MICHAEL AVALLONE

 

 

Rückkehr zum

Planet der Affen

 

 

 

Roman

 

Apex Science-Fiction-Klassiker, Band 5

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

RÜCKKEHR ZUM PLANET DER AFFEN 

1. Genesis 

2. Taylor 

3. Brent 

4. Ursus 

5. Zira und Cornelius 

6. Nova 

7. Brent und Nova 

8. Phantome 

9. Mendez 

10. Masken 

11. TAY-LOR! 

12. Dr. Zaius 

13. Affe und Mensch 

14. Die Bombe 

15. Armageddon 

 

Das Buch

 

Die Überlebenden einer Weltraum-Expedition kehren zur Erde zurück, doch sie erkennen ihren Heimatplaneten nicht wieder, denn die Zeit hat den Astronauten einen bösen Streich gespielt: Ihr Raumschiff hat einen Riss im Raum-Zeit-Kontinuum durchflogen und wurde um Jahrtausende in die Zukunft versetzt, während die Besatzungsmitglieder selbst nur um wenige Monate gealtert sind.

Nun sehen sich die Raumfahrer aus dem 20. Jahrhundert den Trümmern der einstmals großen menschlichen Zivilisation gegenüber, die im Feuer eines Atomkrieges untergegangen ist. Der größte Teil der Erde ist unbewohnbar, die Überreste der Menschheit sind degeneriert und kaum intelligenter als Tiere. Die Affen hingegen – Orang-Utans, Schimpansen und Gorillas – beherrschen die Welt! Sie sind die Träger der neuen Zivilisation, und sie begehen die gleichen Fehler, die den Untergang der Menschheit herbeiführten...

 

Rückkehr zum Planet der Affen ist die Roman-Adaption des gleichnamigen erfolgreichen Kinofilms aus dem Jahr 1970 - mit James Franciscus als Brent, Linda Harrison als Nova und Charlton Heston als Taylor -, einem Meilenstein des SF-Kinos.  

RÜCKKEHR ZUM PLANET DER AFFEN

 

 

 

 

 

  1. Genesis

 

 

  Wüste.

  Grelle, absolute Wüste – nackt und entsetzlich.

  Nichts wuchs, nichts bewegte sich.

  Ewiges Schweigen. Ewige Einsamkeit. Nur das schrille Heulen des Windes. Er kam von der See herein, die in der Ferne rauschte.

  Leblosigkeit.

  Ödnis.

  Ein Universum aus Nacktheit und ein Universum des Nichts.

  Keine Spur von Leben. Nur diese tödliche Stille. Null in der Unendlichkeit, Gehaltlosigkeit, ein Nichts. Dies ist der Planet, auf dem der Mensch seine Überlegenheit in der Rangordnung der Dinge verloren hat.

  Lausche dem Wind.  

  Lausche ihm.

  Könnte er reden, so würde er dir von Taylor erzählen, jenem Mann, dem Wissenschaftler, dem Raumforscher. Der sengende Atem des Windes würde die schreckliche Erzählung zu den Mauern der Unendlichkeit tragen, durch die endlosen Korridore der Zeitlosigkeit...

  Lausche dem Wind.

  Lausche dem, was er erzählt...

  »Das ist die ewige Wahrheit. Was denkt, kann auch sprechen. Und was spricht, kann morden. Doch was könnte auf diesem toten Planeten morden?« 

  In der Tat, es existiert eine Antwort für den Wind:.

  »Als der Astronaut Taylor von einer Reise in den äußersten Raum zu uns kam, nahm er wahr, dass er in einen Riss in der vierten Dimension - der Zeit – eingedrungen ist. Und Taylor wusste, dass er älter war als zu Beginn der Reise... zweitausend Jahre älter.« 

  Das Heulen des Windes wurde schriller und lauter, und er fegte gespenstisch über eine tote Landschaft. Unheimlich züngelnde Lichter standen über dem Terrain. Ein unirdischer Glanz wurde ausgegossen über ein Panorama der Leere.

  »Aber in den ersten Tagen wusste er den Namen des Planeten, auf den er seinen Fuß gesetzt hatte, nicht. Affen, die zu großen Völkern herangewachsen waren, hatten die Kunst des Sprechens erlernt, während der Mensch, nun herabgefallen vom Zenit und zu einem Tier geworden, der Sprache verlustig gegangen war; er war stumm geworden...« 

  Der Wind heulte über die Weiten wüstengleicher Einöde und Einsamkeit. Die seltsamen Lichter warfen über das Ödland einen trüben Schimmer.

  »Doch Taylor verabscheute den Krieg. Und da der Mensch gegen sich selbst Krieg geführt und sich selbst gemordet hatte – immer wieder, immer von neuem, immer, seit die erste Stadt erbaut worden war –, glaubte Taylor, dass keine Hoffnung mehr bestand für die Rasse der Menschen.« 

  Eine tote See. Tot wie das tote Land.

  Der Wind stahl sich leise über die unbewegt daliegenden trüben Wasser.

  »Aber die großen Affen waren kaum besser. Sie sperrten Taylor in einen Käfig, so wie die Menschen sie früher in Käfigen gehalten halten. Als er mit seiner Frau aus der Stadt der Affen in die Wildnis der Verbotenen Zone entkam, da fand er eine öde Wüste aus Fels und Stein vor. Ausgedörrt, unfruchtbar, ohne Leben und für Ewigkeiten zur Wüste verdammt im schrecklichsten Krieg in der Geschichte des Menschen. Und in dieser Wildnis hob Taylor seine Augen auf zur Statue...« 

  Zur Statue mit Spitzen.

  Eine Frau aus Stein, die über endlose sandige Weiten sah. Wer wusste noch, was sie einmal dargestellt hatte? Wellen umspülten sie. Ein Koloss mit ausgestrecktem Arm, der eine Fackel in den Himmel hub, dem kein Sinn mehr innewohnte. Keine Wahrheit. Kein Licht.

  Eine tote Frau mit Steinaugen, Steinohren und steinernem Sinn, deren einziger Gefährte für Äonen nur der Wind gewesen war.

  »...und Taylor wusste, dass er zur Erde zurückgekehrt war... Auf der Erde, die von der Hand des Menschen geschändet und zerstört worden war. Schreibt das nieder: Was spricht, kann morden.« 

  Und Taylor glitt vom Rücken seines Pferdes, und auch die wilde Frau Nova stieg herunter. Er taumelte zu den riesigen Spitzen, die sich durch den Sand gebohrt hatten, und schrie:

  »Verdammt seid ihr bis in die tiefste Hölle!«

  Er fiel auf die Knie und barg den Kopf in den Händen. Schluchzen erschütterte die große Gestalt. Nova beobachtete ihn und hörte ihm zu in stummer Verständnislosigkeit. Und auch die tote Landschaft blieb stumm.

  Die Freiheitsstatue konnte Taylors Weinen nicht hören.

  Der Stein hat kein Herz und keine Seele.

  Nicht einmal den Wind hört er.

 

 

 

  

  2. Taylor

 

 

  Müde und erschöpft wandten sich Taylor und das Mädchen Nova von dem Schauspiel ab; die halbbegrabene Statue der Dame Freiheit schien ihnen aus ihrem Sandgrab nachzuwinken.

  Taylors Geist wirbelte und taumelte.

  Er war keines klaren Gedankens fähig; er wunderte sich lediglich.

  Der Wissenschaftler in ihm fühlte sich verhöhnt.

  Der Raumforscher fühlte sich verwirrt.

  Der Mann in ihm war auf brutalste Art betäubt. Der namenlose Planet, von einer Hierarchie intelligenter Affen beherrscht, war der Planet Erde! Oder besser gesagt das, was von ihm noch übrig war.

  Seine eigene Vorstellungskraft wankte unter dem Anprall dessen, was er gesehen hatte, was er jetzt als unabänderliche Tatsache kannte. Die Welt, die er gekannt hatte, als er die Erde verließ, um mit seinen drei Kameraden den äußeren Raum zu erforschen, war jetzt ein Irrenhaus.

  Ziellos ritt er weiter über die ausgedörrte Wüste dieses monumentalen Nirgendwo. Müde klammerte sich Nova an seinen Rücken und den des geschwächten Pferdes. Er versuchte, die Erinnerungen und Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit miteinander zu vergleichen und gegeneinander abzuwägen.

  Wie lange war es schon her, dass er mit den drei anderen – eine Frau darunter – sich im Raum verirrt hatte und dann in einem beschädigten Raumfahrzeug auf diesem seltsamen Planeten gelandet war? Die Zeit und die Folterungen, die er in den Händen militanter Affen zu erdulden hatte, waren seinem Denk- und Erinnerungsvermögen nicht gerade förderlich gewesen. Im Augenblick fielen ihm nicht einmal die Namen seiner drei Kameraden ein. Nur die Landung selbst war ihm gegenwärtig. Sie hatte die Frau getötet. Die Ursache für ihren Tod war nicht eigentlich der Aufprall bei der Landung gewesen, sondern die ungewöhnliche Anstrengung des Fluges selbst. Alle vier Astronauten, die sich an Bord des Raumschiffes befanden, waren in einem Zeitraum von zweitausend Erdenjahren um achtzehn Monate gealtert. Die Frau als schwächste Besatzungsangehörige hatte die unerhörte Belastung der Landung nicht überlebt. Taylor war mit den beiden Männern an die Küste geschwommen. Dort hatten sie eine Wüste erreicht, die irgendwie an Arizona erinnerte. Braune, ausgedörrte Erde und endlos lange Felsbänke reichten bis an den Horizont.

  Die Erdenmenschen wanderten ziellos umher, bis sie eine Vegetationsinsel erreichten und dort einer Horde schmutziger, verwahrloster, barbarischer Menschen begegneten, die nicht mehr zu sprechen vermochten. (Fraglich blieb, ob sie überhaupt je eine Sprache gehabt oder gekannt hatten.) Dieser Horde hatte Nova angehört. Sie war eine langhaarige Schönheit mit wildflammenden Augen, die nichts tun konnte, als einen ansehen, wenn sie irgendetwas auszudrücken versuchte. Selbst ein Lächeln war ihr unbekannt gewesen, und er hatte es sie erst lehren müssen.

  Und dann war die Reiterei der Affen über sie hergefallen. Es waren knüppelschwingende Gorillas in Lederjacken, die mit Flinten schossen. Die barbarischen Weißen hatten zu fliehen versucht, mit ihnen Taylor und seine beiden Kameraden. Sie waren sprachlos vor Entsetzen. Mit Peitschen, Netzen und Haken hatte die Miliz der Gorillas sie umzingelt und all jene getötet, die es gewagt hatten, sich zu wehren. Einer aus Taylors Mannschaft kam dabei ums Leben. Aber der schlimmste Teil des blutigen Alptraumes kam erst später.

  Taylor wurde zu einer Siedlung geführt. Sie bestand aus einer Art steinernen Kaninchenbauten, aus Häusern und Käfigen, und dort regierten die Affen über alles, was es an Zivilisation auf diesem Planeten noch gab. Es war ein Affenstaat, über den die Gorillas als Könige herrschten; Schimpansen und Orang-Utans dienten als Medizinmänner. Einer der noch überlebenden beiden Astronauten wurde einer Lobotomie unterworfen, die ihn zu einem Wesen ohne Denkvermögen machte. Für Taylor hatten die Affenherrscher die Entmannung und eine Gehirnwäsche vorgesehen, die sein gesamtes Gedächtnis spurlos auslöschen sollte. Ein paar Schimpansenwissenschaftler, welche die gegenwärtige Herrschaft nicht als segensreich betrachteten, hatten Taylor die Flucht ermöglicht. Er hatte Nova mitgenommen. Eine kreatürliche, stumme Liebe war zwischen ihnen entstanden, denn Nova konnte nicht sprechen. Taylor versuchte zwar, es ihr beizubringen, doch vielleicht lernte sie es niemals.

  Und jetzt hatte er also den Weg in die Verbotene Zone gefunden. Die Folterknechte waren weiß Gott wie weit hinter ihnen, und Taylor erinnerte sich noch an vieles aus dem Affenreich. Überall hatte es Transparente und Schilder gegeben. DER ALLMÄCHTIGE SCHUF DEN AFFEN NACH SEINEM EBENBILD. NUR MENSCHEN TÖTEN ZUM SPORT, AUS LUST ODER GIER. DIE MENSCHEN SAGEN... DIE MENSCHEN TUN...

  Überall gab es diese grauenhaft hässlichen Statuen und Kunstgegenstände der Affenkultur: die Symbole des NICHTHÖRENS, NICHTSEHENS, NICHTSPRECHENS; die Mutter der Gorillas, die ein Affenbaby im Arm hält und Michelangelos Pieta ähnelte. All diese Kunstwerke beinhalteten die grenzenlose Überheblichkeit der Affen, die sich als Menschen und ihnen sogar überlegen fühlten.

  Daran konnte Taylor sich genau erinnern.

  Den Schock konnte er vielleicht niemals mehr überwinden.

  Menschen in Käfigen; Menschen, die gepeitscht und gehetzt wurden; die Rasse der Menschen beherrscht und regiert von einem Ausschuss intellektueller Affen, die das ganze Schema der natürlichen und ererbten Ordnung umkehrten. Dieser Gedanke musste das Wenige, das ihm von seinem eigenen Leben noch geblieben war, wie ein Spuk verfolgen...

  Der Affe hatte sich aus dem Menschen entwickelt.

  Die Gesellschaft der Affen hatte in der menschlichen Ignoranz und Bestialität die Drohung ihrer Ausrottung erkannt und kurzerhand erklärt, ihr eigenes Wohlergehen hänge von der Überlegenheit und Herrschaft über jene minderwertige Rasse ab, die als »Mensch« bekannt war. Das war das überzeugendste Beispiel einer rassenmörderischen Aktion, das Taylor jemals erlebt hatte.

  Menschen als Arbeitssklaven, Menschen als überflüssige Kreaturen, Menschen als Nichts.

  Nach vielen tausend Jahren des Wissens, der Kultur und Freiheit hatte sich die Welt eine beißende Ironie erlaubt: die Rückkehr zu den Affen. Der Mensch kletterte zurück auf den Baum, dem er vor Jahrtausenden entkommen war.

  Und alles, was zu dieser grundlegenden Umkehrung nötig gewesen war, hatte die Menschheit durch die Bombe geschaffen. Da war eine Nation gewesen, die eine Endlösung anstrebte. Welche Nation? Amerikaner? Franzosen? Rotchinesen? Russen? Deutsche? Engländer? Israelis?

  Das spielte jetzt alles keine Rolle mehr.

  Es war die Grabschrift der Menschheit, von welcher Seite man die Tatsachen auch betrachten mochte.

  Ob als Mensch, als Wissenschaftler oder Raumforscher.

  Das Rad hatte sich gedreht.

  Nichts war mehr geblieben – nur der Tod. Ihr zielloser, mühsamer Treck über das weite Wüstenland war eine Mischung aus sengender Hitze, Beschwerlichkeit und einer Müdigkeit, die jedes Denken auslöschte. Taylor spürte kaum mehr die Knochen in seinem Körper. Bärtig, dunkelbraun gebrannt, nur noch Fetzen seiner ursprünglichen Lederkleidung am Leibe, fühlte er sich als urzeitlicher Adam, der sich in eine neue Welt verirrt hatte. Nova, die sich an seinen Körper klammerte, war schweigsam wie eh und je. Das Pferd, auf denen die beiden hockten, konnte sich kaum mehr bewegen.

  Die Sonne brannte unbarmherzig an einem blauen, von dünnen Wolkenschleiern überzogenen Himmel. Taylors Augen brannten. Der Schweiß rann ihm über das scharfgeschnittene Gesicht und die ehemals mächtigen, jetzt hageren Schultern.

  Gleichzeitig sahen sie die Oase. Das Mädchen trommelte heftig auf seinen Rücken. Taylor nickte. Ja, das war eine Oase, kein Trugbild. Das Land war so ausgedörrt wie vorher auch, aber ganz klar und deutlich sah er die Bäume und einen Teich mit kristallklarem Wasser. Die düstere Miene, die Taylors Gesicht nahezu versteinert hatte, wurde um einen Schein hoffnungsfroher.

  Langsam lenkte er das Pferd zum Rand des Teiches und starrte hinunter. Ja, das Wasser war Wirklichkeit. Er sah, wie sie sich im ruhigen Wasser spiegelten. Es war nur ein von niederen, verkrüppelten Bäumen eingefasstes Wasserloch, die seit unendlicher Zeit kein Laub mehr getrieben hatten.

  »Wasser«, murmelte Taylor. »Aber die Bäume sind tot.«

  Er half Nova vom Pferd herunterzusteigen. Niemals gelang es ihm, sie ganz unbefangen anzusehen; immer bewunderte er ihren Körper, der von raubtierhafter Schönheit war. Novas Augen waren wie zwei leuchtende Fragezeichen, als sei das

Leben an sich etwas, für das sie nie eine Antwort finden konnte.

  Taylor bückte sich über das Wasser, roch und schmeckte es vorsichtig. Es schien in Ordnung zu sein. Er winkte Nova und zog das Pferd zum Wasser. Alle drei tranken. Sie tranken in durstigen Zügen, als sei diese Tätigkeit die einzig mögliche

und zugleich wichtigste auf der ganzen Welt.

  Befriedigt ließ sich Taylor in den Sand zurückfallen. Er starrte hinauf in den erbarmungslos glühenden Himmel. Nova kam zu ihm und legte sich neben ihn. Er schob einen Arm unter ihren Rücken und starrte weiter nach oben.

  Seine blauen Augen kniffen sich grimmig zusammen. Das dort eben konnte irgendein Himmel sein in einem normalen Universum. Ein Mantel der Hitze über New York an einem heißen Sommertag. Oder über Vermont, über Kansas oder Arizona. Aber es war der Himmel über New York. Manhattan, Brooklyn oder Bronx unter hundert Metern nuklearen Sandes begraben. Welch ein Irrsinn!

  »Wohin, zum Teufel, sollen wir von hier aus gehen?«, fragte er grollend den Himmel. Von nirgendwoher kam Antwort. Er drehte sich zu Nova um und sah sie an. »Oder wollen wir hierbleiben und eine menschliche Kolonie gründen? Und die

Kinder würden es wieder lernen, ihre Zungen zu gebrauchen und zu sprechen – jedenfalls vernünftiger als die Affen.«

  Plötzlich legte er einen braungebrannten Zeigefinger auf Novas Lippen.

  »Versuch doch den Namen zu sagen, den ich dir gegeben habe«, befahl er leise. »No-va. Nova.« 

  Sie blieb, wie immer, geheimnisvoll und stumm. Er deutete auf sie und war sich dessen bewusst, dass sich ihr wundervoller Körper an die schäbigen Fragmente seiner Kleidung drängte. Dann deutete er wieder und sagte jedes Mal den Namen, den er ihr gegeben hatte, als bete er eine Litanei. »No-va... No-va... Nova...« 

  Doch sie blieb stumm, und sah verwirrt drein.

  Dann jedoch freute er sich ungemein, als sie mit ihrem Zeigefinger auf ihn deutete und ihm fest in die Augen sah.

  »Taylor«, sagte er langsam, als er verstand, was sie wollte. Sie deutete erneut. »Tay-lor«, wiederholte er.

  Sie blinzelte in die Sonne. »Taylor«, sagte er wieder und beobachtete ihren Mund. Ihre Lippen kämpften um einen Laut, doch sie brachte keinen zustande. Eine stumme Eva. Schön, aber keiner Unterhaltung fähig.

  Unter den Lampen, die seinen Körper bedeckten, holte Taylor seine Kennmarke hervor. Diese metallene Erkennungsmarke von einer anderen Welt, aus einer anderen Zeit. Er legte sie um ihren Hals und deutete darauf. Die Scheibe glitzerte im Sonnenlicht. Nova folgte jeder seiner Bewegungen wie ein Kind, das begierig ist zu lernen.

  »Tay-lor«, wiederholte er noch langsamer und genauer als vorher.

  Ihre Lippen bewegten sich ein wenig beim tapferen Versuch des Nachsprechens, doch noch immer brachte sie keinen Laut zustande. Nova runzelte die Brauen und versuchte es erneut. Er griff nach ihr und küsste sie sanft auf die Lippen; dann stand er auf. Er würde viel Zeit brauchen, mehr als er jetzt hatte...

  »Wir wollen uns eine Bleibe suchen«, sagte Taylor.

 

  Ein Heim. 

 

  In den grenzenlosen Weiten der Wüste ließ sich kein Heim finden. Sie trotteten weiter, und das müde Pferd trug geduldig die doppelte Last. Die Sonne schlug mit ihrer Hitze zu; sie war ein weit entferntes Feuerrad an einem bleifarbenen Himmel. Taylor lenkte das Pferd einen langgestreckten Hügel hinauf, der die Sicht zum Horizont hin abschloss. Er wollte sehen, was dahinterlag. Nova klammerte sich wie ein furchtsames Kind an ihn.

  Endlich hatten sie den Kamm des Hügels erreicht.

  Verblüfft hielt Taylor an. Mit einem heftigen Ruck am Zügel brachte er das Pferd zum Stehen.

  Es war ein höllischer Anblick.

  Ein riesiger Friedhof von Felsen und Schutt erstreckte sich, soweit das Auge reichte. Ein unermesslich großer Friedhof, der verstreute Überreste einer vor langer Zeit zerstörten Zivilisation enthielt. Die gerade noch erkennbaren Spitzen von Manhattans höchsten Wolkenkratzer schimmerten im Gleißen der Sonne. Der spitze Turm des Chrysler Buildings, die mächtige, stumpfe Nase des Empire State, das mit symmetrischen Quadraten bedeckte Dach vom Haus des amerikanischen Rundfunks und das glitzernde, glasähnliche...

  Taylor blinzelte, schloss die Augen und öffnete sie erneut.

  Die Vision löste sich nicht auf, verschwamm nicht.

  Nova gab hinter ihm einen murmelnden Laut von sich.

  Ein pfeifender Wind stob über die zerstörte Landschaft.

  »Nun ja«, sagte Taylor leise mehr zu sich selbst als zu dem Mädchen. »Home sweet home – sieh dir doch nur diesem Friedhof an, Nova. Das ist also der größte Höhepunkt von fünfzigtausend Jahren menschlicher Kultur. Ja. Ich möchte wissen, wer jetzt hier lebt – außer radioaktivem Gewürm natürlich.«

  Aber keine Antwort kam.

  Wie alle toten Dinge war auch das in Ruinen liegende New York unergründlich.

  »Wollen mal nachsehen«, sagte Taylor zu dem Mädchen und führte das Pferd hügelab zum Rand des riesigen Friedhofes vor ihnen. Nichts war da außer den Ruinen. Nova zupfte erregt an Taylors Ärmel. Sie deutete.

  Taylor sah in die von ihr gewiesene Richtung, staunte mit offenem Mund.

  Eine unglaubliche, grundlegende Veränderung war mit dem Panorama dort unten vor sich gegangen. Eine riesige Feuerwand versperrte ihren Pfad. Das Feuer schien in den Büschen seinen Anfang genommen zu haben, zog sich dann erstaunlicherweise über nackten Fels und ebenso nackten Sand und wurde zu einem rasenden Inferno von Hitze und Helle. Das Pferd bäumte sich auf, stemmte sich mit den Hinterläufen ein und wieherte vor Entsetzen. Die hohe Barriere zuckender, prasselnder Flammen schickte ihnen mächtige Wellen sengender Hitze entgegen und entzog das begrabene New York ihren Blicken. In einem Augenblick von eines Lidschlags Länge schien es verschwunden zu sein.

  »Was... zum Teufel... kann hier nur brennen?«, rief Taylor mit heiserer Stimme. »Hier gibt es doch gar nichts, was noch brennen könnte!«

  Das Pferd hatte gewendet und dabei die beiden Reiter fast abgeworfen. Taylor fluchte und klammerte sich fester an den Hals des Tieres. Die knisternden Flammen fraßen sich ihnen entgegen, holten sie fast ein. In panischem Entsetzen begann das Pferd zu rennen, vor dem Unbekannten zu fliehen; es raste hügelab und ließ das begrabene New York und die unbegreifliche Feuerwand hinter dem Kamm des Hügels versinken.

  »Wir werden es von einer anderen Seite her versuchen«, murmelte Taylor grimmig und lenkte das Pferd in eine flankierende Richtung. Er hatte vor, die Stadt in einem großen Kreis zu umgehen und sich ihr aus einer anderen Richtung zu nähern. Vielleicht von der Inlandsseite her, die weit entfernt war von dem geheimnisvollen Feuer und dessen Herd.

  Wieder kamen sie an der Oase vorüber und zogen weiter über die trockenen, spurlosen Wüstenflächen, bis die Hufe des Pferdes ein Stück festeren Bodens erreichten, auf dem sie sich nicht so mühsam vorwärtsquälen mussten. Der wolkenlose, blaue Himmel ging jenseits der Ebene in einen leeren Horizont über. Diesem Horizont strebte Taylor entgegen. Er war sich einer zunehmenden Verwirrung bewusst, spürte aber gleichzeitig Novas stummes Vertrauen.

  »Schön. Nur immer weiter«, sagte er.

  Er musste etwas sagen, mit sich selbst sprechen, ob das Mädchen ihn nun verstand oder nicht. Wenn er seine eigene Stimme hörte, war sie ein Maßstab der Wirklichkeit in einem wahnsinnig gewordenen Universum.

  Er lenkte das Pferd wieder der Stadt entgegen, um sich ihr zu nähern.

  Aber die Unwirklichkeiten begannen erneut.

  Kaum hatten sie die Richtung zur Stadt eingeschlagen, als ein gewaltiger Donner den Himmel erschütterte; im selben Augenblick, wie von Zauberhand herbeigeholt, zogen schwarze, drohende Wolken auf. Der Himmel verdüsterte sich, und innerhalb von Sekunden war die Welt ein schwarzes Chaos. Am fernen Horizont zuckten die Blitze. Vor Angst und Entsetzen bäumte sich das Pferd auf. Wie die Staketen eines unter Strom stehenden Zaunes hoben sich die Blitze vom nachtschwarzen Himmel ab. Und sie schienen, was noch schlimmer war, näherzukommen, Taylor, das Mädchen und das Pferd einschließen zu wollen. Und der Donner rollte und dröhnte. Dann begann der Regen herunterzuprasseln. Der Himmel, vor wenigen Minuten noch von einem klaren, strahlenden Blau, war zu einem Meer wilden Aufruhrs geworden. Das Pferd stemmte sich ein und wieherte schrill seine Angst in dieses Inferno. Taylor versuchte es festzuhalten, krallte sich

in seine Mähne, um dem grauenhatten Anprall entfesselter Natur standzuhalten.

  »Die Natur scheint unseren Fehler ausradieren zu wollen«, keuchte Taylor. »Stehenbleiben!« Er klatschte dem Tier die Flanken und hielt seinen Kopf fest, während Nova sich hinter ihm zusammenkauerte. Ihre vom Wolkenbruch durchnässten Körper drängten sich aneinander, suchten Schutz beieinander. In einem verzweifelten Galopp flohen sie aus dem Zentrum des tobenden Aufruhrs. Das Pferd rannte dahin, bis Donner und Regen nachließen, bis sie wieder unter blauem Himmel standen und der Schrecken einer wildgewordenen Natur hinter ihnen lag. Taylor zügelte das keuchende Pferd und ließ es ausruhen.

  Dann näherte er sich zum dritten Mal dem begrabenen New York. Er war entschlossen, diese Stadt zu erreichen, wenn er auch selbst vermutete, dass es Irrsinn sei, in dieses tote Land zurückzukehren. Doch er musste es tun; es war wichtig für ihn.

  Aber die Welt war wirklich wahnsinnig geworden.

  Die Elemente liefen Amok.

  Die Natur war noch immer in vollem Aufruhr.

  Vor ihm, genau auf ihrem Pfad, erhob sich eine Wand aus Eis. Eine dicke, solide Barriere aus Eis. Ein Paradoxon für Auge und Geist, das den riesigen Ball der an einem knallblauen Himmel strahlenden Sonne Lügen strafte.

  Taylors Verstand weigerte sich, das zu glauben.

  Jetzt hatte er Angst, richtiggehende Angst.

  »Das war doch vor einer Minute noch nicht da«, murmelte er. »Nein! Es war nicht da!« Er drehte sich zu Nova um. Das Mädchen kauerte hinter ihm, verbarg die Augen vor der schrecklichen Erscheinung. »Nicht nur ich sehe diese Dinge«, keuchte er. Beruhigend klopfte und tätschelte er den Hals des Tieres. »Können denn zwei Menschen den gleichen Alptraum haben?«

  Bestürzt und erschüttert führte er das Pferd weg von diesem Berg aus blankem Eis. Das Mädchen klammerte sich an ihn, und Novas Fingernägel gruben sich in seinen müden Leib. Taylor schüttelte verwirrt den Kopf. Ehe er noch einer sinnvollen Bewegung fähig war, rumpelte hinter ihm der Donner eines Erdbebens. Nova schrie. Taylor konnte gerade noch das Pferd zurückhalten. Eine riesige Spalte gähnte in der Erde vor ihm. Verzweifelt versuchte er das Pferd zu zügeln, damit es nicht in diesen Canyon stürzte, der sich vor ihnen aufgetan hatte. Es war ein Glück, dass das arme Tier so erschöpft war, dass es sich nicht mehr aufbäumen konnte. Wäre es plötzlich gestiegen...

  Taylor wandte sich zu Nova um. Es war lebenswichtig, dass sie ihn verstand, dass sie begriff, was er ihr sagen wollte. Er unterstrich jedes Wort mit Gesten.

  »Nova. wenn du...« – er deutete auf sie – »mich verlierst« – damit zeigte er auf sich selbst – »dann geh zur Stadt der Affen.« Als er das sagte, krümmte sie sich vor Entsetzen. Er schüttelte den Kopf. »Nicht zu den Gorillas. Geh ins Schimpansenviertel. Es gibt keine andere Möglichkeit.« Er kämpfte verzweifelt um ein wenig Verstehen in den schreckgeweiteten Augen. »Suche Zira. Zi-ra