Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

info@mvg-verlag.de

1. Auflage 2018

© 2018 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Umschlagabbildung: SKY2015/shutterstock

Porträt der Autorin: Nils Schwarz

ePub by Konvertus

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96121-180-7

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96121-181-4

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

INHALT

Danksagung

VorwortKlappe, die zweite Oder: Von einer, die auszog, das Fürchten zu verlernen

TEIL 1: Von einer, die auszog …

1. Kapitel:Dschungelbuch Teil Oder Einmal Dschungel und zurück

2. Kapitel:Die Frage nach dem Warum Oder: Wie kann jemand, der behauptet, unter Kontaminationsangst und Waschzwang zu leiden, ins Dschungelcamp ziehen?

3. Kapitel:Höhenflüge ins Land der Kängurus Oder: Flugangst war ihr kleinstes Problem

4. Kapitel:Interview mit einem Therapeuten Oder: Doktor Stefan Koch kommt zu Wort

5. Kapitel:Dschungelbuch Teil Oder: Die goldene Küste

6. Kapitel:Gedankenwelten Oder: Über Radios und Kinos im Kopf

7. Kapitel:Ab wann wird es gefährlich Oder: Kognitive Tretminen und was das Ganze mit Crème brûlée zu tun hat

TEIL 2: … das Fürchten …

8. Kapitel:Dschungelbuch Teil Oder: Abenteuer im tiefen, dunklen Dschunge

9. Kapitel:Darf ich vorstellen: Meine Zwänge

10. Kapitel:Na dann mal Prost Oder: Über Wein- und andere verführerische Plagegeister

11. Kapitel:Die Gesichter unserer Dämonen Oder: Von Priestern, die über Flüsse springen, Frauen, die zwei Jahre an einer Glückwunschkarte schreiben und Männern, die zu Stein erstarren

12. Kapitel:Wer trägt die Schuld Oder: Über die Ursachen von Zwängen

13. Kapitel:Einer für alle und alle für einen Oder: Tipps für Angehörige

14. Kapitel:Von Vollkasko-Mentalitäten, German Angst und Desinfektionsmitteln

15 .Kapitel:Wieder zu Hause Oder: Aufbruch in die Realität

TEIL 3: … zu verlernen

16. Kapitel:Die Schön Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee Oder: Auf direktem Weg in Richtung Freiheit

17. Kapitel:Auge in Auge mit dem Zwang Oder: Expositionstherapie und kognitive Therapie als unschlagbares Team

18. Kapitel:Die Achtsamkeit Oder: Leben im Hier und Jetzt

19. Kapitel:Achtsamkeit und Zwang Oder: Wie die Achtsamkeit helfen kann

20. Kapitel:Auszug aus meinem Kliniktagebuch, erster Teil Oder: Paradoxe Phänomene

21. Kapitel:Zu Besuch in der Vergangenheit Oder: Mein Vati

22. Kapitel:Auszug aus meinem Kliniktagebuch, zweiter Teil Oder: Die Saat der guten Gedanken

23. Kapitel:Die letzte Klappe Oder: Der lange Weg aus meinen Gummistiefeln

24. Kapitel:Vorwärts immer – rückwärts nimmer Oder: Abschlussbericht Doktor Koch

25. Kapitel:NACHWORT VON PROFESSOR VODERHOLZER

DANKSAGUNG

DANKE an alle, die mir bei der Entstehung dieses Buches mit

Rat und Tat zur Seite standen:

Danke lieber Prof. Voderholzer

Danke lieber Dr. Koch

Danke lieber Dr. Metzner

Danke meine liebe Schwester Antje

Danke lieber Co-Autor Christoph

Danke lieber Priester :-)

Und ganz herzlichen Dank an meine liebe Mami, die sich die ganze Zeit über mit Hingabe um meine geliebten Kätzchen gekümmert hat.

Mein besonderer Dank geht an Nicole und das stern TV-Team.

Vorwort

KLAPPE, DIE ZWEITE

Oder: Von einer, die auszog, das Fürchten zu verlernen

Lieber Leser,

es ist kaum zu glauben, nun sitze ich doch schon wieder hier und schreibe tatsächlich ein zweites Buch. Dabei war ich schon beim ersten Buch, Ich tick nicht richtig, mega unsicher, ob das überhaupt jemand lesen würde. Doch ihr alle wart so nett, interessiert und verständnisvoll, dass ich nach diesem achterbahngleichen Jahr voll spannender Erlebnisse und super wertvollen Erfahrungen den Mut und die Kraft gefunden habe, mich an den Schreibtisch zu setzen und nochmal loszulegen.

Also dann, hiermit erfolgt also der Startschuss für das zweite literarische Meisterwerk, mit dem noch Generationen nach uns ihre Möbel ausrichten und Öfen beheizen werden. Worauf ich mich wirklich und ohne jegliches Augenzwinkern freue, ist meine hoffentlich zweite Lesereise und damit natürlich auf euch.

Wenn ich heute das erste Buch durchschmökere, scheint es mir unfassbar, wie viel in der Zwischenzeit passiert ist. Irgendwie liegen scheinbar Welten zwischen diesem Buch, das ihr in den Händen haltet, und seinem Vorgänger. Vielleicht liegen die Welten auch daneben, darüber, darunter oder in welche Richtung auch immer Väterchen Zeit am Rad dreht.

Zeit ist eh relativ und mir somit ziemlich schnuppe, denn wichtig ist, dass es mir heute hier und jetzt um so vieles besser geht als noch vor einem Jahr. Der Psycho-Ballast ist in großen Bruchstücken von mir abgefallen, und meine Gedanken können wieder ein Stück weit fliegen. Mein Puppenköpfchen ist endlich wieder längerfristig fröhlich und voller Zuversicht. Warum das so ist und wie ich diesen Zustand nach einem abenteuerlichen, holprigen Weg erreichen konnte, erzähle ich in diesem Buch.

Dieses Jahr war wirklich dermaßen reich an verrückten Erlebnissen und wertvollen Erfahrungen, dass ich davon erzählen möchte. Ich werde mit dem Erzählen beim Dschungelcamp beginnen, denn schließlich brachte mein Dschungelaufenthalt die Diskussion über die Zwangskrankheit, Zwangsneurosen und Angststörungen nochmal richtig in Gang.

Ich werde Euch davon erzählen, welche wichtigen Schritte ich im Kampf gegen die Zwänge gegangen bin und wo diese mich letzten, GUTEN, Endes hinführten.

Es ist mir besonders wichtig, meine Erlebnisse, aber vor allem meine Erkenntnisse unbedingt mit Euch zu teilen, um noch mehr zu bewegen, noch mehr zu helfen. Die Hanka im ersten Buch hat alles versucht, um ihre Krankheit bestmöglich zu schildern und zu erklären, und durch die Berichte aus dem kräftezehrenden Alltag einer Zwangserkrankten dem betroffenen Leser Beispiel zu sein und womöglich Trost zu spenden. Heute aber kann ich noch mehr für Euch tun. Ich habe viel Gutes erfahren und viel gelernt, was uns unsere Dämonen nicht nur ertragen, sondern tatsächlich auch erfolgreich bekämpfen lässt. Egal, ob diese Dämonen Zwang, Angst, Burnout oder Depressionen heißen. Somit kann ich jetzt mehr tun als nur zu trösten. Ich kann jetzt wirklich dabei helfen, Wege in Richtung eines Lebens zu weisen, in dem es uns allen besser geht. Ich wusste, dass es möglich ist, den Weg zurück in die Freiheit zu finden! Ich erlebe es gerade am eigenen Leib!

Und so sitze ich nun hier am Schreibtisch in meinem Zimmer in der Psychosomatischen Klinik »Roseneck« in Prien, mit Aussicht auf den Chiemsee; dahinter die Alpen, in einer blauen Flickenjeans, mit Zöpfchen links und rechts, trinke einen leckeren Tee, der aus mir bisher ungeklärten Gründen Die Sonne Asiens heißt, und beginne jetzt mit unserer Geschichte.

Fangen wir am besten am Anfang an: Es war einmal ein Mädchen, das hatten fast alle gern. Es trug immer hübsche Gummistiefel, und so nannten es denn alle »Gummistiefelchen«. Eines Tages schickte RTL das Mädchen in einen tiefen, weit, weit, weit entfernten Wald, um dort nach Anweisungen etwas sadistisch angehauchter Redakteure dem Fernsehzuschauer Spaß und Unterhaltung zu liefern, und um sich mal kurz sowohl im wahrsten, wie auch im übertragenen Sinne nackig zu machen. Gemeinsam mit neun anderen Irre-Geleiteten wurde es verdonnert, fragwürdige Abenteuer zu bestehen und nach Möglichkeit in Würde zu überleben. Dem Gewinner winkten Thron und Krone, zu denen jedoch weder das – zumindest halbe – Königreich noch Macht, Reichtum oder Untertanen gehörten. Vielmehr bestand die Krone aus Gestrüpp auf der Rübe…

Teil 1

Von einer, die auszog …

1. KAPITEL

DSCHUNGELBUCH TEIL 1

Oder: Einmal Dschungel und zurück

Da draußen war die Welt weiß, glitzernd und funkelnd. Frau Holle machte offenbar Überstunden und schüttelte ihre Betten, was das Zeug hielt. Sicher ziemlich anstrengend, schoss es mir durch den Kopf. Auf der anderen Seite: Dieses Bettzeugschütteln war bestimmt sehr gut gegen den berüchtigten Winke-Arm. Jedes Dach, jedes Auto, jeder Briefkasten und sogar jeder einzelne Zaunpfahl hatte inzwischen eine hübsche weiße Flauschmütze auf. Die Straßenlaternen schienen tapfer gegen den Schnee an und hüllten die Szene so gut es ging in ein behagliches gelbes Licht. Der Leuchtstern im Kirchturm versuchte mutig mitzuhalten.

Schnee macht die Welt immer so angenehm leise, dämpft jedes Geräusch und lässt die Zeit ein Stück anhalten. Ganz gleich, wie die Gegend vorher ausgesehen haben mag, sobald der erste Schnee gefallen ist, verwandelt sie sich in eine Bob-Ross-Postkartenidylle. Vor allem aber wirkte die Welt da draußen so wunderbar rein und sauber, sobald sie unter einer dichten Schneedecke lag. So sauber, dass sogar jemand wie ich sich dort mit einem Gefühl bewegen konnte, das entfernt an Entspannung erinnerte. Natürlich scannte ich trotzdem bei jedem Schritt den Boden, in so einem Fall allerdings nicht bei jedem einzelnen. Doch ich will nicht die Romantik zerstören, also flugs zurück in unsere malerische Postkarten-Winteridylle. Wo waren wir denn stehen geblieben? Ach ja, bei der heimeligen und verschneiten Winternacht.

Eigentlich war ich mit meinem dünnen Rollkragenpullover und der unvermeidlichen Trainingshose eindeutig zu dünn angezogen, doch zum Glück saß ich nicht mitten in der weißen Pracht, sondern befand mich hinter einem Fenster, an dem sogar noch Eisblumen blühten. Es handelte sich nämlich um die hübschen, etwas zugigen alten Holzfenster einer historischen Wassermühle. Die Mühle gehört meinem Schwager Jens, der so kühn gewesen war, meine geliebte Schwester Antje zu ehelichen. Beide lagen schon tief und fest schlafend in Morpheus Armen und schnarchten unter ihren dicken Federbetten, denn es war schon sehr spät in der Nacht, oder genauer gesagt: Es war bereits wieder früh. Ich beneidete die beiden, denn auch ich hätte zu gern meine müden Äugelein etwas ausgeruht, anstatt auf die menschenleere Straße vor dem Fenster zu starren, so wundervoll sie in diesem Moment auch aussehen mochte.

Väterchen Schlaf zog zwar bereits kräftig an meinen Augenlidern, sodass ich immer wieder versucht war, ihn gewähren zu lassen, aber ich wollte nicht, schließlich durfte ich den Moment der Ankunft nicht verpassen. Ich versuchte, mich dadurch wachzuhalten, dass ich sinnlos durch den Raum tigerte, aber mit jedem Schritt wurde auch das mulmige Gefühl in meiner Magengegend stärker. Worauf hatte ich mich da bloß eingelassen?

Zwischen den Fußbodendielen erkannte ich die glitzernden Überreste unserer Silvesterfeier, und die Schüsseln vom Buffet stapelten sich noch immer in der Küche. Ich mache immer viel zu viel, mehrere Fußballmannschaften könnten spontan zum Essen vorbeikommen und es bliebe noch immer etwas für die Tupperware übrig. Die Silvesterfeier hatte also wieder einmal einer rauschenden Ballnacht geglichen, vorausgesetzt natürlich, man interpretiert Ballnächte so, dass alle um ein Raclette herumhocken und froh sind, wenn es endlich Mitternacht ist. Wann in meinem Leben war eigentlich der Moment gekommen, ab dem ich auf die Frage, was ich Silvester mache, stets mit »Raclette« oder »Fondue« antwortete? Na ja, auch ohne dieses Silvester war in den letzten Jahren in meinem Leben wirklich nicht viel los gewesen, und auch die Welt hatte ich kaum bereist. Umso krasser erschien mir nun das absurde Abenteuer, auf das ich mich nun aus freiem Willen eingelassen hatte.

Zu Hause, in meiner eigenen Wohnung, stapelten sich noch immer vorwurfsvoll die Geschenktüten, die noch nicht einmal ausgepackt waren. Meinen bisher noch dekorierten Weihnachtsbaum würde ich meinen heiß geliebten Kätzchen Pitti und Jacki überlassen, denn ich musste sie echt lange allein lassen. Beide sind Großmeister im Abschmücken, und somit kann ich ihnen voll und ganz vertrauen, dass sie ganze Arbeit leisten würden und sich ohne mich vielleicht nicht zu sehr langweilten. Glücklicherweise würde sich meine liebe Mutti um die beiden Kobolde kümmern. Irgendwie war jetzt zum Ende des Jahres hin alles sehr schnell gegangen.

Die Turmuhr schlug drei Mal: Gong, Gong, Gong … da entdeckte ich am Ende der Straße eine beeindruckende schwarze Silhouette, die sich mit glühenden Augen ihren Weg durch das Schneegestöber bahnte. Augenblicklich wurde mir so schlecht, dass ich mir kaum zutraute, meinen großen Koffer die Treppe hinunter zu bugsieren. Jetzt war es so weit. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Jetzt würde ich in ein weit, weit entferntes Land entführt werden, um dort äußerst fragwürdige Abenteuer zu erleben.

Die Silhouette hielt vor der Mühle, und auch wenn sie sich lediglich als Limousine entpuppte, wirkte sie auf mich dadurch nicht weniger bedrohlich. Bedrohlich und irgendwie auch völlig fehl am Platz in dieser weißen, ruhigen Schneelandschaft; ähnlich deplatziert wie Angela Merkel auf einem Scooter-Konzert

Antje und Jens waren nun doch noch einmal aus den Federn gehüpft und drückten mich bereits, was das Zeug hielt. Obwohl ich, beeinträchtigt durch meinen Zwang, kein eingeschriebener Fan von Körperkontakt bin, ließ ich diese Geste jetzt sehr gern zu, denn ich verspürte spontan den unbändigen Wunsch, weit weg zu rennen, um mich irgendwo auf der Welt zu verstecken. Am liebsten in einem schnell selbstgebauten Iglu. Diesen Drang verspürte ich bereits seit etwa zwei Wochen, aber in diesem Moment flammte er noch einmal mit Macht auf. Doch ich lief nicht weg.

Während der gut gekleidete Fahrer der Limousine mir freundlich und doch leicht fordernd die Wagentür aufhielt, rasten meine Gedanken. Was hatte ich mir nur dabei gedacht? Seit Jahrzehnten schon versagte ich im Kampf gegen meine Zwänge, und jetzt sollte mir ganz Deutschland auch noch allabendlich dabei zusehen können! Das würde nicht gut für mich ausgehen, das konnte nicht gut für mich ausgehen! Haste wieder prima gemacht, Hanka …

Limousine und Fahrer interessierten sich nicht für meine Sorgen, und so setzten wir uns langsam in Bewegung. Mein Zuhause verschwand in der Dunkelheit. In den Häusern, an denen wir vorbeiglitten, gingen die ersten Lichter an, Menschen tranken Kaffee, gingen zur Arbeit, brachten ihre Kinder in den Kindergarten und freuten sich jetzt schon auf den Feierabend.

Irgendwie fühlte ich mich in diesem Moment extrem einsam.

Warum führte ich nur so ein seltsames Leben?

Ich flog mitten im Januar nach Australien ins Dschungelcamp.

2. KAPITEL

DIE FRAGE NACH DEM WARUM

Oder: Wie kann jemand, der behauptet, unter Kontaminationsangst und Waschzwang zu leiden, in den Dschungel ziehen?

Meine Teilnahme am Projekt Dschungelcamp wurde von den Menschen, die um meine diversen Ängste wussten, von Anfang an extrem kritisch beäugt, womit ich auch gerechnet hatte. Ich wusste, dass ich die Zweifler und Untersteller damit wieder auf den Plan rufen würde. Es ist mir an dieser Stelle ein wichtiges Anliegen zu betonen, dass das für mich okay ist und ich das Unverständnis der Leute zum Teil sehr gut nachvollziehen kann. Zwänge haben nun mal ihre eigene absurde Logik, die nur für den Betroffenen verständlich und gültig ist. Mit Vernunft und normalen Herangehensweisen hat die bizarre Zwangslogik nichts zu tun. Somit ist es schier unmöglich, Außenstehenden meinen privaten Horrorfilm und seine für mich geltenden Regeln und Notwendigkeiten zu erläutern. Und ihr könnt mir glauben, ihr wollt das auch nicht unbedingt wissen, denn es kann mitunter passieren, dass man als sensibler Zuhörer, teilweise ein Stück weit in den Zwang oder in die Angststörung mit hineingezogen wird. Ist man jedoch ein Mensch mit einer harten Schale, wird man lediglich abwinken und mit der Bemerkung »Was für ein Schwachsinn!« abdampfen.

Noch vor einiger Zeit habe ich verzweifelt versucht, mich den Menschen mitzuteilen und ihnen zu erklären, was bei mir los ist; in der Hoffnung, auf Verständnis und Anteilnahme zu stoßen. Leider mit wenig Erfolg. Vermutlich, weil ich von außen betrachtet einen ganz lebenstüchtigen und munteren Eindruck mache. Also habe ich es aufgegeben, mit meinen Störungen und Ängsten hausieren zu gehen, denn das kann echt frustrierend sein. Und da Menschen, die unter Zwängen und Ängsten leiden, stark zu Depressionen neigen, sollten zusätzliche Frusterlebnisse weiträumig umfahren werden.

So freue ich mich, wenn ich jemandem begegne, der in das Thema involviert ist oder daran Interesse zeigt, und verstehe die Menschen, die es sich überhaupt nicht vorstellen können, und belästige diese dann auch nicht weiter mit dem Thema. Bitter wird es nur dann für mich, wenn mir dann niedere Instinkte unterstellt werden, wie zum Beispiel die offen ausgesprochene Vermutung, dass ich mir das alles sowieso nur ausdenke, um damit mal wieder eine Pressemitteilung zu erhaschen oder endlich Millionen mit meinem Buch zu verdienen.

Wie unendlich verrückt und krass wäre das denn, wenn ich all das Leid auf mich nähme, wo doch nackte Titten oder private peinliche Rosenkriege ausreichen würden, um einen ähnlichen Effekt zu erzielen? Warum sollte ich mir so etwas Kompliziertes, Absurdes ausdenken, das mich in weiten Teilen der Bevölkerung sogar ein wenig zum Gespött macht? Na ja, egal, wir leben in einem freien Land und jeder hat glücklicherweise ein Recht auf seine eigene Meinung.

Angemerkt sei an dieser Stelle noch recht leidenschaftslos und neutral wie die Schweiz, dass man, wenn man nicht gerade über den jüngsten Spross der Familie Potter schreibt, mit dieser Art Bücher nicht allzu viel Geld verdient. Das ist einfach ein hartnäckiger Irrglaube.

Abgesehen davon bemerke ich gerade, wo ich mich doch nicht mehr verteidigen wollte, dass ich genau das schon wieder tue. Nun ja, es hat sich eben mit den Jahren auch ein beachtlicher Berg Frust aufgebaut. Aber ich gelobe feierlich, ihn nicht an dir, lieber Leser, auszulassen.

Meine Zwänge haben mich in all den Jahren sehr einsam gemacht, und ich lebte ein sehr zurückgezogenes Leben. Fast könnte man es auch Verstecken nennen, denn ich hatte mir in meiner Wohnung im Wasserschlösschen ein kleines Idyll geschaffen, in dem ich mich so leidlich sicher fühlte. Ich baute mir meine Märchenwelt, widdewiddewitt, wie sie mir gefällt. Auf diese Art und Weise zwang mich allerdings der Zwang zu einem Leben, das meiner eigentlichen Persönlichkeit diametral entgegensteht. Die ist nämlich abenteuerlustig und bunt. Dadurch ist mit der Zeit ein absolutes Missverhältnis entstanden zwischen den Aktion-Ansprüchen der gesunden Hanka und dem Rückzugswillen der psychisch kranken Hanka. Glücklicherweise forderte die gesunde Hanka auch nach fast 30 Jahren der Zwänge noch immer gelegentlich ihre Existenzberechtigung ein.

Aus diesem Grund bestand mein Leben fast ausschließlich aus Extremsituationen, entweder extremer Einsamkeit oder aus extremen, ja sogar oft auch absurden Erlebnissen. Bloß kein Alltag, keine Konstanten, keine Ausgeglichenheit, keine Struktur, keine Beständigkeit, keine Regelmäßigkeit. Und somit eben nichts, was gut für meine Seele und hilfreich für mein Leiden gewesen wäre. Wege, die ich regelmäßig fahren musste, machten mir von jeher Angst, sodass ich oft riesige Umwege in Kauf nahm, nur um nicht immer dasselbe zu sehen. Doch ich glaube, ich schweife schon wieder ab. Also, warum wollte ausgerechnet ich ins Dschungelcamp?

Irgendwie fühle ich immer, an welchen TV-Projekten ich noch teilnehmen werde, und beim Dschungelcamp war ich mir irgendwie von jeher sicher, dass auch ich da irgendwann zu bestaunen sein werde. Seit Jahren bin ich bekennender Fan dieser Sendung. Überhaupt ziehe ich mir als Fernseh-Junkie selbstzerstörerisch die beklopptesten TV-Formate mit Leidenschaft rein und schäme mich auch nicht dafür. Ja, ich gucke Schwachsinn im TV, und das seit 38 Jahren (hüstel …). Bis jetzt konnte ich nur wenige Nebenwirkungen an mir feststellen. Ich finde, man kann durchaus beides: gute Bücher lesen und amüsanten Schwachsinn gucken. Schließlich sind das ja auch die Facetten unseres Lebens. Oh, wie habe ich Tränen gelacht, als Costa Cordalis zum hundertsten Mal am Lagerfeuer ein und dasselbe Lied gesungen hat, um nochmal groß rauszukommen, sich Helena Fürst nach Leibeskräften unbeliebt gemacht hat und Peter Bond seiner Profilneurose nachjagte.

Die spitzzüngigen Kommentare von Dirk Bach und Sonja Zietlow und ihrem späteren Kollegen Daniel Hartwich noch als Lach-Topping obenauf – einfach köstlich. Das versüßt uns einfach den trüben Januar, und das ist doch meines Erachtens eine gute Sache, selbst wenn uns Medienpädagogen seit Jahren vom Gegenteil überzeugen wollen.

Da wollte ich immer schon dabei sein, war mir aber durchaus der Tatsache bewusst, dass man mich wohl kaum nehmen würde. Also bitte jetzt nicht falsch verstehen, ich erstarrte nicht vor Ehrfurcht vor den Helden der TV-Landschaft, die wie eine fehlgeleitete Herde karrieresüchtiger Schäfchen ins Dschungelcamp gepfercht wurde. Natürlich waren das oft leicht verkrachte Existenzen oder eben von Geld und medialer Aufmerksamkeit motivierte X-, Y- oder Z-Promis. Obwohl einige tatsächliche Stars das Ganze stets veredelten.

Trotzdem war ich natürlich Realist genug, um einzusehen, dass ich zu sehr »Quark im Kühlschrank« war, um interessant genug für den Dschungel zu sein. Okay, ich war dereinst fleißig bei mieten, kaufen, wohnen aufgetreten und war auch schon mal bei Big Brother zu sehen, aber alles in allem schätzte ich mich als einfach nicht quotenträchtig genug ein, um ins Dschungelcamp ziehen zu dürfen. Da ich mich allerdings selten von einer Sache abhalten lasse, die ich wirklich will, ignorierte ich diesen Umstand und bewarb mich trotzdem. Schließlich habe ich mit eigenen Augen schon Pferde kotzen sehen. Umso perplexer war ich, als man mich anrief und mir mitteilte, dass ich als Bewohner des Dschungelcamps 2017 tatsächlich infrage käme.

Ernsthaft? Ich?

Natürlich war ich auch erschrocken. Au weia! Jetzt soll ich da wohl wirklich hin?! Auf der anderen Seite lockte natürlich extrem das Abenteuer. Wow, Hanka in Australien! Und das, obwohl ich doch seit fast zehn Jahren meine Couch gegen eventuelle Eindringlinge verteidigte und mir die Fahrt in die Drogerie im Nachbarort schon als Ausflug erschien. Und das viele Geld noch obenauf!

mieten, kaufen, wohnen hatte man zu dieser Zeit bereits abgesetzt, und ich bewegte mich finanziell mal wieder auf dem Zahnfleisch fort. Für die Gage, die man mir anbot, müssen ganz viele Menschen mindestens ein Jahr lang arbeiten. Und ich sollte es dafür bekommen, sinnlos an einem Lagerfeuer zu hocken. Meine Strategie hatte ich mir vorher zurechtgelegt: Ich würde da reingehen und wegen meiner Probleme und Sonderlösungen für Essen und Klo wahrscheinlich sowieso als Erste rausfliegen. Und bei den Dschungelprüfungen lehne ich bei Nicht-Behagen einfach ab.

Somit ging ich frohen Mutes in die zweite Castingrunde, die aus einem persönlichen Gespräch mit einer beeindruckend coolen Producerin bestand. Als dann Ende April mein Telefon bimmelte und mir ihre freundliche Stimme mitteilte: »Hanka, Du bist dabei«, rollte ich vor Freude fast von der Couch. Hurra, ein Abenteuer, endlich wieder ein Abenteuer! Für kurze Zeit würde ich mal wieder der Illusion erliegen dürfen, in meinem Leben ginge es voran, ich hätte Freunde und sagte der Einsamkeit Ade. Zusätzlich das viele Geld und was ich mir endlich alles mal wieder leisten könnte, denn den Umstand, dass das Ganze ja noch versteuert werden musste und man als »freischaffende Künstlerin« davon ja auch ungünstigenfalls lange Zeit leben musste, verdrängte ich erfolgreich.

Ich musste gerade aus meiner alten Wohnung im Wasserschloss ausziehen und in die Wohnung eine Etage höher ziehen, da sich mein kleines Idyll langsam in meine persönliche Hölle verwandelt hatte. Ich hatte zu 85 Prozent Angst vor ihr und durfte weder mit den Türrahmen noch den Türblättern in Berührung kommen. Die Klinken und Schalter bediente ich unter Einbezug der kuriosesten Hilfsmittel, und so lebte ich nur noch im acht Quadratmeter großen Wintergarten. Leider konnte ich wegen meiner Angststörung weder Teelöffel noch Nähnadel mit in meine neue Wohnung darüber nehmen, da sonst das komplette Angstpaket mit in die neue, noch angstfreie Wohnung eingezogen wäre. Somit musste ich mich zu diesem Zeitpunkt komplett neu einrichten und konnte die Gage daher echt gut gebrauchen.

Trotz meiner Freude überlegte ich natürlich auch, weshalb man mich als doch eher unbekannte TV-Protagonistin auserkoren hatte, an der Dschungelgeschichte teilzunehmen. Schließlich kam mir die Erleuchtung. Man hatte mich nicht trotz meiner psychischen Erkrankung ausgewählt, sondern unter anderem gerade deswegen! Natürlich wusste man von meinem Buch, das im folgenden Frühjahr erscheinen sollte, begleitet von einem Auftritt bei stern TV, also versprach man sich von mir, oder genauer gesagt: von meinen Macken, Störungen und Schrullen, gute Fernsehunterhaltung. Das konnte man dem Sender nicht vorwerfen, schließlich lebt gerade dieses Format von den Eigenheiten der Menschen, dennoch fand ich diese plötzliche Erkenntnis echt niederschmetternd. Mir wurde klar, was mir von Anfang an hätte klar sein müssen: Ich sollte mein verwirrtes Köpfchen für eine gute Quote hinhalten. Augen auf bei der Berufswahl, sage ich da nur …

Im Nachhinein weiß ich gar nicht mehr so richtig, wie das Thema Hanka und Zwangsstörung überhaupt an die Öffentlichkeit gekommen war. Ich glaube, es war 2015, als es den Zuschauern von mieten, kaufen, wohnen verdächtig vorkam, dass ich meinen Kunden nie die Hand gab. Um das zu rechtfertigen, verwies ich in der Öffentlichkeit auf meine psychische Störung, und da die Klatschsendung Prominent! gerade im Sommerloch dahinvegetierte, wurde ein Beitrag über mich und mein Leiden produziert. Ab da wurde das Ganze irgendwie zu einer Art Selbstläufer. Viele, viele Betroffene meldeten sich beim Sender zu diesem Thema, und das Potential der Thematik wurde von den Mediendetektiven mit Adleraugen erkannt. So meldete sich mein lieber Verlag und regte mich dazu an, doch ein Büchlein zu dieser Thematik zu verfassen, was ich auch gern tat. Das Buch wurde dann wahrscheinlich von den Dschungelprofis in der Verlagsvorschau entdeckt. Die nahmen mich gleich unter Vertrag und schwuppdiwupp, lag ich in Australien auf der Pritsche. Beinahe der klassische Werdegang eines Dschungelkandidaten.

Als eine Therapiemöglichkeit hinsichtlich meiner Zwangsstörung habe ich den Dschungel eigentlich zu keinem Zeitpunkt betrachtet, dafür kenne ich meine Zwänge zu gut. Natürlich bestand eine minimale Hoffnung, dass ein Wunder geschieht, aber diese war wirklich sehr gering. Ich wusste, dass meine Zwänge, wenn ich zum Beispiel im Urlaub war, auch in den ersten Tagen Pause machten. So lange neue Eindrücke auf mich einprasselten, traten sie lauernd in den Hintergrund und machten kurzzeitig Platz für Adrenalin, Neugierde und Begeisterung. Sobald sich allerdings wieder eine gewisse Routine einstellte und die Dinge um mich herum wieder eine Geschichte bekamen, feierten sie ihr Comeback.

Um an dieser Stelle ein Beispiel zu geben: Kam ich in ein frisches Hotelzimmer, war mein Angstpegel relativ gering. Natürlich checkte ich gründlich die Bettwäsche nach Pünktchen oder ähnlichen Dingen ab und warf einen vorsichtigen Blick in das Badezimmer. War das alles okay, kam ich kurzzeitig einigermaßen zurecht. Sobald sich dann allerdings die Erlebnisse im Zimmer sammelten, der Kellner kam mit Straßenschuhen rein, meine Kofferunterseite mit den Rollen streifte den Stuhl, die Hose, mit der ich im Restaurant auf dem Sessel mit der Verfärbung gesessen hatte, lag auf der rechten Bettseite, umso enger wurde mein Sicherheitsbereich im Zimmer. Genauso war es auch im Camp, anfangs war alles relativ paletti, später wurde der Raum immer enger und enger, und Kontaminationsangst mit Waschzwang und der Fragezwang traten wieder auf den Plan.

Bei meinem Fragezwang geht es darum, sich bestimmte Dinge immer wieder bestätigen zu lassen – allerdings reicht es nicht, dass jemand sagt: »Das ist zu 95 Prozent sicher.« Es müssen 100 Prozent sein, sonst frage und frage und frage ich immer weiter.

Ich bin Profi genug, um vieles verstecken zu können und um zu tricksen, was das Zeug hält. In puncto Dschungelcamp war ich mir allerdings auch durchaus der Tatsache bewusst, dass zahlreiche versteckte Kameras einfach alles sehen, und ich somit dieses Mal wahrscheinlich nicht allzu weit mit meiner Taktik kommen würde. Gerade das Thema »Wie gehe ich aufs Klo?« bereitete mir die meisten Kopfschmerzen, aber auch hier hatte ich einen hoffentlich funktionierenden Plan parat. Von diesem berichte ich später noch. Seit Jahrzehnten nutzte ich meine ganze Kreativität dafür, mich irgendwie durchzumogeln und mein Leben trotz der Zwänge einigermaßen zu leben. Mein Credo war: Begib dich erst mal in die Situation, dann wird dir schon irgendeine Lösung einfallen. Und jetzt sollte mich diese Taktik erneut retten.

Das waren also meine Beweggründe, an dem großen Abenteuer Dschungel mitzuwirken. Ich hoffe, sie sind einigermaßen nachvollziehbar … So oder so:

Es ist an der Zeit, sich jetzt mit Schwung ins DschungeAbenteuer zu stürzen.

3. KAPITEL

HÖHENFLÜGE INS LAND DER KÄNGURUS

Oder: Flugangst war ihr kleinstes Problem

Ich fliege wirklich ungern. Irgendwie bilde ich mir ein, dass die Überlebenschancen bei Transportmitteln, die sich auf dem Land oder zu Wasser bewegen, deutlich besser sind als in einem tonnenschweren Stahlkoloss, der womöglich unrettbar und in einem Affenzahn auf die Erde herabstürzt. Daher greife ich, wann immer es irgendwie möglich ist, zu anderen Verkehrsmitteln, um an mein Ziel zu gelangen. Egal wie viele Erste-Klasse-Flüge man mir anbietet, ich lehne kategorisch ab und verbringe lieber Stunden auf verschiedensten Autobahnen, bevor ich mich in ein Flugzeug setze.

Auch hier war mein Zwang der Logistiker, da ich bei längeren Fahrten in öffentlichen Verkehrsmitteln das alte WC-Problem hatte. Ich mied seit Jahren öffentliche Toiletten oder Räume, in denen man seine Armlehne mit seinem Sitznachbarn teilen musste. Nun ist es leider technisch schwer umsetzbar, Australien ausschließlich über das Festland erreichen zu wollen, denn allerspätestens in Malaysia ist dann Schluss, wenn man nicht wie James Bond von Q mit einem Amphibienauto ausgestattet