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Nr. 2939

 

Mnemo-Schock

 

Die Wahrheit für das Imperium – ein Sternenreich stürzt in die Krise

 

Michelle Stern

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog: Diaspora

1. Solastratorin

2. Mnemo-Hort

3. Schillerrosen

4. Haam

5. Para-Geflüster

6. Großadministrator

7. Mnemo-Schock

Epilog

Leserkontaktseite

Glossar

Risszeichnung Ogygia-Habitat - Biosphären-Modul der RAS TSCHUBAI

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Gut dreitausend Jahre in der Zukunft: Perry Rhodans Vision, die Milchstraße in eine Sterneninsel ohne Kriege zu verwandeln, lebt nach wie vor. Der Mann von der Erde, der einst die Menschen zu den Sternen führte, möchte endlich Frieden in der Galaxis haben.

Unterschwellig herrschen immer noch Konflikte zwischen den großen Sternenreichen, aber man arbeitet zusammen. Das gilt nicht nur für die von Menschen bewohnten Planeten und Monde. Tausende von Welten haben sich zur Liga Freier Galaktiker zusammengeschlossen, in der auch Wesen mitwirken, die man in früheren Jahren als »nichtmenschlich« bezeichnet hätte.

Besucher aus anderen Galaxien suchen Kontakt zu den Menschen und ihren Verbündeten; dazu zählen auch die Thoogondu aus der Galaxis Sevcooris. Einst waren sie in der Milchstraße beheimatet und haben nun den Wunsch geäußert, erneut Kontakt aufzunehmen. Gegenwärtig hält sich Rhodan in ihrem Goldenen Reich auf, wo er auch ein Splittervolk der Menschheit entdeckt hat: das Neue Solare Imperium.

Gucky ist auf die Spur eines Geheimnisses gestoßen, das das Reich der Thoogondu umgibt: Es ist ein »telepathisches Archiv« – und es zu öffnen, bedeutet nicht mehr und nicht weniger als einen MNEMO-SCHOCK ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Gucky – Der Mausbiber öffnet sich der Wahrheit.

Perry Rhodan – Der Terraner kennt den Wert der Wahrheit.

Cassandra Somerset – Als Politikerin fürchtet sie die Folgen der Wahrheit.

Arbo P. Dannan – Als Militär will der Admiral seine eigene Wahrheit gestalten.

Shari Myre – Die Reporterin sucht die Wahrheit nicht nur aus eigenen Beweggründen.

»Kann meine Freiheit Freiheit sein, wenn sie bei deiner aufhört?«

Gucky

 

 

Prolog

Diaspora

 

Wir sind die Sterne. Wir sind das Glänzen und Leuchten und Funkeln der Galaxis, die sie Sevcooris nennen. Wir sind ewig.

Doch was wären wir ohne die, die uns sehen können? Ohne Wesen, die ihre Köpfe zu den Himmeln ihrer Welten heben, wenn der Schatten eine Hälfte der winzigen Staub- und Gesteinsbrocken verdunkelt, die für sie Heimat sind?

Auf vielen Welten geschieht das, wenn es finster wird und das Hauptgestirn des Systems sich verbirgt. Die Wesen, die uns betrachten, nennen es Nacht. Sie fürchten die Abwesenheit des Strahlens. Instinktiv wandert ihr Blick nach oben, zum Licht, zu uns und den Monden, den treuen Begleitern der Planeten.

Nicht so auf Gäon, der Welt der Gäonen. Nicht in diesen Nächten. Es ist, als wären wir unsichtbar, ausgelöscht von einem schwarzen Vorhang. Dabei sind wir so hell wie eh und je. Wir senden weiter Licht aus, schenken es den Kurzlebigen, doch die Gäonen beachten uns nicht. Das, was sie bestaunen, wenn sie die Köpfe in den Nacken legen, ist ein blauer Schimmer; ein vages, kugelförmiges Etwas, feenhaft und einprägsam wie ein Wunder aus den Geschichten, die sie ihren Kindern erzählen.

Für die Gäonen ist es, als wäre ein Märchen wahr geworden: die Legende von Perry Rhodan, von der Erde, dem alten Terra; von der Galaxis namens Milchstraße, die sie vor über 1700 Jahren verlassen mussten und die mehr als einhundert Millionen Lichtjahre entfernt liegt.

Ihre Herzen schlagen schneller, wenn sie das blaue Raumschiff am Horizont sehen; das Schiff, das den gewaltigen Abgrund, die große Leere zwischen uns und den Brüdern und Schwestern aus der Milchstraße überbrückt hat. Ihre Gedanken fliegen hoch, gehen auf Reisen, schießen dem blauen Fleck entgegen. Tausend Fragen jagen durch ihre Köpfe, doch sie sind zu stolz, diese Fragen zu stellen. Selbst ihre Wünsche und Hoffnungen beschneiden sie, legen sie verstümmelt in Fesseln. Lieber schleudern sie dem Fernraumschiff entgegen, wer sie sind und was sie wollen.

Wir hören, was die Gäonen im Stillen sagen, was sie Perry Rhodan und seinem Schiff lautlos zurufen:

»Wir sind die Erben! Wir sind die Verteidiger von dem, was war. Die Thoogondu haben unsere Vorfahren zur Zeit der Schwarmkrise vor der Verdummung gerettet und in diese Galaxis gebracht. In Sevcooris konnten wir die bessere Menschheit bewahren. In Sevcooris sind wir geblieben, was Terraner sein sollten: stark, unbeugsam, entschlossen, die Milchstraße zu beschützen, koste es, was es wolle!

Wir werden zurückkehren, eines Tages. Wir werden über die Milchstraße herrschen, so wie du es hättest tun sollen, Perry Rhodan. Du hättest sie anführen sollen, die Völker der Galaxis, nicht irgendein Gremium aus Minderwertigen, denen ein Ferrone vorsteht. Du hättest der erste Mann dieses glorreichen Imperiums bleiben sollen und hast versagt. Du hast deine Einstellung geändert, hast den Traum der Alleinherrschaft der Menschheit aufgegeben.

Doch wir haben deinen Geist für dich bewahrt, ihn rein gehalten. Wir haben ihn geschützt und gehegt, ihn wachsen und gedeihen lassen. Wenn du nicht herrschen willst, tun wir es für dich. Wir wissen, was die Milchstraße braucht: uns!«

 

*

 

Der Mann im grauen Overall blieb stehen. Er schaute hinauf zu den Sternen über Aponte, der Hauptstadt des Zweiten Solaren Imperiums. Zwischen den winzigen, blinkenden Punkten leuchtete die feenhaft blaue Außenhaut der RAS TSCHUBAI, des Fernraumschiffs von Perry Rhodan. Das Schiff stand wie ein kleiner, zweiter Mond neben Selene. Ein Mahnmal, das den eigentlichen Mond trotz der geringeren Größe zu überschatten drohte. Ein Schandfleck. Hinter ihm schienen die Lichter der Sterne zu verblassen.

Obwohl der Abend jung war, standen einige der ewigen Bilder schon in die Dunkelheit gestanzt: Aeneas, der Große und der Kleine Sternenkorb blinkten mit dem Haupt des Haluters und dem Mund der Kassandra um die Wette.

Was mochten die Sterne über die RAS TSCHUBAI und Perry Rhodan denken?

Die Sterne kannten keinen Krieg, keine Sorgen. Ihnen war gleich, dass Perry Rhodan mit einem mächtigen Fernraumschiff über Gäon im Orionsland aufgekreuzt war, um für Unfrieden zu sorgen.

Vielleicht war Rhodan für die Sterne ein Verbündeter, eine Art Sohn. Er hatte mehr von ihnen gesehen als die meisten Intelligenzwesen. Bestimmt mehr als jeder Bewohner Gäons. Er war ein kosmischer Mensch, ein Unsterblicher. Der Unsterbliche. Einer, der vielleicht so lange leben würde wie eine Sonne.

Aber durfte er deshalb ins Orionsland kommen, nach Gäon, und die Verhältnisse durcheinanderwirbeln? Durfte er unter dem Licht Neo-Sols aufrührerische Interviews geben, die dazu dienten, die Gäonen von ihrem Kurs abzubringen und sie gegen ihre Gönner, die Thoogondu, aufzuhetzen?

Nein. Das durfte er nicht!

Perry Rhodan war ein Fossil. Er war schwach. Eine Puppe des Wanderers, dem großen, geheimnisvollen Wesen, das die Geschicke der Milchstraße immer wieder manipuliert hatte. Nun war der Wanderer fort und die Milchstraße frei. Es war an der Zeit, dass die Gäonen heimkehrten. Sie waren die eigentlichen Erben der Menschheit. Sie würden eines Tages auch in der Milchstraße herrschen. Zuerst musste jeder Gäone verstehen, wer Perry Rhodan wirklich war: ein Feind!

Rhodan war jemand, der sich selbst verraten hatte. Er hatte die wahren Interessen der Menschheit aus den Augen verloren, sie gegen ein bisschen Macht und potenzielle Unsterblichkeit getauscht, die er in Form eines Zellaktivators hinter dem Schlüsselbein trug. Rhodan stand im Weg, deshalb musste er aus dem Weg geräumt werden, auf die eine oder andere Weise.

Der Mann im grauen Overall zog die Hutkrempe tiefer ins Gesicht. Er verbarg die silbrigen Haare und die Geheimratsecken. Niemand auf der Straße sollte ihn erkennen. Die hellen Augen hatte er durch dunkle Kontaktlinsen verändert. Dadurch passte er sich an, denn helle Augen waren auf Gäon selten. Die meisten Passanten hatten braune Haut, dunkle Haare und Iriden.

Was mochten die zahlreichen Menschen denken, die in diesem Moment an ihm und der überlebensgroßen Statue neben ihm vorbeigingen? Die meisten beachteten weder ihn noch die Figur der Kommandantin Oberst Maeva Aponte, einer Gründerin des Zweiten Solaren Imperiums. Aponte war an Bord des legendären Raumschiffs ORION gewesen, das die Thoogondu vor fast siebzehn Jahrhunderten gerettet hatten. Ihre schlanke Gestalt mit den dunklen Augen und vollen Lippen fand sich überall in der Hauptstadt.

Auch die steinerne Gruppe aus drei fragilen, menschenähnlichen Thoogondu beachteten die Passanten nicht. Obwohl die über zwei Meter großen Thoogondu die Vorbeigehenden überragten, blieb keiner stehen, um die Knochenpanzer oder die tief liegenden Augenhöhlen zu betrachten. Hin und wieder nickte jemand im Gehen, als wollte er sich vor der Gruppe verneigen.

Die vorherrschende Macht in der Galaxis war den meisten Gäonen nicht nur bekannt – sie schätzten und liebten sie. Es waren diese Wesen, die ihre Vorfahren damals gerettet hatten. Wesen, die ihre schützenden Sechsfingerhände weiterhin über die Gäonen hielten und sie ihnen gleichzeitig anboten. Inzwischen hatte sich eine Partnerschaft entwickelt. Längst unterstützten die Gäonen ihrerseits ebenso die Thoogondu.

Um sich davon zu überzeugen, brauchte der Mann lediglich den Kopf ein wenig zu drehen. Nur wenige Meter entfernt, auf dem Rosenplatz vor einer Reihe schwarz verglaster Vierhundertmeter-Türme, stand ein Gäone im weißen Kampfanzug. Kinder und Erwachsene umringten ihn. Sie deuteten auf die Holoprojektion, die der Elitekämpfer ausstrahlte. Die Szene zeigte den Mann, der derzeit jeden auf Gäon beschäftigte: Perry Rhodan.

Rhodan redete mit einem Außerirdischen, der schillernde Federn statt Haaren auf dem Kopf trug. Es war der Atope Matan Addaru Dannoer, der Rhodan vor einigen Jahrzehnten verhaftet hatte, weil Rhodan angeblich zu jenen gehören sollte, die den Weltenbrand der Milchstraße auslösten.

Eine pummelige Frau verzog das Gesicht. Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Mach das weg! Zeig uns den Rhodan von früher! Den, der gegen die Meister der Insel gekämpft hat!«

Der Mann im grauen Overall kam näher. Das versprach interessant zu werden. Es war selten, dass ein gäonischer Soldat über seine Schutzmontur in der Öffentlichkeit etwas anderes abspielte als seine persönlichen Kampfeinsätze. Was bezweckte der Elitekrieger damit? Wollte er Rhodan in seiner Schwäche zeigen?

»Warum sollte ich?«, fragte der Kämpfer. »Rhodan ist nicht mehr der, der er früher war! Die Vergangenheit ist tot! Wir müssen ihn dieses Sonnensystems verweisen!«

Ein Mann nahm seine Mütze ab und knetete sie in den Händen. Sein Kinn war spitz, der Mund wirkte zu klein. Es fiel ihm sichtlich schwer, den Krieger anzusprechen. Er wagte es kaum, ihm auf das verspiegelte Visier zu blicken. »Glaubst du etwa nicht, dass Rhodans Fernraumschiff nur die Vorhut ist? Dass er uns angreifen und unterwerfen wird?«

Der Elitekrieger lachte bitter. »Ein zahnloser Löwe reißt keine Gazelle.«

Die Frau machte einen Schritt vor. Ihr hübsches Gesicht verzerrte sich vor Ärger. »Er ist nicht zahnlos! Er hat uns ein Fernraumschff gebracht und wird uns helfen, zurückzukehren!«

Einige Menschen hinter ihr murmelten zustimmend, andere schüttelten die Köpfe. Ein paar griffen sich an die Stirn, als hätte die Frau den Verstand verloren. Nur wenige redeten auf Gäon so mit einem Mitglied des Militärs. Die meisten Terraner zogen lieber die Köpfe ein. Immer mehr Passanten blieben stehen und beobachteten das Geschehen.

Der Soldat stoppte die Holoprojektion. Rhodans Bild erlosch.

»Wir sind 1700 Jahre ohne Rhodan ausgekommen. Wenn überhaupt, braucht er uns. Er ist verblendet vom Wanderer.«

»Er ist gefährlich!«, rief der Mann, der nun ebenso ärgerlich aussah wie die Frau. Er schien seine Mütze auf den Soldaten werfen zu wollen, traute sich jedoch nicht. »Wir sind eine Diaspora, eine Gemeinschaft in der Fremde! Und genau das sollten wir bleiben! Wir müssen nicht alles aufgeben und in die Milchstraße zurückkehren. Es reicht, wenn einige wenige von uns gehen. Der Rest muss bleiben und sich an die Seite der Thoogondu stellen. Ihr Gondunat wird unser Schutzschirm sein, unter dem wir uns über die Galaxis ausbreiten!«

»Nein!« Die Frau blickte Beifall heischend in die Menge. »Wir gehen alle in die Milchstraße! Wir werden durch Rhodan die nötige Technologie erhalten, und dann können wir zurückkehren! Unsere Kinder sollen die Milchstraße beherrschen, wie es ihnen zusteht!«

»Unsinn!« Der Mann hob die Fäuste. Die Mütze wedelte wild in einer Hand. Ein Wortgefecht entbrannte, bei dem sich immer mehr Menschen einmischten. Der Einzige, der gelassen blieb, war der Elitesoldat in der Pedgonditrüstung.

Der Mann im grauen Overall lächelte. Er wusste nicht, wer den Anfang machte, doch er sah die Frau, die auf eine andere, größere Frau einschlug. Sonst friedliche Bürger gingen aufeinander los, griffen sich unter dem blauen Fernraumschiff gegenseitig an, schubsten und beschimpften einander.

»Findest du das etwa amüsant?«, fragte der Mann mit der Mütze. Er hatte sich aus der Menge zurückgezogen.

»Mich freut, dass wir Gäonen bereit sind zu kämpfen. Wir werden nicht den leichten Weg gehen, wie Perry Rhodan.«

Das Gesicht des jüngeren Mannes entspannte sich. »Bist du ein Bleiber? Einer, der will, dass ein Teil von uns im Orionsland ausharrt?«

»Ich gehöre zu denen, die Perry Rhodan aus dem Orionsland vertreiben werden.«

»Das finde ich gut. Ich habe gehört, Rhodan soll ein Manipulator sein. Jemand, der Unfrieden auf die Welten bringt, die er besucht.« Die Mütze sank in der Hand nach unten, der Mann blickte hinauf zu dem terranisch blauen Schiff, das im letzten Licht der Sonne lag.

»Die arme Somerset! Sie ist an Bord dieses grauenhaften Raumers. In Rhodans Gewalt! Was soll werden, wenn Rhodan unsere Solastratorin beeinflusst? Wenn er uns über sie entmündigt? Sternenadmiral Dannan sollte Somerset retten, ehe etwas Furchtbares geschieht! Und wenn er das Schiff dafür angreifen muss!«

Das Lächeln im Gesicht des Älteren vertiefte sich. Zahlreiche Fältchen zerschnitten die Gesichtshaut. Er legte dem Jüngeren die Hand auf die Schulter wie einem guten Freund. »Ich denke, das ist eine gute Idee.«

 

*

 

»Was meinst du? Warum hat Perry Rhodan Cassandra Somerset an Bord der RAS TSCHUBAI geholt?«

Ich ertappe mich dabei, wie meine Hand wie von selbst über ein Blatt Papier huscht, das vor mir auf einer ausgefahrenen Sesselarbeitsfläche liegt. »Um ihr zu helfen, und um sie zu beschützen.«

»Dann denkst du, unsere Solastratorin ist in Gefahr?«

Ich hebe den Kopf. »Ja, das ist sie. Aber die Gefahr droht nicht auf diesem Schiff. Bei uns ist sie sicher. Dafür lege ich meine Malhand in den Konverter.«

Cascard Holonder

1.

Solastratorin

RAS TSCHUBAI, 20. Nov. 1551 NGZ

 

Perry Rhodan betrachtete das Holo, das vor der weißen Parkbank in der Luft schwebte. Es zeigte Selene, den Mond Gäons, der wegen seiner Nähe zum Planeten größer als Luna wirkte.

Beiläufig aktivierte Rhodan eine Interkom-Verbindung zu Gucky. »Bist du bereit, Kleiner?«

Die Stimme des Ilts drang aus dem Multifunktionsgerät am Handgelenk. »Sicher. Was denn sonst? Nervös?«

»Ein wenig«, gestand Rhodan.

»Warum?« Guckys Stimme klang ironisch. »Nur weil du einen Haufen militanter Imperialisten auf den Weg einer Kuscheldemokratie führen willst und ihnen nebenbei verklickern möchtest, dass sie seit fast zwei Jahrtausenden von den Thoogondu für dumm verkauft werden?«

»Ja, daran könnte es liegen.«

»Ha!« Gucky klatschte in die Hände, gleichzeitig schlug sein Biberschwanz auf den Boden.

Rhodan kannte beide Geräusche gut. Sie brachten ihn zum Lächeln. Sein Freund war in bester Laune, freute sich auf die Herausforderung.

»Ich lass dich nicht hängen, Großer. Bis später!« Gucky beendete die Verbindung.

Rhodan konzentrierte sich wieder auf das Holo. Während die Oberfläche Selenes rasch näher kam, sah er dort gigantische Werften auftauchen. Laut der bisherigen Recherchen gab es auf Selene die größten Bauhallen und Vorrichtungen für Raumschiffe im ganzen Zweiten Solaren Imperium. Sicher war der Mond einen Besuch wert und das nicht nur wegen seiner Industrie. Auf Selene saß die Riesenpositronik TEIRESIAS. Wie der Trabant war sie nach Gestalten der griechischen Mythologie benannt. Selene, die Mondgöttin, und Teiresias, der blinde Prophet und Priester des Zeus.

Leider konnte Rhodan derzeit nirgendwohin. Die Reisen im Zweiten Solaren Imperium gehörten der Vergangenheit an, allzu angespannt schien die Lage. Aller Augen lagen auf der RAS TSCHUBAI. Das Militär überwachte jede ihrer Bewegungen. Selbst wenn die Schiffe der imperialen Flotte dem Fernraumschiff unterlegen waren, wollte Rhodan es nicht auf einen Konflikt ankommen lassen. Die Gäonen sollten verstehen, dass er nicht ihr Feind war, sondern ein potenzieller Verbündeter.

Als er Schritte hörte, winkte Rhodan dem Holoprojektor. Das Gerät schaltete sich automatisch ab. Die Zeit des Wartens war vorbei. Über den hellen Kiesweg kamen zwei Gäonen auf Rhodan zu: Cassandra Somerset, die gewählte Solastratorin des Zweiten Solaren Imperiums, und Syllester Ford, der ehemalige Solastrator, der Somerset beratend zur Seite stand.

Beide gingen zügig, ohne gehetzt zu wirken. Sie glichen einander in der Art der Bewegung, doch Somerset hatte die Schultern leicht angehoben, als würde sie trotz der warmen Luft im Park frieren. Trotz der sorgfältig frisierten braunen Haare und des faltenfreien blauen Kostüms erschien sie müde. Ihr fehlte das Lächeln.

»Du wolltest uns sprechen?«, fragte Somerset ein wenig unterkühlt.

Rhodan deutete auf die zweite Parkbank, die in einem weiten Winkel zu der stand, auf der er saß. »Ja. Danke, dass ihr gekommen seid.«

Ford setzte sich, hob den Arm, zeigte auf das Multifunktionsgerät am Handgelenk. »Ohne diese Dinger hätten wir den Weg nie gefunden. Ogygia ist verdammt groß.«

Rhodan lächelte. »250 Hektar, um genau zu sein. Die Erholungslandschaft ist ein Stück Heimat, das wir überallhin mitnehmen können.«

Ein wenig steif nahm Somerset neben Ford Platz, als litte sie leichte Schmerzen. Sie blickte auf den Teich. Der Weg führte in Form von mehreren dicht beieinanderliegenden Steinen mitten hindurch. In der Tiefe regten sich blaue Schatten. Gelbe und rote Blätter waren von terranischen Ahorn- und arkonidischen Jojoranbäumen auf die Wasseroberfläche gefallen und stachen als bunte Tupfen hervor. Im Hintergrund ragten einige Tannen auf, in deren Schatten schulterhohe Fotofungi ein schwaches, rötliches Licht abgaben.

»Worum geht es?« Somerset klang forsch und distanzierter als bei ihrem letzten Gespräch, als ahnte sie, was Rhodan herausgefunden hatte.

Rhodan fragte sich, wie es der Solastratorin ging. Sie war vor einem Tag seiner Einladung gefolgt, an Bord der RAS TSCHUBAI zu kommen, um sich in Sicherheit zu bringen. Während einer Interviewshow hatte ein Anschlag auf sie stattgefunden. Noch hatte Somerset sich nicht hundertprozentig davon erholt. Vor allem hatte ihr Vertrauen gelitten, denn hinter dem Anschlag steckte vermutlich der zweite Mann im Staat, der ihr vorgegaukelt hatte, ihr treu ergeben zu sein: Sternenadmiral Arbo Perikles Dannan.

»Es geht um die Wahrheit«, sagte Rhodan.

Syllester Ford beugte sich vor. Das Gesicht zwischen den welligen, schulterlangen Haaren wirkte neugierig.

Somerset dagegen lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »Die Wahrheit über was?«

Rhodan sah keinen Sinn darin, seine Gäste länger als nötig im Unklaren zu lassen. »Über die Thoogondu und die Vergangenheit der Galaxis Sevcooris. Meine Enkelin Farye hat gemeinsam mit einem Team einen sehr interessanten Fund gemacht. Was würdet ihr sagen, wenn ich Beweise hätte, dass die Geschichtsdarstellung dieser Galaxis gefälscht ist und die Geschichte der Milchstraße, wie sie in Sevcooris verbreitet ist, einer Lüge entspricht?«

Somersets Blick wurde eine Nuance misstrauischer als ohnehin. »Ich würde sagen, dass wir nicht sicher sein könnten, ob nicht du der Manipulierte bist. Du hast geholfen, mein Leben zu retten. Ich unterstelle dir ganz sicher keine unlauteren Absichten. Aber was ist, wenn diese angebliche Wahrheit tatsächlich die eigentliche Lüge ist?«

Rhodan lächelte. »Das ist klug gedacht. Wenn eine derart gigantische Manipulation, wie ich sie den Thoogondu für Sevcooris vorwerfe, machbar ist, warum sollte sie dann nicht auch für die Milchstraße machbar sein? Ich nehme an, du sprichst damit auf eine ganz spezielle Superintelligenz an?«

»Was sonst?«, sagte Somerset. »Auf den Wanderer. Du trägst seinen Zellaktivator. Das Gerät könnte dich zur Marionette des Wanderers machen, ohne dass du es überhaupt weißt.«

»Vieles ist möglich«, räumte Rhodan ein. »Ich glaube zwar nicht, dass mich ES in irgendeiner Weise beeinflusst, besonders nicht, nachdem ES die Milchstraße verlassen hat – aber ich schließe nichts aus. Gilt das auch für euch?«

Somerset tauschte einen Blick mit Ford. Zögernd nickte sie. Ihre Stimme klang kratzig, fast wie die von Shari Myre, der Reporterin, die mit ihr an Bord der RAS TSCHUBAI gekommen war. »Ja. Das gilt auch für uns. Wir können uns vorstellen, dass die Thoogondu unsere Geschichtsschreibung beeinflussen. Es ist möglich.«

Rhodan blickte wie Somerset auf den Teich und die bunten Blätter, die auf der Oberfläche trieben. Ein blauer Fischrücken tauchte zwischen ihnen auf und verschwand wieder. »Ich kann euch anbieten, mit mir in die Milchstraße zu kommen. Macht euch selbst ein Bild. Gerne können andere Vertrauenspersonen mitreisen.«

Somerset runzelte die Stirn. »Könnte nicht auch das, was wir dort zu sehen bekommen, das Resultat einer Manipulation sein?«

»Das könnte es«, sagte Rhodan. »Ich baue auf eure Klugheit, auf euern Verstand. Sicher lasst ihr euch nicht einfach so täuschen.«

Ford berührte das Multifunktionsgerät am Handgelenk. »Hast du uns deswegen hergebeten? Damit wir über eine mögliche Reise in die Milchstraße sprechen?«