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Table of Contents

Titel

Impressum

WIDMUNG

Danke

Vorwort

Namen der vorkommenden Personen bzw. Handlungsträger:

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Nachwort

MEHR VON WILHELM EUGEN MAYR BEI DEBEHR

 

 

 

 

Wilhelm Eugen Mayr

 

 

 

 

 

Operation Kidal

IS-Kämpfer in Deutschland

 

 

 

 

 

THRILLER

 

 

 

Verlag DeBehr

 

Copyright by: Wilhelm Eugen Mayr

Herausgeber: Verlag DeBehr, Radeberg

Erstauflage: 2018

Umschlaggrafik: Stefan Gerding (Copyright by Stefan Gerding)

Portrait/Cover: Dragan Muharemi

Portrait-Foto/Backcover: Udo Meissner (Copyright by Udo Meissner)

ISBN: 9783957535245

 

WIDMUNG

 

Widmen

möchte ich diesen Roman in ganz besonderer Weise

den ehemaligen Mitgliedern der

Brinkumer KGS-Musical-AG,

die seinerzeit mit mir zusammen

die „Dream-Show-Tunisia“ in Kebili / Tunesien

in Zusammenarbeit mit tunesischen Jugendlichen,

Musikstudenten und Musikstudentinnen

der Musikhochschule Hannover

sowie mit Mitgliedern der „Haldern Strings“

(Ltg. und Einstudierung: Georg Michel)

auf die Bühne gebracht haben

und schon im ersten Roman

(„Verschleppt in der Sahara – In der Hand von Terroristen“)

für viele der handelnden

Personen und vorkommenden Situationen

„Pate“ gestanden haben.

 

Danken

 

möchte ich an dieser Stelle aber zugleich

meiner lieben Frau Hildegard,

die mir erneut während meiner Arbeit am Roman

geduldig den Rücken freigehalten hat.

 

Vorwort

     Der geneigte Leser möchte sicherlich verstehen können, warum plötzlich in einer kleinen Stadt am Rande von Bremen eine Autobombe detoniert, ein unbescholtenes, überaus sozial eingestelltes Arztehepaar ums Leben kommt, auf einen Lehrer geschossen und Jagd auf junge Studenten gemacht wird.

     Nachvollziehbar.

     Nur: Dafür müssen wir eine kleine Zeitreise rückwärts machen.

     Etwa zwei Jahre, bevor unsere Handlung einsetzt, war eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern zusammen mit einigen Studentinnen und Studenten der Musikhochschule Hannover und einer Streichergruppe aus Haldern mit einer Musicalproduktion unterwegs im Süden Tunesiens. Zusammen mit tunesischen Schülerinnen und Schülern brachten sie das Musical „Dream-Show-Tunisia“ auf die Bühne in Kebili.

     Bei einem Ausflug nach Ksar Ghilene am Rand der tunesischen Sahara wurden sie von einem Al-Qaida-Kommando auf der Rückfahrt gekidnappt und über verschiedene Stationen in Libyen, Algerien und Niger nach Mali verbracht. In einem Ausbildungscamp der IS- und Al-Qaida-Kämpfer nahe Kidal wurden sie gefangen gehalten. Der verantwortliche Kopf für die ganze Aktion, Sharif bin Laden, verhandelte mit der Bundesregierung in Berlin, die natürlich versuchte, auf Zeit zu spielen. Was die Terroristen nicht wussten: Eine GSG-9-Spezialeinheit war inzwischen in Mali gelandet und wartete auf den Einsatzbefehl, um die Jugendlichen zu befreien. Der Leiter ihrer Gruppe hatte nämlich heimlich Kontakt über das Satellitentelefon des Initiators der Entführung, Omar Ben Naamani el Caïd, aufgenommen und die GSG-9-Einheit informieren können, wo ungefähr sie gefangen gehalten wurden.

     Die Befreiung gelang tatsächlich. Ein Student verlor dabei sein Leben. Die meisten Terroristen wurden getötet. Die beiden Verantwortlichen, Sharif und Omar wurden gefangen genommen und den malischen Behörden überstellt.

     Soweit die inhaltlichen Voraussetzungen zu den in diesem Buch geschilderten Ereignissen, nachzulesen in: „VERSCHLEPPT IN DER SAHARA – In der Hand von Terroristen“ (erschienen im Verlag DEBEHR).

     Der Prozess gegen die beiden war – wie sich später herausstellte – eine Farce. Beide kamen aufgrund von Geldzahlungen durch den IS schon nach kurzer Zeit wieder auf freien Fuß. Weil Sharif sich durch den Leiter der deutschen Gruppe verraten fühlte und ihn und auch die übrigen Gruppenmitglieder, die von den heimlichen Telefonaten mit den GSG-9-Leuten wussten und darüber geschwiegen hatten, für den Tod seiner Mitkämpfer verantwortlich machte, schwor er blutige Rache. Er nahm sich vor, alle, die damals mit zu den Gefangenen gehört hatten, der Reihe nach in Deutschland zu töten.

     Und genau hier setzt unsere Handlung ein …

 

Namen der vorkommenden Personen bzw. Handlungsträger:

Penny Mora, Lehrer und Leiter der KGS-Musical-AG und des damaligen Austauschprojektes

Hanni Mora, seine Frau

Pepe Schuhmann, sein damaliger Lehrer-Kollege, der das Austauschprojekt damals mitbetreut hat und zum Leitungs-Team gehörte.

Dr. Freddy Arends, der damals mitreisende Arzt, zugleich ein Freund der drei

Angela Arends, damals mitreisende Krankenschwester, zugleich dessen Frau

Joachim Großmann, Student, damals meist als Dolmetscher tätig, wenn es galt Französisch zu sprechen oder zu verstehen.

Linn Stelte, Studentin, seine Freundin

Zur damaligen Gruppe gehörten u. a. auch:

Adi Lahaus, Informatikstudent, Freund von Chriss, der bei der Befreiungsaktion in Kidal ums Leben kam.

Christian Neurer, Musikstudent, damals Mitglied der Band

Jan, Medizinstudent und damals Techniker der Musicalgruppe, Freund von Gil

Gil, damals noch Schülerin, Mitglied der Musicalgruppe, inzwischen Studentin

Mareike, Mitbewohnerin von Gil und Jan, Studentin

Chriss, Freundin von Gil, damals Mitglied der Musicalgruppe, inzwischen Studentin

Ronnie, Steffi, Natalie, Johanna, Naomi, Laura, Betti, damals Mitschülerinnen, Mitglieder der Musicalgruppe, inzwischen Studentinnen

 

Ralf, Philipp, Sebi, Maik, damals Mitschüler, Mitglieder der Musicalgruppe, inzwischen Studenten

Zur ‚afrikanischen Fraktion‘ der Kämpfer gehörten u. a.:

Omar Ben Naamani el Caïd, damaliger Chef-Planer und Organisator der Entführergruppe

Sharif bin Laden, Hoher Al-Qaida-Funktionär, damals der verantwortliche „Kopf" der Entführungsaktion

Saïd Wahdet, Mittelsmann von Omar, ausgebildeter IS-Kämpfer, Freund von Azmi

Kalila Jabir, seine christliche Freundin aus Bamako (keine IS-Kämpferin)

Sahar Jabir, ihre Schwester und zugleich christliche Freundin von Azmi (keine IS-Kämpferin)

Azmi Najjar, Gefährte von Sharif, IS-Kämpfer, Freund von Saïd

Manni Fahruk, tunesischstämmiger Student, Gefolgsmann von Sharif

Fahik, algerischstämmiger junger Mann, der scheinbar als Flüchtling nach Deutschland gekommen ist, in Wirklichkeit aber zur Al-Qaida-Gruppe Sharifs gehört.

Raschid, syrischer IS-Kämpfer, der mit Sharif zusammenarbeitet.

Djamal, syrischer IS-Kämpfer, der an der Seite seines Freundes Raschid mit Sharif zusammenarbeitet.

Jussuf, libanesischer IS-Kämpfer, der mit Sharif zusammenarbeitet.

Kamal, marokkanischer Al-Qaida-Kämpfer, der mit Sharif zusammenarbeitet.

Tarek, IS-Kämpfer aus dem Irak, der mit Sharif zusammenarbeitet.

Kadir, IS-Kämpfer aus dem Irak, der mit Sharif zusammenarbeitet.

Barak, IS-Kämpfer aus Syrien, der mit Sharif zusammenarbeitet.

Aziz, IS-Kämpfer aus Libyen, der mit Sharif zusammenarbeitet.

Die ermittelnden deutschen Beamten:

Kriminalhauptkommissar Elsner, leitet die Ermittlungen gegen die IS-Kämpfer um Sharif.

Kriminalkommissarin Wachtel, leitet mit Elsner zusammen die Ermittlungen.

Denise Brüggemann, LKA-Beamtin, arbeitet eng mit Elsner zusammen.

Carola Martens, ihre Kollegin, gleichfalls LKA-Beamtin

Uwe Ravermann, junger LKA-Beamter und ‚Chauffeur‘ für die Fahrt nach Melk

Sonstige:

Pfarrer Schomann, katholischer Pfarrer der St.-Paulus-Gemeinde in Stuhr-Moordeich, Vertrauter von Penny Mora

Pfarrer Lachner, katholischer Pfarrer der St.-Marien-Kirche in Delmenhorst, sein Vorgesetzter und zugleich sein Freund

Pfarrer Arndt van der Heyden, katholischer Pfarrer in Hamburg

Pastor Alfred Hamann, evangelischer Pastor der St.-Lukas-Gemeinde in Bremen-Grolland, guter Bekannter der beiden katholischen Geistlichen, kooperiert mit ihnen im Rahmen der ökumenischen Zusammenarbeit.

Pater Legrand, Mitglied der Missionsgesellschaft der ‚Weißen Väter‘, Leiter der Pfarrei in Bamako, arbeitet in der Gemeinde mit Kalila und Sahar zusammen.

Bischof Santo Gangemi, Apostolischer Nuntius von Mali mit Sitz in Bamako

Bischof Nikola Eterovic, Apostolischer Nuntius von Deutschland mit Sitz in Berlin

Schwester Claire, Mitglied der Missionsgesellschaft der „Weißen Schwestern“ und zugleich Leiterin der Schule „Lycée Notre Dame du Niger“ in Bamako

Dr. Niermann, Leiter des Goethe-Instituts in Bamako

Theo(dor) Mittermeyer, Lehrer am Stiftsgymnasium in Melk/Österreich, Freund von Penny Mora

Abt Georg Wilfinger, Nachfolger von Altabt Burkhardt Ellegast, einem guten Bekannten von Penny Mora

Pater Bernhard, Benediktinerpater im Stift Melk, ein guter Bekannter von Penny Mora

Bruder Thaddäus, Ordensbruder im Stift Melk

Abt Johannes Jung, Abt der Benediktinerklosterabtei „Unserer Lieben Frau zu den Schotten“ in Wien und zugleich ein Freund von Abt Georg Wilfinger

 

Kapitel 1

Die Autobombe

 

     Eine weithin zu hörende Detonation riss die Bewohner des kleinen, beschaulichen Ortes am Rande von Bremen am späten Abend – soweit sie bereits im Bett lagen – aus dem Schlaf. Andere fuhren senkrecht aus dem Fernsehsessel hoch, wo sie sich noch auf das Nachtprogramm eingelassen hatten. Wenig später schon hörte man mehrere Martinshörner von Feuerwehren und Krankenwagen und etliche Polizeisirenen. Obwohl Penny mit seiner Familie in einem anderen Ortsteil wohnte, schreckte auch er hoch, denn die Fenster seines Hauses klirrten ein wenig und selbst die Türen in seinem Haus schienen sich zu bewegen, obwohl das eigentlich unlogisch war. Denn die Druckwelle der Explosion konnte kaum bis hierher reichen. Er unterbrach seine Klassenarbeitskorrekturen am Schreibtisch und wollte zu Hanni, seiner Frau, als diese im gleichen Moment sein Arbeitszimmer betrat.

     „Hast du das gehört?“, fragte sie ihn, ganz bleich im Gesicht.

     „Das war ja wohl kaum zu überhören“, antwortete er. „Das klang nach einer schweren Explosion. Wären wir im Irak oder in Syrien, würde ich auf eine Autobombe tippen.“

     „Mit so etwas spaßt man nicht.“ Hanni war auf ihren Mann zugetreten und lehnte sich an ihn an. Es sah so aus, als suche sie bei ihm Hilfe.

     Er umarmte sie, drückte ihr, wie zur Beruhigung, einen Kuss auf die Stirn und wollte eben mit ihr zusammen das Zimmer verlassen, als das Telefon klingelte. Er drehte sich um und nahm den Hörer ab. „Mora, guten Abend“, meldete er sich.

     „Das war erst der Anfang, Monsieur Mora. Wir werden euch alle, einen nach dem anderen töten. Gott ist mein Zeuge, dass das so geschehen wird. Allah hu Akbar – Gott ist groß.“

     Der Hörer wurde aufgelegt.

     Penny starrte völlig entgeistert in den Hörer. Seine Frau sah ihn ängstlich an. „Was ist? Wer war das? Du siehst ja so aus, als habe ein Geist zu dir gesprochen.“

     Er schaute sie an. Erschrocken versuchte sie, in seinem Gesicht zu lesen, denn sie kannte diesen Blick, der auf etwas ganz Entsetzliches hindeutete.

     Heiser lallte er mehr, als er sprach: „Er ist hier, er will uns alle umbringen.“

     Sie verfärbte sich. „Wer?“ Mehr brachte sie nicht hervor.

     Er antwortete nicht sofort, sondern vielmehr war er bemüht, seine Fassung zurückzugewinnen. „Sharif“, presste er schließlich zwischen seinen Lippen hervor.

     Sie ließ sich in seinen Schreibtischsessel fallen. „Meinst du, meinst du, die Explosion …“ Sie brach wieder ab.

     Er nickte. „Die Explosion kam aus der Richtung von Brinkum …“ Beinahe automatisch ergriff er sein Handy und wählte eine gespeicherte Festnetz-Nummer – die Leitung war tot. Er nickte unmerklich und wählte erneut, dieses Mal eine Mobil-Telefon-Nummer. Er lauschte einen Moment und vernahm dann eine fremde Stimme: „Ja, hallo, Kriminalhauptkommissar Elsner hier. Mit wem spreche ich?“

     „Mora, Penny Mora. Ich hätte gern Herrn Dr. Freddy Arends gesprochen.“

     Eine kleine Weile blieb es still am anderen Ende. „Das ist leider im Moment nicht möglich, Herr Mora.“

     „Dann bitte Frau Angela Arends.“

     „Auch das ist im Moment leider nicht möglich“, erklang wieder die Stimme des Hauptkommissars.

     Es entstand eine kleine Pause.

     „Sagen Sie“, nahm Penny wieder das Gespräch auf, „steht die Explosion, die man hier gehört hat, in Zusammenhang damit, ich meine, dass beide nicht zu sprechen sind?“

     Der Kriminalhauptkommissar am anderen Ende schien sich zu räuspern. „Wie kommen Sie darauf, wenn ich fragen darf?“

     „Nun, ich habe unmittelbar nach der Explosion einen merkwürdigen Anruf erhalten, der diesen Verdacht nahelegt“, erwiderte Penny.

     „Würde es ihnen viel ausmachen, sich hierher zu begeben? Fragen Sie direkt nach mir. Ich gebe Order, Sie durchzulassen. Wir treffen uns – sagen wir: in 10 Minuten – vor dem Haus von Herrn Dr. Arends, oder“, fügte er leiser hinzu, „vor dem, was noch davon übrig ist.“ Er wartete die Antwort gar nicht erst ab, sondern legte direkt auf.

     Penny war entsetzt: „… vor dem Haus von Herrn Dr. Arends, oder vor dem, was noch davon übrig ist …“ – was hatte das zu bedeuten? Hektisch erklärte er Hanni, dass er befürchte, die Detonation, die sie beide gehört hatten, würde zusammenhängen mit einer Explosion, die es offenbar in der Gegend ihrer Freunde in Brinkum gegeben habe. Den Wortlaut dessen, was ihm der Hauptkommissar gesagt hatte, verschwieg er wohlweißlich. Er sagte nur, dass er dort dringend erwartet werde, wohl wegen irgendeiner Auskunft, Freddy und Angela betreffend.

     Sofort erbot sie sich, ihn zu begleiten, und wenige Minuten später waren sie bereits auf dem Wege nach Brinkum, wo sie schon von Weitem eine große Rauchwolke über einem Feuerschein sehen konnten.

     „Das ist das Viertel, in dem Freddy und Angela wohnen“, stellte Hanni beunruhigt fest.

     Penny nickte nur und versuchte, den Wagen noch mehr zu beschleunigen. Tatsächlich hielten sie nur knapp 10 Minuten später ganz in der Nähe des Hauses, in dem ihre Freunde wohnten. Polizei hatte das Viertel weiträumig abgesperrt. Als Penny seinen Ausweis zeigte und sich dabei auf Herrn Hauptkommissar Elsner berief, ließ man ihn ohne Weiteres mit seiner Frau passieren. Sie eilten in die Richtung des Feuerscheins und hielten schließlich erschrocken vor den Trümmern eines Hauses an, in dem eigentlich ihre Freunde bislang gewohnt hatten und in dessen unterer Etage die Praxisräume untergebracht waren. Stumm verfolgten sie die Arbeit der Feuerwehrleute, die verzweifelt versuchten, das Übergreifen der Flammen auf das Nachbarhaus zu verhindern.

     „Herr und Frau Mora, vermute ich“, hörte Penny eine Stimme seitlich hinter sich. Er drehte sich um und sah in das Gesicht eines sympathischen, vielleicht gut vierzigjährigen Mannes, der ihm die Hand zur Begrüßung entgegenstreckte. „Elsner“, stellte er sich kurz und bündig vor. „Wir hatten eben am Telefon schon das Vergnügen.“

     Penny und seine Frau ergriffen seine Hand und begrüßten ihn etwas zurückhaltend.

     „Sie scheinen ahnungslos zu sein?“, ergriff der Hauptkommissar die Gesprächsinitiative. „Nun, so viel steht bereits fest: Es wurde hier von fern – vermutlich mit einem Handy – eine Autobombe gezündet, und zwar direkt vor dem Eingangsbereich. Wie Sie sehen, ist das Haus praktisch zusammengestürzt. Ob es Überlebende gibt, ist im Moment noch unklar. Das Handy, auf dem Sie mich erreicht haben, ist irgendwie auf die Straße geschleudert worden – es gehörte vermutlich dem Hausbesitzer. Erstaunlicherweise hat es weiter keinen Schaden genommen und ist weiterhin funktionstüchtig. Aber zu Ihnen: Sie erwähnten, sie hätten einen ominösen Anruf erhalten, in dem Sie eine Verbindung zu dieser Explosion vermuten würden.“

     Penny schluckte und versuchte, sich ein wenig in den Griff zu bekommen. „Ja, das ist richtig“, erwiderte er. „Kurz nachdem wir durch die Detonation, die ja weithin zu hören gewesen war, hochgeschreckt waren, rief jemand mit ganz leichtem ausländischen, ich vermute: arabischem, Akzent an und sagte wörtlich: ‚Das war erst der Anfang, Monsieur Mora. Wir werden euch alle, einen nach dem anderen, töten. Gott ist mein Zeuge, dass das so geschehen wird. Allah hu Akbar – Gott ist groß.‘ Das klang für mich nach Vergeltung, nach Rache …“

     „Haben Sie die Stimme erkannt“, wollte der Kriminalhauptkommissar wissen.

     Penny zögerte einen Moment, wiegte den Kopf hin und her und sagte schließlich: „Die Stimme kam mir sofort bekannt vor. Sie erinnerte mich an jemanden, den ich zuletzt in Mali gesehen habe. Ja, wenn ich etwas länger darüber nachdenke, bin ich mir sogar ziemlich sicher. Die Stimme klang wie die von Sharif bin Laden, einem hohen Funktionär der Al-Qaida-Gruppe des Maghreb, dessen Gefangene wir gewesen sind.“

     Der Kriminalhauptkommissar sah Penny überrascht an. „Vor gut 10 Minuten ging beim WESER KURIER ein Bekennerschreiben von einem Handy ein, das direkt an mich weitergeleitet wurde.“ Er holte sein Handy heraus, suchte kurz im Display und zitierte dann:

„Wir, die Kämpfer der Al Qaida des Maghreb, rächen uns für den Mord an unseren Brüdern in Kidal vor knapp zwei Jahren durch den Angriff der deutschen GSG 9. Wir sind damals von jemandem aus der deutschen Gruppe verraten worden, obwohl diese zu unseren Gästen zählten. Da wir vermuten, dass alle aus der Gruppe darüber informiert waren und uns nicht gewarnt haben, werden wir einen nach dem anderen liquidieren. Und wir werden alle finden. Der Arzt und seine Frau waren erst der Anfang.

gez. Sharif bin Laden, Kommandeur der Al Qaida des Maghreb“

     Hanni hatte sich an dem Arm ihres Mannes festgekrallt. „Die wollen uns liquidieren“, sagte sie, wachsbleich im Gesicht.

     Penny räusperte sich. Es klang leicht gekünstelt. „Sie wissen um die Hintergründe?“, fragte er den Hauptkommissar.

     „Nur wenig“, erwiderte dieser. „Ich war damals noch in Hannover bei der Kripo, wo ich den Vorgang der Entführung, auf die Sie ja wohl anspielen, nur am Rande verfolgt habe. Seit gut einer Woche bin ich für einen langzeiterkrankten Kollegen in diese Region hierher versetzt worden, wo ich noch einige Wochen zu tun haben werde. Sie haben damals, wenn ich mich recht erinnere, heimlich Kontakt zu einer GSG-9-Einheit aufgenommen, die ihnen nachgeflogen war. Bei der Befreiungsaktion wurde aber einer aus Ihrer Gruppe erschossen und zwei Weitere wurden schwer verletzt. Gleichzeitig aber gab es wohl auch eine ganze Reihe von Toten unter den Al-Qaida-Leuten. Soweit mein Wissensstand.“

     „Damit haben Sie das Wesentliche bereits richtig zusammengefasst. Bei der Festnahme schwor damals der Chef der Gruppe, eben jener Sharif bin Laden, grausame Rache. Ich habe das seinerzeit nicht so ernst genommen, weil ich davon ausgegangen war, dass er erst einmal für einige Jahre aus dem Verkehr gezogen werden würde. Offenbar aber habe ich die Behörden in Mali falsch eingeschätzt – sonst könnte er ja jetzt wohl kaum hier in Deutschland sein, um seinen angedrohten Rachefeldzug zu starten.“

     Der Kriminalhauptkommissar dachte einen Moment nach. „Sicherlich verfügen Sie noch über die Liste mit den Adressen derjenigen, die damals zu der Gruppe gehört haben, die entführt worden war. Vielleicht haben sie diese sogar noch auf dem Rechner. Seien Sie doch bitte so nett und schicken Sie mir diese so schnell wie möglich zu, damit wir ein Schutzprogramm für die beteiligten Personen entwerfen können.“ Er griff in die Innentasche seiner Jacke. „Hier haben Sie meine Karte.“

     Im gleichen Moment trat ein Mann in einem Schutzanzug auf ihn zu. „Es gibt in dem Haus zwei verkohlte Leichen, vermutlich das Arztehepaar, das hier gewohnt hat.“

     Hanni wurde von Weinkrämpfen geschüttelt, und auch Penny kämpfte mühsam mit den Tränen.

 

Kapitel 2

Sharif bin Laden

 

     Das Telefon schrillte, als Penny und Hanni ihre Wohnung wenig später wieder betraten. Penny nahm ab und meldete sich mit seinem Namen.

     „Na, hast du deinen Schock überwunden?“

     Penny bemühte sich, gefasst zu wirken. „Was soll das?“, fragte er in den Hörer. „Der Doc hat nicht nur uns unterwegs medizinisch versorgt, sondern auch Einzelne von euern Kämpfern. Warum also er und seine Frau, die als Krankenschwester gleichfalls für euch da gewesen ist?“

     „Ganz einfach: Hätten wir einen der jungen Leute zuerst liquidiert, hätte das vielleicht etwas Aufsehen erregt. Durch die Autobombe vor dem Haus des Arztehepaars aber werden wir uns auf Anhieb in der Öffentlichkeit wesentlich mehr Gehör verschaffen. Im Übrigen kannst du selbst vorerst noch beruhigt sein: Dich lasse ich noch eine Weile zappeln. Aber ganz sicher sollst du dich nie vor mir fühlen. Schau mal auf deinen kleinen Lautsprecher auf der linken Seite der Terrasse.“

     Ahnungslos sah Penny zur Terrasse. Im gleichen Moment hörte er ein dumpfes Geräusch und sah einen Teil des Lautsprechers auf der linken Seite neben der Terrassentür herunterfallen.

     „Du siehst: Ich werde immer in deiner Nähe sein. Das soll die erste Lektion sein, die du heute lernen sollst. Ich melde mich wieder.“

     Penny eilte auf die Terrasse und versuchte mit seinen Augen die Dunkelheit zu durchdringen. Tatsächlich sah er schemenhaft eine dunkle Gestalt von dem überhängenden Ast eines Obstbaumes im Garten des Nachbarn herabspringen und im Dunkeln davoneilen.

     Penny sprintete in den Flur und griff hastig und aufgeregt zugleich in seine Manteltasche, um nach der Visitenkarte des Hauptkommissars zu angeln. Er suchte nach der Mobil-Nummer und tippte diese in sein eigenes Mobiltelefon ein. Das Freizeichen erklang.

     „Elsner“, hörte er, „wer spricht?“

     „Penny Mora. Entschuldigen Sie bitte die Störung. Aber er war gerade auf dem Nachbargrundstück und hat auf unser Haus geschossen.“

     „Wer?“

     „Sharif.“ Hastig berichtete Penny von dem Telefonat, dem Schuss auf die kleine Lautsprecherbox und den Schatten, den er hatte davoneilen sehen.

     „Donnerwetter, das hätte ich jetzt nicht gedacht. Ich schicke direkt die SpuSi zu Ihnen und komme selbst gleich mit. Ihre Adresse habe ich ja.“ Er legte auf.

     Tatsächlich dauerte es keine 20 Minuten, da hielten zwei Fahrzeuge vor der Tür. Zwei Männer hatten sich weiße Schutzanzüge übergestreift und betraten hinter Herrn Elsner das Haus, in dem sie bereits von Penny und seiner aufgeregten Frau erwartet wurden. Akribisch untersuchten sie die Terrasse, nahmen die zerschossene Lautsprecherbox in Augenschein und verstauten sie und die herumliegenden abgesplitterten kleinen Trümmer schließlich in einer größeren Plastiktüte. Danach stiegen sie im hinteren Teil des Gartens über den Zaun zum Nachbargrundstück – die Erlaubnis dazu hatte zuvor Herr Elsner persönlich eingeholt – und suchten auch dort nach brauchbaren Spuren wie Fußabdrücken am Boden, etwaigen Patronenhülsen und möglichen Abdrücken und Spuren an dem besagten Obstbaum. Sie hielten vieles fotografisch fest, gossen zwei Fußabdrücke, einen linken und einen rechten, im weichen Blumenbeet unter dem Obstbaum mit Gips aus und verstauten auch diese Abdrücke in ihrer mitgebrachten, großen Ledertasche und verabschiedeten sich dann. Der Hauptkommissar dagegen kam noch kurz mit ins Haus und nahm im Wohnzimmer Platz, wo Hanni ihm und ihrem Mann noch einen Tee servierte.

     „Sie werden sich denken können, dass mit einem so raschen Folgeanschlag niemand rechnen konnte. Das zeigt mir aber, dass im Moment wohl doch jeder aus ihrer Gruppe gefährdet ist. Vielleicht könnten Sie so nett sein und mir die Liste heraussuchen. Dann könnten wir gemeinsam anhand der Liste überlegen, wem am ehesten Gefahr drohen könnte und wer deshalb ab sofort auf Polizeischutz angewiesen ist.“

     Penny nickte und begab sich in sein Arbeitszimmer, wo er rasch auf einer externen Festplatte fündig wurde. Er druckte die Liste, die auch alle Adressen enthielt, gleich zweimal aus, sodass beide, er und der Kriminalhauptkommissar, parallel die Namen durchgehen konnten. Während er einen Schluck des heißen Tees zu sich nahm, den seine Frau bereitgestellt hatte, erklärte er das Prinzip, nach dem die Namen geordnet waren: Schülerinnen und Schüler jeweils alphabetisch und hier nach dem Alter ‚sortiert‘, Studentinnen und Studenten gleichfalls nach Geschlecht und Alter aufgeführt, wobei hier auch noch in Klammern die jeweilige Funktion, in der sie mitgereist waren, angeführt worden war, etwa tp für das Instrument, das sie spielten – hier also zum Beispiel Trompete –, Betreuung, wenn sie zum Leitungsteam gehörten, Dolmetscher/in, wenn sie für die Gruppe oder die Betreuer/innen aufgrund ihrer guten Französisch- und/oder Englisch-Sprachkenntnisse als Übersetzer/in fungiert oder aber als Ton- oder Lichttechniker, wenn sie in dieser Eigenschaft zum Team gehört hatten. Als Nächstes wurden mit dem Kugelschreiber von beiden die damaligen Verbindungen untereinander, die zum Teil ja sogar heute noch bestanden, eingezeichnet. So hatte man schnell einen Überblick über alle, die damals zur entführten Gruppe gehört hatten, und konnte nun damit beginnen, so eine Art Gefährdungskurve zu erstellen. Leider mussten hinter drei Namen Kreuze eingezeichnet werden, da diese drei nicht mehr lebten: Adi, der damalige Freund von Chriss, der von den Entführern erschossen worden war, und nun auch hinter Freddys und Angelas Namen, die bei der abendlichen Autobomben-Explosion ums Leben gekommen waren.

     Penny erhielt den Auftrag, sich am kommenden Tag unverzüglich sowohl mit seinem Freund und Kollegen Pepe sowie mit allen Studenten in Verbindung zu setzen und sie zu warnen. Elsner versprach seinerseits, sich für entsprechenden Polizeischutz starkzumachen, um hier die Gefahr prophylaktisch zu minimieren.

 

Kapitel 3

Al Qaida

 

     „Hallo, Penny, was verschafft mir die Ehre? Und woher weißt du, dass ich gerade eine Freistunde habe?“

     „Hallo, Pepe, eure Sekretärin war so nett … Es gab gestern am späten Abend ein Attentat …“

     „Du – das gibt es fast jeden Tag – deshalb rufst du mich doch nicht in meiner Freistunde an, oder?“, fragte Pepe. Offenbar war er wohl eher zu Small Talk aufgelegt.

     „Das Attentat war nicht irgendwo, es war in Brinkum, und zwar in Form einer Autobombe.“

     „Na, haben sie endlich unsere alte Schule plattgemacht?“, fragte Pepe, immer noch eher frotzelig und zum Scherzen aufgelegt.

     „Nein, die Schule steht noch, Akzent auf ‚noch‘. Aber die Wohnung und auch die Praxis von Freddy und Angela sind in Schutt und Asche gelegt worden. Beide sind tot.“

     Es herrschte absolute Stille am anderen Ende der Leitung.

     „Hallo – bist du noch da, Pepe?“

     „Das ist jetzt aber kein Fake, oder? Du meinst es ernst?!“

     „Leider. Vor ihrem Haus ist eine Autobombe gezündet worden. Und zwar – jetzt halt dich fest: von oder im Auftrag von Sharif bin Laden.“

     „Du spinnst doch wohl! Der sitzt in Mali im Gefängnis!“

     „Eben nicht! Er hat mich kurz nach der Explosion angerufen und später noch auf unser Haus geschossen.“

     Nach einer längeren Pause sagte Pepe: „Du, ich versuche, eine Vertretung zu organisieren und mir für den Rest freigeben zu lassen. Ich denke, wenn ich mit dem Schulleiter spreche, müsste das machbar sein. Ich fahre dann direkt zu dir. Dann erzählst du mir noch einmal genau, was passiert ist und wir überlegen, was wir tun können.“

     Auch Penny hatte sich freigeben lassen, was unter der Berücksichtigung der besonderen Umstände nicht weiter schwer gewesen war. Schon eine Stunde später saßen die beiden Freunde und ehemaligen Kollegen zusammen und gingen die gemeinsamen Ereignisse vom vorherigen Abend durch.

     „Krass“, war Pepes zusammenfassender Kommentar. „Wenn Sharif dich noch schonen und zunächst erst die Erwachsenen ausschalten will, bin ich vermutlich wohl der Nächste. Oder wie siehst du das?“

     „Das sehe ich leider genauso.“

     „Aber wie absurd ist das denn?!“

     „Es nutzt ja nichts, dass wir jetzt darüber lamentieren, wie absurd das Ganze ist. Wir müssen einfach versuchen, Sharif einen Schritt voraus zu sein.“

     „Und wie, bitteschön?“, fragte Pepe aufgebracht.

     Penny überlegte. „Wir müssten mithilfe der Polizei versuchen, Sharif in eine Falle zu locken.“

     „Tolle Idee! Du glaubst doch nicht im Ernst, dass dieser Typ, der mit allen Wassern gewaschen und besessen ist von dem Gedanken, Rache zu üben, und das auch noch im Namen Allahs, dass der sich von uns eigentlich recht arglosen Leuten in eine Falle locken lässt?!“

     „Ich sage ja auch nicht, dass das der Anfang sein soll. Zuerst einmal müssen wir die Ältesten aus der Gruppe warnen, damit sie wachsam sind. Sie sind ja bislang ahnungslos.“

     Pepe überlegte nicht lange. „Dann lass uns doch eine alte Teilnehmerliste suchen, auf der die Namen aller aufgeführt sind, die zusammen mit uns in Tunesien gewesen sind bzw. die zu den Entführten gehört haben.“

     Penny zog zwei zusammengefaltete Blätter aus seiner mitgebrachten Tasche. „Hier, ich musste für den ermittelnden Kommissar Elsner bereits die Liste ausdrucken und habe das gleich noch zweimal für uns gemacht. So können wir meinetwegen direkt loslegen und jeweils abhaken, wen wir erreicht haben.“

     „Ich meine, wir sollten sicherheitshalber nicht nur die Ältesten aus der Gruppe anrufen, sondern doch wohl besser gleich alle warnen. Für alle Fälle. Man weiß ja nie …“

     Sie holten ihre Handys heraus und begannen nun direkt, die Namen auf der Liste systematisch der Reihe nach abzutelefonieren. Wen sie erreicht hatten, hinter dem machten sie ein Häkchen. Fünfzehn hatten sie bereits erreicht und kurz über die möglichen Gefahren in Kenntnis gesetzt, da klingelte das Handy von Penny. Er meldete sich kurz mit „Ja?“

     Die aufgeregte Stimme von Christian Neurer ließ ihn hochfahren: „Du, Penny, du wirst es nicht glauben – aber ich bin eben beinahe gestorben. Ein Motorradfahrer hat auf mich geschossen. Nur weil mir mein Handy aus der Hand gerutscht und auf den Bürgersteig gefallen war und ich mich gebückt habe, um es aufzuheben, bin ich nicht getroffen worden.“

     Penny brüllte in den Hörer: „Wo bist du jetzt?“

     „Ich bin noch in Hannover, ganz in der Nähe der Musikhochschule. Kannst du dir da einen Reim drauf machen? Ich meine, was hat das zu bedeuten? Das hängt doch nicht etwa mit unserer Entführung und irgendeiner Racheaktion für unsere Befreiung zusammen, oder?“

     Penny schluckte und erwiderte dann: „Leider doch. Sharif ist in Deutschland, und zwar momentan anscheinend hier oder bei dir in Hannover. Er hat gestern Abend eine Autobombe direkt vor dem Haus von Freddy und Angela platziert und gezündet – beide sind tot. Und wenig später hat er auf mich bzw. unsere Terrasse geschossen und mir telefonisch mitgeteilt, dass er einen nach dem anderen aus der Gruppe liquidieren werde, weil einige seiner Leute bei der Befreiungsaktion durch die GSG 9 in Mali erschossen worden seien, und das nur, weil wir letztlich ihn und seine Leute verraten hätten und somit ganz allein die Schuld an ihrem Tod trügen.“

     „Du machst jetzt aber keine Witze, Penny, oder?“

     „Nein, ganz und gar nicht. Pepe ist hier, und wir telefonieren gerade gemeinsam die damaligen Gruppenmitglieder der Reihe nach ab, so wie sie einzeln auf der Liste aufgeführt sind. Du wärest jetzt einer der Nächsten gewesen.“

     „Was soll ich denn jetzt machen?“, fragte Christian, und blanke Angst klang dabei aus seiner Stimme.

     Penny überlegte kurz. „Pass auf, du begibst dich jetzt sofort zu einer Polizeidienststelle in Hannover, schilderst dort das Attentat auf dich, erstattest eine Anzeige gegen unbekannt – anders geht das ja im Moment nicht – und gibst aber zugleich weiter, was du von mir gehört hast. So kann Sharif auch in Hannover zur Fahndung ausgeschrieben werden. Dann bittest du, dass man dich mit dem Mordkommissariat verbindet. Dort erzählst du noch einmal das Gleiche und bittest die zuständigen Leute darum, sich mit Hauptkommissar Elsner hier bei uns in Verbindung zu setzen, um das weitere Vorgehen zu koordinieren.“ Er gab Christian dessen Telefonnummer. „Ich werde ihn aber parallel auch schon informieren. Was du jetzt brauchst, ist Personenschutz, denn anscheinend stehst du ja ganz oben auf Sharifs Liquidierungsliste.“

     „Und du meinst, das bringt was?“, fragte Christian zurück. In seiner Stimme schwangen Ratlosigkeit, aber auch Angst mit.

     „Zumindest ist es das Einzige, was mir im Moment dazu einfällt. Du solltest versuchen, eine kugelsichere Weste von der Polizei zu bekommen und diese dann ab sofort tragen, sowie du aus dem Hause gehst. Die Observierung deiner Person wird dann hoffentlich rund um die Uhr von der Polizei übernommen werden. Wer außer dir wohnt denn noch z. Zt. in Hannover oder in der näheren Umgebung?“

     Christian überlegte kurz. „Joachim und Linn, die zusammengezogen sind, Gil, die nach dem Abitur gleichfalls in Hannover angefangen hat zu studieren und im gleichen Haus, nur eine Etage tiefer in einer WG, zusammen mit ihrem Freund Jan wohnt. Sonst wüsste ich niemanden.“

     „Das heißt, außer dir wohnen im Moment noch vier aus der Gruppe in Hannover. Kannst du versuchen, sie auch von dir aus zu informieren und vielleicht auch gleich für sie Personenschutz zu beantragen? Auf diese Weise könnten wir das Ganze etwas beschleunigen, denke ich.“

     „Meinst du denn, ich kann es riskieren, nach draußen zu gehen? Ich bin hier in einen Hausflur geflüchtet …“ Penny hörte durch das Telefon Schritte und dann eine leicht quietschende Tür. „Ich sehe gerade: Das Haus hat einen Hintereingang, der in einen Garten führt. Ich versuche, von dort aus auf eine andere Straße zu kommen und melde mich dann später wieder.“

     Penny und Pepe setzten ihre Arbeit fort und hatten nach etwas mehr als einer halben Stunde tatsächlich fast alle aus der Gruppe erreicht. Nur Chriss und Natalie waren nicht an ihr Handy gegangen – wahrscheinlich saßen sie aber in einer Vorlesung und hatten ihr Handy ausgeschaltet.

     Eben wollten sie sich bei Kriminalhauptkommissar Elsner melden und diesen von dem bisherigen Ergebnis in Kenntnis setzen, da schellte es an der Wohnungstür. Penny ging zur Tür und öffnete diese vorsichtig einen kleinen Spalt weit. Er erkannte den Hauptkommissar, der nicht allein war, sondern eine Kollegin an seiner Seite hatte.

     „Dürfen wir kurz …“, fragte Elsner und war schon, ohne die Antwort abzuwarten, zusammen mit seiner Kollegin eingetreten. Er gab Penny die Hand und stellte dann seine Kollegin vor: Frau Kriminalkommissarin Wachtel, meine Kollegin, die mir als Unterstützung vom LKA zur Seite gestellt worden ist. Sie hat in einem anderen Fall bereits mit Ermittlungen gegen Terrorverdächtige zu tun gehabt und bringt von daher ein gewisses ‚Know-how‘ mit, das uns ganz sicher weiterhelfen kann.“

     Sie gab Penny freundlich-ernst die Hand und sagte: „Wir versuchen, so schnell wie möglich ein Täterprofil zu erstellen, um dann etwas gezielter gegen diese Terroristen vorgehen zu können. Denn im Moment gehen wir schon davon aus, dass Herr Sharif bin Laden nicht allein hier operiert.“

     Penny bat die beiden in sein Wohnzimmer und stellte ihnen Pepe vor. Sie nahmen Platz, während Hanni Tee aufgoss, Tassen deckte und dann den Tee, nachdem er einige Minuten gezogen hatte, einschenkte.

     „Es spricht tatsächlich einiges dafür, dass Sharif mit mehreren Gefolgsleuten zusammenarbeitet. Denn eben meldete sich Christian, ein Musik-Student aus Hannover, der gleichfalls mit zur Gruppe gehörte, telefonisch bei mir: Auf ihn ist geschossen worden. Nur dem glücklichen Umstand, dass sein Handy ihm in dem Augenblick, als auf ihn geschossen wurde, aus der Hand rutschte und er sich bückte, um es aufzuheben, verdankte er es offenbar, dass die Kugeln ihn verfehlten.“

     „Wer hat auf ihn geschossen? Ich meine: Konnte er jemanden erkennen?“, hakte Frau Wachtel nach.

     „Ich weiß nur so viel, dass es sich um einen Motorradfahrer gehandelt hat, der dann vermutlich schnell davongebraust ist. Also: Eher nicht – um Ihre Frage zu beantworten.“ Penny nahm einen Schluck von dem heißen Tee und schilderte noch kurz, was er mit Christian besprochen hatte und wie er mit ihm verblieben war.

     „Das war klug von Ihnen. So werden die Kollegen Ihren Christian sicherlich schützen können, wenn er selbst zudem noch die Augen aufhält, da er ja gewarnt ist. Lassen Sie mich kurz mit meinen Kollegen in Hannover telefonieren – so wird das Ganze etwas forciert und Ihrem Christian ist dann schon mal der Weg geebnet.“ Elsner griff zu seinem Mobil-Telefon um seine Kollegen in Hannover zu instruieren. Auch seine Kollegin gab über ihr Mobil-Telefon einen kurzen Bericht weiter an ihre dienstvorgesetzte Behörde.

 

Kapitel 4

Neue Attentatsversuche der Al-Qaida-Kämpfer

 

     „Wie konnte das passieren?!“, schäumte Sharif in sein Telefon. „Die Aktion war doch akribisch vorbereitet! Wieso bist du nicht zurückgekehrt und hast in der Nähe auf ihn gewartet?!“

     „Das habe ich doch, Sharif“, verteidigte sich der Motorradfahrer, der auf Christian geschossen hatte. Ich habe sofort gestoppt, um noch einmal zu schießen. Aber es war zu spät – der Typ ist in einem Hauseingang verschwunden.“

     „Und …?“, wollte Sharif wissen.

     „Nichts – und. Er blieb verschwunden. Ich habe meine Maschine in der Nähe abgestellt und bin dann sofort zu dem Haus gelaufen. Die Haustür stand noch offen und ich trat vorsichtig ein. Der lange Flur war leer. Ich folgte dem Gang und gelangte in einen Garten. Hinter diesem sah ich eine Straße. Der Typ muss über den Zaun gestiegen und über diese Straße geflohen sein. Jedenfalls war nichts mehr von ihm zu sehen.“

     „Bist du nicht mehr um den Häuserblock herumgefahren?“ Sharif konnte sich noch immer nicht beruhigen.

     „Natürlich, Bruder. Ich habe alle Straßen in dem Viertel abgefahren – der Typ blieb verschwunden.“

     „Ich möchte, dass jede unserer Aktionen gelingt, sonst verlieren wir unsere Glaubwürdigkeit und unsere Gegner fürchten sich nicht mehr vor uns.“

     „Was soll ich denn jetzt machen?“

     „Du fährst in unser Quartier und wartest auf weitere Befehle.“

     Sharif dachte nach. Das hätte so schön werden können: Zuerst die erfolgreich gezündete Autobombe in Brinkum bei Bremen, dann die Warnschüsse auf den damaligen Leiter der Gruppe, dann die tödlichen Schüsse auf diesen Christian in Hannover, die geplante Entführung in Bremen am Mittag und die Autobombe bei dem Busunternehmen in Hamburg, das die Gruppe seinerzeit nach Tunesien gebracht hatte, gegen Abend. Gut, Hannover war misslungen, aber der Rest musste nun unbedingt gelingen.

     Er stieg in seinen Wagen und steuerte aus einem Vorort von Bremen direkt in die Innenstadt und folgte von dort aus seinem Navi, das ihn zur Uni lotste. In der Nähe auf dem Weg zur Mensa stoppte er seinen Wagen und überzeugte sich, dass der zweite junge Mann aus seinem Team nicht weit von ihm auf dem Gehweg wartete und unauffällig mit seinem Handy hantierte. Er selbst hatte sich im Gesicht ein wenig verändert. Der Bart war seinem Rasiermesser zum Opfer gefallen, seine Haare hatte er blond gefärbt und seine Kleidung war eher jugendlich unauffällig – so konnte er glatt für einen jungen Dozenten oder auch Assistenten eines Professors gehalten werden.

     Die Entführung war von langer Hand vorbereitet worden. Er hatte einen jungen Mann aus seinem Team, einen deutschen Moslem mit tunesischen Wurzeln, als Studenten eingeschleust, dem es nicht nur gelungen war, den Vorlesungs- und Seminarplan von Chriss und Natalie auszuspionieren, sondern sogar in eine der Seminararbeitsgruppen, in der Chriss und Natalie waren, zu gelangen. So war dieser junge Mann, der sich unauffällig ‚Manni‘ nannte, stets wie ein unauffälliger Schatten an der Seite von Chriss. Heute sollte er nun nach der Vorlesung Chriss nach draußen begleiten in Richtung Mensa, wo das Auto von Sharif neben dem Bürgersteig bereitstehen, ein weiterer junger Mann dann dazu stoßen sollte und gemeinsam wollten sie dann Chriss kidnappen und mit ihr in die Nähe von Bremerhaven fahren, wo ein Versteck vorbereitet war.

     Die Vorlesung war zu Ende. Chriss und Natalie packten ihre Unterlagen ein und verstauten sie in ihren Umhängetaschen. Eben wollten sie den Hörsaal verlassen, da trat Manni auf sie zu. „Sagt mal, habt ihr die letzte Viertelstunde der Vorlesung mitgeschrieben? Ich hatte einen dringenden Whats-App-Austausch mit meiner Freundin: Ihre Mutter hatte einen schweren Autounfall und sie bat mich um Hilfe. Ich soll nachher zu ihr fahren. Deshalb habe ich von der letzten Viertelstunde nicht mehr viel mitbekommen …“ Er sah sie abwechselnd lauernd an.

     Chriss und Natalie wechselten einen Blick. Irgendetwas störte sie an der Art dieses Mitstudenten. Dennoch sagte Chriss freundlich: „Okay, wir wollen jetzt in die Mensa. Wenn du uns begleiten magst, könntest du dort ja bei uns die Unterlagen einsehen und das Wesentliche herausschreiben.“

     Manni nickte, und seine Augen leuchteten irgendwie triumphierend. „Danke, dann komme ich doch gerne mit.“

     Im gleichen Moment klingelte das Handy von Chriss.

     „Hey, Chriss, wo steckst du denn? Ich versuche schon seit über einer Stunde, dich zu erreichen!“, hörte sie Pennys vorwurfsvolle Stimme.

     „Hey, Penny, das ist ja eine Überraschung. Wo brennt’s denn?“

     „Bist du alleine?“, erklang die Gegenfrage.

     „Nicht ganz. Natalie ist bei mir und ein junger Mitstudent, der uns zur Mensa begleiten will, um an Arbeitsunterlagen zu kommen.“

     „Kennst du ihn näher?“

     „Nein, noch nicht. Warum?“