Cover

Inhaltsverzeichnis

Titel

Informationen zum Buch

Impressum

Widmung

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Epilog

Dank

Weitere humorvolle Urban Fantasy

 

Miriam Rademacher

 

 

Banshee Livie

Band 2: Weltrettung für Fortgeschrittene

 

 

Fantasy

 

Banshee Livie (Band 2): Weltrettung für Fortgeschrittene

Kaum hat Livie sich mit ihrem Tod arrangiert und in ihrem Job als Banshee eingefunden, da gerät alles um sie herum wieder aus den Fugen.

Eine tödliche Gefahr bedroht nicht nur ihre Freunde, sondern die ganze Welt. Und so stürzt sich Livie in ihr nächstes Abenteuer und stellt sich mutig ihrem gefährlichen Gegner.

Doch diesmal hat sie sich mit der Zeit selbst angelegt und die lässt nicht mit sich handeln …

 

 

 

Die Autorin

Miriam Rademacher, Jahrgang 1973, wuchs auf einem kleinen Barockschloss im Emsland auf und begann früh mit dem Schreiben. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Osnabrück, wo sie an ihren Büchern arbeitet und Tanz unterrichtet. Sie mag Regen, wenn es nach Herbst riecht, es früh dunkel wird und die Printen beim Lesen wieder schmecken. In den letzten Jahren hat sie zahlreiche Kurzgeschichten, Fantasyromane, Krimis, Jugendbücher und ein Bilderbuch für Kinder veröffentlicht.

www.sternensand-verlag.ch

info@sternensand-verlag.ch

 

1. Auflage, Januar 2018

© Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2018

Umschlaggestaltung: Juliane Schneeweiss

Lektorat: Sternensand Verlag GmbH | Martina König

Korrektorat: Jennifer Papendick

Satz: Sternensand Verlag GmbH

 

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

ISBN-13: 978-3-906829-69-2

ISBN-10: 3-906829-69-2

 

 

 

 

 

Dieses Buch ist allen gewidmet, die schon auf Livies zweites

Abenteuer gewartet haben. Lest los!

Prolog

 

London, in einer lauen Mainacht

 

Die Sonne war untergegangen und die Hauswand, an der er lehnte, strahlte nur noch einen Rest gespeicherter Wärme ab. George fühlte, dass es Zeit wurde, sich ein Quartier für die Nacht zu suchen. Er warf einen prüfenden Blick in seinen Kaffeebecher, drehte ihn mit der Öffnung nach unten und ließ die Münzen in die hohle Hand fallen. Heute war kein guter Tag gewesen.

George lebte seit elf Jahren auf Londons Straßen, hatte die fünfzig und all seine Illusionen hinter sich gelassen und damit auch Seife, saubere Kleidung und den unangenehmen Zustand der Nüchternheit. Alles, was er von diesem Leben noch erwartete, passte in eine Schnapsflasche.

Sein Rücken schmerzte, als er sich von der Wand abdrückte und die ersten Schritte seit vielen Stunden tat. Er wurde wirklich zu alt für dieses Leben. Am liebsten hätte er sich direkt auf der nächsten Bank zusammengerollt, egal ob in der U-Bahn-Station oder im Park. Doch vorher wollte er jemandem einen Gefallen tun. Keine große Sache. Er brauchte nur durch ein paar Straßen zu laufen und dabei darauf zu achten, ob ihm irgendetwas seltsam erschien.

Die nette Rothaarige hatte sich ziemlich vage ausgedrückt. Er sollte darauf achten, ob er plötzlich fröre, Beklemmung oder gar Angst empfände oder es um ihn herum seltsam roch. Ein Geruch wie von schmutzigen, feuchten Lappen, so hatte sie sich ausgedrückt. Wenn ihm etwas in der Art auffiele, sollte er sie sofort informieren.

George mochte die Rothaarige, und auch den kleinen Bengel, der immer an ihrem Rockzipfel hing. Der Kleine warf ihm gelegentlich ein paar Pence in seinen Kaffeebecher.

Aber häufig konnte er den beiden ansehen, dass sie vor irgendetwas Angst hatten. Also tat er ihr den kleinen Gefallen, ein wachsames Auge auf die Straßen nahe ihrer Wohnung zu haben. Obwohl er auch schon die Möglichkeit in Betracht gezogen hatte, dass sie einfach nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte.

Schmutzige, feuchte Lappen. George selbst roch wie ein schmutziger alter Lappen, wie hätte er da so etwas in seiner Umgebung wahrnehmen sollen?

Mit schmerzendem Kreuz und schlurfendem Schritt absolvierte George seinen Kontrollgang. Nichts fiel ihm auf. London roch wie immer, hörte und fühlte sich an wie immer, ja es klang sogar wie immer. Die Rothaarige konnte ganz beruhigt sein.

Sein Magen knurrte und er beschloss, sich zu beeilen. Mit etwas Glück konnte er im Obdachlosenheim eine warme Mahlzeit abstauben. Eine der älteren Frauen, die dort ehrenamtlich die Suppe ausgaben, hielt oft noch nach Sonnenuntergang die Stellung.

Ein kalter Wind fuhr George durch das fettige schüttere Haar, durchdrang seine Kleidung und ließ ihn frösteln.

Wie eigenartig.

Er kratzte sich das stoppelige Kinn. Der Mai war dieses Jahr bisher sehr warm gewesen. Die Nächte waren seit einigen Tagen erträglich, doch jetzt schien es George, als wolle der Frühsommer eine Pause einlegen. Er erschauerte und spürte die Gänsehaut auf seinen Armen.

Plötzlich erschien ihm die Nacht dunkel und unfreundlich. Außerdem stank es in dieser Straße. Einfach widerlich. Schimmelig, muffig und irgendwie … Georg konnte es nicht beschreiben.

Da hörte er etwas. Ein Geräusch, das ihn entfernt an einen schnüffelnden Hund erinnerte.

Ihm fielen die Worte der Rothaarigen wieder ein. War es das, was sie gemeint hatte? Dann war es an der Zeit, ihr Bescheid zu geben. Ihre Wohnung lag gleich um die Ecke.

Er schob die Fäuste in die Manteltaschen, den Kopf tief in den Kragen und beschleunigte seine Schritte. Für den Fall, dass ihm etwas auffiel, hatte die Rothaarige ihm eingeschärft, nicht stehen zu bleiben, sondern schnell weiterzugehen, und er wollte ihren Rat befolgen. Nicht zuletzt wegen der Beklommenheit, die jetzt von ihm Besitz ergriffen hatte.

George ging noch schneller. Doch als er um die nächste Ecke bog, war ihm, als würde eine Welle eiskalten Wassers über ihn hinwegspülen. Erschrocken riss er den Mund auf, doch er konnte nicht mehr atmen. Es schien, als würde die Luft um ihn herum zäh wie Honig. Ein plötzlicher Nebel trübte seine Sicht.

George rang nach Atem, doch die zähe Masse füllte seinen Mund aus, kroch ihm in den Hals und erstickte den aufsteigenden Angstschrei im Keim. Hilflos ruderte er mit den Armen, aber seine Bewegungen waren von erschreckender Trägheit und er fühlte sich vollständig eingehüllt von einer klebrigen Substanz.

Noch zweimal versuchte George, Sauerstoff in seine Lungenflügel zu pumpen, dann schwanden ihm die Sinne.

Augenblicke später lag die dunkle Straße verlassen da. Nichts erinnerte an das, was sich gerade hier ereignet hatte. Von George war keine Spur geblieben.

 

Nur drei Häuser weiter stand Millicent Harrowmore am Fenster eines fast gänzlich unmöblierten Zimmers. Die Arme schützend um den Körper geschlungen, blickte sie hinaus in die Nacht. Sie, die schon immer schlank gewesen war, wirkte mager und knochig in ihrem verwaschenen T-Shirt und der ausgeleierten Sporthose. Tiefe Schatten lagen um ihre Augen und das lange rote Haar wirkte ungepflegt und spröde.

Sie litt seit Wochen unter Schlaflosigkeit. Jede Nacht wälzte sie sich auf der durchgelegenen Matratze in der Ecke des Zimmers hin und her und wartete auf den Schlaf. Doch er kam nicht. Die ständige Angst vor ihren Verfolgern ließ sie nicht zur Ruhe kommen, ließ sie immer wachsam sein und trieb sie jede Nacht an das Fenster.

Jetzt stand sie wieder hier und blickte voller Entsetzen auf die Gestalt hinab, die reglos unter ihr im Hof stand. Das graue Wesen verschmolz fast mit den Schatten der nächtlichen Großstadt. Doch es war da, gleich neben den überquellenden Abfalleimern, gehüllt in graue, fadenscheinige Tücher. Selbst das Gesicht war verschleiert und die Silhouette erschien ihr seltsam verzerrt.

Das Ding glich einem Aussätzigen, der sein entstelltes Äußeres zu verbergen versuchte. Jedes Lebewesen, das sich der mehr als zwei Meter großen Gestalt näherte, musste sehen und spüren, dass hier etwas Fremdes den Weg in die zivilisierte Welt gefunden hatte. Alles an dieser Gestalt war abstoßend, ihre gleitenden Bewegungen ebenso sehr wie ihr strenger Geruch. Am ungewöhnlichsten jedoch war das Geräusch, welches das Wesen machte.

Es schnüffelte.

Wie ein Jagdhund vor dem Kaninchenbau schnüffelte sich die graue Gestalt durch die Gerüche des Hinterhofs. Und ihr Geruchssinn war hervorragend. Sie roch das Gesuchte zwischen Bratenfett, verdorbenem Obst, frischer Wäsche und Autoabgasen.

Millie wusste genau, wer gesucht wurde. Der, der nicht hier sein durfte. Und jetzt waren sie ihm ganz nah. Das graue Ding wollte ihn finden und vernichten, denn er durfte nicht überleben.

Diese Gestalt hier unter dem Fenster und viele andere seiner Art folgten Millie und ihrem Schützling schon seit Wochen. Wie bei einem Ameisenstamm war es zunächst nur eine gewesen, die irgendwo in der Nähe ihrer Unterkunft aufgetaucht war. Dann aber kamen mehr und mehr und immer wieder blieb ihr nur die Flucht. Sie wusste nicht viel über diese grauen Gestalten, aber doch genug, um sie zu fürchten.

Ein Geräusch ließ sie herumfahren. Hinter ihr, auf dem kalten Fliesenboden, stand ein etwa zwölfjähriger Junge mit verstrubbeltem blonden Haar, nur bekleidet mit einem zu kurzen Micky-Maus-Schlafanzug.

Verschlafen rieb er sich die Augen und flüsterte: »Sie sind hier, nicht wahr? Sie haben uns schon wieder gefunden.«

Millicent erwog kurz, den Jungen, der jetzt ernst zu ihr aufblickte, zu belügen. Dann aber nickte sie und presste die Lippen grimmig aufeinander.

»Werden wir also wieder davonlaufen?«, fragte der Junge. In seiner hohen Stimme schwangen Verzweiflung und Angst mit, während er die nackten Füße übereinanderstellte, um so wenig Kontakt wie möglich mit den kalten Fliesen zu haben.

Sie nickte erneut. »Das werden wir, Liam. Hab keine Angst. London ist groß und England und der Rest der Welt noch viel größer. Wir können ihnen noch jahrelang davonlaufen. Und wenn wir überall gewesen sind, fangen wir von vorn an. Sie werden uns niemals kriegen, das schwöre ich.«

Mit diesen Worten zog sie den Jungen an sich und vergrub ihr Gesicht in seinem Haarschopf. Tief sog sie den Duft seines Shampoos ein. Sie musste ihn von hier fortbringen, und das so schnell wie möglich. Sonst würde es für ihn keine Rettung geben.

Kapitel 1

 

Mit einem breiten Lächeln stand ich auf den Zinnen von Schloss Harrowmore und blickte hinunter in die üppigen Gärten. Es war Mai und die Sonne strahlte vom blauen Himmel auf blühende Beete hinab. Sie ließ das Wasser kleiner Teiche kristallen glitzern und spiegelte sich in den Scheiben der Gewächshäuser. In der Ferne erhoben sich sanfte Hügel mit altem Baumbestand, unter dessen starken Ästen der Twinklebach lustig seines Weges plätscherte. Sogar hier oben roch es schwach nach Gänseblümchen und trockenem Gras.

Schloss Harrowmore selbst, ein riesiger Klotz, der die Baustile aller Epochen in sich vereinte, erhob sich in der Mitte dieses verwunschenen Tales in seiner ganzen protzigen Pracht.

Und all das war mein. An Tagen wie diesen, an denen ich mir der Schönheit dieses Erdfleckchens bewusst wurde, war ich wahnsinnig glücklich darüber, hier sein zu dürfen, und sehr stolz auf den ganzen Besitz.

Plötzlich fiel mir eine Szene aus einem meiner Lieblingsfilme zu meinen Lebzeiten ein und ich trat ganz nah an die von Wind und Wetter gefurchten grauen Zinnen, reckte das Gesicht der Sonne entgegen, riss die Arme empor und rief: »Ich bin der König der Welt!«

Einen Augenblick lang verharrte ich in dieser unvergleichlichen Pose und fühlte mich großartig. Bis ich hinter mir ein gekünsteltes Hüsteln vernahm. Augenblicklich ließ ich die Arme sinken und fuhr herum.

Eine tiefe Röte schoss mir in die Wangen. Verdammt. Nicht einmal der eigene Tod machte diesem albernen Erröten ein Ende. Wie war das möglich? Zweifellos ein Fall für die Wissenschaft.

»Banshee, Livie. Du bist nur die Banshee von Schloss Harrowmore und ganz gewiss kein König, tut mir leid.«

Der Wind spielte mit dem Stoff der rotbraunen Mönchskutte, die die große Gestalt vor mir komplett verhüllte. Eine Kapuze verbarg das Gesicht. Es war Walt, der Todesbote der Familie Harrowmore und somit mein Mentor, Vertrauter und seit Kurzem auch mehr als das. Ja, alles, was unter der Kutte steckte, gehörte ebenfalls mir.

Da Walts Tage als lebendiger Mensch schon viele Jahrhunderte zurücklagen, ging ich nicht davon aus, dass er jemals den Film Titanic gesehen hatte. Mit anderen Worten: Er hielt mich gerade vermutlich für komplett durchgeknallt. Es erschien mir richtig, die Situation zu erklären.

»Ich weiß das, Walt. Ich bin die Banshee, du bist der Todesbote, und somit sind wir nur zwei popelige Geistwesen, die für das Wohl der Familie Harrowmore Sorge zu tragen haben. Ich bin nicht plötzlich schwachsinnig geworden, ich bin nur glücklich.«

Die Kutte trat ganz nah an mich heran, hob die Hand mit den schlanken Fingern und strich mir zärtlich das Haar zurück. »Ich bin froh, dass du den Trubel der Londoner Straßen in deinem neuen Dasein nicht zu vermissen scheinst. Manch anderer wäre es schwergefallen, sich hier in diese beschauliche ländliche Ruhe einzufinden.«

»Ich habe doch dich«, antwortete ich und schmiegte meine Wange in seine Hand. »Dich und die Familie Harrowmore. Was brauche ich mehr?«

Walt lachte. »Immerhin sorgt die Familie gelegentlich für Abwechslung, nicht wahr?«

Auch ich wollte lachen, doch es blieb mir im Halse stecken, als sich Walts Hand plötzlich verkrampfte und seine Fingerkuppen sich unangenehm in mein Gesicht drückten.

»Walt, was …« Doch ich ahnte bereits, was passiert war. Mein Todesbote hatte eine seiner Visionen.

»Es ist an der Zeit, unserer Arbeit nachzugehen«, klang es da auch schon dumpf unter der Kapuze hervor. Die Hand an meinem Gesicht erschlaffte und fiel kraftlos herab.

»Na großartig«, seufzte ich und schob schmollend die Unterlippe vor. Meine gute Laune hatte sich soeben verflüchtigt.

Die Harrowmores hatten mal wieder für eine ihrer Abwechslungen gesorgt, denn Arbeit für die Banshee bedeutete immer, dass einer von ihnen in Lebensgefahr schwebte. Und so wie ich die Mitglieder der Familie Harrowmore in den letzten Monaten kennengelernt hatte, war die Gefahr höchstwahrscheinlich selbstverschuldet und hatte irgendetwas mit elektrischen Haushaltsgeräten oder Transportmitteln aller Art zu tun.

»Der kleine Jonathan durchstöbert gerade den ältesten Turm im Osten des Schlosses«, fuhr Walt fort und klang jetzt wieder ganz gefasst.

»Und dort wird er über ein Beil stolpern und in die eiserne Jungfrau stürzen?«, riet ich tapfer drauflos. »Oder weckt er aus Versehen den Familienvampir aus seinem hundertjährigen Schlaf?«

»Wohl kaum. Zumindest jetzt nicht mehr. Der Krümel hat sich nämlich selbst schachmatt gesetzt.«

»Wie das?«, fragte ich und krauste Nase und Stirn.

Walt klang wie ein Oberlehrer, als er antwortete: »Jonathan konnte nicht widerstehen, als er den gewaltigen schmiedeeisernen Schlüssel, der von innen im Schloss der Turmzimmertür steckt, entdeckte. Er musste ihn einfach herumdrehen. Du kennst dieses Phänomen vielleicht. Du weißt genau, dass es falsch ist, aber du musst es tun.«

»Kenne ich nicht«, log ich. »Und was ist nun sein Problem?«

»Natürlich kennst du es. Ich weiß das, denn ich kenne dich recht gut, Livie, schon vergessen?«

Ich wusste, dass er grinste. Anscheinend hatte er den Schrecken seiner Vision bereits verdaut.

»Das Problehem«, lenkte ich energisch von mir ab.

»Ach ja. Er kriegt das rostige Ding nicht mehr zurückgedreht, sitzt dort oben fest und denkt intensiv über eine Karriere als Fassadenkletterer nach. Wenn ihm nicht jemand zu Hilfe eilt, wird er in wenigen Augenblicken das verzogene Fenster aufreißen und sich auf das morsche Fensterbrett schwingen. Meinst du nicht auch, du solltest etwas unternehmen?«

Ein Schauer überlief mich, als ich mir in düsteren Bildern ausmalte, wie der Fünfjährige einen Freiflug aus dem Turmfenster anstrebte und damit auf sein Ende zusteuerte.

»Zu schade, dass sich das alte Fenster von dem kleinen Pimpf öffnen lässt, die Tür aber nicht«, ächzte ich und beeilte mich, meinen Aussichtspunkt zu verlassen und mich nach Hilfe für den Racker umzusehen.

So schnell ich konnte, eilte ich die ausgetretenen und schadhaften Holzstufen hinab, die verrieten, dass auch dieser Turm nur noch selten besucht wurde. Walt blieb hinter mir zurück und konnte die sanfte Brise an meiner Stelle weiter genießen. Er hatte seinen Job erledigt, er war nur der Todesbote. Jetzt war es an mir, der Familie den nahenden Tod eines Harrowmores zu melden.

 

Schloss Harrowmore hatte nur wenige Bewohner, weshalb viele Teile des Schlosses dem Verfall preisgegeben waren. Man konnte lange laufen, bevor man auf einen Menschen traf.

Ich eilte knarrende Treppen hinab und rannte durch ein halbes Dutzend leerer Flure, bis ich einen bewohnten Trakt erreichte.

Wo würde ich Meldung machen? Bei den Großeltern des kleinen Kletterers, Lord Harrowmore nebst Gattin? Beide reagierten zumeist recht verschroben und unvorhersehbar auf meine Warnungen. Sie begannen zu beten, zu telefonieren oder zu meditieren, anstelle nach dem Erste-Hilfe-Kasten und einem Familienmitglied in Not zu suchen. Gelegentlich gönnte sich Lady Harrowmore auch einfach etwas Hochprozentiges auf den Schreck und war für den Rest des Tages indisponiert.

Die nachfolgende Generation war da schon zuverlässiger.

Natürlich wäre es logisch gewesen, direkt zu Klein-Jonathan zu laufen und den Jungen aus seiner misslichen Lage zu befreien, aber genau das konnte ich als Banshee nicht. Ärgerlicherweise gab es da ein paar Regeln, an die ich mich zu halten hatte. Das war sehr einfach, denn es war mir schlichtweg nicht möglich, ihnen zuwiderzuhandeln.

So durfte ich niemals die gefährdete Person selbst warnen, sondern nur ihre Angehörigen über das drohende Unheil informieren. Dabei durfte ich keine konkreten Hinweise geben, sondern konnte entweder unsichtbar in klagendes Geheul ausbrechen oder stumm, aber sichtbar mahnen. Das war nicht sehr praktisch, aber ich hatte diese Regeln ja schließlich nicht gemacht, ich war hier nur die Banshee. Und als solche hatte ich kaum mehr Bestand als ein Nebelstreif und konnte Gegenstände nur mit der Kraft meiner Gedanken bewegen, was auch nicht immer einfach war. Allein die Elemente erkannten meine Existenz an und straften mich mit Kälte, Hitze, Nässe und allem, was ihnen sonst noch einfiel. Genauso, wie sie es auch mit Lebenden machten.

Ich hatte mich schon gut an diesen Zustand gewöhnt, vergaß aber manchmal, dass ich, und nicht meine Umwelt, substanzlos war. Dann scheiterte ich an geschlossenen Türen und ähnlichen Hindernissen, die mich sogleich deutlich daran erinnerten, wer hier durchlässig war.

Inzwischen hatte ich mich auf meinem Weg dafür entschieden, dem Vater des lebensmüden Jonathan zu erscheinen. Cameron war hinter der Stirn ein wenig heller als einige seiner Verwandten und es bestand die geringe Chance, dass ich ihn auf die richtige Spur bringen konnte.

Ein weiterer Grund dafür, dass ich Cameron für meinen Auftritt bevorzugte, war, dass er so leicht zu finden war. Er verbrachte fast alle Tage, die der liebe Gott werden ließ, in der riesigen Bibliothek des Schlosses und brütete über verstaubten Schätzen.

Die schwere Tür der Bibliothek erreichend, ballte ich die Fäuste und konzentrierte mich auf ein einziges Wort.

»Auf!«

Die Tür gehorchte, drehte sich quietschend in den Angeln und ich betrat einen der größten und ältesten Räume des Schlosses.

Durch die gotischen Fenster fiel das Sonnenlicht auf alte Teppiche. Sie dämpften jeden Laut, den ich sowieso nicht verursacht hätte. Regale, die vom Boden bis in schwindelerregende Höhen reichten, wo nur Leitern zu den Büchern führten, säumten die Wände.

Hinter einem überladenen Eichenschreibtisch, der vermutlich noch aus König Artus’ Zeiten stammte, saß Cameron, das schüttere Haupt über die Seiten eines Buches gebeugt. Ich hatte ihn mit meiner Ankunft nicht im Mindesten in seiner Konzentration gestört. Fast tat es mir ein bisschen leid, ihn aus seiner Ruhe reißen zu müssen, doch schließlich ging es um das Wohl seines Sohnes.

Ich betrachtete ihn beim Umblättern der Seiten und überlegte kurz, wie ich seine Aufmerksamkeit gewinnen wollte. Körperloses Klagen erschien mir wie so oft ungeeignet und nicht sehr informativ. Mein Gejaule konnte zwar Tote aus dem ewigen Schlaf reißen, doch wenn der Grund nicht offensichtlich war, war es wenig hilfreich.

Also beschloss ich, zu erscheinen. Ich ballte erneut die Fäuste, konzentrierte mich und erschien direkt neben Camerons Sessel.

Augenblicklich hob er den Kopf und sah mich mit weit aufgerissenen Augen an. Ich musste trotz der ernsten Lage lächeln, denn ich wusste, dass ihm gefiel, was er sah. Ich trug mein liebstes tiefschwarzes Banshee-Samtkleid, das meine Figur perfekt umspielte. Gegürtet wurde es mit einer goldenen Kordel, die Ärmel waren trompetenförmig und ein von mir selbst hinzugefügter hoher Schlitz setzte meine braunen Lederstiefel gekonnt in Szene. Mein stets blasses rundes Gesicht wurde von lustig wippenden Locken umrahmt, die ich erst seit Kurzem mein Eigen nennen durfte. Ich liebte sie.

Cameron mochte alles an mir, was für ihn recht bedauerlich war, denn einem normalen Menschen war es unmöglich, mit mir zu sprechen oder mich zu berühren. So konnte seine kleine Schwäche für mich niemals irgendwo hinführen.

»Du bist es.«

Ich quittierte diese nicht sehr intelligente Erkenntnis mit einem Nicken.

»Es schwebt also wieder jemand in Lebensgefahr?«

Ich nickte erneut.

»Ist es jemand, der hier im Schloss lebt?«

Wieder ein leichtes Nicken.

Cameron schloss augenblicklich das Buch vor sich auf dem Tisch und erhob sich. »Wer ist es? Eines der Kinder? Ist es Jonathan?«

Schlauer Papa. Ich nickte heftiger.

»Was ist passiert? Wo ist er?«

Jetzt wurde es schwierig. Ich überlegte kurz, wie sich die Worte Ostflügel und Turm pantomimisch darstellen ließen, beschloss aber, mich nicht zum Affen zu machen. Kurzerhand löste ich meine Anspannung und damit meine Gestalt vor Camerons Augen auf. Ich war schließlich kein Schauspielschüler, der mal eben einen Turm darstellen oder dessen Namen tanzen konnte. Ein bisschen Suchen würde dem zukünftigen Lord Harrowmore nicht schaden. Die wichtigsten Informationen hatte er soeben von mir erhalten.

Leise vor sich hin fluchend, verließ Cameron im Laufschritt die Bibliothek. Ich folgte ihm für den Fall, dass er sich in die völlig falsche Richtung wenden würde. Dann konnte ich ihm immer noch auf die Sprünge helfen.

Und tatsächlich lief Cameron in Richtung der Kinderzimmer. Ich seufzte. Hätte er als Vater nicht wissen müssen, dass Jonathan so gut wie nie dort war, wo er hingehörte?

Ich überholte ihn mit ein paar schnellen Schritten und erschien direkt vor seiner Nasenspitze. Er deutete meine verschränkten Arme sofort richtig.

»Dort ist er nicht?«

Wohl nicht, nein. Komm schon, Cameron, das kannst du besser.

Er drehte sich ratlos um die eigene Achse und blickte sich suchend um. Eine spontane Eingebung schien ihm zu Hilfe zu kommen, denn er deutete in Richtung Ostflügel und fragte: »Dort entlang?«

Ich lächelte ihm ein letztes Mal ermutigend zu und ließ mich verschwinden.

Cameron lief los, dass die Beine seiner Cordhose flatterten und sein kariertes Jackett hinter ihm her wehte.

Ich rannte ihm pflichtschuldig nach, doch mein Tod hatte mich nicht gerade fitter gemacht. So blieb ich schon bald ein Stück zurück. Ich beobachtete, wie Cameron auf dem glatten Steinboden eine Vollbremsung hinlegte, die ihn fast von den Füßen gehauen hätte. Dann stürmte er durch eine offene Seitentür.

Frustriert schüttelte ich den Kopf. Schon wieder falsch abgebogen.

»Livie, du solltest dich ein bisschen mehr bemühen. Jonathan sitzt schon auf der Fensterbank und sichert sich mit einem morschen Strick an einem rostigen Haken.«

Direkt neben mir war Walts Kutte aufgetaucht. Seine Stimme klang jetzt gereizt und seine vor der Brust aneinandergelegten Fingerkuppen trommelten ein Stakkato.

»Ich tue hier, was ich kann«, bellte ich zurück und lief, mich abwendend, Cameron nach. Walt ließ ich einfach stehen.

 

Camerons kurzatmigem Schnaufen folgend, fand ich mich plötzlich in einer modernen Wohnzimmerlandschaft aus Stahl und Leder wieder. Dies waren die Räume von Jennifer Harrowmore und ihrer Mutter Deborah. Deborah, die Schwester des derzeitigen Lords, hatte in diesem Teil des Ostflügels ihr Quartier aufgeschlagen, nachdem sich der Erzeuger der inzwischen erwachsenen Jennifer vom Acker gemacht hatte.

Die beiden Frauen, beide in langweiliges Beige gekleidet, das lange blonde Haar gleich frisiert, blickten Cameron verwundert an, als dieser so plötzlich an ihrem Couchtisch vorbeischlitterte und Halt suchend gegen eine Yuccapalme prallte.

Definitiv zu gut gebohnert, dachte ich und grinste breit.

»Ist Jonathan hier gewesen?«, keuchte Cameron. Ein Anflug von Panik färbte seine Stimme. Er wusste, dass es keine Zeit zu verlieren gab.

»Heute noch nicht. Ist etwas passiert?«, fragte Deborah und zog die zu Strichen gezupften Augenbrauen zusammen.

»Die Banshee ist wieder erschienen. Es muss etwas mit Jonathan und diesem Teil des Schlosses zu tun haben. Wo kann er nur stecken?«

Cameron spähte hilflos in jeden Winkel des Raumes, als könne Jonathan sich irgendwo vor ihm versteckt halten. Die Angst um seinen jüngsten Sohn setzte ihm mehr und mehr zu.

»Wir helfen dir suchen«, riefen die beiden Grazien im Chor und schlugen synchron ihre Klatschzeitschriften zu.

Wunderbar, dachte ich und war erleichtert. Einer der drei, so hoffte ich, würde den Weg zum Turmzimmer finden.

Es war wie immer Jennifer, die wie selbstverständlich die richtigen Schlüsse zog. »Wenn es um Jonathan geht, hat es entweder mit Strom, Wasser, Feuer oder großer Höhe zu tun. Hat er sich beim Frühstück nicht nach dem Ostturm erkundigt? Kinder spielen doch so gern Entdecker oder Abenteurer. Er wird zu einer Expedition aufgebrochen sein.«

Ich war beeindruckt. Jennifer gehörte ebenfalls zu den eher cleveren Harrowmores, und davon gab es wenig genug.

»Der Turm, oh mein Gott!«, schrie Cameron und lief schon wieder los.

Die beiden Damen folgten ihm in gemäßigterem Tempo. Auch ich schloss mich dem kleinen Suchtrupp an, denn jetzt wollte ich ebenfalls wissen, wie diese Geschichte ausging.

Würden sie das Turmzimmer erreichen, bevor Jonathan an der Außenwand baumelte?

 

Der Eingang zum Ostturm befand sich nicht weit entfernt von den Mutter-Tochter-Wohnräumen. Der Turm selbst schien nur aus einer sich windenden Treppe zu bestehen. Durch eine schmale Tapetentür betrat ich als Letzte eine nackte Steinstufe.

Nach rechts blickend, verschwanden die Stufen abwärts in ewiger Finsternis, und zur Linken führten sie hinauf. Fenster schien es in der Außenmauer des Turms nur vereinzelt zu geben und sie waren so winzig, dass ein Mann gerade einen Arm hätte hinausstrecken können.

Während ich der Familie hinauffolgte, zählte ich alle zwanzig Stufen nur ein Fensterloch. Und die Treppe wand sich unbeirrt weiter hinauf und hinauf.

Schließlich erreichten wir einen Treppenabsatz und alle drei Harrowmores drängelten sich vor einer verzogenen Holztür, von der die Farbe abblätterte.

Cameron schlug mit der Faust hart gegen das Holz. »Jonathan? Jonathan, bist du da drin?«

Wir alle standen starr. Doch dann hörten wir von jenseits der Tür ein unsicheres: »Papa?«

Ich war erleichtert, doch Camerons Angst schlug augenblicklich in Wut um.

»Natürlich ist hier Papa! Was zum Teufel machst du da drin?«

»Ich will versuchen, die Wand außen herunterzulaufen, weil ich die Tür nicht mehr aufkriege!«, krähte es zurück.

Deborah griff sich erschrocken an die Brust, während Jennifer nur genervt mit den Augen rollte.

»Das lässt du schön bleiben, mein Sohn, sonst bekommst du zwei Jahre Schokoladeneisverbot, verstanden?«

Cameron wusste, wie er seinen Sohn packen konnte.

Hinter der Tür erklang ein beleidigtes Grummeln.

»Ich hole jetzt eine Axt, Jonathan, und schlage die Tür ein! Und du rührst dich derweil nicht vom Fleck!«

Wieder drang nur ein Grummeln zu uns heraus, doch ich war mir sicher, dass die Gefahr für Leib und Leben erfolgreich abgewendet worden war. Wieder einmal.

Cameron schob die beiden Frauen zur Seite und lief die lange Treppe wieder hinunter, um sich eine Axt zu besorgen. Deborah und Jennifer folgten ihm, laut überlegend, wo wohl im Schloss eine Axt zu finden sei.

Ich hatte nun keine Eile mehr. Langsam und vorsichtig schritt ich die lange Treppe Stufe um Stufe hinab. Die Harrowmores waren bald hinter der nächsten Windung aus meinem Blickfeld verschwunden.

Ich überlegte, was ich mit dem Rest des Tages anfangen würde. Vielleicht könnten Walt und ich uns in meine Dachkammer zurückziehen und auf meinem Troddelsofa ein bisschen entspannen, während sich draußen die Sonne herabsenkte.

Ich lächelte in mich hinein und malte mir die nächsten Stunden bereits sehr angenehm aus, als ich plötzlich das Gefühl hatte, schon viel zu lange diese Treppe hinabzulaufen.

Ratlos sah ich mich um. Wo war die Tapetentür abgeblieben, durch die wir gekommen waren? Hatten die Harrowmores sie etwa hinter sich geschlossen? War ich an ihr vorbeigelaufen?

Einen Moment lang überlegte ich, einfach wieder bis zum Turmzimmer hinaufzugehen und dort auf Cameron und seine Axt zu warten. Bei seinem erneuten Abstieg konnte ich mich dicht hinter ihm und seinem Sohn halten, dann würde ich die Tapetentür bestimmt nicht wieder verpassen.

Doch der Gedanke an die vielen Stufen hinderte mich an der Umkehr. Stattdessen sagte ich mir, dass die Tür sicher bald auftauchen würde. Gleich hinter der nächsten Biegung.

Ich stieg also weiter hinab und fing wieder an, die Stufen zu zählen. Doch nach zwanzig Stufen war keines der kleinen Fenster mehr zu sehen, auch nicht nach dreißig oder vierzig. Und bei der sechsundvierzigsten Stufe war plötzlich Schluss. Ich stand in völliger Finsternis am Fuß der Wendeltreppe. Vor mir, nur eine Armlänge entfernt, fühlte ich ein Hindernis: eine geschlossene Tür.

Kein Problem, dachte ich mir und konzentrierte mich.

»Auf.«

Doch die Tür zuckte nicht einmal.

Verwundert versuchte ich es erneut und rief diesmal laut: »Auf!«

Doch nichts rührte sich. Die Tür stand unbeweglich an ihrem Platz.

Da packte mich plötzlich der Ehrgeiz. Warum sollte diese Tür für mich nicht zu öffnen sein? Selbst verschlossene Türen konnte ich kraft meiner Gedanken aufsprengen und diese marode Bretterklappe verweigerte sich mir einfach?

Ich konzentrierte mich noch einmal auf das Türblatt, spannte Fäuste und Pobacken an und schrie: »Auf!«

Ich konnte förmlich spüren, wie sich meine Energie und meine Seele mit Karacho gegen die Tür warfen. Doch anstelle kleinlaut aufzuschwingen, löste sich ein Funkenregen vom Holz und prasselte direkt vor meinen Füßen auf den feuchten Steinboden.

Was war denn das gewesen? Magie? War diese Tür auf magische Weise verschlossen worden? Und wenn ja, warum? Und von wem?

Ich betastete mein Hindernis genauer. Es handelte sich um eine gewöhnliche Holztür mit schmiedeeisernen Beschlägen. Ratlos stand ich vor ihr, als ich über mir Geräusche vernahm. Cameron hatte die Wendeltreppe erneut betreten, vermutlich in Begleitung einer schweren Axt.

Er war mein Ticket nach draußen! Also überließ ich die seltsame Tür sich selbst und beeilte mich, die Stufen hinaufzusteigen. Es dauerte auch gar nicht lange, bis ich über mir einen schwachen Lichtschein ausmachen konnte. Diesmal hatte Cameron die Tapetentür offen gelassen. Wunderbar. Feierlich schritt ich hindurch. Das Tageslicht hatte mich wieder.

In der Ferne hörte ich, wie Cameron mit der Axt auf die Tür des Turmzimmers einschlug. Diese würde in wenigen Augenblicken Geschichte sein, doch was hatte es mit der unteren Tür auf sich? Was verbarg sie Wertvolles, dass es auf eine besondere Art gesichert wurde?

Es erschien mir am einfachsten, Walt nach dieser Tür zu fragen. Und da mein Todesbote jederzeit und überall auf Harrowmore erscheinen konnte, rief ich ein paar Mal halblaut seinen Namen. Doch nichts rührte sich.

Ich seufzte. Alles wie immer. Walt kam und ging, wie es ihm gerade passte, ganz egal, wie dringend ich ihn benötigte.

»Dann eben nicht«, murrte ich verärgert.

Die Axtschläge waren verklungen und hastigem Fußgetrappel gewichen. Gleich darauf erschien Cameron mit hochrotem Kopf und Schweißperlen auf der Stirn unter dem Türsturz. In der linken Hand hielt er eine Axt, während er mit der rechten das Handgelenk seines Sohnes umklammerte.

Jonathan war so staubig und verdreckt, wie es sich für einen glücklichen Fünfjährigen gehört hätte. Doch das verdächtige Zittern seiner Unterlippe verriet, dass er gerade sehr unglücklich war. Nicht nur, dass sein Vater zu Recht eine Stinkwut auf ihn hatte, er war auch noch um ein Abenteuer gebracht worden. Ab jetzt war ihm jede Fassadenkletterei ausdrücklich untersagt und vermutlich würden sämtliche auf Harrowmore vorhandenen Seile und Bettlaken bis auf Weiteres gut verschlossen gehalten werden.

Vater und Sohn marschierten wortlos an mir vorbei, nur gelegentlich gab Jonathan noch ein leises Schniefen von sich. Ich fragte mich, ob es Tage oder Stunden sein würden, die ins Land gingen, bevor er eine neue todbringende Idee ausgebrütet hatte, und machte mich auf den Weg in meine Dachkammer, hoch oben, direkt unter dem Gebälk von Schloss Harrowmore.

 

Meine Dachkammer. In Anbetracht der Tatsache, dass ich zu Lebzeiten eine hübsche Wohnung im Londoner Stadtteil Kensington bewohnt hatte, mit Fernseher, Internetanschluss und fließend Wasser, hatte ich mich ein wenig verschlechtert.

Mein Fernseher war ein großes Rundfenster unter sparsam verputzten Dachbalken mit Blick auf die Schlossgärten. Mein fließendes Wasser tropfte an Regentagen von der Decke und über Internet wollte ich mal gar nicht reden.

Das Mobiliar meines persönlichen Banshee-Reiches bestand aus ausgedientem Trödel der Familie. Ich schlief auf einem dunkelgrünen Samtsofa mit Troddelbehang, konnte meinen wenigen Gästen eine nicht geringe Auswahl an Gartenstühlen anbieten und hatte für mein Zweitkleid einen geräumigen Schrank zur Verfügung.

Mein wohl wertvollster eigener Besitz war mein Mummel, der in einem Goldfischglas munter umherschwamm. Walt hatte ihn mir zum Einzug geschenkt. Mummel waren zumeist wunderschöne, hilfsbereite Wassergeister. Der meinige war allerdings nur hilfsbereit. Wunderschön hätte wohl lediglich Jim Henson, der Erfinder der Muppetfiguren, diese orangebraune Plüschkarotte mit übergroßen Augen gefunden. Auch war er kaum größer als mein Daumen, aber ich liebte den kleinen Krauler, hatte er mir doch in so manch einsamer Nacht Gesellschaft geleistet und mir durch dunkle Abflussrohre so manch brauchbare Information zugetragen.

 

Die Stufen zu meiner Kammer hinaufhopsend, hoffte ich, Walt dort anzutreffen, und wurde nicht enttäuscht.

Mein Todesbote wartete tatsächlich bereits auf mich. Er stand völlig reglos vor dem Rundfenster, im Sonnenlicht. Die Silhouette seiner bodenlangen Kutte wirkte groß und bedrohlich.

Und Walt war nicht allein.

Kapitel 2

 

»Olivia! Wie wunderschön, dich zu sehen. Dreh dich mal! Ein wundervolles Kleid! Und diese Locken! Wirklich, die stehen dir ganz hervorragend.«

Ich lächelte breit auf den etwa fünfzigjährigen kleinen Mann herab. Zacharias Biggs, einer der mächtigsten Magier und Alchemisten dieser und vergangener Zeiten, reichte mir kaum bis zur Taille. Als ich ihm zur Begrüßung meine Hand entgegenstreckte, wusste ich, dass er nicht durch sie hindurchgreifen, sondern sie fassen würde.

»Wie schön, dich zu sehen. Hast du Millicent auch mitgebracht?«, fragte ich unseren Freund.

Millicent Harrowmore, Wiedergeburt eines Druiden und meine beste Freundin, hatte das Schloss ihrer Vorfahren vor einigen Monaten verlassen, um sich von Zach ihr verschüttetes Druidenwissen auffrischen zu lassen. Der Gedanke, sie nach so langer Zeit wiederzusehen, versetzte mich in Hochstimmung. Doch wo steckte sie?

Mein Blick glitt über den Sperrmüll, die staubigen Bodenbretter und wanderte dann zurück zu Zacharias und Walt. Letzterer stand noch immer starr und schweigend vor dem Rundfenster.

Irgendetwas stimmte hier nicht.

»Zach, was ist los? Wo ist Millie?«

Der kleine Mann ließ die Mundwinkel hängen und legte die Stirn in sorgenvolle Dackelfalten. »Ich hatte eigentlich gehofft, sie wäre hier bei euch.«

Mit seinen kurzen, stämmigen Beinen wackelte Zach durch den Raum und zog sich auf die Sitzfläche eines Gartenstuhls aus braunem Plastik hinauf. Wie ein Häufchen Elend hockte er da und baumelte mit den Füßen.

Ungläubig starrte ich ihn an. Dann formulierte ich mühsam eine Frage: »Soll das etwa heißen, du hast Millie irgendwo in Raum und Zeit verloren?«

Statt einer Antwort kratzte sich Zach verlegen die Knopfnase und Walt wandte den Kapuzenkopf zum Fenster, um schweigend hinauszublicken.

»Das kann doch nicht dein Ernst sein!«, rief ich und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Weißt du wenigstens, in welchem Land und zu welcher Zeit sie dir abhandengekommen ist? Wie soll sie denn ohne deine Hilfe je nach Hause finden? Millie kann nicht allein durch Raum und Zeit reisen!«

»Doch, doch. Das kann sie. Sie hat fleißig geübt und ist wirklich sehr begabt«, beteuerte Zach eifrig und sah schon weniger schuldbewusst drein.

Allerdings knetete er nervös seine Händchen und das wiederum machte mich nervös. Zach war schließlich nicht irgendein kleiner Trickser. Sein Wissen eröffnete ihm eine Vielzahl von Möglichkeiten. Deswegen hatte Millie ihn ja zu ihrem Lehrmeister erkoren. Wenn er beunruhigt war, hatte auch ich allen Grund dazu.

Neben der Unruhe klopfte allerdings noch ein weiteres Gefühl bei mir an. Es war Neid.

»Was soll das heißen? Millie kann durch die Zeit reisen?«

»Ich habe es ihr beigebracht. Sie kann sich an jeden beliebigen Ort und in jede Zeit teleportieren. Sie lernt schnell. Kein Wunder, ist sie doch die Wiedergeburt meines alten Freundes Badria, und der war ein äußerst cleverer Druide.«

Na toll. Zach und Millie konnten teleportieren und Walt sowieso. Mir war das nur möglich, wenn mich ein Zeitreisender mitnahm. Allein kam ich keine Sekunde zurück in die Vergangenheit und wenn ich den Standort wechseln wollte, musste ich zu Fuß gehen. Verdammt. Sollte ihre Faulheit sie doch allesamt träge und fett machen.

Es war Walt, der meine Gedanken wieder auf das aktuelle Problem lenkte. »Aber wo steckt sie jetzt?«

Ich sah Zach mit hochgezogenen Brauen an, doch der rang nur hilflos die Hände.

»Ich hatte gehofft, dass du als ihr Todesbote es wissen würdest.«

Walt schüttelte seine Kapuze. »Ich bin Todesbote und kein Babysitter. Ich kann Millie nur wahrnehmen, wenn sie sich in Lebensgefahr befindet. Dann sehe ich die Gefahr, das drohende Unheil und spüre häufig auch Schmerz. Aber jetzt sehe und spüre ich gar nichts! Ich habe in den vergangenen Monaten keine konkreten Warnungen für Millie erhalten.«

Ich seufzte vor Erleichterung auf. »Na, das klingt doch gut. Wir wissen zwar nicht, wo sie sich rumtreibt, aber es geht ihr gut und sie befindet sich nicht in Gefahr.«

»Ich fürchte, du irrst dich, kleine Banshee. Die Gefahr mag ihr noch nicht von hinten auf die Schulter getippt haben, aber sie zieht die Kreise enger und enger um unsere Freundin.« Zach machte ein Gesicht, als wolle er sich für diese schlechte Nachricht entschuldigen, und seine Beine baumelten schneller.

»Aber Walt hat doch gerade gesagt, dass …«

»Ich habe gehört, was er gesagt hat. Ich bin alt und klein, aber nicht taub und blöd. Trotzdem bin ich mir sicher, dass Millicent in großer Gefahr schwebt. Sie ist vielleicht gerade nicht unmittelbar bedroht, aber das kann sich jeden Moment ändern. Sie steht zu dicht am Feuer. Verstehst du, was ich sagen will, Livie?«

Ich schüttelte den Kopf und sah zu Walt hinüber. Mein Todesbote rührte sich nicht. Er wartete auf weitere Erklärungen.

Zach krabbelte vom Stuhl hinunter und lief mit wackligen Schrittchen auf mich zu. »Es wird wohl am besten sein, wenn wir einen kleinen Ausflug unternehmen. Ihr werdet mit eigenen Augen sehen, was mich in Sorge versetzt. Ich werde euch an den Ort bringen, an dem sich unsere Wege trennten. Gib mir deine Hand, Livie. Du kannst mit mir gemeinsam teleportieren. Walt? Kommst du auch zu mir?«

Er drehte sich zu meinem Todesboten um. Dieser kam mit langsamen Schritten zu uns herüber und legte einen Arm um mich, während ich meine Hand in Zachs kleinere legte.

Nur Augenblicke später wurden wir von einer fremden Kraft hinweggerissen und unsere Reise begann. Zach hatte uns aus der Dachkammer teleportiert. Sie wich einem Strudel aus Farben und als die Welt um mich herum endlich abbremste, war ich weit weg von Schloss Harrowmore. Zumindest hoffte ich von ganzem Herzen, dass dieser Ort weit von meinem Zuhause entfernt lag.

 

Das Erste, was ich wahrnahm, war der Brandgeruch, der sich wie eine schwere Decke auf mich legte. Erst dann sah ich die Ruinen. Sie rauchten nicht mehr, doch der Geruch von Tod und Vernichtung hing schwer über der Gasse, auf deren ungleichmäßigem Kopfsteinpflaster wir drei standen und uns umblickten. Von den meisten Cottages standen nur noch die Außenwände. Durch die seelenlosen Fensterlöcher blickte ich auf die verkohlten Überreste eingestürzter Dachkonstruktionen. Alles um uns herum war zerstört und tot. Ein vernichtetes Dorf. Hier sangen nicht einmal mehr die Vögel.

Das Herz rutschte mir in die Hose, als ich erkannte, dass ich hier schon einmal gewesen war. »Das ist Little Beehive«, flüsterte ich und meine Augen füllten sich mit Tränen. Bilder stiegen aus meiner Erinnerung auf. Bilder eines blühenden mittelalterlichen Dorfes, bevölkert von netten und einfachen Menschen, wie man sie überall auf der Welt antreffen konnte. Menschen, die sich um ihr Auskommen und ihre Kinder sorgten, und Kinder, die sich um überhaupt nichts sorgten.

»Das war Little Beehive«, bemerkte Walt treffend, dessen Arm noch immer fürsorglich um meine Schultern lag.

Zach tätschelte mir die Kniescheibe. »Ich weiß, das ist nicht schön. Aber es war Little Beehives Schicksal. Nachdem alle Einwohner von der Pest dahingerafft worden waren, brannten die Bewohner der umliegenden Dörfer den Ort nieder. Nicht der schlechteste Weg, um dem Pestvirus beizukommen. Wird 1666 in London auch gut klappen.«

»Aber Zach! All die Menschen! Die nette Dame, die uns hier Unterschlupf gewährte, der Wirt der Schenke und der Schmied, der uns geholfen hat!«

»Sie sind alle tot, Livie. Das hast du doch gewusst, als Walt dich und Millie vor ein paar Monaten zum ersten Mal in das Little Beehive von 1347 brachte. Oder nicht?« Zach sah mich mit hochgezogenen Brauen an.

Ich nickte schwach.

Ja, Walt hatte mir erzählt, was aus Little Beehive werden würde. Aber es erzählt zu bekommen war eben doch etwas völlig anderes, als es mit eigenen Augen sehen zu müssen.

Zach fuhr unbeeindruckt fort. »Dies ist der Grund, warum so viele Zeitreisende nach Little Beehive kommen und dem Dorf in seinen letzten Monaten einen blühenden Tourismus bescheren. Ob man hier seine Armbanduhr vergisst oder einen Kugelschreiber verliert, ist nicht wichtig. Jeder Fehler wird ein Raub der Flammen, jedes bisschen Zukunft stirbt. Little Beehive ist ein Trip ins Mittelalter ohne das Risiko der Geschichtsverfälschung. Eine todsichere Sache.«

»Wohl wahr«, schniefte ich. »Das Mallorca der Zeitreisenden. Insofern man rechtzeitig wieder abreist.«

»Und genau das ist der springende Punkt.« Zach senkte den Blick. »Folgt mir. Wir gehen zu meiner Ferienhütte. Sie steht noch, weil sie jenseits der Dorfgrenze mitten im Moor liegt. Dort habe ich Millie zum letzten Mal gesehen.«

Schweigend, einem Trauermarsch gleich, durchwanderten wir Little Beehive. Der Anblick war so trostlos, dass ich am liebsten meine Augen vor dem Grauen verschlossen hätte. So hielt ich den Kopf gesenkt und starrte stur auf das buckelige Pflaster der Dorfstraße. Walt hielt sich dicht neben mir.

»Ich wünschte, ich hätte auch so eine Kutte wie du«, murmelte ich. »Ich würde mir die Kapuze bis zum Kinn hinunterziehen, damit ich das Elend hier nicht sehen muss.«

»Ich halte jede Wette, dass du überall anstoßen würdest«, antwortete Walt.

»Wo denn?«, fragte ich und deutete auf die Aschehaufen, die einmal Hütten am Dorfrand gewesen waren. »Hier gibt’s doch fast nichts mehr.«

Zach, der voranging, wandte sich zu mir um. »Ich hätte dir diesen Anblick gern erspart, Livie. Aber du weißt sicher, dass man sich nicht wahllos durch die Gegend teleportieren kann. Man braucht eine Teleportzone. Und die in Little Beehive ist meiner Kate am nächsten gelegen.«

Teleportzonen. Walt hatte mir mal erklärt, dass es Orte gab, die durchlässiger waren als andere. Dort war man anderen Welten und Zeiten näher als an anderen Plätzen und nur dort konnte man zu Reisen durch Zeit und Raum aufbrechen. Sie waren gewissermaßen die Bahnhöfe und Flugplätze der Geister, Dämonen und anderer Wesen und durch eine ungewöhnliche Färbung des dort vorherrschenden Lichts zu erkennen.

Auf mich wirkten Teleportzonen irgendwie gelblich bis rosig, wie ein billiger Film oder eine getönte Autoscheibe. Aber mir brachte es rein gar nichts, zu wissen, wo sich eine Teleportzone befand, denn ich konnte ja nicht allein teleportieren.

 

Inzwischen hatten wir Little Beehive hinter uns gelassen und der Brandgeruch blieb zurück. Vor uns lag ein unbefestigter Sandweg, der sich durch eine blühende Graslandschaft wand.

Ich ließ mich nicht täuschen, wusste von meinem letzten Besuch in dieser Gegend, dass das Moor links und rechts des Weges begann. Und da die Natur mir durchaus Schaden zufügen konnte, würde ich von nun an sorgfältig auf jeden meiner Schritte achtgeben. Ich hatte kein Interesse daran, vom Erdboden verschluckt zu werden.

Eine Weile hörte man nichts außer dem Zwitschern verliebter Vögel und dem Rascheln des Windes im hohen Gras. Schmetterlinge tanzten in der Sonne und langsam verblassten die Bilder des zerstörten Dorfes in meinem Kopf. Als der Wind mir durch das Haar fuhr und mir ein paar Strähnen ins Gesicht blies, verzog ich allerdings schlagartig das Gesicht.

»Uäh, ich rieche wie ein abgebrannter Silvesterkracher. Wenn wir nach Schloss Harrowmore zurückgekehrt sind, werde ich mein Kleid tagelang auf dem höchsten Turm auslüften müssen.«

»Ich werde mich und meine Kutte daneben hängen«, antwortete Walt und schnüffelte an seinem Ärmel.

Endlich tauchte eine verwitterte Kate vor uns am Wegrand auf.

»Vielleicht ist Millie ja hier«, rief ich und eilte auf die Hütte zu. Platsch machte es, und ich stand mit beiden Füßen in einer morastigen Pfütze. »Verdammtes Moor.« Fluchend machte ich ein paar eilige Schritte zurück auf den Fußpfad.

»Sieh es mal so: Jetzt riechst du nicht mehr wie ein abgebrannter Silvesterkracher, sondern wie eine wandelnde Schlammpackung«, meinte mein Todesbote.

Ich schnupperte. Walt hatte recht.

»Eau de Moder. Wenn ich in diesem Zustand meinen Banshee-Job erledige, können die Harrowmores die Gefahr in Zukunft riechen. Darf ich in diesem Zustand überhaupt über deine Schwelle?«, fragte ich Zach, der mich daraufhin vielsagend ansah.

»Über diese Schwelle könnte in letzter Zeit Schlimmeres gekommen sein. So ein bisschen Schlamm schadet niemandem.«

Schlimmeres? Das klang rätselhaft, doch ich bohrte nicht weiter nach, weil ich jetzt mit schmatzenden Stiefeln die Hütte erreicht hatte. Ein Öffnen der Tür erübrigte sich, denn sie hing schräg in den Angeln.

»Plünderer?«, fragte ich und sah Zach stirnrunzelnd an.

»Möglich. Wenn dem so ist, werden die Diebe ihre Tat höchstwahrscheinlich bereits bereut haben«, antwortete er und trat als Erster ein. »Tut euch selbst den Gefallen und berührt nichts.«

Walt und ich folgten ihm zögernd.

In der Kate herrschte dämmriges Licht. Viel gab es nicht zu sehen. Eine offene Feuerstelle, deren Glut schon lange erkaltet war, ein einfacher Tisch, schlichte Stühle und eine Reihe Strohsäcke an der rückwärtigen Wand, die als Schlafplatz gedient hatten.

Walt ließ in seiner Handfläche eine seiner rätselhaften blauen Kugeln entstehen, die nicht nur Licht spendeten, sondern auch, ganz nach Wunsch, brennend heiße oder eiskalte Wurfgeschosse sein konnten. Doch auch ihr blasses Licht entlockte dem Raum keine weiteren Informationen.

»Keine Spur von Millie oder einem anderen lebendigen Wesen.« Ich hielt auf die erkaltete Feuerstelle zu. »Zuerst brauche ich trockene Füße.«

Doch Zach hielt mich zurück. »Wie ich bereits sagte, ist es besser, hier drinnen nichts anzufassen. Sammle nur Informationen mit deinen Augen. Es sei denn, du willst bei der Rückkehr in deine Zeit den Schwarzen Tod importieren.«

Ich erstarrte in der Bewegung und blickte Zach an. Der kleine Mann hielt die Arme hinter dem Rücken verschränkt und stand stocksteif in der Hütte, die einmal sein Zuhause gewesen war. Er war sichtlich nervös. Und jetzt war ich es auch.

»Pesterreger? Hier? Was ist passiert?«, fragte ich und blickte mich misstrauisch um, konnte aber nichts Auffälliges entdecken.