psychogenen Hintergrund überzeugen zu müssen. Doch dies darf nicht dazu führen, die Wachsamkeit gegenüber dem Seltenen zu verlieren.

Besonders schwierig ist die oft schleichende Entwicklung primär somatogener Erkrankungen zu erkennen, wenn sich der Patient bereits in der Psychotherapie befindet. In einer psychotherapeutischen Behandlung kommt es zu einer Konzentration auf das psychische Geschehen, und es wird »vom Körper weg« gedacht. So wird ein geschildertes Körpersymptom (z. B. Kribbeln) eher als Angstäquivalent eingeschätzt werden, als dass der Gedanke an den Beginn einer Multiple-Sklerose-Erkrankung oder einer Polyneuropathie aufkommt. Zu fern liegt dann der Gedanke, es könnte sich bei den Beschwerden des Patienten um eine körperliche Störung handeln, besteht die Aufgabe der psychotherapeutischen Behandlung ja gerade darin, den Patienten »vom Körper wegzubringen«.

Werden Gedanken an eine somatische Differenzialdiagnose in Fallbesprechungen bereits laufender Psychotherapien geäußert, wird dies in der Regel nicht goutiert. Der Psychologische Psychotherapeut kann dazu ins Feld führen, dass der Patient ja vor Aufnahme der Psychotherapie bereits ärztlich untersucht worden sei. Der Allgemeinarzt, der in der Richtlinienpsychotherapie die Indikation konsiliarisch bestätigen muss, ist in der schwierigen Lage, dass ihm oft, mangels feinerer diagnostischer Möglichkeiten, alternative somatogene Erklärungen nicht ohne Weiteres zur Verfügung stehen oder er bereits von vorherein »psychogen« orientiert und gebahnt ist.

In vielfältigen Settings wird versucht, den Risiken vorschneller Ausdeutung des Krankheitsgeschehens als »psychisch bedingt« Rechnung zu tragen. So »sondiert« etwa die fachgerechte Indikationskonferenz in einer psychosomatischen Poliklinik oder eine Schmerzkonferenz in beide Richtungen. Psychotherapeutische Weiterbildungsinstitute integrieren in das Setting der Behandlungsindikation/-planung sog. Zweitsichten, insbesondere immer dann, wenn die Behandler Psychologen und nicht Ärzte sind. Potenzielle Psychotherapiepatienten werden hier vor einer psychotherapeutischen Behandlungsaufnahme somatisch erfahrenen Ärztinnen und Ärzten vorgestellt, um das Risiko einer psychogenen Fehldiagnose zumindest einzuschränken, ggf. ein fachärztliches Konsil oder Laborbefunde einzufordern bzw. vorzuschlagen. In der ambulanten Versorgung ist bei der Stellung des Kassenantrags durch Psychologische Psychotherapeuten vor Aufnahme einer Psychotherapie eine Beifügung einer ärztlichen Konsultation und Stellungnahme zu der geplanten Psychotherapie vorgeschrieben. Solch eine gute rechtzeitige Sichtung, bevor mit dem Patienten eine psychotherapeutische Behandlung aufgenommen wird, ist von immenser Wichtigkeit – und zwar für Patient wie Behandler. Je sicherer und fachgerechter vorab in Richtung etwaiger somatischer Faktoren sondiert wird, desto freier werden Therapeut und Patient sich dem psychotherapeutischen Beziehungsgeschehen widmen können. Das gilt insbesondere dann, wenn Körpersymptome im voranschreitenden psychotherapeutischen Prozess eine Widerstandsfunktion erhalten (etwa bei Patienten mit somatoformer oder histrionischer Symptomatik) oder einen Beziehungswunsch ausdrücken können (etwa bei Psychosomatosen). Es gilt aber auch für jedweden Fall, in dem die behandelnden Psychotherapeuten noch unerfahren sind und sich gerade auf diesem Hintergrund darauf verlassen müssen, dass etwaige körperliche Ursachen der geklagten Symptomatik ausgeschlossen wurden.

Abhilfe und Hilfestellungen

Für diesen Problemkreis des »psychogenen Fehlers« will das Buch Abhilfe schaffen und Hilfestellungen geben. Es stellt Wissen zusammen und vermittelt notwendige diagnostische Kenntnisse und Assoziationen. Diese im entscheidenden Moment in der klinischen Situation zur Verfügung zu haben, erscheint uns als zentrales Moment der Fehlervermeidung essenziell. Mit diesem Ansatz entsteht eine ungewöhnliche Perspektive. Es geht bei diesem Buch nicht um Vollständigkeit der Wissensvermittlung, denn dafür gibt es hervorragende Lehrbücher. Vielmehr geht es in erster Linie um die Vermittlung klinischer Erfahrung unter dem Aspekt der Vermeidung eines bestimmten kategorialen Fehlers. Bereits Sigmund Freud hat bei der Analyse des Initialtraums der Psychoanalyse, dem Traum von »Irmas Injektion«, das Problem klar beschrieben: »Ich erschrecke im Gedanken, daß ich doch eine organische Affektion übersehen habe.« Wie man mir gerne glauben wird, eine nie erlöschende Angst beim Spezialisten, der fast ausschließlich Neurotiker sieht und der so viele Erscheinungen auf Hysterie zu schieben gewohnt ist, welche andere Ärzte organisch behandeln . . .« (Freud 1900 GW II/III, S. 114).

Freud war, wie unser Lehrer Adolf-Ernst Meyer schrieb, einer der naturwissenschaftlich bestausgebildeten Ärzte seiner Zeit. Er konnte auch neurologische Diagnosen stellen (wenngleich er sich auch gelegentlich geirrt hat). So litt »Emmy v. N. aus Livland«, dargestellt in den »Studien über Hysterie«, wahrscheinlich an einem Gilles-de-la-Tourette-Syndrom, wie eine kritische Nachbetrachtung (Pappenheim 1989) zeigt.

Seit Freud haben sich die Kenntnisse in der Medizin fundamental erweitert, und damit auch ihre diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten. Besonders die mittlerweile breit zur Verfügung stehenden bildgebenden Verfahren und biochemischen Untersuchungen in der klinischen Diagnostik geben oftmals rasch tiefen Einblick in das körperliche Geschehen. Doch nicht wenige körperliche Krankheiten entziehen sich dem leichten diagnostischen Zugriff und fordern den Kliniker heraus, der in eine schwierige Lage kommt und letztlich auf seine klinische Erfahrung angewiesen ist. Gibt es nach umfassender körperlicher Abklärung keinen richtungsweisenden Befund, ist es »o. B.« oder wurde »alles gemacht«, wie schnell liegt dann die Einschätzung bereit, die Beschwerden des Patienten seien »psychisch bedingt«, ohne dass diese Einschätzung im Gespräch mit dem Patienten weiter substantiiert wird! Nicht wenige Indikationen für eine Psychotherapie beruhen auf diesem Ausschluss-Paradigma.

Während so auf der einen Seite das Wissen permanent und exponenziell wächst und man heute Krankheiten leicht feststellen kann, für deren Diagnose man früher viel Zeit gebraucht hätte, falls sie überhaupt möglich gewesen wäre, so geht damit zwangsläufig eine Spezialisierung einher: Kaum jemand kann das medizinisch-diagnostische Spektrum ganz überblicken, und fast jeder Arzt hat zwangsläufig Lücken des Wissens, der Erfahrung und Handlungskompetenz.

Umso dringender wird der Spezialist gesucht, doch er muss gefunden werden – und hier wird es schwierig: Gerade bei der Zuweisung zu einem bestimmten Spezialisten wird die grundsätzliche Einordnung eines Krankheitsbildes wichtig. Denn oft ist sein Arbeitsbereich so hochspezialisiert, dass gerade auch er diese Einordnung nicht mehr vollziehen kann, weil ihm der Gesamtüberblick fehlt. So kann der Patient in der ausdifferenzierten modernen Medizin, die zur Verfügung steht, zum »Irrläufer« werden, der zwischen den Fachgebieten hin- und hergeschickt wird. Er entwickelt eine komplizierte Krankengeschichte, bis sich jemand endlich gründlich der Sache annimmt, ganz neu nachdenkt. Ein Zufallsbefund kann dann zur Aufklärung führen, oder ein ungünstiger Verlauf endlich unvermutet die wahre Ursache einer Erkrankung zum Vorschein bringen. Solche Prozesse gibt es auch in großen Kliniken, wenn durch die Beteiligung zu vieler Spezialisten und bei mehrfachen Verlegungen der Überblick über die klinische Gesamtsituation verloren geht. Ein weiteres Problem tritt hinzu: Immer mehr ältere und multimorbide Menschen nehmen heutzutage psychotherapeutische Hilfe in Anspruch: Auch in diesen Behandlungen ergibt sich das Problem einer richtigen Kausalattribuierung von Körperbeschwerden, denn auch hier ist nicht alles psychogen, was vielleicht psychogen erscheinen mag: So mag ein ängstlicher Patient mit besonders nachts auftretender Angst vor Stürzen als »psychogen« angesehen werden, doch man übersieht, dass eine laufende Medikation mit β-Rezeptoren-Blockern wegen »Herzrhythmusstörungen« seinen Blutdruck in der Nacht viel zu weit abgesenkt hat oder eine beginnende Polyneuropathie sich in der Dunkelheit durch den Wegfall der visuellen Kontrolle besonders auf das Gleichgewicht auswirkt.

Gewiss: Das Häufige ist häufig und das Seltene ist selten, diese Grundregel der klinischen Diagnostik gilt auch im 21. Jahrhundert, doch was geschieht mit dem Seltenen, dem Unerwarteten, dem sich nicht an die typischen Regeln haltenden körperlichen Geschehen? Hier kommt es auf »verbreitertes Wissen« an, fächer- und disziplinübergreifend. Vor diesem Hintergrund muss man gerade das Seltene bedenken und wertschätzen, um im entscheidenden Moment nicht unvorbereitet zu sein.

Das erforderliche Wissen für die somatische Differenzialdiagnose psychischer und psychosomatischer Störungen soll in diesem Buch zusammengestellt werden. Wir haben überlegt, wen wir fragen würden, wenn wir in diesem oder jenem Fachgebiet »ein Problem mit einem Patienten« hätten und diese Kolleginnen und Kollegen um einen Beitrag für das Buch gebeten. Dabei war Herausgebern wie Autoren Anschaulichkeit und Kliniknähe ein besonderes Anliegen und Prinzip der Darstellung. Ausdrücklich wurden die Autoren – alle in ihrem Fachgebiet hocherfahrene in der Patientenversorgung und oftmals in der Forschung tätige Ärzte, überwiegend aus dem Umfeld des Universitätsklinikums Eppendorf in Hamburg – ermutigt, ihre persönlichen Erfahrungen einzubringen, denn die »Fehldiagnose: psychogen« vollzieht sich in der Regel am Einzelfall und bleibt vor allem als singuläres Ereignis und als besondere Krankengeschichte im Gedächtnis des Arztes haften.

Das Buch versucht nicht nur, prägnant im Sinne eines Kompendiums wichtige Fakten zusammenzutragen. Es behält durchgängig die Perspektive der Fehlervermeidung bei und soll dabei durch die Darstellung komplexer realer Fälle aus langjähriger klinischer Praxis die Gefahr des »psychogenen Fehlurteils« (genauer: der falschen Attribution als »psychogen oder psychisch bedingt«) anschaulich machen.

Zum Aufbau des Buches

Zunächst werden in einem »Allgemeinen Teil« grundsätzliche Aspekte der somatopsychischen Differenzialdiagnostik und ihrer möglichen Fehler abgehandelt.

Im »Speziellen Teil« wird zusammenstellt, was man im Feld der Psychotherapie über die Differenzialdiagnose von somatischen Beschwerden und Erkrankungen wissen sollte.

Der erste Abschnitt, »Symptome und Syndrome«, geht dabei von der primären Leitklage eines Patienten aus, die systematisch unter dem Aspekt einer möglichen somatischen Ursache und der Vermeidung diagnostischer Fehler betrachtet wird.

Der zweite Abschnitt stellt anschließend »von Kopf bis Fuß« systematisch und kurz Krankheitsbilder dar, deren Kenntnis uns wichtig erscheint und die man diagnostisch im assoziativen Repertoire haben sollte. Die Darstellungen werden meist durch anschauliche Fallbeispiele illustriert. Diese Schilderungen aus der Praxis machen oft erst deutlich, wie wichtig die Vermeidung der Fehldiagnose »psychogen« sein kann.

Wie kann man das Buch gebrauchen?

Das Buch lässt sich als Lesebuch verwenden, um altes und oft verschüttetes Wissen zu aktualisieren. Dies gilt bei Ärzten besonders für das Spezialwissen in fachfremden Gebieten und für Psychotherapeuten, die einen vertieften Einblick in die somatische Medizin gewinnen können. Das Buch will weiter helfen, ausgehend von der Leitbeschwerde des Patienten oder von der Lokalisation der geklagten Störung (vom Kopf bis Fuß), zu neuen Überlegungen bezüglich einer möglichen somatischen Ursache zu kommen, wenn sich etwa die Diagnostik festgefahren hat oder mangelnde Besserung ein neues Nachdenken erzwingt.

Zu guter Letzt darf folgender wichtiger Hinweis nicht fehlen: Es würde den Charakter unseres Buches sprengen, alle möglichen somatischen Differenzialdiagnosen aufzuführen und zu erörtern. Im Einzelfall wird also der Diagnostiker nur Anregungen erfahren und bleibt auf eigenes Nachdenken und eigenes Studium angewiesen. Die Herausgeber freuen sich im Übrigen sehr, wenn ihnen Nutzer des Buches einschlägige Fallgeschichten mitteilen oder Hinweise für Ergänzungen oder Korrekturen geben.

Danksagung

Unser über Jahre gewachsenes Anliegen wurde von allen Autorinnen und Autoren und nicht zuletzt vom Leiter des Schattauer Verlags, Herrn Dr. med. Dipl.-Psych. Wulf Bertram, und der Projektleitung, namentlich Frau Dr. med. Gisela Heim und Frau Dr. phil. Nadja Urbani, konstruktiv und stets ermutigend aufgegriffen. Dafür sind wir sehr dankbar. Frau Dipl.-Biol. Martina Kunze hat mit großer Sorgfalt und höchst kenntnisreich die Beiträge lektoriert. Wir danken auch allen unseren Autorinnen und Autoren, die sich schnell auf das Anliegen des Buches und seine Perspektive eingestellt haben und trotz ihres dicht gedrängten Berufsalltags Zeit genommen haben, ihren Beitrag zu erarbeiten. Dankbar sind wir nicht zuletzt unseren Kolleginnen und Kollegen aus der langjährig von Adolf-Ernst Meyer geleiteten Psychosomatischen Abteilung des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf für die vielen Falldiskussionen, die wir in unserer gemeinsamen Zeit mit ihnen führen konnten, besonders Friedrich-Wilhelm Deneke, Antje Haag, Andreas Sadjiroen und Ulrich Stuhr. Mit ihnen standen wir über viele Jahre täglich immer wieder neu vor dem Problem, im Spannungsfeld von »Psyche« und »Soma« richtige Diagnosen zu stellen und therapeutische Wege zu finden. Herrn Prof. Bernd Löwe danken wir für die Ermutigung, das schon lange angedachte Buchprojekt in den letzten Jahren wieder aufzugreifen und damit unsere klinischen Erfahrungen an die nächste Generation der Ärzte und Psychotherapeuten weiterzugeben.

Literatur

Freud S. Die Traumdeutung. Gesammelte Werke aus dem Jahr 1900. Bd. II/III. Frankfurt a. M.: S. Fischer 1942.

Pappenheim E. Freud und Gilles de la Tourette. Psyche 1989; 43: 921–951.

Weiss E, Spurgeon EO: Psychosomatic Medicine. The clinical application of psychopathology to general problems. Philadelphia und London: Saunders 1943.

Allgemeiner Teil

1 Der Begriff »psychogen« als diagnostischer Fehler

Ulrich Lamparter, Hans Ulrich Schmidt

1.1 Welche Art von Fehler ist gemeint?

Dieses Buch beschäftigt sich nicht mit allen denkbaren und vermutlich auch real vorkommenden Fehlermöglichkeiten im Grenzbereich zwischen Medizin und Psychotherapie. Es geht vielmehr und vor allem einer bestimmten Fehlermöglichkeit nach, der Verkennung einer körperlich bedingten Erkrankung als »psychogen« oder als »psychisch bedingt«. An den Notwendigkeiten und Möglichkeiten zur Vermeidung dieser »psychogenen Fehldiagnose« orientiert es sich inhaltlich: Dazu notwendiges Wissen soll praxisnah zusammengestellt werden, um die Sicherheit des Diagnostikers – vor allem dann, wenn er vorwiegend »sprechend« tätig ist – zu verbessern und ihm praktische Hilfe zu bieten. Doch keineswegs soll diese prononcierte Denk- und Fragerichtung die substanziellen Erkenntnisse der psychosomatischen Medizin relativieren oder gar grundsätzlich infrage stellen.

Eine kleine Auswahl von Beispielen mag vor Augen führen, dass die psychosomatische Medizin zu Recht ihren Platz in der Medizin einnimmt. Die Begriffe »Somatisierungsstörung« und »Somatoforme Störung« sind in den modernen diagnostischen Klassifikationssystemen verankert. Die psychosomatische Medizin hat für viele Erkrankungen Ursprünge oder Zuflüsse aus einer psychosozialen Belastung aufgezeigt und charakteristische Lebensbelastungen und Affektkonstellationen herausgearbeitet, die mit einem erhöhten Risiko für körperliche Krankheiten einhergehen. Selbst bei klar definierten körperlichen Krankheiten, wie z. B. dem Herzinfarkt, sind in der psychosomatischen Forschung viele psychische und soziale Faktoren beschrieben worden, die im Hintergrund der Erkrankung stehen, diese mitbedingen und sogar akut auslösen können, was sich mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen in der ICD-10 durch die Zusatzklassifikation F54 kennzeichnen lässt. Viele niedergelassene Ärzte nehmen die »psychosomatische Grundversorgung« ernst und in vielen Bereichen der »Körpermedizin« arbeiten Ärzte mit Psychologen und Sozialarbeitern eng zusammen.

1.2 Rahmenbedingungen

Und doch ist die praktische Gestaltung einer »integrierten Medizin«, die gleichberechtigt körperliche, psychische und soziale Aspekte berücksichtigt, noch immer eher ein Fern-, möglicherweise Idealziel fortschrittlicher, langjähriger und weiter anhaltender Bemühungen, deren Realisierung noch lange nicht erreicht ist.

Seit längerer Zeit scheint sich nach unseren Beobachtungen die institutionelle, professionelle und gedankliche Kluft zwischen einer technologischen, am unmittelbar Körperlichen orientierten Medizin einerseits und einer sprechenden, für das Seelische zuständigen Psychotherapie andererseits eher wieder zu verbreitern. Neue hoffnungsvolle praktische Reformansätze in Richtung auf eine psychosomatische Medizin, die körperliche und seelische Aspekte gleichwertig erfasst und gleichrangig integrierend behandelt, sind derzeit nach unseren Eindrücken eher »Fehlanzeige«. Sie wurden unter der fortlaufenden Ökonomisierung des Gesundheitswesens nicht weiter verfolgt und drohen jetzt wieder in Vergessenheit zu geraten. Weder die Fallpauschalen der Krankenhäuser noch die Vergütungssysteme im ambulanten Sektor bieten gesundheitsökonomisch hinreichende Anreize, im einzelnen Behandlungsfall »tiefer zu graben«, wirklich »psychosomatisch« zu denken und zu behandeln und dabei die erforderliche Ressource »Zeit für Gespräche und zuwendende Interaktion« nach Maßgabe der unmittelbaren Notwendigkeit einzusetzen. Ebenfalls werden gerade für den Bereich der Psychosomatik weder ein interdisziplinäres noch ein den ambulanten und stationären Sektor verbindendes Denken und Handeln durch gesundheitsökonomische Anreize gefördert. Um Missverständnissen vorzubeugen: Wir meinen hier nicht die Welt der psychosomatischen Kliniken, sondern diejenigen Kliniken, in denen körperlich Kranke behandelt werden und die sich durch ein »Fehlen der Seele« auszeichnen. Hier ist die Forderung von Adolf-Ernst Meyer, dass es an jeder großen Klinik eine psychosomatische Abteilung geben sollte, die in ihrer Größe mindestens der jeweiligen Anästhesie entspricht, noch lange nicht umgesetzt.

1.3 Holismus und Dualismus als Quellen diagnostischer Denkfehler in der Psychosomatik

Mit dem Begriff »psychogen« wird ein äußerst schwieriges philosophiegeschichtliches Terrain betreten, welches durch das Leib-Seele-Problem bestimmt ist. Hier prägen neben existenziellen Grundannahmen und religiösen Lehren zwei wichtige abendländische Denktraditionen bis heute unsere heutigen Denkgewohnheiten.

Die dualistische Konzeption des Leib-Seele-Problems geht auf Descartes (1596–1650) zurück. Res extensa (dazu gehört der Körper) und Res cogitans (dazu gehört die Seele) gehören verschiedenen Substanzwelten an, die lediglich an einem umschriebenen Ort miteinander (nach Descartes in der Zirbeldrüse) interagieren. Die Begriffe psychogen versus somatogen verweisen auf diesen Dualismus und einen fundamentalen Unterschied zwischen somatischem und psychischem Geschehen.

In einer holistischen Auffassung des Leib-Seele-Zusammenhangs, die sich auf Spinoza (1632–1677) bezieht, ist dagegen fast jede Erkrankung psychosomatisch begründet oder hat somatopsychische Folgen. Körper und Seele sind im beseelten Leib voneinander durchdrungen (Identitätstheorie des Leib-Seele-Problems), und es hängt eher vom Beobachter ab, was er wahrnimmt. Sowohl Dualismus als auch Holismus, als Denktraditionen im Diagnostiker unweigerlich lebendig, können in die Irre führen, wie folgende Beispiele veranschaulichen:

Fallbeispiele

Fall 1

Die »dualistische« Betrachtung eines schwer behandelbaren rezidivierenden Harnwegsinfekts einer Ende 40-jährigen, souverän wirkenden Geschäftsfrau sucht »auf der somatischen Schiene« nach immer neuen, schwer nachweisbaren Erregern oder setzt neue Antibiotika ein. Sie verfehlt jedoch in einer »Einengung auf das Somatische« die Erkenntnis, dass die Patientin angstvoll ahnt, dass sie von ihrem Ehemann und Geschäftspartner finanziell ausgenutzt wird und dieser »seinen Absprung vorbereitet«. Als die Patientin dann einmal etwas von Ängsten berichtet, wird eine »komorbide Angststörung« diagnostiziert, doch der Zusammenhang zwischen der Angst und dem Harnwegsinfekt wird nicht gesehen. Gefangen im »dualistischen Denkkorridor« könnte der behandelnde Arzt dann auch noch der Auffassung sein, es sei kein Wunder, wenn die Patientin angesichts des schwer behandelbaren und lästigen Harnwegsinfekts Angst entwickle. Ein spezifischer ätiopathogenetischer Zusammenhang wird aber nicht in Betracht gezogen oder für möglich gehalten, da Harnwegsinfektionen in der Regel erregerbedingt oder in anderen körperlichen Ursachen zu suchen sind. Die Patientin gesundet aber erst, als ihr der Zusammenhang mit ihrer Lebenssituation klar wird, sie den Harnwegsinfekt als »Ausdruck« ihrer latenten Verzweiflung an ihrer ehelichen Situation erkennt und zur Klärung ihrer Situation zielführende Schritte einleitet.

Fall 2