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TEXT+KRITIK. Zeitschrift für Literatur.

Begründet von Heinz Ludwig Arnold

Redaktion:
Hannah Arnold, Steffen Martus, Axel Ruckaberle, Michael Scheffel,
Claudia Stockinger und Michael Töteberg
Leitung der Redaktion: Hermann Korte
Tuckermannweg 10, 37085 Göttingen,
Telefon: (0551) 5 61 53, Telefax: (0551) 5 71 96

Print ISBN 978-3-86916-759-6
E-ISBN 978-3-86916-761-9

Umschlaggestaltung: Thomas Scheer
Umschlagabbildung: Joseph Schmidt (um 1930), © Deutsches Literaturarchiv Marbach

E-Book-Umsetzung: Datagroup int. SRL, Timisoara

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

© edition text + kritik im Richard Boorberg Verlag GmbH & Co KG, München 2018
Levelingstraße 6a, 81673 München
www.etk-muenchen.de

Inhalt

Stefan Keppler-Tasaki
Berliner Heimat. Alfred Döblins proletarischer Kosmopolitismus

Marion Brandt
Döblin und das Nationale

Till Huber
Wassertod zwischen Fin de Siècle und Frühexpressionismus. Alfred Döblins »Die Segelfahrt« im Kontext

Arne Höcker
Lustmord. Pathologie und Poetologie beim frühen Döblin

Annette Keck
Vom Wahn-Sinn der Frauen. Alfred Döblins modernistische Selbstentwürfe im Zeichen der Depersonation

Oliver Jahraus
Chinoiserien, Chinawaren, chinesischer Roman. Döblins »Die drei Sprünge des Wang-lun« mit einem Seitenblick auf Bertoluccis »Der letzte Kaiser«

Christina Althen
Döblins Gestaltung von Realsatire in »Die Lobensteiner reisen nach Böhmen«

Alexander Honold
Die Feuer- und die Wasserprobe. Alfred Döblin im Ersten Weltkrieg

Hania Siebenpfeiffer
Die Zukunft als Apokalypse. Alfred Döblins »Berge Meere und Giganten«

Torsten Hahn
Literatur als Negation. Döblins Konzeption von Kunst als ›diabolischer‹ Kommunikation

Sabina Becker
»Literatur muss man hören«. Alfred Döblins »Berlin Alexanderplatz. Die Geschichte vom Franz Biberkopf«

Sabine Kyora
Dr. Döblin: (Zeit-)Diagnostik in »Berlin Alexanderplatz«

Dagmar von Hoff
Kulturelles Archiv der europäischen Nachkriegsgeschichte. Alfred Döblins transnationale Zeitschrift »Das Goldene Tor« von 1946 bis 1951

Steffan Davies
»Das Lied läßt sich auch anders singen, Sie werden staunen«. Ovids »Metamorphosen« in der Exilerzählung »Der Oberst und der Dichter«

Julia Genz
Viele Stimmen. Polyphonie in Alfred Döblins »Hamlet oder Die lange Nacht nimmt ein Ende«

Chronik

Notizen

Notizen

Christina Althen, studierte Germanistik, Geschichte und Philosophie in München und promovierte 1992 mit einer Monografie über Döblins »November 1918«. Sie ist Herausgeberin der Alfred Döblin-Werkausgabe im Walter-Verlag sowie der Fischer-Taschenbuchausgabe, forscht zu Werk und Biografie und ist im Vorstand der Internationalen Alfred Döblin Gesellschaft (IADG) tätig.

Sabina Becker, Professorin für Neuere deutsche Literaturgeschichte und Literaturwissenschaft am Deutschen Seminar der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg; seit 2011 Präsidentin der Internationalen Alfred-Döblin-Gesellschaft; Forschungsschwerpunkte: Literatur und Kultur des 19. und 20. Jahrhunderts. Publikationen: »Urbanität und Moderne. Studien zur Großstadtwahrnehmung in der deutschen Literatur 1900–1930« (1993), »Neue Sachlichkeit« (2 Bde., 2000), »Literatur- und Kulturwissenschaften. Ihre Theorien und Methoden« (2007), »›Tatsachenphantasie!‹ – Alfred Döblins Poetik des Wissens im Kontext der Moderne« (Hg. zus. mit Robert Krause, 2008); seit 1995 Herausgeberin des »Jahrbuchs zur Kultur und Literatur der Weimarer Republik«.

Marion Brandt, Professorin am Institut für Germanistik der Universität Gdańsk (Danzig); Leiterin des Lehrstuhls für deutsche Literatur und Kultur. Forschungsschwerpunkte: literarische Komparatistik und Intertextualität am deutsch-polnischen Beispiel, Textgenese, deutsche und polnische Literatur in Gdańsk (Danzig). Neueste Publikationen: »Internationales Alfred-Döblin-Kolloquium Warschau 2013. Interkulturelle Aspekte im Schaffen Alfred Döblins« (Hg. mit Grażyna Kwiecińska, 2015), »Fortschritt, unverhofft. Deutschsprachige Schriftsteller und die Solidarność – eine Anthologie« (Hg., 2016), »Unterwegs und zurückgesehnt. Studien zum Werk von Helga M. Novak« (Hg., 2017); Neuausgabe von Alfred Döblins »Reise in Polen« (2016).

Steffan Davies, Senior Lecturer in German an der Universität Bristol. Publikationen zu Döblins »Wallenstein« und »Hamlet oder Die lange Nacht nimmt ein Ende«; mit Ernest Schonfield Herausgabe des Sammelbands »Alfred Döblin: Paradigms of Modernism« (2009) und mit Christina Althen der Neuedition von »Hamlet« (2016). Derzeitiges Forschungsprojekt, von der Leverhulme Trust gefördert, zu einer ›langen Geschichte‹ der deutschsprachigen Exilliteratur von 1790 bis in die 1950er Jahre.

Julia Genz, Germanistin und Komparatistin, Professorin für Literaturwissenschaft an der Universität Witten/Herdecke; Forschungsschwerpunkte: Wertungsdiskurse, Banalität, Trivialität, Kitsch, Alfred Döblin, digitale Literatur, Medientheorie, Polyphonie. Neuere Veröffentlichungen zu Alfred Döblin: »Psychoanalytischer Roman: Alfred Döblins ›Hamlet oder die lange Nacht nimmt ein Ende‹« sowie »Schelmenroman im Exil: Alfred Döblins ›Babylonische Wandrung oder Hochmut kommt vor dem Fall‹«, beides in: Sabina Becker (Hg.): »Döblin-Handbuch« (2016); »Interkulturalität des Erzählens als Ausdruck der Depersonation? Alfred Döblins ›Hamlet oder Die lange Nacht nimmt ein Ende‹«, in: Marion Brandt / GraŻyna Kwiecińska (Hg.): »IADK Warschau« (2015); »Döblins Autobiographien: Konstruktionen des Ich zwischen ›Entselbstung‹, Performanz und Alteration«, in: »Wirkendes Wort« 63 (2013, H. 2).

Torsten Hahn, Professor für Neuere deutsche Literatur am Institut für deutsche Sprache und Literatur I der Universität zu Köln. Gegenwärtige Forschungsfelder sind u. a. Ästhetiken der Oberfläche, Programme und Codierungen der Literatur sowie Medien der Literatur. Publikationen u. a. zu Schiller, Kleist, Novalis, Immermann sowie Richard Beer-Hofmann. Arbeiten zu Alfred Döblin: Dissertationsschrift zum Thema »Fluchtlinien des Politischen. Das Ende des Staates bei Alfred Döblin« (2003); zu den letzten Beiträgen zum Autor zählen Arbeiten zu den politischen Schriften Döblins, so u. a. das Nachwort zur Neuausgabe des Bandes »Schriften zur Politik und Gesellschaft« (2015).

Arne Höcker, Assistant Professor of German an der University of Colorado Boulder; Promotion 2008 an der Johns Hopkins University. Forschungsschwerpunkte: Literatur vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Geschichte und Theorie wissenschaftlicher Kulturen, literarische Fallgeschichten, Romantheorie. Publikationen u. a.: »Epistemologie des Extremen. Lustmord in Kriminologie und Literatur um 1900« (2012), »The Case of Literature: Literary Case Histories from Goethe to Kafka« (erscheint 2019), »Die Einrichtung der Literatur« (Hg. mit Ulrich Plass, 2010), »Kafkas Institutionen« (Hg. mit Oliver Simons, 2007), »Wissen. Erzählen. Narrative der Humanwissenschaften« (Hg. mit Jeannie Moser und Philippe Weber, 2006). Aufsätze u. a. zu Schiller, Kleist, Büchner, Wedekind, Musil, Kafka und Thomas Hettche.

Dagmar von Hoff, Professorin für Neuere Deutsche Literaturgeschichte mit dem Schwerpunkt Germanistische Medienwissenschaft und Ästhetik der textorientierten Medien am Deutschen Institut der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Zu ihren Forschungsgebieten gehören u. a. Gewalt- und Traumadiskurse, Filmphilologie und Medienreflexion sowie transnationale Zeitschriftenkulturen. Letzte auf Döblin bezogene Publikationen: »Rundfunkbeiträge 1946–1952«, in: »Döblin Handbuch. Leben – Werk – Wirkung« (2016), »Die Zeitschrift ›Das Goldene Tor‹ (1946–1951)«, ebd., »›Berlin Alexanderplatz‹. Masse, Medien und Medialität in Roman und Film«, in: »Internationales Alfred-Döblin-Kolloquium Berlin 2011. Massen und Medien bei Alfred Döblin« (2014).

Alexander Honold, Ordinarius für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Basel, Schweiz. Lehrtätigkeit u. a. an der FU Berlin, an der Humboldt-Universität zu Berlin und an der Universität Konstanz; diverse Forschungsaufenthalte und Gastprofessuren (u. a. New York, Stanford, Santa Barbara, Wien, Hamburg). Jüngste Buchpublikationen: »Die Tugenden und die Laster. Gottfried Keller, Die Leute von Seldwyla « (2018); »Der Erd-Erzähler. Peter Handkes Prosa der Orte, Räume und Landschaften« (2017); »Einsatz der Dichtung. Literatur im Zeichen des Ersten Weltkriegs« (2015); »Die Zeit schreiben. Jahreszeiten, Uhren und Kalender als Taktgeber der Literatur« (2013).

Till Huber, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Germanistik der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg; Forschungsinteressen: Literatur der Moderne, Ästhetizismus, Pop- und Konsumkultur, literarische Psychologie- und Medizindiskurse. Publikationen u. a.: »Blumfeld und die Hamburger Schule. Sekundarität – Intertextualität – Diskurspop« (Diss., 2016), »Poetik der Oberfläche. Die deutschsprachige Popliteratur der 1990er Jahre« (2011, Mithg.), »Ästhetik des Depressiven« (in Vorb., hg. mit Immanuel Nover).

Oliver Jahraus, Studium der Germanistik und Philosophie, Promotion 1992; 2001 Habilitation (»Literatur als Medium«, 2003); seit 2005 Inhaber des Lehrstuhls für Neuere deutsche Literatur und Medien an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Arbeitsschwerpunkte: Literatur- und Medientheorie, Literatur der Gegenwart, Literatur und Medienkultur der Weimarer Republik. Veröffentlichungen u. a.: »Martin Heidegger« (2004), »Franz Kafka« (2006); als (Mit-)Hg.: »Kafka-Handbuch« (2008), »Luhmann-Handbuch« (2012); »Sache/Ding. Eine ästhetische Leitdifferenz in der Medienkultur der Weimarer Republik« (2017); »Historisches Epos: November 1918«, in: »Döblin Handbuch« (2016).

Annette Keck, Professorin für Gender Studies, Kulturtheorie und neuere deutsche Literatur an der Ludwig-Maximilians-Universität, München. Forschungsfelder sind u. a. Autorschafts- und Körperkonstruktionen zwischen Avantgarde und feministischer Theorie, literarische Anthropologien, groteske Kunsterzeugungen, populäre Unterhaltungen der ›Working Girls‹. Die Promotion erschien unter dem Titel »›Avantgarde der Lust‹. Autorschaft und sexuelle Relation in Döblins früher Prosa« (1998), die Habilitation unter dem Titel »Buchstäbliche Anatomien. Vom Lesen und Schreiben des Menschen Literaturgeschichten der Moderne« (2007); derzeit arbeitet sie an einem Projekt zu Figurationen der Unschuld im deutschen Unterhaltungsfilm der 1950er Jahre, jüngste Publikation zus. mit Manuela Günter (Hg.): »Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Gender Studies« (2018).

Stefan Keppler-Tasaki, Assistent am germanistischen Institut der Universität Würzburg von 2002 bis 2005 und der FU Berlin von 2005 bis 2008, Juniorprofessor für neuere deutsche Literatur an der Friedrich Schlegel Graduiertenschule der FU Berlin von 2008 bis 2012, Professor für moderne deutsche Literatur an der University of Tokyo (Graduate School of Humanities and Sociology / Faculty of Letters) seit 2012; Einstein Visiting Fellow der Friedrich Schlegel Graduiertenschule seit 2014 und Fellow des Thomas Mann House in Los Angeles 2019. Arbeitsschwerpunkte: literarische Diskurse über Individualität und Masse, Beziehungen zwischen Literatur und Film, deutsche Konzepte von ›Heimat- und Abendland‹. Aktuelle Buchpublikationen: »Alfred Döblin. Massen, Medien, Metropolen« (2018), »Hans Heinrich Ehrler. Biografie eines Abendländers« (2018).

Sabine Kyora, Studium der Literaturwissenschaft und Geschichte in Bielefeld und Hamburg; Dissertation zu »Psychoanalyse und Prosa im 20. Jahrhundert«, Habilitation 1999 mit der Schrift »Eine Poetik der Moderne« (2007); seit Oktober 2002 Professorin für Deutsche Literatur der Neuzeit an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Veröffentlichungen zur Literatur der klassischen Moderne und der Gegenwartsliteratur, zu Alfred Döblin, Arno Schmidt, Friederike Mayröcker und Paul Wühr, zu methodischen Fragen der Literaturwissenschaft und zu Subjekt- und Autorschaftsentwürfen.

Hania Siebenpfeiffer, Professorin für Neuere deutsche Literatur mit den Schwerpunkten Frühe Neuzeit und Europäische Aufklärung an der Philipps-Universität Marburg; Promotion mit einer diskursanalytischen Arbeit über Gewaltverbrechen in der Weimarer Republik (»Böse Lust«, 2005), Habilitation mit einer Arbeit zu Literatur und Astronomie in der Frühen Neuzeit (»Die literarische Eroberung des Alls. Eine gattungspoetische und wissenshistorische Studie zu Literatur und Astronomie (1593-1771)«); wichtigste Forschungsfelder: Literatur und Kultur der Frühen Neuzeit sowie der Moderne bis Gegenwart, das historisch-systematische Verhältnis von Literatur und Wissen/Wissenschaften sowie Literatur und Recht, literarische Materialität/Medialität, Gattungspoetik der SF, Text-Bild-Relationen, Diskurstheorie, Rhetorik und Geschlechterforschung. Autorin mehrerer Aufsätze zu Döblin sowie weiterer wissenschaftlicher Publikationen zu den genannten Forschungsfeldern.

Bisher sind in der Reihe TEXT+KRITIK erschienen:

Günter Grass
(1) 7. Aufl., 138 Seiten

Hans Henny Jahnn
(2/3) vergriffen

Georg Trakl
(4/4a) 4. Aufl., 123 Seiten

Günter Eich
(5) vergriffen

Ingeborg Bachmann
(6) 5. Aufl., 207 Seiten

Andreas Gryphius
(7/8) 2. Aufl., 130 Seiten

Politische Lyrik
(9/9a) 3. Aufl., 111 Seiten

Hermann Hesse
(10/11) 2. Aufl., 132 Seiten

Robert Walser
(12/12a) 4. Aufl., 216 Seiten

Alfred Döblin
(13/14) 200 Seiten

Henry James
(15/16) vergriffen

Cesare Pavese
(17) vergriffen

Heinrich Heine
(18/19) 4. Aufl., 203 Seiten

Arno Schmidt
(20/20a) 4. Aufl., 221 Seiten

Robert Musil
(21/22) 3. Aufl., 179 Seiten

Nelly Sachs
(23) 3. Aufl, 126 Seiten

Peter Handke
(24) 6. Aufl., 141 Seiten

Konkrete Poesie I
(25) vergriffen

Lessing contra Goeze
(26/27) vergriffen

Elias Canetti
(28) 4. Aufl., 177 Seiten

Kurt Tucholsky
(29) 3. Aufl., 103 Seiten

Konkrete Poesie II
(30) vergriffen

Walter Benjamin
(31/32) 3. Aufl., 232 Seiten

Heinrich Böll
(33) 3. Aufl., 156 Seiten

Wolfgang Koeppen
(34) 2. Aufl., 112 Seiten

Kurt Schwitters
(35/36) vergriffen

Peter Weiss
(37) vergriffen

Anna Seghers
(38) vergriffen

Georg Lukács
(39/40) 90 Seiten

Martin Walser
(41/42) 3. Aufl., 156 Seiten

Thomas Bernhard
(43) 4. Aufl., 288 Seiten

Gottfried Benn
(44) 3. Aufl., 223 Seiten

Max von der Grün
(45) vergriffen

Christa Wolf
(46) 5. Aufl., 151 Seiten

Max Frisch
(47/48) 4. Aufl., 217 Seiten

H. M. Enzensberger
(49) 3. Aufl., 164 Seiten

Friedrich Dürrenmatt I
(50/51) 3. Aufl., 245 Seiten

Siegfried Lenz
(52) 2. Aufl., 88 Seiten

Paul Celan
(53/54) 3. Aufl., 185 Seiten

Volker Braun
(55) 65 Seiten

Friedrich Dürrenmatt II
(56) vergriffen

Franz Xaver Kroetz
(57) vergriffen

Rolf Hochhuth
(58) 67 Seiten

Wolfgang Bauer
(59) 53 Seiten

Franz Mon
(60) 80 Seiten

Alfred Andersch
(61/62) vergriffen

Ital. Neorealismus
(63) vergriffen

Marieluise Fleißer
(64) 95 Seiten

Uwe Johnson
(65/66) 2. Aufl., 212 Seiten

Egon Erwin Kisch
(67) 63 Seiten

Siegfried Kracauer
(68) 90 Seiten

Helmut Heißenbüttel
(69/70) 126 Seiten

Rolf Dieter Brinkmann
(71) 102 Seiten

Hubert Fichte
(72) 118 Seiten

Heiner Müller
(73) 2. Aufl., 214 Seiten

Joh. Christian Günther
(74/75) 142 Seiten

Ernst Weiß
(76) 88 Seiten

Karl Krolow
(77) 95 Seiten

Walter Mehring
(78) 83 Seiten

Lion Feuchtwanger
(79/80) 148 Seiten

Botho Strauß
(81) 166 Seiten

Erich Arendt
(82/83) 155 Seiten

Friederike Mayröcker
(84) 98 Seiten

Alexander Kluge
(85/86) 155 Seiten

Carl Sternheim
(87) 112 Seiten

Dieter Wellershoff
(88) 116 Seiten

Wolfgang Hildesheimer
(89/90) 141 Seiten

Erich Fried
(91) 2. Aufl., 119 Seiten

Hans/Jean Arp
(92) 119 Seiten

Klaus Mann
(93/94) 141 Seiten

Carl Einstein
(95) vergriffen

Ernst Meister
(96) 98 Seiten

Peter Rühmkorf
(97) 94 Seiten

Herbert Marcuse
(98) 123 Seiten

Jean Améry
(99) 85 Seiten

Über Literaturkritik
(100) 112 Seiten

Sarah Kirsch
(101) 104 Seiten

B. Traven
(102) 100 Seiten

Rainer Werner Fassbinder
(103) 2. Aufl., 153 Seiten

Arnold Zweig
(104) 105 Seiten

Ernst Jünger
(105/106) 167 Seiten

Eckhard Henscheid
(107) vergriffen

MachtApparatLiteratur. Literatur und Stalinismus
(108) 100 Seiten

Günter Kunert
(109) 95 Seiten

Paul Nizon
(110) 99 Seiten

Christoph Hein
(111) vergriffen

Brigitte Kronauer
(112) 91 Seiten

Vom gegenwärtigen Zustand der deutschen Literatur
(113) vergriffen

Georg Christoph Lichtenberg
(114) 91 Seiten

Günther Anders
(115) 103 Seiten

Jurek Becker
(116) vergriffen

Elfriede Jelinek
(117) 3. Aufl., 127 Seiten

Karl Philipp Moritz
(118/119) 142 Seiten

Feinderklärung
Literatur und Staatssicherheitsdienst
(120) 117 Seiten

Arno Holz
(121) 129 Seiten

Else Lasker-Schüler
(122) 102 Seiten

Wolfgang Hilbig
(123) 99 Seiten

Literaten und Krieg
(124) 112 Seiten

Hans Joachim Schädlich
(125) 97 Seiten

Johann Gottfried Seume
(126) 116 Seiten

Günter de Bruyn
(127) 109 Seiten

Gerhard Roth
(128) 102 Seiten

Ernst Jandl
(129) 113 Seiten

Adolph Freiherr Knigge
(130) 107 Seiten

Frank Wedekind
(131/132) 185 Seiten

George Tabori
(133) 106 Seiten

Stefan Schütz
(134) 93 Seiten

Ludwig Harig
(135) 91 Seiten

Robert Gernhardt
(136) 121 Seiten

Peter Waterhouse
(137) 98 Seiten

Arthur Schnitzler
(138/139) 174 Seiten

Urs Widmer
(140) 94 Seiten

Hermann Lenz
(141) 104 Seiten

Gerhart Hauptmann
(142) 117 Seiten

Aktualität der Romantik
(143) 100 Seiten

Literatur und Holocaust
(144) 97 Seiten

Tankred Dorst
(145) 99 Seiten

J. M. R. Lenz
(146) 97 Seiten

Thomas Kling
(147) 122 Seiten

Joachim Ringelnatz
(148) 115 Seiten

Erich Maria Remarque
(149) 104 Seiten

Heimito von Doderer
(150) 113 Seiten

Johann Peter Hebel
(151) 109 Seiten

Digitale Literatur
(152) 137 Seiten

Durs Grünbein
(153) 93 Seiten

Barock
(154) 124 Seiten

Herta Müller
(155) 105 Seiten

Veza Canetti
(156) 111 Seiten

Peter Huchel
(157) 98 Seiten

W. G. Sebald
(158) 119 Seiten

Jürgen Becker
(159) 130 Seiten

Adalbert Stifter
(160) 115 Seiten

Ludwig Hohl
(161) 111 Seiten

Wilhelm Genazino
(162) 108 Seiten

H. G. Adler
(163) 115 Seiten

Marlene Streeruwitz
(164) 92 Seiten

Johannes Bobrowski
(165) 113 Seiten

Hannah Arendt
(166/167) 198 Seiten

Stefan George
(168) 124 Seiten

Walter Kempowski
(169) 107 Seiten

Nicolas Born
(170) 125 Seiten

Junge Lyrik
(171) 119 Seiten

Wilhelm Raabe
(172) 114 Seiten

Benutzte Lyrik
(173) 116 Seiten

Robert Schindel
(174) 100 Seiten

Ilse Aichinger
(175) 117 Seiten

Raoul Schrott
(176) 104 Seiten

Daniel Kehlmann
(177) 91 Seiten

Jeremias Gotthelf
(178/179) 149 Seiten

Juden.Bilder
(180) 126 Seiten

Georges-Arthur Goldschmidt
(181) 94 Seiten

Grete Weil
(182) 115 Seiten

Irmgard Keun
(183) 109 Seiten

Carlfriedrich Claus
(184) 141 Seiten

Hans Jürgen von der Wense
(185) 129 Seiten

Oskar Pastior
(186) 108 Seiten

Helmut Krausser
(187) 117 Seiten

Joseph Zoderer
(188) 100 Seiten

Reinhard Jirgl
(189) 107 Seiten

Rainald Goetz
(190) 117 Seiten

Yoko Tawada
(191/192) 171 Seiten

Ingo Schulze
(193) 100 Seiten

Thomas Brasch
(194) 101 Seiten

Uwe Timm
(195) 95 Seiten

Literatur und Hörbuch
(196) 101 Seiten

Friedrich Christian Delius
(197) 97 Seiten

Gerhard Falkner
(198) 102 Seiten

Peter Kurzeck
(199) 97 Seiten

Hans Fallada
(200) 109 Seiten

Ulrike Draesner
(201) 101 Seiten

Franz Fühmann
(202/203) 179 Seiten

Sibylle Lewitscharoff
(204) 104 Seiten

Ulrich Holbein
(205) 101 Seiten

Ernst Augustin
(206) 98 Seiten

Felicitas Hoppe
(207) 93 Seiten

Angela Krauß
(208) 105 Seiten

Kuno Raeber
(209) 106 Seiten

Jan Wagner
(210) 103 Seiten

Emine Sevgi Özdamar
(211) 99 Seiten

Christian Dietrich Grabbe
(212) 108 Seiten

Kurt Drawert
(213) 106 Seiten

Elke Erb
(214) 109 Seiten

Wolf Wondratschek
(215) 103 Seiten

Christian Kracht
(216) 104 Seiten

Navid Kermani
(217) 95 Seiten

Marcel Beyer
(218/219) 178 Seiten

Christoph Ransmayr
(220) 91 Seiten

Terézia Mora
(221) 100 Seiten

Sonderbände

Theodor W. Adorno
2. Aufl., 196 Seiten

Die andere Sprache. Neue DDR-Literatur der 80er Jahre
258 Seiten

Ansichten und Auskünfte zur deutschen Literatur nach 1945
189 Seiten

Aufbruch ins 20. Jahrhundert
Über Avantgarden
312 Seiten

Ingeborg Bachmann
vergriffen

Bestandsaufnahme Gegenwartsliteratur
vergriffen

Ernst Bloch
305 Seiten

Rudolf Borchardt
276 Seiten

Bertolt Brecht I
2. Aufl., 172 Seiten

Bertolt Brecht II
2. Aufl., 228 Seiten

Georg Büchner I/II
2. Aufl., 479 Seiten

Georg Büchner III
315 Seiten

Comics, Mangas,
Graphic Novels
272 Seiten

DDR-Literatur
der neunziger Jahre
218 Seiten

Theodor Fontane
2. Aufl., 273 Seiten

Johann Wolfgang
von Goethe
363 Seiten

Oskar Maria Graf
224 Seiten

Graphic Novels
330 Seiten

Grimmelshausen
285 Seiten

Die Gruppe 47
3. Aufl., 353 Seiten

E. T. A. Hoffmann
213 Seiten

Friedrich Hölderlin
295 Seiten

Homer und die deutsche Literatur
303 Seiten

Jean Paul
3. Aufl., 309 Seiten

Franz Kafka
2. Aufl., 359 Seiten

Heinrich von Kleist
237 Seiten

Friedrich Gottlieb Klopstock
129 Seiten

Karl Kraus
vergriffen

Kriminalfallgeschichten
237 Seiten

Literarische Kanonbildung
372 Seiten

Literatur in der DDR. Rückblicke
307 Seiten

Literatur in der Schweiz
262 Seiten

Literatur und Migration
285 Seiten

Lyrik des 20. Jahrhunderts
300 Seiten

Martin Luther
265 Seiten

Heinrich Mann
4. Aufl., 180 Seiten

Thomas Mann
2. Aufl., 265 Seiten

Karl May
299 Seiten

Moses Mendelssohn
204 Seiten

Österreichische Gegenwartsliteratur
326 Seiten

Poetik des
Gegenwartsromans
213 Seiten

Pop-Literatur
328 Seiten

Joseph Roth
2. Aufl., 166 Seiten

Friedrich Schiller
171 Seiten

Theater fürs 21. Jahrhundert
238 Seiten

Versuchte Rekonstruktion –
Die Securitate und Oskar Pastior

140 Seiten

Visuelle Poesie
224 Seiten

Zukunft der Literatur
204 Seiten

Stefan Keppler-Tasaki

Berliner Heimat
Alfred Döblins proletarischer Kosmopolitismus

1 Lob des Kleinstaats

Wer sich um die letzte Jahrtausendwende für die ›Wiederkehr des Religiösen‹ interessiert hat, mag befremdet sein, was seitdem noch alles ›wiedergekehrt‹ ist, wie insbesondere ›Heimat‹ und ›Abendland‹. Dass das eine zu den Vorboten des anderen gehörte, hätte man sich insofern denken können, als auch die klassische Heimatbewegung zwischen spätem Kaiserreich und früher Bundesrepublik sowie die katholisch-jungkonservativ dominierte Abendlandbewegung der 1920er bis 1950er Jahre auf das bauten, was sie – unter Beteiligung zahlreicher Geistlicher, aber ohne feste Absicherung durch Theologie und Kirche – für christliche Fundamente hielten. Die diffus religiöse Dimensionierung von Heimat und Abendland schloss seinerzeit nicht aus, sondern beförderte, dass zumindest die Heimatbewegung bis weit in die Arbeiterschaft und Sozialdemokratie, der Heimatbegriff als solcher auch in die kommunistischen Reihen hineinreichte. Und so ist es alles andere als ein Traditionsbruch, wenn im Nachgang des Wahljahres 2017 Ulla Hahn, die Erzählerin des rheinisch-katholischen Arbeitermilieus, sich »das Wort Heimat nicht madig machen«1 lassen will und Sigmar Gabriel die »Sehnsucht nach Heimat« als den »Wunsch nach sicherem Grund unter den Füßen«2 bedenkt, während Robert Menasse »Heimat (…) ein Menschenrecht, Nation ein Verbrechen«3 nennt und die neue deutsche Bundesregierung ein »Heimat«-Ressort umfasst.4 Zumal der Gedanke, dass die (Re-)Legitimierung von Heimat direkt oder indirekt eine Bedingung von »Internationalisierung« und »Globalisierung« (Gabriel) beziehungsweise der Realisierung von »christliche(m) Abendland« (Hahn) darstellt, hat Referenzen in der Epoche der beiden Weltkriege. Zu deren fundamentalen Debatten über das Einzel- und Gesellschaftsleben hat der Nervenarzt, Essayist und Epiker Alfred Döblin, SPD-Mitglied zur Zeit des »Heidelberger Programms« (1925), in dem die »Vereinigten Staaten von Europa« gefordert wurden, umfassend beigetragen.

Als Doktorand in Freiburg (1904/05), Lazarettarzt im lothringischen Saargemünd und elsässischen Hagenau (1915–18) sowie als französischer Besatzungsoffizier in Baden-Baden (1945–49), dazwischen auf kriegshistorischer Erkundungsfahrt mit seinem elsässischen Freund Robert Minder (1938), hat Döblin einen nicht unbedeutenden Teil seines Lebens in jener deutschen und eben nicht nur deutschen Südwestecke verbracht, in der die Reichsreformdiskussion, das heißt die Pläne zu einer regionalen Neugliederung in Mittel- und Westeuropa, mit starken supranationalen Akzenten geführt wurde. Beispielsweise sah der Partikularist und ›Abendländer‹ Otto Feger, dem Döblin im ersten Jahrgang seiner Nachkriegszeitschrift »Das Goldene Tor« (1946–51) Gehör verschaffte, die kulturelle Identität »Alemanniens« im Schnittfeld zwischen österreichischer und französischer »Weltkultur«. An Fegers für diesen Diskurs bezeichnenden Überlegungen musste Döblin, den Chronisten der November-Revolution, mithin die Perspektive interessieren, dass beim militärischen Zusammenbruch des Kaiserreichs 1918 die politische Chance verspielt wurde, Deutschland nicht als Nationalstaat wilhelminischen Erbes, sondern als Bund kosmopolitischer Kleinstaaten nach dem Modell von Goethes Weimarer ›Ilm-Athen‹ zu rekonstruieren – und dass schon darin das Versagen der Weimarer Republik begründet sei.5 Den ersten Band von Döblins »November 1918«-Zyklus, »Bürger und Soldaten« (1939), durchziehen das landsmannschaftliche Bewusstsein der aus regionalen Wehrbezirken rekrutierten Soldaten, die Anläufe zu separatistischen Räterepubliken wie bei der »Bildung eines Nationalrats für Elsaß-Lothringen«, die Erwartung deutsch-französischer Soldatenverbrüderung und die Besinnung ahnenforschender Bürger auf ihre schweizerische Herkunft. Groß erscheint die innere und äußere Distanz der »rheinischen Städte« wie Köln, Straßburg und Freiburg gegenüber jener »Berliner Regierung, die sich zur Verwunderung vieler ›Reichsregierung‹ nannte«.6

Wo Döblin einmal seine politischen Vorstellungen versammelt hat, im abschließenden, »Von abendländischen Völkern« überschriebenen Kapitel seines anthropologischen Buches »Unser Dasein« (1933), schlug er sich tatsächlich auf die Seite eines radikal regionalistischen Europas: »Welche Gefühle, Stimmungen und Charaktereigenschaften gedeihen in den Großstaaten? Erregtheit, Spannung, Kampfgier, Härte, Schlauheit, Bosheit.« Diese Großstaaten seien, so Döblin mit Reminiszenzen an das 19. Jahrhundert, »überaltert, Überbleibsel einer von Feldherren und industriellen Dynasten, von Militärs und zivilen Herrschsüchtigen erfüllten Vergangenheit«, sie bildeten nur mehr »Versteinerungen ihrer Machttriebe«. Wer an die »Bildung von Menschen« denke – hier kehren die Goethe’schen Motive von »Unser Dasein« wieder7 – müsse an die »Auflösung der Großstaaten« gehen. »Gut« sei der »Heimatpatriotismus«, und deshalb gelte es langfristig, den »Rückgang auf kleine, übersichtliche politische Systeme« zu eröffnen und ein »Föderativsystem von ›Landschaften‹« zu errichten. »Wirklicher Heimatbegriff«, notierte Döblin und meinte eine nahräumliche Verortung von Gesellschaften, bei der ›Heimat‹ nicht als Instrument nationaler Mobilisierung dienen sollte, wie es spätestens seit Beginn des Ersten Weltkriegs politische Praxis war.8 Entgegen seiner Funktionalisierung im Namen der Nation konnte das Regionale auch das Supranationale zu sein, und ohne behaupten zu wollen, dass Döblin, wie er von sich selbst sagte, »als Berliner, als der Nervenarzt Dr. Döblin aus der Frankfurter Straße«,9 unmittelbar von der Südweststaatsdebatte gelernt hätte, lässt sich doch beobachten, dass er die Korrelierung von Regionalismus und Supranationalismus (als politischen Kategorien) beziehungsweise von Heimat und Kosmopolitismus (als soziologischen Kategorien) kannte und praktizierte. Der eingeschworene Berlin-Autor Döblin ist mit innerer Notwendigkeit zugleich der bahnbrechende Sinophile, der Verfasser von »Wadzeks Kampf mit der Dampfturbine« (1918) und »Berlin Alexanderplatz« (1929) nicht zufällig auch der Kopf hinter »Die drei Sprünge des Wang-lun« (1916) und »The Living Thoughts of Confucius« (1940).

2 Der urbanistische Heimatbegriff

1878 im pommerschen Stettin geboren, hat Döblin sich, seine Eltern und Großeltern dezidiert als »Preußen« betrachtet.10 Seit 1888 lebte er in Berlin und erklärte dazu: »Ich bin von klein auf Städter, Großstädter (…). Preußische Strenge, Sachlichkeit, Nüchternheit, Fleiß ist mir auf dem Berliner Gymnasium anerzogen worden.«11 Polen, das er 1924 bereiste, verstand er als Land seiner Vorfahren, ohne sich »eine jüdische außerdeutsche Heimat (…) andichten« lassen zu wollen.12 Aus der »Gemeinde Israels« war er, der zeitweilig mit dem Personalaktenvermerk »Israelit« lebte, bereits 1912 ausgetreten. Charakteristisch für seine Verschränkung des Land- mit dem Weltläufigen bemerkte er zur Konstellation seiner Bücher »Wang-lun« und »Reise in Polen«: »Ich hatte in einem Roman geistig eine Reise nach China gemacht (…). Nun wollte ich einmal eine reale Reise in das Land meiner Väter machen.«13 Bis 1927 dem linken Flügel der Sozialdemokratie angehörend, nahm Döblin ebenso internationalistische Positionen ein, wie er zugleich den Heimatbegriff besetzte. 1933 vor der ›Schutzhaft‹ geflohen, war ihm der Zürcher Kosmopolitismus zu kapitalistisch und kostspielig. An Paris schätzte er am meisten die proletarischen und linksintellektuellen Elemente, die ihn an Berlin erinnerten. Auf der Flucht durch Südfrankreich nahm er 1940 in der Kathedrale von Mende den Katholizismus auf, der ihn dreieinhalb Jahrzehnte zuvor im Freiburger Münster berührt hatte und der ihm später in Baden-Baden und Mainz psychisch und sozial bis zu einem gewissen Grad zustattenkam. Als er 1947 erstmals wieder Berlin besuchte, überkam ihn ein »erschütterndes Gefühl (…) wie am Grabe eines Menschen, mit dem ich viele Jahre gemeinsam verlebte und den ich nun für immer verloren habe«.14 »Schicksalsreise«, seine 1949 erschienene Fluchtautobiografie, weitet sich an mehreren Stellen zu wehmütigen Erinnerungen an Berlin und laboriert zugleich an einer Art rheinischem Internationalismus christlicher Prägung, dessen Schlüsselbegriff sonst das ›Abendland‹ war. Nachdem Döblin seinen letzten Wohnsitz 1953 in der Nähe des Eiffelturms genommen hatte, führte seine letzte Reise 1956/57 durch mehrere Sanatorien in oberrheinischen Ortschaften. Vormals »passionierter Parisbewohner«, der sich an der Seine vom Verlust seines alten Berlins zumindest ablenken konnte, standen Döblins späte Jahre im Zeichen erlittener »Heimatlosigkeit«, wie sein Biograf Wilfried F. Schoeller schreibt.15

Sich mit Frankreich zu beschäftigen, »sieht«, so Döblin in seinem Artikel »Ferien in Frankreich« (1926), »nach Völkerverständigung, Kosmopolitismus aus«, doch wollte er – »Ein Mensch, der dauernd um den Alexanderplatz herumgeht«, »Berliner unter Berlinern« – darüber nicht vergessen, die »Kleinwelt« zu »pflegen«, zu »ehren« und zu »lieben«.16 Den elitären Kosmopolitismus der Sommer- und Winterreisepläne, der internationalen Gasteinladungen und der kultivierten Beflissenheit hat Döblin verachtet. Gerade in der lebenslangen Auseinandersetzung mit Thomas Mann war ihm Weltläufigkeit als bürgerliche Prestigehaltung, die niemandem nutzt, neidvoll suspekt; »wir Proleten«, sagte er über seine Familie, seien kaum einmal bis in die goldglänzende »Synagoge Oranienburgerstraße« gekommen.17 Dem liberalen Kosmopolitismus jener politischen Theorien seit Kant, die jedermann einen Status als Bürger im friedenssichernden Weltstaat zubilligen wollten, hat er in seinem gewalterfüllten Zukunftsroman »Berge Meere und Giganten« (1924) keine Chance gegeben; allerdings galt ihm die Gründung der Vereinten Nationen 1945 in San Francisco als Hoffnungsanker für eine auf Menschenrechten basierende Weltordnung: für die »menschliche Freiheit«, die durch eine »Solidarität der Völker« geschützt werden solle.18 Nach eigener Auffassung »fremdsprachen-blind«19 und in Los Angeles nicht mehr als ein »exotischer Beobachter«20 benötigte Döblin seine Berliner Heimat, um sich mit der Welt ins Verhältnis zu setzen. Der ihm und Berlin gemäße Kosmopolitismus konnte nur ein proletarischer sein. »Es blieb in mir, daß wir, daß ich zu den Armen gehörte. Dies hat meine ganze Art bestimmt. Zu diesem Volk, zu dieser Nation gehörte ich: zu den Armen.«21 Der viel zitierte Bekenntnissatz aus dem ersten Berlin-Rückblick der »Schicksalsreise« ist auch im Sinne eines antimondänen Verbundenheitsbewusstseins Döblins mit allen Subalternen bis nach China und Amerika hin zu begreifen.

Zu Döblins Verständnis von Berlin ausgerechnet als Heimat muss man sich vergegenwärtigen, dass die Heimatbewegung der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts über die bürgerlichen Heimat- und Geschichtsvereine hinaus weit in alle sozialen Schichten und politischen Lager ausgriff. ›Heimat‹ war weniger ein Kampf- als vielmehr ein Konsensbegriff, mit dem ein kleinster gemeinsamer Nenner im ungeeinten Reich betont wurde.22 In Pastor Naumanns linksliberalem »Hilfe«-Kreis bedeutete namentlich für Theodor Heuss, mit dem Döblin seit den 1920er Jahren die »besten kameradschaftlichen Beziehungen«23 verbanden, Heimat so viel wie Bürgerrecht für alle, Demokratisierung und Partizipation. Das historische Heimatrecht, soweit es ein etwa an Steuern und Grundbesitz gebundenes Privileg war, sollte zu einem modernen Recht auf Heimat werden. Regionalismus und Kosmopolitismus sollten dabei Hand in Hand gehen, in den Wertvorstellungen von Heuss: »Stolz auf die Sonderart des Stammes, Unabhängigkeitssinn, sehr starke Heimatliebe, mit der sich ein freier Zug zur Anerkennung fremden Wesens eigentümlich [verträgt] – Partikularisten als Weltbürger«.24 Für die katholische Seite führte der im Ruhrgebiet tätige Pfarrer und Erwachsenenbildner Anton Heinen im »Staatslexikon« der Görres-Gesellschaft aus, dass Heimat die »Wiedererweckung des Gefühles kosmischer Verbundenheit einerseits und des Geistes der lebendigen Verantwortung andererseits« bedeute.25 Schon weil ein »wesentliches Glied der Heimatpflege« demzufolge in der »Wohlfahrtspflege« bestand,26 konnten Heimat- und Arbeiterbewegung nicht nur koexistieren, sondern auch Schnittmengen bilden. Im katholischen Denken galt mithin das Grundprinzip der ›doppelten Heimat‹, wonach der geordnete Nahbereich immer auch das Symbol einer universellen Schöpfungsordnung mit Ausblick in die ›himmlische Heimat‹ sein sollte.

Für die völkische Bewegung hat Adolf Bartels, gemeinsam mit dem »Los von Berlin«-Pamphletisten Friedrich Lienhard Gründungsherausgeber der modellbildenden Zeitschrift »Heimat« (1900–04), in seiner über ein halbes Jahrhundert hindurch aktualisierten und neu aufgelegten »Geschichte der deutschen Literatur« (zuerst 1901/02) unermüdlich behauptet, dass moderne Literatur zentral von Heimat handle, sich nämlich auf eine »bestimmte Landschaft mit Unterstreichung der in dieser Umwelt hervortretenden Eigenart bei Menschen sowohl wie bei der Natur« verpflichte. Mit diesem durch die naturalistische Milieutheorie gefilterten Heimatbegriff war im Handumdrehen ein jeder »echter« Dichter »Heimatdichter«, jede »echte« Literatur »Heimatkunst im höchsten Sinne«.27 Auch für Döblin betonte der Weimarer Honorarprofessor die Herkunft und Umwelt: »aus Stettin«, »Arzt in Berlin«. Der »Alexanderplatz«-Autor rangierte in dieser heimatideologisch fundierten Literaturgeschichte sogar als »der bedeutendste« unter den reichsdeutschen jüdischen Schriftstellern, dessen Romane »geradezu Aufsehen erregt« hätten. Selbst ein Hinweis auf die Festschrift von 1928, »Alfred Döblin. Im Buch – Zu Haus – Auf der Straße«, die den Fünfzigjährigen in seinen Berliner Lebensbezügen zeigt, fehlt nicht. Am Ende wird er aber doch »Neujudäa« als einer eigenen, quasi nomadischen Nationalität zugerechnet, die landschaftliche Eigenarten nicht wirklich gestalten könne.28

Bartels gehörte zu den Vorreitern einer Nationalisierung des Regionalen, bei der Heimat stets »deutsche Heimat« war und die landschaftlich differenzierten »Stämme« eine einheitliche Rasse »alten germanischen Blutes« bilden sollten.29 Demgegenüber konnte auch Lion Feuchtwanger auf den Heimatbegriff nicht verzichten, verknüpfte ihn aber alternativ zum Nationalen mit dem Kosmopolitischen. Feuchtwanger verstand sich als bajuwarisch eingesessen, kosmopolitisch denkend und jüdisch fühlend. In seinem Artikel »Der Roman von heute ist international« korrigierte er die Darstellung von Bartels 1932 entscheidend in Richtung einer epischen Zusammenschau des Regionalen mit dem Globalen: »Gewiß wählt auch der heutige große Romandichter am liebsten die Heimat zum Gegenstand seiner Dichtung, aber er sieht sie eben nicht nur mit den Augen des Lokalpatrioten, sondern mit dem Auge des Weltbürgers!« Neben den »Buddenbrooks« führte Feuchtwanger, begeisterter Leser bereits des »Wang-lun«, dafür auch »Berlin Alexanderplatz« an und meinte im Übrigen seinen eigenen, auf München bezogenen Roman »Erfolg. Drei Jahre Geschichte einer Provinz« (1930).30

Für Döblins Heimatvotum ist eine entscheidende Szene in der episodenreichen Berlin-Provinz-Kontroverse um 1930 aufschlussreich. Denn als der »herrliche Kämpfer« in der preußischen »Dichterakademie« gegen die »entsetzlich platten Herren vom wahrhaft platten Lande«31, gegen »Provinzialismus, Heimatkunst, Kunst der Scholle«32 und gegen das »schwächliche Halbkönnen eines verstockten Provinzlergeistes«33 auftrat, verwarf er den überparteilichen Wertbegriff ›Heimat‹ nicht etwa, sondern forderte ihn für Berlin ein. Ausführlich resümierte er im Sommer 1946, übereinstimmend mit verstreuten früheren und späteren Erklärungen: »Ich hatte vor 1933 eine schwache Ahnung von verschiedenen Gegenden Berlins und eine mehr deutliche von einer, der, in der ich lebte. ›Ahnung‹ meint: die Örtlichkeit. Darüber hinaus gab es ›Berlin‹ als ein Bild, das ich, wenn ich malen könnte, nach Art des Futuristen Severin[i] malen würde, wie den ›Pan-Pan-Tanz‹. Dies Bild ›Berlin‹ umgab wie eine Dunsthülle den kleinen geographischen Körper. Dem Ganzen, Ort mit Dunsthülle, gab ich öfter die Bezeichnung ›Heimat‹ und ärgerte mich über die Frösche im Sumpf, die ›Stillen im Land‹, die Maulwürfe, die den Boden des Landes unterwühlten, welche Heimat nur um eine Dorfscheune mit Ententeich und um eine Wiese mit weidender Viehherde aufbauen wollten. Zur ›Heimat‹ gehörte also ein Mückenschwarm und ein pfeifeschmauchender Bauer.«34

Der Heimatbegriff wurde damit Teil des bekannten Akademiestreits, in dem Döblin ›seine‹ Stadt vordergründig gegen die dubiosen völkischen Akademiemitglieder wie vor allem Erwin Guido Kolbenheyer verteidigte, hintergründig aber gegen den rechtsintellektuellen Vordenker Wilhelm Stapel, der Anfang 1930 zum »Aufstand der Landschaft gegen Berlin« aufrief und der »neuberlinischen Literatur« eine »Literatur der Landschaft« entgegensetzen wollte. Regional spezifisch forderte Stapel, von Hamburg aus agierender Herausgeber der Zeitschrift »Deutsches Volkstum« und graue Eminenz des nationalkonservativen Verlagswesens, die »konservative Auflehnung des südwestdeutschen demokratischen Bürgertums« gegen den Vorabdruck von »Berlin Alexanderplatz« in der »Frankfurter Zeitung«, die einen traditionellen Personal- und Publikumsschwerpunkt im liberalen Südwesten besaß. Dämme seien zu bauen, damit die »geistigen Kloaken Berlins« nicht »über das Land« ausgespült würden. Zum Vorteil der ›Provinzmänner‹ – Kolbenheyer etwa lebte damals in Tübingen – glaubte er urteilen zu dürfen: »Wenn wir uns vergegenwärtigen, welche von den deutschen Dichtern heute urbanistisch und welche landschaftlich sind, kommen wir zu einem Ergebnis, das vielleicht manche überrascht: die bedeutenden Dichter der Gegenwart leben in der Landschaft und ziehen ihre Kraft aus der Landschaft.«35

Zu diesen ›Dichtern der Landschaft‹ rechnete Stapel auch den von ›deutscher Heimat‹ und ›christlichem Abendland‹ bewegten Stuttgarter Schriftsteller Hans Heinrich Ehrler, der Döblins Wege mehrfach gekreuzt hat. In Ehrlers Zeitschrift »Der Schwäbische Bund« erhielt Döblin 1920 die merkwürdige Auszeichnung, von einem krass antiurbanistischen Angriff auf die expressionistischen Schriftsteller als »der einzige« ausgenommen zu werden, »der mit der Sprache auf Du steht, bei dem beides da ist: Kultur und Ungebundenheit«, und der die »Aussicht« habe, »den Sturm zu überstehen«. »Wang-lun« und »Wadzek« würden, so die Sammelrezension unter dem bezeichnenden Titel »Das literarische Chaos«, »naturalistisches Detail sozusagen expressionistisch, ohne Notizbuch, rein phantastisch wie einen traumartigen Ablauf (…) produzieren«.36 Am Ende der 1920er Jahre galt Ehrler als ›volkszugewandter‹ Pionier des Radiohörspiels und nahm neben Döblin an der legendären Arbeitstagung »Dichtung und Rundfunk« teil. Mit seiner Feuilletonserie »Reise nach Berlin« – zwischen Mai und September 1928 ausgerechnet in Döblins damaligem Hauptkampfblatt, der »Vossischen Zeitung«, im Folgejahr als Buch unter dem Titel »Meine Fahrt nach Berlin. Erlebnisse eines Provinzmanns« erschienen – bot er eines der jüngsten Beispiele für die vom Akademiestreiter Döblin attackierten »flüchtige(n) Besucher«, die in Berlin nur »Verschwendung, Müßiggang und Snobismus« fänden, nicht aber auch die Stadt der Arbeit sähen, »wo alles in ungeheurer, selbstaufopfernder Anspannung um der Sache willen« geschehe.37 Ehrlers Nichte Maria Andler-Jutz war Buchgrafikerin bei S. Fischer und hatte unter anderem den Umschlag von Döblins »Berge Meere und Giganten« entworfen. Bei ihr wohnte der Berlin-Besucher, lieh sich Geld, das er nie zurückzahlte, und wollte in seinem umfangreichen Reisebericht doch nicht zugeben, dass Berlin primär von Arbeit geprägt sein sollte und dass Frauen dabei im Erwerbsleben standen. In der Episode »Die zum Tod verurteilte Poesie«, die im literarischen Salon von Hermann Kasack spielt, setzte Ehrler seine charakterliche ›Haltung‹ (von einer intellektuellen ›Meinung‹ wollte er nicht sprechen) gegen die urbanistische ›Nicht-Literatur‹ in Szene. Wie Unkraut breite sie sich, seitdem der heimatlose Heinrich Heine den schillergesegneten ›Schwäbischen Dichterkreis‹ verhöhnt habe, über die deutschen Kulturlandschaften bis hin zum ›württembergischen Dichterland‹ aus. »Die zum Tod verurteilte Poesie« wurde 1929 in die Anthologie »Hier schreibt Berlin« aufgenommen, in der Döblin schon deshalb darauf gestoßen sein muss, weil ihr ein Auszug aus »Berlin Alexanderplatz« vorangeht.38 Wesentlich aufgrund der »Reise nach Berlin« und deren landseligem Pendant »Die Reise in die Heimat« hat Stapel den Stuttgarter Autor Ende 1930, am Höhepunkt des Akademiestreits, in den Münchner Langen-Müller-Verlag gebracht, dem die völkisch-nationalkonservativen Akademiemitglieder wie Kolbenheyer überwiegend angehörten.

Wie nimmt sich neben dem bürgerrechtlichen Heimatbegriff des Linksliberalismus, dem schöpfungstheologischen des Katholizismus und dem auf die ›landschaftliche Eigenart‹ bezogenen der völkischen Bewegung das Heimatverständnis von Döblin aus? Die ›Bezeichnung‹ Heimat meint bei ihm zunächst, wenn man sein Resümee des Akademiestreits von 1946 näher betrachtet, ein ›Ganzes‹ und steht damit der Bestimmung von Heimat als »Kosmos«39 im »Staatslexikon« nicht eigentlich fern. Dieses ›Ganze‹ soll aus ›dem Ort‹ und dessen ›Dunsthülle‹ bestehen. Der ›Ort‹, der »kleine geographische Körper« ist der Alexanderplatz, aber nicht der Platz allein, sondern, wie Döblin 1947 in der SPD-nahen Berliner Tageszeitung »Telegraf« erläuterte, »eine größere Perspektive«: »Das geht von Lichtenberg bis zur Münzstraße. Hier ging ich in die Gemeindeschule, besuchte zehn Jahre lang als Freischüler das Köllnische Gymnasium, machte mein Abitur 1901, studierte Medizin an der Universität (…) und war als Arzt auf meinem Platz. (…) Das atmete, pulsierte, lebte, liebte und litt. Das war das Leben. Das war mein Leben bis zum 55. Lebensjahre.«40

Neben diesem ›Körper‹ ist dessen ›Dunsthülle‹ das futuristische ›Bild‹ Berlin, in dem schon der »Berliner Westen (…) eine andere Welt«41 bedeutet und die Randbezirke wie Frohnau und Hermsdorf unheimliche »Hintertüren«42 bilden. Der Vergleich mit dem »Pan-Pan-Tanz« bezieht sich auf Gino Severinis »La danse du pan-pan«, das Döblin in der Berliner Futuristen-Ausstellung von 1912 bewundert hat: In zahllose Rhomben gegliedert – allein zwei zentrale, überproportional große Tänzerinnenfiguren weisen betonte Kurven auf –, zeigt es eine Tanzfläche, dahinter ein Orchester, darum herum eng besetzte Tische, Menschen in Smokings und Abendkleidern; den oberen Bildrand begrenzen die schmal dreieckigen Strahlen von vielen Lampen (s. Abb.). Gegen die Dichotomien der Berlin-Provinz-Kontroverse ist es hier der arkadische Hirtengott Pan, der sich – potenziert – im Rhythmus des Großstadtlebens offenbart. Die futuristisch-kubistische Struktur Berlins als Wiederholung ähnlicher Elemente, der »Millionen Fenster« und »viel zu vielen Straßen«,43 legte Döblin seiner frühesten Erinnerung an die Stadt zugrunde: »Wir kamen von Stettin, meine Mutter und wir Kinder, nachher fuhren wir mit der Stadtbahn weiter, und wie ich von einem Stadtbahnhof zum andern fuhr, einer genau wie der andere, da dachte ich, wir fahren nur hin und her.«44 Die simultane Serie strukturiert das Bild der Stadt in Döblins erstem Berlin-Roman, »Wadzeks Kampf mit der Dampfturbine«: »Pneumatiks, zum Platzen gebläht, schaukeln den Oberbau leichter Autos, die sich wie ein Einfall nähern (…). Die Donnertürme der Autobusse torkeln heran; um ihre Galerien ziehen sich weithin sichtbare Plakatschilder: Manolizigaretten, Luhns Seife, Niveakreme, die beste Glühlampe der A. E.G. (…) Der Abgrund zwischen den Häusern überspannt von metallenen Drähten, Bogenlampe hinter Bogenlampe, eine schwebende endlose Flammenlast.«45 Folgen hier Maschinen auf Maschinen, Plakate auf Plakate, Lampen auf Lampen gibt es in den Heimaträumen der ›Literatur der Landschaft‹ alles nur ein- oder zweimal, ohne wirtschaftliche und aufmerksamkeitsökonomische Konkurrenz. Ein Beispiel aus Ehrlers in Maulbronn entstandenen »Briefen aus meinem Kloster« (1922): »Da kommt in kleinen Häusern nacheinander ein Maler, ein Maurer, ein Gipser, ein Schreiner, zwei Metzger, ein Wagner, zwei Schneider, ein Schuster, ein Schlosser, ein Sattler, ein Tapezier, zwei Schmiede, zwei Bäcker, ein Barbier, ein Bürstenbinder, ein Uhrmacher, ein Zimmermann, und drinnen im Klosterhof sitzen ein Glaser, ein Küfer, ein Mechaniker, ein Buchbinder (…).«46

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Abb.: Gino Severini: La danse du pan-pan (Originalversion, 1911).
Quelle: Deutsche Kunst und Dekoration 15 (1912), H. 7, S. 275
(Heidelberger historische Bestände – digital).

Wie die Heimaten im katholischen und im völkischen Diskurs besitzt Döblins Berlin, »ein großes Wesen«,47 etwas Mythisches und Unbegreifliches, insbesondere eine Art innerer Unendlichkeit, bei der niemals die genauen räumlichen und zeitlichen Außengrenzen bezeichnet werden. Wie »La danse du pan-pan« weist die Berliner Heimat allerdings keinen »ruhenden Punkt in der Erscheinungen Flucht« auf, mit dem Döblin den Heimatbegriff (und die Schiller-Rezeption) der »Poetlein hinter dem Kuhstall« charakterisierte.48 Berlin ist »riesenhafte Entwicklung«,49 ja »rasende Metamorphose«,5051 5253