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Table of Contents

Titel

Impressum

1. Prinz Heinrich und sein wundersamer Traum

2. Der mutige Wandergeselle

3. Das Geheimnis der Feldsteingrotte

4. Die Drachenhöhle

5. Der Grienericksee - das Reich der Wasserfee Perlonda

6. Hochzeit auf Schloss Rheinsberg

7. Die Trolle Einauge und Keinauge

8. Waldwichtel Zottel

9. Die Waldfee Blütenschön

10. Die Waldhexe Bobo und die Steinfee Madame Herzlos

11. Flammus, der Feuerteufel

12. Brandos und das Feuerschwert

13. Die kleine alte Schlosshexe Trulla

14. Spuki, das Schlossgespenst

15. Die Waldgespenster Grusella und Eierlie

Schloss Rheinsberg

 

 

 

 

Hiltrud Senz

 

 

 

Die Gespenster

von Rheinsberg

und mehr Märchen aus der Region

 

 

 

 

 

 

Verlag DeBehr

 

 

Copyright by: Hiltrud Senz

Herausgeber: Verlag DeBehr, Radeberg

Erstauflage: 2018

ISBN: 9783957535160

 

1. Prinz Heinrich und sein wundersamer Traum

Oh welch ein herrlicher Sommertag!

   Die Sonne lachte voller Übermut und all die wunderschönen Blumen hier im Schlosspark verbreiteten einen betörenden Duft. Die großen, uralten Bäume spendeten wohltuenden Schatten. Unter einer Eiche, auf einer Parkbank, saß ein einsamer Mann. Er schaute gar traurig vor sich hin. Vor ihm lag, wie ein großer Spiegel, der Grienericksee. In der Mittagssonne glitzerte der Schlosssee in den prächtigsten Farben.

   Ein wunderschöner Blütenteppich aus gelben und pinkfarbenen Seerosen breitete sich auf dem silbern glänzenden Wasser aus. Auf den großen Seerosenblättern konnte man gar lustige Gesellen entdecken: Frösche, Libellen, Mücken, Wasserläufer und sogar Krebse hielten ihren Mittagsschlaf. Hörte man genauer hin, vernahm man ein kleines Schnarchkonzert.

   Der dicke Frosch Quarks wälzte sich, gebettet auf ein Rosenblatt, im Halbschlaf hin und her. Und hast du nicht gesehen, rutschte er hinunter und landete mit einem lauten Bauchklatscher im kühlen Wasser.

„He! Quak, quak, wer ist da so hundsgemein und schubst mich ins Wasser?“, brabbelte er verschlafen. Mühevoll zog er sich wieder auf seinen Platz und schnarchte sogleich weiter.

   Die kleine Libelle Gerda saß grübelnd auf ihrem Seerosenblatt. Immer wieder schaute sie zu dem traurigen Mann. Sie überlegte einen Augenblick und flog dann beherzt ans Ufer. Sie setzte sich auf ein Eichenblatt. Mit leiser Stimme zirpte sie: „Hallo, Mensch, weshalb so traurig an einem solchen herrlichen Sommertag?“ Der Mann aber reagierte nicht. Da fing die Libelle mit lieblicher Stimme zu singen an. Verwundert schaute sich der Mann um. „Wer singt hier so schön? Zeig dich mir.“ Die kleine Libelle setzte sich auf die Menschenhand und sprach: „Trauriger Mensch, ich heiße Gerda. Aber sag, wer bist denn du?“ Wieder bekam sie keine Antwort.

„He, Mensch, hast du etwa keinen Namen?“ Mit einem Flügel kitzelte sie ihn an der Nasenspitze.

Da nieste der Mann laut und sprach: „Libelle, du bist aber ein schönes Geschöpf. Deine Flügel glänzen in der Sonne wie Edelsteine. Es ist lieb von dir, dass du mich ein wenig aufmuntern willst. Ich bin Prinz Heinrich. Mir gehören das schöne Schloss, der Park, der Wald und die kleine Stadt Rheinsberg. Das alles schenkte mir mein älterer Bruder, König Friedrich der Große. Es gefällt mir hier sehr gut. Aber ich darf hier erst wohnen, wenn ich eine Frau geheiratet habe. Mein Bruder befiehlt mir, eine Prinzessin zu heiraten, die meiner würdig ist. Aber bisher konnte ich keine finden, die mir von Herzen gefiel. Entweder waren die Prinzessinnen viel zu eitel, zu langweilig oder zu albern. Meine zukünftige Frau sollte wie ich die Natur, das Theaterspiel und die Musik lieben. Sie sollte klug und herzlich sein. Wo aber finde ich nur ein solches Mädchen?“

   „Zirp, zirp, lieber Heinrich, das ist in der Tat eine schwierige Angelegenheit. Aber höre, wenn du hier sitzt und Trübsal bläst, wirst du erst recht keine passende Frau finden. Ich fliege viel in der Welt umher und habe schon so manches kluge Mädchen getroffen. Deshalb rate ich dir, ziehe, als Wandergeselle verkleidet, durch die Lande und du wirst die richtige Frau finden. Zeige dich aber erst als Prinz, wenn du dir deiner Wahl sicher bist“, riet sie Heinrich. „Gerda, du hast ja recht. Morgens in aller Früh werde ich mich auf den Weg machen“, erwiderte der Prinz. Er verbeugte sich vor Gerda, bedankte sich für ihren Rat und begab sich auf einen ausgiebigen Spaziergang.

   Erst gegen Abend kehrte er in sein Schloss zurück. Dort kam ihm ganz aufgeregt seine Schlossköchin, von allen Frau Sauerrahm gerufen, entgegen. „Majestät, wo weiltet Ihr nur so lange? Das Schlosspersonal ist schon in großer Sorge um Euch. Oje, Ihr seht müde aus und seid sicher sehr hungrig!“ Da musste Heinrich herzhaft lachen und rief: „Mein liebes Sauerrähmchen, wie recht du hast! Müde bin ich und ein Bärenhunger plagt mich. Eile und richte mir ein schmackhaftes Abendmahl und bring es mir in meine Bibliothek. Der Kammerzofe richte bitte aus, sie möge mein Bett herrichten.“ Die Schlossköchin eilte dienstbeflissen davon.

   Spät am Abend legte sich der Prinz, müde geworden, in sein Himmelbett zur Nachtruhe. Auf leisen Sohlen schlichen die Diener umher, löschten das Kerzenlicht und zogen die Fenstervorhänge zu. Laut ertönte die Kirchturmuhr mit zwölf Schlägen. Nicht lange, da war Prinz Heinrich eingeschlafen und es überkam ihn ein gar wundersamer Traum ...

   … Prinz Heinrich und sein bester Freund Aymon besuchten einen Bauernmarkt. Hier boten Töpfer, Weber, Schuster, Fischer und Bauern ihre Waren an. Es herrschte ein buntes, fröhliches Treiben. Musikanten spielten lustige Weisen. Plötzlich musste Heinrich lauthals lachen: Ein dicker, schwarzer Kater stahl gerade dem Fischer einen großen Barsch. Ein kleiner Junge warf Knallfrösche unter den Marktstand des Bauern Knolle. Vor lauter Schreck fiel dieser mitten in die Eierkiepe. An seinem Hintern klebten schmierige Eierschalen, was die Umherstehenden zum Lachen brachte.

   Ganz am Ende des Marktplatzes erblickte Heinrich den Verkaufsstand eines Schusters. Er trat näher heran, besah sich die Schuhe und entdeckte wunderschöne Reitstiefel. Kein Mensch war zu sehen. So rief er laut: „Ist denn hier niemand, der die Ware verkauft?“

   Plötzlich stand ein Mädchen vor ihm. Es trug langes Haar und blickte ihn mit ihren blauen Augen an. Armselig gekleidet, doch mit stolzer Stimme fragte das Mädchen den Fremden: „Welches Stiefelpaar wünschen der Herr?“ Der Prinz schaute unentwegt auf das Mädchen. Freundlich antwortete er: „Mein schönes Kind, sag mir, wie du heißt und wo du wohnst.“

   Statt auf seine Frage zu antworten, wiederholte sie ihre leise. Heinrich zeigte auf ein Stiefelpaar. „Hier, diese Stiefel sollen es denn sein.“ Er legte zwei Goldtaler auf den Tisch und schaute dabei tief in des Mädchens Augen. „Nein, nein, mein Herr, so viel Geld kann ich nicht annehmen.“ Da erklang eine zornige Stimme: „Du törichtes Ding, du sollst nicht immer meine Ware so billig verkaufen!“ Es war die des Schusters, der höchst persönlich am Stand erschienen war. Niemand mochte ihn hier, weil er hinterlistig, böse und geldgierig war. Er war sehr reich, aber seine Tochter behandelte er wie eine Dienstmagd. Die hatte sich verschüchtert zurückgezogen.

   Prinz Heinrich verbeugte sich kurz vor dem Schuster. „Meister, deine Ware ist das Geld schon wert. Aber sag, warum bist du so unfreundlich zu deiner Tochter?“ Der Schuster argwöhnte des Geldes wegen und antwortete: „Das unnütze Ding verrichtet nicht eine Arbeit zu meiner Zufriedenheit und würde am liebsten den ganzen Tag nur auf seiner Fidel musizieren.“ 

 „Oh, an einem solch schönen Tag sollte deine Tochter uns etwas vorspielen. Holt sie!“, drängte Heinrich. „Ich werde sie angemessen entlohnen.“

   „Mein Herr, Euer Wunsch sei mir Befehl“, erwiderte der Schuster unterwürfig und lief zum Zelt, das er mit seiner Tochter bewohnte. „Du sollst dem Herrn etwas vorspielen! Los, los, hol deine Geige und folge mir!“ Das Mädchen setze den Bogen an und entlockte ihrer Geige wunderschöne Weisen. Prinz Heinrich lauschte verzückt ihrem Spiel.

   Ein pfiffiger Dorfbursche nahm seinen Hut und rief mit kräftiger Stimme, dass ihn alle hören konnten: „Eine kleine Spende für Wilhelmine!“ Alle mochten des Schusters Tochter und jeder von ihnen warf ein Geldstück in den Hut.

   Der Bursche überreichte Wilhelmine eine stattliche Summe. „Hier, Wilhelmine, nimm dieses Geld und kaufe dir ein schönes Kleid. Dein Vater, der Geizhals, lässt dich nur geflickte Kleider tragen!“ Der Schuster geriet außer sich: „He, Bursche, her mit dem Geld! Meine Tochter bekommt schon alles, was sie braucht, schließlich sorge ich für das tägliche Brot!“

   Erzürnt packte Heinrich den Schuster an den Schultern und schüttelte ihn durch. „Deine Tochter wird sich von diesem Geld beim Tuchmacher ein neues Kleid kaufen. Sie hat es sich ehrlich verdient!“ Der geizige Schuster merkte, dass er verloren hatte.

   „Wilhelmine“, sprach Heinrich, „geh zum Tuchmacher und kaufe sein schönstes Kleid!“

   Als Wilhelmine später in neuem Gewand vor der staunenden Menschenmenge stand, nahm Heinrich sie bei der Hand. „Jetzt, mein schönes Kind“, rief er laut, „eröffnen wir beide den Tanz!“ Umringt von fröhlichen Marktbesuchern, drehten sich Heinrich und das Mädchen augenblicklich tanzend im Kreise.

   „Ist es nicht ein schönes Paar, der fremde Herr und unsere Wilhelmine?“ Da ertönte die wütende Stimme des Vaters: „Genug der Faulenzerei! Scher dich an die Arbeit, mein Kind!“ Heinrich flüsterte Wilhelmine zu: „Ich muss dich wiedersehen. Sag, wo wohnst du?“ Des Schusters Tochter, von großer Angst geplagt, entschlüpfte Heinrichs Armen und ehe er sie festhalten konnte, war sie verschwunden. „Sagt mir, ihr lieben Leute, wo kann ich Wilhelmine finden?“ Keiner konnte ihm eine Antwort geben.

   Betrübt und tieftraurig machte er sich auf den Heimweg. Unterwegs hielt er Rast unter einer alten Tanne. Er sprach laut vor sich hin: „Ich muss sie finden und wenn ich bis ans Ende der Welt gehen muss.“

   „Da hast du dir aber einen weiten Weg vorgenommen“, wisperte eine Stimme. „Nanu, narrt mich ein Spuk? Wer redet da mit mir?“ Heinrich schaute sich verdutzt um. „Ich, das Eichhörnchen Stupsi, habe alles genau beobachtet. Die Wilhelmine willst du wiedersehen? Hör zu, hinter den Hellseewiesen wird dich ein schmaler Weg zu deinem Ziel führen. Mehr darf ich nicht verraten.“ Ehe der Prinz etwas erwidern konnte, war das Eichhörnchen verschwunden.

   „Wer macht denn hier solch einen Lärm?“, murmelte Heinrich verschlafen und öffnete die Augen. Draußen war noch finstere Nacht. Ein heftiger Sturm rüttelte an die Fenster. Da wusste Heinrich, dass er alles nur geträumt hatte …

   Plötzlich hörte er eine Stimme aus weiter Ferne. „Folge deinem Traum und finde so dein Glück!“, rief die ihm zu. „Vielleicht sollte ich das tatsächlich tun?“, murmelte er vor sich hin. Ob er die schöne Wilhelmine finden würde?

 

2. Der mutige Wandergeselle

Still war es auf der Schlossinsel. Nur des Nebelmanns Seufzen war zu hören. Der Nebelmann war müde und zog sich langsam zurück in sein Reich.

   Bald begannen die ersten Frösche zaghaft mit ihrem Morgenkonzert. Die Vögel im Schlosspark erwachten nach und nach trällerten, noch ein wenig verschlafen, ihren Morgengruß.

   In der Nähe der Felsengrotte, auf einer Bank, saß Prinz Heinrich und schaute abwesend auf den erwachenden Grienericksee. Der grüne Laubfrosch lugte aus seinem Versteck hervor. „Quak, quak, was will denn der Geselle schon so früh hier?“ Plitsch, platsch, neugierig hüpfte er näher. Heinrich hatte sich als Wandergeselle verkleidet, um auf seiner Suche nach des Schusters Tochter unerkannt zu bleiben. „Wenn ich nur wüsste, wo das Eichhörnchen Stupsi steckt! Es hatte mir in meinem Traum einen Weg gewiesen. Nur habe ich alles vergessen.“  

   „Quak, quak, guten Morgen, Wandergeselle! So früh schon auf den Beinen? Stupsi suchst du? Siehst du dort hinter der Felssteingrotte die uralte Eiche? In dem Baumwipfel wohnt das Eichhörnchen. Sicherlich schläft es noch. Aber wenn du nur laut genug rufst, wird es schon erwachen“, quakte der alte Laubfrosch. Prinz Heinrich bedankte sich und wünschte ihm noch einen frohen Tag.

   Er eilte zur Eiche. Dort angekommen, schlug er mit seinem dicken Wanderstab an den Baumstamm, schaute nach oben und rief, so laut er konnte: „He, Stupsi, du kleiner Langschläfer, wach auf, ich brauche dringend deine Hilfe!“ Dreimal musste Heinrich rufen, bis sich das Eichhörnchen schlaftrunken meldete. Laut gähnend schaute es aus seinem Bau, dann kletterte es zu Heinrich hinunter. „Stupsi, in meinem Traum hast du mir einen Weg gewiesen, der mich zu Wilhelmine führt. Ist es denn wahr, dass dieses zauberhafte Mädchen hier irgendwo lebt?“ Das Eichhörnchen räkelte sich und schaute Heinrich mit seinen großen Augen an. „Heinrich, ich darf dir nichts verraten. Wenn du an Wilhelmine glaubst, wirst du sie finden. Viel Mut wirst du aufbringen müssen. Laufe bis zum Leuchtturm. Dort, wo der dichte Fichtenwald beginnt, wirst du einen großen dicken Baumstumpf vorfinden. Hier hat das Fellmännchen Gnomi sein Wurzelhäuschen. Vielleicht kann es dir weiterhelfen.“ Ehe sich Heinrich bedanken konnte, war Stupsi in den Eichzweigen verschwunden.

   Der Prinz reckte und streckte sich noch einmal kräftig, griff seinen Wanderstab und eilte frohen Mutes davon. Die Stimme der Morgenröte flüsterte ihm zu: „Hab nur Mut, so wirst du deinen Lohn bekommen. Viel Glück auf deinem Weg, Wandersmann.“

Die Sonne lugte hinter kleinen Nebelwolken hervor und schon bald erwachten der Wald und die Wiesen. Prinz Heinrich erfreute sich an dem noch jungen Tag.

   Am Leuchtturm angelangt, musste er eine ganze Weile nach dem Baumstumpf suchen. Hinter hohem Farnkraut versteckt und über und über mit Moos bewachsen, war er kaum zu sehen. Am Eingang des Wurzelhauses war eine leuchtend rote Glockenblume, die herrlich duftete, befestigt. Sachte ergriff er sie und läutete zweimal.

      Nach einer Weile erschien ein kugelrundes Etwas mit großen klugen Augen. Seine große rote Nase schnupperte ganz aufgeregt in die Luft. Ein helles lautes Stimmchen rief: „He, Mensch, was rufst du mich in aller Herrgottsfrühe? Ich wollte gerade baden im kühlen Morgentau.“

   „Oh, das tut mir aufrichtig leid, kleiner Fellmann, dass ich so ungelegen komme. Einen lieben Gruß von Stupsi, er schickt mich zu dir“, erwiderte der Prinz kleinlaut. Nun erzählte Heinrich Gnomi seine Geschichte. Plötzlich klatschte sich das Fellmännchen auf sein kugelrundes Bäuchlein und rief fröhlich: „Nun, wenn dich mein bester Freund schickt, tut Hilfe not. Hör mir also genau zu. Hier, der kleine schmale Waldweg führt in das Hexenreich. Hier treibt die Waldhexe Bobo ihr Unwesen. Sie ist gar böse und hinterlistig. Deshalb sei auf der Hut und überlege gut, was du tust. Unter dem Dach des Hexenhauses wohnt der Rabe Buffi. Er ist ein guter Freund von mir. Bitte ihn um Hilfe.

   Verlässt du das Hexenreich, gelangst du zu den Hellseewiesen. Dort beginnt das Reich der Moorfee Blubba. Sie ist eine gute, alte Fee und kann dir vielleicht behilflich sein. Frage Buffi, wo du sie finden kannst.“ Ehe Heinrich sich für seinen Rat bedanken konnte, rollte sich Gnomi zu einer dicken Fellkugel zusammen und trollte sich davon.

   Heinrich betrat den Hexenwald. Kein Sonnenstrahl durchdrang die dichten Fichtenzweige. Dunkel und unheimlich war es hier. Hier vernahm man kein Vogelgezwitscher, nur ab und zu schrie verängstigt ein Käuzchen. Nicht eine einzige Blume konnte Heinrich erblicken. Gar seltsam wurde ihm zu Mute. „Bobo muss eine garstige Hexe sein, dass es hier so leblos und finster ist“, dachte er. Plötzlich krächzte es über ihm: „Rak, rak, du Unglückswurm, hast du dich verirrt? Glück hast du, dass die Bobohexe gerade auf ihrem Hexenbesen davongeschwirrt ist! Übelgelaunt war sie! Kann ich dir irgendwie behilflich sein, mein Bester?“

   „Oh ja, Rabe Buffi, das kannst du!“, rief erleichtert der Wandersmann. Er berichtete dem Raben in aller Eile von seiner Suche nach des Schusters Tochter. „Rak, rak ‒ wenn das so ist, will ich dir gern zur Seite stehen.“ Rabe Buffi riss sich die schönste Schwanzfeder aus, reichte sie dem Prinzen und krächzte laut: „Siehst du dort das Hexenhaus? Geh hinein! Auf dem Tisch wirst du einen Eisentopf vorfinden mit einem dicken Brei. Tauche die Feder dort hinein und zähle bis zehn. Egal was auch geschieht, du darfst mit dem Zählen nicht aufhören. Danach kehrst du sofort wieder zu mir zurück.“   Heinrich tat, wie ihm geheißen. Die Tür des Hexenhauses hatte unzählige große und kleine Löcher, aus denen funkelnde Augen starrten. Heinrich stemmte sich gegen sie, bis sie sich quietschend öffnete. Als er das Hexenhaus betrat, bekam er einen Riesenschreck, so viel Schmutz hatte er noch nie gesehen!

   Die Wände waren schief. An der einen hing ein großer, feuerroter Umhang, von dem ihn ein großes, giftgrünes, bösartig funkelndes Auge anstarrte. Der riesige Holztisch in der Mitte des Zimmers hatte seltsame Tischbeine. Sie erinnerten an Elefantenbeine und schwankten hin und her. Auf dem Tisch stand der Topf, von dem der Rabe gesprochen hatte. In ihm blubberte es unaufhörlich, während es aus ihm laut stöhnte.

   Schnell stieg Heinrich auf einen dreibeinigen Stuhl, um in den Topf sehen zu können. Aber oh Schreck, was war denn das? In der Mitte eines stinkenden, braunen Schleims erblickte der Prinz ein weit aufgerissenes Maul. Das spuckte den klebrigen Schleim um sich herum. Bekam man davon etwas auf die Haut, brannte und juckte die fürchterlich.

   Plötzlich sah Heinrich Wilhelmines trauriges Gesicht vor sich. Da nahm er seinen ganzen Mut zusammen, tauchte die Feder in den Schleim und zählte, so schnell er konnte, bis zehn. Kaum hatte er die letzte Zahl ausgesprochen, krachte es laut und Heinrich fiel mit dem Stuhl um.

   Eine hässliche, große Fledermaus flog über ihn hinweg und schnappte nach der Feder. Der Prinz aber hielt die Feder ganz fest an sich gepresst, rappelte sich auf und stürzte hinaus.

   Vor der Tür erwartete ihn schon der Rabe. „Bei meiner Rabenehre, das war eine tolle Leistung, Menschenkind. Jetzt besitzt du eine Zauberfeder, die dich überallhin trägt. Aber du sollst wissen, nur drei Tage wirkt die Zauberkraft. Beeile dich also. Du brauchst nur zu befehlen, an welchen Ort sie dich bringen soll. Viel Glück!“ Eilig flog Buffi davon.

   Heinrich zog die Rabenfeder unter seinem Gewand hervor. „Bringe mich geschwind zur Moorfee Blubba“, rief er erwartungsvoll. Plötzlich fühlte er sich federleicht. Ein Windhauch trug den Prinzen davon.

   Nach kurzer Zeit landete er im Moorfeenreich. Auch hier war es ziemlich dunkel, wenngleich sich Frau Sonne ab und zu zeigte. Endlich hörte Heinrich wieder sein geliebtes Vogelkonzert. Das Moorwasser war dunkelbraun wie Schokoladenpudding, überall glucksten und blubberten dicke Luftblasen. Am Uferrand wuchsen viele gelbe Sumpfdotterblumen und etwas abseits das seltene weiße Feengras. Auf der anderen Uferseite zeigte sich ein undurchdringlicher, grüner Schilfgürtel.

   Heinrich starrte auf den Moorsee. In seiner Mitte bildete sich eine riesige Luftblase. In ihr leuchtete es in allen Farben. Es wurde plötzlich angenehm warm und eine liebliche Musik ertönte. Mit lautem Knall zerplatzte die Luftblase und die Moorfee Blubba trat hervor.

   Sie war nicht sehr schön anzuschauen. Sie war groß. Ihre Haare hingen wie Schlammwurzeln wirr um ihren Kopf. Auf ihrer Stirn leuchtete es hellgrün. Auf ihrem langen dunkelgrünen Kleid schimmerte Pünktchen in Rot, Gelb und Grün. In ihren Händen hielt sie eine verkrüppelte Baumwurzel.

   Ihre blauen Augen blickten Heinrich freundlich an. „Junger Mann, sprich, was führt dich in mein Reich? Nur viel zu selten bekomme ich Menschenbesuch.“ Heinrich verneigte sich tief und berichtete ihr von seiner Suche nach der schönen Schusterstochter. „Schon gut, schon gut, ich will dir helfen. Aber erst musst du mir einen Gefallen tun. Ich bin schon dreihundert Jahre alt und meine Finger sind nicht mehr so gelenkig. Siehst du dort den Wurzelhaufen? Schneide alle Wurzeln in kleine Stücke. Fädle diese dann auf die Silberschnüre und hänge sie zum Trocknen in die hohen, alten Weiden. Ist dein Werk vollbracht, verrate ich dir, wo du deine Wilhelmine finden kannst.“ Lachend erhob sie ihren Wurzelstock und tauchte ins Moorreich zurück.

   „Ach, du meine Güte, nun ist alles verloren. Wie soll ich das nur schaffen?“, barmte der Prinz. „Jammere nicht, fang endlich an!“, meldete sich seine innere Stimme. „Genau das werde ich tun“, erwiderte Heinrich und machte sich ans Werk.

   Es dauerte gar nicht lange, waren alle Wurzeln kleingeschnitten. Plötzlich aber kamen vier kleine Moorhühner angeflogen. Sie fädelten sie die Wurzelstücke auf die Silberfäden und hängten diese hoch oben in die Weide.  

   Gleich darauf trat die Moorfee wieder in Erscheinung. Sie freute sich über die getane Arbeit und lobte das Menschenkind sehr. „Ich hatte sehr fleißige Helfer, allein wäre mir das niemals gelungen“, sprach Heinrich. „O la la, du gefällst mir. Du bekennst dich ehrlich zu deinen Helfern. Das imponiert mir sehr. Nun aber höre: Der Schuster wohnt in dem kleinen Dorf Zechow. Er hält seine Tochter in einer Waldhütte versteckt. Finde die Waldhütte und Wilhelmine wird mit dir gehen“, sprach Blubba. Sie verabschiedete sich freundlich und kehrte in ihr Moorreich zurück.

   Heinrich holte die Rabenfeder hervor. „Bitte bringe mich schnell nach Zechow.“ Kaum ausgesprochen, fand er sich wieder mitten auf dem Zechower Dorfplatz.

   Beim Dorfschmied erkundigte er sich nach dem Schuster und dessen Tochter. „Oh, da hast du aber Pech. Der alte Geizkragen ist auf Reisen“, antwortete der Schmied. „Na, das ist mir nur recht“, sprach Heinrich, „aber sag, mein Freund, wo kann ich die Waldhütte finden?“ Der Schmied kratzte sich am Kinn und wollte nicht so recht mit der Sprache herausrücken. Nachdem sich Heinrich zu erkennen gegeben und ihm erzählt hatte, dass er Wilhelmine liebe und in sein Schloss holen wolle. der Schmied klatschte verzückt in die Hände und rief: „Das, mein Herr, hat Wilhelmine wohl verdient!“  

   Er rief seinen Sohn. Dieser geleitete den Prinzen zur Hütte. Durch die Tür drang ein lieblicher Gesang. Heinrich wollte sie öffnen. Die aber war fest verschlossen. Gemeinsam mit dem Sohn des Schmiedes warf er sich mit aller Kraft gegen die Tür, bis diese aufsprang. Ganz erschrocken, mit ängstlichem Blick stand Wilhelmine in der hintersten Zimmerecke. Der Prinz eilte zu ihr, kniete vor ihr nieder und nahm ihre Hände. „Endlich hab ich dich gefunden, mein Herzblatt“, sprach er mit zärtlicher Stimme und und begann, von seinen Abenteuern zu erzählen. Dann fasste er sich ein Herz und fragte die Schusterstochter: „Sag, liebe Wilhelmine, willst du die Meine werden?“ Wilhelmine blickte dem Prinzen fest in die Augen und antwortete: „Ich muss dir gestehen, mein Heinrich, ich habe dich nicht vergessen können. Weil ich dich sehr lieb habe und dir vertraue, gehe ich mit dir. Aber nun müssen wir uns beeilen. Denn kehrt mein Vater heim, wird es gefährlich für uns beide.“

   Eiligst verließen sie die Waldhütte. Heinrich ergriff wieder seine Feder. „Geschwind, geschwind ‒ bringe uns beide in mein Schloss nach Rheinsberg!“