Titel
Impressum
Man lebt zweimal
Niemand sollte mit diesem Schicksal alleine gelassen werden.
Ihr, die ihr mich so geliebt habt
Mein Sohn
Sieh mich an
Suizid
VORWORT
SUIZID
HINTERBLIEBENE NACH SUIZID
TRAUERN MIT ALLEN HÖHEN UND TIEFEN
MEINE TRAUERPHASEN
Abschiedsbrief
SCHULDGEFÜHLE
DER UMGANG MIT MEINEM UMFELD
ICH UND MEINE ÄNGSTE
NICHTS IST FÜR DIE EWIGKEIT
DIE DROGEN
Auf der Suche nach Hilfsangeboten
ZURÜCK INS LEBEN
LITERATUR/QUELLEN
NACHWORT
DANKE
Mein letztes Bild von Daniel
Paula Russel
Mama, ich kiffe doch nur
Suizid - Mein Sohn nahm Drogen, dann nahm er sich das Leben
AUTOBIOGRAFIE
DeBehr
Copyright by: Paula Russel
Herausgeber: Verlag DeBehr, Radeberg
Erstauflage: 2019
ISBN: 9783957536792
Grafiken: Copyright by Paula Russel und Fotolia by © David, © ilfotokunst, © mobilise248, © grafikplusfoto, © Romolo Tavani, © Kushnirov Avraham, © Manuela Manay, © Victor Tongdee, © Laura Pashkevich, © Siberica, © ammij, © milankubicka, © Leonid Eremeychuk, © ViennaFrame
Man lebt zweimal:
das erste Mal in der Wirklichkeit,
das zweite Mal in der Erinnerung.
Niemand
sollte mit diesem Schicksal
alleine gelassen werden.
Ihr, die ihr mich so geliebt habt, seht nicht auf das Leben, das ich beendet habe, sondern auf das, welches ich beginne.
Mein Sohn wurde drogenabhängig … Er suchte nach Erleichterung von der Last des Lebens.
Sieh mich an,
ich nehme, was ich kann.
Ich fang zu fliegen an,
und die Fantasie geht an,
die Realität geht aus.
Und das, was gescheh’n, ist,
auch.
Vielleicht tut es mir nicht gut,
aber ich nehm’s in Kauf.
Suizid ist die dritthäufigste Todesursache unter Jugendlichen in den USA. Studien konnten einen Zusammenhang zwischen dem Drogenkonsum und der Entwicklung von Suizidgedanken sowie dem Planen und Versuch des Selbstmordes zeigen.
(Quelle: Soc Psychiatry Psychiatr Epidemiol 2013; 48: 1611–1620)
VORWORT
Der Suizid meines Sohnes war die größte Herausforderung für mich, ihn zu verstehen und seinen Entschluss zu akzeptieren stellte mein Leben total auf den Kopf. Ein Chaos der Gedanken und Gefühle brachen über mich herein …, die vielen Warum-Fragen gruben sich tief in meine Seele ein.
Wie soll man mit so einer Situation umgehen?
Wie soll man eine solche Entscheidung respektieren?
Wie schafft man es weiterzuleben?
Wie findet man Antworten auf all die ungelösten Fragen?
Mir war es sehr wichtig, Daniels Entscheidung mit Würde zu begegnen, die Waage zu halten zwischen dem Verständnis und der Zurückweisung meines Sohnes. Er hatte sich entschieden, unsere Beziehung so endgültig zu beenden, und das war für mich eine Zurückweisung. Er hatte das Gesetz eines natürlichen Todes außer Kraft gesetzt und mein geordnetes Leben über den Haufen geworfen.
Am Anfang war es sehr schwer, darüber offen zu sprechen, denn wer spricht schon gerne von seinem Sohn als Selbstmörder, und wer möchte gerne die Mutter eines Selbstmörders sein? Diese Tatsache hat mich bewogen, meine Erlebnisse, Gedanken, Gefühle und Ängste, die mit dem Tod meines Sohnes zu tun hatten, aufzuschreiben, um gleichzeitig liebevoll von ihm Abschied zu nehmen.
Erst später habe ich festgestellt, dass es für mich eine Art Therapie war. Wichtig war mir auch, dass ich nichts vergesse, was mit meiner Trauer und dem Tod meines Sohnes zu tun hatte.
Ich habe mich nie groß mit dem Thema Suizid auseinander- gesetzt, mein Sohn ließ mir keine andere Wahl. Mein Junge hat sich das Leben genommen, und das Wort Suizid begleitet nun mein Leben. Das Wort Suizid drängte sich immer wieder in den Vordergrund, und das gelebte Leben meines Sohnes rückte in den Hintergrund.
Sein Leben bestand ja nicht nur aus seinem Suizid. Ich war einfach nur überfordert und auf der Suche nach Hilfe. Hier habe ich festgestellt, dass es nicht viele Bücher über erlebte Ereignisse und Erfahrungswerte gibt.
Es gibt viel Literatur und Ratgeber.
Mir fehlten Bücher über gleichgesinnte Eltern, die über ihren Schicksalsschlag geschrieben haben, um anderen Eltern das Gefühl zu geben, dass sie mit dem Thema Suizid und den vielen Warum-Fragen nicht alleine auf dieser Welt sind. Ich habe einige Zeit gebraucht, um festzustellen, dass ich ohne Hilfe mit meiner Trauer und den Schuldgefühlen nicht weiterkomme.
Wer kann in einem solchem Fall helfen, und wo findet man Hilfe? An wen kann man sich wenden? Kann der Glaube helfen?
Mit all den vielen Fragen habe ich mich auf den Weg gemacht, um einige Adressen und Informationen zu finden - Angehörige, deren Kinder einen Suizid begangen haben. Ich habe viel über Suizid, Trauer, Schuldgefühle, Depressionen und Drogen gelesen und habe sie aus meiner Sichtweite zusammengestellt.
Ich habe alle Bücher, die meine Wegbegleiter waren, unter der Rubrik Auf der Suche nach Hilfsangeboten und Unterstützung aufgelistet.
Ein Suizid trifft uns immer plötzlich, und man ist auf so eine schreckliche Nachricht nicht vorbereitet.
Ein Mensch tötet sich, weil …
SUIZID
In Deutschland sterben mehr Menschen durch die eigene Hand als im Straßenverkehr, durch Drogen, Aids und Verkehrsunfälle. Fachleute vermuten, dass alle 52 Minuten ein Mensch sein Leben auslöscht.
Und: Jeder Suizidtote lässt durchschnittlich circa sechs nahestehende Menschen zurück, die oftmals kaum wissen, wie sie weiterleben sollen. Suizid und Suizidversuche sind nicht nur in Randgruppen alltäglich, die kommen in jeder Schicht vor.
Viele Hinterbliebene fühlen sich gerade in ihrem persönlichen Umfeld wie Aussätzige behandelt. So müssen sich viele Angehörige mit diffamierenden Bemerkungen – der Suizid sei doch zu verhindern gewesen, wenn man sich nur eifriger um den Menschen gekümmert hätte – auseinandersetzen.
Somit macht Suizid Angst und lässt eine Mauer des Schweigens wachsen.
Der Suizid zwingt Angehörige regelrecht in die Knie, sie sind mit ihren Gefühlen, Gedanken und Regungen überfordert.
Die liebevollen Gedanken, die man an einen Verstorbenen hat, um zu trauern, gehen am Anfang oft unter. Das letzte Ereignis, der Suizid, der drängt sich immer in den Vordergrund, das Gefühlschaos nimmt Oberhand und macht Platz für Schuldgefühle. Diese Schuldgefühle belasten und drücken sich in Warum-Fragen aus und „Hätte ich doch besser aufgepasst“.
Es tauchen viele widersprüchliche Gefühle gegenüber dem Verstorbenen auf, die bei einem Nicht-Suizid-Tod nicht vorkommen.
Häufig vereinsamen die Angehörigen: Weil sie sich argwöhnisch beobachtet fühlen, und weil der Verlust eine nicht schließbare Lücke in ihr Leben gerissen hat.
Schon die Worte Selbstmord oder Freitod klingen gefährlich und tückisch. Man denkt sofort an Mord, aber der betroffene hat keinen Mord begangen, er hat sich nur entschieden, in dieser irdischen Welt nicht mehr zu leben. Mord heißt, einem anderen Menschen das Leben nehmen, das ist bei Suizid nicht der Fall.
Das Wort Selbstmörder klingt auch irgendwie verächtlich, und viele Menschen assoziieren es mit krankhaftem Schwächling, der Versager oder einer, der Gott spielt, weil er selbst Hand an sich legt.
Dazu kommt noch, dass das Wort Mord sehr negativ besetzt ist. Ein Mensch, der sich das Leben nimmt, bekommt gewollt oder nicht gewollt eine abwertende Haltung und beschämt die Angehörigen. Eine Suizidtrauer ist eine der schwersten Form von Trauer, bei einem normalen Tod kann man sich trösten mit den Worten, er wollte leben, bei einer Selbsttötung nicht. Die so genannte Selbstbestimmung eines Suiziden erschwert die Akzeptanz der Trauer und macht zunächst stumm. Angehörige stehen unter einem Schock, es kann Monate dauern, bis das düstere Seelengeheimnis ansatzweise verarbeitet wird.
Gibt es Menschen, die suizidgefährdeter sind?
Diese Frage ist noch umstritten, man vermutet, dass es Risikogruppen gibt: Depressive, Alkoholiker, Alte und Vereinsamte, Schizophrene, Menschen nach einer Trennung, Betroffene von Konflikten am Arbeitsplatz, medikamenten- und drogenabhängige Jugendliche.
Die suizidalen Gedanken entstehen oft in schwierigen Lebenssituationen, der Schmerz sitzt in der Seele und wird für einen Suizidalen unerträglich. Es gibt viele Situationen, die einen seelischen Schmerz hervorheben, zum Beispiel Verletzungen, Enttäuschungen, Trennungen von wichtigen Personen. Auch Gefühle des eigenen Versagens und des verbundenen Zielverlustes fördern die Gedanken des Nichts-Taugens. Diese Gedanken und Gefühle lösen im Körper einen Alarmzustand aus, der schwer unter Kontrolle zu bringen ist. Sie können nicht mehr klar denken und spüren sich nicht mehr in ihrem eigenen Körper.
Psychiater sprechen von „dissoziativen Zuständen“, das sind psychische Ausnahmezustände, in denen das harmonische Erleben von Wahrnehmung, Gefühlen, Gedanken und Körperempfindungen vorübergehend gestört ist. In einem solchen Zustand sind wir nicht mehr in der Lage, klar zu denken und überlegt zu handeln. Unser gesamtes Erleben ist aus dem Ruder gelaufen. (Prof. Dr. Konrad Michael)
Suizid ist keine überlegte Handlung, so schreibt er über:
das emotionale Hirn und das Vernunfthirn,
emotionale Krisen, die unser Gehirn überfordern,
gewisse Faktoren, die das Suizidrisiko erhöhen, frühe traumatische Erfahrungen,