Erwürgt! Kriminalroman

Alfred Bekker

Published by Alfred Bekker, 2016.

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Erwürgt!

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Erwürgt!

von Alfred Bekker

Der Umfang dieses Buchs entspricht 140 Taschenbuchseiten.

Drei Männer werden ermordet – und immer wird ein Springseil um ihren Hals zu einer Schlinge drapiert. Die Ermittler stehen vor einem Rätsel...

Ein packender Thriller von Alfred Bekker.

Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton Reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

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© dieser Ausgabe 2016 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen.

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1

George Rizzo stellte sein Cabriolet an den Straßenrand und stieg aus. Er nahm die Sonnenbrille ab und blickte sich um. Eine Rolex blitzte am Handgelenk auf. Der dunkle Ledermantel reichte bis zum Boden. Die Häuserzeile mit den Brownstone-Bauten wirkte wie ausgestorben. Eine Mülltonne war umgeworfen worden. Der Inhalt lag zur Hälfte auf der Straße. Einige Fahrzeuge standen am Straßenrand. Bei manchen fehlten Reifen. Rizzo blickte auf die Uhr. Komm schon, lass dir nicht so viel Zeit!, dachte er. Plötzlich hörte Rizzo ein Stöhnen. Augenblicklich war er alarmiert und hatte die Hand an der Waffe, die er im Hosenbund trug.

Ein Mann taumelte aus einem der Hauseingänge hervor. Sein Gesicht war blutüberströmt. Er wollte etwas sagen, brachte aber nur unverständliche Laute hervor und strauchelte zu Boden. George Rizzo riss die die Waffe hervor.

Von allen Seiten tauchten nun plötzlich in Leder gekleidete, bewaffnete Gestalten auf. Automatische Pistolen, Baseballschläger, Schlagringe und sogar MPis gab es bei ihnen. Das ratschende Geräusch eines durchgeladenen Pump Action Gewehrs ließ Rizzo herumwirbeln. Ein Mann mit gelockten Haaren und kantigem Gesicht grinste schief.

„Wer nicht hören will, muss fühlen, George!“

„Monty!“, stieß Rizzo hervor. Seine Augen waren schreckgeweitet. Er riss die Waffe hoch, aber noch ehe er abdrücken konnte, hatte sein Gegenüber gefeuert. Rizzo machte drei taumelnde Schritte zurück und rutschte am Kotflügel seines Cabriolets zu Boden.

2

Die in Leder Gekleideten kamen näher heran.

„Schön, dass du mich noch wieder erkennst!“, sagte Monty und verzog dabei das Gesicht.

Er war zweifellos der Anführer der Gruppe.

Rizzos rechter Arm, mit dem er die Waffe hielt, gehorchte ihm nicht mehr. Mit der Linken versuchte er die Blutung an der Schulter zu stoppen. Aber das war aussichtslos. Rot rann es ihm zwischen den Fingern hindurch.

Rizzo atmete flach. Sein Gesicht war zu einer Maske des Schmerzes geworden.

Monty nahm ihm die Waffe ab.

„Kaliber .45 – eine viel zu wuchtige Waffe für ein Spielkind wie dich!“

„Monty, ich...“

„Halt ja das Maul!“ Monty erhob sich und warf einem seiner Leute die .45er zu. „Stellt ihn auf die Füße!“, befahl er anschließend. Zwei seiner Männer packten George Rizzo grob und rissen ihn hoch.

Monty spuckte verächtlich aus.

Dann stieß mit dem Lauf seines Pump Action-Gewehres gegen Rizzos verletzte Schulter, sodass dieser vor Schmerzen aufstöhnte.

Monty grinste. „Wieso plötzlich so sensibel, George?“ Er tätschelte Rizzo in gespielter Gönnerhaftigkeit die Wange. „Weißt du, George, du hast mich auch verletzt. Nicht körperlich, aber...“ Er zog die Hand zurück, ballte sie zu Faust und drückte sie auf die linke Brust. „Hier drinnen, verstehst du? Ich habe gedacht, du würdest mein Wort respektieren! Ich dachte, du hättest begriffen, dass du hier nicht mehr zu suchen hast und ausschließlich wir in diesen Blocks die Geschäfte abwickeln. Aber du scheinst mich nicht ernst genommen zu haben und das trifft mich tief.“

Rizzo schluckte. Er zitterte leicht.

„Monty, wir können doch reden!“

Montys Faust sauste George Rizzo mitten ins Gesicht. Er musste festgehalten werden, um nicht zu Boden zu rutschen. Rizzos Mund wurde zu einer blutigen Höhle, der sich ein schmerzvolles Stöhnen entrang.

Monty grinste zynisch.

„Reden?“ Er lachte heiser. „Du wohl kaum noch, George!“

Die Anderen lachten heiser.

3

Inzwischen hatten zwei von  Montys Leuten den verletzten Mann, der George Rizzo aus einem der Hauseingänge entgegen getaumelt war, grob an den Schultern gepackt. Der Mann trug einen Parka mit der Aufschrift ADVENTURER an Brust und Schulter. Die Aufschrift in Brusthöhe konnte man kaum noch lesen, denn der Parka über und über mit Blut besudelt. Das Gesicht war eine einzige Wunde, die Augen so stark angeschwollen, dass er kaum noch sehen konnte. Mit dem rechten Bein konnte er offenbar nicht mehr auftreten und der linke Arm hing schlaff von der Schulter. Er zitterte. Die blauen Augen flackerten unruhig.

Es war offenkundig, dass er äußerst brutal verprügelt worden war.

„Was sollen wir mit dem Kerl machen?“, fragte einer der Männer, die ihn an den Armen hielten.

Monty grinste schief.

„Du bist doch hier gewesen, um deinen Stoff zu kaufen, nicht wahr?“, sprach er den Mann mit der Adventurer-Jacke an. Dieser war jedoch unfähig, etwas sagen.

Monty deutete auf Rizzo. „Durchsucht ihn nach Stoff – und dann stopft das Zeug seinem Kunden ins Maul. Der Munde ist dich König und sollte bekommen, was er wollte!“

Gelächter brandete auf.

Ziemlich grob durchsuchten Montys Männer George Rizzo und förderten einiges an Crack zu Tage. Das mit Backpulver verkochte Kokain lag in würfelförmigen Stücken vor – ‚Steine’ genannt. Rizzo hatte jeweils fünf davon in Cellophan eingepackt. Vier solcher Päckchen trug er in den Taschen. Daneben tauchten noch einige Briefchen reines Kokain auf.

Der Mann mit der Adventurer-Jacke wurde festgehalten. Jemand hielt ihm die Nase zu, damit er den Mund öffnete, aus dem Blut rann. Monty stopfte dem Kerl eigenhändig einen Crack-Würfel nach dem anderen in den Mund, bis nichts mehr hineinpasste. Der Adventurer musste würgen, röchelte, spuckte die Würfel wieder aus.

„Lasst ihn los!“, befahl Monty. Dann wandte er sich an den Adventurer-Mann. „Du weißt in Zukunft, wo du die Steine kaufst, klar?“

Der Angesprochene stieß nur einen unartikulierten Laut hervor.

„Betrachte alles, was du noch im Mund hast als Probelieferung und verschwinde. Aber sollten wir dich je wieder dabei erwischen, wie du dein Crack bei jemand anderem als bei uns kaufst, dann kommst du nicht mehr so preiswert davon. Verstanden?“

„Er kann doch nichts sagen, Monty! Schließlich hat er die Schnauze voll!“, lachte eines der Gangmitglieder, die Rizzo festhielten.

„Verschwinde!“, zischte Monty.

Seine Leute ließen den Mann mit der Adventurer-Jacke los. Er wankte davon, zog das Bein dabei nach.

Wenig später verschwand er in einem Hauseingang.

Jetzt wandte sich Monty an George Rizzo. „Du kommst allerdings nicht so leicht davon!“ Er machte seinen Leuten ein Zeichen, woraufhin sie Rizzo losließen. Monty lud die Pump Gun durch. „Hör zu, ich gebe dir fünf Minuten Vorsprung. Lauf, so schnell du kannst – und falls wir dich einholen und noch in unserem Distrikt erwischen, hast du heute zum letzten Mal deine Steine angeboten!“

4

George Rizzo hetzte die Straße entlang, bog in eine enge Gasse, die zwischen zwei Brownstone-Häusern geblieben war und gelangte in einen Hinterhof. Ein Stapel alter Autoreifen und mehrere ausgeschlachtete Pkw-Wracks waren hier zu finden. Viele der Fenster in den umliegenden Häusern waren zerschlagen. Manche mit Brettern vernagelt. Ein paar Obdachlose wärmten sich an einem Feuer.

„Hey, was ist denn mit dem da?“, rief einer von ihnen.

Rizzo nahm die heisere Stimme nur wie aus weiter Ferne war. Ihm war schwindelig. Der Puls raste.

Schweißperlen glänzten auf George Rizzos Stirn. Er hetzte weiter. Er wusste in der South Bronx Bescheid. Rizzo war hier aufgewachsen und kannte jeden Schleichweg.

Seine Schulter schmerzte höllisch – ebenso wie sein Unterkiefer.

George Rizzo war kaum noch in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Immer wieder hinterließ er Blutspuren auf dem Asphalt. Schließlich erreichte er die Ausfahrt des Hinterhofs und gelangte in eine Seitenstraße. Er überquerte sie. Auf der anderen Seite befand sich eine stillgelegte Lagerhalle. Das Gründstück war mit einem hohen Maschendrahtzaun umgeben. Es gab jedoch mehrere Stellen, an denen der Draht aufgeschnitten und zur Seite gebogen worden war.

Rizzo zwängte sich durch eines der Löcher. Er verfing sich mit seiner Kleidung im Draht.

Den Wagen, der am Straßenrand hielt, bemerkte er zunächst nicht. Die Tür wurde geöffnet, jemand stieg aus.

Die Schritte auf dem Asphalt waren fast lautlos.

Rizzo drehte sich herum und zuckte förmlich zusammen.

Zweimal ertönte ein Geräusch, das wie ein heftiges Niesen klang. Eine Pistole mit Schalldämpfer. Die Projektile trafen George Rizzo in der Brust und im Kopf.

Mit starren, toten Augen sackte in sich zusammen.

5

Der Tatort war mit Flatterband abgesperrt worden. Kein Mensch konnte genau sagen, wie die Straße hieß, denn irgendwelche Witzbolde hatten sich einen Spaß daraus gemacht, die Schilder abzumontieren. Laut der letzten Version des Stadtplans handelte sich um die George Washington Lane.

Mein Kollege Milo Tucker und ich befanden uns in einer der übelsten Gegenden der South Bronx. Die City Police traute sich nur in Mannschaftsstärke und mit angelegten Kevlar-Westen hier her. Dementsprechend waren diesmal auch ungewöhnlich viele Sicherheitskräfte an dem Einsatz beteiligt, bei dem es eigentlich nur darum ging, den Tatort vor dem Betreten Unbefugter zu schützen.

Ich parkte den Sportwagen bei den anderen Einsatzfahrzeugen. Abgesehen von den Einsatzkräften der City Police waren auch bereits die Kollegen der Scientific Research Division und der Homicide Squad des zuständigen Polizeireviers vor Ort.

Dr. Brent Claus von der Gerichtsmedizin traf gerade ein.

Wir warteten auf ihn und er begrüßte uns freundlich.

„Haben Sie schon eine Ahnung, was uns hier erwartet, Agent Trevellian?“, fragte er.

Ich schüttelte den Kopf. „Wir kommen von einer Zeugenvernehmung auf Rikers Island und waren gerade in der Nähe, als uns der Anruf aus der Zentrale erreichte“, berichtete ich. „Das Opfer ist ein Drogendealer und hat einen Strick um den Hals. Damit gehört er vermutlich in die Serie, mit der wir gerade zu tun haben.“

„Drei ähnliche Fälle in vier Wochen“, ergänzte Milo. „Da will einer die Szene ganz gehörig aufräumen.“

Ein uniformierter Kollege hielt uns an. Wir zeigten ihm unsere Dienstausweise.

„Lieutenant Alexander wartet schon auf Sie!“, sagte der Officer.

Wir erreichten schließlich den Tatort.

Ein Toter lag auf dem Bürgersteig. Zwei Schusswunden in Kopf und auf der Brust waren unübersehbar. Außerdem gab es noch eine Wunde an der Schulter, die sehr viel größer war und sehr stark geblutet haben musste. Darüber hinaus hatte der Tote allerdings noch weitere Verletzungen. Man hatte ihm brutal die Zähne eingeschlagen.

Lieutenant Barry Alexander von der Homicide Squad des zuständigen NYPD-Reviers war gerade in ein Gespräch mit einer Mitarbeiterin der Scientific Research Division verwickelt, die sofort durch die weißen Schutzoveralls auffielen.

„Zwei Hülsen lagen hier herum“, sagte die SRD-Kollegin. Sie hieß Sandra Dominguez. Ich kannte sie flüchtig von anderen Tatorten. „Alles spricht dafür, dass der Mord mit einer Waffe verübt wurde, mit der Projektile vom Kaliber 9 mm verschossen werden.“

Lieutenant Alexander drehte sich zu uns herum. Wir grüßten knapp.

„Ich habe Sie sofort rufen lassen, denn ich nehme an, dass dieser Mord etwa mit Ihrer Serie zu tun hat.“

Ich blickte auf den Toten. Er trug einen bis zu den Knöcheln reichenden Ledermantel. Die Augen starrten ins Nichts.

Ein fingerdickes Seil hing ihm locker um den Hals. Es war zur Schlinge geknüpft – wie bei einem Galgen.

„Der Mann hieß George Nelson Rizzo“, berichtete Lieutenant Alexander. „Er trug einen Führerschein bei sich. Laut Computer ist er mehrfach wegen Drogendelikten, Körperverletzung, Hehlerei und ähnlichem verurteilt worden und hat ein paar Jahre auf Rikers Island verbracht.“

„Ein Drogendealer, dem symbolisch ein Strick um den Hals gelegt wurde“, sagte Milo. „Da scheint es jemand auf die kleinen Crack-Verteiler abgesehen zu haben.“

Lieutenant Alexander deutete auf die Straße. „Hier soll angeblich die Grenze zum Gebiet der ‚Spiders’ sein. Zumindest, wenn man unseren Informanten Glauben schenkt.“

Die ‚Spiders’ waren eine Drogengang, die sowohl uns, als auch den Kollegen der örtlichen Polizeireviere und der DEA zunehmend Sorgen bereitete. Sie hatten ihr Gebiet innerhalb eines Jahres verdreifacht und wir vermuteten, dass sie von einem der großen Syndikate als Verteiler eingesetzt wurden.

„Ich nehme an, dass da irgend eine große Nummer im Hintergrund das Verteilersystem für Drogen unter seine Kontrolle bringen will“, glaubte Lieutenant Alexander. „Aber das herauszufinden ist Gott sei Dank nicht mein Job, sondern Ihrer.“

„Hatte Rizzo Drogen bei sich?“, fragte ich.

„Nein“, sagte Alexander.

Inzwischen nahm Dr. Brent Claus seine Erstuntersuchung des Toten vor. „Drei Schusswunden“, erklärte er. „Tödlich war der Treffer im Kopf, vielleicht auch der Schuss in die Brust. Das kann ich aber erst nach der Obduktion sagen.“

Nur das Projektil im Kopf befand sich noch im Körper, da es keine Austrittswunde gab. Das Projektil, das durch die Brust gegangen war, steckte im Asphalt und wurde von Sandra Dominguez eingesammelt.

Aber die Kugel, die George Rizzo durch die Schulter gefahren war, fehlte.

So sehr die Kollegen der SRD auch in unmittelbarer Nähe danach suchten, sie tauchte einfach nicht auf.

„Eigentlich ist das nur so zu erklären, dass diese Verletzung nicht hier erfolgte“, stellte Sandra Dominguez klar. „Außerdem bin ich mir ganz sicher, dass es ein größeres Kaliber gewesen ist!“

„Dann wurde Rizzo angeschossen, flüchtete hier her und wurde kurz bevor er das Gebiet der ‚Spiders’ verlassen konnte von zwei weiteren Kugeln aus einer anderen Waffe niedergestreckt“, fasst Milo den vermuteten Tathergang zusammen.

Lieutenant Alexander zeigte uns noch, was man bei dem Toten gefunden hatte: Ein Handy, ein Notizbuch und eine Brieftasche mit insgesamt 5000 Dollar, mehreren Kreditkarten und einem Führerschein.

Daneben gab es auch eine Visitenkarte einer Hilfsorganisation für Drogenabhängige. HELP nannte sich die.

„War Rizzo selbst süchtig?“, fragte ich an Dr. Claus gewandt.

„Definitiv kann ich das erst nach der Obduktion sagen“, lautete die Antwort des Gerichtsmediziners. „Allerdings muss er zumindest gekokst haben. Die Nasenschleimhäute sind völlig ruiniert.“

„Die meisten Kleindealer sind selbst mehr oder minder schwer abhängig“, meinte Lieutenant Alexander. „Auf diese Weise fangen die meisten mit diesem Teufelsbusiness an. Ein bisschen Stoff für einen Kumpel kaufen und etwas mehr nehmen, als man selbst bezahlt hat...“

Außerdem fand sich noch ein Schlüsselbund in seiner Hosentasche.

Das Notizbuch enthielt Abkürzungen und Zahlen.

„Vielleicht die Telefonnummern seiner Kunden?“,  vermutete Milo.

„Mit etwas Glück vielleicht die seines Lieferanten.“

Ein Handy klingelte mit der Melodie von ‚Take Five’. Es war Lieutenant Alexanders Apparat. Er sagte dreimal knapp: „Ja!“ Dann beendete er das Gespräch und wandte sich an mich. „Auf Mister Rizzos Namen ist ein Cabriolet zugelassen. Kollegen haben den Wagen ein paar Straßen weiter gefunden.“

„Ich schlage vor, wir sehen uns den auch mal an“, sagte Milo.

Ich hatte nichts dagegen einzuwenden.

6

Die Straße, in der das Cabriolet gefunden war, hatten wir schnell erreicht. Uns fiel gleich der Einsatzwagen der Police auf. Er stand mit blinkenden Rotlichtern am Straßenrand.

Zwei Uniformierte durchsuchten gerade einen jungen Mann, höchstens Mitte zwanzig.

Ich fuhr den Sportwagen an den Straßenrand.

Wir stiegen aus.

Milo deutete auf die Reihe der auf der gegenüberliegenden Straße abgestellten Fahrzeuge, denen zum Teil die Reifen abmontiert worden waren. „Hier lässt man besser seinen Wagen nicht länger stehen, als unbedingt nötig, was?“

„Selbst, wenn die Polizei daneben steht“, nickte ich.

„Wenn George Nelson Rizzo seinen Wagen hier stehen ließ, hat die Tragödie, die zu seinem Tod führte, vermutlich auch hier begonnen!“

„Er bekam einen Schuss ab, flüchtete, wurde verfolgt und bekam dort, wo er gefunden wurde, den Rest.“

„Es sind zwei gewesen, Jesse. Zwei Waffen – und daher wohl vermutlich auch zwei Personen.“

Wir erreichten das Cabriolet. Unsere Vermutung bestätigte sich. Einer der Kotflügel war Blut besudelt. Der Wagen musste unbedingt von den Kollegen der SRD unter die Lupe genommen werden.

„Hey, nichts anrühren!“, rief uns einer der Cops entgegen. Ich ging auf ihn zu und hielt ihm meinen Ausweis entgegen. „Jesse Trevellian, FBI. Dies ist mein Kollege Milo Tucker.“

„Entschuldigen Sie“, erwiderte der Polizist, ein groß gewachsener, breitschultriger Mann mit rötlichem Haar. „Ich bin Sergeant McGhee und mein Kollege ist Sergeant O’Leary. Lieutenant Alexander hat uns gebeten, in der Gegend nach dem Wagen von diesem Rizzo zu suchen. Hier ist er! Und der Kerl hier hat sich daran zu schaffen gemacht!“

Der junge, lockenköpfige Mann stand breitbeinig an Wand, während Sergeant O’Leary ihn abtastete.

Ein Schlagring, ein Springmesser und ein langläufiger Revolver vom Kaliber .45 kamen zum Vorschein. Der Revolver glänzte metallisch und war offenbar auf Hochglanz poliert. Der Griff war aus Perlmutt und wies ein paar charakteristische Verzierungen auf. Unter anderem war der Kopf eines Cowboys zu sehen.

„Sehr geschmackvoll“, meinte Milo.

Er nahm Sergeant O’Leary die Waffe ab und tütete sie in Cellophan ein.

„Das könnte die Waffe sein, aus der Rizzo zum ersten Mal getroffen wurde“, schloss ich.

Inzwischen war auch ein Führerschein sichergestellt worden. Ich sah mir das Dokument an. Das Gültigkeitsdatum war ziemlich plump gefälscht. Der junge Mann hieß Wayne Smith und er wohnte nur ein paar Blocks weiter.

Handschellen klickten.

Ich trat näher an ihn heran. „Wissen Sie, wessen Cabriolet das ist?“

„Keine Ahnung.“

„Sie brauchen nichts zu sagen, aber wenn Sie sich dazu entschließen, auszusagen, kann alles vor Gericht gegen Sie verwendet werden“, belehrte Milo ihn.

Sergeant O’Leary packte den Gefangenen bei den Schultern und drehte ihn herum. Er lehnte gegen die Wand. „Ich hatte ihn bereits belehrt, Agent Tucker. Aber einmal mehr kann ja kaum schaden.“

„Für meine Begriffe sah das so aus, als wollte er den Wagen kurz schließen“, sagte Sergeant McGhee.

„Ihr Cops könnt mich mal kreuzweise!“, rief er.

„Wir suchen den Schützen, der auf den Besitzer des Cabriolets geschossen hat“, erklärte ich ihm. „Aus Ihrer Waffe wurde vor kurzem noch geschossen, das kann man riechen. Wenn wir Sie mit zur Federal Plaza nehmen, kann man an Ihren Händen nach Schmauchspuren suchen und einwandfrei feststellen, ob Sie innerhalb der letzten Tage eine Waffe benutzt haben.“

„Ja, ich habe mit der Waffe geschossen und ich weiß auch, dass das öffentliche Tragen von Schusswaffen in New York nicht gestattet ist! Aber verdammt noch mal mit dem Mord an diesem Typen habe ich nichts zu tun!“

„Wahrscheinlich haben Sie ihn nur verletzt, aber ein paar Straßen weiter hat ihm jemand den Rest gegeben“, sagte ich. „Der Kerl hieß George Nelson Rizzo. Er hat mit Drogen gedealt. Kennen Sie ihn?“

„Nein.“

„Jetzt machen Sie schon den Mund auf. Kooperation kann man das bis jetzt wirklich nicht nennen!“

„Verdammt!“

„Na los!“

Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse.

„Was interessiert mich dieser Mist, ich wollte nur den Wagen haben. Aber das verdammte Ding hat irgend so eine Sicherheitssperre oder etwas in der Art. Das kann man nicht einfach kurzschließen.“ Er atmete tief durch.

„Rizzo hatte ein Buch mit vielen Nummern darin. Wenn Sie sein Kunde waren, dann sagen Sie uns das besser jetzt!“, verlangte ich.

„Ich war nicht sein Kunde!“

Ich ließ nicht locker. „Was war los? Hat es Streit gegeben wegen einer Lieferung? Enthielten die Crack-Steine nur noch Backpulver und kaum noch Kokain?“

„Das ist doch Unsinn, Mann!“

„Oder ist Rizzo einfach nur in ein Gebiet eingedrungen, in dem er keinen Zutritt hatte?“

„Verdammt, hast du keine Ohren, G-man? Ich habe den Typen nicht gekillt! So wahr ich hier stehe!“

„Haben Sie irgendetwas gesehen?“

Auf einmal starrte der Lockenkopf mit vor Schreck geweiteten Augen an mir vorbei. Die Pupillen waren ziemlich stark vergrößert. Ein Indiz dafür, dass er irgendetwas genommen hatte.

„Nein!“, schrie er.

Im nächsten Moment peitschten Schüsse. Der erste traf Wayne Smith mitten in den Kopf. Er taumelte zurück, schwankte kurz und ging dann wie ein gefällter Baum zu Boden.

Sergeant O’Leary griff zur Waffe an der Hüfte, aber er kam nicht mehr dazu, die Dienstwaffe aus dem Holster zu reißen. Eine Kugel traf ihn in die Brust, riss das Hemd auf und blieb in der, in dieser Gegend für alle Cops, obligatorischen Kevlar-Weste hängen. Er wurde zu Boden gerissen. Der zweite Schuss traf ihn am Hals. Blut trat aus. Er versuchte, die Blutung mit der Hand zu stoppen. Vergeblich. Das Blut rann ihm zwischen den Fingern hindurch. Er sank zu Boden. Milo und ich gingen in Deckung, während  wir unsere Dienstwaffen zogen und auf jenes Fenster im fünften Stock schossen, aus dem man auf uns angelegt hatte. Ein Schattenriss war dort an einem offenen Fenster zu sehen. Der Gewehrlauf mit dem aufgesetzten Schalldämpfer reichte ziemlich weit hinaus.

„Kümmern Sie sich um O’Leary!“, wandte ich mich an McGhee.

Milo und ich schnellten aus unsere Deckung. Wir rannten schräg über die Straße und näherten uns jenem Gebäude, aus dem die Schüsse abgegeben worden waren.

Die Haustür war ausgehängt.

Der Flur mit Graffiti besprüht. Ein Mann saß in sich zusammengesunken in einer Ecke. Seine Augen waren geschlossen. Ein Spritzbesteck lag auf dem Boden verstreut. Er atmete ruhig und regelmäßig. In der Lunge rasselte es dabei erschreckend geräuschvoll.

„Haben Sie hier jemanden gesehen?“, fragte Milo. Er musste seine Frage noch einmal wiederholen, damit sein Gegenüber sie überhaupt zur Kenntnis nahm.

Der Mann riss die Augen auf, sah meinen Kollegen an und schloss sie sofort wieder. Es hatte keinen Sinn, ihn anzusprechen.

Wir erreichten den Lift, aber dort gab es nichts weiter als leere Schächte. Außerdem stellten wir fest, dass zumindest im Erdgeschoss sämtliche Türen ausgehängt worden waren. Ich bezweifelte, ob hier überhaupt noch jemand wohnte – von den Ratten, die ab und zu über den Flur huschten mal ganz abgesehen.

Wir nahmen das Treppenhaus, pirschten uns Absatz für Absatz nach oben. Dabei hielten wir uns immer schön außen, weil man nur von dort einigermaßen die Übersicht behalten kann. Mit der Waffe im Anschlag arbeiteten wir uns voran. Wenn der Schütze, der den jungen Mann namens Wayne Smith auf dem Gewissen hatte, sich noch im Haus befand und verschwinden wollte, musste er uns eigentlich entgegen kommen.

Beinahe lautlos brachten wir die Treppen bis zum fünften Stock hinter uns.

Ein Luftzug wehte durch das gesamte Gebäude. Es musste Dutzende von Fenstern hier geben, die seit einem Jahr oder länger ohne Glas waren.

Die Wände waren kahl, der Putz blätterte ab.

Wir schlichen durch einen langen, breiten Korridor. Rechts und links schlossen sich die Wohnungen an. Auch hier waren überall die Türen ausgehängt worden. Offenbar hatte man alles dem Haus geholt, was noch irgendwie Wert besaß.

Ein Geräusch ließ uns aufhorchen. Ich rannte diesem Geräusch nach, bis ans Ende des Korridors. Milo folgte mir. Ein großer Raum von mindestens zwanzig Quadratmetern lag vor uns. Ich war mit ein paar Sätzen bei der Fensterfront. In etwa der Hälfte der Fenster war noch Glas.

Ein Schuss zischte in eines der Fenster hinein und zerstörte es vollkommen.

Ich duckte mich, als ich draußen Schritte hörte. Mit beiden Händen fasste ich die Waffe und tauchte aus meiner Deckung hervor.

Ein Mann mit Lederjacke und Piratentuch rannte über das Flachdach des angrenzenden Nachbarhauses davon. THE HELL’s FINEST stand in verschnörkelten Fraktur-Lettern auf seiner Jacke.