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Mia Sanchez

Herz, Kuss, Liebe

Valentinstag in Freedom Falls





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Der 7. Februar

 

 

Natascha trat die Bremse durch und schlug das Lenkrad hastig nach rechts ein. 

»Verdammt, Sara ... Ich habe mich schon wieder verfahren.«

»Nicht verzweifeln, Nati«, drang Saras Stimme aus der Freisprecheinrichtung, »du biegst einfach bei der nächsten Möglichkeit rechts ab, bei der übernächsten Kreuzung fährst du links, dann immer geradeaus, danach nimmst du die dritte Ausfahrt und hältst dich leicht rechts. Und dann musst du nur noch-«

»Ja, ja ... alles klar, Sara«, unterbrach Natascha die Wegbeschreibung ihrer Freundin, »ich frage dich einfach nochmal, falls ich mich wieder verfahren sollte. Zum Glück habe ich die Heizung meines kleinen Käfers doch noch reparieren lassen, so muss ich wenigstens nicht frieren, während ich mich zu dir in dieses Kaff quäle.«

»Tja, bei so einem Spontanbesuch muss es einfach eine Menge glücklicher Zufälle geben, Nati. Ich würde ja nie ... und dann auch noch so spontan ... solche Reisen gehören genau geplant.«

Natascha setzte den Blinker und bog rechts ab. 

»Hey, immerhin bist du ganz spontan nach Freedom Falls gezogen, meine liebe Sara. Also, werde ich dich als eine deiner besten Freundinnen, auch ganz spontan besuchen kommen dürfen.«

Erklärst du mir bitte nur nochmal ganz kurz«, räusperte sich Sara, »warum du ausgerechnet in dieser Woche deinen spontanen Besuch in die Tat umsetzen musst?«

Sara klang ein klein wenig verärgert, wobei sie versuchte, die Ruhe selbst zu sein, so wie es für Sara üblich war. Klar passte es Sara nicht in den Kram, dass Natascha gerade um den Valentinstag bei ihr in Freedom Falls aufschlug und so die neugewonnene Zweisamkeit mit Saras großer Liebe störte. Sie war erst vor Kurzem zu ihm gezogen und die beiden befanden sich noch in der Flitterwochenphase ihrer Beziehung. 

»Ich habe mir ehrlich gesagt darüber keine Gedanken gemacht. Ich habe einen Blick in meinen Terminkalender geworfen und es passte einfach gerade«, flunkerte Natascha.

»Bist du dir sicher, dass es nichts mit Valentinstag zu tun hat und, dass du die Einzige von uns vieren bist, die ihn ganz alleine verbringen wird?«, hakte Sara nach.

»Erstens, damit hat es bestimmt nichts zu tun«, rechtfertigte sich Natascha, während sie die dritte Ausfahrt nahm, »und zweitens, bin ich nicht die Einzige. Leonie hat doch auch gerade keinen Freund.«

»Aber bei Leonie ist das nichts Neues. Sie kommt super damit zurecht. Du hingegen ... naja ... sei mir nicht böse, Nati. Aber ich glaube, du spielst uns nur den überzeugten Single vor. Und tief in dir grummelt es ganz schön. Du sehnst dich nach Liebe.«

»Saraaa«, warnte Natascha, »ich lege gleich auf.«

»Mach ruhig, ich kann dich sowieso schon sehen«, sagte Sara freudig. Gleichzeitig drosselte Natascha das Tempo. Denn direkt vor ihr, mitten auf der Straße, stand eine grinsende Sara und winkte ihr mit hochgereckten Armen zu.

Natascha nahm sich nicht die Zeit das Gespräch zu beenden, sie stieg hastig auf das Bremspedal, hüpfte aus ihrem kleinen Stadtflitzer und lief auf ihre Freundin zu. Sie schloss Sara in die Arme und drückte sie, so fest sie konnte. 

»Es tut so gut dich zu sehen«, bestätigte Sara, dann deutete sie auf einen freien Parkplatz. »Dort drüben kannst du parken, ich helfe dir deine Sachen ins Haus zu tragen. Ich mache uns gleich eine Kanne Tee und dann kannst du mir alles in Ruhe erzählen. Andreas ist noch bei der Arbeit, also haben wir genügend Zeit zum Plaudern.«

»Aber, es gibt doch nichts zu erzählen«, versuchte es Natascha erneut. Doch Sara schüttelte nur den Kopf. 

»Ach, Nati ... ich sehe dir doch an, dass es dir nicht gut geht. Du weißt doch, du kannst mir einfach alles erzählen.«

Natascha nahm wieder auf dem Fahrersitz ihres maroden VW Käfers Platz und manövrierte ihn in die viel zu enge Parklücke. Sara deutete ihr dabei und versuchte sie einzuweisen. Natascha befolgte Saras Gewinke, doch ihre Fuchtelei stellte sich als kontraproduktiv heraus. Denn kaum hatte sie sich eine Spur weiter links gehalten, genauso wie von Sara vorgegeben, krachte sie gegen das Auto auf dem benachbarten Parkplatz.

»Nichts passiert!«, rief Sara, senkte jedoch sofort die Arme. 

»Bist du dir sicher?«, fragte Natascha durch das heruntergekurbelte Fenster. 

Sie beschloss, Sara zu ignorieren und fertig einzuparken. Nachdem sie endlich genau in der Mitte der winzigen Parklücke stand, holte sie tief Luft und stieß die Fahrertür auf. Dabei knallte die Tür natürlich erneut gegen das schon beschädigte Auto. Dieser Parkplatz war einfach viel zu eng.

»Kaum zu glauben, dass ihr in Freedom Falls so einen akuten Parkplatzmangel habt«, murmelte Natascha, während sie ihr Gepäck aus dem Kofferraum kramte und es Sara in die Hände drücke. Dann schlich sie eine Runde um das fremde Auto, wobei sie sich stückchenweise daran vorbei quetschen musste, weil die Fahrzeuge viel zu dicht aneinander standen. Es handelte sich bei diesem Wagen um ein Sondermodell. 

»Das ist ja der neue Tessler«, staunte Natascha »reiner Elektroantrieb mit hoher Reichweite. Wer in diesem Kaff kann sich denn so einen leisten?«, wunderte sie sich.

»Wahrscheinlich ein Tourist. Du weißt ja, dass hin und wieder Prominente ihren Urlaub hier verbringen«, erklärte Sara stolz.

»Nur weil der Wettermann von Kanal 5 hier war, heißt das noch lange nicht, dass sich auch echte Prominente in dieses Dorf verirren«, neckte Natascha ihre Freundin, wobei sie Gänsefüßchen in den Himmel malte, als sie von echten Prominenten sprach. 

»Es wohnen doch sogar echte Prominente hier«, antwortete Sara, die die Ironie in Nataschas Stimme wohl nicht bemerkt hatte.

»Ja, ja ... ich weiß. Rebecca S. George-«

»Und sie ist wirklich nett. Stell dir vor, ich habe neulich beim Einkaufen ein paar Worte mit ihr gewechselt.«

Natascha lächelte sie zufrieden an, während Sara von dem Gespräch mit der Kleinstadt-Reporterin schwärmte. Sie hatte ihre Freundin wirklich sehr vermisst. Es war kaum zu glauben, dass ausgerechnet die bodenständige und prüde Sara einfach so die Stadt verlassen hatte, und ins Niemandsland gezogen war. Was die Liebe alles anrichten konnte ... für Natascha ein unerklärliches Rätsel. Sie hatte sich noch nie dermaßen verliebt, dass sie ihr ganzes Leben freiwillig komplett auf den Kopf gestellt hätte. Und auch ihrer Freundin Sara hätte sie so eine unüberlegte Aktion niemals zugetraut. Aber dieser Andreas brachte eine bisher unbekannte Seite von Sara zum Vorschein, die Natascha überraschte. 

Sara stellte ihre Taschen ab und machte sich gleich daran den Tee aufzusetzen.

»Du kannst dich einstweilen gerne umsehen, das Haus ist nicht gerade riesig, du wirst dich also mit Sicherheit nicht verlaufen«, scherzte Sara. »Das linke Zimmer ist übrigens das Gästezimmer, in dem würden wir dich einquartieren, wenn es dir passt. Aber wenn du möchtest kann ich auch gerne im Hotel anrufen und ein Zimmer für dich buchen. Dasselbe Zimmer wie zu Weihnachten? Das wäre doch irgendwie witzig ...«

Saras Stimme wurde immer leiser, als Natascha durch das restliche Haus schlenderte. Es handelte sich um eine massive Blockhütte, sehr rustikal eingerichtet, genauso wie man diese Art von Häusern aus Filmen her kannte. Erneut wunderte sich Natascha, dass Sara ihre wirklich süße Wohnung in der Stadt aufgegeben hatte, um hierher zu ziehen, in dieses unkomfortable Knusperhäuschen mitten im Nirgendwo. Natascha war im Vergleich zu Sara eine Träumerin, jedenfalls dachte sie das bisher. Doch anscheinend hatte sich das Blatt gewendet und nun war es Sara, die Fantasien hinterher schmachtete und Natascha diejenige, die fest auf dem Boden der Tatsachen stand.

Auf einem Regal entdeckte sie ein Foto von Sara und Andreas, das in einem liebevoll, von Hand verziertem, Bilderrahmen steckte. Sara saß auf den breiten Schultern ihres Freundes und hielt sich mit den Händen an seinen kräftigen Unterarmen fest, die er ihr entgegenstreckte. Auch diese Ausgelassenheit, die dieses Foto ausstrahlte, sprach nicht für die Sara, die Natascha aus der Stadt kannte. 

»Dieses Bild hat Melody geschossen, einen Tag vor Silvester, erinnerst du dich?«

Natascha war so in Gedanken versunken gewesen, dass sie Saras Anwesenheit erst jetzt bemerkte. 

»Es war wirklich eine tolle Woche. Gut, dass wir unseren Mädels-Winterurlaub doch noch verlängert hatten«, sprach Sara weiter. 

»Ja ... es war ein echt netter Urlaub. Aber an diesen Moment kann ich mich gar nicht erinnern«, sagte Natascha nach kurzem Nachdenken.

»Ach, stimmt ja. Du warst ja ständig mit diesem Barmann aus dem Hotel beschäfigt. Da hast du einiges nicht mitbekommen«, grinste Sara. »Wie hieß der noch?«

»Sepp«, antwortete Natascha gedankenverloren. »Sein Name war Sepp, wenn ich mich richtig erinnere.«

»Diese Sepp war nett«, kicherte Sara über ihren kleinen Reim.

»Ein Urlaubsflirt, weiter nichts.« Natascha stellte den Rahmen wieder zurück auf das Regal. »Ich glaube, es wäre mir sogar peinlich, ihn wiederzusehen. Deshalb wird es auch nicht nötig sein, mich wieder in dem Hotel unterzubringen. Ich bleibe gerne bei euch.«

»Wir haben aber nur ein Badezimmer«, sagte Sara und deutete auf die Tür den Flur hinunter.

»Auch das werden wir überleben«, lachte Natascha.

»Es ist schön, dich lachen zu hören«, warf Sara ein, »das ist das erste Mal seit du hier bist.«

Ihre Freundin machte sich sichtlich Sorgen um sie. Es fiel Natascha schwer, Sara nicht sofort alles zu erzählen, doch sie beschloss, ihre Gedanken für den Moment lieber für sich zu behalten. Die Fahrt in dieses Kaff hatte durch die Irrfahrt hierher wesentlich länger gedauert als erwartet und Natascha spürte jeden einzelnen Knochen in ihrem Körper. Sie hätte sich wohl doch besser ein Auto mieten sollen, anstatt mit ihrem zwanzig Jahre alten Käfer so eine Weltreise auf sich zu nehmen. 

Auch beim Tee führte sie mit ihrer Freundin Smalltalk und verheimlichte ihr weiterhin den wahren Grund für ihren Besuch. Noch bevor Andreas nachhause kam, verkroch sich Natascha unter dem Vorwand, sie sei müde und wolle sich hinlegen, in dem kleinen Gästezimmer, ohne eigenes Badezimmer.

Sie packte ihre Taschen aus und bemerkte zuerst nicht, dass die Postkarte, von der sie sich nicht erinnern konnte, dass sie sie überhaupt eingepackt hatte, auf den Boden gesegelt war. Sie bückte sich danach und betrachtete das kleine Stück Karton aufmerksam. Auf der Vorderseite war ein Panoramabild von Freedom Falls abgebildet, das in weihnachtlicher Atmosphäre erstrahlte. Auf der Rückseite stand nur ein kurzer Text in krakeliger Schrift. 

Nur die Worte: 

Gutschein für einen Wellnesstag 

In meinen Armen.

In freudiger Erwartung, 

Dein Sepp

Der Poststempel zeigte, dass die Karte bereits Anfang Januar abgeschickt worden war. Doch die Post schien sie verschlampt zu haben, denn die Postkarte war erst vor einigen Tagen unter Nataschas Tür durchgeschoben worden. Sie tippte auf einen ihrer Nachbarn, der die Karte irrtümlich erhalten und vergessen hatte, sie ihr zu übergeben. Doch in Wahrheit machte es keinen Unterschied, denn Natascha hätte sowieso nicht auf Sepps Einladung reagiert. Den Gutschein einzulösen hatte sie auch jetzt nicht vor. Andererseits musste sie zugeben, dass der Erhalt der Karte der wahre Grund dafür war, warum sie nach Freedom Falls zurückgekehrt war.