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Table of Contents

Titel

Impressum

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Über den Autor

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Hubert Langeneder

 

 

 

 

Entfesselte Lust

Band 2 der Roman-Trilogie Am Abgrund

 

 

Roman eines

Nachtclubbesitzers

 

 

 

 

 

 

DeBehr

 

Copyright by: Hubert Langeneder

Herausgeber: Verlag DeBehr, Radeberg

Erstauflage: 2018

ISBN: 9783957534910

Umschlaggrafik Copyright by Fotolia by fotoak80

 

Für meine Freunde

Ein Freund ist jemand,

der weiß,

dass man ihn gerade braucht

 

Oscar Wilde

 

Kapitel 1

 

1

Laura stand beim Fenster und sah hinaus in die dunkle Nacht. Tränen liefen über ihre Wangen. Tränen des Glücks, der unendlichen Erleichterung, der Dankbarkeit. Sie hatte nie daran gezweifelt, dass er wieder aufwacht. Wie wird es jetzt wohl weitergehen? Woran wird er sich erinnern? Wie wird er mit der Tatsache von Mias Tod umgehen? Eine Unzahl von Fragen ohne Antworten drängte in ihren Kopf und lenkte ein bisschen ab, lenkte ab von dem Wunder, dass ihr Julian wieder ins Leben zurückgekehrt war. Einige Monate hatte sie jeden Tag stundenlang an seinem Bett ausgeharrt. Hatte seine Hand gehalten, hatte ihm vorgelesen, hatte ihm von ihrem Leben erzählt. Es hat sie keinen Augenblick gestört, dass man sie mitleidig belächelt hat. Die meisten hielten sie für verrückt, oder hatten Sorge um sie, dass sie dem Wahnsinn verfallen könnte. Die Meinungen der anderen prallten an ihr ab, als wären sie nicht vorhanden. Die Geschwister von Julian unterstützten sie zwar, vor allem Mathias regelte das mit den Ärzten, dass sie immer zu Julian kommen konnte, ganz egal, zu welcher Zeit, aber so richtig daran glauben, dass alles wieder gut werden würde, das taten sie nicht. Am ehesten vielleicht noch Charlotte, seine Schwester. Mit ihr hatte sie auch oft längere Gespräche und ihr konnte Laura auch vermitteln, was sie für Julian empfand. Charlotte wurde in diesen äußerst dramatischen Monaten ihre einzig wirklich Vertraute. Es tat gut, mit einem Menschen über ihre geheimsten Gefühle zu sprechen. Vor ihr konnte sie auch weinen. Von ihr wurde sie auch oft in den Arm genommen und getröstet. „Mein Bruder war immer ein Kämpfer und er wird auch das schaffen“, sagte sie nicht nur einmal und versuchte, die Tränen auf Lauras Wangen zu trocknen. Dann saßen sie beide am Kopfende des Krankenbettes und streichelten abwechselnd ganz sanft über das eingefallene Gesicht von Julian.

Es begann schon wieder zu schneien und Laura drückte ihre Nase gegen die eisig kalte Fensterscheibe.

Als sich die Tür öffnete, drehte sie sich um und sah Julians Schwester hereinkommen. Sie lief ihr entgegen und umarmte sie ganz stürmisch.

„Er ist aufgewacht, Charlotte, und er hat mir in die Augen gesehen. Ich kann dir gar nicht sagen, was in mir abgeht. Es ist unbeschreiblich.“ Charlotte hatte auch Tränen in den Augen. „Das warst du. Du ganz allein, Laura. Du hast ihn uns wieder gebracht. Du hast keinen Augenblick daran gezweifelt. Ich bin so glücklich, dass er dich hat.“ Sie drückten sich und Laura erzählte ihr alles. Wie sie plötzlich in seine offenen Augen geblickt hatte. Wie er versucht hatte, zu sprechen. Wie sich aber nur seine Lippen bewegten und er dann wieder eingeschlafen war. „Die Ärzte sind zwar noch äußerst skeptisch, aber ich weiß, dass er wieder ganz zu mir zurückkommt. Ich weiß es einfach. Ich habe es immer gewusst.“

„Hattest du eigentlich diese Mia näher gekannt?“, wollte Charlotte wissen. „Ich wollte dich das schon lange fragen. Aber irgendwie war nie die richtige Gelegenheit.“

„Ja, Charlotte. Ich habe sie gekannt. Ganz gut sogar. Und ich weiß, dass er sie sehr geliebt hat.“ „Aber dich hat er doch auch geliebt, oder?“

„Ja, das hat er. So war er, oder besser gesagt, so ist er, dein Bruder. Für mich war er vom ersten Augenblick an meine große Liebe und ich denke, für Mia war’s auch so. Ich hab ganz schreckliche Angst davor, ihm zu sagen, dass Mia nicht mehr da ist.“

„Also Julian hat mit euch beiden … Ich meine, er hat mit jeder von euch geschlafen? Und du hast von Mia gewusst, sie aber nicht von dir. Seh ich das richtig so? Und es hat dich nicht gestört, dass er auch eine andere hat?“

„Charlotte, es hat mich fast umgebracht. Aber ich habe es nicht geschafft, ihn loszulassen. Ich war es, die ihm ein ganz und gar unmoralisches Angebot gemacht hat.“ Dann erzählte sie ihr die ganze Geschichte und Charlotte schüttelte am Schluss nur ungläubig den Kopf. „Das ist ja völlig irre. Das hätte ich nie gebracht. Die Liebe meines Lebens mit einer anderen zu teilen. Noch dazu ein Schattendasein zu führen. Unfassbar. Und jetzt hat das Schicksal unglaublich grausam den Regieplan geändert. Das wäre wirklich genug Stoff für einen Film. Julian, was bist du nur für ein Mann?“ Sie streichelte über sein Gesicht und sah ihn zärtlich an.

„Er war als Kind schon ein Herzensbrecher und war immer völlig verwundert, wenn er Leid und Trauer bei den Mädchen hinterlassen hatte. Ich glaube, es war ihm nie so richtig bewusst, was er eigentlich mit seiner Art angerichtet hatte.“

„Glaubst du, dass man einen Mann wie Julian für sich ganz alleine hat?“ Laura sah bei dieser Frage Charlotte tief in die Augen. „Ich kann es dir nicht sagen, Laura. Ich weiß es wirklich nicht. Vielleicht hat dieses traumatische Erlebnis irgendetwas ausgelöst bei ihm. Grundsätzlich bin ich aber der festen Meinung, dass Männer wie Julian immer und ewig irgendwie Kinder bleiben. Und auch was die Konsequenzen für gewisse Handlungen angeht. Was hat ein Kind schon großartig zu befürchten, wenn es eine Dummheit begeht? Weißt du, was ich damit sagen will?“

Laura nickte und hielt jetzt wieder seine Hand. „Charlotte, ich liebe deinen Bruder. Mehr als ich es mit meinen Worten ausdrücken kann.“

Charlotte musste jetzt lächeln. Sie spürte natürlich, dass es nichts gäbe, was sie sagen könnte, um Laura von ihrem Bruder wegzubringen. Sie hatte es ja auch nicht vor und irgendwie war sie sogar glücklich darüber, dass es jemanden gab, der ihren Bruder über alle Vernunft und alles andere hinaus liebte. Hatte sie je so ein unbedingtes Gefühl einem Mann gegenüber gehabt? Wenn ja, konnte sie sich nicht mehr daran erinnern. Und wenn sie sich aber nicht mehr daran erinnern konnte, hatte sie es sicher nicht gehabt. Sie musste aber darum auch nie so wahnsinnig leiden, wie es sicher Laura getan hatte. Als die Tür ein weiteres Mal aufging und eine Schwester hereinkam, schwiegen sie und beobachteten, wie sie alle Geräte kontrollierte. Dann wünschte sie ihnen noch eine gute Nacht und verschwand nahezu geräuschlos.

„Wie geht eigentlich eure Mutter mit der ganzen Situation um?“ Laura durchbrach wieder als Erste das Schweigen. „Die ist seit dem Tod unseres Vaters in einem dunklen Loch und kann einfach nicht mehr heraus. Das mit Julian hat ihr den Rest gegeben.“

„Soll ich mal mit ihr sprechen?“

„Laura, du bist so wahnsinnig lieb. Aber ich kann dir versichern, es würde nichts bringen. Ganz im Gegenteil, sie würde dich mit runterziehen. Und damit wäre niemandem geholfen. Ich habe ihr von dir erzählt. Aber sie registriert gar nicht, was du für Julian tust und die vielen Monate getan hast. Was kann so ein junges Mädchen überhaupt ausrichten? Und warum muss Julian immer so junge Dinger haben? Er ist doch ein erwachsener Mann. Das und ähnliche Sätze höre ich von ihr und dann muss ich ganz schnell gehen, damit ich mich ausklinke. Verstehst du, was ich meine?“

Laura wirkte nachdenklich und auch ein bisschen traurig. Ist Jugend eine Sünde? Bin ich schlechter für ihren Sohn, nur weil ich nicht so alt bin wie er? „Hey, Laura, bitte nimm dir das nicht zu Herzen. Ich wollte dir eigentlich nur damit sagen, dass es nichts bringen würde, mit unserer Mutter ein Gespräch von Frau zu Frau anzustreben. Ich nehme dich nicht nur für voll, sondern ich bin total begeistert von dir. Du bist mehr Frau und hast mehr drauf, als alle Erwachsenen zusammen und ich bin echt glücklich, dass dich mein Bruder hat. Und sollte er dir nochmals wehtun, müsste ich ihn echt töten.“ Sie lachte leise. „Nein, im Ernst. Ich bin froh, dass ich endlich einmal eine Freundin meines Bruders wirklich kennenlernen durfte. Und du bist der Wahnsinn. Er kann sich wirklich alle zehn Finger abschlecken, dass er dich hat. Und so nebenbei gesagt, siehst du auch mörderisch gut aus. Also Julian hat schon immer einen guten Frauengeschmack bewiesen, aber bei dir ist ihm sein Meisterstück gelungen. Du besitzt wirklich alle Attribute, du bist außergewöhnlich hübsch, hast einen tollen Körper und bist obendrein noch hochintelligent. Irgendwas muss Julian an sich haben, sonst würdest du nicht so verrückt sein nach ihm!“ Charlotte lächelte sie fast verführerisch an. Und wenn Laura nicht ganz andere Gedanken gehabt hätte, müsste sie fast annehmen, dass sie Charlotte anbaggerte. Laura wischte diesen irren Gedankensplitter zur Seite und konzentrierte sich wieder auf Julian.

Es schien ihr, als versuchte er, seine Augen zu öffnen. Auch Charlotte bemerkte das jetzt und rückte näher an ihn heran. Gebannt starrten sie auf sein Gesicht. Laura drückte etwas stärker seine Hand und Charlotte war jetzt so nahe an Laura herangerückt, dass sie einen betörenden Duft ganz stark in ihrer Nase spürte. „Du riechst wirklich atemberaubend gut, Laura“, sagte sie leise und in diesem Augenblick schlug Julian die Augen auf. Sein Blick wanderte etwas ungläubig von Laura zu Charlotte und wieder zurück. Seine Lippen bewegten sich ganz zaghaft, so als würde er erst das richtige Wort suchen. Laura drückte fast zu fest seine Hand. „Hallo, mein Liebling“, kam ganz weich aus ihrem Mund. „Laura, Liebes. Wie spät ist es?“, erwiderte er kaum hörbar. Dann klappten seine Augen wieder zu.

2

„Er hat mich überhaupt nicht bemerkt.“ Charlotte war einerseits glücklich über dieses Lebenszeichen ihres Bruders, andererseits aber auch ein bisschen enttäuscht, dass er scheinbar nur Laura wahrgenommen hatte. Beide streichelten wieder über seine Wangen und sein Kinn. Es fühlte sich ein wenig kratzig an. „Rasierst du ihn eigentlich, oder macht das eine der Krankenschwestern?“, fragte Charlotte plötzlich. „Meistens hab ich das gemacht. Manchmal auch eine der Pflegerinnen.“ Lauras Gesichtszüge wirkten völlig entspannt und sie sah jetzt direkt in Charlottes Augen. „So lieb hat er mich immer angesehen, wenn er neben mir aufgewacht ist. Er war kein einziges Mal schlecht gelaunt und nie hat er ein böses Wort zu mir gesagt. Ich hatte immer das Gefühl, dass er mit sich und der Welt im Gleichklang war. Bis auf die letzte Woche vor seinem Unfall. Die paar Nächte vor diesem verhängnisvollen Samstag waren nicht schön. Er wirkte völlig zerrissen.“

„Ich weiß“, sagte Charlotte und er konsumierte alles im Übermaß. Wir wissen ja beide, wovon ich spreche. Es war keine leichte Aufgabe für Mathias, die ganze Geschichte bezüglich Bluttests und so weiter irgendwie unter den Teppich zu kehren. Er hat seine ganzen Verbindungen spielen lassen müssen, dass davon nichts an die Öffentlichkeit gelangt ist.“

„Mathias ist euer nächstälterer Bruder, der auch in der Politik tätig ist, stimmt’s?“

„Ja, ja. Und er hat damals Kopf und Kragen riskiert. Julian war ja wirklich bis obenhin voll mit Alkohol und Drogen. Gott sei Dank ist dem schuldigen Fahrer des Porsche Cayennes nicht wirklich etwas passiert. Sonst wäre trotz seines Fehlers mit dem Überfahren der roten Ampel sicher alles noch schwieriger zu vertuschen gewesen.“

„Hätte er damals nur ein Wort zu mir gesagt, ich hätte ihn niemals selber fahren lassen. Aber du kennst ja deinen Bruder. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann gab es kein Zurück.“ „Wie recht du hast, Laura. Sag, hast du nicht auch Hunger? Ich würde dich gerne zum Essen einladen, was hältst du davon?“ Die Frage kam ziemlich plötzlich. Laura sah auf die Uhr. Dann blickte sie Julian ins Gesicht. Der schlief und atmete ganz ruhig und gleichmäßig.

„Ich müsste nur vorher kurz nach Hause, um mit meiner ‚Tracy‘ eine kleine Runde zu machen. Aber danach, gerne.“

„Tracy?“

„Ach ja, das weißt du ja gar nicht. Ich habe seit Kurzem einen Golden Retriever und die junge Dame wäre ganz und gar nicht amused, wenn ich sie vergessen würde.“ Laura schenkte Charlotte ein ganz bezauberndes Lächeln. „Okay, sagen wir in einer Stunde beim Italiener?“

„Ja, das lässt sich ganz locker einrichten.“ Charlotte gab ihrem schlafenden Bruder noch einen Kuss auf die Stirn und zog ihren Mantel an. „Ich lasse euch noch einen Augenblick alleine. Freue mich auf später.“ Die beiden küssten sich zum Abschied auf die Wange und dann huschte Charlotte auch schon raus.

Laura zog ihre Jacke an und wickelte ihren dicken Schal bis übers Kinn rauf. Dann setzte sie sich noch einmal auf den Stuhl neben dem Krankenbett und betrachtete ihren Geliebten. „Du bist so schön, mein Held“, flüsterte sie und küsste ihn sanft auf den Mund. „Bis morgen. Ich werde von dir träumen.“ Sie stand auf und stellte beide Stühle wieder zu dem Tisch, der in der Ecke des Zimmers stand.

Bevor sie endgültig hinausging, warf sie Julian noch einen verträumten Blick zu.

Ihr Magen knurrte, also war es eine gute Entscheidung, die Einladung Charlottes anzunehmen. Sie war sehr froh und erleichtert, dass sie sich so gut mit ihr verstand. Wahrscheinlich würde sie ihr beim Essen von der bevorstehenden Scheidung erzählen und ihr Herz ausschütten. Was sie so die letzten Monate mitbekam, war es ein regelrechter Rosenkrieg und Charlotte war schon an den Grenzen ihrer Belastbarkeit angelangt. Dann noch die Probleme mit ihrem Sohn Felix, der sich gerade in diesem absolut schwierigen Alter befand und noch dazu in einer sehr fragwürdigen Clique seine momentane Erfüllung fand. Alles in allem ging es ihr wirklich beschissen.

Als Laura in die dunkle Nacht eintauchte, überraschte sie ein regelrechter Schneesturm.

3

Es war nicht völlig dunkel im Zimmer. Dieses diffuse Krankenhausnotlicht tauchte seine Umgebung in ein Schattengebilde. Julians geöffnete Augen versuchten, sich zurechtzufinden. Er verspürte keine Schmerzen, hatte aber das schreckliche Gefühl, gelähmt zu sein. Panik erfasste seinen Geist und mit aller Kraft versuchte er, seinen Kopf zu heben. Ein unmögliches Bemühen. Was ihm aber gelang, war, seine Zehen ein wenig zu bewegen und mit seinem linken Zeigefinger klopfte er unentwegt auf die Bettdecke. Als die Tür geöffnet wurde, beendete er schlagartig diese Kraftanstrengung und stellte sich schlafend. Ein sehr intensives Parfum drängte in seine Nase. Es war ein schwerer, fast penetranter Geruch, der ein leichtes Übelkeitsgefühl in ihm auslöste. Ganz vorsichtig versuchte er, nur ein kleines bisschen seine Augen zu öffnen und er erkannte das weiße Krankenschwesternoutfit. Die Schwester hantierte bei den Infusionsflaschen herum und beugte sich dabei so über Julians Kopf, dass seine Nase ihren Kittel streifte. Dieser abscheuliche Geruch klebte förmlich auf ihrer ganzen Kleidung und Julian kämpfte mit einem Würgereiz. „So, das hätten wir“, sprach sie mehr zu sich selbst als zu ihm und stand jetzt vor seinem Bett. Ihre Hände stemmte sie gegen ihre Hüften, die enorm ausladend waren. Sie schien zufrieden zu sein. Ihr Gesicht war überraschend hübsch und passte so irgendwie gar nicht zum Rest des Körpers. Zumindest wirkte sie so bei diesen schummrigen Lichtverhältnissen. Es war scharf geschnitten mit hohen Wangenknochen, einer grazilen, schmalen Nase und schön geschwungenen Lippen. Umrahmt wurde dieses kleine Kunstwerk von einer lustigen, brünetten Kurzhaarfrisur, die wirklich Pep hatte. Was für Gedanken hatte er nur? Augenscheinlich hatte es ihn ziemlich erwischt. Bei dem Versuch, das ganze Puzzle zusammenzufügen, wurde er aber wieder ziemlich müde. Woran konnte er sich erinnern? Er war mit dem Auto unterwegs gewesen. Mia war niedergestochen und in irgendein Krankenhaus gebracht worden. Er hatte mit Bernd telefoniert und mit Laura. Laura! Sie war hier. Hier bei ihm. Dann dieser ohrenbetäubende Aufprall. Das Schneiden von Metall, ein ganz eigenartiger Geruch und dieser Hund. Er hatte das Gebell noch in den Ohren. Und den Duft von Laura in der Nase. Gott sei Dank hatte die Schwester den Raum wieder verlassen und der Geruch von Laura war zurückgekehrt. So wie ihre Stimme. Es fühlte sich so an, als wäre Lauras Stimme direkt bei ihm im Bett. Als läge sie auf seiner Brust, ganz eng an ihn geschmiegt. Was war das nur? Und wo war Mia? Wahrscheinlich lag sie auch im Krankenhaus, womöglich nur ein paar Zimmer weiter? Wie lange war er wohl schon hier? Sicher nicht allzu lange. Seiner Einschätzung nach war er erst vor Kurzem eingeschlafen. Hatte er nicht vorhin auch Charlotte erkannt? Charlotte und Laura, wie passte das zusammen?

Plötzlich durchzuckte ihn ein ganz anderer Gedanke. Scheiße! Wahrscheinlich, nein, sogar mit Sicherheit haben sie mein ganzes Blut durchgecheckt. Mein Führerschein dürfte weg sein, dachte er. So viel ist mal ganz sicher. Ob das mit den Drogen auch rausgekommen ist? Auch das schien sicher zu sein. Ach, Scheiße, was soll’s! Ich lebe und augenscheinlich bin ich mit einem blauen Auge davongekommen. Dieser scheiß Porschefahrer war wahrscheinlich auch völlig zugedröhnt, sonst hätte er wohl die rote Ampel nicht überfahren! Oder war am Ende doch er schuld an der ganzen Geschichte? Auf einmal war er sich nicht mehr so sicher, dass er Grün gehabt hatte.

Wieder versuchte er, seine Beine anzuheben. Es gelang ihm abermals nicht. Die Bettdecke wog mindestens eine Tonne, zumindest kam es ihm so vor.

Draußen wütete ein ziemlich grässlicher Sturm. Der Wind drückte gegen das Glas des Fensters und Julian hoffte, dass es standhalten konnte. Seine Augen klappten immer wieder zu, so sehr er sich auch dagegen wehrte und er befürchtete, wieder in einen tiefen Schlaf zu fallen. Sein linker Zeigefinger klopfte trotzdem weiter auf die Bettdecke, völlig eigenständig. So, als hätte er sich vom Rest von Julians Körper getrennt. Selbst als Julian in einem wilden Traum gefangen war und seine Augenlider ganz unruhig flackerten, trommelte sein Finger unaufhörlich auf die Decke. Es war Mia, die ihn besuchte. Und Julian ließ es einfach zu.

4

Mit strahlenden Augen und ihrem unwiderstehlichen Lächeln lief sie auf ihn zu. Ihren dicken Babybauch konnte sie nicht mehr verbergen und als sie in seine Arme fiel, konnte sie kaum mehr atmen. „Liebling, du sollst dich nicht überanstrengen und außerdem, was wäre jetzt wohl passiert, wenn ich dich nicht aufgefangen hätte?“ Julians Stimme war zwar sanft aber durchaus streng. Trotzdem kam er nicht umhin und musste lachen. Mia schnaufte wie eine in die Jahre gekommene Dampflokomotive und ihr hochroter Kopf drohte zu platzen. „Ich … ich … ich wollte … ich hab mich einfach wahnsinnig gefreut, dich schon jetzt wieder zu sehen. Ich dachte, du hast einen wichtigen Banktermin?“ Mia zog einen leichten Schmollmund und nachdem ihr Atem wieder ansatzweise gleichmäßig ging, küsste sie ihn dermaßen stürmisch, dass er fast nach hinten kippte. „Mia, meine kleine, verrückte Mia. Du vergisst immer, dass ihr beide eine ganz schöne Wucht entwickelt, wenn ihr so auf mich raufdonnert.“

„Ich hab mich schon so auf dich gefreut. Und ich habe mich noch nie beherrschen können. Du kennst mich ja.“

„Wusstest du eigentlich, wie sexy du aussiehst?“ Julian sagte das nicht ohne Stolz und öffnete dabei mit geschickten Händen ihr rotes Bikinioberteil, das ohnehin kurz vorm Aufplatzen war. „Das engt dich doch ein, Liebes. Hier kann dich ohnehin keiner sehen. Die Hecken und Sträucher in unserem Garten sind so dicht, dass selbst die neugierigsten Blicke keine Chance hätten.“ Mia schmiegte sich mit ihren prallen Brüsten ganz eng an ihn und begann, sein Hemd aufzuknöpfen. Knopf für Knopf, und sie sah ihm dabei voller Lust direkt in die Augen. „Schatz, ich will dich jetzt haben. Hier im Pool und die Sonne wird unser Zeuge sein. Du kannst dir nicht vorstellen, wie scharf ich auf dich bin.“ Julian streifte in Sekundenschnelle ihr Höschen runter und brauchte nicht viel länger, um selber nackt zu sein. Hand in Hand liefen sie zum Pool und ließen sich langsam in das kühlende Nass gleiten. „Du bist der absolute Wahnsinn, mein Liebes. Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass mich meine schwangere Frau dermaßen verrückt machen kann.“ Er streichelte ihren prallen Bauch und vergrub sein Gesicht zwischen ihren Mega-Brüsten. „Er ist so hart“, flüsterte sie mit einem völlig verklärten Gesichtsausdruck und ließ sich willenlos umdrehen. Ihre Arme lagen am Beckenrand, während sie stöhnend seine harten Stöße empfing. Als er sich in ihr ergoss, erschütterte sie ein gewaltiger Orgasmus. Sie drehte sich in seine starken Arme und warf sich um seinen Hals. „Julian, ich liebe dich. Du zeigst mir jeden Tag aufs Neue, wie schön es ist, eine Frau zu sein. Deine Frau zu sein.“

Julian küsste sie und tauchte unter, bevor sie sich an seinen Lippen ansaugen konnte. Er kraulte von ihr weg und sie schwamm ihm hinterher. „Ich fühl mich wie so eine Boje, Liebling“ lachte sie. „Ich sehe aus wie eine Kuh.“

„Du bist wunderschön, Prinzessin“, rief er ihr zu, während er hin und her schwamm.

Mia stieg aus dem Pool wie Halle Berry in diesem Bondstreifen aus dem Meer. Nur dass sie im Gegensatz zu Halle einen kugelrunden, prall gefüllten Bauch hatte. Julian folgte ihr und legte sich neben ihr auf die riesige Doppelliege. Er kuschelte sich ganz eng an sie und legte seinen Kopf an ihren Bauch. „Sie strampelt ganz schön, unsere Kleine! Spürst du das?“

„Und wie, Liebling! Sie boxt die ganze Zeit, als könne sie es gar nicht mehr erwarten.“

Die Sonne brannte jetzt gnadenlos vom Himmel und Julian drehte den Sonnenschirm so, dass vor allem Mia ein bisschen Schatten hatte. Er betrachtete ihren schön gebräunten, nackten Körper und verspürte schon wieder Lust. Natürlich blieb das Mia nicht verborgen und sie lächelte ihn an. „Weißt du, wie schön das für mich ist, wenn ich merke, wie sehr du mich begehrst. Und das trotz meines absolut unförmigen Körpers.“

„Du bist nicht unförmig. Ich möchte nicht, dass du so etwas sagst.“ Julian ereiferte sich richtiggehend. „Du bist die Frau mit dem sexyest Babybauch of the world. Wirklich!“

„Du bist so süß. Ich möchte dich nur drücken.“ Mia drehte sich jetzt ganz zu ihm und nahm seinen Schwanz in die Hand. „Möchtest du auch in meinem Mund kommen?“ Sie wartete sein Nicken erst gar nicht ab, da hatte sie ihn schon zwischen ihren weichen Lippen und verwöhnte ihn ganz zärtlich, bis er in ihr kam. Und sie sah im dabei die ganze Zeit direkt in die Augen.

Julian wachte auf und hatte eine riesige Erektion. Er war so hart, dass es wehtat. Gleichzeitig überkam ihn aber auch ein ganz eigenartiges Glücksgefühl. Er spürte, dass er bebte. Gott, was würde er jetzt dafür geben, wenn dieser Traum Wirklichkeit werden würde.

Als aber die Tür aufging und Schwester „Penetranter Geruch“ hereinkam, verpuffte seine Geilheit.

5

Als Laura das kleine Lokal betrat, saß Charlotte schon an einem Tisch, ganz hinten, und winkte ihr. „Der Italiener“, wie sie dieses winzige Restaurant nannten, war genauso eine Institution, wie es das Jules Verne noch vor wenigen Monaten gewesen war. Laura hatte nur kurze Zeit nach Julians Unfall davon erfahren, dass es schon praktisch fix verkauft war und war damals aus allen Wolken gefallen. Für sie war das Jules Verne mehr als nur ein Lokal. Es war Julians Baby und sie war so etwas wie die Stiefmutter, aber die gute. Mathias und der Anwalt von Julian wickelten damals alles binnen kürzester Zeit ab und sie hatte nicht mal Zeit, eine Abschiedsparty zu organisieren. Sie hätte den Club auch weitergeführt, die Fähigkeiten dazu hatte sie zweifellos, aber Mathias hatte das alles ganz schnell entschieden. Seither war das Jules Verne geschlossen und der jetzige Besitzer, ein Wiener Lokaltycoon, ließ gerade umbauen. In zwei Monaten sollte es eine große Eröffnungsparty geben. Das alles interessierte aber Laura nicht mehr. Das Jules Verne war Julian und umgekehrt. Für sie war es immer mehr als nur ein Lokal, nur ein Club, nur eine Bar gewesen. Es war ein Statement für eine ganz besondere Zeit gewesen und hier hatte sie auch ihren Helden kennengelernt. Das war jetzt schon über zwei Jahre her. Sie hatte mit Julian im Krankenhaus ihren Jahrestag gefeiert. Die kleine Torte mit den zwei Kerzen drauf hatte sie anschließend wieder mit nach Hause genommen und sich in den Schlaf geweint. Der siebzehnte Jänner war ein besonders trauriger Tag. Sie hatte zufällig eine Unterhaltung mitgehört, die Mathias mit einem der behandelnden Ärzte geführt hatte. Und es ging darum, die Maschinen abzuschalten und Julian ruhig einschlafen zu lassen. Für immer. Sie war wie erschlagen und stellte Mathias kurz darauf zur Rede. Er erklärte ihr daraufhin, dass es sich bei dem Gespräch nur um eine grundsätzliche Information gehandelt hätte, und im Moment keiner daran dachte, die Maschinen abzustellen. Laura war aber nur schwer zu beruhigen. Als sie anschließend mit Julian „ihren Tag“ feierte, versuchte sie, ihm nichts anmerken zu lassen. Trotzdem wurde sie das Gefühl nicht los, dass er irgendetwas von ihrer Stimmung, ihrem völlig durcheinandergeratenen Innenleben mitbekam. Sie weinte auch wieder einmal nach langer Zeit an seinem Krankenbett. „Es ist nichts weiter“, versuchte sie seinem stumm daliegenden Körper zu erklären. Aber ihr Lächeln war nicht so, wie sonst immer. Als sie dann die zwei Kerzen anzündete, und ihm eine neue Ausgabe von Hemingways „Der alte Mann und das Meer“ auf das Nachtkästchen legte, entspannten sich ihre Gesichtszüge wieder. „Das ist für dich, mein Liebling. Ich werde dir heute gleich daraus vorlesen. „Paris, ein Fest fürs Leben“ nehme ich wieder mit und verwahre es vorweg bei mir. Wenn du wieder fit bist und ich dich mitnehmen kann, bekommst du es zurück.“ Sie küsste ihn zärtlich auf die Lippen und begann, ihm aus einem seiner Lieblingsbücher vorzulesen. „Du bist auch ein Kämpfer, Julian. Und du kommst zu mir zurück. Ich weiß es. Und niemand kann das verhindern. Ich verspreche es dir.“ Sie hatte wieder diesen trotzigen, kämpferischen Ausdruck in ihren Augen. Julian sagte immer, dass er diesen Ausdruck so liebte.

Solche Gedanken schwirrten durch ihren Kopf, als sie sich durch eine Traube von Yuppies zu Charlotte durchdrängte. Es war beschwerlich für sie. Alle grüßten sie – natürlich kannten sie sie vom Jules Verne – und obwohl schon fast ein halbes Jahr vergangen war, bedrängten sie sie mit Fragen über Julians Gesundheitszustand beziehungsweise ob eine Besserung in Aussicht sei. Sie wich den Fragen, so gut es eben ging, aus, und begnügte sich mit solchen Floskeln wie „er wird es sicher schaffen, er ist ein Kämpfer.“ Es war jedes Mal mühsam für sie, Menschen Auskunft zu geben, von denen sie wusste, dass Julian sie zu Jules Vernes Zeiten verabscheut hatte. Sie wollte nichts mit ihnen zu tun haben, wurde aber natürlich immer wieder, wenn sie sich in der Öffentlichkeit zeigte, damit konfrontiert.

Erschöpft ließ sie sich auf den Stuhl fallen und beugte sich vor zu Charlotte, um sie auf die Wange zu küssen.

„Ich komme mir manchmal wie ein Promi vor. Ich hasse das, wenn mich die Leute so belagern und zutexten und mich Julians Zustand betreffend ausfragen.“

„Na ja, er war hier sehr bekannt und bei vielen auch beliebt, wie mir scheint.“ Charlotte warf Laura schon wieder so einen eigenartigen Blick zu. Sie baggert mich doch tatsächlich an, dachte Laura, fast amüsiert. Charlotte hatte sich umgezogen und sah jetzt im Vergleich zu ihrem Krankenhausbesuch megascharf aus. Sie hatte ein wahnsinnig schönes, scharf geschnittenes Gesicht und war sehr dezent, aber sexy geschminkt. Außerdem trug sie eine hautenge Jeans und einen beigen Wollpulli, auch sehr anliegend, der ihren perfekten Körper betonte! Hier ist alles echt, dachte Laura.

Ihre langen, schlanken Beine steckten in hohen, schwarzen Lederstiefeln und selbst der strenge Dutt, der ihre brünette Haarpracht zusammenhielt, passte perfekt zu ihrem Äußeren. Sie war zwar nur ein paar Jahre älter als Laura, aber in ihrem Antlitz zeigten sich schon Spuren eines äußerst turbulenten Lebens. Sie hatte auch sehr schöne lange und top manikürte Finger, die naturgemäß Lauras Fantasie anregten. Julian hatte und hat natürlich auch wunderschöne Hände und Laura wusste, wie sie sich auf ihrem Körper anfühlten. Charlotte hatte die weibliche Version dieser perfekten Hände und Laura musste lächeln bei dem Gedanken, den sie gerade hatte.

„Warum lächelst du?“ Charlotte blieb es natürlich nicht verborgen und sie meinte, eine leichte Verlegenheit in Lauras Augen zu erkennen. „Ach, es war nichts Besonderes. Ich hatte nur gerade deine schönen Hände bewundert und hab mir dabei gedacht, wie sehr sie den Händen deines Bruders ähneln.“ Jetzt musste auch Charlotte schmunzeln. „Ja, und was seinen Körperkult anging, hätte er durchaus als Frau durchgehen können.

Er hat sich schon als Kind wahnsinnig gepflegt. Ich bin einmal als Kind ins Badezimmer geplatzt, als er sich gerade überall rasiert hat. Im Nachhinein gesehen war er immer seiner Zeit voraus.“

„Oh ja“, Laura stöhnte leise auf. Wie lange schon vermisste sie Julians Zärtlichkeiten. Und wie sie sie vermisste. In letzter Zeit streichelte sie sich wieder häufig selbst und verschaffte sich ein bisschen Entspannung. Sie dachte dabei immer an ihn und rief sich die vielen Liebesnächte und Vormittage und Nachmittage und auch Wochenenden in Erinnerung. Danach war aber immer diese schmerzliche Leere. Auch ihr Sozialleben war gegen Null abgedriftet. Sie traf sich kaum mit Freundinnen, Männer waren überhaupt tabu. Nicht einmal Joey, der es trotz immer wiederkehrender Absagen weiter versuchte, konnte sie dazu bewegen, am Wochenende wegzugehen. Zu tanzen, Spaß zu haben, einfach auf andere Gedanken zu kommen. Sie wusste, dass Julian nichts dagegen hätte, aber sie hatte einfach keine Lust dazu. „Hast du schon bestellt?“ Laura blickte sich nach einem Kellner um. „Nein, ich wollte auf dich warten. Zur Feier des Tages schlage ich aber vor, ein Glas Champagner zu trinken. Und ich möchte dich heute Abend einladen, sagte Charlotte bestimmend. Ich bestehe darauf.“

Laura nickte nur. Sie schälte sich aus ihrer Jacke und warf sie und den dicken Schal über den Stuhl neben ihr.

„Dann lass uns heute ein bisschen feiern. Ich hab es wirklich gewusst, Charlotte. Ich war felsenfest davon überzeugt, dass er wieder zu mir zurückkommt.“ Erschrocken sah sie jetzt Charlotte an. „Entschuldige, ich meine natürlich, zu uns zurückkommt.“

Charlotte legte ihr eine Hand auf die Wange. Sie fühlte sich heiß und sehr angenehm an. Fast ein bisschen zu angenehm. „Nein, nein! Du hast schon recht. Er ist zu dir zurückgekommen. Du hast ihn nie aufgegeben. Ich muss gestehen, ich habe mich manchmal dabei ertappt, alle Hoffnung zu begraben. Ich bin nicht nur einmal weinend von dir weggegangen und habe mir gedacht, dass er es nicht schafft. Du hast mir so unendlich leidgetan. Immer, wenn ich dir in die Augen gesehen habe, dachte ich, dass du von mir mehr Zuversicht erwartest. Ich war so zerrissen. Einerseits Julian, der irgendwie völlig leblos und selbst von manchen Ärzten schon aufgegeben, nur so dalag. Dann meine Scheidung, die ja noch immer andauert, wie der Hundertjährige Krieg. Papas Begräbnis, Muttis Zusammenbruch, die Probleme mit Felix, ein einziger Supergau!“

„Ich weiß, Charlotte. Ich habe dir auch nie Vorwürfe gemacht. Und in letzter Zeit hast du mir immer mehr beigestanden. Du bist mir eine gute Freundin geworden und ich bin echt froh darüber.“ Sie legte ihre Hand auf die von Charlotte und die zuckte kaum merklich zusammen.

„Es ist lange her, dass ich so weiche Hände auf den meinen gespürt habe. Damit hast du meinen Bruder sicher vollkommen verrückt gemacht.“ Laura zog ihre Hände wieder zurück. Eine Spur zu schnell vielleicht. Sie wusste noch nicht, ob die Richtung, die das Gespräch zu nehmen schien, ihr zusagte. Charlotte bemerkte ihre Unsicherheit, ging aber nicht näher darauf ein. Noch nicht. Der Kellner kam und sie bestellten vorweg zwei Gläser Champagner und wollten aber noch in Ruhe die Speisekarte studieren. „Ich könnte ein Pferd verspeisen“, sagte Charlotte und Laura musste lachen. „Ich bin auch wirklich hungrig und ich werde mir heute so richtig den Bauch vollschlagen.“ „Bestell alles, wonach dir ist. Nur keine Hemmungen.“ Nein, sie hatte keine Hemmungen, und als der Kellner den Champagner brachte, stießen sie auf Julian und den heutigen Abend an. „Und auf dich und Julian“, vervollständigte Charlotte. „Ich hab mir immer genau so eine Schwägerin gewünscht. Ich hab dich sehr lieb, Laura.“

6

Natürlich waren die beiden jungen Frauen die letzten Gäste. Antonio, der Geschäftsführer, brachte ihnen schon die dritte Runde Limoncello aufs Haus zum Tisch, gleichzeitig mit der Rechnung. Was einem höflichen, aber doch bestimmten Ciao gleichkam. Charlotte und Laura verstanden den Wink und standen auf.

„Ich glaube, wir sollten die Gastfreundschaft hier nicht überstrapazieren.“ Charlotte schmunzelte und ließ außerordentlich viel Trinkgeld liegen, bevor ihr einer der äußerst aufmerksamen Kellner in den Mantel half. Sie kam nicht einmal dazu, sich zu bedanken, da war er schon bei Laura und hielt ihr die Jacke hin. „Entweder sie wollen, dass wir ganz schnell verschwinden, oder sie sind wirklich nur unglaublich freundlich.“ Jetzt mussten beide lachen und Giuseppe, der kein Wort Deutsch sprach, sie folglich auch nicht verstand, lachte mit.

Es war kurz nach Mitternacht und als sie ins Freie kamen, empfing sie eine eisig kalte Nacht.

„Irgendwie ist mir noch nicht nach Alleinsein und nach Hause gehen“, platzte es aus Charlotte heraus und sie sah dabei Laura fragend in die Augen. „Felix ist bei seiner Oma und mich erwartet niemand.“

„Ich möchte aber auch noch nicht unbedingt allein sein und obendrein muss ich morgen nicht auf die Uni. Bin also offen für alles.“ Der letzte Satz war Laura einfach so rausgerutscht, aber sie hatte ihn nun einmal ausgesprochen. „Wenn du willst, Charlotte, dann rufen wir uns ein Taxi und ich mach uns noch bei mir eine gute Flasche Wein auf. Was hältst du davon?“ Charlottes Augen leuchteten, das konnte Laura trotz der Dunkelheit eindeutig erkennen. „Ich wollte dir gerade einen ähnlichen Vorschlag machen. Jetzt wo du es aber angesprochen hast, ist es mir doch lieber, wir fahren zu dir. Theoretisch wäre es möglich, dass Richard plötzlich dasteht, obwohl es natürlich praktisch ausgeschlossen ist. Seine Schlampe lässt ihn sicher nicht mehr in unsere Wohnung, obwohl sie ganz beruhigt sein könnte. Nicht einmal um viel Geld würde ich ihn zurückhaben wollen. Der übermäßige Alkoholkonsum trug sicher einiges zu der Wortwahl von Charlotte bei. Sie hatte sich schon während des Abendessens ziemlich ausgelassen über ihren Noch-Ehemann Richard und der Schlampe Svetlana, einer tschechischen Hure, wie sie immer wieder betonte. Richard hatte sie während seiner sehr häufigen Bordellbesuche kennen und lieben gelernt. „Lieben, dass ich nicht lache. Sie wird ihm das Gehirn rausgevögelt haben. Und wenn sie die ganze Kohle aus ihm rausgepresst hat, wird sie ihn einfach wieder abstoßen und einem anderen Idioten das Hirn rausficken.“ Solches und noch mehr in der Art hatte sie vom Stapel gelassen und sich den ganzen Frust von der Seele gesprochen. Zwischendurch erzählte Laura ein bisschen von Julian, hatte aber immer das Gefühl, dass ihr Charlotte gar nicht so richtig zuhörte.

Und jetzt war sie auch schon ziemlich betrunken, wie Laura bemerkte.

Gott sei Dank ließ sie das Taxi nicht lange warten und eine halbe Stunde später lümmelten sie schon gemütlich auf Lauras Couch und prosteten sich zu. „Auf uns Mädels und meinen auferstandenen Bruder, deiner großen Liebe.“ Der helle Klang der Gläser übertönte die leise Hintergrundmusik. „Ich hätte jetzt volle Lust auf eine Zigarette. Hab schon ewig nicht mehr geraucht. Hast du zufällig Zigaretten in deiner Wohnung?“ Charlotte war voll aufgedreht und drängte sich eng an Laura heran. „Ich hab noch ein Päckchen Zigarillos von Julian irgendwo hier. Ich selbst rauche auch schon sehr lange nicht mehr.“ Laura stand auf und ging zu ihrem Schreibtisch. Julians Moods lagen neben dem Foto, das sie beide zeigte. „Drei Stück sind noch da. Möchtest du?“ Charlotte nickte. „Ja, bitte schön. Eine kann nicht schaden.“ Laura setzte sich wieder zu ihr und betrachtete sie. Sie wollte gerade anmerken, dass ein Lungenzug eine denkbar schlechte Lösung wäre, da wurde Charlotte schon von einem gewaltigen Hustenanfall durchgeschüttelt. „Verdammt, ich hätte es besser wissen müssen“, sagte sie noch, bevor sie eine zweite Welle erfasste. Angewidert dämpfte sie den Glimmstängel aus und nahm einen kräftigen Schluck von ihrem Rotwein. „Ich glaube, es ist besser, ich bleibe nur beim Alkohol.“ Laura lächelte sie an und bekräftigte ihre Aussage mit einem Nicken. Und in das Nicken hinein, völlig aus dem Zusammenhang, fragte Charlotte plötzlich. „Hast du eigentlich schon einmal mit einer Frau geschlafen?“

7

 

Laura war weder überrascht noch ansatzweise schockiert. Irgendwie hatte sie auf so eine Frage fast gewartet. „Ja. Habe ich. Ist aber schon ein paar Jahre her. Während eines Sprachurlaubes in Südfrankreich. In Menton, um es genau zu sagen. Es war die Tochter der Familie, bei der ich vier Wochen gewohnt hatte. Sie war eindeutig lesbisch und ich so etwas von hetero. Laura musste bei der Erinnerung daran lächeln. Ich weiß es noch genau, als wäre es gestern gewesen. Sie hieß Coline und war unbeschreiblich hübsch. Und obwohl schon vierundzwanzig, lebte sie noch bei ihren Eltern, einem Ärzteehepaar. Sie war ebenso wie ich ein Einzelkind und es geschah an einem brütend heißen Sommertag im August. Ich war zarte siebzehn und fühlte mich im Vergleich zu Coline wie ein hässliches kleines Entlein. Obwohl sie mich vom ersten Tag an ansah, als wäre ich das hübscheste Geschöpf auf Erden. Mein Französisch war damals noch nicht ganz so gut, aber im Großen und Ganzen verstand ich alles und konnte mich auch einigermaßen gut ausdrücken. Ich wusste von der Neigung und sexuellen Orientierung Colines, und obwohl ich bis dahin noch keine diesbezüglichen Erfahrungen gemacht hatte, war ich doch ziemlich neugierig. Einmal überraschte ich sie, als sie sich von einer Freundin mit einem Kuss verabschiedete. Mit einem richtigen Kuss. Sie küssten sich dermaßen wild und leidenschaftlich, dass ich zwischen meinen Beinen ganz wuschig wurde. Und als Coline bemerkte, wie ich sie mit dieser Freundin vom Fenster meines Zimmers beobachtete, trieb sie ihr Spiel so richtig auf die Spitze. Immer wieder sah sie hoch zu mir, während sie sich förmlich verschlangen. Und wie gesagt, es passierte an diesem, auch für Südfrankreich unbeschreiblich heißen Tag im August. Colines Eltern waren für ein paar Tage verreist und wir hatten die riesige Villa für uns alleine. Ich lag nackt auf meiner Liege am Pool – das Grundstück war von einer mehrere Meter hohen Hecke völlig uneinsehbar und verleitete förmlich dazu, nackt herumzulaufen – und ich döste so vor mich hin. Zum Lernen war es eindeutig zu heiß, zum Lesen war ich zu müde, und so begnügte ich mich mit Dahindösen und immer wieder zur Abkühlung in den Pool zu springen.

Ich musste wohl kurz eingenickt sein, da spürte ich eine unglaublich weiche Hand, die sanft meinen Busen streichelte. Meine Brustwarzen waren schon ganz hart und ich wie gelähmt. Meine Augen versteckten sich unter einer dunklen Sonnenbrille und waren aber zusätzlich noch geschlossen. Dann hörte ich ihre Stimme. „Ma cherie, j’ai envie de toi.“ Das hätte ich auch ohne Französischkenntnisse verstanden und als ihre Lippen auf die meinen drängten, öffnete ich zuerst noch zaghaft meinen Mund und ließ es geschehen. Später erwiderte ich ihre Küsse und wir gaben uns bei circa vierzig Grad im Schatten gegenseitig hin. Es war ein einziger Rausch an Sinnlichkeit und wir schliefen anschließend fast, nein eigentlich jeden Tag, miteinander. Coline war meine erste, aber auch einzige Frau und ich habe es keine Minute bereut. Sie hat mir Dinge gezeigt, oh mein Gott, die ich erst wieder – auf eine andere Art natürlich – mit deinem Bruder erleben durfte.

Sie hat mich auch jede Sekunde spüren lassen, dass ich die schönste Frau bin, die begehrenswerteste, die sexyeste. So wie dein Bruder eben.“

Laura lächelte etwas verlegen. „Entschuldige. Es ist irgendwie komisch, dass ich vor dir so über Julian rede. Er ist ja immerhin dein Bruder.“

„Ist schon okay. Ich verstehe, was du meinst. Außerdem verrätst du mir ja keine Details. Das wäre dann vielleicht doch etwas komisch für mich.“ Charlotte ließ ihren Zeigefinger über den Rand des fast leeren Rotweinglases gleiten. Dabei sah sie Laura durchdringend an. „Magst du noch etwas Wein?“ Laura versuchte, die prickelnde Stimmung etwas zu entschärfen. „Ich habe es noch nie mit einer Frau gemacht. Nicht einmal geküsst.“ Sie rückte jetzt ein bisschen näher an Laura heran. Vielleicht sollten wir …? Ich meine, könntest du dir vorstellen, mit mir …? Ach Scheiße! Ich will endlich wieder ein gutes Gefühl haben … Und du bist so eine unglaublich attraktive und sinnliche Frau, dass es mir fast den Atem raubt.“

Laura nahm jetzt Charlottes Hände in die ihren und streichelte sie sanft.

„Charlotte, ich glaube nicht, dass das jetzt eine gute Idee wäre. Du bist zwar eine unglaublich schöne Frau, mit einem tollen Körper – soweit ich das sehen kann – kultiviert, gebildet, eigentlich alles was Mann beziehungsweise Frau sich wünschen kann.“ Lauras Blick war warm und höchst angenehm für Charlotte. „Aber es würde aus einer falschen Motivation heraus passieren. Glaube ich zumindest. Und du bist Julians Schwester. Es wäre definitiv nicht richtig für mich. Und glaube mir, genau aus dem Grund würdest du es irgendwann einmal bereuen.“

Charlotte sah sie lange an, drückte plötzlich ganz fest ihre Hände und … und fing hemmungslos an zu weinen. Die Tränen schossen nur so aus ihrem Gesicht und Laura fischte nach einem Taschentuch, das auf ihrem Couchtisch lag. „Ist ja gut, mein Schatz. Lass alles raus. Wie lange hältst du diese Tränen schon zurück?“

Sie nahm Charlotte in ihre Arme und streichelte ihren Rücken. „Es ist so schön, dass ich deine Freundin sein darf“, kam es nur stockend aus Charlottes Mund. „Bitte, bitte, sei mir nicht böse. Ich wollte auch nicht, dass ich dich in eine unangenehme Situation bringe. Ich wollte nur …“

„Ist schon okay, Charlotte. Also wenn ich nicht so sehr auf deinen Bruder fixiert wäre, wäre ich schon lange über dich hergefallen. Und wer weiß, vielleicht ergibt sich einmal eine Gelegenheit, wo wir uns nicht mehr zurückhalten können und uns unserer Leidenschaft hemmungslos hingeben.“

Sie mussten nach diesem eindeutigen Statement beide herzlich lachen und Laura küsste ihr die Tränen von den Wangen. „Geht’s schon los?“, lachte Charlotte in die Kussorgie hinein und drückte Laura ganz fest an ihren Körper. Ihr Herz schlug so schnell, dass Laura Angst hatte, es würde gleich rausspringen und lustig durch die Wohnung hüpfen.

„Ja, bitte. Ich möchte noch etwas Wein. Und ich werde meinem Bruder irgendwann erzählen, dass er mir wahrscheinlich mein tollstes sexuelles Erlebnis versaut hat. Und das ohne sein Wissen. Danke schön, Bruderherz. Ich liebe dich trotzdem.“

Laura lächelte, während sie den Wein nachschenkte.

8

„Du kannst aber trotzdem hier schlafen, wenn du nicht in deine leere Wohnung möchtest. Die Couch kann man ausziehen und ich mache dir ein gemütliches Bett daraus.“

„Danke, das Angebot nehme ich gerne an. Die Vorstellung, jetzt in die kalte Nacht raus zu müssen, hätte mich nicht gerade glücklich gemacht.“

Sie tranken die Flasche Wein noch aus, dann bereitete Laura das Bett für Charlotte vor und zog sich ins Badezimmer zurück. Unter der Dusche ließ sie den Tag Revue passieren. Es war schon der pure Wahnsinn, was nicht alles passiert war. Wobei Julians Rückkehr ins Leben, in ihr Leben, das aufsehenerregendste Erlebnis war. Charlotte hatte ihre Familie verständigt und sie seine besten Freunde. Allen voran natürlich Jerome und Marko, die sofort ins Krankenhaus eilten, aber zu ihrer großen Enttäuschung nur einen schlafenden Julian vorfanden. Ein Bild, das sich nur unwesentlich von dem der vergangenen Monate unterschied. Mit Jerome, aber auch mit Marko, Harry, Sebastian, Bernd und Jonny, war sie immer in Kontakt geblieben und hatte ihnen auch immer wieder berichtet. Leider nie irgendetwas Positives, Aufbauendes. Bis heute, eigentlich gestern, denn es war bereits nach zwei Uhr in der Früh. Als sie aus der Dusche stieg, kam, wie nicht anders zu erwarten, Charlotte ins Badezimmer und sah Laura in ihrer ganzen Pracht. Nackt und mit vom Solarium zart gebräunter Haut. Sie war wunderschön anzusehen und Charlotte zeigte ihr Entzücken auch ganz unverhohlen und offen. „Wow! Was bist du nur für eine schöne Frau. So einen makellosen Körper werde ich nie haben. Es ist wirklich eine Gemeinheit, dass Gott, oder wer auch immer, manchen alles Schöne mitgibt und den anderen nur was sonst noch an Geschenken übrigbleibt. Ich zum Beispiel habe fast so schön geformte, feste Brüste wie du – und ich bin auch stolz darauf – aber so einen flachen Bauch werde ich auch nicht bekommen, wenn ich jeden Tag wie eine Verrückte trainiere. Das muss schon auch an den Genen liegen.“

„Du kannst gleich duschen“, sagte Laura etwas verlegen wegen des ganzen Lobes und schlüpfte rasch in ihren weißen Bademantel, der nicht nur flauschig und weich aussah, sondern auch war, wie Charlotte bemerkte, als sie ihn berührte. „Ich bring dir noch ein T-Shirt und ein Höschen von mir, damit du es bequem hast beim Schlafen“, sagte Laura im Hinausgehen und war froh, wieder aus dem Badezimmer raus zu sein.

Als sie ihr die Sachen hineinbrachte, stand Charlotte noch unter der Dusche und ließ sich von den heißen Wasserstrahlen verwöhnen. Laura konnte durch das matte Glas die Silhouette ihres Körpers erkennen und war wirklich angetan, vor allem von den Brüsten, die sie mit zärtlichen Bewegungen massierte.

Unter anderen Umständen, dachte sie, wäre ich vielleicht zu ihr unter die Dusche gestiegen, und dann hätte ich mich um diesen Busen gekümmert und ihre mit Sicherheit ganz glatt rasierte Muschi.

Sie verspürte ein leichtes Ziehen zwischen ihren Schenkeln und vertrieb diese Gedanken.

„Ich gehe jetzt schlafen, Charlotte. Gute Nacht. Eine Gästezahnbürste liegt auf dem Waschtisch.“ „Schlaf du auch gut und danke für alles“, hörte sie noch beim Schließen der Badezimmertür.

Als sie sich nackt in ihr am Vortag frisch bezogenes Bett fallen ließ, erfasste sie eine bleierne Müdigkeit. War schon ein anstrengender Tag, dachte sie, bevor sie der Schlaf zur Strecke brachte und sie in einen wunderschönen Traum verfiel.

Julian saß ganz alleine an einem völlig einsamen Strand. Er trug nur so eine Art Lendenschurz und starrte aufs Meer hinaus. Der Sand war aber nicht weiß, sondern schwarz. In der Ferne konnte man anfänglich winzig klein, dann immer größer werdend ein weißes Segelboot erkennen. Das Meer war völlig ruhig und hatte mehrere Farbschattierungen, von graublau, über grünblau bis dunkelblau, fast schwarz. Als das Boot nur mehr vielleicht hundert Meter vom Strand entfernt war, warf die einzige Person, die an Bord zu sein schien, den Anker und sprang ins Wasser. Mit kräftigen Kraulbewegungen kam sie immer näher und stieg schließlich wie eine Meerjungfrau, deren Schwanzflosse sich in zwei Beine verwandelt hatten, aus den Fluten. Sie war nackt und das Strahlen in ihren Augen machte der vom Himmel brennenden Sonne alle Konkurrenz. „Ich hab nie daran gezweifelt, dass du dich retten hast können und nicht aufgehört, dich zu suchen“, sagte sie und ließ sich in seine Arme fallen. „Und ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, dass du mich eines Tages finden wirst. Danke, dass du mich nicht aufgegeben hast. Danke, Laura.“

9

Es grenzte wirklich an ein Wunder, was so alles bei Julian ablief. Gestern noch ein Komapatient, bei dem es nach ärztlichem Ermessen kaum eine Chance auf Rückkehr ins Leben gab. Heute ein völlig verwandeltes Bild. Julian hatte nur mehr eine Flüssigkeitsinfusion im Arm stecken. Ansonsten wirkte er wie ein Patient, der einfach nur sehr lange geschlafen hatte und jetzt erst einmal ein kräftiges Frühstück brauchte. Das mit dem Frühstück war natürlich ein Scherz, aber er schenkte der Krankenschwester, die sich ganz rührend um ihn kümmerte, bereits ein Lächeln. Sein Lächeln, das in seinem früheren Leben die Frauen so verzückte.

Seine Mutter und seine beiden Brüder waren im Zimmer, während die Schwester ihre Arbeit verrichtete.

„Jetzt bin ich froh, dass ich den Stecker nicht gezogen hab“, versuchte Mathias einen Scherz und erntete von seiner Mutter einen vernichtenden Blick. „Das ist absolut nicht lustig. Kannst du dich nicht einmal jetzt benehmen. Was haben euer Vater und ich nur alles falsch gemacht?“