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Table of Contents

Titel

Impressum

Wir standen vor dem Grabstein

I

FINNLAND, TEIL EINS

II

FINNLAND, TEIL ZWEI

III

FINNLAND, TEIL DREI

IV

FINNLAND, TEIL VIER

V

VI

NACHWORT

 

 

 

Monika Scheunemann

 

 

 

 

 

Von der Frau, die sich zu

ihrem Unglück in einen halben Mann verliebte

 

 

 

 

 

Roman

 

 

 

 

DeBehr

 

Copyright by: Monika Scheunemann

Herausgeber: Verlag DeBehr, Radeberg

Erstauflage: 2018

ISBN: 9783957536020

Umschlaggrafik Copyright by Fotolia by plattern43

 

Wir standen vor dem Grabstein, mit der Form eines Quaders, auf dem lediglich

 

Dr. Jan Nap

 

eingraviert ist. Kein Geburts- und Sterbedatum, kein Wort weiter – nichts.

Seine Urne liegt in einem Gemeinschaftsgrab, inmitten einer gepflegten Anlage, umgeben von anderen Steinen. Das ganze Arrangement wirkte auf mich irgendwie trostlos und erzeugte ein Frösteln – nicht nur wegen des Ambientes, sondern auch aufgrund seiner Voraussage, unter welchen Umständen sein Grabstein einmal so aussehen würde.

Meine Cousine stellte eine rote Rose neben den Stein, holte ein kleines silbernes Herz hervor und verbuddelte es in der Erde. Ich sah, wie sich dabei ihre Lippen bewegten.

Danach traf sie sich mit einer Dame, mit der sie bisher ausschließlich telefonischen Kontakt hatte. Aber es funkte gleich beim ersten Gespräch. Und als sie beim zweiten feststellten, dass beiden die besten Ideen morgens beim Zähneputzen kommen, hatte Anne endlich jemanden gefunden, der über ihn sprechen wollte.

Ich setzte mich derweil auf eine Parkbank und resümierte, wie wenig man von einem Menschen weiß, den man ein Leben lang kennt und mit dem einen mehrere Reisen verbinden – diese Ost-West-Treffen in Ungarn oder Prag, für die sie die Kontakte mitbrachte und ich das im Ostblock so begehrte West-Geld. Mir war damals nicht klar, wie sehr es sie schwächte, die ›falsche‹ Währung zu haben und damit von mir abhängig zu sein.

Von der Geschichte, die Anne Jahrzehnte umtrieb, ahnte ich nicht das Geringste. Das mag daran liegen, dass sie älter ist und hinter einer Mauer in Ost-Berlin lebte und ich vor dem Monstrum, und es Jahre dauerte, bis wir uns zu den von der DDR vorgeschriebenen Tagen wiedersehen durften. Allerdings hatte sie diesen Mann auch noch nie erwähnt.

Plötzlich schickte mir Anne – ich war inzwischen in den Süden Deutschlands gezogen – als Kopie Auszüge einiger uralter Briefe mit dazugehörigen, ebenfalls alten, stichpunktartigen Kommentaren und der als freundlich gedachten, doch mehr einem Befehl ähnelnden, Aufforderung, alles zu lesen.

Monate später kündigte sie ihren Besuch an und bat mich, mit ihr zu dem Friedhof zu fahren, der sich in einer anderen Stadt befindet. Sie wollte sich von ihm verabschieden.

Mittlerweile war ich in die Briefe eingetaucht und wunderte mich zunehmend von Seite zu Seite. Außerdem hatten sie meine Neugierde auf das noch Fehlende geweckt. Bis dahin kannte ich eine andere Anne; das heißt – im Grunde kannte ich sie gar nicht.

Meine Cousine, das unbekannte Wesen, hatte sich und ihrem Umfeld zig Jahre Theater vorgespielt.

 

I

 

Klaus hat sich auf unser Grundstück verzogen, sodass wir die von dir vorgesehenen Besuchstage größtenteils ohne ihn als Frauentage gestalten können. Seelenkunde ist nichts für meinen Mann.

Nicht nur für ihn; ich glaube für fast alle Männer.

Wie machen wir es? Sämtliche Briefe zu lesen, ist nicht zu schaffen.

Du zeigst die Passagen, auf die es ankommt, und wir lesen sie abwechselnd vor.

Wenn dir etwas unklar ist, unterbrichst du. Ich werde zum besseren Verständnis noch diverse Erklärungen beisteuern.

Da wir uns sicherlich von dem Trip in die gelegentlichen Abgründe der menschlichen Seele erholen müssen, schlage ich vor, dass du jeden Tag zum Abschluss über dein Leben in Finnland erzählst – das letzte Puzzleteil.

Das ist dann ein Sprung vom Lebensanfang zum Lebensende.

Übertreib mal nicht mit dem Ende. Nun zum eigentlichen Thema: Wie viele Briefe hast du noch von Jan? Und wie erging es dir beim Lesen? Was fühlt man, wenn einen nach einer Ewigkeit die Erinnerungen einholen und ein Teil des Lebens als Film vor einem abrollt?

Ich habe rund einhundert mit meinen Bemerkungen ausgeschmückte Briefe von ihm, dazu ein Dutzend nicht vernichteter Vorschriften der Briefe an ihn und einst aufgeschriebene Impressionen. Und beim Lesen geschah meine ›Erneuerung‹: Ich war wieder jung. Ganz gegenständlich wurden tief versenkte Bilder. Am Tage kann man sie betäuben – aber die Nacht: Da ist nichts dunkel, vielmehr bunt und extrem lebhaft. Darauf folgen Tage und Nächte der gleichen Art. Ein Paternoster mit Endlosschleife: himmelwärtiger Dachboden – höllentiefer Keller – himmelwärtiger … Es ist schauerlich schön und schön schauerlich. Die Alte steht neben der Jungen und versteht dieses Wesen nicht. Sie kommt sich wie eine Stabhochspringerin vor, die nach dem Reißen der Latte statt der weichen Matte den harten Boden trifft. Das tut weh, und sie möchte liegen bleiben, steht dann doch auf und probiert es von Neuem – wenn sie noch einen weiteren Versuch hat.

Wann und warum hast du dir diese Nabelschau angetan?

Während Luise zu ihrer Sommerarbeit nach Deutschland reiste, saß ich allein in unserer Helsinkier Mutter-Tochter-WG, als es mich von magischer Hand zu einem Schrank zog, in dem eine Mappe der Art lag, wie sie zu meinem Arbeitsleben gehörte. Wenn ich ein Projekt beendet hatte, wurden der Text und die Zeichnungen dort hineingelegt und dem Auftraggeber übergeben. Diese Mappe war auch gefüllt, jedoch unter Relikten der Schulzeit vergraben worden. Sie ist immer mit mir umgezogen, und ich habe sie bloß zweimal in all den Jahren geöffnet – ohne jeweils mit dem Inhalt weit gekommen zu sein. An diesem Tag empfahl eine innere Stimme: Lesen. Alles. Jetzt!

Mit dem Alles-Jetzt klappte es aber nicht, da ich zwei Tage später gleichfalls nach Deutschland flog. So las ich nur ein paar der gefühlvollen Briefe, die mich in Helsinki in einen beschwingten Zustand versetzten, der im Urlaub anhielt. Wieder zurück nahm ich mir unser gesamtes Schriftgut vor – und mit der Beschwingtheit war es vorbei. Der Panzer in mir explodierte, und ich erlebte und durchlebte sämtliche Irrungen und Wirrungen noch einmal.

Was du dann angestellt hast, ist einerseits bewunderungswürdig und andererseits ziemlich entsetzlich. Wer bohrt schon bei vollem Bewusstsein einen vergifteten Pfeil in eine offene Wunde.

Die Menschen sind nun mal unterschiedlich. Es macht mich kirre, nicht zu verstehen. Wir hatten keinen richtigen Abschied – so von Auge zu Auge. Ich hörte dauernd sein: Dieser Schluss kann nicht der Schluss sein. Ich weiß das und warte auf etwas von Dir. Mich trieb das Warum an, das man nicht fragen sollte – und es doch tut.

Was hast du unternommen, um ihn aufzuspüren?

Ich suchte und fand ihn im Internet und konnte eine Menge über seine Entwicklung und seine Forschungsarbeiten lesen. Er ist bei dem Thema geblieben, das ihn von jeher fesselte. Mit dem akademischen Grad, den er nach seiner Flucht in der Bundesrepublik erreichte, dem Erfolg im Beruf, dem nun endlich fließenden Geld, und damit der Erfüllung der für ihn damals so wichtigen materiellen Wünsche, und derselben Frau, hatte er all das, was ihm immer vorschwebte.

Wirklich alles?

Das kannst du dir vielleicht selber beantworten, wenn wir uns durch die Briefe und meine anschließende ›Fahndung‹ nach ihm gewühlt haben. Es war in Vorbereitung der Reise zu dir nicht einfach, das für dich vermutlich Interessante und Wesentliche aus seinen Briefen und meinen Notizen rauszusuchen.

Wie hast du Jan kennengelernt? Ich entsinne mich, dass du von der Firma, in der du gelernt hattest, weg wolltest – aber mehr weiß ich nicht.

Ihm zu begegnen war Charlottes Verdienst. Sie arbeitete seit mehreren Monaten bei uns, und die Atmosphäre behagte ihr überhaupt nicht. Wir saßen Zeichenbrett an Zeichenbrett in einem Großraumbüro. Privatgespräche sollten nur in den Pausen stattfinden, zu denen es klingelte. Charlotte suchte und fand einen anderen Arbeitgeber und nahm mich gleich mit.

Ich fing dort an einem Donnerstag, den 7.7.66 an, und so ein Datum konnte nur ein Omen für nicht Alltägliches sein.

1966 wurden Passierscheine für WestBindestrichBerliner zu Ostern und Pfingsten genehmigt. Ich habe mir bei euch Museen angesehen – wofür du dich nicht interessiertest.

Das ist so geblieben. Ich erforsche lieber Lebendiges.

Die offizielle, politische Schreibweise mit dem Bindestrich zwischen West- beziehungsweise Ostberlin habe ich mir nie zu eigen gemacht.

Der untypische zeitliche Beginn meines neuen Arbeitsverhältnisses hatte zwei Gründe: Zum einen, dass ich mich am 1. Juli noch im Ausland aufhielt und zum anderen ein für den 8. Juli angesetztes Jahresfest meines zukünftigen Betriebes. Der Kaderleiter – Personalchef in der DDR – meinte, dass es eine gute Möglichkeit wäre, bei Dampferfahrt und anschließendem Tanz im Ausflugslokal mit meinen Kollegen in spe Bekanntschaft zu machen. Der von ihnen „Herr Ingenieur“ titulierte, für den ich als Technische Zeichnerin arbeiten sollte, glänzte durch Abwesenheit. „Der nimmt an Derartigem nie teil.“ Je höher der Alkoholpegel stieg, desto mehr erfuhr ich über ihn – leider nichts Gutes. Alles Gehörte zusammengefasst, schien es sich bei ihm um einen neunmalklugen, eitlen Kerl zu handeln.          

Der so Lobgepriesene und gerade mit dem Abschluss eines Abendschul-Fachschul-Ingenieurs Dekorierte bereitete sich zu Hause auf die Aufnahmeprüfung eines Fernstudiums an der »Technischen Universität Dresden« vor und kreuzte ein paar Tage später lediglich kurz im Büro auf, um zu sehen, was für ein Gerät die Neue ist.

Er kam mit wehendem weißem Kittel einher, darunter akkurat umgekrempelten Hemdsärmeln und sah sehr gut aus – subjektiv betrachtet. Er hatte eine große, übermäßig schlanke Statur, dunkle Haare, eine bräunlich getönte Haut und ging mit einer eigentümlichen Haltung – einem leicht schrägen Oberkörper, der äußerst straff gehalten wurde. Mein Innerstes sagte: Ein Halber.

Ein Halber? Inwiefern?

Es war nur eine diffuse Vermutung, dass das, was er von sich zeigte und ausstrahlte, nicht alles war; dass er etwas verdecken wollte.

Mein Zeichenbrett stand quer zum Fenster, mit dem Licht von links, und sein Schreibtisch rechter Hand angrenzend. Mit den existierenden, auf der Betriebsfeier eingeimpften, Vorurteilen konnte er sich meiner hundertprozentigen Antipathie gewiss sein, nachdem er mit seiner Frau telefonierend sagte: Nichts Besonderes, nichts für mich. Ich bemerkte, am Brett stehend, aus dem Augenwinkel heraus, ihn in meine Richtung blicken und abfällig grinsen.

Nach dem Umzug unserer Abteilung in eine Baracke, die neben dem Hauptgebäude stand und noch Charlottes Abteilung beherbergte, saß ich unerwartet mit ihm allein im Zimmer. Unser Chef hatte zur Komplettierung eine neue Ingenieurin vorgesehen, die aber wegen Krankheit einige Wochen fehlte. Ich überspielte meine Nicht-Begeisterung und machte dann das, was mir beim Umgang mit Menschen schon immer gefiel – mich tief hinein fragen. Als Ergebnis dieser ›Befragungen‹ entdeckte ich zunächst einen Mann mit einem fotografischen Gedächtnis, der sich seiner Fähigkeiten und seiner Wirkung auf Frauen bewusst war. Seinem oft spöttischen Gesichtsausdruck und den Äußerungen war zu entnehmen, für wie blöde er hielt, was die Kollegen sagten, sowohl die Arbeit betreffend als auch das Leben im Allgemeinen. Mithilfe meiner Sticheleien holte ich ihn manchmal von seinem hohen Ross herunter in den Dunstkreis von uns Sterblichen und gewahrte allmählich rätselhafte Hemmungen und Einsamkeit. Er verschleierte sein Innenleben, indem er es mit Arroganz kaschierte.

Wir sprachen in den Pausen ausgiebig über fast alles miteinander, unter anderem über eheliche Treue. Einen Fehltritt, eventuell durch Alkohol, oder eine andere ihm bis jetzt unbekannte Ursache, wollte er seiner Frau nicht beichten und wenn doch, erwartete er Verzeihung. Es sollte ein Unfall mit sofortigem Vergessen daraus werden. Sie dagegen dürfte auf keinen Fall dasselbe tun; das würde er nicht verstehen. Das verstand ich nun nicht, und er freute sich, dass wir nur Kollegen sind.

Entgegen der während des Betriebsfestes entfachten und nach seinem Telefongespräch aufgeheizten Abneigung und meiner deshalb vorgenommenen Distanz, verbrachten wir eine harmonische und ausgesprochen fröhliche Zeit.

Aus den Reden über seine Frau klang Stolz, und seinen plastischen Beschreibungen ihres Äußeren zufolge erfüllte sie das Klischee des Männer-Typs: blond und alles dran. Bei meinem Erscheinen fielen die Vertreter des anderen Geschlechts nicht gleich in Ohnmacht. Ich hatte Humor, war schlagfertig, sagte meist, was ich dachte, war als ehemalige Handballerin trinkfest, tanzte gern und sang viel: vorwiegend die Lieder der Eliza aus dem Musical »My fair Lady«. Diese Schallplatte hatte deine Mutter in einem Paket an uns in einem doppelten Boden versteckt. 1966 ging das noch.

Hätte ich meiner Mutter nie zugetraut.

Wir ihr auch nicht. Mein Vater ärgerte sich beim Zerreißen des Kartons über den dicken Boden. Und dann erlebten wir eine Überraschung.

Meine Fragen, oft unter einer Tarnkappe verborgen, wurden von Erfolg gekrönt. Jan öffnete sich mir, und ich tauchte tief in seine Seele ein. Zu tief, um da unbefangen, oder überhaupt, wieder rauszukommen. Er nahm unüberhör- und -sehbar die kleine Zeichenmaus nicht ernst, was mich ohne konkrete Vorstellungen dazu verleitete, als Eliza-Double die erste Zeile eines ihrer Lieder in mich hineinzusingen: „Wart’s nur ab, Henry Higgins, wart’s nur ab.“ Weiter geht es bei Eliza mit: „Deine Tränen werden fließen nicht zu knapp.“ Am Ende des Liedes lässt sie ihn erschießen.

Am Donnerstag, den 1. Dezember, konfrontierte ich ihn erneut mit seiner Überheblichkeit anderen gegenüber.

Ach ja – der Donnerstag. Dieser Wochentag spielte ja eine besondere Rolle bei euch.

Eine anschließende Frage zu einer von ihm bestellten Zeichnung schmetterte er in barschem Ton mit Ich hatte Sie für schlauer gehalten ab. Am nächsten Tag verhielt ich mich ausgesucht höflich und förmlich. Er gestand einmal: Am 1. Dezember ahnte ich, dass da irgendetwas war, das ich in seiner ganzen Tragweite noch nicht erkennen konnte. Aber ich sah es auf mich zukommen.

Hattest du da bereits einen Verdacht, was auf dich zukommt?

Bei seinem ersten Brief nicht.

Liebe Kollegin!

Ich kenne das von Frauen, dass sie sich nicht ausdrücken können und dann nicht über das sprechen können, was sie bedrückt oder worüber sie sich geärgert haben. – Schade! Ich dachte eigentlich, dass wir uns anders geeinigt hätten. Wenn wir uns gestern Nachmittag beide blöde benommen haben, oder wenn Sie wollen bloß ich, dann sagen Sie, was Sie stört und seien Sie wieder lieb. So ist das nicht schön!

            Ihr Kollege Donald

Den hatte ich schon gelesen und daraus entnommen, dass er den großen Frauenkenner und Redner verkörperte. Und warum Donald?

Das mit dem Frauenkenner und angeblich alles aussprechen zu können, musste ich anfangs annehmen, entpuppte sich aber als ein großer Irrtum.

Den Namen gab ich ihm in Anlehnung an die Comic-Figur Dagobert Duck. Donald ist der arme Neffe dieser reichsten Ente der Welt, die von sich sagt: „… ich bin reich geworden, weil ich schlauer als die Schlauesten bin …“, ihre Münzen in einem Geldspeicher aufbewahrt, und als vornehmliches Hobby in die Taler springt und wie ein Maulwurf darin herumwühlt. Jan hätte ebenfalls mit Vergnügen im Geld herumgewühlt – und daher Donald.

Da wir wegen der inzwischen eingetroffenen Neuen das private Mündliche einschränkten, flatterten seine Briefe, manchmal unter ihren Augen, auf meinen Schreibtisch, oder er stopfte sie beim gemeinsamen über die Zeichnungen beugen in meine Kitteltasche. Bei seinem zweiten Brief, zu meinem Geburtstag, wurde mir reichlich blümerant.

Berlin, 25 Jahre nach einem bedeutenden Tag

Liebste Kollegin und kleine Hexie mit dem großen Mund!

Das soll eine kleine Aufmerksamkeit sein, gewissermaßen eine Teilbestätigung, soweit sie uns erlaubt ist. Sie sollen wissen, dass Sie nicht nur zum Plätten gut sind.

Vor sich sehen Sie einen gebrochenen Menschen. Die Schallplatte, sorgfältig ausgesucht und transportiert, hat es doch nicht überlebt. Sie ist hinüber. Morgen gibt es hoffentlich eine ganze.

Ich weiß nicht mehr zu sagen, außer, dass ich Ihnen herzlich gratuliere und für das nächste Jahr alles Gute wünsche.

Ich bin in Versuchung, in die Anrede ein Komma zu setzen.

            Ihr Kollege vis à vis!

Oh! So ein kleines Satzzeichen und so bedeutungsvoll.

Das Komma verursachte bei mir ein Grummeln im Bauch. Dazu die Schallplatte mit einem Sprung und eine rote Rose. – Symbolik, die mich irritierte.

Und warum Hexie?

Seit einiger Zeit witterte ich ab und an Sachen im Voraus, die in ähnlicher Form eintrafen, und bekam deswegen von den Kollegen den ›netten‹ Rufnamen „Hexe“ verpasst. Seine Beifügung kleine entsprach nicht meinen 1,72 m, sondern seinem später offenbarten Wunsch: Mich immer vor irgendetwas und irgendwem beschützen zu wollen.

Das Plätten war und ist eine meiner unbeliebtesten Beschäftigungen, und ich hatte ihm gegenüber meine Hoffnung geäußert, in der Ehe eines Tages nicht nur auf ein hauptsächlich Hausarbeiten ausführendes Wesen reduziert zu werden.

Für den 9.12. war das Betriebs-Jahresabschluss-fest angesetzt – mit Ehepartnern.

Die erste neun. – Eine, wie ich schon bei den vorgeschickten Briefen bemerken konnte, für dich gefühlslastige Zahl.

Das ist sie heute noch.

Wir wollten bei dieser Betriebsfete ohne Anhang erscheinen. Bei der Baracken-Einweihungsfeier konnten wir ausnehmend gut miteinander tanzen; und zwar alle Tanzstile. In der 9. Klasse der Oberschule leitete unsere Russischlehrerin einmal pro Woche eine Tanzstunde mit ›Benimm‹. Für zum Beispiel Wiener Walzer und Rock and Roll verschliss ich unterschiedliche Mitschüler. Mit ihm dagegen ging alles. Ein Nichttänzer hätte nie mein Lebensgefährte werden können.

Er sagte als Grund, weshalb seine Frau nicht mit sollte, sich mit mir richtig austoben zu wollen – das mit ihr nicht gehen würde, und ich über meinen Mann, dass der an solcher Art Geselligkeit nicht gern teilnimmt – was nicht stimmte.

Nachtigall, ick hör dir trapsen.

Jan konnte nicht zugeben, was ihn antrieb, und mir war nicht klar, in welches Gefühlschaos ich gerade reinschlitterte.

Am 9. bat mich ein leicht verunsicherter Mann zu einer Unterredung in die Betriebskantine. In der Nacht hatte es, wegen der bevorstehenden Feier ohne sie ein kleines Theater mit seiner Angetrauten gegeben, wozu Andeutungen, einen Brief schreiben und ein schlimmes Ziehen und Zerren gehörten. Dass er sie trotz alledem nicht mitbringen wollte, redete ich ihm aus.     

So erblickte ich Renate zum ersten Mal und registrierte die während dieses Lebensabschnittes für ihn wichtigsten ›Eigenschaften‹ seiner Frau, nämlich viel Holz vor der Hütte und schöne Beine sowie ein hübsches, gepflegtes Gesicht, das aber mit dem ständig selben nichtssagenden Ausdruck leer und dem schmalen Mund hart aussah. Bei meiner Klassifizierung wurde sie unter Körperfrau abgelegt. Sie wirkte langweilig, ohne jegliches Feuer. Das hatten er, und nun auch unterdessen ich, gefangen. Wir brannten beide lichterloh und fühlten uns auf der Veranstaltung wie Schachfiguren, die ohne eigenen Willen von anderen hin- und hergeschoben und dabei scharf beobachtet wurden. ›Rein zufällig‹ an einem Tisch und direkt neben ihm sitzend, redete ich eine Menge, und seine Frau sagte gar nichts. Beim Tanzen hielt er einen gehörigen Abstand zu ihr. Wir tanzten lediglich einmal miteinander und hatten mehr Tuchfühlung – was mir gefiel. In dem naiven Glauben, dadurch Verwicklungen vermeiden zu können, setzte ich mich zu Charlotte, die mir dann zum Schluss der Festlichkeit seine Bitte übermittelte, am folgenden Tag, einem Sonnabend und Schultag für ihn, in das »Egon-Erwin-Kisch-Café« zu kommen. Die Universität besaß eine Außenstelle in Berlin, die sich in dessen Reichweite befand.

Ich erinnere mich an diese Kaffeestube. Da haben wir uns manchmal nach meinen überstandenen Grenzkontrollen getroffen und »Kaffee französisch« getrunken.

Einer der beliebten Treffpunkte von Ost und West, in dem die Wände und Tische Ohren hatten. In einem kleinen Raum standen Bistro-Tischchen dicht an dicht. Man berührte sich unweigerlich. Wir schwiegen uns erst einmal an und auf meine schließlich gestellte Frage, was das soll, antwortete er: Ich weiß es nicht, musste es aber tun. Wir blieben nur kurz und verließen das Café in der Gewissheit, dass ein neues Kapitel beginnt.

Wegen häufiger Terminarbeiten gewöhnten sich unsere Ehepartner an Überstunden. Eines Tages lud er mich in ein Restaurant in Büronähe ein. Wir schwafelten drauflos, bis er vorschlug, Brüderschaft zu trinken. Danach musste nicht mehr geredet werden. Er brachte mich auf Umwege nach Hause und bewies mir unterwegs, dass der gelernte Schlosser mit Haken und Ösen umgehen kann.

Es entwickelte sich zu einem Ritual, an seinen schulfreien Abenden durch die Straßen zu wandern. Wir entdeckten bisher unbekannte Viertel und drückten uns in die Ecken. Mir kamen seine schlauen Bemerkungen zum Unfall in den Sinn, und ich warf ihm vor, in mir eine plättwütige Puppe zu sehen, bei der er feststellen wollte, ob sie vollständig aus Stroh besteht.

Liebe kleine Hexie!

Du weißt ja, dass ich ein ziemlicher Naivling bin. So gibt es für mich in dieser Situation eine Frage: Glaubt sie wirklich, was sie sagt, oder sagt sie es, um ein Ende zu machen. Ich weiß nicht, aus welchen Worten Du das herausgehört haben willst. – Es stimmt nicht!

Ich bin ganz ehrlich gegen mich selbst und gegen Dich, wenn ich Dir sage, es stimmt nicht! Die Situation ist für Dich zweifellos süßsauer, wenn Du glaubst, was Du da sagst. Einerseits bist Du dann froh, ein Ende zu haben und andererseits enttäuscht, dass der Donald nichts weiter als eine plättwütige Puppe in Dir gesehen hat.

Bevor Du nun mit mir zu schimpfen anfängst, lies bitte erst, wie es mir geht. Gestern Abend zu Hause hatte ich dauernd Angst, dass ich Dich verliere. Was denkt sie sich aus, und wie soll es weitergehen? Heute Morgen gab es dann mit Deinem Brief einen harten Schlag. Und jetzt bin ich traurig und weiß nicht, wie ich mich verhalten soll. Ich kann nicht an Dir vorbeigehen und bitte, sei nicht so grantig. Ich vermag das, was allmählich gewachsen ist, nicht auf einmal rausreißen. Und dass Du das gleichfalls nicht kannst, sieht man Dir an der Nasenspitze an.

Ich schreibe bestimmt allerhand blödes Zeug, aber so ist mir. Sagen wollte ich Dir eigentlich, dass ich Dich ganz doll mag und Du keine Puppe bist.

Dein hoffentlich immer noch liebster Kollege

Wie bist du als erklärt kompromissloser Mensch hiermit umgegangen?

Das zu sein, habe ich permanent behauptet; ebenso, dass ich vor Nichts und Niemandem weglaufen würde. Das traf bei Obrigkeiten verschiedener Couleur zu. Vor mir und meinen Gefühlen bin ich meist ausgerückt.

Nachdem seine Frau in der Straßenbahn sitzend an uns vorbeigefahren war und ihm anschließend einen fürchterlichen Abend bereitet hatte, beschloss ich zu kündigen beziehungsweise mindestens die Abteilung zu wechseln.

Es folgten etliche Beschwörungsworte und ein Brief, von dem du einige Passagen hast.

Liebe kleine Hexie!

Ich weiß nicht, ob es etwas Aktenwürdiges wird, aber morgen ist Kollegin Susanne immer und immer da, und ich kann Dir das alles nicht sagen.

So klug wie Dein Klassiker Herder waren wir auch einmal, doch was soll’s. „Sag niemals nie.“ Ich weiß nur eins, schlimmer kann es nicht werden und frohe Weihnachten. Es scheint ja so, als ob Du den „Stein der Weisen“ gefunden hast. Gib mir ein bisschen ab von Deiner Weisheit. Ich bin ein Löwensieger und Weltbezwinger. Ich will es Dir nicht schwer machen, jedoch ich mag Dich soo doll. Bitte sei jetzt einmal objektiv und nicht voreingenommen vernünftig. Was ändert es, wenn Du mich tatsächlich allein lässt? Wie Du selbst sagst, wird es mit Deinem Mann nicht wieder gut, und bei mir wird es ganz, ganz schlimm. Bestimmt, denn ich habe abermals einen wunderbaren Abend hinter mir. Ich habe Angst, einfach Angst, dass Du wirklich gehst. Dein Samariterdienst würde wohl nicht die Wirkung haben, die Du Dir davon versprichst. Ich kann und will Dich nicht hergeben – obgleich, wer hat schon wen? – und ich kann Dich nicht missen.

Ich verspreche Dir bei allem, was Du willst, und das ist kein Trick, wie Du ihn anwenden würdest, um Deinem Donald zu helfen, ihn dabei reinlegst und Dich selbst vergewaltigst, dass Du Dir um mein Zuhause keine Gedanken zu machen brauchst. Vielleicht ist das unaufrichtig von mir, meinst Du, weil ich ja nicht die letzte Konsequenz ziehe. Aber ich mag Dich so sehr, dass ich mich zu Hause überwinden werde, wenn ich weiß, dass Du für mich da bist. Kannst Du das nicht zumindest verstehen oder sogar glauben. Sieh mal, willst Du mich zum Lügen zwingen? Denn Dein Wille zum Samariterdienst erwuchs doch erst, nachdem ich Dir von dem Theater mit meiner Frau erzählt habe.

Ich weiß nicht, wie das ausgeht, aber eines weiß ich genau. Ich möchte nicht, dass Du entweder aus Verzweiflung oder aus großen Überlegungen einen anderen Mann angehst. Was soll denn danach aus Dir werden. Ich habe dann ja immer noch Sonja, bei der ich mich auf Tucholskyschen saftig grünen Wiesen ausweinen kann. Eine herrliche Aussicht und ein herrlicher Trost. Wie soll ich dann ruhig bleiben und damit leben. Bitte bleib!

  Dein Donald

Wer war Sonja, und hat der beim Schreiben überhaupt begriffen, was er anrichten wollte?

Jan war ihrem Mann beim Feierabendsport begegnet. Sie wirkte sehr fraulich, und ihr Äußeres entsprach nicht seinen Vorstellungen einer begehrenswerten Frau. Aber meines ja auch nicht.

Ich hatte gehofft, dass er sich nicht der vollen Bedeutung seines Angebots – eine Zweitfrau zu werden – bewusst war. Ich blieb.

Bei unserem letzten Zusammensein vor den Weihnachtstagen schenkte er mir einen Scherenschnitt von seinem Kopf. Auf der Rückseite steht:

Liebe kleine Hexie!

So dunkel und schemenhaft wie unsere ganze Angelegenheit ist dieses Konterfei. Bei genauem Hinsehen erkennt man einige vertraute – und auch liebe? – Züge. Es soll Dich ab und an, vielleicht später – in zwanzig Jahren – an einen armseligen Wicht erinnern.

  Gib einen Kuss auf Lydia!

Um wen handelte es sich bei Lydia?

Der Satz stammte aus »Schloss Gripsholm« von Kurt Tucholsky. Ein westdeutscher Film, der auf diesem Buch basiert, lief gerade bei uns. Jan und ich sahen ihn jeweils mit dem Ehepartner. Er fand bei mir gewisse Ähnlichkeiten mit Lydia. Für ihn war ich genauso Geliebte, Komische Oper und Freund.

Das ›Fest der Liebe und Besinnung‹ im Kreis der Familien wurde ein kleiner Vorgeschmack des Wahnsinns.

Wenn ich mich recht entsinne, sorgte die abermals ausgebrochene politische Eiszeit dafür, dass wir euch nicht besuchen durften.

Richtig, und es wurden schauderhafte Weihnachten. Ich ertrug Dirks Zärtlichkeiten nicht, und meine Mutter beobachtete mich mit Argusaugen.

Nach den irgendwie überstandenen Feiertagen setzte Jan Rhetorik und Körper ein, um mich für eine gemeinsame Silvesterfeier bei Freundin Sonja zu begeistern – tagelang eine grauenhafte Vorstellung. Ihr Mann begutachtete beim ›Casting‹ in einem Café meine Eignung für diese Party. Ich spielte erfolgreich die lustige, unbedarfte Kollegin und wurde mit Gatten zugelassen.

Die Befürchtung, dass mir seine Frau zu sympathisch sein würde, wodurch alles noch komplizierter geworden wäre, bestätigte sich nicht. Eine groteske Situation voller heimlicher, schneller Berührungen. Als ich es nicht mehr aushielt, verließ ich abrupt diese unwürdige Veranstaltung – ohne meinen Mann. Auf dem Weg nach Hause entschloss ich mich, die Scheidung einzureichen – was ich dann im Januar tat. Zwei Männer synchron, das brachte ich nicht.

Mir ist Dirk als netter Mensch gegenwärtig, der deine Mutter verehrte und sich mit deinem Vater verstand.

Ja, das Wort nett trifft es. Dass ich ihm in vielen Bereichen überlegen war, stellte ich erst nach unserer Trennung fest.

Im Januar weihten wir bei einer Dienstreise von Dirk, einem Haushaltstag von mir, der in der DDR unter anderem verheirateten Frauen einmal pro Monat zustand, und einem Studientag von Jan »Ernst« ein – ein besonderes Betttuch. Das sollte zur Not etwas auffangen und damit die Essenz des Spruchs »Aus Spaß wurde Ernst und Ernst lernt schon laufen« verhüten. Als ich ihn mit seiner Aktentasche in Empfang nahm, vermittelte er mir den Eindruck eines Vertreters, der sich verkaufen will. Und ich kam mir wie ein Schaf vor, das nicht wusste, ob es nur geschoren oder geschlachtet wird. Aber alles passte, und ich fragte glücklicherweise hinterher nicht: War ich gut?

Wir zelebrierten aus Mangel an gleichartigen Gelegenheiten weiterhin unsere Wandertage zwei- oder dreimal die Woche. Da er oft bis zum Feierabend darauf warten musste, was seine Frau eventuell mit ihm vorhatte, plagte mich Tag für Tag die Ungewissheit, ob und wann er Zeit hat, und mehr und mehr der scheußliche Gedanke, ihm nachzulaufen.

Klein Hexie!

Ich wollte es Dir eigentlich nie sagen, weil ich es unfair finde, nach dem, was Du getan hast, und was ich mache. Ich liebe Dich und Du bist mein Halt. Ich würde Dich doch sofort heiraten, wenn ich könnte – und Du wolltest es. Obwohl ich so oft gesagt habe, dass ich nie wieder heiraten würde.

Ich weiß ja, wie schwer es für Dich ist, ohne zu wissen, wohin das geht. Wenn ich gestern zu Dir gesagt habe: „Bitte kein Zank und sage mir, wenn ich Professor werde“, so habe ich jeden Tag Angst, dass es so weit kommen könnte.

Professor oder Doktor waren meine Synonyme für: Es ist aus, du kannst dich deiner Karriere widmen.

Ich habe es Dir schon einmal versprochen und verspreche es nochmals: Wenn Du jemanden triffst, zu dem Du willst, werde ich folgsam sein und versuchen, es wie ein ganzer Mann – und nicht wie ein „halber“ – zu tragen. Man soll ja nie nie sagen, aber glücklich werde ich zu Hause bestimmt nicht mehr. Ich bin ja ein sehr materialistischer Mensch, dennoch glaube ich an Fügung oder Schicksal oder irgendetwas, das dafür sorgt, dass dem Nap die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Hat er in der Schule und der Arbeit Glück, bekommt er so eins auf den Deckel. Hättest Du bloß nie „Wart’s nur ab …“ gesagt. Auch das solltest Du nie erfahren: Zweimal hast Du, oder haben wir, es bisher mit den Tränen bei mir geschafft.

Hexie, ich liebe Dich, und wenn es nicht mehr geht, sage es bitte. Bitte sage mir, wenn ich gehen soll. Ich möchte es nicht fühlen müssen.

Ich habe solche Angst davor, dass Du es mir sagst.

- . .

Das Weichkochen hatte er gut drauf. Nein, ich will nicht ungerecht sein. Ich glaube, er hat wirklich so für dich empfunden.

Gesine beschaffte eine ›Übergangswohnung‹, und ich wurde nicht-offizielle Untermieterin einer teilmöblierten Einzimmerflucht in der Rheintalstraße.        

Hilf mir mal bei Gesine auf die Sprünge.

Das ist eine ehemalige Freundin von Dirks Studienkumpel Jerry, der dir auf meiner Hochzeit gegenübersaß.

Der Straßenname ist mir geläufig, die Bude selbst aber unbekannt. Rückblickend bin ich der Meinung, gehört zu haben, dass du in einer wohnst, die sich im Umkreis deines Geburtshauses befindet.

Diese neue Bleibe war eine Hinterhof-Wohnung in einem heutigen ›In-Quartier‹ und damaligen Arbeiterbezirk. Sie hatte einen schlecht heizenden alten Ofen und weder Badewanne noch Dusche und kam für mich lediglich infrage, da sie in meinem alten Kiez unweit seines Zuhauses lag. Die Hauptmieterin, eine ältere Dame, lebte bei Sohn und Schwiegertochter. Ausgestattet mit alten dunklen Möbeln, für die Sammler haufenweise Geld bieten würden, mir dagegen nichts bedeuteten, habe ich dann versucht, dem Raum mit eigenem Sofa, Kissen, Bildern, Hängeregal eine Note zu geben, die wenigstens etwas mir entsprach.

Im März wurde ich geschieden.

Im selben Monat sollten wir uns zwei Tage lang in Leipzig auf der Messe über den neusten Stand der Technik in der DDR informieren, gestalteten allerdings den Dienstauftrag mächtig eigenwillig. Am ersten Tag, Donnerstag den 9., probierten wir uns bei mir als Ehepaar aus – wofür zwölf Stunden nicht einmal ein Tropfen auf einem heißen Stein sind. In der Nacht rettete er mich, wie es Daddy in »Schloss Gripsholm« mit Lydia tat. Das bedeutete: Aus dem Schlaf aufgeschreckt sich an mich zu klammern und davon zu überzeugen, dass ich keine Hilfe brauche. Anschließend kümmerte er sich intensiv darum, dass aus der Fortsetzung meines Schlafs nichts wurde. Wir erlebten uns das erste Mal morgens, fanden gut, was wir sahen und konnten uns riechen.