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FILM-KONZEPTE

Begründet von Thomas Koebner

Herausgegeben von Michaela Krützen, Fabienne Liptay und Johannes Wende

 

Heft 54 · Mai 2019

Nicolas Winding Refn

Herausgeber: Jörg von Brincken

 

Print ISBN 978-3-86916-805-0
E-ISBN 978-3-86916-807-4

 

Umschlaggestaltung: Thomas Scheer

Umschlagabbildung: © Nicolas Winding Refn: The Neon Demon, (2016). Mit freundlicher Genehmigung von Space Rocket Nation.

 

Soweit nicht anders angegeben, handelt es sich bei den Abbildungen aus den Filmen um Screenshots.

 

E-Book-Umsetzung: Datagroup int. SRL, Timisoara

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

 

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© edition text + kritik im Richard Boorberg Verlag GmbH & Co KG, München 2019
Levelingstraße 6a, 81673 München
www.etk-muenchen.de

Inhalt

Jörg von Brincken
Vorwort. Der filmische Fetischismus von Nicolas Winding Refn

Jakob Larisch
Produktiver Störfaktor. Gewaltdarstellung und Exzess in den Filmen Nicolas Winding Refns

Sofia Glasl
Monochrome Zeitlupe – Die Kolorierung der Langsamkeit. Farbe und Geschwindigkeit in Nicolas Winding Refns Filmen

Ivo Ritzer
Der Drive der Darstellung. Post-Cinema – Post-Continuity – Post-Mise-en-scène

Lucas Curstädt
THE NEON DEMON – »Die dämonische Leinwand«. Zur Ontologie und Epistemologie der Leinwand

Susanne Kappesser
In Strukturen gefangen. Marginalisierte Männlichkeiten in PUSHER, PUSHER II, BRONSON UND ONLY GOD FORGIVES

Lioba Schlösser
Gewaltsame Entwürfe performativer Identität. Nicolas Winding Refns subversiv queere Körperkonzepte

Marcel Schellong
Balance halten. Nicolas Winding Refns Meditationen über die Erfahrung von Kontingenz und Kontingenzbewältigung

Marcus Stiglegger
Zwischen Mythos und Moderne. Mythische Strukturen in den Filmen von Nicolas Winding Refn

Biografie

Filmografie (Auswahl)

Autor*innen

Ivo Ritzer

Der Drive der Darstellung

Post-Cinema – Post-Continuity – Post-Mise-en-scène

Im kurzen Text zu ONLY GOD FORGIVES (2013) zeigt Drehli Robnik, worum es der Mise-en-scène von Nicolas Winding Refn zu tun ist. Bei Winding Refn, den er liebevoll als »dänischen Hipsterschnöselkonzeptualisten«1 adressiert, diagnostiziert Robnik eine Dominanz der Darstellung, die sich in ihrer demonstrativen Dilettanz selbst dekonstruiert. Der Film, so Robnik, sei auf eine Weise »inszeniert, dass Unvermögen und Übererfüllung fiebertraumhaft ineinanderfließen«. Es gehe mithin um eine Dialektik von Bewegung und Stillstand, die paradoxerweise keine Aufhebung mehr finden könne: »Aller Drive steuert hier Gerinnung und Erstarrung an – in ominösem Fernostkitsch, in Blutbädern ohne jede Action (alle warten auf den nächsten Schmerz), in Nicht-Gesprächen, bei denen zwischen Sätzen, selbst zwischen Schreien, Minuten vergehen (von denen der Film nur neunzig lang ist)«. Kurzum, zur Disposition stehe »Winding Refns Retro-Styling«2, das sich in einem Modus permanenter Coolness an der Oberfläche bewege. Robniks Analyse der Mise-en-scène bei Winding Refn knüpft an eine Schule der Kritik an, die lange cinéphile Tradition besitzt. Dort wird Mise-en-scène nicht nur als potenzielles Medium einer Signifikationspraxis bestimmt, sondern diese Relation selbst mit dem Begriff der Mise-en-scène gekennzeichnet.3 So hat bereits V. F. Perkins inszenatorische Tendenzen des postklassischen Kinos als ›anorganische‹ Differenz zwischen Signifikant und Signifikat charakterisiert – freilich ohne selbst ein poststrukturalistisches Vokabular in Anschlag zu bringen: »[O]ne could risk a […] statement by summing up the change in the movies since the mid 1960s in terms of the death of mise en scene«, so Perkins. Mise-en-scène ist hier kein deskriptiver, sondern, wie stets in der Tradition cinéphilen Schreibens, ein evaluativ gebrauchter Terminus. Er bezeichnet nicht per se die Organisation von filmischen Raum-Zeit-Relationen, er steht vielmehr für artistisches Ingenium, das Konventionen des klassischen Kinos für individuelle Zwecke nutzt: »By that [the death of mise en scene] I mean that in my experience of American films of the last five years, the stylistic strategies tend to be either blatantly point-making or to be totally arbitrary choices of what you put where, or what you cross-cut fast or what lens you use«4. Perkins arbeitet heraus, wie sich im Kino eine oberflächenbezogene Mise-en-scène von Körpern und Raum durchgesetzt hat, die statt der subtilen Inszenierung von Kohärenz auf darstellerische Emphasen oder kontingente Inszenierungsformen setzt. Nicht länger steht Plausibilität vor Signifikanz in diesem Darstellungsregime, für den expressiven Effekt wird vielmehr die Inszenierung einer glaubwürdigen Diegese suspendiert: durch scheinbar arbiträres Positionieren von Körpern und Objekten gegenüber der Kamera ebenso wie durch den Einsatz offensiver Postproduction-Effekte. Nie gehen diese Effekte im narrativen Fluss auf, bleiben immer merkliche Eingriffe der Inszenierung in den inszenierten Raum. Statt zu erzählen, wird nun primär gezeigt. Hier ist die Konstitution einer möglichen Welt als symbolische Diegese aufgehoben, die Option suspendiert, zugleich Plausibilität und Signifikanz zu stiften. Aus dieser Perspektive ist das Gleichgewicht von Signifikant und Signifikat nachhaltig gestört, das heißt der Signifikant apostrophiert die in ihm sedimentierten Bedeutungen. Es wird nicht mehr plausibilisiert, um dann zu modellieren, zu entwickeln, zu signifizieren. Vielmehr oszilliert die mediale Form permanent zwischen Extremen. Entweder sie scheint zufällig für bestimmte Signifikanten zu votieren oder aber sie votiert überdeutlich für einen bestimmten Signifikanten, der per Konvention dann ein bestimmtes Signifikat bedeutet. In beiden Fällen ist die klassische Einheit der Mise-en-scène verloren, operiert der Film doch jenseits der Imperative von Plausibilität und Kohärenz. Das Bild der Welt wird in jedem Fall suspendiert für die Welt der Bilder, weil die Mise-en-scène sich zwischen Diegese und Publikum stellt, das heißt sich als gestaltende Instanz selbst ins Zentrum rückt.

In diesem Sinne erscheint Nicolas Winding Refn als Metteur-enscène, der nicht als Garant von Plausibilität bei gleichzeitiger Konstitution von Signifikanz gelten kann. Er ist viel eher zu verstehen als ein narzisstischer Enunziator, der sich ostentativ als allwissende Instanz in das Narrativ einbringt. Seine Darstellung der Diegese konturiert potenzielle Sujets, anstatt sich ihnen zu subordinieren. Anders gesagt, sie wird zu einer Mise-en-scène zweiter Ordnung, weil ihr Referent weniger ein abstraktes Thema ist, sondern der inszenatorische Eingriff selbst.

Materialität des Manierismus

Adrian Martin hat im Anschluss an das cinéphile Lamento von V. F. Perkins versucht, die neue Qualität der postklassischen Mise-en-scène analytisch zu fassen. Zunächst nähert er sich einer Bestimmung der klassischen Mise-en-scène. Für ihn fallen darunter Audiovisionen, deren inszenatorischer Signifikant einerseits zurückhaltend operiert und andererseits narrative Funktion übernimmt, auch um ein bestimmtes Sujet zu artikulieren: »works in which there is a definite stylistic restraint at work, and in which the modulations of stylistic devices across the film are keyed closely to its dramatic shifts and thematic developments«. Relationen von und in Raum und Zeit signifizieren ein Sujet, die Diegese wird sowohl auf ihrer Mikro- als auch Makroebene bedeutungsvoll: »[W]hat is crucial is that the fictional world be an embodiment and dramatization of a thematic particular to each film«. Die klassische Mise-en-scène schafft ein ästhetisches Produkt, das seine Partikel signifikativ, aber nicht auf den ersten Blick sichtbar, das heißt subtil und unter Verzicht auf inszenatorische Emphase synthetisiert: »a film in which, under continued scrutiny, more and more of its elements can be seen to function as integral parts of the whole, reflecting (by comparison or contrast) aspects of the over-arching thematic«5. Hier ist die Mise-en-scène durch Fragen des Inhalts motiviert, seine Form dagegen hat kein autonomes Existenzrecht. Die in Tradition der Cinéphilie präferierten Bewegtbilder bringen ihren inszenatorischen Signifikanten in diesem Sinne zum Einsatz, fallen darunter doch schließlich die Schlüsselbegriffe von Kohärenz, Plausibilität und Balance. Die Mise-en-scène ordnet sich hier dem dramaturgischen Konstrukt unter, sie tritt kaum auffallend in Erscheinung, sondern bleibt stets auf ihr Sujet verwiesen. Das bedeutet: Auch ohne jede Abstraktion, ohne Symbolismus oder Metaphorik bleibt das Medium lesbar, Symbolismus oder Metaphorik bilden lediglich ein potenzielles Surplus jenseits der erzählten Geschichte. Daraus erklärt sich auch ihr großer Reiz auf Cinéphile: Um die Verhandlung des Themas durch die Mise-en-scène überhaupt erfassen zu können, bedarf es höchster Aufmerksamkeit für jede Einstellung, jede Bewegung darin, jeden Blick, jede Geste, jede Positionierung einer Figur oder eines Objekts.

Wenn Martin eine zweite Kategorie als expressionistische Mise-enscène klassifiziert, dann meint Expressivität nicht nur den funktionalen Ausdruck wie noch bei Perkins, sondern impliziert bereits eine (noch) moderate Eigendynamik des inszenatorischen Signifikanten. Sie bestimmt ebenjene Filme, die den von ihm beschworenen »Tod« der klassischen Mise-en-scène bezeugen. »Films whose textual economy is pitched more at the level of a broad fit between elements of style and elements of subject«, expliziert Martin, also Audiovisionen, »in which general strategies of colour coding, camera viewpoint, sound design and so on enhance or reinforce the general ›feel‹ or meaning of the subject matter«6. Die expressionistische Mise-en-scène ist für Martin also weder ein Rekurs auf den deutschen Caligarismus noch eine produktive Spannung zwischen Plausibilität und Signifikanz, sie fällt genau zwischen diese beiden Pole, indem sie mit großem Nachdruck auf die Elaboration eines Themas aus ist. Einerseits stellt sie eine direkte Relation von Form und Inhalt her, indem der inszenatorische Bedeutungsträger die zu inszenierende Bedeutung transportiert, andererseits aber den Signifikanten derart exponiert, dass er nicht mehr hinter dem Signifikat verschwindet. Die Miseen-scène intensiviert hier also ein Sujet durch ihren Stil bis hin zu dem Punkt, an dem das Thema erst durch sie generiert wird. Es geht hier um eine Mise-en-scène der Atmosphäre, die, um einen bestimmten Effekt im Zuschauersubjekt zu evozieren, auch ostentative Bedeutungspraktiken zum Einsatz bringt. Diese aber bleiben rückgekoppelt an die narrative Konstruktion, sie trennen nicht Mittel und Zweck der Inszenierung.

Dagegen löst eine dritte Form der Mise-en-scène ihre Signifikanten von der Obligation zur Signifikation. Sie schafft eine Autonomie der Bedeutungspraxis, die nur noch auf sich selbst verweist. Eine solche Mise-en-scène nennt Martin manieristisch, weil sie dysfunktional operiert, das heißt abgekoppelt von Sujet und Thema. Ihre Ästhetik macht sich souverän, fungiert als eigene Rechtfertigung und wird selbst zum Gegenstand des signifikativen Prozesses. Dadurch verlaufen Form und Thema parallel, müssen sich aber nicht mehr in einer interdependenten Relation zueinander situieren. Stattdessen bleibt ihre unifizierende Synthese suspendiert, und die Mise-en-scène wird vom zweckdienlichen Mittel zum unmittelbaren Zweck. So entstehen Bewegtbilder, die ihre Rezeptionssubjekte auf inszenatorische Verfahren fokussieren, indem sie ihre Inszenierung selbst inszenieren: »films […] in which style performs out on its own trajectories, no longer working unobtrusively at the behest of the fiction and its demands of meaningfullness«. In der manieristischen Mise-en-scène rechtfertigt sich ein spezifischer Stil nicht länger durch ein spezifisches Sujet, er wird vielmehr selbst zum eigentlichen Thema des Films.

Weil damit die lineare Relation zwischen ›Was‹ und ›Wie‹ der Inszenierung kollabiert, lassen Cinéphile sich dazu verleiten, einen generellen Tod der Mise-en-scène zu proklamieren. Martin teilt hier in weiten Zügen die Kritik von Perkins. Das postklassische Kino, so notiert er, »seems to […] lose a great deal that has been associated with the lofty concept of mise en scene. In particular, it loses the capacity for a more subtle kind of ›point-making‹ – the kind we associate with a certain critical distance installed between the director and the events that he or she shows«7. Diese manieristische Mise-en-scène bezeichnet Martin auch als »the cinema of hysteria«. Dessen Hysterie besteht in einer Über-Signifikanz der permanenten Reizüberflutung: »This is a cinema indeed ›saturated in significance‹, but in a wild, scattershot way – calculated to press all buttons and have it all ways simultaneously […] – mainly for the sake of spectacular ›effect‹«. Es ist mithin eine Mise-en-scène der falschen Bewegung: »Often we might feel, as viewers or critics, that the dynamics«, so Martin kürzlich noch einmal, »are forced, imposed on the dramatic (or comedic) content from without; that his ›amped-up aesthetic‹ […] is a desperate attempt to create pace, excitement, interest, local colour, thick mood and some vague but ominous air of meaningfulness at literally every moment of the unfolding screen time – even when it has not been (as classicists would say) ›earned‹«8. Für Martin produziert diese hysterische Mise-en-scène der falschen Bewegungen gezielt Inkohärenzen, um das Zuschauersubjekt permanent zu affizieren. Sie leitet sich dabei aus einer medienkonvergenten Disposition ab, die bei der Evaluation filmischer Mise-en-scènes zusehends mitzubedenken ist. Vor jedem thematischen Signifikat steht in diesem digitalen Paradigma des Postkinematografischen der durch Präsenzeffekte definierte Signifikant: »the sudden gasp, the revelatory dramatic frisson, the split-second turn-around of meaning or mood, the disorientating gear-change into high comedy or gross tragedy. It is hardly surprising that what links many filmmakers in this tradition is a background (and continued employment) in TV advertising and music video – those areas of audiovisual culture most governed by spectacular, moment-to-moment ›sell‹«9. Diese Mise-en-scène zielt nicht mehr ab auf das Lesen ihrer Figuren und Räume, sondern verlangt eine Unterwerfung unter ästhetische Entscheidungen. Statt einer internen Logik der Mise-en-scène mobilisiert ihre Ästhetik schlicht alle technologisch zur Verfügung stehenden Optionen.

Im Kino von Nicolas Winding Refn findet sich zweifellos eine solche Materialität des Manierismus. Der Drive der Darstellung ist hier eine Form von kontrolliertem Kontrollverlust. Er sorgt dafür, dass weniger episiert, sondern primär gezeigt, das heißt vorgezeigt wird: der inszenatorische Signifikant als Spektakel – in Form von digitalen Plansequenzen, greller Farbdramaturgie und hyperventilierender Clip-Montage. Aus der Mise-en-scène ist hier ein Mise-en-scène-Effekt geworden: in einer Autoreferenzialität inszenatorischer Opazität, die als selbst signifizierte Oberfläche wirkt.

Medialität der Moderne

In Kontrast zum Mise-en-scène-Effekt bei Winding Refn steht eine Medialität der Moderne, die sich im Referenzobjekt zu Winding Refns Erfolgsfilm DRIVE (2011) zeigt: Walter Hills THE DRIVER (1978). Michael Sragow hat THE DRIVER einst »the most abstract movie ever made in Hollywood«10 genannt, und es ist diese Tradition der Abstraktion, in die sich auch Winding Refns DRIVE einschreibt, jedoch durch seine Psychologisierung der Hauptfiguren von Hills Radikalität divergiert11.

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DRIVE

Zu Beginn von THE DRIVER verbindet Hill den titelgebenden Fluchtwagenfahrer, einsam und ohne Namen, per Konvergenzmontage mit einer jungen Frau, einer Spielerin, ebenfalls ohne Namen, die ihn bei einem Job beobachtet. Es erfolgt ein kurzer Blickwechsel zwischen Gangster und Zeugin, bevor die dritte zentrale Figur des Films auftaucht, der Detective, der auch keinen Eigennamen besitzt. Mit ausdrucksloser, vereister Mimik scheint er durch den Film zu schweben, gleich einem Somnambulen. In Kontrast zu Winding Refns DRIVE und den motivierenden Backstories der Figuren sind bei Hill alle drei Figuren mehr Chiffren als Charaktere, sie sind verdichtet zu Typen, haben keine Vergangenheit, existieren nur mittels ihrer Funktion. Durch die Aufhebung der generischen Differenz von Ursache und Wirkung, Subjekt und Objekt entsteht eine Absorption von Sinn. In der radikalen Reduktion ist alles zur bloßen Mechanik kondensiert. Eine synthetische Zeichenwelt der Gesten und Rituale wird entworfen, die Ästhetik ist betont stilisiert – und hat nichts vom Retro-Chic des Neon und dem süßen Synthie-Pop in Winding Refns DRIVE: Sowohl dunkle Schattenflächen als auch fahles Licht und verwaschene, stark ausgeblichene Pastellfarben bestimmen die Bildkomposition, Musik gibt es kaum, lediglich ein wenig Country & Western aus dem Autoradio des Driver. Den Bildern und Tönen fehlt an Kontur und Schärfe – wie auch den schweigsamen Figuren, die wie enigmatische Silhouetten durch den Film schweben, von Hill oft orthogonal gegeneinander versetzt. Ihre Techniken des Selbst zielen konträr zu Winding Refns DRIVE gerade nicht auf eine Form von Individualität ab, Subjektivität erreicht in dieser Mechanisierung der Aktion vielmehr ein semantisches Schwanken. Im Sichtbaren bleibt ein Enigma, das der Blick nicht fassen kann. Wo Ryan Goslings Protagonist bei Winding Refn von einem Leben in Liebe träumt, da gibt es bei Walter Hill nur die Option absoluter Professionalität.

Hills Driver ist kaum fähig zu existieren, ohne Option der Aktion. Einmal wird er von der Spielerin aufgesucht, doch widersteht er auch ihren eindeutigen Angeboten in den von Hill betont planimetrisch aufgelösten Figurenanordnungen. Er ist zu sehr Profi, um sich privat mit der Spielerin einzulassen. Den Luxus von Gefühlen gestattet der Driver sich nicht. Zwischen ihm und der Spielerin kann nur eine Beziehung der aseptischen Blicke existieren. Apathisch bleiben Körper und Mimik bei ihren Begegnungen, so starr wie der professionelle Verhaltenskodex, dem sie sich verpflichtet fühlen. Anders als in Winding Refns DRIVE ist der Fahrer bei Hill eben keine tragische Figur, denn er verzweifelt ja gerade nicht an seiner eremitischen Existenz. Die kriminelle Arbeit erledigt er um ihrer selbst willen, alles andere spielt keine Rolle für ihn. Zwar erkennt er das Absurde der Welt, ist jedoch unfähig, solidarisch dagegen zu revoltieren. Er versucht, sich stattdessen in selbstzweckhafte Riten der Tat, mithin: das Fahren zu flüchten. Ähnliches gilt für den Detective: Auch er ist ein Krieger, und deshalb muss er dem Driver ein Feind sein. Nie steht die Möglichkeit einer Kollegialität der beiden Protagonisten zur Disposition. Von Anfang an scheint klar, dass es zwischen dem Driver und dem Detective nur auf eine fatale Konfrontation hinauslaufen kann.

Am Ende aber gibt es, abermals konträr zu Winding Refns DRIVE, nicht den finalen Showdown. Vielmehr muss der Detective den Driver laufen lassen, aus Mangel an Beweisen. Es kommt nicht zur tödlichen Konfrontation und jenen Gewaltexzessen, die das Kino von Winding Refn so sehr bestimmen. Stattdessen etabliert Hill eine Form von Verständnis zwischen den erbitterten Gegnern, die sich frontal gegenübertreten, aber doch nicht konfrontieren. Denn beide sind von der Spielerin hereingelegt worden. Ob diese sich finanziell bereichern, den Driver lediglich vor dem Zugriff des Detective schützen oder gar beides will, bleibt die unbeantwortete Frage, mit der THE DRIVER endet. Klar scheint nur, dass dem Detective wie dem Driver auch künftig nichts anderes bleibt als die Tat. Andererseits entpuppt sich ihr Professionalismus letztlich als Chimäre; dem Detective gelingt es nicht, den Gangster dingfest zu machen, und der Gangster kann sich sein Geld nicht sichern. Sie haben die Spielerin vergessen und damit einen Fehler gemacht: Beide verlieren. Und auch die Spielerin: Der Driver ist ihr für immer verloren. Nichts wird versöhnt, nichts gelöst in diesem Film: Er endet mit einem postexistenzialistischen Blick auf Figuren, deren Leben gänzlich erstarrt ist. Was bleibt, das ist spätmoderne Medialität purer Präsenz der Erscheinungen, die sich in einer an Abstraktion nicht mehr zu überbietenden Mise-en-scène kristallisiert.

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THE DRIVER

Mit Jacques Rancière lässt sich hier von einem Drive der Darstellung als Drive der Durchkreuzung sprechen: »A constant principle of what is known as mise-en-scène in the cinema is to supplement – and thwart – narrative continuity and the rationality of the movement, either by means of visual reframings, or by means of the aberrant movements imposed by a character who simultaneously aligns himself with the scenario of the pursuit of the goal and perverts it«12. Rancière bringt damit gegen die Logik der klassischen Fabel ein für die Materialität der Moderne so zentrales Regime des Ästhetischen in Stellung, das sich durch seine heterogene Modernität konträr zum Aufbau eines homogenen Handlungsraums situiert. Die Präsenz der Mise-en-scène drängt hier gegen eine zeichenorientierte Lektüre des Narrativs, indem sie den Körpern im Raum eine medial generierte autonome Kraft einschreibt. Die aristotelische Poetik findet ihren Widerpart in den freien Dynamiken der Inszenierung. Handlung und Figurenpsychologie werden permanent von Affekten der Mise-en-scène, ihrer Präsenz wie Bewegung durchkreuzt. Sie emanzipiert das Bewegtbild durch Emphase von Bildlich- und Zeichenhaftigkeit aus den kausalen Handlungsverkettungen der Repräsentation. Ohne die manieristische Arbitrarität von Winding Refn zu suchen, verschiebt diese Mise-en-scène den Fokus der Darstellung. Den narrativen Spielfilm begreift sie nicht als erzählte Geschichte, sondern als inszeniertes Objekt. In diesem Sinne erscheint Hills Mise-en-scène aufgrund ihrer charakteristischen Fähigkeit zu einer ungewöhnlichen Szenenauflösung als zentrales Paradigma einer modernen Sensibilität, die das visuelle Inszenieren über den diegetischen Effekt triumphieren lässt. Zwischen den Polen von eruptiver Materialität und systematischer Textualität, die Rancière als ontologische Charakteristika des Bewegtbilds begreift, steht Hill für eine Audiovision, die zentrifugale Qualitäten freisetzt und damit ihre eigene Bildlichkeit ins Zentrum der Rezeption rückt.

Mise-en-scène der Kälte

Während Hill mit seiner skizzenhaft abstrahierten Mise-en-scène allegorisch eine Kondition der Moderne artikuliert, fokussiert sich Winding Refns Manierismus auf Momente der Spektakularität. Eine hochgradig mobilisierte Digitalkamera mit permanenten Perspektivwechseln, die immerfort zusätzliche Raumansichten schaffen, ein ostentativer Synthesizer-Soundtrack mit Pop-Songs, ein aggressives Sound-Design, das jedes Geräusch als Tonereignis anlegt, sie alle suspendieren jeden Subtext zugunsten einer unbedingten Emphase von Bewegung und Dynamik. Die in DRIVE, später auch in ONLY GOD FORGIVES und THE NEON DEMON (2016) radikal symmetrisch komponierten und in expressiven Farben ausgeleuchteten Bilder, die das Geschehen vor dem Publikum wie in einem theatralen Guckkasten anlegen, sie erscheinen als Inbegriff des von Jacques Rancière als »Übermacht der Effekte«13 diagnostizierten Regimes im manieristischen Post-Cinema.

Während Winding Refns Mise-en-scène aus Rancière’scher Perspektive zum Kristallisationspunkt einer »Effekt- und Intensitäts-Optimierung«14 wird, erscheint sie mit Steven Shaviro als Paradigma einer ästhetischen Konfiguration der »Post-Continuity«15. Shaviro beschreibt damit ein Regime der Mise-en-scène, in dem weder Regelbeachtung noch Regelverstoß länger Signifikanz besitzen und inszenatorische Entscheidungen oft scheinbar vollkommen aleatorisch ausfallen. Es ließe sich nicht mehr nur als manieristisch oder – mit Adrian Martin – hysterisch bezeichnen, sondern verschiebt in gewissem Sinne auch den Fokus von einer ästhetischen Theorie hin zu symptomatischen Lektüren. Post-Continuity im Post-Cinema wird für Shaviro entsprechend primär zum Zeichen einer globalen Affektmodulation im immens beschleunigten Spätkapitalismus. Ihre inszenatorische Indifferenz zeigt sich als radikale Vergleichgültigung aller ästhetischen Systeme.

Eine ästhetische Theorie der Post-Mise-en-scène hingegen mag eher auf Serge Daney zurückgreifen, der das Phänomen aus cinéphiler Perspektive bereits vor über 30 Jahren analysiert und im Zuge dessen einen neuen Inszenierungstyp bestimmt hat. »How can one define this mannerism?«, fragt Daney, um dann ein Sichtbares von einem Visuellen abzugrenzen, und wir können das manieristische Post-Cinema von Winding Refn zweifellos unter Letzterem subsumieren. Mit Daney wäre hier bei Winding Refn auf Bilder in einer Endlosschleife zu verweisen, »no longer just produced by the camera, but manufactured outside it«16. Ihm ist es zu tun um ein Visuelles, das nicht mehr inszeniert, sondern stattdessen unter einem Primat der Technologie wie programmiert scheint, ja nachgerade auf Pawlow’sche Weise das Zuschauersubjekt zu affizieren trachtet. Für Daney stimuliert dieses Prinzip klare Rückschlüsse auf die Subjekte der Produktion: »what little love is left in the cold hearts […] of the filmmakers«17. Die ›kalte‹ Post-Mise-en-scène bei Winding Refn figuriert mit Daney als Instanz der »visual signals«. Körper im Raum gibt es noch, sie aber haben im Post-Cinema jeden utopischen Gehalt – und sei es auch nur noch eine Utopie im Ästhetischen wie bei Walter Hill – kassiert. Die Welt mag noch immer eine Bühne sein, sagt Daney mit Vincente Minnelli, die Bühne aber hat aufgehört, eine Welt darzustellen. Die Bühne ist nur mehr eine Bühne.