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Table of Contents

Titek

Impressum

Gelungene Elternschaft

Wer die Kindheit wie einen Klotz am Bein empfindet

K a p i t e l 1 - Basisfördernde Betrachtungen

K a p i t e l 2 - Glücksgefühle wollen wir und scheuen die Angst

K a p i t e l 3 - Wir sind alle Wirbeltiere mit zusammenhängenden Evolutionslinien

K a p i t e l 4 - Über das „Verbeißen“ der Kinder zum Nutzen aller

K a p i t e l 5 - Mögliche gute Elternschaft

5.2. Die Nähe zur Natur verbessert erheblich die Chancen auf gute Elternleistungen

K a p i t e l 6 - Aphoristisches Pausenbrot

K a p i t e l 7 - Finale Betrachtungen

K a p i t e l 8 - Weiterführende Literatur

Mehr von Steffen Kopitzsch bei DeBehr

 

 

 

 

Steffen Kopitzsch, Marlies Kopitzsch

 

 

 

 

 

Wir lassen los,

weil wir euch lieben

 

Wenn Eltern wieder eigene Wege gehen

Gesunde Nähe und Distanz in Familien

 

 

 

 

 

 

 

DeBehr

 

Copyright by: Steffen Kopitzsch, Marlies Kopitzsch

Herausgeber: Verlag DeBehr, Radeberg

Erstauflage 2019

ISBN: 9783957537270

Umschlaggrafik Copyright by Adobe Stock by ©Kurhan, ©ghoststone, ©Gina Sanders

 

 

 

 

 

 

Gelungene Elternschaft braucht den Kinderabstand – den SIE sich verdient haben!

 

 

Eltern wollen gute Eltern sein, wobei die gegenwärtigen „Elternkumpelei“ gerade das Gegenteil erzeugt.

 

Das durchaus notwendige „Verbeißen“ fällt dann umso schwer.

 

 

 

 

Wer die Kindheit wie einen Klotz am Bein empfindet, erfährt nie die Leichtigkeit des Seins.

 

 

 

Eine der schwierigsten Fragen ist wohl, ob man eine Narbe wieder aufreißen soll, in der Hoffnung auf eine bessere Heilung.

 

 

 

Nichts ist unbefriedigender als eine Lebenslüge umzulügen.

 

K a p i t e l 1 - Basisfördernde Betrachtungen

 

 Als ausreichend praktizierendes Lehrerehepaar, mit den notwendigen psychologischen und pädagogischen Kenntnissen, kann man es einfach nicht lassen, sich über Kinderbiografien mit ihren Entwicklungsmöglichkeiten und den dazugehörigen Elternansichten und Qualitäten fast ohne Unterlass Gedanken zu machen. Die Erziehungsvielfältigkeit auf der einen Seite und die oft klar voraussehbaren traurigen zukünftigen Kinderwege auf der anderen Seite, und darum geht es vor allem, sind zwar neutral gesehen hochinteressant, drängen allerdings zum Aufschrei, bei den gemachten Fehlern, die durchaus verhinderbar gewesen wären.

 Wir nehmen hin, was uns die Tatsachen geben und greifen ein in das zwangsläufige Abenteuer der Eltern-Kind-Beziehung. Sie bildet eine der Hauptachsen für die gute Qualität einer menschlichen Existenz. Sie durchfasert die Inhalte eines Menschenlebens bis in die feinsten Denkstrukturen. Schließlich gehört sie zum individuellen Glück oder Unglück und schafft damit die Voraussetzungen eigener Lebensentwürfe.

 Erweiternd kommt die Tatsache hinzu, dass wir die Anerkennung anderer Menschen brauchen (Eltern, Großeltern, Geschwister, Mitschüler, Freunde, Bekannte). Die Wertschätzung, die man zum Leben benötigt, kann man sich nur zum geringen Teil selbst verabreichen. Bleiben Respekt und Wertschätzung der Außenwelt dauerhaft aus, können sie psychische Erkrankungen hervorrufen, die ganze Lebensphasen begleiten.

 Die Einführung beinhaltet gleich zu Beginn, welche Schwerpunkte wir in unserem Büchlein zu bearbeiten gedenken, welche Inhalte den Rahmen geben sollen. Dafür folgende Ansatzpunkte, in der Hoffnung, dass kommende Gedankenansätze Lust aufs Weiterlesen machen:

 

o Das Gefühl des Glücks im Leben und die dazugehörige Bedeutsamkeit, wobei man Glück eben nicht direkt finden oder erwerben kann. Für erfolgreiche Erziehungsarbeit ein unerlässliches Gefühl.

o Die Zusammenhänge von Erziehung, Glück und Angst.

Die Erziehung bringt gute und schlechte Ergebnisse. Das erhaltene oder zurückgeführte Zusammenleben bringt relativ selten Korrekturen. Was geschehen ist, bleibt Tatsache, ist in den Hirnen fixiert.

o Warum es die substanzreichere Entscheidung ist, die großen, erwachsenen Kinder zu „verbeißen“, wie es die Tiereltern schon immer tun. Es bedeutet für alle Beteiligten sehr häufig die bessere Entscheidung.

o Beide Seiten haben sich von der oberflächlich gesehen freudvollen Großfamilie nicht unbedingt entfernt, auch wenn sie sich mehrheitlich als ungeeignet erwiesen hat.

o Die gesellschaftlichen Verhältnisse sind in steter Veränderung, ob wir es wahrhaben wollen oder nicht (Stadt-Land-Betrachtungen).

o Das Leben strebt sowohl nach Bindung als auch nach Freiheit.

 

Selbstverständlich muss basisgebend vorausgeschickt werden, dass bei durchschnittlicher Intelligenz die Individualität und Spezialisierung jedes Menschen groß genug ist, um einen Spezialweg für sich zu sehen. Ohne Zweifel richtig und muss auf jeden Fall zu Anbeginn unserer Ausführungen formuliert werden, damit unumstößlich deutlich wird, bei allen begründeten Argumenten bleibt immer der persönliche Aspekt des Unterschiedes und der Besonderheit.

 Die Zeit ist endgültig vorbei, wo die Eltern erwarten sollten, die Schule wäre in der Lage, auf die Kinder dahingehend einzuwirken: Sie möchten doch bitte dankbar sein und das Geschaffte und Erworbene der Eltern in Ehren halten, indem sie beispielsweise das Elternhaus weiter mit Leben erfüllen, ohne es später lieblos zu verkaufen. Dies kann nicht im Sinne der Eltern liegen. Oft ein Großteil ihres Lebens haben sie gepflegt und erschaffen, mit der stillen und ausgesprochenen Bitte, die Kinder führen das Anwesen weiter, vielleicht übertragen sie es auf die eigenen Kinder. Die Wohnstätte bringt somit objektive Tatsachen des vollzogenen Lebens. Es bleibt deshalb nichts anderes, als die Kinder rechtzeitig im Elterneigentum zu fixieren oder wieder ins Haus oder in die Eigentumswohnung zurückzuholen, oftmals verbunden mit noch zu beschreibenden Schwierigkeiten und Ärgernissen. Das ist ebenso die Gewähr dafür, mit eigenen weniger erfolgreichen Erziehungszielen in Einklang zu kommen.

 Zudem wird eine wichtige Grundlage eröffnet, eigene Objektivitätsbeträge im Leben und damit nach dem Tod zu gewinnen. Es ist die Wichtigkeit gemeint, dass nahezu alle Menschen, vielleicht etwas Eitelkeit und etwas positives Selbstwertgefühl vorausgesetzt, bestrebt sind, nach dem Lebensende noch etwas Bestand zu bewahren. Die Erkenntnis gehört unseres Erachtens zu den wichtigsten Denkleistungen des Lebens, wenn man den Tod als den selbstverständlichen Lebensschluss betrachtet, weil sich dann das Dasein besser mit Inhalten füllen lässt. Selbst im individuellen Maßstab stimmt der Satz: Falls Lebensleistungen verloren gehen, reißt die Verbindung zwischen dem Gestern und dem Morgen. Mit dem eigenen Verschwinden geht dann jedes Zukunftsmoment verloren. Das Nachdenken über die persönliche Lebensspanne hinaus ist kein Merkmal des Nebenbei. Es gehört einfach zu den mindestens wichtigen Bedürfnissen des verantwortungsbewussten späten Erwachsenenalters. Die Psychologen bezeichnen es Generativität.

 Wenn man schon den Tod akzeptieren muss, dann ist das Weiterleben in den Köpfen Außenstehender eine überaus bedeutsame Zielorientierung. Auch bei der schwierigen Konstellation, dass es bis zur Berühmtheit nicht reichen wird. Demnach hauptsächlich die Familie diese Erhaltung übernehmen muss. Wie sonst könnte der sehr wohl bekannte Glückszustand schon zu Lebzeiten derartige Größenordnungen erreichen? Die Wenigsten werden bekannte Musiker, Spitzensportler, Ärzte oder Architekten. Es können die Ausgestaltung eines Hauses, eines Gartens, Haltungen, substanzreiche Äußerungen, Lebensstile und eine bestimmte Qualität von Bekannten und Freunden sein. Alles zählt! Wer es vermag, sich diese Objektivität zu verschaffen, also unbeeinflussbar vom Subjektiven, befindet sich im eindeutigen Bereich des Glücklichseins. Was nichts anderes bedeutet, als dass wir noch einige Gedanken des Glückszustandes zu erörtern haben. Glück ist nicht nur eine psychische Angelegenheit unter vielen, sondern das Herzstück unseres Daseins (siehe nächstes Kapitel). Es ist allenthalben spürbar, Glück besitzt in der allgemeinen Lebensplanung der meisten Menschen einen bedeutsamen Stellenwert. Doch wenn es um die konkrete Umsetzung geht, zerbröseln die Vorstellungen an den Bestrebungen nach Geld, Macht und Erfolg. Erreichen wir doch ein glückgebendes Ziel, ist der Zustand von ziemlich kurzer Dauer und wird abgelöst von erneuter Unzufriedenheit. Dabei hat die Suche nach Glück wenig mit der Intelligenz der jeweiligen Person zu tun. Gerade die Klugen und Fleißigen kooperieren bei der Glücksbeschaffung oft mit kurzen Erfolgswegen, was eine werthohe Glückserfüllung mehr oder weniger unmöglich macht.

 Spätestens mit dem Aufkommen der Eitelkeit innerhalb unserer Evolution begann die konsequente Beinhaltung der Objektivitätsschaffung zu Lebzeiten. Nennen wir es das Bekanntbleiben von geistigen und materiellen Leistungen eines Verstorbenen. War es zuerst hauptsächlich die Stellung in der Gruppe mit einer gewissen Bedeutung als Erinnerungsgrund nach dem Tod, kam danach die Stellung der Kinder und ihre Haltung zu den Eltern. Die Entwicklung erfuhr einen Höhepunkt mit dem Aufkommen von Privatbesitz. Soll aussagen, die vollzogene Sesshaftigkeit schuf Möglichkeiten, das Geschaffene direkt an die dankbaren Kinder weiterzugeben, was die Bestrebungen sprunghaft erhöhte. Ohne Pause wird bis heute dieser Weg vollzogen. Damit grenzen wir uns völlig von der Tierwelt ab und nahmen selbstredend eine riesige Menge Entwicklungsschwierigkeiten in uns auf.

 Viele Menschen machen es sich fast zur Lebensaufgabe, eines Tages ein Eigenheim zu besitzen. Sie sind davon überzeugt, mit eigenen vier Wänden werden sie glücklicher sein als in einer Mietswohnung. Doch die Wahrheit sagt anderes. Spätestens nach einem halben Jahr sinken die Glücksgefühle, man fühlt sich wie vorher. Ob Umzug, Hochzeit, beruflicher Aufstieg oder eine Gehaltserhöhung, ob Ehrgeizling oder Grübler. Einzelereignisse beinhalten selten die Substanzmenge, um einen lang andauernden Optimismus zu erzeugen, das Wohlbefinden ist auf diesem Weg erstaunlich kurzlebig. Wesentlich höher liegt der Wert, wenn es gelingt, im Leben einige unumstößliche Tatsachen anzuhäufeln, an denen niemand sein Unheil treiben kann, niemand kann dem „festen Baum“ Stabilität wegkommunizieren oder erstreben. Wie schon gesagt, persönliche Aktivitäten, kleine Errungenschaften, einen Abstand zur Mitte, menschliche Güte und Verständnis. Merkmale, die nach dem Tod nicht sofort verloren gehen, wo die „Klinke“ beim Durchschreiten der Abtrittstür nicht kurzzeitig schon eine Erkaltung erfährt.

 Ohne Einschränkung ist Robert Musil zuzustimmen, wenn er die Frage nach dem rechten Leben als die einzig lohnende empfindet. Zum rechten Leben gehört eindeutig die Frage, habe ich einen kleinen Fundus nach dem Tod geschaffen? Etwas, für andere Spürbares, von totaler Unabhängigkeit gegenüber bekanntschaftlicher und nachbarschaftlicher Geschwätzigkeit. Erst einmal egal zu welcher, natürlich bestimmt auch hier die Eitelkeit die persönlichen Ansprüche. Aber ein paar kleine, spürbare und sichtbare „Kieselsteinchen“ sollten es schon sein. Steinchen der Wesentlichkeit, mit einem Hauch Einzigartigkeit.

 Wie bereits kurz erwähnt, für Normalos muss es meist die Familie richten. Bei Lichte betrachtet, können es nur die Kinder sein. Letztlich die Kinder sollten in der Lage sein, die Gedanken und Leistungen weiterzutragen und am Leben zu erhalten. Übrigens ein wichtiger gesellschaftlicher Punkt, der uns mittel- und langfristig bezüglich der Anzahl des Kindernachwuchses hoffen lassen kann. Zu stark die positiven Selbstwertgefühle, die Arroganz und der Neid auf die Draußenwelt.

 Das ist exakt die Qualitätshöhe nach dem Sterben, die jeder Mensch zu erreichen imstande ist. Nicht ohne Mühe allerdings, was hinreichend bekannt sein dürfte. Dazu braucht es eine bestimmte Ausdauer des Herangehens, ein psychologisches Talent und ein geschicktes Händchen. In einem Menschenleben kommt da eine Menge an zielklaren Aktivitäten zustande. Natürlich dienen sie bewusst und unbewusst, etwas zeitgemäßer formuliert, dem einzigen Ziel: Wie erreiche ich die Gewinnerseite des Lebens, wie verschaffe ich mir ein Stück zeitweiliger Unsterblichkeit, wie werde ich zum Unikat? Zwangsläufig leuchtet in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit auf, schon am Buchanfang, wenigstens stakkatoartig die Kindererziehung in den Blickpunkt zu rücken, da der gerade besprochene Inhalt geradezu danach drängt. Keine Frage, Kindererziehung macht nicht immer Spaß. Und Kinder müssen erst einmal zur Erwachsenenphase gebracht und erzogen werden. Überaus schwierig, wie alles, was sich im Detail verliert. Dennoch eine glückliche Hand besitzt nur derjenige, welcher sie auch führt. Erziehung kann zu schiefen, besser enttäuschenden Entwicklungen führen, wodurch die angestrebte temporäre Unsterblichkeit massiv in Gefahr gerät. Für den Einstieg sollen ein paar keinesfalls nebensächliche Aspekte reichen, die später nochmals aufgegriffen werden. Schon weil wir der Meinung sind, nicht deckungsgleiche, kleinere Wiederholungen bringen festeres Wissen. Wie in der Schule!

 Zu nennen wäre die Überbehütung der Kinder. Dazu die Regellosigkeit und die fehlende Hierarchie. Das jahrelange Bespielen der Kinder, was die Kreativität und das eigene Spieltalent wesentlich einschränkt. Schließlich ergeben sich daraus ein ständig forderndes Kind und überbeanspruchte Eltern. Verhaltensauffälligkeiten gehören dann zum normalen Alltag. Weiterhin gehen die meisten Eltern heutzutage davon aus, dass sie ein besonderes Kind gezeugt und geboren haben, mit hervorstechender Schönheit und Intelligenz, was sonst. An den bizarren Rufnamen und Mehrfachrufnamen sind die Erwartungen leicht zu erkennen. Leistungsorientierte Eltern mit Superkindern gehen bei Problemen nicht zum Lehrer. Das Schulamt auf direkten Weg muss es schon sein. Oder vielleicht doch gleich der Anwalt? Superkinder sind schwer in der Lage, ihre Fähigkeiten real einzuschätzen. Die Lobeshymnen aus vorherigen Zeiten und der Gegenwart müssen negative Folgen haben. Eltern tun sich schwer, einmal festgelegte Überhöhungen selbst zu korrigieren. Geradezu zwingend ergeben sich Schwierigkeiten mit dem schulischen und gesellschaftlichen Umfeld, wie später die Lehre oder beim Studium. Oft endet die Ausbildung erst einmal mit einem Abbruch, wobei der Gedanke unmittelbar Bedeutung erlangt: Die feste Zielsetzung über das gemeinsame Wohnen, die Bildung einer Großfamilie, werden bereits an dieser Stelle von Gefahren bedrängt. Es besteht eine neue Konstellation, ob man es wahrhaben will oder nicht. Gewiss werden noch weitere folgen, denen wir uns freilich zuzuwenden gedenken.

 Für die Akzeptanz bedarf es des Hinweises, wir verfügen auch über praktische Erfahrungen, was die Bildung beziehungsweise das Weglassen einer Groß- oder Spätfamilie betrifft. Etliche Jahre psychologischer Beobachtungen, Auswertungen und Einflussnahmen in Stadt und Land sollten ein ordentliches Grundpolster darstellen. Wir beide, zusammen aus der Großstadt kommend und aufs Dorf gezogen, waren über den dortigen Prozentsatz von Großfamilien erstaunt. Die Mehrzahl aller Familien mit Kind oder Kindern praktizierten die Großfamilie, stellenweise mit Großeltern, beruhend auf einer langen Geschichte. Gleichwohl auf dem ersten Blick, alle zufrieden, alles bestens. Auf dem zweiten Blick erschwerte sich vehement das Zusammenleben. Teilweise so stark, dass wir es als eine Katastrophe empfanden. Alle noch zu beschreibenden Fehler wurden ausgelebt. Vom Gastzustand der Eltern, dem Grabenkrieg bis zu Hassexzessen, von Geschwistern, die das Elternhaus eben nicht überschrieben bekamen. Dabei beide Seiten nicht in der Lage, den Zustand zu einer Besserung hinzuführen, zu ändern im Sinne, bei der die Vernunft wieder die Oberhand gewann. In erster Linie wäre das Klügste, hauptsächlich die Trennung herbeizuführen, die für niemanden als Option stand (materiell bereits zu viel investiert u. ä.). Unter Schmerzen machten alle Beobachteten weiter, im Spiel des Leidens ohne Ende.

 Keinesfalls nur die erzürnten Eltern mit den Superkindern haben die Schulverhältnisse negativ beeinflusst. Die Schule ist zum Marktobjekt, zu einer Dienstleistungsinstitution geworden, in der Kinder und Eltern als Superkunden agieren und die Arbeitsgänge ungemein erschweren. An der Stelle ganz nebenbei, der späteren Objektivierung der Elternleistungen und möglichen Großfamilie wird das spürbare Verhaltensmanko des Schulkindes erhöhte Zukunftsschwierigkeiten erbringen. Wer bösartig die Lehrer attackiert, wird seine Rolle gegenüber den Eltern wenig ändern und umgekehrt. Man kann einschätzen, Eltern sehen ihre Kinder oftmals positiv-illusionistisch. Der Hauptgrund ist, sie überschätzen sich selbst deutlich und geben die Inhalte, kaum nachvollziehbar, den Kindern zur Kenntnis. Daraus resultierend stellt sich für die Lehrer das Klassenzimmer häufig als eruptives Gebiet dar, auf dem es immer wieder zu Erschütterungen und kleinen Explosionen kommt. Die vielerorts vorherrschende Atmosphäre, geprägt von Gleichgültigkeit und Geringschätzung, zerstört zumeist irreparabel die Beziehung zwischen Lehrern und Schülern, eingeschlossen die Motivation beidseitig.

 Pubertäre Renitenz basiert auf Konzentrationsschwierigkeiten durch hormonelle Überproduktion durch schiefgelaufene Elternerziehung. Sie stellt die Schwerpunkte der Schwierigkeiten dar. Die Schule ist nicht in dem Zustand, die Benachteiligten und Unterforderten längerfristig aufzufangen. Es besteht mehr eine Verwaltung der Potenziale. Die entscheidende Mankowirkung ergibt sich aus der politisch zugelassenen jahrzehntelangen Zerstörung des Lehrerstandes durch permanente Einmischung. Heute haben viel zu wenige Abiturienten noch Lust, ein Lehrerstudium anzutreten. Lehrer sind im hohen Maße mit Überforderung, Hilfslosigkeit, Leidensdruck und Resignation beschäftigt. Gerade wer mit pädagogischen Idealen den Lehrerberuf beginnt, erlebt die Wirklichkeit bremsklotzartig und damit erschöpfend. Die neuen Seiteneinsteiger (vor allem mit fehlender oder geringer Studienvorbereitung) werden das Bild des Lehrers mit seinem gesellschaftlichen Stand und seiner beruflichen Talentnotwendigkeit weiter verdünnen und somit die Achtung vor dem Lehrerberuf weiter gegen Null treiben, bis hin zur massiven Meinung, das kann doch jeder. Der irrwitzigste Weg ist der Einsatz von Quereinsteigern in der Unterstufe. Aus welchem Schulamts- oder Ministeriumshirn muss das entsprungen sein? Auf welchem Weg sind sie in diese Position gelangt? Jahrzehntelang die kommenden Notwendigkeiten verschlammt (Kinderzahlen, Schülerzahlen, Lehreralter, Anzahl der Studienabbrüche bei Lehrerstudenten – alles leicht zähl- und einschätzbar) und dann dieser geistige Dünnschiss. Aber das ganz nebenbei! Genauso nebenbei, die Anzahl der Privatschulen hat enorm zugenommen, auf denen, kaum überraschend, viele Politikerkinder und Kinder höherer Verwaltungsangestellter sich ihres Daseins erfreuen. Macht irgendwie stutzig und US-Amerika lässt grüßen. Sage andererseits niemand, es gäbe bei den nationalen Machern keine Zukunftspläne.

 Wir leben in einer Zeit, in der folgende Einschätzungen tendenziell kaum noch von der Hand zu weisen sind: Festzustellen ist eine zunehmende Gewalt an den Schulen und in den Familien, eine steigende Zahl von Schulverweigerern, psychisch auffällige Schüler und von den Alltagsproblemen überforderte Jugendliche. Auf der anderen Seite ist zu konstatieren, dass Eltern vor diesen massiven Schwierigkeiten kapituliert haben, indem sie sich aus dem Erziehungsprozess mehr oder weniger zurückziehen. Nehmen wir als einfaches Beispiel das Staunen. Es gehört unverändert zu einer unverzichtbaren Lebenskunst. Kinder und erst recht Jugendliche kommen leider nicht mehr zusammen, um gemeinsam zu staunen, sich substanziell auszutauschen, sondern um gemeinsam abzuhängen, auch abkacken genannt. Das mag im ersten Moment banal erscheinen. Dahinter steckt eine ganze Menge Inhalt, wir haben noch mehr davon im Ranzen. Als Beweisführung sollen die Aufzeichnungen eines scheidenden Lehrers dienen. Aufgeschrieben in einem Tagebuch, demzufolge vergleichbar mit einem Gedächtnisprotokoll. Drei Beispiele dürften dafür reichen, wie kompliziert die Schulsituationen zwischen Lehrern und Schülern nach der Wende geworden sind. Anzumerken ist noch, die Aufzeichnungen stammen aus dem Jahr 2009. Und wohlgemerkt, die Zeiten, was unser Schulsystem betrifft, sind keinesfalls besser geworden. Jedenfalls legen sie Zeugnis ab, dass die Hierarchie zwischen Lehrern und Schülern schnell erheblichen Schaden genommen hat. Von einem Erziehungsauftrag kann demzufolge nur noch in Ausnahmen gesprochen werden. Abgesehen davon, dass sicherlich erheblich viele Eltern glauben, sie werden immer besser, weil die Lehrer immer schlimmer und schlechter werden, sind die Lehrer die einzige Menschengruppe, die noch intensiven Kontakt zu heutigen Kindern und Jugendlichen hat. Schon aus diesem Grund sollte man sie besser pflegen.

B e i s p i e l  1

Normalerweise freut man sich über Schülerhinweise, weil sie davon zeugen, dass Schüler engagiert bei der Sache sind, sonst käme kein Hinweis. Anders in meinem Fall: Ich hob einige Papierknäuel vom Boden auf, da ich es leid war, danach zu fragen, wer der Geburtshelfer dieser und jener Papierkugel war. Einmal umging ich die mittlerweile törichte Fragerei, andererseits dachte ich an eine Vorbildrolle, die ich ausstrahlen würde, sofern ich mich ohne große Kommentare um die fremden Papierobjekte kümmerte. Soweit verständlich und keine Neuigkeit. Neu war, dass mich eine Schülerin der neunten Klasse mit guten Gewissen auf weitere Papierkugeln aufmerksam machte. Als ich sie daraufhin damit konfrontierte, dass es wohl nicht meine Aufgabe sei, Klassenzimmermüll zu entsorgen, kam ein Schulterzucken der Verständnislosigkeit. Auf die Frage, ob sie mir beim Aufräumen helfen würde, zumal der Restaufwand sehr gering war, kam der Satz: „Das war ich doch nicht. Ich räume doch keine fremden Sachen auf.“

 Die Beispiele nehmen kein Ende, den Lehrern wird kristallklar um die Ohren gehauen, wie erfolgreich wir Schüler auf das Arbeitsleben vorbereiten. Diese Schülerin wird keinerlei Unannehmlichkeiten mit Vorgesetzten haben. Sie geht den direkten Weg, ist dabei dezent und vorsichtig. Sie weiß, Vorgesetzte zu beeindrucken. Auf sie wartet eine erfolgreiche Arbeitswelt!

B e i s p i e l   2

Im Zuge des Schul-Ganztages wurde ich dieses Jahr auserkoren, die AG-Tischtennis zu leiten. Kurzfristig hatten sich dafür aktive Tischtennisspieler zur Verfügung gestellt. Doch bei dieser Bezahlung, der Notwendigkeit, die Arbeitszeit dafür verschieben zu müssen und der leistungsabgeneigten Einstellung der Schüler, waren sie schnell wieder abgesprungen. Am Anfang klang die Idee sehr gut, vor allem Leute aus dem Umfeld, aus dem Territorium, zu gewinnen. Heute steht nur noch ein kleiner Kern zur Verfügung und allen ist klar, dass sich dieser Kern, insbesondere in einer Kleinstadt, nicht wieder erweitern wird, wenn er überhaupt bestehen bleibt. Den großen Rest machen wieder die anfangs unbeliebten Lehrer. Wie gesagt, die Ausgangsidee war keinesfalls schlecht. Neue Gesichter, Leute aus der Praxis, Leute mit Spezialwissen. Doch genau diese Spezialisten wissen um ihre Qualität und kennen ihren Preis. Es ist wie so oft. Man baut ein einseitiges Konstrukt, vergisst wichtige Elemente und ist dann überrascht und enttäuscht, dass der ganze Plan in sich zusammenfällt. Geringer Vorwurf, man will eine neue Qualität und vergisst, auch der Kontext hat bis zur Ausbrütung der Idee wesentliche Änderungen erfahren.

 Ich konnte zwar nur den Tischtennisschläger für den sportlichen Hausgebrauch bewegen, machte aber nichts, weil die Teilnehmer ohnehin keine sonderlichen Ambitionen hegten. Sie wollten ein bescheidenes Hin und Her, mehr nicht. Ohne Ehrgeiz, den weißen Ball über das Netz bugsieren. Mehr Aktivität war aus den Sporthirnarealen der Schüler kaum erkennbar. Die Schüler, welche mit höheren Zielstellungen begannen, passten sich über kurze Zeit an. Eine gewisse Änderung ergab sich nur beim bekannten chinesischen Massenspiel, bei dem mehrere Spieler pro Spielseite gegeneinander antreten und nach erfolgreichem Ballkontakt die Seite wechseln müssen. Bei dieser Spielart konnte man nämlich seinen Nebenspieler herrlich reinlegen, indem man den Ball überaus hoch spielte, wodurch der Spieler der Gegenseite, oft vorher abgesprochen und entsprechend aufgestellt, ordentlich schmettern konnte. Übrigens wurden die Siegpunkte hierbei lautstark gesammelt. Punkte mit Beschiss! Dabei kam immense Freude auf. Der Lehrer erhielt keine Sonderrolle, im Gegenteil. Dafür konnten die Alphaschüler auch für seine Teilnahme richtig betteln (bis dahin besaß ich von mir den Eindruck, ich sei als Lehrer erklecklich beliebt). Was mit Vehemenz deutlich macht, nichts hält ewig. Die Gegenwart wird zu einer recht kurzen Zeitspanne. Ohne Zweifel kommt dies noch erschwerend zum allgemeinen Lehrerdasein hinzu. Eine neue Erkenntnis war es schon! Dieser Zustand der Wettkampfferne war bemerkenswert. Bis zu meiner Neusicht dachte ich unverdrossen, Kinder, egal welchen Alters, sind stets bestrebt, saubere Sieger zu ermitteln, es sei ihnen praktisch in die Wiege gelegt. Vielleicht heißt der moderne Sportsatz heute, besser keinen Wettkampf als verlieren.

 Weshalb ich die Notizen machte, hat noch einen anderen Grund. Als ich an einem dieser Tage die Turnhalle betreten wollte, war die Eingangstür zugedrückt. Über einen Schlüssel verfügte ich nicht, weil nur die Sportlehrer den besonderen Schlüssel besaßen. Ich machte mit Klopfen auf mich aufmerksam. Einige schon innen befindliche Schüler hatten mein Begehren ausreichend begriffen. Doch statt mir die Tür zu öffnen, durch das Drücken der Klinke von innen, rannten sie weg und versteckten sich hinter einer Säule. Ab und zu lugten sie ein wenig hervor und freuten sich offensichtlich, dass ich wie ein Depp draußen stand. Nach drei bis vier Minuten kamen einige Schüler und öffneten mir, die anderen liefen kreischend davon. Danach taten sie so, als sei nichts gewesen. Ich gebe zu, es löste bei mir doch erheblichen Ärger aus. Draußen vor der Tür zu stehen und vom Wohlwollen einer Gruppe Schüler abhängig zu sein, war ich nicht gewohnt. Wahrscheinlich waren meine Empfindungen verbunden mit dem bekannten ersten Mal. Es tut weh. Nun könnte man einwerfen, hab dich nicht derartig, schließlich sind es Kinder. Schon richtig. Jedoch sah ich ihre grinsenden Gesichter (ein akzeptierter Lehrer besitzt auch immer eine Portion Eitelkeit) und meine Wartezeit erschien mir übermäßig lang. Abgesehen davon, dass mein Aufwand sich irgendwie verringerte, indem ich ohne Schlüssel oder Schlüsselträger mich der Turnhalle nicht mehr näherte. Ist es übertrieben, in diesem Zusammenhang über den „neuen“ Status der Lehrer nachzudenken und über das bestehende Unrechtsbewusstsein der Schüler? Ist den Schülern von heute überhaupt ins Hirn gedrungen, was Regeln und Unrecht bedeuten, die Achtung vor den Älteren einbezogen? Haben sie Strategien, um begangenes Unrecht aus der Welt zu schaffen? Gar Unrecht von anderen wirksam zu begegnen? Welche Anteile besitzen die Eltern? Gehört das zum Repertoire der Kinder-Eltern-Spiele. Disziplin: Elternverarschung, bei der am Ende die Eltern über die Kindsintelligenz mindestens lachen müssen.

 Als ich einige zur Rede stellte, zeigten sie kaum Reue, aber auch keine Gelüste auf Konfrontation. Die „Suppe“ war gegessen, ein oberflächlich wirksames, schnelles Durchgangssüppchen. Eine offensichtlich wenig hervorhebenswerte kleine Episode, der man keine Beachtung mehr schenken bräuchte. Wie bei einem Kleinkind, welches sich mit den anderen Spielkameraden neuer Kurzweil zugewandt hat. Eine deutlichere Art der Formulierung wäre, das sind bereits neue Qualitäten, die auf keinen Fall mit einem Fingerschnippen mehr auszuräumen sind. Gut, ich kannte die Schüler nicht durch eigenen Unterricht. Die Schülerinnen und Schüler waren zwölf-dreizehn Jahre alt. Trotzdem oder erst recht war für mich ein Rubikon überschritten. Es vollziehen sich Veränderungen, die von mir kein „na ja“ zugestanden bekommen.

B e i s p i e l   3

Mit dem Wissen, das neue Stoffgebiet heißt Sexualität, rief mir eine Schülerin über mehrere Meter zu: „Lernen sie uns das Ficken)?“ (nochmals, es ging um den Unterrichtsstoff Fortpflanzung und Sexualität) Das war der wahre Wortlaut, formuliert von einer Schülerin der achten Klasse, die zwar mit ihren Verhalten emotionale und soziale Auffälligkeiten aufwies, der dennoch keine Sonderrolle zustand. Trotzdem verblüffte mich meine Unfähigkeit, darauf zu reagieren. Einerseits war die Derbheit neu, andererseits wollte ich meine Lockerheit nicht bei Diskussionen verschwenden. Ich überhörte dann auch noch den Satz: „Das ist doch eine alte Sau.“ Die Frage ergab sich, ist dies die Quellstunde neuer kruder Wortfindung, mit einer speziellen Art von Witzchen ohne Ende, ohne geistigen Dazugewinn? Die Reaktion kann letztlich nur sein, anpassen, offensichtlich eine neue Form der Aufmerksamkeitserlangung? Irgendwie sehr unbefriedigend, wenn man bedenkt, alles lief über etliche Jahre gut. Konnte mich nie beklagen über die Atmosphäre, den Gesprächen und Anfragen dazu, samt dem Gefühl, ich konnte einiges hinüber bewegen in der Richtung für die Mädchen: „Mach dich nicht billig“, und für die Jungen: „Denke nicht gleich nach einem Pornofilm, du wirst alsbald ein begnadeter Bumser vor dem Herrn.“ Ein Gefühl des Zerfalls macht sich breit. Es zerbröselt das Gefühl: „Los Leute, wir machen jetzt gemeinsam guten Unterricht. Alle werden davon profitieren.“ Es wird zum Abschreiben von Tafelbildern und Ausarbeitungen aus dem Lehrbuch kommen. Tödlich. Wie soll ich ein interessantes Unterrichtsgespräch führen, wenn davon auszugehen ist, dass ein ordinärer Zwischenruf den nächsten jagt? War früher aufseiten der Schüler freudige Erwartung, was Wissen und die Thematik insgesamt anbelangte, ist heute das Billigmachen, das Drängen auf niedrigste Ebene, die Verwechslung von schmutziger Handhabung und erhabener Coolness, mit dem dauernden Grundgedanken: „Weiß ich schon alles.“ Aber vielleicht male ich doch zu schwarz?

 Noch ein kleiner Praxisbeweis, der meine aufkommende Haltung deutlicher und verständlicher macht. Ausführlich behandelte ich die Verhütungsvarianten, weil ich dachte, gerade hier müsste das Thema auf Interesse stoßen. Wie gesagt, ich hatte erhebliche Zeit dafür verwendet, einschließlich der historischen Wegstrecke, die zurückgelegt werden musste. Am Ende stand eine Klassenarbeit. Die Antwort auf heutige Verhütungsmöglichkeiten einer Schülerin lautete: mehr waschen! Das zeugt doch von Aufmerksamkeit und Freude am Lernen. Oder: Was haben mir die Erwachsenen schon zu sagen. Möglicherweise ein Hauptgrund für die vielen ungewollten Schwangerschaften junger Mädchen.

 Der Ehrlichkeit wegen gehören noch einige Aspekte zur Notwendigkeit einer wenigsten schnellen Erwähnung, die lehrerschaftliche Jetztzeit betreffend. 27 Prozent jüngerer Lehrerinnen und Lehrer haben einen Job angetreten, der sie überfordert, weil sie dafür völlig ungeeignet sind. Die meisten von ihnen gestehen sogar, sie haben diesen Beruf nur wegen der Arbeitssicherheit und der guten Vereinbarkeit von Familie und Beruf gewählt.

 Bereits in den 1970er Jahren veröffentlichte der Psychoanalytiker Helm Stier die entstehenden Erziehungs- und Entwicklungsschwierigkeiten, falls die Eltern bewusst und unbewusst die Kinder zu „Delegierten“ machen, indem sie unerreichte Lebensträume auf sie übertragen. Oft werden die Kinder dann zum übermäßigen Ehrgeiz praktisch verpflichtet, dem sie selten gewachsen sind. Es entsteht ein Delegierter, der engagiert wird, um stellvertretend für Elternbefriedigung zu sorgen. Die Kinder werden zur Unfähigkeit verdammt, ein eigenständiges Leben zu führen. Wie aus entwicklungsbiologischen Studien hervorgeht, sind Kinder zu keiner Zeit passive Wesen, die sich durch Eltern und Umwelt beliebig formen lassen. Eltern sollten besser ihren Kindern ein vielfältiges Angebot an eigenen Erfahrungen zur Verfügung stellen, aus denen sie auswählen können (mit etwas Erklärung vielleicht) und zu ihren Bedürfnissen und Neigungen weitgehend passen.

 Es ist und bleibt, egal wie man zur Schule Wirkung erzielt hat, welche persönlichen Erfahrungen Anreicherung erfuhren. Fakt ist, alle Erinnerungen sind durch eine eigene Hirnkanzlei manipuliert, eine kaum bestreitbare Tatsache. Selbst das Umlügen gehört zur Arbeitsweise. Die lang andauernde Schulzeit erfährt dabei eine verstärkte Umschreibung, da Schulzeit im Kinderzustand und Jugendlichkeit, später ein Erwachsener mit viel Abstand etwas aus der Vergangenheit herausinterpretiert. Die Qualität des Lehrers und der Schule verliert an Güte, je weiter die Schulzeit zurückliegt. Ungeachtet der Ergebnisse und Arbeitsweisen jedweder Hirnkanzlein, das Lehrerdasein beinhaltet die entscheidende Kraft für den Lernerfolg der Kinder, meint der neuseeländische Bildungsforscher John Hatti.

 Kommen wir wiederum kurz, Sie wissen wegen der Basiskenntnisse, zu dem bekannten Satz: „Kinder brauchen erst Wurzeln, dann Flügel (Ursula Neumann, Erziehungsstilforscherin). Er klingt relativ banal, klingt er aber nur. In Wirklichkeit stecken erhebliche Mühe, viel Geschick und Gefühl dahinter. Oft wird die Wurzelrealisierung heute weitgehend vergessen. Wichtiger erscheinen vielen Eltern Zielstellungen wie Selbstständigkeit, Bildung und Durchsetzungsfähigkeit. Die Bindungsforschung kommt jedoch zu anderen Ergebnissen. Erlebte Geborgenheit und ausreichende Sicherheit in der Familie (entspricht den Wurzeln) müssen stabil gegeben sein, damit der Drang zur „Welterkundung“ (Flügel) entstehen kann. Die Kurzform hieße dann: ohne gesicherte Wurzelgefühle Angst vor Erkundung! Verwöhnung und Inkonsequenz bilden in dieser Hinsicht die größten Fallensteller.

 Auf jeden Fall, auch die Inhalte der wichtigen Begriffe Bindung und Freiheit sind in unseren Genen fixiert und warten auf Benutzung. Deshalb ist der Satz einer Mutter über ihre Tochter: „Wir haben keine Geheimnisse voreinander, wir sagen uns alles“ sehr besorgniserregend, weil er nicht stimmen darf.

 Ist es besser für Kinder, wenn man sie bei kleineren Erschwernissen in relativer Ruhe lässt? Sollte ihre Entscheidung das Ergebnis relativer Eigenständigkeit sein? Ist es dann beim heutigen Konkurrenzdenken bis zur elterlichen Gleichgültigkeit nicht weit? Gleichgültig sein kommt gegenwärtig gleich nach Misshandlung. Alleine das Aussprechen ruft Missbilligung und Verachtung hervor, wobei gerade hier sich die Bemerkung aufdrängt, Psychologie ist niemals schwarz-weiß und vorwiegend Millimeterarbeit. Das betrifft Eltern der gesamten Vielfalt. Aus tieferen Statusregionen kommend, mit Migrationsvergangenheit und „natürlich“ Eltern mit aristokratischem und akademischem Hintergrund. Ein Flächenbrand der Überbehütung und der frühzeitigen Talenterkennung hat sich breitgemacht.

 Ausgebremst und negativ verstärkt wurden die durchaus klugen Ideen und Feststellungen von Jugendpsychiater Michael Winterstoff, der mit dem Buch „Warum unsere Kinder Tyrannen werden“, 2008 erhebliches Aufsehen erregte. Sein Buch schnellte bezüglich Aufmerksamkeit schnell nach oben, um wenig später wieder weitgehend zu verschwinden. Zu früh, zu wenig gesellschaftlich akzeptabel (massiv gegen Elternerziehung, sie sind schließlich Wähler). Es war noch nicht die Zeit, sich damit ehrlich auseinanderzusetzen. Denn: Die ausgewählte Zeit wird erst kurz vor der Katastrophe sein, wenn überhaupt keine Möglichkeiten für Korrekturen mehr existieren. Eine seiner Hauptthesen basiert auf der Überzeugung, bis auf das Teenager-Alter beharren die Heranwachsenden auf den Denkweisen von Dreijährigen. Vielleicht etwas hart formuliert, der Inhalt stimmt. Bis in die Abiturstufe versuchen sie, ein Leben zu führen, welches vom Lustprinzip im Hier und Jetzt (genannt Hedonismus) dirigiert wird. Dies bedeutet weiter, die Jugendlichen haben sich und schon Jahre früher auf der Ebene festgefressen, weitgehende totale Regelfreiheit und der Ablehnung von Pflichten, womit wir uns mit Sicherheit in Tyrannennähe befinden, zumindest die Möglichkeit zugegeben werden muss.

 Die ganze Erziehungsphase, und die beträgt eine lange Zeit, dürfen die von folgenden Fragen niemals abrücken: Geht es mir darum, die Kinder zu lieben oder will ich bei ihnen beliebt sein, den beliebten Kumpel darstellen? Will ich ihnen helfen oder geht es insgeheim darum, das Selbstbild zu verbessern? Unter Wissenschaftlern besteht mehrheitlich die Auffassung, dass die Eltern verstärkt Konzepte zu einer neuen Beziehungskompetenz benötigen, um mit den Kindern auf Augenhöhe das absolut wichtige „DU“ wieder wahrzunehmen. Klingt gut, solange mit der Augenhöhe kein Zusammenleben von Kumpeln gemeint ist. Kinder brauchen unabdingbar Anleitung und Führung, die ihnen vor allem Sicherheit bringt, was ab der Adoleszenz eine der wichtigsten Lebensgrundlagen darstellt.